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Viertes Kapitel

Die Heirat des Lawiner mit der »Zigeunerischen« hatte das ganze Tal in Aufregung versetzt. Das war eine gröbliche Verletzung alles Herkommens, jedes gesunden Standesgefühles. Was sollte man von den »Jungen« erwarten, wenn einer mit grauen Haaren sich so etwas erlaubt, was von den kleinen Leuten, wenn ein altansässiger Großbauer, zu dem man immer mit einer gewissen Verehrung hinaufgeblickt, so weit herabstieg. Eine Landstreicherin, eine Tierbändigerin, wie man sie auf den Jahrmärkten zu sehen bekam, eine Dirn von höchstens achtundzwanzig Jahren und der sechzigjährige Lawiner.

Da war nur eines möglich, – antan hat sie's ihm mit irgend einer Teufelei, wie sie das Volk seit Jahrhunderten treibt!

Seinen einzigen Sohn, den kreuzbraven Ambros, der das schwarze Unglück ins Haus gebracht hat, hinausjagen, enterben, und dafür das Straßenkind annehmen, das die Fremde ihm ins Haus gebracht hat, so etwas fällt doch einem gesunden Menschen nicht ein, vor allem nicht dem Lawiner, der sein Lebtag mit den Weibsleut'n nichts zu schaffen haben wollte. – Die Hex' war fertig! Man wartete nur mehr gespannt auf die Entwickelung. Irgend etwas Besonderes mußte sich ereignen, irgend ein Fluch sich erfüllen, wenn er nur nicht noch so und so viele Unschuldige mit sich zog.

Doch alles blieb beim alten, eitel Frieden herrschte im Lawinerhof, sogar die alte Bärbl war geblieben. Am Sonntag erschien die Verhaßte sogar jedesmal pünktlich mit dem Lawiner in der Kirche, versäumte keinen Brauch und keine Übung, und der Pfarrer behauptete sogar, sie sei ihm lieber wie manche, die beim zahmen Viech aufgewachsen.

Allerdings, hineinsehen konnte man ja nicht in den Lawinerhof, der jetzt noch verschlossener dalag, wie vorher, und was das Aussehen des Lawiners betraf, so konnte man gerade auf eine wahre Herzensfreude nicht schließen. Das war noch der einzige Trost. Wenn das glatt hinausginge, wo bliebe denn da die göttliche Gerechtigkeit? Da tät's zuletzt mancher ihm nachmachen und nach einem schönen G'sicht heiraten, gleichviel wo's herstammt! Denn schön war sie, ganz teuflisch schön, das konnte niemand leugnen. Alle Burschen drehten den Kopf nach ihr, wenn sie die Kirche betrat.

Etwas völlig Fremdartiges, Wildes, und doch wieder echt Weibliches lag in diesem wohlgeformten Antlitz, sprach aus diesen schwarzen Augen unter den starken Wimpern. Die Erzählungen, die über ihren früheren Beruf gingen, über die wilden Tiere, die sie gebändigt, über den Löwen, ihren Jugendfreund, erhöhten nur den Reiz für die jungen Männer. Dabei arbeitete sie auf Feld und Hof, als wäre sie dabei aufgewachsen; das Anwesen war noch nie in besserem Stand.

In dem ewigen Gleichmaß des Dorflebens verwischt sich die Zeit, die spurlos dahinschwebt. Sechs Jahre waren vergangen ohne irgend eine bemerkenswerte Veränderung im Lawinerhof. Die Gemüter hatten sich längst beruhigt, die Verbindung des Bauern mit der Landstreicherin, von der man sich irgend etwas Besonderes, irgend eine aufregende Abwechselung in dem ewigen Einerlei erwartete, war in das Bereich des Gewöhnlichen gerückt.

Der Ambros war verschollen und vergessen. Der Lawiner, hieß es, habe ihm ein schmales Erbteil ausbezahlt und sich für immer von ihm losgesagt, nachdem es zwischen ihm und dem Buben zu einem argen Auftritt gekommen sei von wegen der Landstreicherin; er sei mit seinem Freunde, dem Zigarrentoni, nach Tirol ausgewandert und dort irgendwo in Dienst getreten.

Einmal wurde noch beim Landgericht Nachfrage nach ihm gehalten, sein Leumund eingefordert, ob er früher schon der Wilderei ergeben gewesen sei, dann hörte man nichts weiter mehr davon.

Im Lawinerhof selbst war die Zeit nicht so spurlos vergangen. Der Lawiner war erst so betäubt von seinem späten Liebesglück, das so grundverschieden war von dem, welches er in seiner Jugend genossen hatte, daß er völlig aus seinem Geleise kam. Er hatte nicht mehr die Kraft, in solchem Ansturm der Leidenschaft sein eigenes Selbst zu wahren.

Marion durchdrang ihn ganz mit ihrem starken Naturell, vom Lawiner blieb nichts mehr übrig; ohne daß er es merkte, entsank die Herrschaft im Hause völlig seiner Hand. Es gab keine Arbeit mehr für ihn; alles war stets schon getan, es gab keinen Befehl mehr für ihn an das Gesinde, keine Anordnung, alles war schon angeordnet. Das Haus selbst, die Wohnräume veränderten sich allmählich, ohne daß er es verhindern konnte. Das Bäuerliche wurde verdrängt, etwas ihm Fremdartiges, Unsympathisches zog ein. Die Fenster bekamen bunte Tuchvorhänge, die Holzmöbel mußten gepolsterten weichen, die schlichten Wände wurden tapeziert und mit buntem Allerlei geziert. Marion liebte die Farbe, all den falschen Tand, der ihrem früheren Lebenskreise eigen, das Phantastische, Abenteuerliche. Sie hätte es nicht ausgehalten in dem ernsten, kahlen Hause.

Der Versuch des Lawiner, sich hinter die Bärbl zu stecken, schlug völlig fehl. Die Alte hielt sich zu seinem Staunen völlig auf die Seite Marions. Die könne jetzt nicht auf einmal aus der Haut fahren, und eine junge Frau habe nun einmal ihre Rechte; ob er denn glaube, sie habe ihn seinem grauen Haar zuliebe geheiratet.

Er durchschaute sie. Sie wollte sich nur rächen, so unbehaglich ihr selbst dabei zumute war; er hatte nichts zu hoffen von ihr. Sie hatten ein Bündnis geschlossen, Marion und Bärbl. Er hatte jetzt zwei Herrinnen statt einer.

Doch was konnte ihn das alles kümmern? Marion war ihm treu ergeben und hielt alles in bester Ordnung, etwas anderes füllte das ganze Haus, für ihn bis zum Ersticken, etwas, was ihm im Laufe der Zeit unerträglich wurde, gerade seinen Haß heraufbeschwor. Biela, die mit der Kraft des fremden Blutes, das in Marion rollte, heranblühte auf der fetten Weide des Lawinerhofes.

Alles bezog sich auf das Kind, alles ging von ihm aus, kehrte zu ihm zurück, – das kleine Wesen mit dem dichten Schwarzhaar, den großen, leuchtenden Augen, auf dessen bewegliches, von der Mutter ererbtes Wesen die neue Lebensweise, die behäbige, idyllische Ruhe des Bauernhofes äußerst günstig eingewirkt, das die Vorzüge zweier völlig entgegengesetzter Lebenssphären gleichsam in sich vereinte, zog alles in seinen Bann, selbst der Lawiner wäre ihm unterlegen, wenn nicht ein ständiger Stachel ihm in die Seele gebohrt hätte. Für das Kind ist geschehen, was geschah, Biela galt es, nicht ihm. Für Biela hatte sie sich geopfert.

So oft er sich den Gedanken auch aus dem Kopfe schlug, Gegenbeweise herzlicher Zuneigung ihm entgegenhielt, er kehrte immer verstärkt wieder und zog allmählich einen Haß groß in seinem Herzen gegen das kleine Wesen, dem er in seiner ersten Liebestollheit und seinem Zorn über den Sohn den ganzen Hof überschrieben, für den Fall ihm Marion kein Kind schenke, seinen ganzen Grund und Boden, für den er so manches Unrecht, so manche Härte schon begangen, den er seinem eigenen Kinde nicht gegönnt.

Am tollsten trieb es die alte Bärbl; Biela nannte sie gar nicht anders als Großmutter, und mit jedem Jahre trat der Lawiner mehr in den Hintergrund, sah er immer mehr ein, daß er doch der Betrogene war, wenn man es recht ansah, um Haus und Hof Betrogene.

In solchen Augenblicken dachte er dann mit bitterer Reue des fernen Sohnes, und oft hatte er alles darum gegeben, wenn er ihn wieder von der Sölden hätte herunterkommen sehen, ja, nur um eine Nachricht über seinen Aufenthalt.

Bärbl stand mit ihm in Verbindung, das wußte er bestimmt; aber sie schwieg beharrlich ihm gegenüber, und er schämte sich, sie darüber zu fragen; was ihn aber am meisten verdroß: sie hatte Marion ins Geheimnis gezogen, der Name wurde zwischen beiden genannt, ja, es kam ihm vor, als wenn gerade dieser Name das Bindeglied wäre zwischen Marion und Bärbl.

Da gab es nur einen Trost für ihn: den Berg und die Jagerei. Der Lawiner hatte sich förmlich in den Dienst des Försters gestellt und arbeitete wie ein bezahlter Jagdgehilfe. Das Revier reinzuhalten von aller Dieberei, dann und wann einen guten Hirsch oder Gemsbock zu schießen, war der einzige Ehrgeiz, welcher dem stolzen Bauer noch übrig geblieben.

Wehe dem, der es gewagt, ihm auf diesem Grunde entgegenzutreten, sein Blut hätte er dafür eingesetzt. Die Mannheit, die er daheim endgültig verloren fühlte, fand hier das letzte Feld der Betätigung.

Er war oft die ganze Woche aus, nächtigte in der Jägerhütte und überließ den Hof den Weibern.

Marion verstand es immer wieder, wenn er heimkehrte, mit oder ohne Beute, seiner Leidenschaft zu schmeicheln, seiner jetzigen Tätigkeit eine Bedeutung beizulegen, welche sie im Grunde genommen für einen Hofbauern nicht hatte.

Das versöhnte ihn immer wieder, ließ ihn alles andere, was er sah und hörte, vergessen. – – –

Wieder war es Hochsommer im Gebirge – August. Die Böcke sprangen aufs Blatt, der Feisthirsch, der sonst ewig unsichtbare, hatte keine Ruhe vor den Bremsen und suchte die Suhlen auf.

Der Lawiner war seit Montag draußen im Revier, trotz der Heuernte, die alle Arme beschäftigte. Das besorgte die Marion.

Eine drückende Hitze lag auf dem Felde, das Heu rauschte unter dem Rechen, daß es eine Freude war. Marion und Bärbl arbeiteten einträchtig nebeneinander. Vom grellen Sonnenlicht umflimmert erschien die Lawinerin noch größer und kräftiger in jeder Bewegung. Sie hielt wiederholt inne, lüftete das rote Kopftuch, während ihre Blicke den Wald suchten, der an die Wiese grenzte.

Biela hatte ihn aufgesucht, Beeren zu sammeln. Sie war schon über eine Stunde aus. Die Arbeit ging ihr nicht von der Hand ohne Biela.

Bärbl, deren von der Sonne ausgedörrte Arme immer von neuem ausgriffen, sah sie von der Seite an.

»Wart i schon vier Jahr lang auf ein', schau und frag' den Wald darnach,« begann sie plötzlich.

»Wünsch' ihn nur recht fest herbei, und auf einmal ist er da,« erwiderte Marion. »Wir können alles, was wir fest wollen. Darin liegt alle Zauberei.«

»Und bringst dei' Dirndl net mal aus 'n Wald, mit all' dein'm –.« Da schwieg sie, Biela kam zwischen den Bäumen hervor über die Wiese geschritten.

In das glänzend schwarze Haar waren rote und blaue Blumen gesteckt, in schweren Strähnen fiel es zu beiden Seiten über das erhitzte Gesicht herab, die jugendliche Brust ging hoch, wie nach strengem Laufen; trotz der Kindlichkeit der ganzen Erscheinung lag eine frühe Reife über derselben, wie sie nur dem Süden eigen, ein Ausdruck von Weiblichkeit, der dem Alter des Mädchens weit vorauseilte.

Sie kam hastig auf die Mutter zu.

»Wo warst du denn so lang'? Und nicht einmal Beeren?«

Bielas Antlitz wurde dunkelrot, ihre schwarzen Augen rollten unstet, etwas Marion völlig Fremdes sprach daraus. Dabei hielt sie das Händchen fest und steif in der Rocktasche, was doch sonst nicht ihre Art – und das seltsame Augenspiel hinüber auf die Bärbl.

»Komm Mutter!« flüsterte sie plötzlich, den Augenblick erhaschend, in dem Bärbl kopfschüttelnd wieder zum Rechen griff. »I hab' was mitgebracht, nur für dich – niemand soll es sehen –«

Marion zuckte das Herz auf, sie wußte selbst nicht, warum, ohne jeden weiteren Gedanken – sie legte den Rechen weg.

»Ich komme gleich wieder, Bärbl, möchte grad' im Stall nachschaun,« entschuldigte sie sich völlig planlos, nicht fähig, Besseres zu finden.

»Grad' dein' Will'n möcht' i hab'n,« meinte die Bärbl, »dann käm' er heut' no über d' Wies'n daher, wia dei' Kleine –«

»Wer denn?« fragte Marion.

»Wer denn? Der Ambros!« erwiderte Bärbl.

Marion gab es einen Stich; zugleich drückte sich die Hand Bielas fester in die ihrige. Sie sah unwillkürlich das Kind an und – las die Antwort. Von Ambros brachte sie Botschaft, so unerklärlich es ihr auch war.

Hastig zog sie Biela mit sich.

»Was hast du für mich?«

»Einen Zettel, Mutter,« flüsterte Biela, der notwendigen Heimlichkeit sich wohl bewußt »Ein junger Mann gab ihn mir. Ich soll ihn dir geben, daß es niemand sieht –«

»Wo trafst du den jungen Mann?«

»Auf dem großen Schlag. Ich suchte nach Erdbeeren, da stand er plötzlich vor mir. Erst bin ich erschrocken, so wild sah er aus, wie ein Räuber, dann sprach er mich an. ›Heißt du nicht Biela?‹ Da fürchtete ich mich gar nicht mehr. ›Ja, so heiße ich, Biela.‹ Da hat er sich hingekniet – und gepackt hat er mich, und geküßt hat er mich, und geweint hat er auch – und ich hab' mitgeweint – und ich muß wieder weinen, wenn ich daran denke, wie gut und lieb er war, und wie schlecht es ihm wohl gehen muß.«

»Und dann?«

»Dann? Dann tat es plötzlich einen schrillen Pfiff im Walde, – da ist er aufgesprungen und – und weg war er.«

»Aber er gab dir doch etwas mit? Du hast doch eben davon gesprochen,« drängte Marion.

Biela holte ein Stück abgerissenes Papier heraus, fest zusammengefaltet. »Da, das hat er mir gegeben. Zuerst wollte er mir selber alles sagen, dann – dann hat er es doch aufgeschrieben, und einen Gruß von Ambros soll ich sagen, dir ganz allein, und niemand soll es hören, auch die Bärbl nicht. Er hat mich so schön gebeten darum. Mutter, wenn du es jemand sagst, ich wäre dir nimmer gut.«

Marion hörte nicht mehr, sie verschlang die derbe undeutliche Schrift.

»Marion! Ich bitt' Dich nur noch um eins in der Welt, – laß mich Dich allein sprechen, um's Dunkelwerd'n, bei der großen Buch'! Zum letztenmal. Morgen geht's nach Amerika, Ambros!«

Sie steckte hastig den Zettel zu sich. »Ich werd's niemand sagen, – Biela, gewiß, aber auch du mußt deinen Mund halten. Weißt du denn, wer er ist, den du im Wald getroffen?«

»Wer denn, Mutter?«

»Das ist der Mann, der dich und mich aus dem Schnee gegraben vor sechs Jahren, der uns vom Tod gerettet.« – »Der Mann?« Biela blickte starr in das Weite, eine dunkle Erinnerung stieg wohl auf in ihr. »Darum hat er geweint, – der brave Mann. Wenn ich das gewußt hätt', ich hätt' ihn gleich mitgebracht. Kommt er nicht mehr? Ich hab' ihn so lieb, den Mann.« Marion bewegten die Worte heftig. Mühsam faßte sie sich. »Vielleicht, Biela, wenn du schweigen kannst –«

»O, das kann ich, verlaß' dich darauf. Niemand soll von mir was hören, auch der Vater nicht.«

Marion kehrte lange nicht zur Arbeit zurück, immer wieder las sie den Zettel. Sie durfte ihm die Bitte nicht verwehren, ihrem Lebensretter, der um sie so viel gelitten, seine Heimat verloren; im Gegenteil, sie mußte alles tun, ihn zu halten, ihn mit dem Vater auszusöhnen. Und warum wandte er sich an sie, nicht an seine alte Freundin, die Bärbl, warum wollte er sie allein sprechen? Hoffte er noch? Auf die Frau seines Vaters? Rechnete er mit den sechs Jahren, die vergangen, oder wollte er sie zur Rechenschaft ziehen, ihr Vorwürfe machen, sich rächen?

Der Pfiff fiel ihr ein, von dem Biela gesprochen. Er war nicht allein gekommen, mit dem verrufenen Toni wohl, der ihr damals schon verhaßt, mit seinem bösen Blick, in der Winterstube, mit seinem boshaften Lachen damals, als er an dem verhängnisvollen Tage mit dem Lawiner das geschossene Stück heruntergebracht.

Gleichviel, sie war fest entschlossen, zur Buche zu kommen in der Dämmerstunde, wie auf dem Zettel stand.

Träge verflossen die Stunden, ihr ganzes bisheriges Leben auf dem Lawinerhof zog an ihr vorüber. Wie schal doch und leer. Wenn sie zurückdachte an die Wanderschaft, von neuem Reiz umgeben, stieg die bunte, lebensvolle Vergangenheit vor ihr auf. Was sie auch für schlimme Erfahrungen gemacht, entbehrt, die ewige Sorge, die Roheit der Männer, die sie umgaben, steckte doch mehr Glück darin wie in diesem starren Einerlei des Bauernlebens. Dann trat ihr der schöne Jüngling entgegen, ihr Lebensretter. Er liebte sie mit der ganzen Kraft seiner gesunden Natur. Und sie wies ihn ab, sie verzichtete auf ihn. Sie kroch im Lawinerhof unter, sie heiratete einen alten, ungeliebten Mann. Alles um Biela, um ihr Kind. Und jetzt kehrte er zurück, wohl mit der alten Liebe im Herzen, verstoßen, enterbt um sie, auf dem Wege zum Elend, zum Verbrechen vielleicht – und sie darf ihn doch nicht halten, sie darf es nicht wagen, sie fühlt nicht die Kraft dazu in sich, weil sie ihn selbst liebt. Alles wieder Biela zulieb', die fest wurzeln soll auf dem Lawinerhof, die nicht zu den Geächteten gehören soll, zu dem verachteten, fahrenden Volk.

Und Biela würde sich so gut mit ihm vertragen. Ich hab' ihn so lieb, den Mann! Wie sie das sagte, das Kind, und er hat sie geküßt und geweint.

Ein süßer Gedanke stieg in ihr auf. Zuerst brannte es wie Feuer durch ihr ganzes Wesen. Wenn da die Lösung wäre – in Jahren? Ambros und Biela?

Der Unterschied in den Jahren wäre kein Hindernis – der Gedanke ließ sie nicht mehr los, durchleuchtete sie förmlich – eine plötzliche Ruhe kam über sie, eine dunkle Ahnung von fernem Glücke.

Die Zusammenkunft unter der Buche hatte nichts Bedrückendes mehr für sie, sie sollte der Grundstein werden für eine neue Zukunft.

Die Mittagsglocke rief das Gesinde vom Felde. Marion schaffte in der Küche von Biela unterstützt, die immer wieder nach dem fremden Mann fragte und durchaus wissen wollte, was auf dem Zettel gestanden, – und Marion konnte jetzt nicht genug des Guten von ihm erzählen, von dem Retter in der Sturnmacht, dem Biela zu Dank verpflichtet sei für ihr ganzes Leben. Warum denn dann der Vater und die Großmutter nichts davon wissen dürften, daß der gute Mann in der Nähe, dem es gewiß recht schlecht gehe, seinen abgerissenen Kleidern nach.

»Sie werden es schon erfahren, wenn es an der Zeit ist,« meinte Marion, für jetzt soll sie einfach schweigen, wie er ihr selber aufgetragen.

Plötzlich ging die Tür draußen, schwere Tritte, das Klappern eines Bergstockes auf den Steinfliesen. »Der Vater!« flüsterte Biela ängstlich, in dem klaren Bewußtsein, daß er der Mutter jetzt sehr ungelegen kam.

Marion ließ fast die Pfanne mit Nudeln fallen vor Schreck. Es war erst Sonnabend, und er wollte erst Montag nach Hause kommen. Alles war verloren, wenn er blieb.

Sie ging ihm entgegen. Er war nicht guter Laune, sein Gruß war kurz.

»Kümmer' di' net, i geh' glei' wieder.«

Sie mußte sich Mühe geben, ihre Freude zu verhehlen, um so dringender fragte sie, was ihn denn so rasch forttreibe.

Es sei nicht geheuer im Revier, gestern abend seien zwei Schüsse gefallen. Gnad' Gott dem Lumpen, wenn er mit ihm zusammenkommt.

Marion fühlte sich erblassen. Wilderer also! Und dafür wollte er sein Leben einsetzen, das sei doch des Försters Sache.

»So meinst? Wo is denn dann no mein Sach' auf der Welt? Meinst, i lauf zum G'spaß mit 'n Gewehr 'rum? Aber was red' i denn mit dir d'rüber? Da dürft i ja zum G'spött werd'n vom ganzen Dorf – deinetwegen – das weiß i wohl.«

Er trat an die Gewehraufhänge, nahm seines von der Schulter und dafür ein anderes herunter.

Marion beobachtete ihn genau, ohne auf seine harte Rede zu erwidern. Das Gewehr, welches er umtauschte, hatte er erst vor kurzem erworben, eine einläufige Büchse, die er pflegte wie ein Kind, und für gewöhnlich nicht zu führen sich entschließen konnte. Er war eigens nach Hause gekommen, um diesen Tausch zu vollziehen.

»Warum nimmst heut' die neue Büchs?« fragte sie in wachsendem Angstgefühle.

»Warum? Weil's heut' gilt, mein i alleweil – mit der kommt mir keiner aus.«

»Mann, du wirst doch nicht, – ich beschwöre dich – ich lasse dich nicht.«

Sie trat vor die Tür, ihm den Ausgang wehrend.

Er sah sie sichtlich erfreut an.

»Franz!« Sie hatte ihn noch nicht oft so genannt. »Dein Weib bitt' dich, geh nicht.«

Da legte er seine schwere Hand auf die ihre, seine Augen wurden feucht.

»Marion, wär' dir wirkli' leid um mi' – sag?« Brennende Röte stieg ihr in das Gesicht. Sie hatte an Ambros gedacht, an den unheimlichen Pfiff, dem er folgte – wenn's ihm gälte? Aber jetzt, wie er sie so anblickte, so innig, so dankbar für ihre Besorgnis, so liebverlangend, da war es ein anderes Bild, das vor ihre Seele trat, ein furchtbares, blutiges. – Es war ihr jetzt wirklich um ihn. Wenn sie ihn brächten – auf der Bahre – tot –. Sie fühlte es in diesem Augenblick, sie hatte ihn doch lieb, sie möchte ihn um alles nicht verlieren, und der Gedanke hob sie, ließ sie plötzlich einen wahren ungeheuren Schmerz empfinden.

Sie schlug die Arme um den Hals des Lawiners und brach an seiner Brust in lautes Schluchzen aus.

»Marion,« rief er dann freudig, »ja, wär's denn doch möglich, daß du mi' no – Marion –.« Er strich das schwarze Haar aus ihrer Stirn und drückte einen Kuß darauf. »Nein, Marion, jetzt möcht' i selber nix mehr wag'n – net um mehr, als da gilt. – Aber 'naus muaß i, i hab's dem Förster versproch'n. Kümmer' di' net,« er lachte, »i bin nimm'r g'fährli' – da hast schon g'sorgt dafür!«

Das Gesinde trat in die Stube – die alte Bärbl –, rasch faßten sich beide.

Marion forderte ihn noch auf, erst zu essen, doch er dankte, er habe Eile, drückte Marion noch einmal verständnisinnig die Hand und ging.

Die Leute hatten sich zu Tisch gesetzt. Niemand fiel der Vorgang auf, man war es längst gewöhnt den Bauer nur mehr mit der Büchse zu sehen.

Marion brachte keinen Bissen hinunter. Biela sah sie immer so verständnisvoll an, stolz auf ihre Mitwisserschaft.

Nachmittags machte sie sich zu Hause Arbeit, nur um allein zu sein. Bärbl hatte etwas wie eine Ahnung, immer wieder brachte sie das Gespräch auf Ambros. Sie mußte sie mit Gewalt fortschicken auf das Feld.

Die Sonne schien heute festgebannt, endlich sank sie doch hinter den Wald. Da suchte Marion schon die Buche auf. Das Herz schlug ihr bis in den Mund.

Was wollte er von ihr? Sollte sie ihn überreden offen vor den Vater hinzutreten, sich mit ihm auszusöhnen? Sie zweifelte nicht an der Nachgiebigkeit des Lawiners, im stillen wünschte er den Sohn längst zurück. Dann bleibt er im Hause – bei Biela. Er sieht sie heranwachsen, das Ebenbild der Mutter, sie ist ihm ja jetzt schon gut, dem lieben Mann, und nach sechs Jahren ist dann Hochzeit auf dem Lawinerhof.

So ging es am besten. Wenn er nur vernünftig ist, wenn er vergessen kann und sie auch – sie auch!

Jetzt dämmerte es schon, hinter der Buche glomm die letzte Glut. Ein schwüler Hauch wehte durch den Wald, der den Sinn verwirrt, das Blut erhitzt.

Sie mußte sich setzen, doch gleich sprang sie wieder auf. Ein Ästchen krachte.

»Ambros!« flüsterte sie.

Da kam er geschlichen zwischen den Stämmen. Sie drückte sich hinter die Buche, um ihn zu beobachten. Wie groß und stark er geworden! Das war nicht mehr der Ambros von einst, der unreife Junge. In einen zerfetzten Wettermantel gehüllt, trotz der Schwüle, den Hut verwegen in die Stirn gedrückt, mit dem scheuen, lauernden Wesen, fürchtete sie sich fast vor ihm.

Jetzt erblickte er sie. »Marion!« Da stand er schon an ihrer Seite, drückte ihr die Hand. »Bist do komma? Und no' schön'r bist word'n.« In seinen Augen flammte eine unlautere Glut, die Züge des einst so klaren Jünglingsantlitzes waren jetzt von wilder Leidenschaft zerfressen, Marion schauderte, und doch ergriff es sie wie ein seliger Taumel.

»Ja, schau nur! Von mir kannst das net sag'n, net war? Is mir a net so guat ganga, und der Zorn hat' a net schlaf'n woll'n. Aber eins bin i word'n, Marion, – a Mann, der sich nimma so abspeis'n laßt, wia der Bua damals, der Ambros.« Er drückte fest die Hand Marions und legte den Arm um ihre Hüfte.

Vergebens sträubte sie sich.

»Ich beschwör' dich, Ambros, – ich will ja alles, alles –« keuchte sie.

»Guat mach'n, meinst, bei'm Vater für mi' bitt'n, daß er mi' wied'r 'rein laßt, daß er mir zu a neuen G'wand hilft, meinst – daß i desweg'n komm', um z' betteln!«

Er lachte bitter auf. »Na, Marion, i brauch' und will nix mehr von ihm. Die Zeit is um. Weg'n dir bin i komma, eh's ganz dahin geht übers Meer. Nur eine einzige Frag': Bist glückli' word'n mit ihm? Hast ganz vergess'n auf'n Ambros, der di aus 'n Schnee 'rausgrab'n. Di und dein Kind?« Es klang ein bitterer Schmerz aus seiner Stimme, der Marion durch die Seele schnitt.

»Ambros, hör' mich ruhig an –«

»A Antwort will i. Hast mi' nia liab g'habt? War's dir Ernst mit dem, was du mir g'sagt hast im Stall –«

»Ambros!« Es war ein qualvoller Aufschrei aus Marions Brust.

»Schau mi' an, Marion, verkomma bin i, der reinste Strolch, für nix mehr guat, hier net und drüb'n. Mit'n Wildern hab' i ang'fangt und weiß Gott, wia i enden werd', i, der Lawinerbua. I trag' dir nix nach, daß so komma is. I gönn' dir's von ganz'm Herz'n, dir und dein'm Kind, das i heut' net gnua anschau'n hab' könna, so schön, so liab is word'n, ganz du selb'n; aber nur a Wort gib mir mit auf die weite Reis', Marion. – Sag, daß du g'log'n hast; es kann ja nicht anders sein, sag, daß d' mi' dein'm Kind g'opfert Haft. Sag, daß d mi' do liab g'habt hast – und i bin's z'fried'n.«

»Ja, Ambros, – ja!« Marion sank in die Knie und drückte ihr Antlitz auf den zerrissenen, grauen Mantel und schluchzte laut. »So war's, wie du sagst. – Aber was soll das alles helfen. – Warum bist kommen, Ambros?« schrie sie auf.

»Warum? Net dacht hab' i dran. Grad' den Hof hab' i no amal sehn woll'n, – und – und ja das scho' – a di', Marion – wenn a nur von weitem. Da hab' i' das Dirnd'l g'sehn aus 'n Schlag, dei' Dirnd'l – lang' hab' i' s' ang'schaut, und grad' laut 'nausschrein hätt' i' mög'n, wia s' dir gleich g'seh'n hat – und wia liab s' war. Da is mir komma, was i' schon längst verwürgt g'meint hab' – sehn muaßt s', sprech'n muaßt s' und gält's dein Leben, und wia i dann g'red't ha' mit ihr, wia is auf d' schwarz'n Aug'n küßt hab', dei' Kleine, da war 's mir, als schlüg 's helle Feuer auf da drinn.

– Den Zettel hab' i' g'schrieb'n – und komma bist – komma bist – Marion –«

Er hob ihr Haupt auf mit beiden Händen.

»I bin auf schlecht'm! Weg, voll Haß bin i' und Trutz gegen Gott und die Welt, – aber die Stund', – die Stund' vergess' i net. Du machst mi' wieder weich, als wenn i der alte Ambros no wär.«

Marion erhob sich mit einem jähen Ruck.

»Was die Stunde begonnen, soll der Tag vollenden. Du bleibst, Ambros, – ich laß di' net fort –«

»Unter ein' Dach mit mein' Vater, nach dem, was du mir jetzt g'sagt hast? Nein, Marion, so schlecht bin i do net.«

Er stieß sie fast zurück.

»Aber schlechter, fürcht' ich, als du dich selber kennst,« erwiderte Marion, tief verletzt, »sonst könnt'st so was net sag'n. Hör mich an! Was wir jetzt einander gestanden haben im bitteren Schmerz, das soll da drinnen verschlossen ruhen, kein Mensch hat darüber zu richten. Ich fühl' die Kraft dazu, und du mußt sie finden. Der Vater dankt Gott für deine Wiederkehr, – ich weiß es bestimmt. Biela wird einen treuen Freund bekommen, sie hat dich jetzt schon lieb gewonnen, und am Ende darf ich, die Marion, doch auch bei euch sein und mich an eurem Glücke erfreuen, ohne eine Sünde zu begehen. Wäre das nicht schön, Ambros, – könnt' es nicht so werden?«

Über Ambros' Antlitz zog ein seliges Ahnen. Er sah über Marion hinweg, hinab auf den Lawinerhof, die Heimat. »Ja, das wär' freili' schön, wenn's so werd'n könnt',« wiederholte er, gedankenverloren mit dem Kopfe nickend. »Wieder ehrlich, und frei – und d' Heimat – und –«

Da zuckte er zusammen, auch Marion. Ein dumpfer Widerhall brach sich an der Berglehne gegenüber.

»Hast 's g'hört? A Schuß!« sagte Ambros. »Ein Schuß! Ja, – das war ein Schuß!« Marion sah ihn fest an, als suche sie etwas in seinem Antlitz. Noch einmal brach es sich an der Berglehne – jetzt ganz deutlich.

Ambros wurde aschfahl. »In der Eigelscharten. Ist der Vater daheim?« fragte er mit bebendem Atem.

»Der Vater ist fort, heut' mittag erst – Wilderer seien im Revier –«

Marion sprach es, starr den Blick auf Ambros gerichtet.

Mit einem Sprunge war er in der Dämmerung verschwunden, ehe sie selbst klar wurde.

»I komm' wieder! Gewiß komm' i wieder!« klang es noch aus dem Walde.

Marion zitterten die Knie, sie horchte in das Dunkel. Sie rief seinen Namen, lief nach der Richtung, die er genommen, die störrigen Äste der Fichten schlugen ihr in das Gesicht. – Sie fiel zu Boden, – ein Rauschen, wie von einem Wasserfall, erfüllte das Ohr, – dann schwand ihr das Bewußtsein.

Ambros raste wie ein gehetztes Wild durch den Wald. Er hatte den Schuß gar wohl verstanden in der Eigelscharten, einem Felskar dicht an der Grenze. Der Toni, sein Spezi, in dessen Bann er förmlich stand, der ihn zuerst durch warme Teilnahme an seinem harten Schicksal, durch seinen Haß gegen den rücksichtslosen Vater, später durch gemeinsame schlimme Streiche an sich zu fesseln wußte, erwartete ihn dort.

Er hat es sich nicht nehmen lassen, Ambros auf seinem letzten Besuch in der Heimat vor der gemeinsam geplanten Abreise nach Amerika zu begleiten, und damit zu guter Letzt einen seiner geheimen Birschgänge ins Bayrische zu verbinden.

Der Schuß stand mit ihm in Verbindung, kein Zweifel. Entweder daß er auf Wild getroffen, oder daß er von einem Jäger überrascht – die verhängnisvolle Pause zwischen dem ersten und zweiten Schuß –, vom Vater überrascht, er war ja draußen im Revier – –

Der Gedanke trieb ihn zur neuen Eile, durch Dickung und Graben. Dann und wann lauschte er – nach einem Hilferuf. Die Stille der Nacht senkte sich über das Gebirge. Jetzt noch den schmalen Streifen Hochwald durch, der sich steil herabsenkte zu dem unten in mächtiger Tiefe schäumenden Wildbach, dann lag die Eigelscharten vor ihm.

Er mußte innehalten, die Lunge versagte ihm den Dienst. Totenstille ringsum. Der Mond war heraufgezogen, hinter den schwarzen Bergen in heißen, milchigen Dunst gehüllt. Ein schwaches, fahles Licht ging von ihm aus. Ambros sah schon den weißen Sand in der Scharten leuchten zwischen den Stämmen der Bäume.

Vorsichtig kroch er vor, auf eine Felsspitze hinaus, das weite Kar lag vor ihm in ödem, gespenstischem Licht. Wenn er auf Wild geschossen, war der Toni irgend in der Nähe und wartete auf ihn.

Ambros ließ einen leisen Pfiff ertönen. Keine Antwort. Dann stieg er hinab durch das Gewand' in den Steinstrom, der fächerartig in das Tal hinabstoß, Latschen deckten ihn. Noch einmal pfiff er, lauter – horch! War das nicht Antwort? Aber kein Pfiff, ein unklarer Ruf. Wann hatte er einen ähnlichen gehört? – Noch einmal ertönte er. Jetzt, jetzt wußte er es, – damals auf der Salden, als er die Marion – der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn – das war der Ruf eines Sterbenden.

Jetzt schrie er laut. »Hallo! ho!«

Keine Antwort. Da gab es kein Besinnen mehr. Ein Steinstrom polterte unter seinen Füßen zu Tal. Dort, wo der graue Storren im Mondlicht bleichte, daher kam der Ruf.

»Toni! Toni!« rief er, ohne sich mit der Stimme herauszuwagen, keuchend im Anstieg.

Unter den Storren überschattete ein Latschenboschen das weiße Gestein. In dem tiefen Schatten leuchtete etwas, etwas Schneeweißes, es verändert unmerklich seinen Platz. Trügt das Mondlicht, oder –

Ambros hatte Vorsicht gelernt auf seinen Wegen, er wollte von oben beikommen, von dem kleinen Stellwandel aus, neben den Storren.

Jetzt hat er es erklommen, vorsichtig beugt er sich vor, – der Atem stockt ihm, das Herz krampft sich zusammen – ein Mensch liegt unten, ein Mann, – das Hemd auf der Brust leuchtet so, und das Hemd ist blutig. – Der Kopf liegt im tiefen Schatten, – aber der Toni ist es nicht, ein stärkerer, größerer –

Ambros' Gedanken verwirren sich. Ganz gebrochen sieht er eine Minute hinunter, da bewegt sich ein Arm, ein tiefes Stöhnen dringt herauf, – ein weißer Bart –

Da ist er schon unten, beugt sich über den Körper, hebt das Haupt, – ein dumpfer Aufschrei – der Lawiner! Der Vater!!

Aus dem Totenantlitz ist jede Spur von Härte entwichen, unendlich traurig, schmerzergeben, liegt es in Ambros' Arm, aber die Enden des weißen Schnurrbartes bewegen sich leise. Er legt das Ohr an des Vaters Mund, aus dem ein schmaler Blutstreifen sich zieht, den weißen Bart besudelnd.

Er lebt! Er atmet noch! Die Finger des Sohnes suchen zitternd die Todeswunde. An der rechten Brustseite fühlen sie warmes Blut, das Schulterblatt ist zerschmettert, die Lunge durchbohrt, aus der ein seltsames Pfeifen und Rasseln ertönt. Der Toni hat's getan, kein anderer!

»Vater! Vater!«

Da schlägt er groß die Augen auf, ein Zittern überläuft die ganze Gestalt, mühsam hebt er den linken Arm, wie abwehrend ihn ausstreckend, großes Entsetzen im Blick. »Mörder!« quält es sich heraus. »Mörder!« Eine Träne löst sich von der Wimper, dann greift die Hand matt nach dem Rock des Knienden. »Bring mi' net um. I b'schwör di'! I will net – i will net sterb'n!«

Wie eine Messerklinge bohrten sich die Worte in Ambros' Herz. »Aber i bin's ja, Vater, der Ambros, – dein Sohn –« Da hob sich der Lawiner, die linke Hand auf den Boden stemmend, mit letzter Kraft. Der Mund stand ihm offen, jeder Zug in dem bleichen Antlitz erstarrt: »Du Ambros, – du – Mörder! – Vatermörder!«

Ambros schrie auf, legte die Hand auf seinen Mund.

»'s is net wahr, Vater, i b'schwör di'! I bin 's ja net g'wes'n. I hab' nur den Schuß g'hört und bin d'rauf los ganga, da hab' i di' g'fund'n in dein Bluat. Hörst mi', Vater? I bin's net g'wes'n.« Er rüttelte den Körper, hob das Haupt, das kraftlos zurückgefallen, als ob er das Leben festhalten wolle um jeden Preis.

»Der Toni war's! – hör' mi', Vater! – Der Toni war's, net i, so wahr mir Gott helf'. Hörst mi'? Du muaßt mi' hör'n, – der Toni war's!«

Ambros war mit dem Körper des Sterbenden zurückgesunken.

Der Mond war aus seinem Schleier hervorgetreten und warf jetzt sein grelles Licht auf des Lawiners bleiches Antlitz.

Seine Lippen bewegten sich, zu einem Fluche wohl, die Hände auf der blutigen Brust ballten sich zusammen.

Da sprang Ambros auf, von Entsetzen gepackt, und schrie nach Hilfe, daß die Felsen ringsum gellten, dann stürzte er kopflos bergab über das Geröll, stürzend, sich wieder erhebend, er wußte selbst nicht, wie er zu Tale kam. Dem ersten Lichte lief er zu, es war die alte Hammermühle an der Bergstraße.

Er klopfte an das Fenster, polterte an der Tür.

Die Frau, welche öffnete, schrie laut auf bei dem Anblick des Unholdes vor ihr, mit dem blutüberströmten Gesicht, dem zerzausten Haar, dem zerfetzten Gewande, dann kam der Meister, – ein Geselle. –

Ambros grühlte nur die Worte heraus: »Der Lawiner – liegt erschossen – Eigelscharten. – Er lebt noch –,« dann sank er zu Boden.

Ein Gefühl der Kälte brachte ihn wohl wieder zur Besinnung. Die Schmiedin wusch ihm das Blut aus dem Gesicht. Bärtige Männer umstanden ihn, eine Tragbahre stand bereit.

»Das is ja der Ambros!« rief eine Stimme, »sein Sohn –.«

Da sprang er auf die Füße. »Ja, das bin i, fragt 's net lang – zur Eigelscharten! Er lebt ja noch – folgt's mir nach!«

Er eilte den Männern voraus, wieder zurück, sie von neuem zur Eile anzuspornen.

Geschwätzige Neugierde ist nicht Sache des Berglers, niemand fragte ihn aus über die näheren Umstände, jeder wußte, was sich ereignet, das genügte. Im ernsten Schweigen ging der Zug hinauf, der Scharte zu.

Als die Leute das Kar erreichten, eilte Ambros voraus. Ein furchtbarer Gedanke kam ihm. Wenn der Vater die falsche Anklage vor all den Leuten erneute, mit ihr auf der Lippe am Wege stürbe, was dann? Er mußte ihn noch einmal aufklären – wenn er überhaupt noch lebte. Er rief nach ihm, Hilfe komme. Keine Antwort erfolgte. Der Platz, wo er gelegen, war leer, der Mond beschien ihn grell.

Neues Entsetzen kam über Ambros. Wenn Toni zurückgekehrt in seiner Abwesenheit – den Toten entfernt – den Lebenden – um jede Spur der verruchten Tat zu verwischen?

Jetzt war er oben und atmete auf. Der Lawiner saß unter dem Storren, das Haupt auf die Brust gebeugt – so weit hatte er sich geschleppt. Ein Röcheln drang aus seiner Brust.

Vergebens beteuerte Ambros von neuem seine Unschuld, wies auf die kommende Hilfe.

Der Lawiner hörte ihn nicht, verstand ihn nicht, das Bewußtsein war geschwunden.

Endlich kamen die Leute mit der Tragbahre. Ohne viel Worte legten sie den Ächzenden darauf; nach dem Arzte und dem Förster war vom Hammer aus schon geschickt. Man erwartete sie auf dem Heimweg zu treffen. Das Gewehr des Lawiners lag weiter unten zwischen den Steinen, abgeschossen.

Man hatte keinen anderen Gedanken, als den Verunglückten womöglich lebend heimzubringen.

Ambros war unfähig, Hand anzulegen, jetzt war ihm selbst, als habe er die Tat vollbracht. Und wenn der Vater zum Bewußtsein kommt, dann wird er es am Ende selbst behaupten.

Aber er war bei Marion, wie der verhängnisvolle Schuß fiel. – Und wie kam er zur Marion, zur Frau seines Vaters? Was hatte er bei ihr zu suchen um die Dämmerzeit nach sechs Jahren?

Was wird, was muß der Vater glauben, alle Leute, das ganze Dorf? Kein Wort darf er davon verraten, – auch nicht, wenn er des Mordes, des Vatermordes beschuldigt wird? – Wie ein Bündel giftiger Schlangen wälzte es sich in seiner Brust, in seinem Hirn, während er hinter den Trägern taumelte.

Sie hatten den Ziehweg eingeschlagen, durch den Hochwald. – Vom Dorfe herauf kam ihnen der Förster entgegen. Der Arzt war nicht zu Hause. Er ließ sich von den Leuten rasch den Hergang berichten. Alle wiesen auf Ambros.

»Ja, wie kommst denn du daher?« fragte ihn der Förster in mißtrauischem Tone, mit seinen scharfen Augen ihn musternd. »Dein Vater hat mir doch kein Wort davon g'sagt, daß er dich erwart.«

»Hat mich a net erwart. Grad' aufsuch'n hab' i 'hn no amal woll'n, eh' i über 's Meer geh'. Da – da Hab' i den Schuß g'hört in der Eigelscharten, dem bin i nachganga –« brachte er, vom Frost geschüttelt, heraus.

»Wo warst denn du, wie du den Schuß g'hört hast?« fragte der Förster scharf.

Da begann es schon, das Furchtbare, das er gefürchtet. »In nächster Näh' vom Hof,« erwiderte er zögernd.

»Und da bist umkehrt, dem Schuß nach? Hast denn wissen können, daß der Vater drauß ist? Daß du net z'erst g'fragt hast im Hof, wann du doch in nächster Näh' warst? Wie?«

Ambros packte der Zorn in seiner Ratlosigkeit. »Was frag'n S' mich denn so, Herr Förster? S'is ja mein Vater, der auf der Bahr liegt, mein eigener Vater!«

Der Förster begriff die Berechtigung des Vorwurfes, der in den Worten lag, aber sein Verdacht war doch rege; seit gestern trieb sich Wilderervolk in den Bergen herum.

»Bist denn allein kommen, Ambros?« fragte er in harmlosem Tone.

Ambros stockte schon wieder. Der Toni war einmal sein Freund, ob er überhaupt der Täter war, war immer noch nicht gewiß. Sprach er einmal seinen Namen aus, hetzte er das ganze Gericht auf seine Fersen.

»Ja, ganz allein,« erwiderte er in einem nicht ganz freien Tone, der dem Förster nicht entging.

Dieser wandte sich jetzt von ihm ab dem Lawiner zu, auf der Bahre, welche er niedersetzen hieß.

Er sprach ihn an, wie einen alten Freund. Die bekannte Stimme wirkte, der Verwundete wendete das Haupt nach ihm.

»Wer war es? Grad' den Namen nennen, – wenn du ihn kennt hast!« sagte der Förster.

Ambros stand das Herz still.

Der Mund des Lawiners bewegte sich langsam. »Tu's da weg, – da – von der Brust – den Brand – Marion! – Mei' Marion!« kam es in schmerzvoll verlangendem Tone heraus. Dann schwieg er wieder. Ambros atmete auf.

Der Förster durfte ihn nicht weiter belästigen. Die Träger nahmen die Bahre wieder auf.

In tiefem Schweigen ging der traurige Zug durch den jetzt im Silberlichte des Mondes erglänzenden Wald.

Vor der Tür des Lawinerhofes stand Marion festen Fußes, Biela eng an sich gedrückt, die mit ihren großen Augen die Nacht befragte um das Geheimnisvolle, Schauervolle, was wohl nahen sollte. Sie erwartete ihren Mann, während das Gesinde, mehr Neugierde, als Mitgefühl im Herzen, sich scheu flüsternd umherdrückte, die alte Bärbl laut schluchzend, dann und wann verwundert und verdrossen zugleich das regungslose Weib anblickte, dem Schrecklichen entgegenharrend.

Ein Geselle aus der Schmiede brachte vor einer Stunde die Nachricht von dem Unglück.

Sie traf Marion nicht unvorbereitet. Als sie aus der Ohnmacht im finsteren Walde erwachte, war ihr alles gegenwärtig, als wäre sie dabei gewesen. Die zwei Schüsse, die Todesangst, dann die Flucht des Ambros, der wilde Toni draußen auf der Wildbahn – es konnte ja nicht anders kommen. – Sie erlebte so furchtbare Stunden, daß die wirkliche Nachricht, welche ihr der Geselle brachte, noch eine Erlösung war. Wenigstens wußte sie jetzt, daß der Lawiner noch lebe, wenigstens noch gelebt habe, wie ihn Ambros aufgefunden. – Ja, wer sagt denn, daß er sterben muß, der kernkräftige Mann? Dann kann ja alles noch zum Guten sich wenden. Die Nähe des Todes wird ihn versöhnlicher stimmen, zuletzt hat er ihm noch sein Leben zu danken, dem Ambros, den eine Fügung Gottes des Weges führte. – Eine Fügung Gottes!? Der Frevel! Als ob sie nicht besser wüßte, was ihn des Weges geführt. Wenn er sich verplauderte in seiner Angst? Dem Vater den wahren Grund verriete? Dann wäre alles verloren. Aber zum Lachen, welcher Mann ist so töricht, so schlecht – ja, schlecht, – ein Weib zu verraten, das ihn –

Da hörte sie auf zu denken. Zärtlich drückte sie Bielas Haupt an sich.

Das fahle Mondlicht, es war jetzt Mitternacht und der Himmel völlig klar, hatte einen so mächtig beruhigenden Einfluß auf sie. Es war ihr, als könne unmöglich großes Unheil drohen.

Jetzt vernahm man etwas – oder ahnte man es nur? – das Gesinde drängte sich zusammen, auch Bärbl erhob sich, die Hände wie zum Gebete faltend.

Marion blieb auf ihrem Platz.

Der Zug näherte sich. Schwarz, schwer und ernst kam er daher über die silberigen Wiesen. Dunkle Schatten krochen voraus. Leute aus dem Dorfe hatten sich angeschlossen, Gebete murmelnd.

Marion sah die Bahre, das bleiche Haupt darauf, –sie sah aber noch etwas, eine wankende Gestalt, weit rückwärts, getrennt vom Zuge – Ambros! Bärbl jammerte laut, das Gesinde drückte sich in schwächlicher Rührung um den Verunglückten. Marion aber stand an der Türe, ließ die Bahre an sich vorbei und wehrte jedem Unberufenen den Eingang.

Die Stube füllte sich trotzdem, auch der Arzt war herbeigeeilt.

Der Lawiner lag in der Wohnstube auf dem breiten Ledersofa hinter dem Ofen. Seine Hand war krampfhaft auf die Brust gepreßt, seine Augen rollten unstet im Räume umher. Jetzt erst trat Marion, Biela an der Hand, vor. Der Schauer des Todes, welcher den ganzen Raum erfüllte, drängte jedes Gefühl zurück in der Brust des Kindes.

Marion sank auf die Knie vor dem Verwundeten, ihr Haupt lag an seiner Brust.

Der Lawiner legte seine zitternde Hand darauf. »Marion!« Es war kaum zu glauben, daß von des Lawiners Lippen der weiche, innige Ton kam. »I – i dank' dir, – i weiß ja do – du hast's ja g'stand'n, heut' erst –«

»Warum – warum hast du mir das getan?« schrie Marion auf in wahrem Schmerz.

Der Unglückliche hob mühsam die Hand gegen die Stirn. »Warum, – ja, –« Er suchte sichtlich in seinem Gedächtnis. »I – i hab' ja ganz ruhig –« Da veränderten sich seine Gesichtszüge immer mehr, als ob ihm plötzlich der ganze Vorgang zum Bewußtsein käme. »Da – da –«

Alles hing an seinem Munde, der Förster, der Arzt, Marion, man übersah darüber, daß noch jemand eingetreten.

Plötzlich richtete er sich krampfhaft in die Höhe, wandte das Haupt. Aller Augen folgten seiner Bewegung und trafen auf Ambros.

Der Lawiner hob den Arm und wies auf ihn, den Blick gläsern, den Mund verzerrt. »Der hat's 'tan – mein eigner Sohn –«

Die Wucht der Anklage war so ungeheuer, daß kein Laut hörbar war. Alles stand wie gebannt.

Auch Ambros wankte unter der Wucht der Worte, dann aber trat er vor den Sterbenden. »Vater! Du gehst mit einer Lüg' 'nüber! I schwör's, i hab's net 'tan!«

Der Lawiner wollte auflachen, stieß aber nur einen Schmerzensschrei aus, griff nach seiner Brust und sank in die Kissen zurück. »Er hat's tan,« röchelte er, »glaubt ihm net, dem Mörder, – dem verflucht'n Mörder! Zurück kommen is er sogar, um – mi ganz – ganz – Marion –.« Noch einmal erhob er sich, als wenn ein ferner Gedanke ihn durchzuckte. »I sag's, a Sterbender; er is der Mörder, der Ambros, – kein anderer.«

Jetzt entlud sich erst die Erregung der Anwesenden über das Unerhörte. Entrüstungsausdrücke wurden laut.

»I hab's ihm glei' ang'sehn, dem Schuft!« schrie der Förster.

Ambros blickte wortlos auf Marion, in deren Brust sich ein qualvoller Kampf erhob. Ihre Hand griff nervös nach der Sofalehne, Plötzlich machte sie eine energische Bewegung gegen den Sterbenden.

»Franz, hör' mich an, – und ihr alle! Es ist eine Lüge. Ambros ist so unschuldig, wie ich an der blutigen Tat – ich kann es beweisen –«

Die Züge des Lawiner spannten sich von neuem, es war, als ob er das Leben gewaltsam zurückhalten wollte, und seine Arme streckten sich nach Marion aus, als ob er sie sich eilen hieße.

»Der Ambros war bei mir auf dem Hof, wie der Schuß gefallen ist, der dich getroffen – ich habe ihn selbst gehört –, ich kann's beschwören.«

Der Lawiner erstarrte förmlich in ihrem Anblick, dann verzog sich sein Mund zu einem höhnischen Lächeln, doch kein Laut kam von seinen Lippen, die sich vergeblich anstrengten, ein Wort zu bilden. Plötzlich rötete sich das fahle Antlitz, die Hand krampfte sich zur Faust, ein unartikulierter Aufschrei, und er sank in die Kissen zurück. Der Arzt trat vor und beugte sich über ihn, Marion stand regungslos, Biela an sich drückend, die vor dem furchtbaren Anblick zu ihr geflohen, das Gesicht an ihrer Brust bergend.

Das Sofa, auf dem der Lawiner lag, krachte in allen Fugen, der Sterbende streckte sich.

Der Arzt erklärte den eingetretenen Tod. Des Grauens war in diesem Augenblick zu viel. Scheue und empörte Blicke richteten sich auf Marion, in manchem lag sogar etwas wie Bewunderung einer so ungeheuerlichen Verworfenheit. Sprach sie die Wahrheit, war es schrecklich; mit dem Sohn des eigenen Vaters ein Stelldichein, eine Liebelei! Seit Jahr und Tag wohl log sie, betrog sie. War er nicht bei ihr zur Zeit der Freveltat, dann war's noch schrecklicher, gar nicht auszudenken, – dann war sie die Mitwisserin, die Anstifterin – die Anstifterin zum – nein, das war gar nicht einmal zu denken – man bekreuzigte sich und schlich aus der schwülen Stube hinaus.

Als sich die Tür hinter dem Letzten geschlossen, erhob sich die Bärbl, welche vor dem Bett des Toten gekniet und ihm die Augen zugedrückt.

Marion saß vor dem Tische, den Blick auf den Boden gerichtet, völlig apathisch, den Arm um Biela gelegt. Ambros stand am Fenster, gegen die Wand gelehnt, ermattet, aufgerieben, jeder weiteren Teilnahme an dem Ereignisse scheinbar unfähig.

Bärbl ließ ihre Blicke zwischen den beiden schweifen, dann stand sie plötzlich auf und trat zu Marion.

»Du hast g'log'n, er war net im Hof um die Zeit. I muaß b'schwören, wenn i g'fragt werd'. Um ihn z' rett'n, hast g'log'n. – Is so, Marion? – vor der furchtbaren Anklag', vor jedem Verdacht, – aus Dankbarkeit, weil er dir a mal 's Leben g'rett' hat. Das war' ja brav von dir, aber wenn i schwör'n muaß – i kann kan' Meineid schwör'n. So red'! – Rat'!«

Marion erwachte wie aus einem dumpfen Traum. »Ich hab' nicht gelogen, er war bei mir. Nicht im Haus, – unter der großen Buch', – da haben wir uns –«

Sie sprach nicht weiter, die Veränderung in Bärbls Gesicht erschreckte sie.

»Unter der Buch'? Du und der Ambros?« Bärbl lachte grell auf. »Heut' abend und gestern abend – und alle Tag abend – unter der Buch'. Und da is ausg'macht word'n, die Schandtat, die freche Lug –.« Ihr Auge loderte jetzt im wilden Brand, der alte zurückgedrängte Haß gegen dieses Weib flammte wieder auf. »Der Mord am eigenen Vater.«

Ein Aufschrei erfolgte vom Fenster her. Ambros trat vor sie hin, die Fäuste erhoben.

Bärbl wich nicht. »Schlag' zu! Kommt nimma drauf z'samm'. I hab's ja net glaub'n woll'n, die furchtbare Anklag', die er gegen dich g'schleudert hat, und wenn's no Tausend mit ihm g'sagt hätt'n. Wer kann's denn ausdenk'n, das Furchtbare! Aber jetzt glaub' i's, jetzt b'schwör i's, jetzt klag' i dich an für den Mörder, dich und die, – die vor allen, die mit dem Bösen im Bund g'stand'n hat, die dich verführt hat dazua, die 's Unglück ins Haus 'bracht hat von der ersten Stund' an.«

Ein unbestimmter Lärm drang von außen herein, Stimmengemurmel, laute Rufe.

Ambros trat, Schlimmes ahnend, in finsterer Entschlossenheit an die Seite Marions, er wollte sie zu dem zweiten Ausgang drängen, welcher durch eine Nebenkammer gegen die Waldseite ins Freie führte.

»Das G'sind'l is zu allem fähig in sein' Haß.« Marion sträubte sich erst.

»Dein' Kind z'liab, Marion!« Da wollte sie nachgeben, doch Bärbl stand vor der Tür und wehrte ihr den Ausgang, ihre kräftigen Arme ausbreitend.

Ambros faßte nach ihr, rang mit ihr vor der Leiche des Vaters, – da öffnete sich die Tür, der Förster trat ein mit Gerichtsbeamten und Gendarmen, hinter ihnen in dem Gang drängte sich eine lärmende Menge.

Ein Herr trat vor. »Ambros Enmoser, Sohn des heute verstorbenen Franz Enmoser, genannt zum Lawiner, ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes.«

Ein Gendarm trat vor und legte seine Hand auf die Schulter des jungen Mannes.

Ambros warf noch einen Blick auf die Leiche seines Vaters, auf Marion, – da wankte er.

»Mut, Ambros!« sagte diese fest.

In diesem Augenblicke trat Biela auf den Unglücklichen zu und reichte ihm schweigend, starr ihn ansehend, ihre Hand. Ambros ergriff sie und drückte sie fest, Plötzlich stürzte er in die Knie, umfaßte das Mädchen und küßte es.

Plötzliche Stille trat draußen auf dem Gang ein; die vertrauensvolle Tat des Kindes weckte doch Zweifel in so mancher Brust. Man drängte zurück, um den Gefangenen durchzulassen.

Bis dahin hatte Bärbl gespannt gewartet; jetzt brach sie los. »So habt ihr's g'meint, der Bub' soll allein büaß'n, was die Landstreicherin angericht' hat?« Dabei wies sie aus Marion. »Da steht die wahre Mörderin, i b'schwör's, wenn's sein muaß, vor dem Toten hier.«

Einen Augenblick zögerten die Gerichtsleute, dann entfernten sie sich auf einen Wink des Führers mit dem Gefangenen.

Bärbl tobte. »So, das wär's! Dann hört ihr mich alle,« wandte sie sich gegen die Leute draußen. »Soll die Mörderin, die Landstreicherin, leer ausgehen? Soll sie heut' nacht durchbrennen und anderswo a neu's Unglück stift'n?« – Drohendes Gemurmel, Hineindrängen der Leute, gehobene Fäuste, selbst die Ehrfurcht vor dem Tode, der mit seinem Schauer den Raum füllte, schien kein Hindernis mehr zu sein vor offener Gewalttat.

Da stand plötzlich ein ganz anderes Weib in der Mitte der Stube, nicht mehr die gebrochene Marion. »Hinaus!« herrschte eine fast männliche Stimme, und zwei Augen blitzten drohend auf. »Ich bin die Lawinerin, die Herrin in diesem Haus, die euch befiehlt, augenblicklich euch zum Teufel zu scheren, wenn ihr nicht wollt –« Blitzschnell riß sie die Büchse von der Wand, legte sie an, der Hahn knackte – »daß ich –.« Sie ging wie zum Angriff vor gegen die Tür. Schreiend, kreischend, wie von Entsetzen gepackt, begann ein allgemeines Drängen, Flüchten zur Haustür hinaus.

Nur Bärbl wich nicht, sie blickte starr in diese zwingenden Augen, die ihr die Brust durchbrannten. »Bei allen Heiligen, sag' mir, bist du wirkli' unschuldi', Marion?« fragte sie.

»Hinaus! – Frag' morgen an,« sagte Marion kurz.

Bärbl schritt nach rückwärts, ohne den Blick von der Unbegreiflichen zu wenden.

Das Feld war geräumt, die Stube leer, Marion warf die Büchse weg und schluchzte laut auf, dann nahm sie Biela an der Hand und führte sie vor den Toten.

»Biela, hier vor dem Toten schwöre mir, daß du gut machen willst am Ambros, was der hier an ihm verbrochen noch in seiner letzten Stunde, daß du ihn lieb haben willst, daß du ihm dienen willst, wenn er's verlangt dein ganzes Leben, daß du alles, was du besitzen wirst, was dir kein Mensch nehmen kann, komme, was da will, nur als sein Eigentum betrachten willst, das du jeden Augenblick zurückzugeben bereit bist.«

»Ich schwör's, Mutter, so wahr mir Gott helfe in meiner letzten Stunde!«

Marion kniete mit ihrem Kinde vor dem Toten und sprach ein Gebet. Nun fühlte sie sich frei von dem letzten Hauch einer Schuld.

Über des Lawiners Antlitz breitete sich jetzt eine feierliche, ernste Milde, keine Spur der furchtbaren Leidenschaft, die eben noch darin gewühlt, – eher zog ein skeptisches Lächeln um die eingefallenen Mundwinkel.

Die Leute welche in der Nacht das rote Licht sahen, das wie ein blutiger Stern am Waldsaume hing, bekreuzigten sich – der Lawinerhof wird eine Fluchstätte bleiben für alle Zeiten – das stand fest.


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