Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.

Das Schneien hatte während der Nacht aufgehört, – ein kristallklarer Wintertag.

Auf der Sölden lagen noch kalte, blaue Schatten, während draußen Berg und Tal schon im goldigen Sonnenlichte flimmerten und glänzten.

Ambros ließ erst die Schlitten mit ihrer Last voraus als Wegmacher, dann folgte er mit der Fremden und dem Kinde. Die Sache war doch nicht so einfach, wie er sich dieselbe gestern gedacht.

Sein Vater, der Lawiner, wie der Hausname lautete, wohl von der ständigen Lawinengefahr, unter welcher sein dicht an der Berglehne liegendes Anwesen seit undenklicher Zeit litt, war Witwer, ein Mann in den Fünfzig, in voller Rüstigkeit, ein rastloser Arbeiter, der seine Sache in strenger Ordnung hielt, aber auch ein eiserner Kopf, mit dem schwer ein Auskommen war, ein Haustyrann. So kam es auch, daß Ambros, der einzige Sohn, als Holzknecht im Staatsforst arbeitete, anstatt im eigenen Anwesen; doch alle oft erneuten Versuche schlugen fehl, kaum, daß es ein Knecht aushalten konnte, der Sohn erst recht nicht. Der Lawiner sah in ihm nur den künftigen Besitzer seines Grund und Bodens, den er frevelhaft liebte. Das war für ihn so viel als sein Feind, der auf seinen Tod lauerte. Und jetzt kommt er ihm mit einer wildfremden Person und einem Kinde in das Haus, mit einer Ausländerin noch dazu, die mit Bär und Wolf im Lande herumgezogen, und will ihn zwingen, sie als Magd zu dingen?

Freilich, wenn er die ganze Geschichte selber mitgemacht hätt', wie sie sich ereignet, wenn er sie geseh'n hätt', im Schnee vergraben, mehr tot als lebendig – er war ja kein Unmensch, der Vater – da fiel ihm plötzlich die Andeutung des Toni ein von gestern abend. Von der Seite hatte er noch nie Gelegenheit gehabt, den Vater anzuschauen – aber der Toni mußte doch etwas Näheres wissen – Herrgott, wenn es das wäre – wenn der Vater selber – dann lieber gleich umkehren –

»Paß auf, daß di net a der Löw' z'rreißt,« hat ihm der Toni höhnisch nachgerufen.

Ein banges Gefühl überkam ihn; er blieb stehen; die Frau mit dem Kinde war ohnehin zurückgeblieben in dem Schnee, und mit dem argwöhnischen Nachschauen des Toni war es auch zu End'. Der Wald schloß sich auf beiden Seiten, und der Schnee füllte jede Lücke.

Sie trug jetzt das Kind in dem Quersack und ging dadurch etwas gebeugt. Das Haar fiel ihr unordentlich in das Gesicht, das rote Tuch war nachlässig gebunden. Sie gefiel ihm gar nicht mehr. So eine Zigeunerische und ein Bauer, zum Lachen. Da braucht er wahrlich keine Angst zu haben, für den Vater nicht und für sich selber erst recht nicht.

»Wie heißt du denn eigentlich?« begann er in absichtlich barschem Tone. »I muaß di' do' nenna könna.«

»Marion – Herr, – Marion Dotritschan.«

Der Name gefiel ihm erst recht nicht in seiner Fremdartigkeit. Er rückte das Hüt'l und kratzte sich hinter dem Ohre.

»Der Vater wird freili' schau'n, wenn i di' daher bring', mit an Kind a no.«

Da blieb sie stehen, kerzengerade. »Ich will nicht lästig fallen – Herr – o nein –«. Etwas Feindseliges lag in ihrer ganzen Haltung, und doch zitterte ihre Stimme. »Gehen Sie nur, ich finde den Weg schon allein –«

Ambros ärgerte sich über sich selbst, er war doch ein recht garstiger Mensch. Zuerst renommieren vor allen, mitnehmen, und nachher so was sagen!

»So war's net g'meint,« entschuldigte er sich, »g'wiß net. I muaß ma' g'rad die Sach' a bisl z'recht leg'n. Marion! Werd' di' steh'n lassen mitten im Wald – so was! Da war' i ja schlecht'r wia die wild'n Tier'.«

»O, die waren immer gut mit mir, nur die Menschen nicht, – bis auf Sie – gestern – und jetzt –«. Sie weinte, beugte das Haupt wie unter einem schweren Schlage.

Das war zuviel für Ambros, er stampfte zurück im Schnee, zog sie bei der Hand. »Marion!« Sie hob den Kopf. Die verweinten Augen stellten eine ängstliche Frage.

»I bin ja a dumm'r Kerl. I red' halt so daher. Der Vater is gar net so. Komm' do', dein'm Kind zu liab. Wenn dir's z'schwer wird, trag's i. So an arm's Würm'rl!«

Marion folgte wortlos seinem sanften Zug, den Blick unverwandt auf Ambros gerichtet, als ob sie etwas Niegeschautes sähe in diesem Jünglingsantlitz. Der leichte blonde Bartflaum war dicht bereift, das Antlitz war von der herben Frische des heranreifenden Pfirsich, aus dem blauen Auge sprach die Harmlosigkeit eines Kindes, während der sehnige, formvollendete Körper den fertigen Mann verriet. Und Ambros, angezogen von dem seltsamen Schweigen, sah sie ebenso an.

Das war nicht das Weib, das er zu sehen gewohnt war, an dem er bisher gleichgültig vorüberging, das war etwas völlig Neues, nie Empfundenes, was jetzt auf ihn eindrang. Diese verhaltene Glut in den Augen, diese reifen und doch so geschmeidigen Formen, diese feindselige Scheu und doch wieder süße Lockung, dieses seltsam Überlegene, das ihn immer wieder an die wilde Bestie erinnerte, an den Löwen, ihren Jugendfreund. – Jetzt hätte er sie nimmer 'lassen, um alles net.

Da kam ihm plötzlich die Erzählung des Toni in den Sinn. – Erst packte ihn ein jäher Schreck. Wenn sie's war', – die Liab? »Das Schönst' auf der Welt«, – dann aber ein Jubel, daß er hätte hell aufjauchzen mögen, als wenn es Frühjahr war' ringsum, alles Blüt' und Duft und Vogelsang.

»Wart' nur, Marion, es wird dir schon g'fall'n bei uns. Das schönst' Vieh weit und breit, an sauber'n Hof, und der Vater – na, der Vater is a bisl rauh – aber wenn man 'n kennt –, und dann bin i ja wied'r da im Frühjahr. Da wirst schau'n, wenn die Kerschbam blüah'n und d' Wiesenbleamerln komma, da wirst kein Heimweh mehr hab'n nach deine Wölf und deine Bär'n, und nachh'r am End' gar auf d' Alm, und am Samsta' b'suach i di nachher, und dann erzählst ma allerhand von Dein'r Wanderschaft, von dein' Vater – von dein' – na' von dem will i nix hör'n – – Di' schlag'n! Di!«

Er drückte die Hand fester, die um ihre Hüfte lag. »Und wenn ich's verdient hätt'?« sagte sie.

»Hast's ja net. Gibt's ja net! Du bist ja so guat, so liab – so guat – schau, Marion, wia soll i dir's sag'n. – I bin alleweil allei' g'wes'n bislang – kein Mensch'n hab' i so recht mög'n, die ganze Welt war mir verleid't, so jung i bin – und jetzt is all's anders, g'rad', als wenn 's schon da wär', 's Frühjahr. – Was is das, Marion, sag?«

Sie war stehen geblieben und beugte sich herab zu ihm, daß ihr loses Haar unter seinem raschen Atem zitterte.

»Das ist – weil Sie getan ein gutes Werk – mein Herr – gerettet eine arme Mutter mit ihrem Kinde – das ist's – Herr –« erwiderte die Fremde, scheu sich zurückbeugend.

»Net wahr is, Marion, – das is was ganz anders – das is – d'erratst 's er net? – Das ist die Liab – Marion – die Liab –«

Ambros umfaßte sie im Sturme der ersten Leidenschaft, seine Lippen suchten die ihrigen, – da schrie das Kind auf, seine Händchen krallten sich in das Haar des jungen Mannes. »Laß Mutter – böser Mann –«

Er wandte sich, kam zu sich. – Der feindselige Blick, den er auf das Kind warf, wurde erwidert. Unter anderen Umständen hätte das drollig gewirkt, jetzt hatte Ambros ein häßliches, bisher ihm fremdes Gefühl, daß er ihm nimmer gut sein könne, sein ganzes Leben lang, diesem kleinen Geschöpfe.

Was er gewagt, geschah nur in der jäh erwachten Leidenschaft, jetzt ernüchtert, schämte er sich; alles war verdorben.

»Biela fürchtet sich, Herr,« sagte Marion.

»Herr! – I bin kein Herr, a Bua bin i, a dumma.« Hastig stapfte er voraus. Es war so kein Fortkommen zu zweit im weichen Schnee. Der Toni war schuld an allem mit seinem Geschwätz gestern abend. Das ist ihm schon in alle Knoch'n gefahr'n, und glei' is der Teuf'l bei der Hand und führt ihm eine in den Weg, eine Landfremde, eine Stromerin, – mit an Kind a no. Wer weiß, ob's wahr is, was all's erzählt hat vom Löwen und ihrem Mann.

Er wandte sich nicht mehr um und schritt hastig vorwärts. Ein Weg zweigte sich, – da rief es hinter ihm: »Ambros!«

Die Fremde war es. Und wenn der Tod darauf gestanden hätte, er mußte sich wenden.

Sie war bereits nach rechts eingebogen.

»Lassen Sie mich gehen – besser so – Vater wird zornig sein –«

Ambros zögerte einen Augenblick.

»Werd' nicht vergessen, was Sie getan einer armen Mutter, Ambros!«

Der Ton, in dem sie seinen Namen sprach, wirkte wie ein Zauberspruch. Alle Bedenken waren vergessen.

»I leid's aber net, Marion! Mit geh'st – jetzt g'rad' extra – und wenn der Vater zornig wird, nachher geh' i mit dir, bis d' wo a Unterkomma find'st. Marion, tun ma das net an, komm'!«

Er war schon an ihrer Seite und faßte ihre Hand. Ihr Widerstreben wurde immer schwächer, dann ging sie plötzlich mit festen Schritten. Aber Biela fing zu weinen an und stemmte sich mit Armen und Beinen.

»Was nur das Dirnd'l gegen mi hat?« sagte Ambros ärgerlich.

»Ist ein Kind, Ambros, fürchtet die Männer.«

»Aber vorher hat s' mi' do' net g'fürcht'.«

»Vorher?« fragte Marion erstaunt.

Ambros wurde feuerrot. »No ja, vorher halt – Hast d' denn scho' vergess'n?« Marion schüttelte den Kopf. Das verführerische Lächeln erschien wieder auf ihren Lippen, wie gestern im Todesschlaf, und die dunklen Augen schlossen sich einen Augenblick.

»Hab' nicht vergessen, Ambros, wollt' gehen, die andere Straß', weil ich nicht vergessen, darf nicht sein zwischen uns, wenn ich soll bleiben in Ihrem Haus.«

Ambros sah sie groß an. Die Dirndl'n vom Lande waren nicht so spröd', alle, wie er sie kannte, nicht. Er freute sich darüber. Da käm' der Vater an die Rechte, wenn er wirklich so wär', wie der Toni ihn hingestellt. Er faßte den besten Vorsatz. »Recht hast, Marion, 's hat mi grad' so packt, das Besond're an dir, i weiß selb'r net, Herrgott, g'falln wirst ein'm do' dürf'n.«

Kein Wort fiel mehr, schweigend schritten sie durch die jetzt flache, schneebedeckte Au dem Lawinenhof zu, der, am steilen Gehäng sich anlehnend, mit seinem rötlichen Anstrich aus dem einförmigen Weiß ringsum sich hob.

Mit jedem Schritte ging Ambros der Atem schwerer; so etwas hatte er noch nie gewagt.

Die Fenster des stattlichen Hauses blitzten im grellen Sonnenlichte, ein seines Rauchwölkchen schwebte in der stillen, klaren Luft über dem Dache. Das erinnerte ihn erst an die größte Gefahr, an die alte Bärbl, welche seit dem frühen Tod der Mutter, ihrer Schwester, die Wirtschaft führte. Sie war das einzige lebende Wesen, das den Lawiner mit seinem Eisenkopf unterbekam. Wie es nur möglich war, daß er an die Bärbl gar net weiter gedacht? Sie war ihm nicht feind, im Gegenteil, in seiner frühesten Jugend vertrat sie Mutterstelle an ihm, und heute noch nahm sie ihn zur rechten Zeit in Schutz gegen den herrischen Vater; aber ein Frauenzimmer duldete sie nicht im Haus, da sträubte sie sich wie ein Geier dagegen, wenn der Vater einmal den Versuch machte. Ambros kannte auch den Grund. Nach dem Tode der Mutter rechnete die Bärbl stark darauf, Lawinerin zu werden; es war auch einmal nahe daran, wie er sich gut erinnern konnte, – aber im letzten Augenblick wurde er doch kopfscheu, der Lawiner. Von da an wachte sie über ihn mit hundert Augen. Was sie nicht erreichen konnte, sollte wenigstens auch keine andere erreichen. Der Lawinerhof war verschlossen für alles, was weiblich war.

Und jetzt brachte er eine Zigeunerische mit, mit einem Kinde! Ja, wie 's nur grad' möglich war – daß er – und wenn er daran gedacht hätt'? – Hätt' er es dann anders gemacht wegen der alten Bärbl? – Zum Lachen! – Jetzt erst recht! Er will doch sehen, ob er gar nix mehr is auf dem Lawinerhof, – dann lieber glei' in die Welt 'naus.

Er fühlte in diesem Augenblicke wie noch nie die qualvolle Enge seines bisherigen Lebens.

Er reckte die Brust, faßte absichtlich die Hand Marions und schritt auf den Hof zu.

Einen Büchsenschuß davor zuckte er zusammen – heiliger Gott, der Vater!

Ein großer, breitschultriger Mann war aus dem Hause getreten; er hielt die Hand über den Augen, sich vor der Sonne schützend, und blickte auf das Paar.

Ambros versuchte unwillkürlich, seine Hand zu lösen, doch Marion hielt sie jetzt fest.

Der Lawiner stand noch immer wie versteinert und beugte sich vor, wohl um besser zu sehen, ob er sich nicht doch getäuscht.

Er trug eine gestrickte, blaue Wolljacke, hohe Gamaschen aus Loden bedeckten die Beine bis über die Schenkel hinauf. Er schlug das Beil, welches er in der Rechten hielt, in einen Hackstock, welcher vor der Tür stand, steckte die Hände in die Hosentaschen und erwartete die Kommenden. Ambros raffte allen Mut zusammen. Er sah deutlich das bekannte Wetterleuchten in dem knochigen glattrasierten Antlitz des Vaters.

»Ich werd' ihm schon sagen, was Sie getan an mir.« Es klang wie eine Ermutigung aus Marions Munde.

»Kein Wort, mi' lass' red'n,« warnte Ambros im Flüstertöne und trat vor den Lawiner, der regungslos unter dem Türpfosten stand, als ob er ihn mit seinen breiten Schultern verteidigen wollte gegen jeden unbefugten Eindringling.

»Grüß Gott, Vater! Da bring' i dir eine, die hab'n wir gestern abend aus 'n Schnee 'rausgrab'n auf der Söld'n, mitsamt ihr'n Dirndl. Elendi umkumma wär's. Grad' recht san ma komma.«

Der Lawiner sprach noch immer kein Wort, nur seine kleinen grauen Augen blickten unter den buschigen, schon ergrauten Brauen lauernd auf das Weib mit dem Kinde.

»Der Bartl und i,« fuhr Ambros, nach Atem ringend, fort. »Aus'n Tirol, von Brix'n – den Weg über den Kamm hat's verfehlt – da hab' i mir denkt –«

Das Gesicht des Lawiners rötete sich immer mehr. »Du hast dir nix z' denk'n,« sagte er kurz, schneidig, ohne den Blick von Marion abzuwenden. »Was willst du beim Lawiner? Selb'r red',« wandte er sich barsch an Marion.

»Arbeit!« erwiderte sie; dabei schien sie förmlich zu wachsen, und ihr Auge ruhte mit einer seltsamen Starrheit auf dem Lawiner.

Er konnte es nicht ertragen und sah ganz verlegen zu Boden.

»Arbeit! Was wirst denn du arbeiten könna, – i – i hab' a kei' Arbeit – « Ambros erwartete einen zornigen Ausbruch. Das gab ihm neuen Mut.

»I muaß sag'n, Vater, i hab's selb'r aufg'fordert dazua, sie war' net mitganga sonst. Mitt'n im Winter, hab' i mir denkt, mit ein' Kind a no. – Christli wär's – hab' i mir denkt – und – Arbeit gibt's alleweil – hab' i mir denkt – und da hab' i halt –«

Der Lawiner warf keinen Blick auf seinen Sohn, schien seine Worte nicht im geringsten zu beachten.

»Was hast den nachher bislang trieb'n?« fragte er Marion weiter.

Ambros trat der Schweiß auf die Stirne, er drückte die Fäuste zusammen vor ängstlicher Erwartung. Wenn sie die Wahrheit sagte, war's aus für immer. Er kannte den Vater; nichts verachtete er mehr, als das fahrende Volk, das die Gegend unsicher machte.

»Vater ist herumgezogen mit wilde Tier, ich war Wärterin, oh, ist strenge Arbeit, Tag und Nacht und Dressur – gehört Mut dazu und Kraft – ja, Herr!«

Der Lawiner starrte mit offenem Munde auf das fremdartige Wesen. »Ja – aber – ja wilde Tier' dressier'n und – Bauernarbeit. Wie kommst denn g'rad' auf den Gedanken –«

»Bin nicht ich gekommen, – Ambros –«

»Ja, dem sieht's gleich –«

»Arbeit ist Arbeit, Herr – ich kann alles, was ich will.«

Das schwarze Auge blickte, eine seltsame Kraft ausströmend, auf den Lawiner.

»Ja – ja – das glaub' i fast –« erwiderte er unsicher, seine Pelzkappe rückend. »Das glaub' glei', aber halt do – i hab' kein' Arbeit,« setzte er heftig hinzu, ärgerlich über sich selbst. »I laß ma' a net von mein' Sohn Dienstbot'n ins Haus bringa.«

»Nicht bös sein, Herr, er hat Leben gerettet von armer Mutter und Kind. – Ich geh' schon, Herr, ich will nicht zur Last sein. – Leben Sie wohl, Herr Ambros.«

Sie reichte dem jungen Manne die Hand.

»Vater, das leid' i net.« Ambros trat entschlossen vor ihn.

Der Lawiner sah ihn von oben bis unten durchdringend an.

»Was leid'st du net?«

Ambros ballte die Hände und schwieg. Dann wandte sich der Lawiner zu Marion.

»Du kannst ja bleib'n, auf Prob' amal, net weil's der will, wohl verstand'n – weil's i will. – Geh' jetzt ins Haus und laß dir was z' ess'n geb'n. – Ja – so –« Er rückte seine Pelzhaube und kratzte sich hinter dem Ohre, eine arge Bedenklichkeit zeigte sich in seinen Zügen. – »Da hab' i gar net d'rauf denkt – aber g'sagt is g'sagt.«

»Bärbl!« rief er dann zurück ins Haus; »Bärbl!«

»Was gibt's denn schon wieder?« ließ sich eine verdrießliche Frauenstimme hören.

»Raus kommen sollst' – aber gleich.«

Der Lawiner reckte sich, ein trotziger Zug legte sich um den schmalen Mund, als wenn er sich gewaltsam zu einem erwarteten Widerstand rüsten wollte.

Ambros harrte erwartungsvoll der Entwickelung, während Marion mit einem forschenden Blick das ganze Haus betrachtete.

Schlürfende Tritte wurden laut auf der Steinfließe der Hausflur, ein großes, knochiges Weib trat heraus, die sehnigen, arbeitsharten Hände an einer blauen Schürze trocknend, – die Bärbl.

Ihr graues, scharfes Auge überflog rasch die Situation und blieb dann mit einem gehässigen Ausdrucke auf der Fremden mit dem Kinde haften.

»Was is denn nachher mit der? I hab' kein klein's Geld.«

»Brauchst a keins,« erklärte der Lawiner. »Die Person tritt in Dienst bei mir – jawohl.«

»Die?« Bärbl lachte höhnisch, »als was denn nachher?«

»Als was? Als Dirn. 's gibt Arbeit g'nua, und du wirst a net jünger,« entgegnete der Lawiner, die Beine spreizend, als ob er festen Halt gewinnen wollte.

»So meinst, Lawiner? Na, dann kann sie s' ja glei' allein mach'n, die Arbeit –«

Der Lawiner zuckte die Achseln. »Wia d' magst, das is dein' Sach' – i halt' di' net.«

Das kam unerwartet, selbst Ambros erschrak.

Die Bärbl aber stellte sich wie eine kämpfende Henne.

»Das wär's? Um so a Zigeunerische weist du mir's Haus? Du? Na, da wart' a bisl. – Da will i do' erst den Kommandanten frag'n, was der dazua sagt – wenn der Lawinerhof der Unterschlupf für alles hergelaufene Gesind'l!«

Sie band ihre Schürze los.

»I hab' s' ja aus dem Schnee 'rausgrab'n, gestern abend, auf der Sölden, samt ihr'm Kind,« versuchte Ambros sie zu beschwichtigen. »Wie kannst du so unbarmherzig sein, Bärbl?«

»Aus'n Schnee 'rausgrab'n? Nu, nachher schau'n ma amal, was du ausgrab'n hast!« Sie stürmte davon. Vor Marion blieb sie stehen. Drohend erhob sie die nervige Faust. »I werd' dir's Einschleich'n vertreib'n in a ehrlich's Haus, du Dirn, du schlechte!«

Das Gesicht der Fremden blieb regungslos, nur ihr Blick zog sich katzenartig zusammen, und etwas sprunghaft Wildes lag in ihrer ganzen Haltung. Bärbl ließ die erhobene Faust sinken und blieb wie gebannt stehen.

Dem Lawiner und seinem Sohne war selbst nicht geheuer bei diesem Vorgange.

»Mach' do keine G'schicht'n,« begann der Lawiner. »'s is ja grad' auf Prob'. Wenn s' dir net paßt, no nachher muaß s' halt wied'r weit'r, – wenn s' der Ambros schon vom Tod errett' hat, kann i' s' do net – du wirst di' do net fürcht'n davor. – An Schandarm hol'n, war no schöner –«

»Bärbl, i bitt' di', i hab' ihr amal zuag'sagt, tun mir's z'liab und laß da –«

»Und ich will Sie dienen wie ein treuer Hund,« erklärte plötzlich Marion.

Ambros verdrossen diese Worte, sie standen in keinem Einklange zu ihrem sonstigen Auftreten; auch der Ausdruck ihres Gesichtes gefiel ihm nicht, noch weniger das rasche Nachgeben Bärbls; das war sonst nicht ihre Art. Ihr ganzer Zorn war zerbrochen vor diesem Weibe.

»Na, also in Gottes Namen, wenn s' scho' so schwach san, die Mannsleut, – bleib halt, dem Kinde z'liab. Geh 'nein in d' Kuchl.«

Die Fremde atmete sichtlich auf, noch einmal überflog ihr Blick das stattliche Haus, dann betrat sie es mit ihrem Kinde.

»Wenn die a Glück bringt, nachher hängt's mi auf,« sagte die Bärbl, ihr folgend.

Der Lawiner und sein Sohn hatten beide ein gleich peinliches Gefühl. Keiner wollte folgen.

»Nimm di in acht, Ambros,« sagte der Alte, »wenn i was merk, muaß s' 'naus. I leid' so was net in mein' Haus.«

»Was denn, Vater?« Diese Frage war die erste Falschheit im Leben des Ambros.

»Was denn?« Der Lawiner lachte höhnisch. »Bist du auf amal schlau word'n mit dein'm ›Was denn!‹ Auf der Sölden oben werd'n s' di' wohl nöti' hab'n bei dem Wett'r. Laß di' net aufhalt'n.«

Der Vater ging dem Stalle zu, den Kopf bedenklich schüttelnd. Er hatte ihn längst durchschaut, und die Bärbl wird es erst recht tun, wenn er jetzt hineingeht. Gleich wieder zurück auf die Sölden, wie der Vater meint, – heut' war Mittwoch, – vor Samstag Abend durfte er nicht mehr herabkommen, – bis dahin aber war sie vielleicht schon wieder fort, – dann sah er sie nie mehr – die schwarzen Augen.

Der Vater war nicht mehr zu sehen, rasch huschte er in das Haus.

Er traute seinen Augen kaum. Marion saß in der Küche, das Mädchen auf dem Schoße, das in gierigen Zügen Milch aus einer Schale trank, daneben aber, die Arme auf den Tisch gestemmt, stand die Bärbl und sah gutmütig lachend zu.

»Laß dir's nur schmecken, Kleine, – so zieh' nur, zieh'!«

Ambros blieb unbemerkt unter dem Eingange stehen. Das war zu viel für sein ungeschultes Hirn.

Zuerst hat sie den Vater herumgebracht, daß er selbst seinen Augen nicht 'traut hat, und jetzt gar noch die Bärbl, die Bärbl, die grad' noch vor ihr g'stand'n ist mit aufg'hobener Faust und mit dem Schandarm 'droht hat, und das alles kam im Handumdrehen, ohne viel Reden und Bitt'n, grad' mit den Augen.

»Herrgott, wenn das mit recht'n Ding'n zugeht!« Er hat oft von Zaubersach gelesen und gehört, auf das sich die fahrenden Leut' verstand'n, die Zigeunerischen. – »Wenn's das wär' – der Teuf'l im Spiel – und sitzt da wie d' Muttergottes selb'r mit 'm Kind, grad' a so. Scham di', Ambros, so was denk'n!« Er trat näher. Bärbl wandte sich, und mit dem gutmütigen Ausdruck war's vorbei.

»Was schleichst denn du umanand?« herrschte sie ihn an, sichtlich ärgerlich, in dieser Situation von ihm überrascht worden zu sein.

Ambros war das nichts Neues, so machte sie es immer, sie wollte nicht gut erscheinen, und nichts war ihr zuwiderer, als über einer Wohltat überrascht zu werden.

»No, nachschauen wird ma' do no dürf'n. I geh' glei' wieder, Bärbl,« erwiderte er. »Kleine Kind'r san eh net mein' Schwarm. Das hätt'st seh'n soll'n, wie mi' die Kleine heut' scho' ang'faucht hat –, no i dank!«

»Und recht hat s' a g'habt,« erwiderte Bärbl, »man kann sich's net früah g'nua vom Leib halt'«, die Mannsbild'r.«

»No, wia g'fallt's Ihna bei uns?« fragte Ambros Marion, ohne auf die Worte der Alten zu achten.

»Wie? Wie können Sie fragen, wenn man wochenlang kein Dach gehabt für sein Kind – und jetzt in warme, schöne Haus. O, so warm, so schön, und so gute Frau – Frau Bärbl –«

»I bin keine Frau,« entgegnete Bärbl, in ihren alten, unwirschen Ton verfallend. »Gang mir g'rad ab, die Bärbl bin i, der verstorbenen Bäu'rin ihr Schwester, daß da 's glei' weißt.«

»Und wo is denn d' Frau nachher?« fragte Marion sichtlich überrascht.

Ambros hatte es vermieden, mit ihr darüber zu sprechen.

»Der Baur hat kei' Frau, nimmt a keine mehr.«

Die Fremde war sichtlich betroffen von der Nachricht. Bärbl hatte ihre gewohnte Haltung wiedergewonnen.

»I bin d' Frau vom Haus.«

»Sie?« Marion sah Bärbl prüfend an. »O, das freut mich. Ich habe schon gefürchtet, Frau könnte haben nicht so gutes Herz –«

Ambros war starr. Das sagte sie nach dem Auftritte eben draußen vor dem Hause.

Bärbl aber warf einen triumphierenden Blick auf ihn, sie fühlte sich sichtlich geschmeichelt. »Gel', das kommt dir ganz g'spaßig vor, – daß mir jemand a guat's Herz zuatraut –«

»Das ist einfach net wahr, Bärbl,« erklärte Ambros, der sich ihr jetzt zu Dank verpflichtet fühlte, »im Gegenteil, 's beste hast, i weiß wohl – und der Vater erst recht. – Grad' stell'n tuast di' so, als ob's kein's häst –«

»Als ob man's jeden glei' am Kopf werf'n soll sein Herz, aber do freut's mi', schau Ambros, daß das g'sagt hast. Mei' Gott, i hab' 'hn ja aus der Tauf' g'hob'n den Buab'n, und den Vater hab' i no kennt, als wia er no so a Bürschl war. Und was für a Bürschl! Kein schönern Mensch'n hab' i in mein Lebtag no net g'sehn, – jawohl!«

»Das sieht man ihm noch an, – ein bildsaub'rer Mann, so stattlich, so schöne Augen und noch so rüstig wie ein Junger –«

Bärbl, welche sich wieder am Herd zu tun gemacht, wandte sich hastig zu der Fremden, der gutmütige Ausdruck in ihrem Gesicht war völlig verschwunden. »No, das find' i grad' wied'r net. Bei an Mann in die Fünfzig red' ma nimma von schöne Aug'n. Schöne Aug'n!« sie lachte ärgerlich auf, »der Lawiner! So was!«

»Ist das nicht recht, zu sagen, ›schöne Augen‹, dann will ich nicht mehr,« erklärte Marion.

»Liab'r is mir, – 's gibt keine schönen Aug'n im Lawinerhof.« Bärbl war jetzt wieder im besten Zuge. Sie rasselte mit den Kupferpfannen herum und rieb und putzte aus Leibeskräften. »Jawohl, reiß 's nur auf sperrangelweit, ' wandte sie sich an Ambros, »oder meinst vielleicht gar, du häst a schöne Aug'n. – Mach' daß d' auf dein Arbeitsplatz kommst – und grab' mir net z'viel im Schnee umanand, hörst? Bhü' di' Gott!«

Das war eine energische Entlassung, gegen die es keinen Widerspruch gab, wenn er nicht alles verderben wollte, aber ein Abschiedswort ließ er sich doch nicht nehmen.

»Laß dir's guat geh'n, Marion, 's wird all's recht werd'n. Am Samsta' auf d' Nacht komm' i wied'r, 's tat ma scho' arg leid, wenn i di' nimma anträf'.«

»Sie treffen mich an, gewiß, Bärbl und ich werden sein die besten Freunde.«

Bärbl rieb noch immer an den Kupferpfannen und tat, als hörte sie nichts.

»Und Vater auch. – Mach' ich alles.« Sie lächelte ihm so seltsam verschmitzt zu, und wie sie ihm die Hand drückte! – Der Griff!

Bärbl sah sich schon wieder bedenklich um. Er mußte gehen, wenn er nicht den schlimmsten Verdacht wecken wollte.

In der Stube ging der Vater hin und her, schweren Trittes. Das tat er immer, wenn ihm etwas recht Schweres auf dem Herzen lastete. Ambros wußte, was es diesmal war. Der Verdruß darüber, daß er nachgegeben, vor allem aber das Zerwürfnis mit Bärbl, die Furcht, was alles daraus entstehen könnte.

Darüber konnte er sich beruhigen, die Bärbl fand sich ja vortrefflich darein – und ihm wird sie's gar nicht gestehen, und immerfort die Gekränkte spielen.

Entschlossen trat Ambros ein.

Der Lawiner hielt inne und sah ihn nichts weniger als väterlich an. »Bist no da? I denk', dein G'schäft da herunt' war aus für an Wochentag?«

»Is a, – bis auf a Kleinigkeit. Die Bärbl vertragt si' ganz guat mit der neu'n Dirn, brauchst di' net z' kümmern.«

»I mein' alleweil', du kümmerst di' z'viel um Sach'n, di' di' nix angeh'n. Übrigens was i dir sag'n will, guat, daß d' nochmals komma bist. Den Sulzer vom Moos hab' i neuli' troff'n am Markt, mit seiner Tochter, der Afra. Kannst di' nimma entsinna? Schon ganz saub'r is word'n – und der Sulzer hat so 'rumgeredt,« der Lawiner ließ einen lauernden Blick auf Ambros ruhen, dem die helle Hitze aufstieg. »D' Mutter is tot, kränkli' is er a, – da muaß halt a junge Kraft auf 'n Hof. Was für a Hof! Hundertfunfzig Tagbau wird kaum langa –«

»Aber Vater, – i kann mi do net – das geht do net –«

Da fuhr der Lawiner auf. »Was will i denn, Narr? Sollst heut' no, oder morg'n? Grad' überleg'n sollst du die Sach'. I kann do net – das geht do net. – kannst net? Was geht do net?« Dem Lawiner schwoll die Zornader, plötzlich fuhr er sich über die Stirn, über das ergraute, aber immer noch dichte Haar, und fuhr mit völlig veränderter Stimme fort: »I mein' nur grad' – i will di' ja net zwinga, Ambros, bei Leib net. Red' nix mehr. Geh – geh Ambros! –« Er reichte ihm sogar die Hand, was er noch nie getan. Ambros ging.

Er ging durch den kristallenen Wintertag der Sölden zu als ein anderer, ganz anderer. – Mit dem jugendlichen Frohmut, mit diesem jauchzenden Gefühl einer völlig sorgenfreien Brust, die nichts zu tun, als das wonnige Leben in sich zu saugen, war es aus. Ein ernster Mann, mit Runzeln auf der Stirn, ging er hinauf auf die Sölden, und die schwere Spur im Schnee verriet den Druck auf seiner Seele.

Was war das alles seit gestern abend? – Mit dem Toni seine Reden ist's schon angegangen. Da ist ihm schon ganz heiß' worden, da ist schon der Wunsch in ihm aufg'stieg'n, auch einmal so was zu erleben, und wenn's nur wär', um den Toni zu widerlegen, daß keine wahre Liab gäb, daß die Liab nur a Teufelswerk wär. Nimmer konnte er das glauben. Dann fand er die Fremde, grad' als ob's sein wollt! Das blasse G'sicht im Schnee, in die schwarzen Haare ganz eingewickelt. Die Augen! – Wia's ihn ang'schaut hat! – Da war 's scho' gescheh'n. – Wia er's dann küss'n hat woll'n am Heimweg – wia 's 'hn zwunga hat dazua, – wia er g'rung'n hat mit sich, ob er s' mitnehma soll – und all's nix g'holf'n hat – und dann das Seltsamste, – der Vater! Die Bärbl! Alle hat s's zwunga mit einem Blick, grad' wia den Löw'n und den Bär'n und den Wolf, von denen sie erzählt hat.

Und dann z'letzt der Vater! Ganz verwirrt! – D' Afra soll er heirat'n, dem Sulzer sein Tocht'r, die der Vater selb'r nie hat aussteh'n könna, – dann hat 's ihn wied'r g'reut, i will di' ja net zwinga, Ambros. – Geh' Ambros! Und die Hand hat er ihm g'reicht.

Er möcht' ihn weg hab'n, kein Zweifel und do wieder net; er fürcht', sein Ambros könnt' mit der Marion anbandeln, – aber dann machat er ja kurz'n Prozeß, naus damit einfach. – Also will er's do b'halt'n im Haus. – Weg'n der Arbeit? Eine daherg'laufene Person, der strenge Lawiner? – Aber der Toni hat's ja vorherg'sagt. – Also das war's? Ja – das is – nix anderes! Und warum denn net? Mit so schö'n Aug'n, rüstig, wie ein Junger! –

Er lachte hell auf.

Es dunkelte schon, als er in die Holzerstube kam, so lange trieb er sich planlos herum. Die Knechte waren eben von der Arbeit gekommen und kochten ab. »Na, wia is ganga daham?« fragte der Toni verschmitzt. »War er recht z'wied'r, der Alt? Schaust ja ganz verharmt aus. – Kümmer' di' net, bis wieder kommst am Samsta', is all's anders, I kenn 'hn, den Lawiner!«

Ambros gab keine Antwort, er ging in die Stube, wühlte sich ins Heu und starrte auf den leeren Platz in der Ecke, in der sie gestern gelegen. Qualvolle Bilder stiegen auf vom Lawinerhof, Bilder, wie er sie nie geschaut, nie gedacht. – Der Schrei von gestern tönte wieder in seinem Ohr, so deutlich, daß er sich oft aufsetzte und lauschte. Dann war es wieder, als ob Löwen brüllten, Wölfe heulten, die ganze Hölle los wäre, die brannte in seiner Brust.


 << zurück weiter >>