Benito Perez Galdos
Der Roman einer Nonne
Benito Perez Galdos

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7.

Den ganzen Tag und einen Theil der Nacht benützten sie, um die Höhe von Beceïte zu übersetzen. Bei Tagesanbruch stießen mehrere Abtheilungen zu ihnen und unter der Leitung guter Führer vorsichtig vorwärtsschreitend, konnten sie den christinischen Streitkräften, die in dieser Gegend operirten, ausweichen. Gegen Abend erfuhren sie, daß Don Ramon, von Rogueras angegriffen, die Belagerung von Gandesa aufgegeben und sich nach Bet zurückgezogen hatte. Sie begaben sich in forcirten Märschen nach dieser Richtung, und um Mitternacht erreichten sie ihre Genossen, die an den Ufern des Rio Seco kampirten. Es war eine drückende Temperatur, die glühende Erde athmete keine Frische aus. Cabrera befand sich in einem schlechten Zelt, wach, unruhig, unter dem Einflusse einer galligen Erregung, die Alle zittern machte, die ihm dienstlich nahe kamen. Sobald er die Ankunft der nach Rossele entsandten Truppen erfuhr, befahl er Don Beltran de Urdaneta vorzuführen. Er gönnte ihm keinen Augenblick der Ruhe, so sehr brannte er vor Ungeduld, mit ihm zu sprechen. Der gute Aragonose kam matt vor Hunger und Schlaf in das Zelt, und nachdem er ihn begrüßt, bat er den Leoparden, sich im Zelte ausstrecken zu dürfen, da er sich nicht mehr aufrecht halten könne. Und ehe er noch die Erlaubniß erhielt, warf er sich auf den Fußboden nieder. In dem Zelte waren zwei Feldstühle. Auf dem einen war der General, der trotz der Hitze fror, in seinem weißen Mantel gehüllt ausgestreckt, auf dem anderen, der zu einem Tisch umgestaltet war, befanden sich verschiedene Papiere, ein Tintenfaß und eine Lampe.

Der Sekretär saß, die Beine nach türkischer Sitte übereinandergeschlagen, auf dem Fußboden.

– Machen Sie sich's bequem, sagte Cabrera zu dem Greis. Hier halten wir nichts auf Etikette, und ich will es machen wie Sie, denn meine Nieren schmerzen, daß ich nicht sitzen kann.

Er gab seinem Sekretär einen Wink, sich zu entfernen, und er streckte sich Don Beltran gegenüber aus, indem er einige Decken als Kopfkissen benützte. Er war kein Freund des Zeitverlustes. Die Minuten waren ihm kostbar und unnütze Worte verabscheute er. Ohne seinen Gefangenen über seine Reise oder über seine Qualen in Rossele zu befragen, überging er gleich auf den Gegenstand, der ihn zweifelsohne sehr beunruhigte:

– Also, Herr von Urdaneta, Sie werden meine Fragen klar und deutlich und hauptsächlich aufrichtig beantworten. Glauben Sie nicht, mich täuschen zu können, denn Niemanden ist es noch gelungen, Ramon Cabrera zu täuschen, und trachten Sie keiner meiner Fragen zu entgehen, denn Sie würden es bereuen. Was Sie mir verheimlichen wollen, werde ich bald erfahren, und Sie werden für Ihr Stillschweigen Rede stehen. Wenn Sie lügen, werde ich es sofort wissen, denn Gott gab mir die Gabe, zwischen Lüge und Wahrheit aus der bloßen Stimme des Sprechenden unterscheiden zu können.

– Wenn irgend etwas, was Sie mir zu sagen haben, eine delikate Seite berührt, wird es unter uns bleiben; ich verstehe zu schweigen wie Niemand, aber wie Niemand sonst weiß ich auch zuzuhören und zu erfahren.

– Lassen Sie mich also wissen, worum es sich handelt, General, antwortete Don Beltran, denn bei Gott, ich habe keine Ahnung, welche Angelegenheit, von der ich Kenntniß haben sollte, Sie interessiren könnte.

– Wir werden sehen. Bemühen Sie sich deutlich und besonders exakt zu antworten. Im Februar dieses Jahres berührten Sie auf dem Wege nach Caspi und Alcaniz Fuentes del Ebro. In dem Gasthofe des Viscarrués haben Sie mit einem Italiener, mit Ihrem Freunde Rapella gespeist und lange gesprochen. Er war auf dem Wege nach Borso und kam aus dem Norden, aus dem königlichen Lager.

Nachdem Don Beltran die ersten Mittheilungen des Leoparden mit Kopfnicken bestätigte, sagte er in einem aufrichtigen Tone, daß er mit Rapella sprach, daß dieser aber nicht sein Freund sei, sondern, daß er ihn zu Fuentes del Ebro zum ersten Mal in seinem Leben sah; daß er thatsächlich aus bloßer Neugierde und ohne jedes positive Interesse ihm sein Geheimniß entlocken wollte, um eine Erklärung zu haben für sein ewiges Hin- und Herwandern zwischen den beiden Bourbonenhöfen, daß er aber nichts erfahren konnte als die absolute, unverbrüchliche Diskretion des Sizilianers.

Cabrera empfing diese Erklärung ungläubig und erwiderte in spitzem Tone:

– Ich sehe, daß Sie aus derselben Schule sind. Die Diplomaten sind immer nichtsnutz und Sie, Sie wollen mir nicht nützen.

– Ich sagte Ihnen, General, daß ich ihm kein einziges Wort entlocken konnte; aber ich sagte nicht, daß ich die Natur seiner Geschäfte nicht kenne.

– Also, wenn Sie sie kennen ...

– General, Sie hätten mit der Frage beginnen müssen: »Urdaneta, was wissen Sie über diese Sache?«, nicht aber mich inquisitorisch verhören müssen, wie einen feindlichen Spion.

– Sie haben Recht, sagte Cabrera, indem er sich vor der noblen Haltung des Aragonesen beugte. Entschuldigen Sie, daß ich den Unterschied nicht wußte. Die Gewohnheit, mit Gesindel zu verkehren ... Sie sind ein Gentleman, und was Sie über diese Angelegenheit wissen, werden Sie mir wie ein Freund dem Freunde mittheilen.

– Ich bin dazu bereit. Ich diene keiner Seite, ich verkaufe keine Geheimnisse, ich werde Ihnen sagen, was ich weiß, was für mich von keinem Interesse ist, und vielleicht auch nicht für Sie.

Als genauer und eleganter Erzähler und Meister in der Kunst, die einfachsten Dinge auszuschmücken, erzählte Don Beltran Alles, was er wußte und dachte. Es war nicht blos eine Schilderung von Thatsachen, aber auch eine wohlinformirte Dissertation über die Geheimnisse der Politik, über Dinge, die nur selten in die Oeffentlichkeit gelangen. Auf seiner Reise von Guardia nach Villarcano hatte er die Bekanntschaft eines sehr sympathischen jungen Mannes gemacht, der früher mit Rapella reiste, und dank der Mittheilungen dieses jungen Mannes war es ihm ein Leichtes, den Charakter Rapella's und die Art der Intriguen, an welchen dieser Theil hatte, zu ergründen. Der Sizilianer war in die Diplomatik der Geheimkabinete sehr eingeweiht und auch in die politischen Kombinationen, die außerhalb der Ministerien entstanden. Urdaneta schilderte den Hof des Don Carlos, indem er wiederholte, was man ihm gesagt hatte. Er sprach von der Freundschaft, welche den Sizilianer mit dem Infanten Don Sebastian verband. Sein Freund kannte wohl nicht das Resultat der Konferenzen, welche dieser Gesandte in partibus mit Don Carlos hatte, aber er vermuthete, die Basis der Friedensverhandlungen wäre eine durch eine Heirath beabsichtigte Versöhnung der beiden Bourbonenzweige gewesen. Da diese aber nicht zustande kam, weil eine Heirath zwischen Königin Christine und dem Sohn des Don Carlos nicht möglich war, blieb dieses Projekt ein bloßer Traum. Darum suchte man nun andere Möglichkeiten, um den Frieden und eine Verbrüderung der beiden Armeen heimzuführen.

Cabrera sprang erregt und zornig auf:

– Ja! ich verbrüdere mich nicht. Nein ... ich nicht ... Eine Vermittlung! Nein, ich schwöre es! Sie kennen Cabrera nicht ... Nicht um eine Handvoll Gold, noch um einen Rang, noch um Carriérevortheile lasse ich die Schande einer Auslieferung an die Christinisten über mich ergehen. Wenn Don Carlos nachgibt, möge er es mit sich ausmachen ... Er bleibe in seinem Haus ... ich werde in dem meinigen bleiben! Ich will nicht! ... Nein, ich will nicht!! Prinzenheirath! ... Vermählt sich das Licht mit der Finsterniß! ... Vermählt sich die Gerechtigkeit mit dem Unrecht? ... Vernunft mit Unverstand? Wenn sie heirathen, mögen sie ihr Brod zusammen verzehren ... Ich verheirathe mich mit Niemandem ... Don Ramon Cabrera heirathet nicht ... nein!

Der General setzte sich auf seinen Feldstuhl und glättete mechanisch die Papiere, die zerstreut umherlagen. Das qualmige Licht der Lampe fiel auf ihn. Don Beltran, ohne seine gleichmüthige, nachlässige Haltung zu verändern, fuhr fort, dem Chef der Aufständischen die Informationen zu ertheilen, die diesen so sehr zu interessiren schienen.

– Ich halte Sie für einen echten Gentleman, sagte Don Ramon nach einiger Ueberlegung mit gewisser Freundlichkeit, und ich bin überzeugt, daß Sie mir Alles sagten, was Sie wußten. Ihre Meinungen scheinen mir sehr begründet.

Der Leopard fügte noch Manches hinzu, aber Don Beltran, dessen Kopf schon seit einiger Zeit nickte, fiel in einen tiefen Schlaf, aus dem er aber seiner unbequemen Lage wegen erwachte.

– Schlafen Sie nur, mein Freund, sagte der General mitleidig. Sie bedürfen wohl der Ruhe. Ich beneide Sie um Ihre Schlafsucht.

– Ich glaube, er ist ein vollkommener Intriguant, schrie Don Beltran sich erhebend ... Ah ... Pardon, General, mir schien, als fragten Sie mich um meine Meinung über Rapella.

– – Das ist auch meine Ansicht, sagte der Leopard lächelnd.

Dann versank er wieder in seine Nachdenklichkeit, um nach einem kurzen Augenblick zu sagen:

– Schlafen Sie nur ganz ruhig, Don Beltran, hier sind mir keiner Etikette unterworfen. Nehmen Sie diese Decken und benützen Sie sie als Kopfkissen.

– Danke, lieber Nelet ... will sagen, Don Ramon. Sie sehen, ich kann nicht mehr ... Danke ...

Cabrera, der sich von den Gedanken, die ihn bewegten, nicht befreien konnte, schritt in seinen Mantel gehüllt noch lange im Zelte auf und ab. Er ward in seinen Reflexionen durch das Stöhnen des alten Edelmannes gestört, Urdaneta träumte, daß man ihn zum Richtplatze führte, daß man ihn niederknien ließ und ihm die Augen verband. Und im Schlafe stammelte er:

– Aufs Herz, meine Kinder! Zielet auf mein Herz, lasset mich nicht leiden!

Als er erwachte und sich von seinem Traume Rechenschaft gab, bat er den General um Entschuldigung und fügte hinzu:

– Achten Sie nicht auf mich. Wenn ich Sie genire, will ich hinausgehen schlafen ins Hotel »zum schönen Stern«.

– Nein, nein, bleiben Sie nur hier. Und um Sie zu beruhigen, sage ich Ihnen, daß das Urtheil, welches Sie als Geisel straft, aufgehoben ist.

– Ich weiß nicht, wie ich meine Dankbarkeit für Ihre Großmuth ausdrücken soll? Also bin ich frei?

– Frei? Nein. Sie bleiben noch einige Zeit mein Gefangener. Möglicherweise werde ich Ihrer Kenntnisse des politischen und diplomatischen Lebens in Madrid bedürfen. Haben Sie nur Geduld und jetzt schlafen Sie in meinem Zelt so lange, als Ihr Körper es erfordert.

– O und er bedarf sehr vielen Schlafes, General, nach der vielen Schlaflosigkeit der vergangenen Tage und in meinem Alter ...

Gestärkt durch die Beruhigung, die die letzten Worte Cabrera's ihm einflößten, fiel Beltran in einen so festen Schlaf, daß er erst spät am Tage erwachte; sein erster Blick fiel auf Cabrera, der in seinen weißen Mantel gehüllt auf dem Erdboden liegend schlief. Seine Mütze bedeckte seine Augen, um ihn gegen das Licht zu schützen. Der Sekretär schrieb in recht unbequemer Stellung auf dem Feldstuhl, und ein Adjutant, der auf der Erde hockend Cigaretten drehte, winkte Beltran, sich stille zu verhalten, um den Schlaf des Generals, der erst bei Tagesanbruch einschlief, nicht zu stören. Kurz darauf kam eine Ordonnanz und flüsterte Beltran ins Ohr, daß ein ihm befreundeter Oberst ihn schon seit dem Morgen erwarte. Der Greis schlich sich in Folge seiner Schwäche fast auf allen Vieren aus dem Zelte und bemerkte draußen Nelet, der mit gesenkten Schultern, den Kopf in die Hände vergraben, ein Bild des Trübsinns und der Verzweiflung, auf einem Steine saß. Nachdem er ihm auf die Schulter geklopft, begab sich der Greis nach einem benachbarten Zelte, aus welchem ein durchdringender Küchengeruch strömte. Dort hatte er das Glück, dem Lieutenant Pulpis zu begegnen, der die Wache hatte, und er bat ihn um Nahrung und sei es auch nur Brod und Zwiebel. Er erhielt bald kräftigere und bessere Speisen und er verschlang sie, während er mit Santapau sprach, der sich ihm, von dem lebhaften Wunsche geleitet, mit ihm zu sprechen, näherte.

– Mein Sohn, ich finde Dich sehr verändert. Bist Du verwundet? Hast Du vor den Mauern von Gandese in den letzten Tagen Dein Blut verloren? Oder ist Dir etwa ein anderes Unglück zugestoßen, vielleicht eine neue Schlacht mit den Kindern der Hölle?

– Nein, diese fürchte ich nicht mehr. Von der Dämonenkrankheit bin ich vollkommen geheilt, antwortete Nelet seufzend und in Trauer versunken. Ein Arzt aus meinem Dorfe hat mich mittelst eines bitteren Trankes von diesem Wurme vollkommen geheilt. Wie der Arzt sagte, fliehen mich die Teufel jetzt, um in den Körpern meiner Freunde Unterkunft zu suchen.

– Gewiß ist es so, erwiderte Urdaneta, indem er philosophisch fortfuhr, sich zu kräftigen. Aber weshalb bist Du so trübsinnig?

– Das ist keine teuflische Melancholie, aber eine des Gewissens, und sie ist so ernst, so tief, daß wenig gefehlt hätte, und ich hätte gestern Abends meinem Leben ein Ende bereitet. Ich habe die Ausführung dieses Planes hinausgeschoben, um mit Ihnen zu sprechen und Sie um Rath zu fragen über den Vorfall, der mich wie ein Blitz getroffen und der zu jenen schrecklichen Fällen gehört, die man nicht enträthseln kann.

– Weißt Du, ob ich nicht die Lösung finde? Lass' mich ein wenig von diesem Ziegenragout essen, das mir den Körper und den Geist kräftigt, um Dir dann rathen zu können. Greif zu, mein Sohn. Wer den Körper nährt, kräftigt auch den geistigsten Theil unseres Wesens: das Gewissen.

– Der Appetit des Gewissens wird nur durch unser eigenes Fleisch gestillt, dieses müssen wir ihm zum Opfer bringen ...

– Erzähle mir, erzähle rasch, damit ich die Ursache Deiner Verzweiflung kennen lerne ...

– Sättigen Sie sich und entfernen wir uns von hier; suchen wir einen Ort, wo uns Niemand sehen noch hören kann. Von einem menschlichen Wesen gesehen oder gehört zu werden, versetzt mich in eine Wuth, daß ich der ganzen Welt Taubstummheit wünsche. Gott allein sollte sehen und nur die Stürme, die seine Stimme sind, sollten gehört werden.

– Mein Sohn, Du bist poetisch, aber Deine Metaphern sind düster. Die Bilder, die Du gebrauchst, sind alt und darum verpönt. Ich habe mein Frühstück, das der Hunger mich ausgezeichnet finden ließ, beendet. Gehen wir, wohin Du willst.

Nelet führte ihn in einen entfernten Winkel, wo man Pferde beschlug, und inmitten des Wieherns, dessen Geräusch ihm angenehmer dünkte, als die Stimme der Menschen, schilderte er das Ereigniß, das ihn in so tiefe Verwirrung brachte.

– Wir haben diese unglückliche Schlacht von Gandese verloren, sagte er, weil damals, als der Angriff am heftigsten war, unsere Soldaten, die Sumpfwasser getrunken hatten, an schrecklichen Schmerzen litten und unter furchtbaren Zuckungen starben. Mein Regiment litt am meisten an dieser Krankheit. Meine Soldaten glaubten, der Feind hätte das Wasser vergiftet. Sie wurden von einer Panik ergriffen. Der Arzt und ich, mir waren bemüht, ihnen zu erklären, daß die Vergiftung durch solch stehende Sümpfe eine ganz natürliche sei. Schließlich mußten wir zurückweichen und Cabrera ließ zum Rückzug blasen.

Auf dem Rückzuge begegnete ich anfangs keiner christinistischen Streitmacht. Aber nach einem Marsch von anderthalb Meilen überraschten wir ungefähr zwanzig feindliche Soldaten, die Aufklärungsdienst hatten. Sie marschirten mit so wenig Vorsicht und kannten das Terrain so wenig, daß sie ohne die Möglichkeit einer Rettung in unsere Hände fallen mußten. Einige warfen ihre Waffen von sich und versuchten zu entfliehen, aber meine besten Schützen machten sich auf ihre Fährte.

Zwei wurden erschossen, die Anderen ergaben sich wie Lämmer und baten um Erbarmen, »Was thun wir, Oberst? Füsiliren mir sie oder nicht? Wir glauben, diese Leute haben das Wasser vergiftet.« Ich erfüllte ihren Wunsch, denn auch ich fühlte mich ein wenig vergiftet. Ein verzehrendes Feuer durchdrang meine Eingeweide. Um die Patronen zu ersparen, arbeiteten meine Leute mit ihren Bajonnetten. Ich weiß nicht, wie es kam, aber an diesem Tage war ich von einer wahren Mordwuth ergriffen. Nicht Dämonen plagten mich, aber eine Art Bitterkeit reizte mich, machte mich wild. Am Morgen hatte ich den Trank eingenommen, von welchem ich mit Ihnen sprach. Die Fliegen, die mein Pferd anlockte, machten mich wahnsinnig mit ihren Stichen. Ueberdies rann der vergiftete Schweiß in Strömen von mir und die Fliegen, die ihm nahe kamen, fielen todt zu Boden. Aber sie waren so zahlreich, daß ich vom Pferde steigen mußte. Während meine Soldaten die Gefangenen hinrichteten, schlenderte ich zwischen Lebenden und Todten umher und selbst halbtodt, gewahrte ich unter einem Baume einen verwundeten Christinisten.

Ich weiß nicht, wie mir die wahnsinnige Idee kam, ihn mit meinem Degen zu durchbohren; ich hielt ihn für eine Fliege oder für den Vater aller Fliegen.

Kaum zog ich meinen Degen aus seiner linken Seite heraus, kam mir ein Gedanke, wenn man das Gedanken nennen kann ... Was sah ich in dem Gesicht und in den Augen dieses Mannes? Was war es, daß ich einen Schrei ausstieß, einen Schrei voll Wuth und Schmerz:

– Bist Du gar Franciscus Luco?

– Ich fragte ihn zweimal und zweimal antwortete er mir mit Kopfnicken ... so ... Er sagte Ja mit dem Kopf und auch mit den Augen, aber er sprach kein Wort, denn er war todt.

– Daß Gott uns helfe! rief Urdaneta aus, indem er vor Kummer tief aufseufzte.

– Sagen Sie nun: kann es einen Trost für mich geben, nachdem ich den Bruder Derjenigen, die ich anbete, auf so wild barbarische Weise getödtet habe? Muß ich nicht wünschen, daß die Erde sich unter meinen Füßen öffnete und mich verschlinge ? Was soll nun Manuel Santapau weiter auf dieser Welt?

– Ah, ah, nicht so rasch ... nicht die Kaltblütigkeit verlieren ... es ist auch noch ein Irrthum möglich ... Möglicherweise hatte dieser Mann nicht die Absicht, Dir zu antworten. Es kann eine unwillkürliche Muskelbewegung sein, wie sie so häufig sind in den letzten Minuten ...

– Und die Ähnlichkeit mit seiner Schwester? Es war dasselbe Gesicht. Seine Augen schienen mir die von Marcela zu sein.

– Das beweist noch immer nichts. Das kann eine zufällige Ähnlichkeit sein oder vielleicht war die Ähnlichkeit nur in Deinem von der Schlacht, durch die Unruhe, durch den Trunk erhitzten Gehirn. Und was schließlich Deine Verantwortlichkeit betrifft, handelt es sich doch um eine unvorhergesehene, plötzliche Sache, um einen Schlachtenvorfall. Die Gelegenheit, die Kriegsgesetze, denen Du Dich nicht entziehen kannst, da Du doch Cabrera untergeordnet bist, entschuldigen Dich in einem gewissen Maße.

– Nein, nein, mein Gewissen kann es nicht glauben; es ist sehr starr, sehr anspruchsvoll, sehr skrupulös geworden. Es ist natürlich, daß mein Meister und Freund mich trösten will, aber für mich gibt es keinen Trost. Ich habe einen wirklichen Brudermord begangen. Was ist nun die Sehnsucht, mich selbst zu tödten, Anderes als das Bedürfniß, vor mir selbst zu fliehen, in Folge des Abscheues, den ich mir selbst einflöße.

– Ruhe, Bedächtigkeit und Ueberlegung, sagte der Meister der Liebeskunst, der selbst keinen Rath wußte, aber seine Verlegenheit und seinen Aerger verbergen wollte. Deine Gewissenskrankheit scheint mir niederschmetternd, aber es wird Mittel geben, sie zu heilen, ich verspreche es Dir, ich hafte dafür. Du mußt mir versprechen, unter der Herrschaft des Zornes keinen Entschluß zu fassen, mich in allen Dingen um Rath zu fragen, denn da ich in diesen Dingen erfahren bin, muß ich auch die Mittel besitzen, selbst die schwersten Fälle der Gewissensbisse zu behandeln. Vertraue Dich meiner Sorge an. Stütze Dich auf die Autorität, welche die traurige Wissenschaft des Alters mir verleiht.

Und da der schlaue Alte dann noch den Gedanken aussprach, daß Marcela wohl noch keine Kenntniß hätte, daß er der Mörder ihres Bruders sei, ließ Nelet ab von seiner düsteren Traurigkeit, um sich ganz dem Zorn zu überlassen:

– Glauben Sie denn, daß ich ihr ins Gesicht schauen könnte, ohne das Geheimniß meiner Sünde zu verrathen? In meinem Gewissenszustande bin ich unfähig zu heucheln, denn ich glaube, daß in meinen Augen das Verbrechen, das ich beging, sich widerspiegelt! Marcela könnte in meinen Augen das Bild ihres sterbenden Bruders sehen, wie er mit dem Kopf nickt, um mir »Ja« zu sagen. Wenn Sie mir rathen, ihr die Wahrheit zu verheimlichen, wären Sie nicht mehr der echte Gentleman, für den ich Sie hielt, nein, Sie wären es nicht mehr!!

– Ich verzeihe Dir die Zweifel an meinen edlen Gefühlen, denn Du bist krank, mein lieber Nelet. Gestehe, beichte Deine Sünde immerhin, aber vor dem Beichtstuhl. Ich sehe aber nicht ein, warum gerade Marcela Dein Beichtvater sein muß ...

– Ja, sie ist es, sie muß es sein, ich will, daß sie es sei! schrie Nelet.

– Schreie nicht, um Gotteswillen.

– Entweder werde ich mich tödten, um zu schweigen, oder werde ich leben, um zu beichten.

– Nun, da die Frage zu diesem schrecklichen Dilemma führt, rathe ich Dir zu leben und zu beichten.

– Aber ihr. Dieses Feuer, das nun mein Gewissen erfüllt, das mir Körper und Seele verzehrt, kann nur durch die Wahrheit beruhigt werden. Dann mag mit mir geschehen, was Gott will.

In der Hoffnung, ihn zu beruhigen, that Beltran, als stimme er Santapau zu. Er dachte, die Ruhe, der Schlaf, die militärischen Pflichten, der Verkehr mit den Kameraden würden ihn bald zu dem gewohnten Leben zurückführen und das Gleichgewicht seines Geistes wieder herstellen. Er suchte ihn zu zerstreuen, indem er von verschiedenen Angelegenheiten sprach und in ziemlich pittoresker Weise die Szenen seiner unterbrochenen Hinrichtung schilderte und ihn verständigte, mit welch unglaublichem Wohlwollen Cabrera ihn aus seiner Geiselpflicht befreite, und daß er hoffe, seine Freiheit bald wieder zu erlangen.

Diese Worte hatten die Kraft, den armen Nelet ein wenig zu beleben.

– Freiheit! rief er aus. Ich will auch frei sein: frei oder todt.

Inmitten dieser Unterhaltung wurden sie plötzlich durch dem Befehl zum Abmarsch unterbrochen, welchen Cabrera in dem Augenblick ertheilte, da Jedermann das Vergnügen der so sehr verdienten Ruhe genoß. Es hieß laufen und kämpfen! Wohin man ging? Cabrera hatte nicht die Gewohnheit, es zu sagen, er zeigte den Truppen den Weg, indem er an ihrer Spitze ritt, Don Beltran bestieg ein Pferd, das sein Freund Putxet ihm verschaffte, und zwischen diesem, der unaufhörlich sprach, und Santapau, der stumm geworden zu sein schien, zog er auf einem unbequemen und staubigen Pfad seines Weges. Und der arme Mann war mehr als müde nach den vielen Anstrengungen. Seine alten Beine forderten gebieterisch Ruhe und sie schienen nach der Art Nelet's, aber in anderem Sinne die Freiheit oder den Tod zu verlangen. Bisher hatte er, dank seiner kräftigen Konstitution, seiner fröhlichen Gemüthsart und seiner Abenteuerlust die Strapazen und Entbehrungen des Krieges noch ertragen können; und wenn die physische Müdigkeit unerträglich schien, schweifte seine Einbildungskraft nach seiner Jugend zurück, und sie gab ihm neuen Muth. Zu seinem Glück oder zu seinem Unglück – denn der Fall ist zweifelhaft – konnte er trotz seines vorgerückten Alters seinen Gesichtskreis noch immer nicht einengen.

Im Verlaufe des Marsches bemerkte der alte Edelmann zu seinem tiefen Kummer, daß Nelet, ohne von seiner moralischen Krankheit zu genesen, nun auch körperlich immer mehr niedergedrückt schien. Am Nachmittage konstatirte er an seinem Freunde einen kräftigen Fieberanfall, und als sie Nachts in Arenys de Lledo eintrafen, fiel der Oberst vom Pferde. Man richtete ihn auf, ohne daß er sich bewegen konnte, und man lehnte ihn an eine Mauer, während Urdaneta, bekümmert, seinen Freund in dieser Lage zu sehen, sich entschloß, dem General mitzutheilen, daß der Oberst unfähig sei, den Marsch fortzusetzen. Cabrera empfing ihn in sehr schlechter Laune in dem Pfarrhause, das er bewohnte, und seine düstere Miene zeigte, daß Beltran für seine Bitte keine schlechtere Gelegenheit hätte wählen können. Der muthige Aragonese ließ sich aber durch das Stirnrunzeln nicht einschüchtern und bat nicht nur, daß Santapau seiner schweren Krankheit wegen beurlaubt werde, und daß er bis zu seiner Genesung in seinem Heimathsorte, wo er Angehörige besaß, verweilen dürfe, sondern er erbat die Erlaubniß, den Oberst zu begleiten, um ihn pflegen zu können.

Cabrera schritt wie ein wildes Thier im Käfig, mit blitzenden Augen in seinem Zimmer auf und ab, und unser guter Alter glaubte, er würde die Fensterscheiben zerschmettern, und ihn hinausweisen, ohne seine Bitte zu gewähren. Und doch kam es nicht so. Wie ein beschäftigter Mensch, der alle Kleinigkeiten mißachtet, um seine Aufmerksamkeit für die wichtigen Dinge zu konzentriren, erklärte Cabrera, daß sowohl er, Don Beltran, als auch der Oberst sich entfernen könnten, wohin sie wollten ... wohin immer ... mit oder ohne Gottes Hilfe ... denn weder der Eine noch der Andere würden ihm in welcher Beziehung immer fehlen.

– Was Sie betrifft Herr Urdaneta, sagte er, sich vor ihm aufpflanzend, Sie sind frei und Sie können Ihre Güter in Aragonien wieder aufsuchen. Die Aristokraten können mir selbst als Geiseln keine Dienste leisten, und als Gefangene ziehe ich jene vor, die arbeiten und die Waffen ergreifen. Damit will ich Ihnen keine Verachtung bekunden. Was Santapau anlangt, möge er sich mir vorstellen, sobald er geheilt sein wird, und falls er nicht gesundet, möge er sterben. Gott verzeihe ihm ... Sie können sich zurückziehen ... Es ist möglich, daß mir uns niemals wiedersehen werden, erstens weil Sie schon alt sind und dann, weil ich, obgleich noch jung, sehr bald sterben werde ... an einem Wuthanfall.


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