Benito Perez Galdos
Der Roman einer Nonne
Benito Perez Galdos

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2.

Das Detachement, dem Don Beltran sich angeschlossen hatte, begegnete nicht den Aufständischen; die Reise ging glücklich von statten, und er erreichte die edle Stadt Caspa ohne Abenteuer. Das Glück, das dem alten Edelmann auch weiter folgte, ließ ihn beim Eintritt in die Stadt einen alten Freund, den reichen Grundbesitzer Don Blas de la Cordonera antreffen, der ihn zu sich führte, wo er Beltran königlich verpflegte. Die zerschlagenen Beine des Marquis von Urdaneta konnten die Molligkeit und Reinlichkeit einer Bettstatt, die groß war wie eine Kathedrale, würdigen und sein Magen empfand ein angenehmes Wohlgefühl nach den ausgezeichneten Mahlzeiten, welche seine liebenswürdigen Wirthe ihm servirten.

Don Beltran ermangelte nicht, bei ihnen über das Schicksal der herumirrenden Nonnen von Sijena Nachrichten einzuholen und die zwei Söhne des Don Blas, welche sie gesehen hatten, gaben ihm ganz entgegengesetzte Informationen. Der Aeltere, Don Raphael behauptete, sie sei ein bizarres, halbverrücktes Weib, das unter der Hülle der Büßerin eine geheime Abenteuerlust verbarg; während der Jüngere, Pépé, die Schwester Marcela als ein höheres Wesen betrachtete von einer unvergleichlichen Tugend, die würdig wäre, den berühmtesten Heiligen angereiht zu werden.

Urdaneta gab hierauf seine Absicht kund, Schwester Marcela aufzusuchen; und ungeachtet der Vorstellungen Don Blas', der auf die Gefahren hinwies, welchen er sich aussetzte, indem er sich nach dem Kriegsschauplatze begab, erklärte er, daß die ernstesten Motive seinen Entschluß zu einem unwiderruflichen machen, und daß er entschlossen sei, sich nach Alcaniz zu begeben, in dessen Umgebung er Schwester Marcela mit der Pflege ihres Bruders Franciscus beschäftigt vermuthete, der, nachdem er den Aufständischen in wunderbarer Weise entkam, nun an einer schweren Krankheit daniederlag.

Uebrigens schien Alles die Projekte des Greises zu begünstigen, denn der General Borso di Caminati gab aus seinem Hauptquartier der jüngst in Caspa angekommenen Truppenabtheilung den Befehl, zu den in Alcaniz kantonnirten Truppen abzugehen, und Don Beltran schloß sich sofort dieser an und folgte als galanter Paladin dem Karren, auf welchem Salome thronte. Am Abend erreichten die Reisenden Alcaniz, die seit den Römerzeiten altberühmte Stadt. Don Beltran wurde in einem alten gothischen Gebäude untergebracht, dessen weiter Innenraum von Offizieren erfüllt war. Da es keine Betten gab, mußte man sich mit den Decken behelfen, und Salome war bemüssigt, selbst nach der Küche zu eilen, um dort das gekochte Rindfleisch und die Bohnen zu erhalten, die das gesammte Menü der Kampirenden bildeten.

Gegen Ende des mittelmäßigen Mahles machte Don Beltran durch die Vermittlung Galan's die Bekanntschaft zweier Offiziere von sympathischem Aeußern, die, nachdem sie erfahren hatten, der Greis wolle Donna Marcela aufsuchen, sich erbötig machten, ihn nach den Gebirgen von Santa Lucia zu führen, wo sie sich in diesem Augenblicke aufhielt. Beide kannten sie und sie hatten mit der sonderbaren Frau auch schon Unterredungen gehabt, in welchen über den Krieg, über Philosophie und über Religion gesprochen wurde.

Urdaneta konnte kaum seine Ungeduld zügeln und erst gegen Morgen fand er einige Augenblicke der Ruhe.

Er erhob sich und fühlte sich ganz zerschlagen von dem harten Lager.

Salome bereitete ihm ein frugales Frühstück aus Eiern und Speck und um neun Uhr harrte er bereits seiner Begleiter.

Doch nur der Eine kam, da der Andere in einer außerordentlichen Mission verwendet wurde, und ohne auf ihn zu warten, verließen Don Beltran und der Offizier über die Guadaloperbrücke die Stadt.

Hierauf durchschritten sie eine lange Allee, und um sich über die Länge des Weges hinwegzutäuschen, begann Don Beltran seinen jungen Freund auszufragen:

– Ah, Sie sind auch Aragonese? Wiederholen Sie mir doch Ihren Namen, da ich ihn bereits vergaß.

– Estercuel.

– Was? Estercuel? Sind Sie vielleicht aus Ayerba?

– Ja, mein Herr, Mein Vater Don Celestine Estercuel war Verwalter der Distrikte von Ayerba und Boltana; mein Oheim Don Bernardino Estercuel ist Domherr von Jaca.

– Ich weiß schon; ich weiß schon. Aber woher kennen Sie mich?

– Es gibt in ganz Aragonien keine bekanntere und berühmtere Person als Don Beltran de Urdaneta, den Arm und Reich als den vollendeten Typus der Größe und der Ritterlichkeit verehren. Ich war noch ein Kind, als man mir schon von seinem Vermögen und seiner Freigebigkeit erzählte.

– Ah, mein Kind, erwiderte Don Beltran, indem er seine Schritte beschleunigte, das waren andere Zeiten. Wie weit ist doch das Gestern vom Heute!

– Und mein Vater sagte, daß sie blos in Mora de Rubielos und in der Sierra Mosqueruela allein über zehntausend Köpfe besaßen.

– Ja, ja, damals besaß ich viele Köpfe, aber ich glaube, daß ich heute nicht einmal mehr einen, nicht einmal mehr den meinigen besitze. Aber es blieben noch in Mora de Rubielos irgendwelche, aber gar nicht einmal schlechte Dinge, die ich retten will. Aber von mir sprechen, das gibt traurige Visionen, Zerstreuen wir uns den Geist, indem wir von der Gegenwart, von der Jugend, von Ihnen sprechen. Wie befinden Sie sich beim Militär? Lieben Sie den Ruhm?

– Nicht sehr, Exzellenz. Fast ein Jahr ist's, daß ich dieses Leben führe, aber ich kann versichern, daß ich den Frieden herbeisehne, selbst wenn ich bei meinem jetzigen Grad bleiben müßte. Die wilde Wendung, die der Krieg nimmt, entspricht mir ganz und gar nicht. Ich habe wenig Glück während des Feldzuges und zum Unglück war meine erste That eine solche, die meinen Geist umdüsterte, sie war wie ein Flecken, den man nicht verwischen kann: ich habe das Pelotonfeuer kommandirt, welches die Mutter von Cabrera tödtete! ...

– Welches Unglück! Welche unnütze Barbarei! Wie unpolitisch! ...

– Ich begann meine Carrière bei den Fünfer-Infanteristen, die in Tortosa lagen, und ich befehligte das Piquet, welches diese unglückliche Frau hinrichtete.

Als man uns am 16. Februar Morgens sagte, wir müßten um zehn Uhr Vormittags Maria Grinno füsiliren, wollte Niemand daran glauben. Die Nationalgarde verweigerte die Ausführung des Urtheils. Wir mußten gehorchen. Doch hegten wir die Hoffnung, daß eine solche Grausamkeit verschoben würde, um schließlich eine Begnadigung herbeizuführen. Er vermutete, der Bürgermeister von Tortosa hätte gegen solch entsetzliche Absicht protestirt, und daß er trachtete, den Gouverneur zur Zurückziehung seiner barbarischen Ordre zu bewegen. Der Gouverneur sah ein, daß die Anordnung einer derartigen Hinrichtung eines Edelmannes unwürdig sei, und daß der gegebene Fall den Ungehorsam wohl rechtfertigen würde. Aber er hatte nicht den Muth, Widerstand zu leisten. Seine Energielosigkeit, sein Zögern zwangen uns, allem Gerechtigkeitsgefühl Hohn zu sprechen. Man sagt, daß er weinte, als er den Bitten des Bürgermeisters und anderer vornehmer Persönlichkeiten nicht entsprechen konnte. Solche Thränen verursachen nichts Gutes und verhüten nichts Böses.

Kurz, wir mußten Donna Maria gefesselt in den Kerker werfen. Sobald sie gebeichtet hatte, führten wir sie, ohne ihr zur letzten Kommunion Zeit zu lassen, nach Barbacana.

Auf dem Wege begegnete das arme Opfer wenig Leuten, denn die meisten Einwohner hatten keine Ahnung von den Vorgängen. Niemals werde ich ihre Resignation vergessen, ihren Seelenfrieden, diese unaffektirte Ruhe. Sie sprach kein einziges beleidigendes Wort aus, was unseren Kummer auf die Spitze trieb und unsere Herzen zusammenpreßte. Die ruhige Heiterkeit, mit welcher sie zur Hinrichtung schritt, gestaltete noch beschämender die elende Feigheit der militärischen Kraft, die wir aufwandten, um einer Frau das Leben zu entreißen, die niemals einem Menschen etwas zuleide that.

– Was ist ihre Schuld? fragten wir im Stillen, denn wir wagten es nicht laut auszusprechen. Ihre einzige Schuld war, Cabrera das Leben gegeben zu haben!! In Barbacana angekommen, schlossen wir ein Viereck um sie. Würde ich tausend Jahre alt werden, niemals ginge mir der Blick aus dem Sinn, den Maria Grinno uns zuwarf. War es Verachtung, war es Mitleid? ... Weder Zorn lag in ihm, noch eine Bitte. Sie bat nicht um Gnade. Vielleicht wollte sie uns sagen, rasch zu handeln, den Befehl, den wir erhielten, rasch auszuführen. Man band ihr die Augen zu. Den Priester mußte man an seinem Talar ziehen, damit er sich von ihr entferne. Der arme Mann war außer sich, er ließ sie das Credo wiederholen und verkündete ihr, sie werde nun in den Himmel einziehen. Ich mußte mein Taschentuch wehen lassen, um Feuer zu kommandiren. Einen Augenblick hatte ich den Gedanken, mich aufzulehnen. Aber die Kraft der Disziplin, über die man sich nicht Rechenschaft zu geben vermag, riß mich fort. Thatsache ist, daß die Schüsse erdonnerten, und daß die arme Frau wie ein Block zur Erde fiel, ohne Lärm und ohne Zuckungen, wie ein Kleiderpack, der aus einem Koffer fällt!

– Schrecklich und stupid! schrie Don Beltran. Wenn in Ihrem Dienstbuche noch andere Thatsachen dieser Art verzeichnet sind, erzählen Sie mir sie nicht; mein armes altes Herz ist unfähig, auch nur die Schilderungen solcher Ungeheuerlichkeiten zu ertragen.

– Drei Tage lang war ich krank. Weder den Blick der Maria Grinno noch die Art, wie sie zu Boden fiel, konnte ich vergessen. Seither schwebt eine bleierne Wolke vor meinen Augen! Und ich frage mich, ob in unserem unglücklichen Spanien jemals wieder Frieden herrschen werde! Wissen Sie, was Cabrera sagte, als er den Tod seiner Mutter erfuhr? Er blickte nach den Gebirgen, die das Roblesthal einschließen, und schwor, daß das vergossene Blut bis zu den höchsten Spitzen steigen werde. Und es steigt! Es steigt immerfort! Um Ihre Geduld nicht zu mißbrauchen, will ich Ihnen nur sagen, Don Beltran, daß seither meine Dienstzeit nichts Anderes war als ein Menschenjagd ohne Unterlaß. Glauben Sie mir, das ist kein Krieg. Das ist ein wildes Duell ohne Gnade ... Und wenn ich überlege, frage ich mich: Wofür schlagen wir uns? Freiheit! Religion! Aber wir besitzen ja von beiden mehr als genug. Scheint Ihnen das nicht richtig? Die Rechte der Königin! Die des Don Carlos! Wenn ich die Philosophie dieses Krieges ergründen will, werde ich immer mehr davon überzeugt, daß wir Alle verrückt sind. Glauben Sie nicht auch?

– Vollkommen, mein lieber Estercuel, vollkommen. Sie sind ein Weiser. So jung und schon so tief.

In diesem Augenblick erreichten sie den Ausgang der langen Allee, wo sich dem Auge ein wunderbares Schauspiel darbot: der Wasserfall des Alto, der dort sich in den Guadalope ergießt. Hohe Gebirge schlossen die schöne Landschaft ein, die Don Beltran nach Herzenslust bewundern konnte, da der Morgennebel sich erhoben hatte und die Sonne allen Gegenständen Farbe und Leben gab.

– Wenn unsere Dienerin des Herrn sich diesen Platz erkoren hat, bemerkte der Greis, dann hat sie wirklich einen guten Geschmack.

– Die ich die wandernde Eremitin nannte, wohnte in den letzten Tagen in der Hütte, die Sie von hier aus sehen. Dort am Fuße der zwei hochragenden Felsen, im Schatten einer Eiche, die aussieht, als hätte sie der Blitz gespalten.

Obgleich Don Beltran kaum sehen konnte, was sein Freund ihm andeutete, beschleunigte er seine Schritte nach dieser Richtung hin. Ehe sie aber die bezeichnete Stelle erreichten, sahen sie zwei alte Leute auf sich zukommen, anscheinend Hirten, die in ihren Fellkleidern eher Bären denn Menschen glichen. Einer von ihnen schrie, als er sie gewahrte:

– Wenn Sie die Nonne suchen, können Sie zurückkehren, denn Sie werden sie nicht finden!

– Und wo ist unsere heilige Frau? fragte Estercuel, der ahnte, daß der Alte nicht die Wahrheit sagte.

– Zum ...! schrie Urdaneta, der wüthend den Stock auf den Boden stieß, ich glaubte nicht, daß der gute Stern, der mich bisher geleitet, sobald entschwinden werde. Könnt Ihr mir sagen, meine Freunde, wo sie in diesem Augenblick ist? Denn wenn ich wüßte, daß sie nicht weit von hier ist, würde ich sie aufsuchen. Ungeachtet meiner siebzig und etlicher Jahre ist mir an ein, zwei Meilen nichts gelegen.

– Sie ist gestern Früh, erwiderte der Alte, mit einem Neffen nach Ginebrosa gegangen, und sie befahl mir, sie heute Mittags in Castellferas zu erwarten, von wo aus wir zusammen weiterwandern wollen.

– Wissen sie vielleicht, ob der Bruder der Marcela, Franciscus Luco, noch lebt, und wo er sich befindet?

– Gottlob er lebt, doch kann ich nicht sagen, wo er jetzt sich aufhält, antwortete der alte Hirt.

Und als wollte er rasch wieder gut machen, was ihm entschlüpfte, fuhr er fort:

– Ich weiß es nicht.

– Ob Du es weißt, Schelm; nur willst Du es nicht sagen. War Franciscus nicht schwer krank? Hatte seine Schwester ihn nicht gepflegt?

– Es scheint ja, mein Herr.

– Gut. Habt Ihr in Eurem Sack nicht zufällig etwas Eßbares? Die Morgenfrische und der Fußmarsch haben mich ein wenig ermüdet...

– Als wir Sie kommen sahen, waren wir eben daran, Brod in unsere Suppe zu schneiden. Wenn die Herren unser armseliges Mahl theilen wollen, wird es uns ein Vergnügen und Ihnen eine Buße sein.

– Gehen wir, Du bist höflich. Bereite die Suppe so rasch als möglich und mein Diener wird mit Euch gehen, um mich zu verständigen, wenn wir unseren Hunger stillen können.

Als sie allein waren und sich auf einen Stein niedergesetzt hatten, sagte der Offizier zu Don Beltran:

– Ich vergaß. Sie zu informiren, was man sich in dieser Gegend über das Kommen und Gehen der wandernden Nonne und über die etwas theatralische Geschwindigkeit, mit welcher sie erscheint und verschwindet, ohne daß Jemand wüßte, woher sie kommt und wohin sie zieht, erzählt. Es ist wie eine Legende, und ich erzähle sie Ihnen als solche mit dem Bemerken, daß der Krieg in diesem Lande das Mittelalter wiedererstehen ließ.

– Ich hatte schon selbst den Gedanken, daß irgendwelche Zauberei uns in die Zeiten der Feudalen zurückführte. Erzählen Sie mir doch diese Legende, die vielleicht gar keine ist!

– Wohlan, man sagt, und es gibt auch Leute, die es bestätigen, daß der Vater dieser Eremitin oder Büßerin ein sehr reicher Mann war.

– Und das nennen Sie eine Legende! Ich kann Ihnen Einzelheiten liefern über alle Besitzungen, die Juan Luco besaß und die mir gehörten...

– Man sagt, daß er außer den Grundstücken noch sehr hohe Summen in Metallgeld besaß...

– Gewiß. Das war ein Mann, der nicht ein Drittheil seiner Einkünfte verbrauchte... Und was sonst?

– Man sagt, Juan Luco, hätte, ehe er sich zu Gunsten Isabella's ereiferte, eine große Vase voll Goldmünzen an einen sicheren Ort gebracht...

– Das war eine weise Vorsicht.

– Und an einem anderen sicheren Ort, einige Meilen weit von dem ersten, habe er eine weitere Vase verborgen.

– Er besaß Grundstücke in Rubielos ...

– Und im Roblesthal, in Calanda, in Morella... Seine Söhne thaten wie er. So, daß nun die Reichthümer des Don Juan Luco in dieser Provinz und in einem Theil von Maeztrazgo zerstreut sind.

– Sehr gut, mein Freund, sagte Don Beltran, aufs Aeußerste erregt, indem er mit seinem Stock in die Luft hieb, aber ich sehe die Legende nicht... ich sehe nur eine sehr natürliche, sehr logische, sehr vernünftige Thatsache.

– Vasen voll Gold in allen Gebirgen, in allen Thälern und wer weiß, ob nicht auch hier unter unseren Füßen Hände voll Gold liegen?

– Mein Lieber, da kann Uebertreibung mit im Spiele sein, sagte Don Beltran lebhaft, während sein strahlendes Antlitz und seine leuchtenden Augen eine kindliche Leichtgläubigkeit verriethen; ich weiß nicht, wie viele Vasen es sind, aber daß überhaupt welche vergraben sind, glaube ich. Und ich glaube es so fest, als hätte ich sie selbst vergraben. Und sagen Sie nicht nein, denn es wäre unschicklich, mir zu widersprechen, wenn ich eine Wahrheit bestätige, die mir evident scheint.

– Nein, das erscheint auch mir nicht absurd. Aber Sie kennen noch nicht das Beste von der Legende. Die Bevölkerung sagt und sie glaubt daran wie an die heilige Schrift, die Nonne hätte sich in das Kostüm einer wandernden Eremitin gehüllt, um alle Verstecke, in welchen die kostbaren Vasen sich befinden, überwachen zu können.

– Scherzen Sie nicht, lieber Freund, das sind Dinge, die man nicht in solcher Form behandelt, denn im Grunde genommen sind sie für mich von ernstem Interesse.

– Ernst, ja. Alles, was ich Ihnen sage, ist wirklich ernst, wenn wir uns der Fiktion ergeben, im Mittelalter zu leben. Gut, Herr Marquis, Sie werden die schöne, wandernde Marcela sehen, diese kriegerische Heilige, die von Berg zu Thal zieht, um ihre Schätze zu überwachen und diese an noch sicherere Orte zu bringen, die weniger frequentirt werden, und wenn Sie etwas Klingendes entdecken, Don Beltran, benachrichtigen Sie mich nur. Sie werden dann eines guten Freundes nicht ermangeln, der Ihnen mit Haue und Hacke zu Hilfe eilt.

– Ah, Schelm! rief der Greis aus, der von der Freude überwältigt, einen familiären Ton anschlug. Ich weiß, wenn Sie das Glück hätten, eines dieser Neste zu entdecken, Sie würden keine Minute verlieren. Aber Tomé ruft uns schon, was beweist, daß die heißersehnte Suppe uns erwartet.

Sie erreichten die Hütte, wo unser guter Alter, dem die Morgenfrische, der Marsch und vielleicht auch die frohe Aussicht auf einige Vasen voll Geld eine gesunde Eßluft verschafft hatten, die kochende Suppe mit einem Eifer verschlang, daß er Gefahr lief, sich den Schlund zu verbrennen.

– Ich habe ein so großes Interesse, der ehrwürdigen Mutter Marcela noch heute zu begegnen, um mit ihr eine ernste... religiöse Frage zu verhandeln, daß, wenn diese Braven ihr heute entgegengehen, ich sie begleiten werde... Nein, nein, ich kann mich nicht länger aufhalten... Versuchen Sie es nicht, mich zurückzuhalten, lieber Estercuel, und kehren Sie ruhig nach Alcaniz zurück.

– Ich bedaure sehr, daß ich Sie verlassen muß, Don Beltran, aber meine militärischen Pflichten rufen mich, und ich sehe mich gezwungen, Sie allein reisen zu lassen.

– Herrendienst geht vor Ritterdienst. Der gute Soldat gehört sich nicht selber an. Ich werde mit Tomé und diesen beiden Alten mich auf den Weg machen. Welche Entfernung sagtet Ihr? Anderthalb Meilen? Und bequemer zu Fuß als zu Pferd? Gut... ein wenig Bewegung thut mir noth. Ich habe noch Kraft genug, ein schönes Stück Weges zurückzulegen. Und um die Wahrheit zu sagen: ich fühle mich wie verjüngt.

Und zu den beiden Greisen gewendet, fuhr er fort:

– Wer seid Ihr eigentlich, und womit beschäftigt Ihr Euch?

– Wir sind Todtengräber, aber wir haben diesem bescheidenen Gewebe entsagt, um der göttlichen Schwester Marcela folgen zu können.

– O, o, Todtengräber! rief Urdaneta erstaunt aus. Uebrigens, das ist ein Beruf, der so alt ist wie die Welt, denn seitdem es Leben gab, hat es auch Todte gegeben. Mehr noch, es ist ein heiliger Beruf, ein Werk der Barmherzigkeit. Sehr brav, sehr brav, meine Wackeren, ich bin entzückt, in Eurer Gesellschaft zu sein...

Er erhob sich ohne Anstrengung, und mit einer Beweglichkeit, die Alle überraschte, ging er nach der Straße, wo er von dem liebenswürdigen Offizier Abschied nahm, der ihm eine baldige und glückliche Rückkehr wünschend, sagte:

– Sie werden sehen, Don Beltran, daß Alles, was ich Ihnen sagte, sich verwirklicht. Mittelalter, reines Mittelalter. Ich hoffe, wir werden uns heute in Alcaniz wiedersehen und Sie werden mir dann viel zu erzählen haben. Wollte Gott, daß Ihnen nichts Böses begegne. Es ist möglich, daß sie glücklich gehen und kommen werden, denn wir wissen nichts von Aufständischen in dieser Gegend. Meine Empfehlungen an Schwester Marcela, wenn Sie sie sehen. Ich schließe mich Ihrer Todtengräbergruppe willig an, wenn ich weiß, daß es sich darum handelt, auszugraben... Sie wissen schon... Adieu!

Und indem er die Allee, die ihn nach der Stadt zurückführte, eiligen Schrittes durchmaß, sagte sich Estercuel:

– Der arme Mann ist in seine Kindheit zurückgefallen und jetzt ist er in seinem Element: die Legende.

Don Beltran schritt lange des Guadalopeufer entlang, ohne eine menschliche Seele anzutreffen; die Landhäuser waren zerstört, die Herden zerstreut, Menschen und Vieh hatten die Wiesen verlassen. Der Wunsch belebte ihn; aber als sie zu den ersten Häusern eines verlassenen Weilers – es mußte Castelseras sein – gelangten, ging ihm der Athem aus. Er ließ sich auf einem Erdhaufen nieder und sagte zu seinen Reisebegleitern:

– Meine guten Freunde, die Gewohnheit, zu Pferd oder zu Wagen zu reisen, hat meinen Beinen die zum Fußwandern nöthige Kraft genommen. Ihr könnt noch viele Meilen weit gehen, ohne zu ermatten, ich kann nicht weiter. Ich bin erschöpft, und da wir nicht weit von dem Orte sind, wo ihr mit Eurer Herrin zusammentreffen wollt, bitte ich Euch, ihr entgegen zu gehen und ihr zu sagen, daß ich sie hier erwarte. Behaltet meinen Namen: Don Beltran de Urdaneta, der treue Freund und ehemals der Protektor ihres Vaters...

Die Alten gehorchten ohne zu zögern, und Don Beltran sah sich wieder allein mit seinem Diener Tomé, der nicht aufhörte, die umliegenden Gebirge zu betrachten, denn seine geängstigte Einbildungskraft ließ ihn überall Flinten und weiße Mützen erblicken. Sie setzten sich in den Schatten und unter den Schutz zerstörter Mauern, wo sie jeden Kommenden sehen und sich verbergen konnten, wenn Jemand mit feindlichen Absichten nahte. Sie warteten schon fast zwei Stunden lang und Urdaneta begann schon die Geduld zu verlieren, als Tomé vier Personen auf dem Wege sah, auf welchem die beiden Alten sich entfernt hatten.

– Siehst Du die Todtengräber? fragte Don Beltran ängstlich. Kommen Sie mit einer Frau, die als Nonne oder Büßerin gekleidet ist!

– Ich sehe die zwei Großväter, sagte Tomé, als die vier Personen näher gekommen waren, aber ich sehe keine Nonne. Nur einen Jungen, der in eine Soutane gekleidet ist. Ich sehe seine Beine nicht, nur das lange Haar, wie man es auf Frauenporträts findet ...

– Hat dieser Junge einen Unterrock oder nicht?

– Weder einen Unterrock noch Frauenkleider; nur eine Tunika, wie die Heiligen sie tragen ...

Als die Ankömmlinge sich näherten und Herr und Diener die Ruinen verließen, um sie zu begrüßen, rief Tomé aus:

– Herr! Herr! Das scheint mir ganz und gar nicht natürlich; dieser mit den herabfallenden langen Haaren ist ein weiblicher Junge oder ein männliches Weib. Nie im Leben sah ich etwas Aehnliches.

– Schweig! Narr, und geh zur Seite, ich erkenne schon die Personen und ich will Schwester Marcela begrüßen.

An der Spitze der Gruppe schritt eine Gestalt, wie Tomé sie beschrieben hatte, als Knabe wäre sie nur von gewöhnlicher Höhe gewesen, aber als Frau war sie von einer hohen Statur, von schönen und eleganten Proportionen. Das braune, von der Sonne verbrannte Antlitz glich einem alten Porträt, dessen Farben die Zeit verdunkelt hatte, indem sie ihnen gleichzeitig ein sanftes Patina und gedämpfte Schatten verlieh. Die großen, schwarzen, wundersam geschlitzten Augen mit dem tiefen Blick glichen jenem eines Jünglings, aber die Nase, der Mund und der untere Theil des Gesichts gaben den Eindruck eines feinen, graziösen Frauenbildes mit einem Grübchen am Kinn und einem leichten Flaum über der Oberlippe. Die Haare fielen in dichten, rabenschwarzen Flechten herab; sie bedeckten einen Theil des Nackens, der braun war wie das Gesicht und theilten sich in der Mitte der Stirn in zwei dichte Massen, welche häufig die Augen bedeckten. Der Körper war von einer seltenen Vollendung und schien alle Eigenschaften zu vereinigen, welche die räthselhafte und verwirrende Schönheit des Androgyns ergeben. Die nackten Füße hatten die Farbe des alten Acajouholzes, sie waren aber von bewunderungswürdiger Form, und sobald eine leichte Bewegung einen Theil des von den Kleidern geschützten Körpers enthüllte, bemerkte man eine Haut von blendendem Weiß.

Marcela trug ein Kleid aus braunem Etamine, das an die Kutte der Franziskaner erinnerte, aber ohne Kragen und Kapuze, nur am Gürtel durch eine Schnur zusammengehalten war. In der Tasche, deren senkrechte Oeffnung an der rechten Seite bemerklich war, trug sie einen großperligen Rosenkranz, dessen kupfernes Kreuz heraushing. Die Stimme, welche Don Beltran nach den ersten Begrüßungen vernahm, glich der eines Knaben: sie war von sonorem Timbre, der oft weich klang und so das Geschlecht der Büßerin verrieth.

– Obwohl diese armen Leute, sagte Marcela, Ihren Namen verballhornten und von einem Don Jordan de Beltraneta sprachen, habe ich gleich errathen, worum es sich handelt, und verstanden, daß Sie es sind, der mir die Ehre erweist, mich aufzusuchen.

– Die Ehre ist auf meiner Seite, sagte Don Beltran, indem er den Hut zog und ihre Hand küßte. Ich bin glücklich, eine Person, die ich als Kind gekannt, als Heilige verehrt zu sehen.

– Mein Vater schätzte sie sehr, antwortete Marcela, um die Komplimente kurz abzuschneiden. Zehn Tage vor seinem Tode besuchte er mich und wir sprachen lange von Don Beltran ...

– Ich habe Juan Luco immer als einen meiner besten Freunde betrachtet, sagte der alte Edelmann, den diese Details sehr erfreuten. Unter allen Menschen, zu denen ich in meinem langen Leben Beziehungen unterhielt, war Juan der Einzige, den ich immer dankbar fand. Du weißt ohne Zweifel, daß meine thätige Mithilfe es war, welcher Dein Vater die Vermehrung seines Vermögens verdankte.

– Ich weiß es und es machte ihm immer Freude, es zu wiederholen. Er lehrte uns, als wir noch Kinder waren, den ihm geheiligten Namen Urdaneta immer nur mit Respect auszusprechen ... Aber wenn Excellenz eine Unterredung wünschen, dann wollen Sie doch die Absicht, noch heute nach Alcaniz zurückzukehren, aufgeben und mir langsam nach Calenda folgen, wo ich eine konvenable Wohnung besitze und wo ich Ihnen eine Mahlzeit vorsetzen könnte, wenn auch nur eine sehr armselige.

Die ersten Worte der heiligen Frau hatten auf den Geist des Greises eine so angenehme Wirkung ausgeübt, daß er mit Vergnügen zustimmte und hinzufügte:

– Ich folge Dir, wohin Du willst, mein theures Kind, und ich glaube nicht, daß die Armuth mich ängstigen könnte, denn ich bin in eine Lage gerathen, wo es mir zum Ruhme gereicht, mich den Niedrigen anzuschließen.

– Wir leben im Königreich des Unglücks, sagte die Büßerin mit strengem Tone. Die Geißel Gottes hat uns Alle, Reich und Arm, Männer und Frauen, auf das äußerste Elend reducirt, und sie zwingt uns, von nun ab nur Traurigkeit und Schmerzen zu sehen. Der Herr hat uns gezüchtigt, er unterwirft uns sehr harten Prüfungen. Er hat den Tod entfesselt, der Niemanden verschont. Seien wir überzeugt, daß uns nur Einige Minuten des Lebens beschieden sind ... und wenn wir noch auf Erden weilen, so ist's eben nur, weil der Tod schon müde ist ... weil ihm die Kraft mangelt, so viele Existenzen zu vernichten. Wir müssen uns also vorbereiten...

– Gewiß, und ich bin vorbereitet für den Moment, den der Herr bestimmen wird ...

– Bis dahin stärken wir unsere Seele mit Geduld, und danken wir Gott für das Elend und die Mühsal, die er uns auferlegt.

– Ja, mein Kind, ja, danken wir. Danken wir. Ich glaube wohl, daß wir danken müssen.

– Wir müssen fest sein, Don Beltran, das ist die erste Tugend, um alle Uebel zu besiegen.

– Gewiß, gewiß, theure Tochter, murmelte Don Beltran, wir müssen fest sein, und was mich betrifft, ich ringe nach Festigkeit.

– Der heilige Johann Chrysostomus sagt: »Wenn die Strafen keinen anderen Vortheil hätten, als die Menschen den Frieden und die Ruhe schätzen zu lassen, wären sie auch sehr wünschenswerth.«

– Mein liebes Kind, ich wünsche ja nichts Anderes als Ruhe und Frieden in meinem Alter, nach so vielen Kämpfen und Mühen verdiene ich wohl die Ruhe. Der Herr könnte sie mir sehr wohl zugestehen als Belohnung für den Muth, mit welchem ich mich in den Weg der Aufständischen wagte. Gewiß, Gott schickt uns Strafen und er wird wohl wissen, warum er es thut, und ich bitte Deine Heiligen um Entschuldigung, aber mir wäre es keineswegs angenehm, in die Hände der Carlisten zu fallen, um von ihnen gerädert oder füsilirt zu werden.

– Der wahre Christ, sagte die Nonne mit fester Betonung, aber ohne Affektation, fürchtet nicht nur nicht den Tod, sondern er wünscht ihn sogar. Eusebius erzählt in seinen Annalen: »Die Märtyrer freuten sich, wenn sie glaubten, als Erste nach dem Richtplatze geschickt zu werden, und wenn man sie nicht rief, waren sie trostlos.«

– Der Herr Eusebius mag mir verzeihen, aber ...

– Und der heilige Hieronymus bestätigt, daß der heilige Ignatius kurze Zeit vor seinem Tode aus Syrien nach Rom schrieb: »Wollte Gott mir die Freude gewähren, daß ich bald den wilden Thieren ausgeliefert würde, die mich erwarten, und ich bitte Gott, daß sie nicht zögern, mich zu zerreißen.« Nun setzen Sie an die Stelle der »wilden Thiere« die »Aufständischen« und sagen mir: »Sie mögen kommen, wenn sie wollen, um uns in Stücke zu reißen.«

– In Worten ausgedrückt, klingt das sehr schön, da ich aber kein Heiliger bin, möchte ich mich für die kurze Zeit, die ich noch zu leben habe, beschützt wissen.

Zu Beginn des Dialogs war Urdaneta entzückt von der Festigkeit der Ueberzeugung der wandernden Nonne und von dem strengen Stil, den sie anwandte, um ihre Ueberzeugung auszudrücken; als sie aber mit den Citaten begann, fand er diese tiefe Wissenschaft ein wenig unbehaglich. Er fragte sie, wie sie es vermöchte, ohne zu irren, soviel aus der heiligen Schrift zu citiren, und sie erklärte diese Fähigkeit mit dem wunderbaren Gedächtniß, womit sie begabt war. Sie vergaß niemals, was sie auch nur einmal gelesen hatte; ihr Geist war wie eine große Bibliothek, deren sie sich bediente, ohne in den Bänden blättern zu müssen. Auf dem ganzen Wege citirte sie aus den Kirchenvätern, aus Aristoteles und Cicero. Denn die profanen Philosophen waren ihr gleichfalls vertraut. Don Beltran, den diese ihm ganz unfaßbare Gelahrtheit verblüffte, stellte sich Marcela als eine Art von Papagei vor, der nachplapperte, ohne daß ihm selbst Urtheilskraft eigen war. Und dieses so strenge Urtheil war wohl ein wenig verfrüht.

Gegen Abend erreichten sie eine Vorstadt von Calenda, wo sie ein armseliges Haus betraten, worin sich drei Frauen befanden. Weder im Dorfe noch in seiner Umgebung konnte man einen Mann gewahren. Don Beltran brannte vor Ungeduld, sich zu erklären, er nahm sich vor, mit ihr über sein Geschäft zu sprechen, sobald sie nur das aus trockenen Bohnen und Eiern bestehende Mahl verzehrt haben werden. Marcela, als ob sie seine Gedanken von seinem Gesicht abgelesen hätte, zog ihn in eine Ecke der Stube, wo sie gespeist hatten, die eigentlich ein Ziegenstall ohne Ziegen war.

– Don Beltran, ehe ich mein Nachtgebet und meine Andachtsübungen beginne und ehe Sie sich zur Ruhe begeben – denn man wird trachten, Ihnen ein annehmbares Lager zu bereiten, will ich, daß Sie mir die Motive erklären, die Sie veranlaßt haben, mich aufzusuchen.

– Gewiß, mein theures Kind, ich bedauerte, daß ich bisher nicht davon sprechen konnte. Es ist leicht begreiflich, daß, wenn ich mein Alter den Gefahren einer derartigen Reise aussetze, es nur darum geschieht, weil meine Ehre und die Achtung vor meinem Namen es mir gebieten.

– Gewiß müssen Sie zwingende Gründe haben. Was mich betrifft, glaube ich, wenn ich mich erinnere, was mein Vater kurz vor seinem Tode von Ihnen gesprochen und was meine Brüder später erzählten, und wenn ich hinzufüge, was mein Geist mir zu errathen gestattet, so glaube ich sagen zu können, daß ich die Motive Ihres Besuches kenne.

– Wenn Du sie errathen hast, befreist Du mich von der Langweile, sie erzählen zu müssen, denn es ist niemals angenehm, sein Elend zu schildern ... Aber eine Thatsache muß ich Dir als nothwendiges Vorbegebniß mittheilen, das ist der ernste Zwiespalt zwischen mir und meiner Familie, der meinen Entschluß, Idiaquez zu verlassen und niemals dahin zurückzukehren, veranlaßt hat.

– Ich weiß auch davon, sagte die Nonne mit scheinbarer Strenge, und ich glaube, daß nicht alle Schuld auf Ihrer Familie liegt, daß ein gut Theil auch auf sie zurückfällt.

– Möglich ... Ohne Zweifel ... Ich sage nicht nein ... murmelte der alte Edelmann ganz enttäuscht.

– Denn Jedermann ist darüber einig, daß Sie ein unverbesserlicher Verschwender waren. Sie haben Ihr Vermögen vergeudet und jetzt stehen Sie arm und mittellos da. Effusus es sicut aqua: non cresces. Sie flossen wie Wasser und werden nicht mehr wachsen: »Du wirst nichts mehr besitzen«, wie Jacob seinem Sohne Ruben sagte.

– Gewiß ja. Aber mit meinen großherzigen Ideen, mit meinen vornehmen Gewohnheiten habe ich die Kleinlichkeiten, die Pedanterie immer verachtet.

– Ah, lieber Herr; der Kirchenvater sagt: Qui spernit modica, paulatim decidet. Sie verstehen?

– Liebes Kind, ich habe das wenige Latein, das ich in meiner Jugend gelernt, verschwitzt. Spreche mit mir spanisch und auf gut Spanisch sage ich Dir, daß, wenn auch meine Lebensführung mich in diese Lage gebracht, ich doch zu alt bin, um mich zu bessern.

– Sehr gut, mein Herr. Also mein Vater?

– Dein Vater war zu Beginn dieses Jahrhunderts ein armer Arbeiter, der einen Theil meiner Grundstücke in Pacht hatte. Er war sehr sparsam, sehr arbeitsam. Gegen 1806 oder 1807 mußte ich an den Verkauf dieser Grundstücke denken, und obwohl mir vortheilhaftere Angebote vorlagen und obgleich Juan Luco nur einen kleinen Theil in Baarem zu zahlen vermochte und den Rest in Annuitäten, die er aus dem Erträgniß des Bodens bestritt, gab ich ihm den Vorzug. Dein Vater zahlte, ohne sich zu eilen, wie es ihm paßte, ohne daß ich für die Verzögerungen auch nur einmal die gebührenden Zinsen beansprucht hätte. Stimmt das ...

– Genau.

– Dein Vater zeigte sich immer dankbar für die Art, wie ich an ihm handelte. Allein das ist nicht Alles. Es blieben mir noch die Wälder und Aecker nun Mosqueruela und Forniche Bajo. Juan Luco, der von meinen Geldverlegenheiten wußte, erbat sich, diese zu kaufen. Und auch diesmal gab er mir eine kleine Summe in Baarem und den Rest theilte er in Fälligkeiten ein, die sich bis zum Jahre 1838 hinauszogen. Aber im Jahre 1838 mußte ich eine Ehrenschuld zahlen und Juan Luco bezahlte diese gegen die Rückgabe aller fünf Fälligkeitsscheine, die zwei oder dreimal soviel ausmachen, als er für mich erlegte. Das ist Unordnung, die Verschwendung, ich will's zugeben. Aber die Unordnung, die Verschwendung, die Du mir vorwirfst, haben dazu gedient, den Reichthum Deines Vaters zu begründen, und zwar in dem Maße, daß, als er starb, er der Großgrundbesitzer war, der ich zum Anfang des Jahrhunderts gewesen bin, war ich der arme Mann, der er vor dreißig Jahren war.

– Es scheint also, daß nach diesem Umsturz der Dinge es recht und billig wäre, unsere Rechnungen zu revidiren und ohne auf die vergangenen Thatsachen zurückzukehren, mir zumindest jene Zinsen zu vergüten, die mir nach den Fälligkeiten rechtmäßig zukamen, die ich aber bis auf den heutigen Tag niemals reklamirt habe. Juan Luco hat dies selbst anerkannt, denn vor wenigen Monaten erhielt ich einen Brief von ihm, in welchem er sagte:

»Ich weiß, mein edler Herr, daß Sie in Folge der häßlichen Zeiten und der Gebrechlichkeit menschlicher Größe sich aller Mittel entblößt sehen. Wenn Ew. Exzellenz mit Ihrem Vermögen nicht auch das Gedächtniß verloren haben, denken Sie daran, daß Juan Luco es niemals leiden wird, daß der erste Edelmann von Aragonien gegen die Noth ankämpfe.«

– Das ist richtig, sagte die Nonne, indem sie die Bestätigung mit einem Kopfnicken bekräftigte.

– Aber noch mehr, sagte Don Beltran, der lebhafter ward, als seine Sache eine gute Wendung zu nehmen schien. In demselben Brief sagte er: »Denken Sie daran, daß unsere Geschäfte Ihrem Diener viel vortheilhafter waren als Ihnen. Und weil Juan Luco immer ehrlich war, zumal heute, wo sein Vermögen so anwuchs, will er sich nicht durch seinen Egoismus verdammen lassen, sondern durch Großherzigkeit sein Heil erstreben. Sagen Sie mir, wessen Sie bedürfen, und Sie werden nicht so eilen, Ihrem Wunsch auszusprechen, als ich Ihnen zu Hilfe eilen werde.« Das hat Dein Vater geschrieben, und sofern Du, heilige Frau, daran zweifelst, hier ist sein Brief.

– Nein, es ist gar nicht nothwendig, daß Sie mir ihn zeigen, denn was mein Vater mir einige Tage vor seinem Tode gesagt, stimmt mit dem Inhalt dieses Briefes völlig überein.

Don Beltran stieß nach diesen trostreichen Worten einen tiefen Seufzer aus, als wäre er von einer großen Kummerlast befreit worden. Er betrachtete die heilige Frau, deren Blicke zur Erde gekehrt waren, ohne daß ihr Antlitz etwas von seiner marmornen Unbeweglichkeit verlor. Nach einer kurzen Pause erhob die Büßerin ihren Blick und sagte:

– Es ist Zeit, daß Sie sich zur Ruhe begeben, mein Herr. Es ist nur leicht begreiflich, daß Sie nun übernehmen wollen, was mein Vater ihnen anbot. Die Sache ist leicht, was meinen Willen betrifft, aber sehr schwer, was Gottes Willen betrifft, der einzig über die Dinge verfügen kann ... Ich kann Ihnen nicht sofort eine entscheidende Antwort geben; ich muß ernstlich überlegen. Legen Sie sich nieder und schlafen Sie in Frieden. Sie können überzeugt sein, daß die Sorge um Ihre Angelegenheit sich in meinen Händen befindet, in den Händen der Tochter des Juan Luco. So kann für Sie nichts Uebles herauskommen, im Gegentheil, nur alles Gute, das möglich ist ...

Obgleich diese vagen Versicherungen den Wünschen Urdaneta's nicht voll entsprachen, der eine klare und prompte Lösung erwartet hatte, mußte er sich dennoch damit begnügen, und sich auf dem Lager, das man ihm bereitet hatte, ausstrecken. Den Erfolg seiner Angelegenheit mußte er nun der Gerechtigkeit und dem milden Wohlwollen der wandernden Nonne überlassen.

Er verbrachte die Nacht in einer fieberhaften Ungeduld, und sobald es dämmerte, befahl er seinem Diener, ihn anzukleiden. Dann brachten ihm die Frauen eine Suppe, die ihm vortrefflich mundete, und während er aß, meldete ihm Marcela, daß sie unverweilt aufbrechen müßten, daß sie mit den beiden Alten gegen Alcaniz wollte, da sie dort Geschäfte habe. Sie würden zusammen den Weg zurücklegen, und während des Marsches wollte sie Don Beltran mittheilen, was sie in der Angelegenheit, die ihn in so hohem Maße interessirte, in der Nacht beschlossen hatte.

Um die Frage auf die gerechteste Weise zu lösen, hatte sie die Erleuchtung der göttlichen Weisheit erfleht und ihre inbrünstigsten Gebete vereinigt, damit Gott ihr den Weg weise, welchen sie in dieser irdischen Frage befolgen müsse. Unseren alten Edelmann begannen diese Vorbereitungen schon zu beunruhigen, doch folgte er der Nonne, um endlich ihren Entschluß und ihre endgiltige Entscheidung zu erfahren.

Sie benützten eine kleine Maulthierstraße, um den Guadalope zu erreichen, der in dieser Gegend zwischen Gebirgen von mittelmäßiger Höhe eingezwängt, seinen Lauf verfolgt. Marcela ließ Tomé mit den beiden Todtengräbern vorausgehen und sie begann mit Don Beltran über dessen Angelegenheit zu sprechen.

– Vor Allem, liebes Kind, begann dieser, dessen Gedanken immer bei den vergrabenen Schätzen Juan Luco's und seiner Söhne weilten, sage mir, warum diese beiden Greise, die Du Brüder oder Schüler nennst, immer eine Hacke und eine Schaufel mit sich tragen.

– Sie haben sich die Buße auferlegt, allen Todten, welche auf dem Schlachtfelde liegen bleiben, ein christliches Grab zu geben. Nach meiner Rechnung haben sie schon dreihundert Christen, welche der Ambition der irdischen Mächtigen geopfert wurden, begraben.

Diese Antwort war weit davon entfernt, die Ideen und die geheimen Hoffnungen Don Beltrans zu befriedigen, aber er verrieth seine Enttäuschung nicht und sagte in ruhigem Tone:

– Gott lohne ihre Barmherzigkeit! Und nun, da meine Neugierde befriedigt ist, sage mir, ob ich hoffen kann, daß Du den auf mich bezüglichen Willen Deines Vaters erfüllen willst.

In der eleganten, aber strengen Sprache, die selbst ein wenig rauh war und die Marcela sich durch die Lektüre der Mystiker angeeignet hatte und die sie noch mit Citaten schmückte, gleichsam als widerstrebte es ihr, die Entscheidung auszusprechen, erklärte sie Don Beltran, daß sie und ihr Bruder Franciscus keine Kenntniß hätten, wo der Reichthum des Juan Luco vergraben wäre, ausgenommen einen ganz kleinen Theil, dessen Versteck Cinto ihnen bekannt gegeben hatte; sollte es ihnen aber gelingen, das ganze Geld zu entdecken und in Sicherheit zu bringen, was inmitten dieses wilden Kampfes eine sehr schwierige Sache sei, dann wollten sie den Reichthum für fromme Werke verwenden. Franciscus wollte sich auch dem Dienste des Herrn weihen.

– Also, sagte Don Beltran, dem alle diese Heiligengeschichten ein Unbehagen verursachten, wovon er sich nicht befreien konnte, also Dein Bruder will sich dem Gottesdienste weihen. Er wird Messen lesen oder Klostergelübde leisten. Wo ist er? Ich möchte ihn sehen.

– Geduld. Franciscus wird Geistlicher werden, ehe er aber dem weltlichen Leben entsagt, bleibt er bemüht, das Baargeld aufzufinden, das unser Vater vor habgierigen Händen verbarg. Aus dem einen Grunde, dessen Einzelheiten ich Ihnen gab und die Sie durch mich erfahren haben, nämlich den ganzen Schatz zur Gründung einer Stiftung jenes Ordens, dem mein Bruder angehören wird und zur Restaurirung des Klosters Sijena zu verwenden.

– Gut, mein Kind, gut, ich habe verstanden. Aber sag' mir doch: wo ist Dein Bruder?

– In diesem Augenblicke ist er nicht weit von uns und er beschäftigt sich mit der Angelegenheit, die ihn in ebenso hohem Maße interessirt wie mich. Um aber in einer so heiklen Sache Nachforschungen anstellen zu können, war es nothwendig, daß er sich den Christinisten anschloß, und zwar unter dem Vorwande, Sanitätsdienste zu leisten, da sein beklagenswerther Gesundheitszustand ihm eine militärische Beschäftigung nicht erlaubt.

– Ich zweifle nicht daran – bemerkte Don Beltran, dessen Blick sich trübte, als würde ihm eine dicke Binde um die Augen gelegt werden, daß, wenn ich mit Franciscus in Deiner Gegenwart sprechen könnte, Ihr mir einen Beweis Eurer kindlichen Pietät geben würdet, indem ihr mich in den Besitz dessen setzet, was Euer Vater mir zukommen lassen wollte.

– Wenn es mir erlaubt ist, mit dem Marquis Urdaneta aufrichtig zu sprechen, antwortete die Nonne mit sanfter Stimme, möchte ich ihn darauf aufmerksam machen, daß diese unvernünftige Liebe zum Reichthum seines Alters nicht würdig ist. An der Neige des Lebens, wo Gott selbst das Ende aller Eitelkeiten dekretirt hat, wünschen Sie sich noch, was sie ohnehin nicht mehr genießen könnten! Sie haben ja gar nicht mehr die Zeit zum Genusse!

– Liebes Kind, das ist ...

– Theurer Vater und Herr! Die Wahrheit entströmt meinem Munde, ohne daß ich sie zurückhalten kann. Sie müßten den Reichthum verachten, vergnügt sein, daß sie ihn verloren ... wenn man Ihnen welchen anbietet, ihn ablehnen und ihn von sich entfernen, wie die Fäulniß der Pest. Ja, Don Beltran, ich erinnere sie daran, was Paulus zu den Hebräern sagte: »Ihr habet mit Freuden die Kunde empfangen, daß man Euch Eurer Güter beraubt hatte!« Ja, theurer Herr, freuen Sie sich, daß man Sie Ihrer Schätze entblößt hat und wünschen Sie nicht, sie wieder zu erlangen.

– Aber ...

Und der unglückliche Greis konnte nicht fortsetzen, die Kehle preßte ihn, daß er kaum vermochte eine Silbe auszusprechen.

– Ueben Sie, üben Sie, Herr Marquis, fuhr Marcela wie inspirirt fort, üben Sie die Tugend der Geduld, welche alle übrigen Tugenden in sich einschließt. Lieben Sie die Armuth, und segnen Sie die Entbehrungen.

– Aber, mein theures Kind, vermochte Don Beltran endlich hervorzubringen, was die Geduld betrifft, hat wohl Niemand so viel als ich. Du wirst sehen ...

– Tertullian sagte: »Wo Gott ist, da befindet sich auch seine Freundin, die Geduld.«

– Ich stimme mit Tertullian vollkommen überein, aber, Frau Romanistin – fuhr Don Beltran plötzlich französisch fort – ich liebe es nicht, wenn Leute bei jedem Anlaß und ohne jeden Anlaß mit lateinischen und griechischen Brocken um sich werfen.

– Don Beltran, ich spreche nicht französisch.

– Donna Marcela, ich spreche nicht lateinisch. Also unterhalten wir uns in unsrer Muttersprache.

– Ich sage Ihnen nun in dieser Sprache, daß wir uns am Guadalope befinden und daß mir mit Tomé und den beiden Greisen versuchen werden, den Fluß zu übersetzen.

Die Uebersetzung des Flusses vollzog sich ohne Zwischenfall und Don Beltran schritt auf den Ziegenpfaden düster und seufzend weiter, während hinter ihm die Nonne, den Rosenkranz in der Hand, betend und langsamen, mühsamen Schrittes durch die kalte, nebelverhüllte Gebirgsgegend ging.

Vor den steilen Steigungen bat Don Beltran um Rast, um seine alten Lungen zu Athem kommen zu lassen, und während eines solchen Aufenthaltes sagte Marcela, nachdem sie ihr Gebet eilig beendet hatte, zu ihrem Begleiter, der ganz verzweifelt schien:

– Mein theurer Gebieter, ich bedaure lebhaft die Ungelegenheiten, die ich Ihnen verursachte. Ich habe während des ganzen Weges zu Gott gebeten, daß er mich erleuchte. Von Gott mußte die Idee kommen, die mich soeben beschäftigt und die ich Ihnen nun mittheilen will

– Gewiß, wenn diese Idee wohlthätig und mitleidig ist, dann stammt sie von Gott. Sprich rasch.

– Während des ganzen Weges dachte ich daran, daß Sie in Ihrem Alter, an diesem traurigen Abend eines Lebens voll Verschwendung und Vergeudung, Ehrenschulden kontrahirt hatten, Verpflichtungen, die an Ihren guten Ruf rühren und daß Sie als guter Christ diese erfüllen wollten, ehe Sie sterben.

– Theures Herzenskind, nun sprichst Du wie die Weisheit selbst, sagte Don Beltran fast weinend und bereit, sich vor ihr niederzuknien und den Saum ihres Kleides zu küssen.

– Gut, mein Herr, Sie werden erhalten, was hiezu nöthig ist, aber unter der Bedingung, daß Sie sich dem religiösen Leben weihen, sich der Zurückgezogenheit widmen und bis an Ihr Ende beten. Sie werden sich um die Begleichung Ihrer Schulden und um die Regelung Ihrer irdischen Angelegenheiten nicht zu kümmern haben. Mein Bruder, oder wen er hiezu beauftragen wird, wird es sich angelegen sein lassen, die Ehre des Namens Urdaneta herzustellen, indem er alle Ihre Schulden begleichen wird. Von nun ab werden Sie nur leben, um Ihre Schulden an Gott zu tilgen.

– Aber ... Verstehen wir uns recht ... Die Idee ist nicht schlecht ... Aber erkläre mir das deutlicher ... Muß ich Mönch werden, ehe Du meine Schulden bezahlst?

– Es scheint, daß diese Idee Sie erschreckt?

– Nein, Theure, nein ... Aber ...

– Glauben Sie vielleicht, daß Sie mehr sind als Kaiser Karl V. ? ...

– Nein, nein, wir sind ja in Ordnung. Ich wünsche ja die Ruhe, die Entsagung, sagte Don Beltran, der es für besser fand, erst seine Einwilligung zu geben, um dann die Konzessionen zu erlangen, die seinen Wünschen entsprachen. Ich finde nichts Unannehmbares daran ... Die Idee ist sehr gut ... Aber denke daran, daß meine Verpflichtungen dringend sind.

– Ueber allen Dringlichkeiten steht jene, die Reichthümer Juan Luco´s ihrer heiligen Bestimmung zuzuführen.

Ich stimme zu. Gewiß ...

– Aus Rücksicht für den Freund und Protektor unseres Vaters wollen wir eine Ausnahme machen, indem wir einen Theil des Schatzes dazu verwenden, die Reputation eines edlen Aragonesen zu retten. Aber das kann nur unter der Bedingung geschehen, wenn Sie Ihre restlichen Tage Gebeten und der Enthaltsamkeit widmen. Denken Sie daran, daß, wenn Gott Ihnen dieses elende Häuflein Gold gibt, dessen Sie bedürfen, um Ihre irdischen Angelegenheiten zu ordnen, er es Ihnen nicht Ihrer schönen Augen willen gibt, sondern für Ihre Seele, was wieder nur seine unendliche Güte beweist.

Der arme Greis konnte in diesem Augenblick nur mit einem tiefen Seufzer antworten, dann erst lenkte er seine Gedanken auf den Wunsch der Nonne, zu der er in zarten Euphorismen und vagen Andeutungen sprach. So legten sie ein Stück Weges zurück, und in dem Momente, da sie die Stadt Codonnera bemerkten und zum Abstiege sich rüsteten, stieß Tomé entsetzte Schreie aus. Hinter ihm kamen die beiden Alten, aber weniger eilenden Schrittes. Don Beltran empfand einen heftigen Stich im Herzen, der ihm eine große Gefahr ankündigte, und es war auch so, denn Tomé schrie nun:

– Die Aufständischen! Die Aufständischen!

Ehe zwei Minuten vergangen waren, hatten sich die Befürchtungen des jungen Mannes als begründet erwiesen. An der Wendung des Bergpfades erschienen sechs Männer, dann mehr als zwanzig, und schließlich eine so zahlreiche Truppe, daß sie auf Don Beltran den Eindruck einer ganzen Armee machte.

Starr, wie festgewurzelt, preßte Urdaneta die Zähne aneinander und stotterte unartikulirte Flüche; Marcela stellte sich ohne ein Zeichen der Furcht in die Mitte des Pfades und blickte die Ankömmlinge ruhig an, ohne daß ihr Gesicht auch nur die geringste Erregung verrathen hätte.


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