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Ein Fürst unter den Hofmalern

Auszüge aus einem alten französischen Tagebuch

 

Valenciennes, Sept. 1701

M Meines Vaters grosse Werkstätte ist eben renoviert worden. Jener köstliche, verfallene alte Platz hat nun seine moosüberwachsenen Ziegel und die grünen Moos- und Regenflecke eingebüsst, die sich, so lange wir denken können, auf der weissgetünchten Mauer befanden, der gegenüber, in dem kleinen Bildhauerhofe, wir der Kühle wegen im Sommer sitzen.

Mit des alten Watteaus Arbeitern kam sein Sohn, »das Genie«, meines Vaters Pate und Namensvetter, ein dunkelhaariger Jüngling, dessen grosse, unruhige Augen fortwährend nach den verschiedenen Zeichnungen, die hier ausliegen, zu wandern schienen. Mein Vater beharrt dabei, dass er in der That ein Genie und ein geborener Maler sei.

Wir haben unsere September – Messe auf der » Grande Place« gehabt, ein wundervolles Gemisch von Klang und Farbe auf dem geräumigen, offenen Platze unter unseren Fenstern. Und gerade dort, wo das Gedränge am lebhaftesten war, fand man den jungen Anton, der in eine der leeren Nischen des alten Rathauses hinaufgeklettert war und die Vorgänge nach dem Leben skizzierte; er that dieses mit einer Art Anmut – mein Vater wies darauf hin – mit einem solch' wundervollen Feingefühle, gewisse Dinge auszulassen, zu übergehen, während er die gemeine Wirklichkeit behandelte, wie man sie von seinem eigenen Fenster aus sieht, dass der abgedroschene alte Harlekin, der Clown und Colombine wie Personen in einem Märchenlande erschienen; oder wie unendlich geschickte Tragöden, die spasseshalber einmal das Narrengewand angelegt haben und fähig sind, eine Welt voll ernsthafter Anschauungen in ihr possierliches Aussehen zu legen. Eine Art von Komödie, die nur von der anderen Seite gesehene Tragödie sein soll. Er brachte seine Skizze heute zu uns, und ich war anwesend, als mein Vater ihn befragte und seine Arbeit besprach. Aber der Jüngling schien nicht sehr erfreut und liess das ihm angebotene Glas alten Malagas unberührt stehen. Sein Vater will nichts von der Erziehung des Sohnes zum Maler wissen, obwohl er nicht arm ist und kürzlich ein neues Steinhaus gebaut hat, gross und grau und kalt. Sein altes getünchtes Haus mit den schwarzen Balken in der Rue des Cardinaux war hübscher; es stammte aus der Zeit der Spanier und war eines der ältesten in Valenciennes.

 

Oktober 1701

Hauptsächlich infolge der dringenden Bitten meines Vaters hat der alte Watteau eingewilligt, seinen Sohn einem hiesigen Maler in die Lehre zu geben. Früh morgens, wenn ich von der Messe zurückkehre, treffe ich ihn schon auf dem Wege nach seinen Zeichenstunden. Denn er arbeitet noch immer bei den Maurern, nützt aber die frühen und spätesten Stunden so viel wie möglich aus, wenn immer er frei ist. Und dann hat er die Festtage, deren es in dieser altmodischen Stadt so viele giebt. Ah! Solches Talent, wie er es hat, scheint doch ein Mal ausnahmsweise des grössten Fleisses wert. Er macht wundervolle Fortschritte. Und doch, weit davon entfernt, eingebildet auf das zu sein, was ihm schliesslich so leicht fällt, hat er, so glaubt mein Vater, zu wenig Selbstgefühl, um einen endgültigen Erfolg zu erzielen. Er ist nämlich geneigt, sich zu schnell mit sich selbst und seinen eigenen Schöpfungen zu entzweien. Doch giebt es auch hier eine goldene Mittelstrasse. – Ja; ich könnte mich fast beleidigt fühlen, durch eine Art Ironie, die manchmal die halb melancholische Süsse seines gewöhnlichen Benehmens durchkreuzt, wenn ich nicht einsähe, dass er sich selbst nicht anders behandelt.

 

Oktober 1701

Anton Watteau kommt jetzt oft hierher. Es ist der Instinkt einer natürlichen Feinheit in ihm, dem kahlen Steinhaus und den behäbigen alten Leuten zu entrinnen, wenn immer er kann. Die Rauheit seines Heims hat sein Empfinden für selbst den bescheidenen Schmuck des Lebens in ein physisches Bedürfnis verwandelt, wie Hunger oder Durst, die zur Gier anwachsen können; und mich dünkt, er überschätzt vielleicht diese Dinge.

Trotzdem, wie er nun einmal ist, muss sein hartes Schicksal in dieser rohen Umgebung notwendigerweise rühren. Und dann gewinnt er durch die Erfahrung meines Vaters, der viel von Kunst versteht, weit über seine eigene Kunst, die Bildhauerei, hinaus; und Anton ist ihm nicht unwillkommen. Während dieser letzten regnerischen Wochen besonders, wo er nicht im Freien skizzieren kann, wo schon ein neuer Guss kommt, ehe der Wind das Pflaster nur halb getrocknet hat und die Leute zu Hause bleiben. Der einzige Laut von draussen ist das Knarren eines ruhelosen Fensterladens in seinen Angeln oder der Marschtritt jener müden Soldaten, die unaufhörlich über die Place kommen und gehen; man weiss kaum, ob aus oder in die Schlacht gegen die Engländer und Oesterreicher, von einer Niederlage oder einem Siege. –

Es ist jetzt, als ob er ganz zu unserer Familie gehörte. »Er wird weit kommen!« meint mein Vater. Er würde weit kommen im wörtlichen Sinne, wenn er könnte – nach Paris, nach Rom. Man muss zugeben, dass unser Valenciennes ein stiller, nein! ein schläfriger Ort ist, schläfriger als jemals, seit er französisch ist und aufgehört hat, so nahe an der Grenze zu liegen. Das Gras wächst hoch auf unseren alten Wällen, und es ist angenehm, dort spazieren zu gehen – spazieren zu gehen und zu träumen; angenehm für eine friedliche, dem Ehrgeiz abgewandte Seele wie die meinige.

 

Dezember 1702

Anton Watteau ist heute nach Paris abgereist. Das kam ganz plötzlich. In Paris geht es lustig zu. Ein in Flandern wohlbekannter Dekorationsmaler, den wir hier haben, hat den Auftrag erhalten, in einem Pariser Theater zu arbeiten; und der junge Watteau, den er oberflächlich kannte, ist in seiner Gesellschaft abgereist. Er weiss nicht, dass ich es war, die den Dekorationsmaler überredet hat, ihn mitzunehmen; dass er den Jüngling nützlich finden würde. Wir boten ihm unsere kleinen Geschenke dar – feine, selbstgemachte Spitzen für seine Manschetten und dergleichen; denn in Paris muss man auftreten können, und er ist schlank und gut gebaut. Ich selbst schenkte ihm eine seidene Börse, die ich vor langer Zeit für einen anderen gestickt hatte. Wir werden nun sein Geschick aus der Ferne verfolgen, über das ich persönlich ganz beruhigt bin. Der alte Watteau hat von seiner Abreise nichts gewusst und kam sehr ärgerlich zu uns.

 

Dezember 1703

Zwölf Monate heute, dass Anton nach Paris ging! Der erste Kampf muss ein harter sein für einen unbekannten Jüngling in dieser ungeheuren, übervölkerten Stadt, selbst wenn er so begabt ist wie der junge Anton Watteau. Doch können wir annehmen, dass er auf dem Wege zum erwählten Ziele ist, denn er kommt nicht zurück, obwohl er wahrhaftig diesen armen, alten Leuten wenig genug von sich selbst berichtet. Die Lehrlinge des Herrn Métayer, für den er thätig ist, arbeiten den ganzen Tag lang, jeder nur an einem einzelnen Teile, – Haar, Gewand, oder Hand – der billigen, phantastischen oder religiösen Bilder, die er zu niedrigem Preise auf den Fusssteigen der pont Notre-Dame zum Verkaufe ausstellt. Anton ist bereits der Geschickteste unter ihnen und scheint seit Kurzem dazu befördert worden zu sein, an Kirchenbildern zu malen. Der Gedanke daran macht mir Vergnügen. Er bekommt für seine Mühewaltung drei livres die Woche und täglich seine Suppe.

 

Mai 1705

Anton Watteau hat den Händler in Bildern à bon marché verlassen und arbeitet jetzt bei einem Maler, der Möbel – jene Cartouchen für Thüren und dergleichen, wie sie jetzt in Mode sind – bemalt, und der gleichzeitig concierge des Luxembourg-Palastes ist. Anton wohnt thatsächlich irgendwo in diesem grossartigen Hause, das des Königs Sammlung italienischer Bilder, die er so gern kopieren möchte, enthält. Auch die Gärten sind prachtvoll und, wie wir seinen Äusserungen entnehmen, vollständig neuartig in Bezug auf Anlage und Schmuck. Ach! Wie ich mich in Gedanken wenigstens ergötze an diesen schönen Gärten, die freier und nicht so steif hergerichtet sind wie diejenigen anderer königlicher Behausungen. Ich kann ihn mir dort vorstellen, wie er sich nach dem langen Sommertagewerk des kühlen Schattens der stattlichen, breitblättrigen Bäume erfreut, deren jeder ein feiner Höfling ist, obgleich er ebenso nach Belieben thut, als wenn er zu dem offenen, unbebauten Land da draussen gehörte, über dem die Sonne jetzt zur Rüste geht. Seine Gedanken jedoch sind inmitten all dieses nicht ganz von der Heimat abgelenkt, wenn ich nach dem Gegenstand eines Gemäldes urteilen darf, dass er für sechzig livres zu verkaufen hofft. – Un départ des troupes, – abziehende Soldaten – eine jener Scenen militärischen Lebens, die man hier in Valenciennes so gut studieren kann.

 

Juni 1705

Der junge Watteau ist heimgekehrt – bei einem so unabhängigen Charakter wie der seinige ein Beweis, dass es ihm wohl geht; und – es ist vereinbart! – dass er bei uns wohnt, anstatt im Hause des Maurers. Die alten Leute glauben, dass er zu uns kommt, um meines Vaters Unterricht zu geniessen. Obwohl wir Franzosen geworden sind, sind wir immer noch alte Vlämen, wenn nicht mit dem Herzen, so doch an der Oberfläche. Selbst in Französisch-Flandern, in Douai und Saint Omer wie ich gehört habe, ist in Kirchen und Häusern, ja selbst in den Strassen eine peinliche und gewissenhafte Ordnung und Sauberkeit bemerkbar. Anton Watteau fällt dies mehr wie jemals auf bei seiner Rückkehr nach Valenciennes, und unsere vlämische Reinlichkeit behagt ihm gewaltig nach seiner Pariser Wohnung, ihm, dem Verehrer von Vornehmheit und Eleganz.

Jene weltlichen Reize, nach denen er als Knabe fast zu hungern und dürsten schien, als seien diese blossen Schmuckstücke des Lebens thatsächlich Notwendigkeiten, nimmt er schon, als ob er immer daran gewöhnt gewesen wäre. Und es liegt etwas Edles – darf ich so sagen? – in der halbverächtlichen Art, wie er sich dessen bedient, was er, glaube ich, im Stillen immer noch überschätzt. Er hat etwas so Gemessenes – le bel sérieux – das mir immer einen jener alten holländischen Staatsmänner, wie sie in ihrer Jugend waren, ins Gedächtnis bringt, wie den berühmten Wilhelm den Schweigsamen vielleicht. Und doch, diesen seinen ersten Erfolg – der wichtiger ist als sein blosser Geldwert, da er für die Zukunft die volle freie Anwendung seiner natürlichen Anlage verbürgt. – kann ich an ihm wie das Aufblühen einer Blume beobachten; und bisweilen überkommt ihn jene Heiterkeit, die von Zeit zu Zeit alle wahren Künstler erfrischen muss, wie hart und »mühevoll« sie auch arbeiten mögen.

 

Juli 1705

Der Reiz alles dieses – sein Äusseres und seine Art – hat sogar meinen jüngeren Bruder Jean-Baptiste gerührt. Er ist sehr eingenommen von Anton, drängt sich ihm fast zu sehr auf und will nur noch Maler werden, obgleich mein Vater ihn gern zu seinem eigenen Berufe herangezogen hätte. Es mag dem Kinde gut thun. Er braucht die Entfaltung einer grossherzigen Sympathie oder eines Gefühles in dieser seiner beschränkten kleinen Seele, wie ich manchmal gedacht habe, wenn er sein kleines Gesicht und seine Hände im Schlafe bewegte. Ein zehnjähriges Kind, das nur daran denkt, zu sparen und zu versuchen, seine kleinen Ersparnisse aufzuspeichern! Trotzdem ist er sonst nicht selbstsüchtig und liebt uns alle mit einem warmen Herzen. Jetzt gerade sind es die Augenblicke in Antons Gesellschaft, die er zählt wie ein kleiner Geizhals. Immerhin! Das mag ihn davor bewahren, eine gewisse Niedrigkeit des Charakters zu entwickeln, die ich manchmal für ihn gefürchtet habe.

 

August 1705

An diesem Sommerabend kamen wir spät nach Hause – Anton Watteau, mein Vater, meine Schwestern, der junge Jean-Baptiste und ich – von einem Ausflug nach Saint-Amand, den wir unternahmen, um Antons letzten Tag, den er mit uns verbringt, zu feiern.

Nachdem wir die grosse Klosterkirche und ihre Reihe von Kapellen besucht hatten, mit ihrem kostbaren Überfluss an geschnitzten Altären, goldenen Reliquienschreinen und Wappenschildern in gemaltem Glas, halb sichtbar durch eine reiche Einfassung aus Marmor und Messing, assen wir in dem kleinen Gasthause im Walde zu Abend. Anton, der in seinem neumodischen, langschössigen Rocke gut und grösser aussah, als er wirklich ist, veranlasste uns, unsern Rahm und unsere wilden Erdbeeren ins Freie zu bringen, und gruppierte uns nach seinem Geschmack für eine flüchtige Skizze in jenem grossen Taschenbuche, das er bei sich führt, auf dem sanft geneigten Abhänge eines der grünen Plätze im Walde, wo die Bäume sich ein wenig öffnen, während Jean-Baptiste und meine jüngste Schwester zu den Weisen eines wandernden Flötenspielers, der uns aufgefunden hatte, auf dem Rasen ein Menuett tanzten. Er freut sich sichtlich auf seine Rückkehr nach Paris und wurde für einen Augenblick offener und lebhafter als ich ihn je gesehen habe, während er sich mit uns über die Gemälde des Peter Paul Rubens in der hiesigen Kirche unterhielt. Seine Worte, während er davon sprach, schienen mir wie erfüllt von einem prachtvollen Abendrote, durch das ein seliger Glanz wandert. Doch gefällt mir viel besser als diese Rubens'schen Bilder eine Arbeit jenes alten holländischen Meisters, Peter Porbus, die, allerdings beinahe unsichtbar, in unserer Kirche zu Hause hängt. Die Schutzheiligen, welche schlicht und schirmend zu beiden Seiten stehen, führen zwei behäbige alte Leute der in der Mitte thronenden Madonna zu. Und inmitten ihrer »Glorie« – als matte, kleine, runde Bilder gemalt, die wiederum in die Öffnungen eines aus blassen Blumen bestehenden Rosenkranzes gesetzt sind – sagt ihr Blick und ihre Haltung dass alle Gefühle für sie erstorben sind, bis auf ein grosses Mitleid. Ihr Kleid von gedämpftem Blau thut meinen Augen viel wohler als die heissen Fleischtöne der Mediceeischen Damen des grossen Peter Paul trotz jener Fülle und königlichen Ruhe der Bewegung unter ihren steifen Hofkostümen, angesichts welcher Anton den Mut zu verlieren meint.

 

August 1705

Ich bin gerade von der Frühmesse zurückgekommen. Ich verweilte lange, nachdem der Gottesdienst vorüber war, und zergrübelte mir den Kopf darüber, wie man einem kleinen Vogel helfen könnte, der in die Kirche geflogen war, aber den Ausgang nicht wieder finden konnte. Ich vermute, er wird dort bleiben, verwirrt im Kreise herumflatternd, hoch unter dem gewölbten Dache, bis er vor Erschöpfung stirbt. Ich muss einmal von einem Dichter gehört haben, der das Leben des Menschen mit einem Vogel verglich, welcher ein einziges Mal nur, in einer Winternacht, einen lichterglänzenden Saal von Fenster zu Fenster durchschwirrt. Der Vogel, zum Gefangenen geworden durch das Missgeschick eines Augenblickes, durchmisst denselben geschlossenen Kreis wieder und wieder, bis er in dem dumpfen Gewölbe der grossen Steinkirche verendet; – auch so mag das menschliche Leben sein!

Anton Watteau kehrte gestern nach Paris zurück. Ja! Gewiss, es scheint, als wolle er sich zu hohen Thaten emporschwingen; so hoch, dass es vielleicht schwerer und schwerer wird, ihm auch nur in Gedanken zu folgen oder sich vorzustellen, wie sein Leben sich auf jenen Höhen gestaltet.

 

Januar 1709

Anton Watteau hat sich um den sogenannten Prix de Rome beworben, da er sehr wünschte, aus der grossartigen Einrichtung, die König Ludwig der Vierzehnte zur Anspornung französischer Künstler in Rom stiftete, Nutzen zu ziehen. Er erhielt nur den zweiten Preis, hat aber nicht auf seinen Wunsch verzichtet, die Italien-Reise zu machen. Könnte ich bei berechnender Sparsamkeit genug für diesen Zweck zurücklegen? Es könnte ihm auf irgend eine Weise indirekt übermittelt werden, so dass es ihn nicht beleidigte.

 

Februar 1712

Heute lesen wir alle mit vielem Vergnügen in der Gazette unter anderen Ereignissen aus der vornehmen Gesellschaft, dass Anton Watteau unter dem neuen Titel peintre des fêtes galantes zum Mitglied der Akademie und gleichzeitig zum peintre du roi ernannt worden ist. Mein Bruder Jean-Baptiste lief hinüber, um die Neuigkeit dem alten Jean-Philippe und der Michelle Watteau zu berichten.

Eine neue Malweise! Die alten Möbel in den Wohnungen der Leute, müssen wie es scheint durchaus verändert werden, um mit den Bildern zu harmonieren; oder die Malerei ist vielmehr für eine ganz besondere Art von Zimmern ausschliesslich bestimmt. Eine Malweise, die, wie man vernimmt, hoch geschätzt wird von jenen Pariser Kunstverständigen, welche die beste Gelegenheit gehabt haben, sich damit vertraut zu machen, was in der Kunst den höchsten Genuss verschafft. Das ist die That des jungen Watteau! Er erwartet, mehr Aufträge auf seine Arbeiten zu erhalten, als er ausführen kann. Er, so elegant und nach den Farben des Lebens hungernd, wird sicherlich Geschmack finden an dem Verkehr mit jenen reichen Kunstliebhabern, wie M. de Crozat, M. de Julienne, dem Abbé de la Roque, dem Grafen des Caylus und M. Gersaint, dem berühmten Bilderhändler, die alle so begierig sind, ihn in ihren eleganten hôtels zu beherbergen und seine Gesellschaft in ihren Landhäusern zu geniessen. Paris, hören wir, war nie so reich und üppig als jetzt, und die grossen Damen überbieten sich gegenseitig, um seine Malereien selbst auf ihren Fächern zu haben. Diese ungeheuren Vermögen scheinen jedoch sehr schnell aus einer Hand in die andere zu gehen. Und Antons neue Manier! Ich bin ganz unfähig, sie zu erraten, mir den Trick und die Wirkung vorzustellen. Nur etwas wie Leichtigkeit und Koketterie kann ich entdecken, ganz verschieden, deucht mich, von seinem eigentümlichen Ernst und von seiner Schwermut, die mehr dem gewichtigen Schmuck der Zeit Heinrich des Achten oder Ludwig des Dreizehnten in diesen unseren alten dunklen spanischen Häusern, entspricht.

 

März 1713

Wir waren alle sehr glücklich – Jean-Baptiste wie in einem köstlichen Traum. Anton Watteau, den wir über des Knaben Ausbildung zum Maler befragten, hat uns grossmütigerweise angeboten, ihn als seinen eigenen Schüler anzunehmen. Mein Vater schien erst, aus einem mir unbekannten Grunde, zu zögern; aber Jean-Baptiste, dessen Begeisterung für Anton sein ganzes Wesen verklärt und verschönert, hat die nötige Erlaubnis erlangt, und dieser liebe jüngere Bruder wird uns morgen verlassen. Unser Kummer und der seinige bei diesem ersten Abschied von uns überwog doch im letzten Augenblicke noch die Freude, die wir über sein Glück empfanden, gerade als wir einander gute Nacht sagen wollten. Eine Zeit lang schien eine gewisse Unruhe sich unter unserem heiteren Gespräch zu verbergen, als wenn jedes nur mit Anstrengung etwas verheimlichte; bis endlich Jean-Baptiste selbst unterlag. Und dann setzten wir uns wieder nieder, blieben noch beisammen, und überliessen uns unseren Gefühlen bis fast gegen Morgen. Meine Schwestern weinten sehr. Ich kann mich besser beherrschen. In wenigen Tagen wird das köstliche neue Leben für ihn anfangen; und ich habe mir von ihm versprechen lassen, oft an uns zu schreiben. Mit welch' einem kleinen Teile meines Lebens werde ich wirklich in Valenciennes leben!

 

Januar 1714

Jean-Philippe Watteau hat heute einen Brief von seinem Sohne erhalten. Die alte Michelle Watteau, deren Augenlicht schwach wird, obwohl sie immer noch, halb tastend, an ihren Kissenspitzen arbeitet, freute sich, dass ich ihr den Brief noch ein Mal laut vorlas. Er erzählt – wie bescheiden, und fast als etwas Selbstverständliches! – seine kürzlichen Erfolge. Und doch! – wenn er an diese alten Leute schreibt, unterschätzt er nicht etwa absichtlich sein gutes Geschick und sein anscheinendes Glück, um sie nicht unangenehm zu berühren durch den Kontrast zwischen den köstlichen Vergnügungen des Lebens, das er jetzt mit den Reichen und Vornehmen führt, und ihrer dürftigen Existenz in ihrem alten Heim? Ein aufgeregtes, drängendes, unbefriedigendes Leben! Das ist es, was der Brief unter einer so anziehenden Aussenseite wirklich enthüllt. Wie sein Talent sich entfaltet, so auch die unheilbare Ruhelosigkeit, von der man annahm, dass sie nichts sei, als die natürliche Laune eines vielversprechenden Jünglings, der noch alles vor sich hat. Und nun scheint das einzige wirkliche Vergnügen, das er von alledem hat, der Gedanke der Unabhängigkeit zu sein, die es ihm ermöglicht, ganz wie es ihm einfällt, von einer Wohnung in die andere flüchten zu können. Er hat schon, etwas unenthaltsam, mehr als eines dieser vornehmen Häuser verlassen, deren grosszügige Gastfreundschaft solchen Eindruck auf ihn machte und die ihn so bereitwillig aufnahmen. Kann er wirklich die Thatsache seines grossen Erfolges und die Belohnungen, die noch vor ihm liegen, nicht erfassen? Jedenfalls scheint er, nach alledem, jene elegante Welt, in der sich zu bewegen er jetzt das Glück hat, nicht sehr zu schätzen, und findet jedenfalls nur wenig Gefallen an seinen eigenen Werken, nach deren Anblick ich so dürste.

 

März 1714

Wir alle – Jean-Philippe, Michelle Watteau und wir selbst – waren halb in Erwartung eines Besuches von Anton: und heute, ganz plötzlich, ist er bei uns. Ich schlenderte nach der Frühmesse in der Kirche Saint Vaast umher. Es thut mir wohl, dort zu sein. Unsere Verwandten liegen unter einem der grossen Marmorplatten vor dem jubé, in dessen messingnen Gedenksäulen ihre Namen und die Daten ihres Todes eingraviert sind. Die Bank aus geschnitzter Eiche, die um das ganze Schiff läuft, ist meines Vaters eigenes Werk. Die ruhige Geräumigkeit des Ortes selbst wirkt wie eine Meditation, ein »act of recollection« und reinigt das Herz von seinen Wirrnissen. Ich vermute, dass das tiefe Summen des carillon seinen Tritt gedämpft hatte, denn als ich mich umwandte, mich allein glaubend, stand Anton Watteau bei mir. Ein ständiger Beobachter der Lichter und Schatten auf allen Dingen, wie er, besucht er Orte dieser Art zu ungewöhnlichen Stunden. Er hat Jean-Baptiste in Paris bei der Arbeit gelassen und wird dieses Mal bei den alten Leuten wohnen, nicht bei uns; obgleich er den grösseren Teil des heutigen Tages in meines Vaters Werkstätte verbracht hat. Trotz seines Verkehrs in der vornehmen Gesellschaft hat er sein zurückhaltendes und befangenes Wesen noch nicht abgelegt, ein Wesen, das er allerdings gegen alle an den Tag legt, doch sicherlich nicht aus Stolz auf seinen Erfolg, wie manche glauben könnten, denn er war immer so. Es scheint vielmehr, als ob bei all diesen Erfolgen, das Leben mit seinem alltäglichen Treiben ihm etwas wie eine Last sei.

 

April 1714

Endlich werden wir etwas von seinem neuen Stil – dem Watteau-Stil – kennen lernen, der von der eleganten Welt in Paris so sehr geschätzt wird. Er hat es sich in seiner Güte in den Kopf gesetzt, unseren Hauptsalon, das Zimmer mit den drei langen Fenstern, welches das erste Stockwerk des Hauses einnimmt, auszumalen und zu dekorieren. Dieses Zimmer sei ein Markstein, dachten wir immer, ein Mark- und unantastbarer Meilenstein alter Valencienner Mode, dieser düstern Mode, die sich in Kontrasten von schwarz oder dunkelbraun mit Weiss gefällt, und die von den Spaniern hier zurückgelassen wurde. Zweifellos hatten ihre Augen diese Schattenkühle angenehm gefunden, wenn sie sich vor dem stechenden Sonnenscheine ihres eigenen Landes einschlössen. Aber in unserem Lande, wo wir nicht mit dem Schatten, sondern mit dem Sonnenschein sparsam umgehen müssen, bedrückt diese Grossartigkeit etwas das Gemüt. Nun denn, der rauhe Mörtel, den wir so gut es ging, mit Stücken von alten gewirkten Tapeten behingen, ist durch zierliche Holzpanele ersetzt worden mit nachgeahmten Säulen und ganz ätherischem Geranke um eingelassene Flächen aus einem Stoff in blassrosa und gewisse ovale Öffnungen – zwei über den Thüren, die sich zu beiden Seiten des grossen Sophas, dem Fenster gegenüber, öffnen, eine über dem Kamin und eine über dem Büffet, das sein vis-à-vis bildet – vier Öffnungen im Ganzen, die nach und nach mit Phantasien über die vier Jahreszeiten, von seiner eigenen Hand gemalt, ausgefüllt werden sollen. Er will uns von Paris Armstühle, nach einem neuen, von ihm selbst entworfenen Muster und passend überzogen, sowie ein gemaltes Clavicymbel senden. Unsere alten silbernen Leuchter nehmen sich auf dem Kamine gut aus. Seltsame, blassfarbige Blumen füllen kokett die kleinen leeren Stellen da und dort, den Geistern von Blumensträussen gleich, die vor langer Zeit von Besuchern zurückgelassen, so verblichen, den Tod ihrer alten Besitzer mitfühlen; denn trotz seiner neumodischen Eleganz hat all dieser Schmuck wirklich wenig von einer neuen Sache; er ist vielmehr das letzte überlebende Ergebnis all der heiteren Zierden vergangener Zeiten. Ja, die Wände selbst scheinen auszurufen: – Nein! scheinen zarte Anspielungen zu machen, an eine Musik, eine Unterhaltung, gewandter als irgend eine, die wir gekannt haben oder möglicherweise hier finden könnten. Was ihn selbst anbetrifft, so konversiert er gut, aber sehr wenig. Er versichert uns, dass der »neue Stil« in der That etwas altes sei, aus seiner eigenen Vergangenheit hier in Valenciennes, als er, während der langen Stunden, die er als Maurerjunge arbeitete, im Geiste dieses oder jenes Haus, in dem er beschäftigt war, mit diesen Märchengebilden überkleidete; einem Stück »Kammermusik« gleich, deucht mich, ein Teil zu dem andern in besonderem Verhältnisse stehend, indes keinem zu aufdringlichem Tone gestattet ist, die zarte Harmonie von Weiss und Blassrot und kleinen goldenen Tupfen zu durchbrechen. Trotzdem muss man zugestehen, dass alles sehr bequem ist; der elegante Kamin statt des grossen alten Kachelofens. Die alten schweren Möbel unserer Grosseltern können nur mit Mühe in den Dachkammern untergebracht werden, sehr gegen meines Vaters Willen. Um ihn mit der Veränderung zu versöhnen, malt ihn Anton in einer grossen Perrücke und mit einer kräftigeren Häufung von Licht und Schatten, als er gewohnt ist, sich zu gestatten.

 

Juni 1714

Er hat die Ovale vollendet: – die vier Jahreszeiten. Oh! Die sonnige Grazie, die Freiheit und Zartheit des »Sommer« – ein Heufeld, wie wir es heute besuchten, aber grenzenlos und mit Andeutungen von italienischer Flächenarchitektur in der heissen, hellen, verschwindenden Ferne; und Blumenkränze, märchenhafte Heurechen und dergleichen von Baum zu Baum gespannt, mit jener wundervollen Leichtigkeit, die einer der Reize seiner Arbeiten ist.

Ich kann dadurch endlich verstehen, woran er sich ergötzt, was er auswählt und vorzieht in dieser mannigfaltigen Welt, in der wir unser Leben zubringen. Ich bin verblüfft von der Reinheit des Zimmers, das er für uns der Mode entsprechend umgestaltet hat – eine Art moralischer Reinheit; selbst in den Formen und Farben der Dinge. Ist das wirkliche Leben in Paris, in das er bald zurückkehren wird, ebenso rein, dass die Leute da an derartigem so viel Geschmack finden? Nur schade ist's, will mich bedünken, dass er so viel von seiner Arbeit, von sich selbst, an Gebrauchsgegenstände wendet, die durch den Gebrauch verderben oder verschwinden, wie unsere eigenen Möbel durch den blossen Wechsel der Mode.

 

Juli 1714

Am letzten Tage von Anton Watteau's Besuch machten wir einen Ausflug nach Cambrai. Wir traten in die Kathedrale: es war zur Vesperstunde, und es begab sich, dass Monseigneur le prince de Cambrai, der Verfasser des Telemaque auf seinem Platz im Chor war. Er scheint sehr alt zu sein, übt sein Amt nur selten aus und ist nie in Paris zu sehen; und Anton hat sehr gewünscht, ihn betrachten zu können. Sicherlich war es der Mühe wert, so weit hergekommen zu sein, nur um ihn zu sehen und ihn seinen priesterlichen Segen erteilen zu hören, mit einer Stimme, so schwach, aber von unendlicher Süsse, und mit einer unaussprechlich graziösen Bewegung der Hände. Ein wirklicher grand seigneur! Sein geläutertes Alter, die äusseren Spuren von Genie und genossenen Ehren, selbst seiner Enttäuschungen, wetteifern mit natürlicher Anmut, ihn zu ausgezeichnet – ein passenderes Wort fehlt mir – für diese Welt erscheinen zu lassen. Omnia vanitas! scheint er zu sagen, aber mit einer tiefen Resignation, welche die Dinge, mit denen wir uns am liebsten beschäftigen, kleinlich genug erscheinen lässt. Omnia vanitas! Ist das in der That der richtige Kommentar zu unserem Leben, wenn er, wie in diesem Falle, von einem kommt, der alles, was das Leben zu bieten hat, sich zu eigen gemacht haben könnte? Doch hat man ihn nie bei Hofe gesehen, und er hat hier fast wie ein Verbannter gelebt. War »unser grosser König Ludwig« eifersüchtig auf einen, der durch natürliche Anlagen und durch die Gunst des Himmels ein wahrer Grand Seigneur oder Grand Monarque war, so dass er seine Gegenwart nicht ertragen konnte?

 

Juli 1714

Mein eigenes Porträt bleibt bei seiner plötzlichen Abreise unvollendet. Ich sass dafür in einem Ausgehekleid, das nach seinen Angaben gemacht war – ein Gewand aus einem eigentümlichen seidenen Stoff, das in einer Menge kleiner Falten herabfällt und mir »einen gewissen Ausdruck von Pikanterie« verleiht, der ihm gefällt, aber weit entfernt ist von meinem wahren Selbst. Meine alte vlämische faille, die ich immer tragen werde, steht mir besser.

Ich bemerke, dass unser gutherziger aber manchmal etwas schwieriger Freund sehr wenig über unseren Bruder Jean-Baptiste sagt, obwohl er weiss, wie besorgt wir um ihn sind – er sprach nur von seinem andauernden Fleisse, vorsichtig und nicht gerade nur mit Zufriedenheit, als ob der Anblick davon ihm lästig falle.

 

September 1714

Wird Anton jemals jene langgeträumte Reise nach Italien unternehmen? Um seinetwillen wäre ich froh, wenn er es thäte. Nur scheint es trostlos weit über all diese grossen Hügel und Ebenen. Ich denke daran, wie ich einst einen Plan schmiedete, ihm eine Summe, gross genug für den Zweck, zu verschaffen. Aber dessen bedarf er nicht mehr.

Was mich selbst anbetrifft, so kann ich oft nicht umhin, zu fragen, wie ich die Zeit hinbringen soll, obwohl mich das in einem Leben, so kurz wie das unsrige, als etwas unaussprechlich trauriges berührt. Die trübe Langeweile eines langen feuchten Tages weicht gerade jetzt einem Aufglühen wässerigen Abendrots, das, einen Augenblick eine klare Nacht verheissend, von dem fernen Horizonte unserer stillen Welt über Felder und Weidengehölze die unruhigen Wetterfahnen und hochgeschweiften Fenster des Turmes auf der place beleuchtet, von dem das Angelus tönt. Ich ziehe den Salut in Saint Vaast vor. Der Weg dahin ist lang, und ich bilde mir immer ein, dass ich Anton zu irgend einer Zeit dort wieder treffen könnte; gerade wie als Kind, als ich eines Tages eine winzige Schachtel in der Form einer Silbermünze gefunden hatte, noch lange hinterher an jedem Geldstück herumprobierte, das in meine Hände kam, in der Erwartung, es möchte sich öffnen.

 

September 1714

Wir sassen im Watteauzimmer, um an diesem schwülen Abende der Kühle zu geniessen. Ein plötzlicher Windstoss liess die Lichter in den Wandleuchtern aufflackern. Das ferne Grollen, das den ganzen Nachmittag angedauert hatte, brach endlich im Gewitter los; und durch den fallenden Regen rasselt ein Wagen über den Platz, hält vor unserer Thür: im nächsten Augenblicke ist Jean-Baptiste wieder bei uns; aber mit bitteren Thränen in den Augen; – entlassen!

 

Oktober 1714

Jean-Baptiste! Auch er von Anton verschmäht! Das macht unsere Freundschaft und geschwisterliche Sympathie wärmer, und noch immer, wenn er in jenem Watteauzimmer arbeitet, nicht weniger emsig als früher und immer noch so voller Anhänglichkeit an seinen alten Meister, glaube ich Anton selbst zu sehen – von dem Jean-Baptiste noch nicht zu sprechen wagt – ich glaube seinem Werke näher zu kommen und das Grosse an dem Meister zu verstehen. So mag Jean-Baptistes Werk, so verwandt dem seinigen, für die Zukunft das Hauptinteresse meines Lebens bilden. Dahinein will ich mich vergraben.

 

Februar 1715

Wenn ich etwas von diesen Dingen verstehe, so malt Anton Watteau jenes raffinierte Leben von Paris zum Teile deshalb so ausgezeichnet, mit so viel Geist, weil er schliesslich nur darauf herabschaut oder es verachtet. Mich dazu zu überreden, ist meine weibliche Genugthuung für seine Bevorzugung – seine anscheinende Bevorzugung – einer Welt, die so verschieden von der meinigen ist. Diese Koketterien, diese eitlen und vergänglichen Reize, können nur so vollkommen wiedergegeben werden, wenn man sie genau versteht. Für ihn muss sie verstehen sie verachten bedeuten; während sie ihn – ich glaube ich weiss warum – nichtsdestoweniger fesseln. Daher diese Unzufriedenheit mit sich selbst, die mit seinem Ruhme gleichen Schritt hält. Es wäre besser für ihn gewesen – er würde ein reineres und wirklicheres Glück genossen haben – wenn er hier geblieben wäre, unbekannt; wie es auch vielleicht für mich besser gewesen wäre!

Das ist etwas ganz anderes bei Jean-Baptiste. Er nähert sich jenem Leben und all seiner hübschen Nichtigkeit von einem Standpunkte, der nicht höher ist als dies selbst; und weil er dort anfängt, wo Anton Watteau in Verachtung aufhört, schafft er ein dauerndes und wirkliches Abbild jenes Lebens und seiner Art und Weise.

 

März 1715

Es giebt Züge in seinen Bildern, – ich begreife das infolge seiner eigenen, durchaus bescheidenen Bemerkungen – die er wirkungsvoller herausarbeitet als Watteau, von dem er sich endlich zu sprechen getraut hat, indem er mit einer wundervollen Nichtachtung seines eigenen Selbst bei jedem seiner Bilder, die im übrigen so richtig und wahr sind, darauf hindeutet, wie Anton dies und das, mit welch spielender Überlegenheit er die Sache besser, ja das Unmögliche gemacht haben würde.

 

Februar 1716

Es giebt gute Dinge, anziehende Dinge im Leben, die für den einen und nicht für den andern bestimmt sind – vielleicht nicht für mich; wie es hübsche Kleider giebt, die nicht jedem stehen. Ich bemerke in mir eine gewisse Unbeweglichkeit der Gemütsart, die zu beschleunigen oder zu stören mir wie körperlicher Schmerz ist. Er, so glänzend, mutwillig, beweglich! Ich fühle mich viel wohler in Jean-Baptistes Nähe – in Berührung mit seiner stillen, gleichmässigen Arbeit und Lebensweise. Zuerst that er die Arbeit, an die er sich gemacht hatte, nur mürrisch; aber die mechanische Anstrengung hat sein Gemüt und seine Laune endlich aufgehellt, wie ein finsterer Tag durch unmerklichen Wechsel ganz klar und heiter wird.

Beim ersten Morgengrauen betritt er sein Atelier, das Watteauzimmer, wo er den ganzen Tag bei der Arbeit bleibt. Die dunklen Abende verbringt er, indem er fleissig die Bilder mit dem crayon vorbereitet, die er während der Tagesstunden zu vollenden hat. Seine Arbeit ist auch sein Vergnügen: Nur selten geht er in die Gesellschaft, deren Sitten er wiederzugeben hat. Die Tiere in seinen Bildern, Schosstiere, sind blosse Spielzeuge: er weiss es. Aber er vollendet eine grosse Anzahl von Arbeiten, Thüraufsätze, Clavicymbelkästen u. dgl. Seine glücklichsten, seine stimmungsreichsten Augenblicke legt er, gleich Ersparnissen feinen Goldes, in ein besonderes Bild – ein wirkliches opus magnum, wie er hofft, – »Die Schaukel.« Er besitzt das Geheimnis, überraschende Effekte zu erzielen mit einem gewissen perlgrauen Seidenstoff, für den er eine Vorliebe hat; und man muss zugestehen, dass er Hände malt – was natürlich ein Zeichner wenigstens doppelt so gut verstehen sollte als alle anderen Leute – mit unvergleichlichem Ausdrucke.

 

März 1716

Ist es das deprimierende Resultat dieser Arbeit, einer zu peinlichen Arbeit? Ich weiss nicht. Aber manchmal – es ist seine einzige Melancholie – hat er eine seltsame Furcht vor Armut, vor Dürftigkeit und armseliger Umgebung in seinen alten Tagen, die mich an seine kindliche, von je bei ihm bemerkte Anlage, zu geizen, erinnert. Und dann – ruhmloser Watteau, der er ist! – verwandelt sich zu Zeiten jene Beharrlichkeit, durch die er in solch grossem Gegensatze zu Watteau steht, in einen Strahl des Genies, eine Grazie, einen unerklärlichen Hauch der Wahrheit, wobei all seine Schwere ihn eine Zeit lang verlässt, und er thatsächlich den Meister übertrifft; wie er mir selbst, wenn auch bescheiden, beteuert. Und doch sind es gerade diese Augenblicke, wo er den Unterschied zwischen sich und Watteau am meisten fühlt. »In seinem Lande« sagt er, doch ohne den geringsten Neid, »sind ja alle Kieselsteine Goldklumpen.«

 

Juli 1716

S'ist ein köstlicher Aufenthaltsort, den Anton zur Zeit hat – das hôtel oder Stadthaus des M. de Crozat, das nicht nur eine bequeme Wohnung, sondern auch ein kostbares Museum ist, welches zu sehen glückliche Leute von weit und breit kommen. Auch Jean-Baptiste hat das Haus gesehen und beschreibt es. Die Altertümer, schöne Kuriositäten jeder Art – und vor allem die Originale jener alten Meister, die Anton so sehr bewundert – sind dort überall um einen herum, so dass der Einfluss, der Geist dieser Dinge, unbemerkt auf die Menschen einwirken, in sie eindringen und das formen, was man thut. Das Haus liegt nahe bei der Rue Richelieu, aber ringsum ist ein grosser Garten. M. de Crozat veranstaltet hier seine musikalischen Aufführungen, und Anton Watteau hat die Wände eines der Zimmer mit den vier Jahreszeiten bemalt, in der Art des unsrigen, aber zweifellos durch nochmaliges Überdenken verbessert. Dieser schöne Ort ist jetzt für eine Zeit Antons Heim. Das Haus hat nur ein Stockwerk mit kleinen Fenstern in dem mansard-Dache, ganz wie ein Gutshaus auf dem Lande. Ich denke mir, dass Anton sich dahin für einige Augenblicke vor den Besuchern geflüchtet hat, die ihn ermüden; und so kann er, selbst in der Mitte von Paris die tauige Frische des Gartens atmen. Ich selbst ersticke fast an diesem Sommernachmittage in unserem hübschen Watteauzimmer, wo Jean-Baptiste selbstzufrieden arbeitet.

 

Mai 1717

Trotz allem, was sich ereignete, hat Jean-Baptiste auf einen Besuch Anton Watteaus gehofft, den dieser sich vorgenommen hatte. Er hofft immer – hat eine geduldige Hoffnung –, dass Anton wieder, wie früher, sein Gönner wird. Und nun ist er wirklich unter uns, an seiner Arbeit – ruhelos und beunruhigend, mager wie eine Frau, die mit einem nervösen Leiden behaftet ist. Ist es denn also nur Mitleid, das man mit dem Herrlichen haben muss? Eben hat er Jean-Baptistes Arbeiten kritisiert, der sein Urteil grossmütig, dankbar entgegennimmt. Kann es sein, dass er schliesslich seine eigene Kunst nicht wahrhaft liebt, sondern sie verachtet, und dass eine Begeisterung für sie in einem andern, wie in Jean-Baptiste, nur erkältend auf ihn wirkt? Als ob Jean-Baptiste sie überschätzte, oder als ob ein Unedles oder ein grober Fehler, ein Zeichen, dass er in Wirklichkeit sein Ziel verfehlt habe, ihm ins Bewusstsein träte, wenn er sich gelobt hört – als ob solches Lob schwerlich ganz aufrichtig sein könnte.

 

Juni 1717

Und endlich sieht man thatsächlich etwas von seinen Arbeiten – was sie eigentlich sind. Gewisse, langgehegte künstlerische Entwürfe hat er mit hierher gebracht, und will sie jetzt so in aller Ruhe ausarbeiten, in einer Weise wie er es nie zuvor gethan hat.

Diese bezaubernde Noblesse! Kann sie wirklich so vornehm bis in das kleinste, so natürlich aristokratisch sein? Halb verkleidet, zum Spiele der Salon- oder Gartenkomödie des Lebens, haben diese Personen – ebenso wie die Landschaften, die er komponiert und in deren Zufälligkeiten sie sich mit so vollkommener Füglichkeit gruppieren – ein gewisses Licht auf sich, das wir auf etwas Wirklichem vergeblich suchen würden.

Und sie sind in eine wirkliche Architektur hinein komponiert – eine Baum-Architektur, – zu welcher jene moosüberwachsenen Geländer, termes, Statuen, Springbrunnen in Wahrheit nur Zubehör sind. Allein, wenn ich auf diese windstillen Nachmittage blicke, ertappe ich mich jedesmal bei dem unwillkürlichen Gedanken: »Der Abend wird ein regnerischer werden!« Der Sturm lauert immer hinter der schweren Pracht dieser Bäume, über diesen von der Sonne ausgetrockneten Lichtungen oder Rasen, wo sich zarte Kinder, nur leicht bekleidet, in Ruhe ergehen können; und die hundertjährigen Bäume selbst werden kaum noch eine Generation überdauern.

 

Juli 1717

Im Saale der St. Lukas-Akademie hat eine Ausstellung seiner Bilder stattgefunden; und jedermann war dort, um sie zu sehen. Ja: Ausser jenem unwirklichen, phantastischen Licht auf diesen Scenen und Personen, welches er allein ihnen verleihen kann, war ein Licht, eine Poesie in den Personen und Dingen selbst, die wir nicht gesehen hatten. Er hat uns in den Stand gesetzt, es zu sehen; das hat uns sehr gefördert und mich vor allen. Die Welt, die er uns so einladend vor Augen stellt, kümmert sich doch um Reinheit, zieht das Reine vor – in dem was sie sieht – in der Aussenseite der Dinge – und selbst darin liegt ein Kennzeichen, eine Mahnung wenigstens dessen, was das Leben wirklich wertvoll macht. Das ist nun meine simple Auffassung von dem Zweck aller Kunst, sie ist vielleicht ganz weiblich, aber ich werde dabei bleiben.

 

August 1717

Und doch! – um meine Ansicht und Erfahrung etwas anders auszudrücken – mich deucht, Anton Watteau stellt diese galante Welt, diese mit Schönheitspflästerchen geschmückten und gepuderten Damen, diese eleganten Kavaliere teilweise deswegen so zu ihrer eigenen Zufriedenheit dar, weil er sie verachtet, wenn dies als eine Voraussetzung ausgezeichneten künstlerischen Schaffens denkbar ist. Man spricht jetzt von einer neuen Aera, die sich der Welt erschliesst, einer Aera der Brüderlichkeit, Freiheit und Menschlichkeit, von einer Art socialer Freiheit, in welcher die bis dahin unterdrückte natürliche Herzensgüte in tausend Blüten aufknospen wird, von dem Verschwinden des Krieges aus der Welt, von dem Übergang in eine wohlthuende Gemächlichkeit des Lebens – vielleicht auch in eine unendliche Kleinlichkeit des Lebens. Und es ist die äussere Erscheinung dessen, was Anton Watteau, teils durch Instinkt, teils durch seine intellektuelle Kraft festgehalten und mit einem einschmeichelnden Etwas seiner eigenen Empfindung verschmolzen hat. Selbst in Wirklichkeit der alten Zeit entstammend – jener seriösen alten Zeit, die langsam verschwindet und deren Merkmale auf seinem Gesicht ausgeprägt sind – veredelt er durch eine tiefe Melancholie die essentielle Bedeutungslosigkeit dessen, was er in alledem erreichen will und wandelt Kleinlichkeit in Anmut um. Es sieht dies gewiss sehr graziös, frisch, belebt, »pikant« aus, wie sie so gern sagen – ja! und bei alledem, ich wiederhole es, vollkommen rein, und darf sich wohl beglückwünschen zu seiner nur entlehnten, trügerischen Grazie. Denn in Wahrheit ist Anton Watteau immer noch der Maurerjunge und behandelt diese Welt unter einem Banne stehend, dessen Herkunft er sich, wie mich bedünkt, halb bewusst ist, in Verlegenheit über »die wunderliche Art, die ihm eigen«, um seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen. Man sieht ihn magerer und magerer werden, wie er durch die Welt und ihren Beifall schreitet. Jetzt noch erreicht er mit einem wunderbaren Scharfsinn das Geheimnis der Farbenzusammenstellung einer coiffure, einer Toilette, und verleiht so diesen Dingen, ich weiss nicht welchen Schein wirklicher Wichtigkeit. Er wird niemals über das ihm früher Eingedrillte hinauskommen, und diese Kleinigkeiten werden für ihn immer eine Art repräsentativen oder entlehnten Wertes besitzen, indem sie jene unmögliche oder verbotene Welt charakterisieren, die der Maurerjunge durch die verschlossenen Thore des verzauberten Gartens sah. Diese nichtigen und kleinlichen Reize, für ihn die insignia jener erhabenen Welt des edlen Strebens und des Gedankens, rufen ihm selbst jetzt, wo er, wie ich weiss, ihre wahre Kleinlichkeit erkannt hat, durch die Macht der Ideenverbindung, all die zauberische Heiterkeit seines Traumes zurück, des Traumes von einer Welt, die besser ist als die wirkliche. Das ist, wie ich erkenne, das Rezept seines Erfolges, seiner ausserordentlichen Gewalt über Dinge, die ihm so fremd sind. Und ich glaube, es ist mehr wirkliche Heiterkeit in meines Bruders fêtes champêtres – mehr Lebenswahrheit und deshalb weniger Originalität. Ja! Die Welt gewinnt durch eine solche Wiederspiegelung ihres armseligen, gemeinen Selbst in einem Menschen, der all ihre Launen von der Höhe Corneilles wiedergiebt. So komme ich dazu, thatsächlich zu glauben, dass auch seine Tage wirklich glücklichere gewesen wären, wäre er unbekannt in Valenciennes geblieben.

 

September 1717

Mein eigenes armes Porträt, so lange schon begonnen, steht immer noch unvollendet auf der Staffelei seit seinem Abschied von Valenciennes – für immer vielleicht; denn die alten Leute haben in dem harten Winter des vorigen Jahres kurz nacheinander das Zeitliche gesegnet.

Es ist ihm ergötzlicher, zu skizzieren und zu entwerfen als zu malen und zu vollenden; und er ist oft schlechter Laune, weil er das Leben und den Geist seines ersten, mit dem Stifte festgehaltenen Gedankens nicht in einem Bilde niederlegen kann. Er würde gern dort beginnen, wo der berühmte Meister Gerard Dow aufgehört hat, und mit einem einzigen Streiche erraffen, was bei diesem das Resultat unendlicher Geduld war. Es ist der Anschein dieser Art von Schnelligkeit, den er einzig und allein in dem Werke eines anderen schätzt. Für mich liegt darin eine Art Gier oder Habsucht; als ob die Dinge nicht von langem Bestände wären, und man die Gelegenheit erfassen müsste. Und oft gelingt es ihm. Die alten holländischen Maler hüteten mit einer Art von Frömmigkeit ihre Farben und Stifte. Anton Watteau dagegen macht überhaupt kaum einige Vorbereitungen für seine Arbeit oder reinigt auch nur seine Palette, bei dem krampfhaften Bemühen zu improvisieren. Es ist der Unterschied vielleicht zwischen der gesetzten, holländischen Veranlagung und dem ausgelassenen, prickelnden, französischen Temperament dieser neuen Ära, in die er sich geworfen hat. Ach! Es ist schon augenscheinlich, dass auch das Ergebnis an Langlebigkeit und Dauerhaftigkeit verliert – da die Farben von Anfang an ziemlich schnell verbleichen oder sich verändern, wie Jean-Baptiste bemerkt. Es ist so; eine ganze Kleinigkeit verändert oder erzeugt den Ausdruck. Aber dann bedingt auf der andern Seite bei Bildern, deren ganzer Effekt in einer Art Harmonie liegt, die Unbeständigkeit einer einzigen Farbe, die Unfähigkeit des Ganzen, die flüchtige Grazie der gesellschaftlichen Zeitumstände, die es verewigen sollte, zu überdauern.

Das ist bei dem Porträt auf der Staffelei teilweise schon eingetreten. Mittlerweile hat er Jean-Baptiste befohlen, es zu vollenden; und so muss es sein.

 

Oktober 1717

Anton Watteau ist ein ausgezeichneter Litteratur-Kenner, und ich habe – mit unendlichem Erstaunen! – auf meinen Nachmittags-Spaziergängen in dem kleinen Gehölz hier ein neues Buch gelesen, das er zurückgelassen hat – eines seiner Lieblingsbücher, wie es dasjenige vieler in Paris war.

Diese pathetischen Schicksalsschläge, diese heftigen Wechsel zwischen Ausgelassenheit und Reue, die immer, gleich in verbotenen Glücksspielen, die notwendigen Begleiterscheinungen einer ausschweifenden und schuldigen Liebe sein müssen: – Man hat in Paris angefangen, von diesen Sachen zu reden, sich an der Darstellung – Watteau-gleich an Leichtheit und Grazie – zu ergötzen, so wie sie vorgebracht werden in der Geschichte der armen Manon Lescaut, der Treue eine Unmöglichkeit ist in ihrem niedrigen Trachten nach dem Gelde, das ihr Vergnügungen, wie sie sie liebt, erkaufen kann. Unfähig zur Wahrheit, doch voll solcher Zärtlichkeit und so thränenreich auf der einen Seite: auf der andern eine so unbedingte Treue, dass sie der verbotenen Liebe fast die Gesetzlichkeit der Ehe verleiht.

Und dieses ist das Buch, das jene schönen Damen in Watteaus »Konversationen«, die so unendlich rein aussehen, auf das Kissen niederlegen, wenn die Kinder gesprungen kommen, um sich ihre Bänder in Ordnung bringen zu lassen. Doch wie so traurig! Welche Ströme von Thränen! Es ist ein Ton darin, der auffällig gut passt zu der Grazie dieser blätterlosen Birken, die sich vom Himmel abheben, zu dem blassen Silber ihrer Rinde und einem gewissen zarten Duft von Verfall, der aus dem Boden aufsteigt. Es ist alles ein Halbdunkel; und die Heldin, nein! auch der Held selbst, dieser feine Chevalier de Grieux mit all seiner Glut, haben, glaube ich, von Anfang an nur ein halbes Leben in sich. Und beinahe könnte ich mir einbilden, ihnen zu gleichen, wie ich allein hier sitze an diesem Abend, wo ein vorzeitiger Hauch des Winters uns die Welt nur als einen ungastlichen Aufenthaltsplatz für unsere Seele erscheinen lässt. Bei so wenig freundlicher Wärme, sie hier zu halten, fühlt man, dass der geringste Zufall den flüchtigen Gast ganz von uns trennen könnte. So bis zum Herzen kalt scheinen mir die Dinge, wie ich nach der eisigen Stelle in dem bewegungslosen Himmel blicke, die einem tödlichen Flecken gleicht, von dem aus der Tod beginnt, über den Körper zu kriechen!

Und doch, in der Mitte alles dieses, hervorgerufen durch die blosse Kraft des Gegensatzes, kommt mir die lebendige Erinnerung an die wahre Farbe des Sommers, rot von Blumen und Früchten, zwischen den Strassen und Gärten einige unserer alten Städte, die wir besuchten; als der Gedanke an Kälte ein Luxus war, und der Erdboden trocken genug um darauf zu schlafen. Der Sommer war in der That schön; und das ganze Land war wie verzaubert. Eine Art ansteckender Empfindsamkeit überkam uns, wie ein Hauch aus seinen Blumen und seiner blumengleichen Architektur – blumengleich für mich wenigstens – aber deren Schönheit ich nie vorher empfand. –

Und wenn ich daran denke, so muss ich gewisslich bekennen, dass eine wundervolle Wahrheit über diese Liebesgeschichte ausgebreitet ist; ein Zusammenhang zwischen ihnen selbst und den Umständen der Dinge um sie, so tief, dass es scheint, als ob ihr Lebenslauf schwerlich anders hätte sein können als er war. Dieser Eindruck rührt vielleicht vollständig von der Geschicklichkeit des Verfassers her; aber auf jeden Fall darf ich in dem Buch nicht mehr lesen.

 

Juni 1718

Und er hat dieser Mademoiselle Rosalba – »ce bel esprit« – die sich über die schönen Künste wie ein Meister unterhält, erlaubt, sein Porträt zu malen; hat dafür das ihrige gemalt! Sie hält mit ihren beiden Händen den Schoss voll weisser Rosen, Rosa Alba – er selbst hat es überschrieben! Es wird gestochen werden, um es mehr zu verbreiten und dauernd zu erhalten.

Ein Tagebuch ist hier, in der Einsamkeit, wenigstens dadurch von Nutzen, dass es eine Rettung ermöglicht aus vergeblichem Bedauern, Ärger, Ungeduld. Man legt diese und jene ärgerliche Aufregung hinein und wird so von ihnen befreit.

Und dann war es der Wunsch des M. de Crozat, dass die Sache gemacht wurde. Man muss einem Gönner einen Gefallen thun. Die Dame ist auch, wie man mir sagt, schwindsüchtig gleich Anton und nahe daran, zu sterben. Und er, dem immer entweder das Geld oder der Unternehmungsgeist gefehlt hat, jene lang geplante, heiss ersehnte Reise nach Italien zu machen, hat in ihrem Werk den wirklichen Ausdruck und die Farben jener alten italienischen Meister gefunden, die er so gern unter dem Sonnenscheine ihres eigenen Landes studiert hätte. Ach! Wie wenig Frieden haben seine grossen Erfolge ihm gegeben; wie wenig jener Gemütsruhe, ohne die, wie mich dünkt, dem Charakter die wahre Grösse fehlt.

 

November 1718

Seine Sucht nach Veränderung hat ihn thatsächlich nach England getrieben, dieser wahren Heimat der Schwindsüchtigen. Ach! ich fürchte, das mag ihm den Rest geben. In das Heimatland der Schwindsucht; seltsame Laune jener Sehnsucht, zu reisen, der er sich wirklich in seinem Leben so wenig ergeben hat – jener Ruhelosigkeit, die, wie man mir gesagt hat, selbst ein Symptom dieser schrecklichen Krankheit ist.

 

Januar 1720

Wie schon ein Mal hat uns nach langem Stillschweigen ein Andenken erreicht, ein kleines Zeichen, dass er an uns denkt – eine Radierung, der wenigen eine, die er ausgeführt hat, den alten Gegenstand behandelnd: Soldaten auf dem Marsche. Und der müde Soldat selbst kommt wieder einmal nach Valenciennes auf seinem Wege von England nach Paris.

 

Februar 1720

Diese scharfgewölbten Brauen, diese unruhigen Augen, die grösser zu sein scheinen als je – etwas das einen ergreift und in seinem Ausdruck fast schrecklich ist – sprechen deutlich und weisen einen mit Gewalt auf den Gedanken, die Bilanz seines Lebens zu ziehen. Ich denke an den Tag, als er, schon damals mit jener Miene ernsthafter Nachdenklichkeit, – le bel serieux – gefunden wurde, wie er mit solch tiefer innerlicher Wahrhaftigkeit jene malerischen Bänkelsänger auf dem Jahrmarkt der Grande Place skizzierte; und ich finde, in seinem ganzen Lebenslaufe etwas von der tiefen Melancholie des Komödianten. Er, der so wählerisch und kalt ist und niemals »die Darstellung der Leidenschaft gewagt« hat, amüsiert nur die heitere Welt, und er weiss es, obwohl er selbst sich während der ganzen Zeit sicherlich nicht amüsiert. Gerade jetzt jedoch beendet er ein ganz anderes Bild – auch das voll Fröhlichkeit – eine englische Familiengruppe mit einem kleinen Mädchen, das auf einem Schaukelpferde reitet: der Vater und die Mutter, seine Tabakspfeife haltend, stehen in der Mitte.

 

März 1720

Morgen wird er endgültig abreisen. Und heute Abend kamen die Syndici der Akademie zu St. Lukas mit ihren Schärpen und Bannern, um ihren berühmten Mitbürger bei Fackellicht zum Abendessen in ihr Rathaus zu geleiten, wobei all ihr schönes altes Innungs-Silber zur Schau gestellt werden wird. Der Watteau-Salon war erleuchtet, um sie zu empfangen. Es ist etwas in der Erweisung grosser Ehren an Lebende, das einen mit Besorgnis erfüllt, besonders wenn der Gefeierte so sehr einem Sterbenden gleicht. Gott erbarme sich seiner!

 

April 1721

Wir waren gestern Abend gerade im Begriff zu Bett zu gehen, als in grosser Eile ein Bote mit einem Brief ankam von Anton Watteau, in dem dieser Jean-Baptistes Gegenwart in Paris wünschte. Wir gingen nicht zu Bette in jener Nacht; und ehe der Tag graute, war mein Bruder unterwegs, sein Herz voll seltsam widerstreitender Gefühle der Freude und der Besorgnis.

 

Mai 1721

Endlich ein Brief! von Jean-Baptiste, der mit allen möglichen Aufträgen am Bette des Kranken beschäftigt ist. Da Anton sich einbildet, dass Landluft ihm wohl thun würde, hat der Abbé Haranger, einer der Canonici der Kirche St. Germain L'Auxerrois, wo er gewöhnlich die Messe hörte, ihm ein Haus in Nogent sur-Marne geliehen. Dort empfängt er einige wenige Besuche. Aber in Wahrheit sind ihm die Plätze, die ihm einst am besten gefielen, die Leute, nein! die Freunde sogar, nichts weniger als unerträglich geworden. Obwohl er immer noch von Abwechslung träumt und gern die Heimatluft noch einmal versuchte, ist er immer noch fortwährend mit seiner Kunst beschäftigt; aber nur als Lehrer, indem er – mit einer Art reuevollen Eifers, scheint es – Jean-Baptiste unterrichtet, der Erbe seiner unvollendeten Bilder sein und viele seiner Bilder dort fortsetzen wird, wo er selbst aufgehört hat. Er scheint nur noch um eins besorgt; seinem alten entlassenen Schüler das zu geben, was von ihm selbst bleibt, und die letzten Geheimnisse seines Genies. Sein Vermögen – 9000 livres nur – geht auf seine Verwandten über. Jean-Baptiste hat diese letzten Wochen unendlich wichtig gefunden.

Im übrigen: körperliche Ermüdung vielleicht und dieses neue Interesse an einem alten Freunde, haben ihm endlich Ruhe gebracht, eine Ruhe, in der er sich viel mit religiösen Angelegenheiten abgiebt. Ach! bei mir war es immer so. Und man lebt auch so am vernünftigsten. – Bei Frauen wenigstens ist das sicherlich der Fall. Doch welch ein tiefes Mitleid packt einen, wenn man an einen Mann denkt, der vor einiger Zeit noch so stark, nun kalt und müde sein Antlitz von den Dingen wendet, die im menschlichen Leben die grösste Rolle spielen. Es ist jener gemächliche, aber ehrbare eure von Nogent, den er so oft karrikiert hat, der ihm beisteht.

 

Juli 1721

Unser unvergleichlicher Watteau ist nicht mehr! Jean-Baptiste kehrte unerwartet zurück. Ich hörte seinen hastigen Schritt auf der Treppe. Wir gingen zusammen in jenes Zimmer; und dort erzählte er seine Geschichte. Anton Watteau verschied plötzlich an einem der letzten heissen Tage des Juli in den Armen des M. Gersaint. Im letzten Augenblicke hatte er an einem Kruzifix für den guten curé von Nogent gearbeitet, da ihm das kleine, grobe, das dieser besass, wenig gefiel. Er starb mit den Tröstungen der heiligen Kirche versehen. Er ist sein ganzes Leben lang ein kranker Mann gewesen. Er war stets ein Sucher nach etwas in der Welt, das es nicht zur Genüge oder gar nicht giebt.


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