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Vorwort.

Unserer Zeit scheint es beschieden, den letzten Schleierrest, der das Antlitz unserer alten Mutter Erde verhüllt, hinwegzuziehen. Nachdem wir über Afrika schon so viel gehört haben, nachdem uns Mittel- und Ostasien durch Schienenstränge so nahe gerückt wurden, nachdem Grönlands Binnengebiet bekannt geworden und der Nordpol nach einem lächerlichen Possenspiel endgültig erobert ist, nachdem verschiedene Kulturvölker in edlem Wetteifer sich anschicken, die letzten weißen Kartenflecke um den Südpol zu beleben, und Zeppelins Riesenvogel die arktischen Meere überkreisen will, bleiben nur noch verhältnismäßig kleine Züge im Erdenkonterfei zu retuschieren.

Fast möchte man sagen: Schade darum! Denn es liegt ein wunderbarer Reiz für die Angehörigen eines Volkes im ersten Vorwärtsschreiten in fremden Landen, wo die Natur den Pionier mit neuen Augen anschaut und ihm eine unbekannte Ausgabe des » homo sapiens« mit eigentümlichen Eigenschaften und Gebräuchen schwer zu lösende Rätsel aufgibt. Keine bessere Schule kann es geben für echten Mannesmut und kluge Umsicht.

Und auch die Heimgebliebenen ziehen ihren Nutzen aus diesen Forschungen. Denn die meisten Erkunder neuer Gebiete berichteten selbst stolz von dem Erlebten oder hatten doch einen federfrohen Erzähler in ihrer Umgebung, so daß sich eine fast unübersehbare Reise- und Entdeckerliteratur ausdehnt, von Pytheas aus Massilia und Herodot über Ibn Batuta und Marco Polo bis zu Nansen und Sven Hedin.

Es kann uns nicht wundernehmen, daß diese Reisebeschreibungen bei unsern Vorfahren ein dankbares Ohr fanden, damals, als der geistige Horizont des Europäers noch äußerst beschränkt war, als eine uns naiv und kindlich anmutende Phantasie die unbekannten Teile der Welt noch in fabelhafter Weise bevölkerte und lüstern auch aus dem unzulänglichsten, trockensten und unzuverlässigsten Berichte Nahrung sog. Aber auch davon abgesehen strahlt aus Reiseberichten etwas von der Entdeckerfreude auf den empfänglichen Leser aus, der mit seinem Führer durch die neue Welt bangend oder triumphierend zieht.

In trefflicher Weise hat sich ein Großmeister der Erdkunde, Friedrich Ratzel, in einer Abhandlung von den »Reisebeschreibungen« Vergleiche Deutsche Rundschau, Bd. 95, S. 183 ff. und Zeiten und Völker, 1911, S. 81 ff. über deren Wert geäußert. Nachdem er geschildert hat, wie er als Knabe sich bald an den rührseligen und allzu »moralischen« Erzählungen von Horn, Nieritz u. a. satt und überdrüssig gelesen habe und dann durch eine sechzehnbändige Sammlung von Reisebeschreibungen, die ihm zu Gebote stand, ein Liebhaber dieser gesünderen Kost geworden sei, fährt er fort:

»Ich erzähle diese Harmlosigkeiten, weil die Erfahrungen reiferer Jahre mich immer wieder lebhaft erinnern, mit wie richtigem Empfinden die jugendlichen Gemüter anerkennen und ablehnen. Wie oft kehren wir gerade in der Lektüre bei voll gereiftem Urteil zu dem zurück, was uns früh anzog, als man uns noch gar kein Urteil zutraute.

Die Jugend ist die beste und entscheidende Beurteilerin der allgemein gültigen Literaturwerke. Der durch das Fach nicht eingeengte Sinn hat eine natürliche Verwandtschaft mit allem Echten: und außerdem hat sie den Mut ihrer Meinung. Was der Jugend gefällt, das gefällt der Welt.

So liegt denn auch in der Anziehung, die die Reisebeschreibungen auf die Jugend üben, ein Zeugnis ihres allgemein menschlichen Wertes. Was ein Mensch zu sagen hatte, der die Welt ohne fälschende Gläser betrachtete und ohne viel Bedenken anfaßte, und was diese Welt ihm zu sagen hatte, der ihr gegenüber jung und unerfahren ist, das behält Wert für alle Kommenden. In der Erziehung des Einzelnen durch die Welt wiederholt sich die Jugend der Menschheit, und diese ist der Jugend des Menschen immer am verständlichsten.

Es war nicht bloß die Entfernung, die uns die Gestalten der Entdecker und Abenteurer verklärte. Auch daß sie in einer so fremdartigen Umgebung agierten, war es nicht allein, was sie uns wert machte. Für die an Erfahrung arme Jugend nahmen die hervorragenden Gestalten etwas Typisches an. Jede vertrat eine ganze Seite des Lebens, so wie wir es verstanden oder ahnten, löste eine große Lebensaufgabe oder litt unter einem großen Schicksal.

Jeder Entdecker war aus prometheischer Sippe, denn er entrang mit Einsatz seines Lebens den Göttern, was sie nicht freiwillig geben, und brachte den Menschen, was doch die Menschen brauchen: Kenntnis ihrer Erde. Die Polarfahrer, die mit einer unerbittlichen Natur zu ringen hatten, wobei Scharfsinn und Klugheit nichts vermochten, konnten nur den Heroen verglichen werden, und wenn sie unterlagen, sprach uns etwas Titanisches aus ihrem Geschick. Wieder eine andere Gestalt war die des willenlos Umhergetriebenen, des Gefangenen, des Sklaven in barbareskischen oder türkischen Ketten, des Flüchtlings, den nur noch eine wunderbare Verkettung von Verhältnissen zu retten vermag, da seine eigene, längst gebeugte Kraft nicht mehr ausreicht.

 

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Gehört es dem Zeitgeist an, daß diese peinlichen und rührenden Erzählungen außer Kurs gekommen sind? Es scheint in der Tat der Kultus der Entschlossenheit sich ausgebreitet zu haben. Darin liegt gerade ein Hauptreiz dieser Literatur, daß bei dem denkbar buntesten Wechsel der Staffage und der Lebenszustände eine Grundähnlichkeit im Kern bleibt. Das ist das Gemeinverständliche daran. Wenn Nachtigal seinen abenteuerlichen Aufenthalt in Tibesti und seine Flucht oder seine Aufnahme bei dem sonst grausamen, ihm aber mild gesinnten Sultan Ali von Wadai dem Publikum des Herodot erzählt hätte, würde er gerade so gut verstanden worden sein und hätte seine Hörer gerade so entzückt wie 1875 in Berlin oder München.«

In diesem Bändchen finden sich vier Berichte deutscher Reisender aus dem 16. Jahrhundert vereint, in denen wir verschiedene Klassen verkörpert finden. Springer ist der Vertreter des wagemutigen, gewinnlüsternen Kaufmanns, der in die Welt zieht, weil dort die kostbarsten, dem Händler den größten Vorteil versprechenden Waren zu holen sind. Staden und Schmidel stellen uns den abenteuerlustigen Jüngling dar, der dem engen Dasein in der Heimat entfliehen und in der unbekannten Ferne seinem dunklen Tatendrang genugtun will. Zugleich ist Staden auch ein Vertreter jener Reiseberichterstatter, die durch Schilderung ungewöhnlicher, in den Händen unmenschlicher Feinde erduldeter Leiden den Leser rühren. In Rauwolf endlich haben wir den gelehrten, aus Liebe zu seiner Wissenschaft die Fremde aufsuchenden Reisenden vor uns.

Alle vier berichten, ihrem Zeitalter entsprechend, naiv. Sie geben einfach und schmucklos, ohne moralisierende Betrachtung und ohne die eigne Person hervortreten zu lassen, was sie geschaut haben. Alle vier machen den Eindruck unbedingter Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit. Nur in dem, was sie von Hörensagen berichten, zeigen sie sich als Kinder ihrer unkritischen und abergläubischen Zeit, und hin und wieder müssen wir ihr auf falschen Voraussetzungen beruhendes Augenmaß berichtigen. Alle vier haben bei ihren Zeitgenossen und, wie die zahlreichen Auflagen ihrer Reisebeschreibungen zeigen, auch bei den folgenden Geschlechtern Beifall gefunden. Möchten sie ihn – in vorliegender, teilweise gekürzter Form – auch bei den Lesern dieses Bändchens verdienen und finden.


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