Oskar Panizza
Deutsche Thesen gegen den Papst und seine Dunkelmänner
Oskar Panizza

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Vom eisigheissen und süssbitteren Fegfeuer

Ich bin des trocknen Tons nun satt

(Goethe, Faust I}.

Das Fegfeuer ist eine Konstruktions-Anlage der katholischen Kirche, deren Existenz dem gegenüber zu leugnen, der dran glaubt, eine gefährliche Sache sein dürfte. Unter den sechs »Örtern des Jenseits« jedenfalls der Bedeutendste. Die »Hölle« hat längst ihre Schrecken verloren. Jeder, der einmal im Leben oder im Tod »Absolution« oder »Vergebung seiner Sünden« erhalten hat – und jeder Katholik kann sie erhalten, sobald er sich nur die Mühe nimmt, zu beichten, – mag er getan haben was er wolle, – ist damit vor der Hölle bewahrt. Selbst der Delinquent, der zum Tode geführt wird, wird vor seinem letzten Gang absolviert, kommt also nicht in die Hölle. Ist er einmal im Fegfeuer, so ist keine Gefahr mehr. Sein Selig-Werden ist dann nur noch eine Frage der Zeit. Und höchstens diejenigen, die während einer grausigen Tat, oder während sie die Sünde wider den heiligen Geist begehen, vom Tod überrascht werden, gelangen direkt in die Hölle. Dies sind aber nur wenige; und auch hier haben die römischen Banditen – ich meine die Räuber in den Abruzzen – vorgebaut, indem sie sich »vollkommenen Ablaß an einem beliebigen Tag« erkauften, und diesen für alle Fälle mit dem Tag ihres Mord-Anschlages zusammenfallen ließen. Also die »Hölle« existiert eigentlich nicht mehr, weil niemand mehr hineinkommt.


An die Hölle glauben sie im Grunde nicht, weil ihnen die Schwere der Sünde nicht aufgegangen ist, und weil sie demgemäß zu einem Leben in Gott nicht zu bewegen sind. Daher schließt die Kirche durch das Bußsakrament die Hölle. Aber daß es ihnen einst eine lange Zeit hindurch sehr schlecht gehen werde, und daß sie ihre Sünden sämtlich einmal abbüßen müssen, das glauben sie. Darum eröffnet die Kirche das Fegfeuer.

Der nächste »Ort« des Jenseits, der »Himmel«, erregt das Interesse der Gläubigen weniger, als man erwarten sollte. Doch ist es bei näherem Zusehen ganz folgerichtig. Denn da, wie gezeigt, niemand, der sich zur rechten Zeit absolvieren läßt, in die »Hölle« kommt, und dann als definitiver Aufenthaltort für die Ewigkeit nur der »Himmel« übrig bleibt – da das Fegfeuer nur Durchgangsstation – so kommen so zu sagen alle Katholiken, oder nahezu alle, in den »Himmel«. Wie der aussehen wird, werden sie ja sehen; da sie gewiß hineinkommen; worüber sich da den Kopf zerbrechen? Gewiß ist, daß sie da bei mehrstimmigen Chören und Harfen- und Posaunen-Klängen alle Füllhörner der Seligkeiten erschöpfen werden; das Nähere wird sich dann finden; eine ganz gewisse Sache erregt nie so sehr das Interesse, wie eine zweifelhafte; deswegen sind alle Angaben über den Zustand im Himmel in den theologischen Lehrbüchern sehr knapp; genug, daß es »der Himmel« ist, und daß man dort »selig« sein wird.

Der »dritte Ort«, der »limbus infantium«, die »Vorhölle der Kinder«, woselbst die ungetauft sterbenden Neugeborenen bis zum Eintritt des Weltgerichtes verweilen, hat durch den Umstand, daß Kinder, besonders wenn sie so jung sterben, noch keine dogmatischen Spekulationen anstellen oder sich um ihr Seelenheil kümmern, wenig Beachtung gefunden; und die erwachsenen Katholiken geht er nicht an; aber dogmatisch existiert er. – Ähnlich, oder noch ungünstiger, verhält es sich mit dem »vierten Ort«, dem »limbus patrum«, der »Vorhölle der Väter«, das heißt, jener Frommen aus dem alten Testament, welche, vor Christus gestorben, an gesondertem Ort, das Weltgericht erwarten. Es sind, dem Charakter des alten Testaments entsprechend, meist Juden. Und da es Juden, und sie alle gestorben, so ist natürlich das Interesse der heutigen Generationen für den »limbus patrum« sehr gering.

Ein »fünfter Ort«, der, wie ich zu meiner Verwunderung sehe, selbst katholischen Theologen unbekannt ist, »der Löwensee , lacus leoninus«, der auch »lacus profundus«, oder »os leonis« in dem Kanon der Toten-Messen genannt wird, liegt in dichtester Nähe des »Fegfeuers« selbst. Ich halte ihn seines liquiden Gehalts wegen an diesem Ort für wichtig, für spekulativ wie sanitär wertvoll, und komme auf ihn zurück.

Der »sechste«, und weitaus wichtigste »Ort des Jenseits« ist aber das Fegfeuer selbst. Seine Existenz wird meist auf Papst Gregor den Großen zurückgeführt (590-604); wohl deshalb, weil er zuerst Seelen in größerer Menge dahin geschickt, und mit einigen von da Zurückkehrenden sogar gesprochen hat. Doch reicht es viel weiter zurück; schon der heilige Augustin im 4. Jahrhundert spricht von ihm, wie von einer unvermeidlichen dogmatischen Schöpfung; und Tertullian im 1. Jahrhundert hat es wenigstens schon angedeutet. Ob Gänge desselben bis zu dem griechischen Tartaros, oder noch weiter, auf der einen Seite bis nach Persien, auf der andern Seite bis zu den Gräberhöhlen der Ägypter führen, wie viele meinen, soll uns hier nicht weiter aufhalten.

Als Deutscher kann ich hier nicht in die Lage kommen, Persönliches über das Fegfeuer auszusagen, da ich nicht, wie viele Katholiken, weder dort war, noch eine Seele daraus erlöst habe, noch selbst daraus erlöst worden bin. Ich kann mich deshalb im folgenden, wo ich eine getreue Schilderung dieser merkwürdigen Institution zu geben beabsichtige, nur an die objektiven Berichte der katholischen Kirchenlehrer halten; und habe zu diesem Zweck den Tertullian, den heiligen Ambrosius, Cyprian, Hieronymus, Augustinus, Origines, Gregorius den Großen, Basilius, Theodoret, Alcuin, Anselmus, Haymo, Innocenz II., Thomas von Aquin, Bonaventura und andere mit vielem Fleiß studiert; nicht minder auch das wertvolle Büchlein der Gebrüder Benziger in Einsiedeln »Trost der armen Seelen, Belehrungen und Beispiele über den Zustand der Seelen im Fegfeuer, samt einem vollständigen Gebetbuche zum Trost derselben; herausgegeben von Pfarrer Joseph Ackermann«; leider steht mir nur die vierzehnte Auflage vom Jahr 1857 zur Verfügung; ich kann also die Neuerungen der letzten vierzig Jahre nicht mehr berücksichtigen.

Das »Fegfeuer«-Reich, welches im Gegensatz zur »Hölle« oder »infernus inferior«, auch »infernus superior« genannt wird, befindet sich »mit Rücksicht auf das Feuer« in nächster Nähe der Hölle und ist mit dieser durch eine Tür verbunden; es scheint demnach, wenigstens nach der Ansicht meines Landsmanns, des Würzburger Augustiner-Mönchs Bartholomäus, sein Feuer aus der Hölle zu beziehen; Oswald dagegen (den ich nicht mit dem Marien-Oswald zu verwechseln bitte), will das Feuer-Reich »nicht zu nahe an die Hölle rücken und geradezu zu einer Vorhölle machen; in der Tat ist es weit eher als ein Vorhimmel anzusehen«; die Qualität des Feuers will er aber auch mit dem in der Hölle zusammenfallen sehen. Schwierige Dinge! Die ältere, tröstliche Aussicht, daß es sich bei dem Brennen nur um eine Allegorie, um eine geistige Pein, um »die Pein des Verlustes des Himmels«, wie der Pfarrer in Einsiedeln will, handle, scheint sich leider neuerdings nicht zu bestätigen; es ist ein wahrhaftiges »Brennen«, und Oswald hält »wissenschaftlich die Ansicht von einem körperlichen Feuer in der fünften Auflage für die bei weitem wahrscheinlichere«. Die Schmerzen »überbieten verhältnismäßig weit alle Leiden dieser Welt« und sind »grausig und furchtbar«; und auch die rein »geistigen Schmerzen« des Einsiedler Pfarrers, oder »die Qual des Verlustes« sind nach ihm schlimmer, »als tausendfaches Feuer«. Kompliziert wird dieses »Fegfeuer« dadurch, daß darin vollständige Finsternis herrscht: »Es gibt im Fegefeuer nebst der Feuerpein noch andere Peinen der Sinne oder der Empfindlichkeit, vorerst die Finsternis«; auch kommen eine Menge »scharfer« säureähnlicher Stoffe dort vor, »gegen die in diesem Leben nichts Schärferes und nichts Heftigeres erdacht werden kann«; eine weitere Komplikation des »Fegfeuers« ist eine wahnsinnige »Kälte«: »Diejenigen, welche sich im Reinigungsort befinden, erwarten die Erlösung, müssen aber zuerst durch die Hitze des Feuers, oder die Schärfe der Kälte gepeinigt werden«; kein Wunder, daß diese Leute »ohne Unterlaß« schreien und als letzten Kontrast meldet uns Oswald, daß bei allen Feuer-Schmerzen daselbst »viele himmlische Freude« bestehe »wegen der völligen Übereinstimmung ihres Willens« mit den verhängten Leiden.

Ich kann hier nicht mit einer Ansicht zurückhalten: Dieses Fegfeuer mit seinen lohenden Flammen, mit seiner entsetzlichen Hitze, Dunst und Qualm, mit seinem Fettgeruch und Schmalzpfannen, den vielen sauren und gebeizten, scharfen Sachen, die da gegessen werden, dem großen Durstgefühl daselbst, der entsetzlichen Kälte in der Nähe der Türe (trotz großer Hitze im Inneren), dem fürchterlichen Geschrei und dabei doch himmlischen Fröhlichkeit, »wegen der Übereinstimmung ihres Willens mit ihrem Aufenthaltsort«, erinnert mich lebhaft an das deutsche Wirtshaus mit Garküche; schrecklicher kann dort der Qualm nicht sein; nicht schrecklicher das Geschrei; und schlimmer können nicht die Unholdinnen sein, die dort die »armen Seelen« bedienen. Ich halte deshalb »wissenschaftlich die Ansicht für die wahrscheinlichere«, daß seiner Zeit ein päpstlicher Legat Papst Gregor dem Großen die merkwürdige Beschreibung eines deutschen Wirtshauses aus Germanien mitgebracht, und Gregor, betroffen, hiernach die Konstruktion des Fegfeuers in seinen heiligen Büchern gemacht hat.

Denn mit der Begründung der Existenz des Fegfeuers aus der Bibel steht es sehr schlimm. Ich bitte Dich, lieber Leser, bei der folgenden Stelle genau Obacht zu geben, ob Du etwas von einem Feuer entdeckst, ob da etwas »brennt«; es ist die einzige, auf die sich die katholische Kirche ernsthaft beruft; sie steht nicht einmal in einer der Offenbarungs-Schriften; sondern in der erzählenden Literatur à la Susanna; in den Makkabäern II, 12, 43-46, und berichtet von einem jüdischen Feldherrn Judas und seinem Totenopfer für die Gefallenen: »Er ließ eine Sammlung veranstalten, und schickte den Betrag, zwölftausend Drachmen, nach Jerusalem, um sie als Opfer für die Missetaten der Gefallenen darzubringen; denn er glaubte seiner Religion gemäß an die Auferstehung; sonst hätte er das Beten für die Verstorbenen für überflüssig erachtet; und er meinte, daß diejenigen, die fromm gestorben seien, am sichersten die ewige Ruhe gewännen.« Bei den Spielen der Kinder, wenn etwas versteckt wird, und der Suchende kommt in die Nähe, ruft man »Es brennt, es brennt!« Hier brennt nichts. Aus dieser Stelle ergibt sich nur, daß die Juden an die Auferstehung glaubten, daß sie bei der Bestattung der Toten für sie beteten, und ihren Körper zur ewigen Ruhe im Grab liegend dachten. – Ja, von den modernen katholischen Dogmen, der »Unbefleckten Empfängnis der Maria«, der »Unfehlbarkeit des Papstes«, ist keine fester genagelt; im Gegenteil, sie sind noch lidschläfriger.

»Das Fegfeuer ist ein lauter, erdichtet Ding, Trödelmarkt und Geldkram, davon in der heiligen Schrift nicht ein Wort stehet, darauf, doch das ganze Papsttum mit seinen Opfermessen-Vigilien und andere Abgötterei gestiftet und gegründet ist; und ist Dir unverschämtem Buben, Epicurer und Böswicht nur ums Geld zu tun, Deine Tyrannei zu erhalten, nicht um die Seelen!«, – sagte Luther.

»Die reden von der Höllen Pein
als ob die je bekannt möcht sein.
Und was uns geb für Freuden Gott,
die meßen sie aus, mit dem Lot«,

– sagte Hutten.

Weit eher finde ich einen Beweis für das Dasein eines zwischenräumlichen »Orts der Abgeschiedenen« in jener ägyptischen Stelle, die Maspero aus einer Toten-Kammer beschreibt, wo der derselben eingegrabene Text den Besucher um »Hersagung einer Formel bittet, die ihm, dem Verstorbenen, die Reise in die Ewigkeit erleichterte«. Dort finden wir auch schon die mechanische Aufzählung »guter Werke« des Verstorbenen, die damals in der »Lieferung von Ochsen, Gänsen, Wein, Bier, Kuchen und Parfümen bestanden«, auf die sich der Tote mit katholischer Sicherheit hinsichtlich Erringung der ewigen Seligkeit beruft, und die später der römischen Kirche die ungezählten Ablaß-Gelder deutschen Ochsen und Gänsen eingebracht haben«, – sagt Hutten weiter.

Oder auch in der berühmten Stelle bei Vergil, Aeneidos lib. VI, 739–744:

»Dort werden sie nun in Qualen herumgetrieben und sühnen so die Strafen vergangener Verbrechen. Die einen hängen, blutleere Schemen, ausgestreckt, den flatternden Winden preisgegeben; andern stürzt ein gräulicher Gießbach über die befleckten Glieder; wieder andere brennen. Jedes büßt die unvermeidliche Schuld. Und wenige nur gelangen in die freundlichen Gefilde.« – Hier brennt wenigstens etwas! Die katholische Kirche kennt diese Stelle nicht. Um so besser kannte sie Dante.

Doch bleiben wir beim katholischen Fegfeuer – da wir ins ägyptische oder lateinische keinesfalls kommen – und sehen zu, was hier für »gute Werke« nötig sind, um den armen Seelen, die auf Erden nicht eine genügende Menge derselben vollbracht haben, zu helfen. Eigentümlicherweise haben sich hier die Parfüme aus Ägypten in ihrer sünden-tilgenden Kraft gerade in der ältesten Zeit erhalten. Der heilige Hieronymus schreibt über den Tod einer Frau: »Man streut über den Leichenhügel Veilchen, Rosen, Lilien und purpurfarbene Blumen, und benetzt die heilige Asche, und die verehrungswerten Gebeine mit dem Balsam des Almosens; mit diesen Salben und Wohlgerüchen erquickt man die ruhende Asche.« Weit wird man heute damit nicht kommen. Sonst wären unsere Parfürmerie-Handlungen längst zu kirchlichen Ablaß-Läden geworden. Wichtiger ist, daß man sich an die »Vermittler« wendet, denn ohne Vermittler kann ja der Katholik in himmlischen Sachen nichts tun; man wendet sich also an die Jungfrau Maria, die bekanntlich »mit einigen Tropfen ihrer Milch das Fegefeuer auslöschen kann«. Demnächst an den Priester, der für eine Mark – den Preis einer Messe – gewaltige Dinge im Jenseits vermag; auch Engel und Heilige können eingreifen, wenn sie nur angerufen werden. Daß Christus, oder Gott-Vater, oder gar der heilige Geist das Geringste im Fegefeuer vermögen, habe ich in keinem einzigen Lehr- oder Andachts-Buch gelesen. Überrascht hat mich die Wirkung des Wachses, wegen seiner leichten Schmelzbarkeit und Brennbarkeit, als geeignet den Seelen im Fegefeuer zu helfen; noch mehr die des Öles, was doch in diesem Fall direkt »Öl ins Feuer gießen« heißt; sowie die Empfehlung des Weihrauchs, der doch den Dampf nur vermehren würde, als ich die Stelle bei Bartholomäus de Usingen las: »Die erste Art, den Seelen im Fegefeuer zu helfen, ist durch das Sakrament des Altars .... Hierher gehören auch Wachs, Weihrauch, Öl und ähnliche Brennstoffe, obwohl die Lutheraner es verurteilen und darüber lachen.«

Unter den Bibelstellen zweiter Ordnung, auf die sich die katholische Kirche bei der Lehre des Vorhandenseins eines Fegfeuers beruft, befindet sich auch die: Psalm 65, 12: »Wir gingen durch Feuer und Wasser, und Du hast uns herausgeführt an den Ort der Erquickung.« – Da sich ein Fege-Wasser mit derselben Sicherheit, wie ein Fegfeuer, beweisen läßt, so ist vielleicht doch in älterer Zeit, vielleicht unter Tertullian oder Gregor dem Großen, eine dogmatische Verwechslung vorgekommen, und es besteht als dieser ominöse »Ort« im Jenseits ein Fege-Wasser. Mir persönlich ist es gleich, in welchem Element sich die Katholiken martern lassen; da der, der an diesen Ort nicht glaubt, auch nicht hinkommt.

Überrascht hat mich auch, daß den Seelen im Fegfeuer das »Lichterbrennen« helfen soll. Der Einsiedler Pfarrer schreibt: »Es sind der Mittel ihnen beizuspringen viele: Anrufung der Mutter Gottes, der Engel und Heiligen, Bußwerke, Aufopferung der eigenen Verdienste, Lichterbrennen.«

Merkwürdig war mir auch, daß mein schon wiederholt zitierter Landsmann Bartholomäus von Würzburg den armen Seelen mit »Büchern« und »Kleidern« helfen will: »Auch ist es unter den Gläubigen eine ausgemachte Sache, daß es den armen Seelen im Fegfeuer eine Hilfe ist, wenn bei der feierlichen Handlung (Totenmesse) mit Rücksicht auf sie dargebracht werden Bücher, Kerzen, Kleider und sonstige Schmuckgegenstände.« Sind denn die Seelen im Fegfeuer nicht nackt? Und, wenn sie Kleider tragen, verbrennen denn die, und sind nicht imprägniert? Und wozu Bücher? Wollen sie denn studieren? Hören denn die Examina auch im Jenseits nicht auf?

Unter den Bußübungen zur Hilfe der armen Seelen hebt Bartholomäus besonders das »Umherlaufen mit nackten Füßen« hervor: »Die vierte Art, den Seelen im Fegfeuer zu helfen, ist durch Fasten der Angehörigen; und hierher gehört jede Form von Züchtigungen und Körperstrafen, die man zur Sühnung der Sünden auf sich nimmt, wie das Tragen von härenen Gewändern, das Umhergehen mit nackten Füßen, das Enthalten von einigen Speisen und Getränken, und ähnliches derart.«

Ein, wie mir scheint, nicht ganz ungefährliches, und in die diesseitigen Verhältnisse doch empfindlich eingreifendes Mittel zur Befreiung der armen Seelen gibt der Einsiedler Pfarrer an: »ihre Schulden zu bezahlen«, und führt Benedikt XIII. als Autorität an: »Große Hülfe bringt es den armen Seelen, wenn ihre Schulden bezahlt werden«. – Es ist uns eine große Beruhigung, wenn der genannte Papst seine diesbezügliche Auseinandersetzung selbst mit den Worten schließt: »Doch darf nicht gefolgert werden, daß die Seelen, wenn ihre hinterlassenen Schulden gar nicht bezahlt würden, deswegen fortwährend im Fegfeuer bleiben müßten, sondern nur, dass sie durch solche Erstattungen viel geschwinder, oft ganz geschwind erlöst werden«.

Mag dem sein, wie ihm wolle; mag man Eine-Mark-Messen lesen lassen, oder des Verstorbenen Schulden bezahlen; Geld ist jedenfalls das sicherste Mittel, eine Seele aus dem Fegfeuer zu erlösen, und zwar hiesiges Geld. Dies wußte schon Papst Innocenz III. zu Beginn des 13. Jahrhunderts, der sich fünfhundert Mark in Gold vom englischen König Johann ohne Land auszahlen ließ, um eine, sogar exkommunizierte Seele eines Verwandten dieses Königs glatt aus dem jenseitigen Feuer-Schlund zu befreien. Über die Dauer des Feg-Feuer-Aufenthaltes begegnen wir den verschiedensten Ansichten. (Die Lehre ist zweifellos noch nicht ausgebaut). Maldonatus, »einer der größten katholischen Exegeten«, Spanier, 1534-1583, gab als längste Zeit des Verweilens einer Seele im Fegfeuer zehn Jahre an; wurde aber »heftig gerügt«, und sogar der Häresie beschuldigt; waren doch Fälle von »hundert Jahren« damals aus Visionen und Mitteilungen von Erlösten vielfach bekannt; (der Spanier berechnete wohl die Zeit nach seinem eigenen heißen Klima;) auch gibt ja die Kirche schon bis zu zweihunderttausend Jahren Ablaß; und wenn dies auch zunächst rein »irdische« Berechnung ist, so muß doch, da der Ablaß jederzeit auf die Seelen im Fegfeuer »anwendbar« ist, eine Berücksichtigung jenseitiger Verhältnisse angenommen werden. Ganz zweifellos ist die von Oswald aufgestellte Lehre, daß »die mögliche Zeitdauer der Fegfeuer-Strafen für den Einzelnen mit jedem Tag kürzer wird.« – Das Fegfeuer überhaupt dauert nur »bis zum Weltende«, also nicht »ewig«. Trotzdem werden Vermächtnisse und fromme Stiftungen für die Seelenruhe nach dem Tode »auf ewige Zeiten« gemacht und von der Kirche angenommen. Dadurch ist nicht nur jedem Katholiken reichliche Gelegenheit gegeben, aus dem Fegfeuer befreit zu werden, sondern jeder Katholik, der ins Fegfeuer kommt, – und man nimmt das jetzt absichtlich bei jedem an, weil es das Sicherste ist, wieder hinauszukommen – muß auch daraus erlöst werden, denn da die Stiftungen auf »ewig« gemacht sind, hier also »bar Geld«, der stärkste Faktor für die jenseitigen Gewalten, vorliegt, und nach Befreiung des Stifters und Erblassers selbst, »die Frucht der frommen Stiftung den sonstigen Bedürftigen im Fegfeuer zukommt«, so kann das »Welt-Ende« nicht eher beginnen, als bis sämtliche Seelen aus dem Fegfeuer, für die Stiftungen »auf ewig« da sind, erlöst sind. Also muß jeder Katholik selig werden.

Ich komme hier noch einmal auf den »lacus leoninus«, den »Löwensee«, zu sprechen, der stets den Gegenstand meiner tiefsten und freudigsten Betrachtung gebildet hat. Er ist doch da. Die Kirche betet doch ausdrücklich in der Totenmesse: »König der Glorie, befreie die Seelen aller gestorbenen Gläubigen aus dem Fegfeuer und aus dem tiefen See, befreie sie aus dem Rachen des Löwen, daß sie der Tartarus nicht verschlinge, und sie nicht in Finsternis fallen!« – Der See ist also da. Will man etwa, nachdem man das Fegfeuer in der Bibel nicht gefunden und hineininterpretiert hat, den See, der klar dasteht, wegdisputieren? »Errette sie aus dem See, aus dem Rachen des Löwen!« heißt es ausdrücklich. Der Name des Sees ist nicht genannt. Sein Name ist auch nicht wesentlich. Ich nenne ihn Löwen-See – ohne damit einen dogmatischen Druck ausüben zu wollen – weil die Bezeichnung »Rachen des Löwen« gleich daneben steht; welcher ich nur allegorische Bedeutung zumessen kann, da sonst in der entscheidenden Stelle von einem Löwen nicht mehr die Rede ist, und der Ausdruck sich auf das wie ein Löwenmaul zerrissene Ufer des Sees beziehen mag, oder bei tieferer Ergründung des bildlichen Ausdrucks, auf die verschlingende Kraft und verderbenbringende Tiefe des »lacus profundus«. Auch in anderer Beziehung müssen wir die Anwesenheit eines abkühlenden Sees in nächster Nähe des Fegfeuers, wenn der Ausdruck gestattet ist, für glücklich erachten. Wer je in einem russischen Dampfbad war, kennt die Wohltat eines daneben befindlichen mit kühlem Wasser gefüllten Bassins. Auch ist dies kein obenhin geführter Vergleich. Schon der Volksmund spricht von »im Fegfeuer schwitzen«; der Vorgang muß wohl in etwas Ähnlichem bestehen, als wenn man sich mit entkleidetem Körper in einem heißen, mit Dunst angefülltem Raum befindet; analoge Vorgänge verlangen analoge Folgen; und schon eine einfache, auf die physiologischen Bedingungen des menschlichen Körpers eingehende Erwägung lehrt, daß das Schwitzen schließlich ein Ende haben muß, wenn nicht Abkühlung und Wasser-Ersatz erfolgt. Der See ist also vom dogmatischen wie pastoral-medizinischen Standpunkt aus eine Notwendigkeit; und ich halte »wissenschaftlich« daran fest; wenn auch zugegeben werden soll, daß damit dem sinnlichen Ausschmückungs-Bedürfnis der Menge entgegengekommen wird, wovor die fünfundzwanzigste Sitzung des Tridentinums ausdrücklich warnt. Aber welch neue Beweiskraft erhielte nun die Stelle Psalm 65,12: »Wir gingen durch Feuer und Wasser, und du hast uns herausgeführt an den Ort der Erquickung«, die, wie bisher, nur auf das Feuer allein bezogen, die ihr anhaftenden Schwächen nicht verbergen konnte. – Möge DER, der »die verborgenen Ratschlüsse und Mysterien der Gottheit schaut, der mit Christus selbst freundschaftlich umgeht«, wie der Bischof von Asti vom Papst so schön gesagt, diese kurze Erörterung als eine fromme Meditation, die seinem Richterspruch unterworfen ist, ansehen. Mehr sollte es nicht sein. –

Neu war mir die Tatsache, daß viele Seelen das Fegfeuer verlassen und wieder auf die Erde zurückkommen, sogar in ihr Dorf, in ihr Städtchen, um hier, am Ort ihres früheren Aufenthalts, zu »büßen«, Dies gilt nicht als Milderung, sondern als Verschärfung der Strafe. – Es erinnert mich dies an das Gegenstück, wo Menschen, die noch nicht gestorben sind, die Erde verlassen, und als Geister sich zum Beispiel an einem nächtlichen Kirchgang beteiligen, der jedes Jahr in der Nacht vom 1. auf den 2. November stattfindet. Die an einem solchen Kirchgang sich Beteiligenden sterben aber während des folgenden Jahres. Raupach hat die Anschauung in seinem bekannten Allerseelen-Drama »Der Müller und sein Kind« verwertet. Dogmatisch festgelegt ist diese letztere Anschauung noch nicht; wohl aber erstere, vom Verlassen des Fegfeuers, welche, wie uns der Pfarrer von Einsiedeln berichtet, »Wandeln« heißt, und zu deren Stütze er den Thomas von Aquin anführt, einen Kirchenlehrer, dem man den Vorrang vor allen andern einräumt.

»Mit Fabeln die sie han erdicht
Von Seelen (das dann nimmer geschicht),
Daß sie erscheinen hier und da
In Feuers Flammen, bald anders wo,
Muß so viel Jahr im Fegfeuer sein
Und leiden unaussprechliche Pein,
Man thu ihnen dann viel Messen nachlesen
Und andere dergleich Gaukelwesen,
Haben gethan Vigil, Mess, Jahrzeitstiften
Und das alles außerhalb der Schriften.
Daher ist jetzt alle Welt voll Messen...«

Trotz dieser Künste und der großen Empfänglichkeit des Volkes für das Grausige und Schauerliche erhob sich in den folgenden Jahrhunderten merklicher Widerstand gegen die neue Lehre. Die Armen mit ihrer feinen Nase für das, was ihrem schundigen Leib noch mehr Kräfte entzog, rochen wohl heraus, daß es die neue Fegfeuer-Institution im Jenseits auf ihren diesseitigen Geldbeutel abgesehen hatte. Und da auch sie selig werden wollten, so glaubten sie nicht an das teure Fegfeuer. So widersetzten sich die »Lombardischen« und »Lyoneser Armen« der Lehre des Fegfeuers, wie sie auch »allen Prunk, Reichtum, Lichter, Weihrauch, Weihwasser, Prozessionen, Wallfahrten, Gewänder, Zeremonien« verwarfen, und »alle Veranstaltungen, die ins Jenseits hinüberwirken sollten«.

In andern Ländern dagegen, wie England, fand die feurige Lehre bald großen Anhang. Und Burnet schließt seinen Bericht über das Fegfeuer und die Seelenmesse in damaliger Zeit mit den Worten: »Die neue Lehre nahm bald so überhand, daß, ohne eigens deshalb erlassene Gesetze gegen Verschwendung, der größte Teil des Volksvermögens für Seelenmessen in die Klöster geflossen wäre«.

Dabei glaubten die Priester selbst nicht ans Fegefeuer. »Die Römische Geistlichkeit, was Leute von Verstand, wissen auch gar wohl, dass das von der Römischen Kirche erdichtete Fegfeuer nichts anderes sey, als ein frommer Betrug, dadurch der Papst die einfältigen und abergläubischen Laien, als die Kinder mit dem Popantz, im Zwange und Gehorsam erhält, und ihnen dadurch zu seiner so vielen Geistlichen reichlichen Unterhaltung, und der Päpstlichen Kammer Bereicherung, ihr Vermögen aus den Händen künstelt.« So berichtet Magister Hausen in seiner »Hirtentasche«, daß, als er zu Rom mit seinem Ordensbruder P. Bonaventura Pisano zusammentraf, und seine Furcht vor dem Fegefeuer zu erkennen gegeben, dieser ihm geantwortet: »Glaube, daß das Fegefeuer nichts anderes ist als eine fromme Erdichtung unserer Mutter Kirche, bestimmt zur Züchtigung der Sünder und Ernährung ihrer Priester.«

»Damit man aber diejenigen, so ihre Sünde weder selbst noch durch die Ordens-Leute genugsam gebüßt, desto besser schrecken und zu reichen Steuerungen bereden möchte, erdachte man das Fegfeuer, darinnen die Verstorbenen Seelen von ihren übrigen Sünden-Makeln gereinigt, und hernach erst von St. Petro ins ewige Leben eingelassen werden sollten.«

»Das Fegefeuer schmauchte den Ablass hervor. Denn weil die guten Layen des Feg-Feuers Hitze fürchteten, erdacht man zu Rom den Ablass, als ein Mittel, dadurch man dieselben von solcher Peyn befreien, und sie stattlich ums Geld schneutzen könnte. Dahero die Vermögenden bei Zeiten, und damit sie der Tod nicht übereilen möchte, sich um Ablass-Bullen bey dem Papst bemühet, welche sie auch auf etliche tausend Jahre um grosses Geld erkaufen konnten.«

»Aber Peyn der Höllen, oder des Fegfeuers, wer da von ein Wörtlein sagt, unter den tapferen Römern, des Rede halten sie für ein Altesweibergeschwätz«, heißt es in Huttens Schriften.

»Dieses ist des Papsttums reicheste Fund- und Goldgrube gewesen, aus welcher sie mehr Gold und Geldes geschmelzet, als alle Könige und Potentaten der ganzen Welt aus ihren Bergwerken und fündigen Klüften vielleicht nicht überkommen. Sintemal kein Mensch, so etwas Vermögen hatte, leichtlich sterben konnte, dem nicht in der Beichte das Gewissen, zu Bekennung aller begangenen Tod-Sünden zum heftigsten gerühret, und weil er nicht Zeit hatte, dieselbe durch zeitliche Strafe zu büßen, das Fegfeuer so heiß gemacht ward, daß er viel lieber sein Vermögen den Seinigen entzogen, als die Pein des Fegfeuers lange auszustehen erwählet. Und also ist, durch Stiftung vieler Millionen Seel-Messen den geitzigen Pfaffen fast alles Vermögen der Laien, so sie die Zeit ihres Lebens sorgsam zusammen gebracht, in ihren geizigen Rachen geflogen.« In unserer Zeit des faden Leisetretens und der Angst vor jedem verkrümpelten Pfaffengesicht mag eine Stelle aus einem Dialog über diese Seelenmessen aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts erquicken, um welche Zeit unsere deutschen Vorfahren noch den Mut hatten, auch in religiösen Dingen ein kräftig Wörtlein zu sagen:

»Der Kardinal redet zum Papst: Allerheiligster Vater, mir ist aus deutschen Landen eine Epistel zugeschrieben worden: Sommer Bocks Marter! Erschrecklicher, grausamer Ding hab ich nie gehört, ist meiner Vernunft auch nie vorgekommen. Besser wärs, dass das ganze Jerusalem zu Trümmern ging und auf einen Haufen zerstöret würde.

Papst: Bocks Angst, Herr Kardinal, fahrt schon! (geht langsam!) Erschreckt mich nicht so sehr! ich bin im Bade gewesen: Laßt mirs wohl bekommen!

Kardinal: Es sei gebadet oder geschadet, Sommer bocks Erdreich! So bin ich erschrocken, dass mir die bösen Zähne im Kopf wackeln und mich (leider) sehr schwindelt.

Papst: Mein lieber Herr, was ist denn? Betriffts das ganze Erdreich oder sonderliche Leute, oder geht es über einen gemeinen Stand?

Kardinal: Ja freilich betriffts den besten, stärksten Stein im Fundament, darauf unsere ganze Pfaffheit erbauet ist.

Papst: Das walt' alle die Teufel die zwischen Himmel und Erde sind, dass es nur nicht die Messe sei! Wo das Armbrust abginge, sind wir alle erschossen.

Kardinal: Wahrlich, allerheiligster Vater, Euer päpstliche Heiligkeit habens erraten. Nicht allein die Hochgelehrten, ja die groben Bauern speien die Messe an und ist ihnen ein Affenspiel und ärgerlicher Greuel daraus geworden.

Papst: Bocks Schweiss, wie stehet es dann um die Messe? Ist nicht Rat und Hoffnung zu finden? Entgehet uns der Schemel, so liegen wir gar im Dreck und wird unser Prangen und Hoffart aus sein.

Kardinal: Ich bin ganz verstumpft. Rat ihr zu! ich habe weder Vernunft noch Atem. Mich scheissert, ich mach mir sonst gar in die Hosen.

Papst: Was ist doch der Unfall oder welche Gestalt erhebt sich da? Leidet denn die Messe solche grosse Not? Ei, dass Gott erbarm!

Kardinal: Sie ist angeklagt und bezichtigt, sie sei ein Menschen Tand, ein falscher Gottesdienst, ein Greuel und Gotteslästerung und betrüglich Geldnetz, ja eine große Abgötterei, so unter der Sonnen ist nie erwachsen.

Papst: Bocks Hirn! Ist es aber gewiss wahr oder ist es nur ein Abschrecken?

Kardinal: O ho! Es ist gewiss wahr, wie der Tod allem irdischen Leben: allhie ist keine Lüge.«

Sehr schön aber sagt der sonst nur humoristisch aufgelegte Verfasser der »Geschichte des Papsttums«, J. C. Weber, »Mit dem Fegfeuer scheint es zu stehen, wie mit dem Teufel, er ist in uns, nicht außer uns – es gibt ein Fegfeuer, aus dem weder Messen, noch Fürbitten der Heiligen noch Päpste erlösen können – das böse Gewissen.«

Kardinal Bellarmin lehrte: »Der Papst könnte jetzt schon das Fegfeuer abschaffen, wenn er es für gut hielte.« Die Kritik, die in diesen wenigen Worten über Fegfeuer, Papsttum und katholische Kirche heute liegt, hat der große Päpstler vor dreihundert Jahren wohl kaum geahnt.

Nachdem wir gehört haben, daß es für den Ablaß-Handel sogar Aktien-Gesellschaften gibt, dürfen wir uns nicht wundern, wenn es für die Fegfeuer-Erlösung General-Pächter gibt. Santo-Domingo erzählt: »die Geistlichkeit vergibt die Seelen im Fegfeuer in Regie; sie nimmt einen Generalpächter; dieser hat wieder Unterpächter; und diese wieder ein Heer von Subalternen, Mönchen, Nonnen, Handwerkern, Lazzaroni und dergleichen. Diese gehen zu jeder Tageszeit durch die Straßen Neapels und sammeln offiziell für die armen Seelen. Jeder hat eine lange Stange, an deren Ende sich eine Ledertasche befindet, die jedem durch die Straße Gehenden oder an den Fenstern Liegenden oft aus weiter Entfernung und mit dem Ruf präsentiert wird: »für die armen Seelen im Fegfeuer«. Niemand entgeht ihnen. Der Ruf wird mit klagendem Ton ausgestoßen. Auf der Ledertasche sind die Seelen im Feuer gemalt. Niemand entzieht sich der Gabe; da bei arm und bei reich der Glaube festgewurzelt ist, daß ein Versäumnis bei dieser Gelegenheit die schwersten Folgen nach sich ziehen könnte: eine frühzeitige Entbindung, ein verlorener Prozeß, ein Beinbruch, Untreue des Geliebten, würde mit Sicherheit auf ein solches Versäumnis zurückgeführt. Man kann oft bis zu dreißigmal am Tage in dieser Weise angegangen werden. Aber man gibt, wenn auch die kleinste Münze, und küßt dann gleich die auf der Tasche abgemalten Seelen und Flammen.«

Auf dem Tridentinischen Konzil wurde die Lehre vom Fegfeuer im Jahr 1563 als eine heilsame Doktrin – »sana doctrina« – und im bewußten Gegensatz gegen die Protestanten, die vom Konzil ferngeblieben waren, festgelegt. Wenn man heute einen gebildeten Katholiken, einen katholischen Geistlichen, ja einen katholischen Theologen über das Fegfeuer fragt, im Hinblick auf dessen Echtheit, so schaut er einen groß an, und sagt dann im ahnungslosesten Ton: ja das hat ja das letzte große Konzil definitiv bestätigt. – Das ist die letzte Wand, die er greift: »wir müssen der Kirche glauben, auch ohne ausdrückliches Zeugnis der Schrift, wenn wir selig werden wollen, da nicht alles in der Schrift stehen kann« – sagt mit kostbarer Ruhe der Augustiner-Pater Bartholomaeus –»möglicherweise, ja wahrscheinlich, hat Christus viel mit seinen Jüngern über das Fegfeuer und die Reinigung daselbst gesprochen;(!!) aber es ist kindisch!«

Ihr betet für die armen Seelen im Fegfeuer, und bezahlt Messen und Gebete für sie, und sorgt und kümmert Euch ab? – mein Gott, laßt die armen Seelen arme Seelen sein; Ihr macht sie nicht reich noch glücklich, nicht kalt noch warm; wo die sind, gelangen unsere Gebete, gelangt unser Schluchzen nicht hin. Hier ist das Fegfeuer! Hier ist Geschrei und Kampf, Elend und Not, Kälte des Herzens und Wahnsinnsglut! Hier soll Euch das Feuer auf die Fingernägel brennen! Hier werft Eure Brände in die Messe und laßt Eure Flammen leuchten! Hier mitgekämpft und geglüht zu haben, ist höheres Verdienst, höheres Glück und gibt Euch einmal höhere Rechte auf ewige Ruhe, als quietistische, bezahlbare Gebete für Andere zu lallen, – fern vom Schuß, fern von den Flammen! –


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