Oskar Panizza
Deutsche Thesen gegen den Papst und seine Dunkelmänner
Oskar Panizza

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Eingang

Werfen wir doch die Fesseln der Dunkelmänner ab!
Befreien wir uns doch von ihrem Joch!

(Hutten)

Ich weiß nicht, ob wir heute noch eine christliche Gesellschaft haben. Die übergroße Masse der deutschbewußten Menschen unserer Tage setzt ihren Stolz in ihre »Unchristlichkeit«.

Die Katholiken, die sich von wenigen Intellektuellen gängeln lassen, wiederholen, soweit sie Agitatoren sind, eine seit Jahrhunderten eingeübte und auswendig gelernte katholische Fluchformel.

Für einen geradlinigen Schriftsteller, wie den Verfasser, der nur den einen Anspruch erhebt: deutsch zu sein, könnte eine solche Betrachtung des zweifellosen Einschlafens des christlich-religiösen Interesses wenig Anlockendes bieten, wenn der unglückliche, religiös-politische Einfluß des Auslandes, des Vatikans – unglücklich, weil ausländisch –, sich entsprechend diesem weichenden Interesse vermindert hätte. Denn darüber kann heute kein Zweifel sein, daß das immer strengere Insichzusammenschließen der einzelnen Nationen jede ausländische Bevormundung, sei es in welcher Form nur immer, aufs bitterste empfinden muß.

Nun sind aber die Forderungen des Vatikans im Hinblick auf politische Beeinflussung der Staaten der Welt in den letzten Jahren entschieden im Wachsen begriffen. Der Papst dringt in die Parlamente und entscheidet über Abstimmungen. Er beansprucht das Recht der Entscheidung bei seinen Angehörigen in allen Gewissensfragen; und wo käme bei einem ehrlichen Deutschen nicht das Gewissen in Betracht? Noch mehr: eine eigene pfäffische Soldateska, die in seinem persönlichen Dienst steht, lehrt und erzieht ihre Angehörigen in dem Sinne, daß jede Betonung der Interessen des Vaterlandes, jede Zusammengehörigkeit zur Heimat, jede Vaterlandsliebe im Interesse des Apostolischen Stuhls und der katholischen Religion zu unterdrücken sei; und verlangt für die Ausbreitung dieser ihrer Ansichten das Recht der Errichtung öffentlicher Schulen in Deutschland. Und das alles angesichts der zweifellosen Verminderung des Interesses für die christliche Religion überhaupt.

Ein größerer Gegensatz läßt sich kaum denken: auf der einen Seite das immer entschiedenere Betonen der nationalen Zusammengehörigkeit; das Wachsen des Nationalstolzes; die Empfindung der Solidarität gemeinschaftlicher, vaterländischer Interessen. Auf der anderen Seite das Verlangen des Verzichtes auf jede Heimat, auf jedes Vaterland im Namen Gottes – wenigstens des jesuitisch-katholischen Gottes – und im Interesse der katholischen Religion. Und dies bei Deutschland, welches gerade durch den Zusammenschluß aller seiner so widerstrebenden Glieder seine überragende Stellung in Europa gewonnen, und durch seine nationale Einigung allen Gebieten, geistigen wie wirtschaftlichen, bei sich einen unvergleichlichen Antrieb gegeben hat!

Hierzu kommt noch ein anderes: das römische Papsttum, weit entfernt, der religiösen Gleichgültigkeit Rechnung zu tragen, hat mit einer gewissen Verzweiflung die tollsten und wahnwitzigsten Zumutungen an das Gewissen seiner Angehörigen gestellt. Es hat durch Aufstellung des Syllabus im Jahre 1864 zwischen dem mächtigen Bau der exakten Wissenschaft im Abendland in der katholischen Kirche eine für alle Zukunft nicht mehr zu beseitigende Scheidewand aufgerichtet. Es hat durch Verkündigung des Dogmas der unbefleckten Empfängnis Mariä zum Entsetzen aller höher stehenden Katholiken gezeigt, daß es sich mit seinen Lehren nunmehr an den kindlichen Glauben von Köchinnen und Dienstmädchen wenden werde. Und es hat schließlich durch das Vatikanische Konzil, auf dem es, einen einzelnen Menschen für des Irrtums unfähig, wenn auch nur oder vielleicht gerade im Denken, erklärt, das einstimmige Gespött von ganz Europa herausgefordert.

Und hierbei war es beachtenswert, daß eine immer gesteigerte Opposition von Seiten des Auslandes sich geltend machte: von den in einem Rundschreiben durch Pius IX. zu einem Gutachten über das zu verkündende Mariendogma aufgeforderten Bischöfen haben fast nur Vertreter aus Ländern des krassesten Aberglaubens und des Undeutschesten, was Welschland geboren, des Jesuitismus, sich zustimmend, und diese begeisternd, sich geäußert.

Aber Pius, der gern süße Sachen aß, und für die eben so lüsternen Mäuler seiner südländischen Glaubensgenossen zu sorgen hatte, verstand nicht die eindringlichen Warnungen der hervorragendsten und weitblickendsten Köpfe und veröffentlichte dieses Konfektdogma am 8. Dezember 1854, ohne, wie es auf den alten Konzilien Brauch war, darüber abzustimmen, oder gar regelrecht darüber beraten zu lassen. – Dies war die erste Etappe der gewaltsamen Verwelschung deutscher Gewissen gegen den ausdrücklichen Willen deutscher Bischöfe lediglich auf den Willen einiger Jesuiten hin. Die Gläubigen kuschten, weil sie es so gewöhnt sind.

Die nächste Etappe war die Enzyklika vom Jahre 1864 mit dem Syllabus, welche von der Wissenschaft, von der Politik, von der gesamten abendländischen Bildung, die in England, Frankreich und Deutschland vorzugsweise ihren Sitz hatten, blinde Unterwerfung unter die verfaulten Maximen der südromanischen Staaten, unter die Religions-Paragraphen einiger Jesuiten verlangte. Auch hier einmütige Frontmachung der bedeutendsten katholischen Köpfe im Norden Europas. Auf dem katholischen Kongreß in Mecheln, August 1853, hatte der berühmte Montalembert gesagt: »Von allen Freiheiten, die ich bisher verteidigte, ist die Freiheit des Gewissens nach meiner Ansicht die kostbarste, heiligste, berechtigste, notwendigste. Alle Freiheiten habe ich geliebt und ihnen gedient; aber ich rühme mich, der Streiter der letzteren zu sein. Ich erkläre: einen unüberwindlichen Abscheu empfinde ich vor allen Qualen und Gewalttaten, die man unter dem Vorwande, damit der Religion zu dienen, oder sie zu verteidigen, der Menschheit zugefügt hat. Die von einer katholischen Hand angezündeten Scheiterhaufen erregen eben so sehr meinen Abscheu wie die Blutgerüste, auf denen die Protestanten so viele Märtyrer hingeopfert haben. Der Knebel, welcher irgendeinem in den Mund gesteckt wird, redet aufrichtig für seinen Glauben; ich fühle ihn zwischen meinen eigenen Lippen und ich empfinde einen Schauder von Schmerz. Der spanische Inquisitor, der zum Ketzer spricht: die Wahrheit oder der Tod! ist mir ebenso verhaßt wie der französische Terrorist, der zu meinem Großvater sagte: die Freiheit, die Brüderlichkeit, oder der Tod! Das menschliche Gewissen hat das Recht zu fordern, daß man ihm nie mehr diese scheußliche Alternative stelle.«

Die Enzyklika Pius IX. aber hatte gesagt: »die Lehre, die Freiheit des Gewissens und des Kultus sei einem jeden Menschen eigenes Recht, welches durch das Gesetz ausgesprochen und in jedem wohleingerichteten Staat gesichert werden müsse, und die Bürger hätten Anspruch auf die volle Freiheit, ihre Meinungen, welche sie auch sein möchten, laut und öffentlich kund zu geben, durch das Wort, durch den Druck, oder in anderer Weise, sind verwegene Behauptungen und Wahnsinn!« Und die nun folgende Verdammung von Irrtümern ließ darüber keinen Zweifel, daß jeder Staat, der in diesem Geleise sich bewege, das Schicksal Spaniens, oder doch Österreichs haben werde.

Es kommt uns darauf an, hier zu zeigen, daß die Spaltung nicht zwischen Katholizismus und Protestantismus, nicht zwischen Katholizismus und der modernen Staatsrechtslehre, sondern zwischen Katholizismus und Katholizismus, zwischen südländischer, neapolitanisch-versumpfter Auffassung der Religion als eines Fatums, und nordischem Freiheit-Bewußtseins, zwischen verwelschter, käuflicher Jesuiten-Moral und germanischer Gewissens-Betonung, zwischen Unverantwortlichkeit und Verantwortlichkeit, eingetreten war.

Die dritte, und vorläufig letzte Etappe des Versuchs welscher Religions-Zentralisierung in Rom war das vatikanische Konzil 1869-1870 und die Unfehlbarkeits-Erklärung des Papstes. Hier haben die deutschen Katholiken sich am energischsten gewehrt. Die andern, die Protestanten, die Indifferenten, die hohe Politik ging die Sache schon gar nichts mehr an. Die wirklichen Geistesmächte des Abendlandes fanden es schon gar nicht mehr der Mühe wert, aufzubegehren. So groß war die Kluft zwischen modernem Bewußtsein und den kindischen Versuchen eines in weiße Seide gekleideten Greises, sich zu vergotten.

Auf dem Konzil selbst hielten sich die deutschen Bischöfe neben den französischen und ungarischen sehr wacker. – Der Papst selbst benahm sich in der kindischsten Weise: »Ich – sagte er zum Kardinal Schwarzenberg – ich, Giovanni Maria Mastai, glaube an die Unfehlbarkeit; zwinget Ihr den heiligen Geist, daß er Euch erleuchte!« – Und, wie das Tauschgeschäft und die merkantile Abwicklung in der katholischen Kirche bis in das Tiefste und Letzte, bis in das Bußsakrament, eingedrungen ist, läßt er sich vom Kardinal Patrizzi bei einem Empfang mit den Worten anreden: er, der Papst, »habe die Unfehlbarkeit redlich verdient als Belohnung für die große Ehre, die er der Jungfrau Maria erwiesen«, indem er ihre Unbefleckte Empfängnis proklamierte. Und heute? – Ist alles beim alten! – Warum? – Es fehlte an dem nationalen Widerstand, an dem sich die Bischöfe hätten anhalten können. Wir haben diese Orientierung vorausgeschickt, um zu der These zu gelangen, daß der Verwelschung des deutschen Gewissens, wie sie vom Vatikan aus seit einem halben Jahrhundert betrieben wird, nichts im Wege steht. Die Regierungen wollen nur um Gottes Willen Frieden; und lassen selbst die Jesuiten herein, wenn sie damit den Frieden mit Rom erkaufen können. Was Verwelschung des deutschen Gewissens heißt, sehen wir in Sitten und Gebräuchen in Tirol, sehen wir in Bayern, den Rhein hinauf und anderwärts. Und die ethische Forderung dieses katholischen Gewissens lautet auf den ultramontanen Versammlungen und in den Institutionen der Jesuiten: Du mußt den Papst höher stellen, als Dein deutsches Vaterland!

Für den deutschen Katholiken, der sein Vaterland höher stellt, als einen Kardinal im Vatikan, gibt es nur eines: Los von Rom. – Aber die Bewegung muß vom Volk ausgehen. Denn die Oberen sind schon seit 20 Jahren gebunden und gefesselt. – Wir haben im folgenden einige Kapitel der römisch-katholischen Lehre von diesem Standpunkt aus beleuchtet; nicht als Katholik, nicht als Protestant, sondern als Deutscher. Und nicht vom Standpunkt einer besseren oder schlechteren transzendentalen Anschauung; sondern vom Standpunkte einer drohenden sinnlich-religiösen Vergiftung des deutschen Gemüts. – Wir beginnen mit der großen, schlüpfrigen Göttin der Päpste, mit der Jungfrau Maria. –


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