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Sechzehntes Kapitel.
Barnes entdeckt eine vielversprechende Spur.

Am Tage nach der Hochzeit traten Mitchel und seine Frau eine Reise nach dem Westen an, hatten aber Dora und Mrs. Remsen versprochen, vor Ende des Sommers mit ihnen in den Weißen Bergen zusammenzutreffen. Anfang Juli begaben sich Remsens und die Van Rawlstons nach Jefferson, einer kleinen Stadt in New Hampshire am Fuße der Pliniusberge. Etwa in der Mitte desselben Monats reiste Randolph nach dem nämlichen Orte und erreichte das Hotel Waumbeck mit der Post gegen acht Uhr abends, war aber sehr unangenehm überrascht, als er beim Aussteigen von Thauret begrüßt und es ihm klar ward, daß sein Nebenbuhler keine Gelegenheit zur Annäherung an Dora Remsen versäumte. Auch Thauret war durch Randolphs Ankunft keineswegs erfreut und hielt es für besser, die Entscheidung so bald als möglich herbeizuführen. Noch am nämlichen Abend traf es sich, daß er sich allein mit Dora auf der Veranda befand, und er entschloß sich, zu sprechen, ehe der andre Gelegenheit dazu hätte.

»Miß Dora,« begann er ohne viele Umschweife und setzte sich neben sie, »erinnern Sie sich eines Gespräches, das wir vor einiger Zeit hatten? Ich meine über Einsamkeit und die Sehnsucht nach einem Gefährten.«

»O ja,« entgegnete sie offen. »Warum? Wollen Sie es fortsetzen?«

»Wenn Sie gestatten, ja. Sie entsinnen sich wohl noch, daß Sie mir damals sagten. Sie könnten sich erst nach der Hochzeit Ihrer Schwester darüber aussprechen.«

»Weil ich glaubte, ich würde sie sehr vermissen und mich selbst vereinsamt fühlen. War es nicht so? Natürlich habe ich sie vermißt, aber einsam bin ich doch nicht gewesen; dafür haben Sie gesorgt, und ich bin Ihnen sehr dankbar dafür. Sie waren sehr liebenswürdig.«

»Ist das Ihr Ernst?« fragte er eifrig.

»Gewiß, warum soll ich das nicht sagen, wenn es wahr ist?«

»Natürlich, aber so viele junge Damen verbergen ihre wahren Empfindungen; ich meine das Unterdrücken der Empfindungen wird heutigestages von jungen Damen für das Richtige gehalten.«

»Unterdrückung?« ries sie lachend. »Glauben Sie, ich könnte jemals unterdrückt werden?«

»Nein, wahrlich nicht, und ich hoffe, Sie kommen niemals in die Lage, sich dagegen wehren zu müssen. Aber wenn Sie sich nicht einsam gefühlt haben, dann haben Sie vielleicht an etwas andres gedacht, zum Beispiel an die Liebe?«

»O, das?«

»Ja, das ist die Frage, über die ich Ihre Ansicht hören möchte. Glauben Sie, daß Sie glücklicher oder unglücklicher sein würden, wenn Sie verheiratet wären?«

»Das ist schwer zu beantworten, denn das käme darauf an, wie – mein Mann wäre, nicht wahr?«

»Nehmen Sie einmal an, wir –«

»Bitte, werden Sie nicht persönlich; ich kann nichts Derartiges annehmen, denn ich habe versprochen, es nicht zu thun.«

»Versprochen? Das verstehe ich nicht.«

»Ich meine, ich habe eine Wette gemacht. Halten Sie es für unrecht, zu wetten? O, natürlich nicht. Na, also, ich habe eine sonderbare Wette mit Bob, ich meine Mr. Mitchel, abgeschlossen, daß ich mich vor dem 1. Januar nicht verloben werde. Wenn ich gewinne, – und ich habe mir fest vorgenommen, zu gewinnen – dann muß Bob mir tausend Dollars zahlen. Ich bin ja jung und kann wohl so lange warten.«

»Und wenn ein Bewerber darauf bestände, seine Antwort gleich zu erhalten?«

»Das wäre mir einerlei. Wenn er mich nicht lieb genug hat, so lange zu warten, dann kann er mir überhaupt gestohlen werden.«

»Aber – nein, ich will Sie nicht fragen. Miß Dora – Miß Dora, ich liebe Sie zum Wahnsinnigwerden, und –«

»Nicht weiter. Wenn Sie mich wirklich zum Wahnsinnigwerden lieben, so werden Sie sicher nichts dagegen haben, bis zum Januar auf Ihre Antwort zu warten.« Dies wurde etwas kurz gesprochen, und Thaurets Hoffnung sank, erhob sich aber wieder zur Fieberhitze, als sie in sehr weichem Tone sagte: »O, ich wollte Ihnen nicht wehe thun, und Sie dürfen mich nicht für herzlos halten, aber die Wette muß ich gewinnen. Am Gelde liegt mir nicht so sehr, als daran, Bob zu beweisen, daß ich mich beherrschen kann. Wenn Sie mich wirklich lieben, werden Sie mir den Triumph nicht mißgönnen.«

»Nein, nein, mein süßes Mädchen, es soll sein, wie Sie wollen, nur sagen Sie mir, ob ich etwas Aussicht habe.«

»Natürlich, jeder Mensch hat Aussicht, aber ich darf Ihnen nicht sagen, wie groß die Ihre ist, oder ich gewänne meine Wette nicht ehrlich. Und nun, gute Nacht.« Damit verließ sie ihn, und ihre letzten Worte klangen ihm lange in den Ohren und trösteten ihn.

Randolph stand während der folgenden Wochen Höllenqualen aus. Wenn er sich mit Dora allein befand, war sie freundlich und gütig gegen ihn und schlug oft einen Ton an, der sein Herz jubeln ließ, aber auch er konnte keine andre Antwort von ihr erlangen, als die alte, daß er geduldig warten solle. Und so wartete er denn, wenn auch nicht geduldig.

Inzwischen beschäftigte sich Barnes in New York noch mit allem, was in irgend einem Zusammenhang mit den Rätseln stand, die ihn förmlich zu narren schienen. Eins war ihm völlig klar geworden: Fisher hatte mit dem Diebstahl im Eisenbahnzuge nichts zu thun. Barnes' Spion hatte zwar herausgebracht, daß er in der bedeutungsvollen Zeit von New York abwesend gewesen war, allein gerade dadurch war die Unmöglichkeit seiner Beteiligung nachgewiesen, denn es war festgestellt worden, daß er in einer ganz andern Gegend auf der Entenjagd gewesen war. Am Rubinendiebstahl konnte er möglicherweise noch beteiligt sein, und obgleich außer seiner Anwesenheit auf dem Maskenfeste kein Verdacht gegen ihn vorlag, ließ ihn Barnes doch nicht außerhalb seiner Berechnungen.

Thatsächlich machte der Detektiv so gut wie gar keine Fortschritte. Endlich aber kam ihm ein guter Gedanke, der immer anziehender für ihn wurde, je länger er sich damit beschäftigte. Um ihn jedoch auszuführen, mußte er Mitchels Rückkehr abwarten, denn er glaubte, seiner Sache zu schaden, wenn er ihn aufsuchte und auf seiner Hochzeitsreise störte. Darüber wurde es November, und als Mitchels nun endlich zurückkehrten, suchte Barnes sie auf.

»Nachrichten vom Rubin meiner Frau?« fragte Mitchel, ihm warm die Hand schüttelnd.

»Nein, Mr. Mitchel, es thut mir leid, daß ich ihm nicht auf die Spur kommen kann, allein ich habe einen Entschluß gefaßt, der Sie vielleicht befremden wird. Ich bin gekommen, Sie um Ihre Unterstützung bei meinen Nachforschungen über den Mord zu bitten.«

»Selbstverständlich. Habe ich Ihnen die nicht gleich zugesagt, und bin ich nicht stets bereit gewesen, offen mit Ihnen zu sprechen?«

»Das muß ich zugeben, allein so lange ich dachte, Sie selbst hätten etwas damit zu thun, konnte ich Sie doch nicht um Ihre Unterstützung bitten?«

»Dann haben Sie mich also nicht mehr im Verdacht?«

»Nein, ich bin endlich zu der Ueberzeugung gekommen, daß Sie daran unschuldig sind, und ich wollte, ich hätte das schon früher eingesehen.«

»Wollen Sie mir sagen, warum Sie Ihre Ansicht geändert haben?«

»Gewiß. Ich habe, wie Sie wissen, Ihre Wette mit angehört, dann kam der Eisenbahndiebstahl, dann der Mord. Etwas später wurde ein zweiter Juwelendiebstahl begangen, und alle diese Verbrechen fielen in dem von Ihnen festgesetzten Zeitraum vor. Eins davon haben Sie natürlich begangen, und mir scheint es am wahrscheinlichsten, daß Sie den einzelnen Rubin gestohlen haben, denn dafür können Sie unter den obwaltenden Verhältnissen nicht bestraft werden. Ist das nicht eine richtige Schlußfolgerung?«

»Richtige Schlußfolgerung? Ja, aber ich gebe natürlich die Thatsachen nicht zu.«

»In welchem Zusammenhange diese Diebstähle mit dem Morde stehen, bin ich entschlossen, zu ermitteln. Gegenwärtig denke ich, daß der Mensch, der den Eisenbahndiebstahl begangen hat, auch der Mörder ist. Einen Faden habe ich, dem ich bis jetzt nicht folgen konnte, der mich aber, wenn ich ihn aufnehme, ohne Umwege auf den Mörder führen wird; davon bin ich überzeugt.«

»Und das ist?«

»Der gefundene Knopf. Für ein so merkwürdiges Zusammentreffen, daß er Ihrer Garnitur gleicht, muß es eine Erklärung geben, die Licht in die Sache bringt.«

»Welche Unterstützung erwarten Sie von mir in dieser Richtung?«

»Solange ich Sie für schuldig hielt, glaubte ich, Sie hätten gelogen, als Sie mir sagten, der siebente der Garnitur sei der mit dem Shakespearekopf, den Ihre Frau Gemahlin besitzt. Deshalb hielt ich es auch für wichtig, den gefundenen wieder in meinen Besitz zu bringen; jetzt, wo ich Sie für unschuldig an dem Morde halte, ist mir ein neuer Gedanke gekommen. Damals, als ich Ihnen die erste Mitteilung von meinem Funde machte, verlangten Sie den Knopf zu sehen, ehe Sie sich darüber äußerten, und dann gaben Sie ihn mir mit einem beruhigten Lächeln zurück. Wäre der Knopf gefährlich für Sie gewesen, dann hätte eine gewaltige Selbstbeherrschung dazu gehört, so unbefangen zu erscheinen und besonders, ihn mir wiederzugeben. Die Frage, die ich gern von Ihnen beantwortet hätte, ist nun: Woran haben Sie damals sofort gesehen, daß der Knopf nicht zu Ihrer Garnitur gehörte?«

»Zunächst, Mr. Barnes, wußte ich genau, daß es nur drei gleiche gab, und da ich diese alle drei hatte, fühlte ich mich sicher, aber es besteht auch eine Verschiedenheit zwischen den Knöpfen. Haben Sie den Ihren bei sich?«

»Ja, hier ist er.«

»Behalten Sie ihn nur. Als Miß Remsen die Knöpfe bestellte, gab sie Auftrag, daß auf jeden Knopf ein winziger Buchstabe im Haar eingeschnitten werden sollte, und zwar auf den Romeoknöpfen ein R, weil sie mich Roy nennt, und auf den Juliaknöpfen ein K, weil ich sie Königin nenne. Bei oberflächlicher Betrachtung bemerkt man diese Buchstaben nicht; wenn man sie aber einmal mit dem Vergrößerungsglase gesehen hat, findet man sie auch leicht mit bloßem Auge. Nun nehmen Sie mal dieses Glas und sehen Sie Ihren Knopf genau an, gerade da, wo am Halse das Haar anfängt. So. Was finden Sie?«

»Beim Himmel!« rief der Detektiv aus, »das ist höchst wichtig. Dies ist ein Juliaknopf, folglich müßte er ein K haben. Ich glaube, es ist ein Versuch gemacht worden, den Buchstaben einzuschneiden, aber der Stichel muß ausgeglitten sein, so daß ein Stückchen vom Stein abgesplittert ist. Das K ist verstümmelt. Ich bezweifle, ob Sie mit bloßem Auge überhaupt einen Buchstaben sehen können.«

»Sie haben recht. Ich suchte damals nur nach dem K, und da ich es nicht fand, war ich beruhigt.«

»Der Knopf ist augenscheinlich von derselben Hand gefertigt, die die Ihren hergestellt hat. Der Mann, der ihn geschnitten hat, oder die Person, in deren Besitz er gelangt ist, soll und muß mir erklären, wie er in das Zimmer geraten ist, wo ich ihn gefunden habe, und Sie müssen mir sagen, wo die Knöpfe herstammen.«

»Unter einer Bedingung will ich das thun. Was Sie auch entdecken mögen, müssen Sie mir mitteilen, ehe Sie weitere Schritte thun, und Sie müssen mir versprechen, nicht vor dem 1. Januar zu handeln, wenn es nicht unbedingt notwendig ist.«

»Sie meinen, daß ich niemand verhafte?«

»Ja, das meine ich. Sie können mir das Versprechen ruhig geben, denn ich bürge Ihnen dafür, daß Ihnen Ihr Mann nicht entrinnen soll. Ich kenne ihn.«

»Was? Sie kennen ihn?« Barnes war überrascht, daß Mitchel das zugab.

»Ja, ich kenne ihn; das heißt, ich bin innerlich fest überzeugt, daß ich ihn kenne. Da ich wußte, daß ich unschuldig war, hatte ich Ihnen gegenüber einen großen Vorteil und bin diesem Manne während dieser ganzen Zeit auf der Spur gewesen. Ich habe sehr gute Indizienbeweise gegen ihn, aber noch nicht genug, eine Verhaftung zu rechtfertigen. Wenn Sie dieser Spur folgen und sie führt zu demselben Menschen, dann können wir ihn überführen.«

»Wollen Sie mir den Namen nennen?«

»Nein, es ist besser, wenn wir ohne Einverständnis zu demselben Ergebnis gelangen. Arbeiten Sie allein und rasch, denn es wäre mir lieb, wenn die Sache am 1. Januar erledigt würde.«

»Warum das?«

»Das ist der Tag, an dem meine Wette entschieden wird, und ich werde ein Diner geben, wovon ich mir viel Unterhaltung verspreche. Nebenbei vergessen Sie nicht, daß auch Sie ein Diner von mir gewonnen haben, und nehmen Sie meine Einladung zum 1. Januar an. Wenn Sie dann unsern Mann überführen können, um so besser.«

»Ich werde mit allen Kräften an die Arbeit gehen, aber nun nennen Sie mir den Namen des Juweliers, der die Knöpfe geliefert hat.«

Mitchel schrieb Namen und Wohnung eines Pariser Geschäfts auf, reichte den Zettel Barnes und fuhr fort, auf einen andern Bogen zu schreiben.

»Aber, Mr. Mitchel,« rief Barnes aus, »das ist ja dieselbe Firma, von der Ihre Edelsteine gekauft sind; ich meine die, die den gestohlenen so ähnlich sind. Ich habe mit diesen Leuten schon im Briefwechsel gestanden und sie haben mir geantwortet, sie wüßten nichts.«

»Ja, das weiß ich, das geschah auf meine Anweisung,« sprach Mitchel lächelnd, und Barnes machte von neuem die Erfahrung, daß er gegen einen Mann gekämpft hatte, der an alles dachte. »Ich ahnte, daß Sie an die Leute, deren Namen Sie auf der Rechnung gesehen hatten, schreiben würden, deshalb bat ich sie, sie sollten keine von Ihnen kommenden Fragen beantworten. Ueber diesen Knopf habe ich jedoch selbst keine genügende Erklärung von ihnen erhalten können; das wird wohl nur an Ort und Stelle möglich sein, und dieser Brief wird Ihnen ihre Hilfe sichern.«

Damit trennten sich die beiden Herren, und sie waren beide zufrieden mit der gehabten Unterredung.


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