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Fünfzehntes Kapitel.
Mitchel läßt sich zu einigen Erklärungen herbei.

Nach seiner Ankunft in New York hatte sich Barnes gleich nach seinem Büreau begeben und war überrascht gewesen, Lucette dort zu finden.

»Nun?« fragte er scharf.

»Ich bin hierhergekommen, um Ihnen unverzüglich Bericht erstatten zu können: es ist keine Zeit zu verlieren.«

»Wieso? Was gibt's?«

»Ich habe das Kind in East Orange gefunden. Die Einzelheiten haben Zeit bis später, denn sie ist wieder von da fortgenommen worden. Mitchel ist gestern gekommen und hat sie abgeholt. Er hat sie zu Remsens gebracht.«

»Zu Remsens? Was steckt da nun wieder dahinter?«

»Das weiß ich nicht, aber Mitchel und Miß Remsen werden heute morgen um zehn Uhr in der St. Patriks-Kathedrale getraut.«

»Nicht, wenn ich's hindern kann,« rief der Detektiv und eilte nach der genannten Kirche, wo er den schon erzählten Mißerfolg hatte.

Pünktlich um zwei Uhr fanden sich Barnes und Neuilly im Hotel der fünften Avenue ein und wurden sofort von Mitchel angenommen.

»Ah, Mr. Barnes,« begann er sehr aufgeräumt, »ich bin erfreut, daß ich mich Ihnen jetzt zur Verfügung stellen kann. Heute morgen war ich etwas eilig, und Sie kamen zu einer sehr ungelegenen Zeit, so daß ich etwas kurz angebunden war.«

»Ich bin nicht zum Scherzen aufgelegt, Mr. Mitchel, denn es ist eine sehr ernste Veranlassung, die mich hierher führt. Dieser Herr ist Mr. Neuilly von New Orleans, der die weite Reise im Interesse der Gerechtigkeit gemacht hat.«

»Sehr erfreut, Ihre werte Bekanntschaft zu machen, Mr. Neuilly,« antwortete Mitchel und reichte Neuilly die Hand, die dieser ergriff, obgleich er vorher geglaubt hatte, er würde lieber glühendes Eisen als die Hand des Menschen berühren, den er eines so niederträchtigen Unrechts gegen die Tochter seines alten Freundes im Süden bezichtigte. »Ich bin wirklich neugierig, Mr. Barnes,« fuhr Mitchel fort, nachdem alle Platz genommen hatten, »ob Sie meiner Frau Rubin nach New Orleans nachgereist sind.«

»Ich habe gar nicht danach geforscht, aber Sie werden wohl wissen, weshalb ich versucht habe, Ihre Trauung zu hindern.«

»Nein, doch nicht. Was hatten Sie für Gründe?«

»Wenn Sie es nicht wissen, weshalb haben Sie denn die Civiltrauung schon gestern vornehmen lassen?«

»Ich könnte Ihnen darauf antworten, daß das häufig geschieht, allein ich will ehrlich sein und Ihnen gestehen, daß mir das erst in den Sinn kam, als ich hörte, Sie seien auf der Rückreise. Sehen Sie, ich dachte, Sie könnten es sich in den Kopf setzen – Sie haben manchmal sonderbare Einfälle, das müssen Sie zugeben – daß ich jetzt nicht heiraten dürfte, und ich kenne Sie hinlänglich, um zu wissen, daß Sie dann nicht zögern würden, einzuschreiten. Da ich mir aber fest vorgenommen hatte, daß meine Trauung zur festgesetzten Zeit stattfinden sollte, überredete ich meine kleine Frau, sich gestern mit mir vom Standesbeamten trauen zu lassen. Das ist die ganze Geschichte. Was war also Ihr Zweck?«

»Sie wissen sehr wohl, daß das nichts als Großsprecherei ist, und daß ich Miß Remsen als Zeugin gegen Sie brauchen wollte, was ich aber jetzt nicht mehr kann, nachdem sie Ihre Frau geworden ist.«

»Nun ja, ich gebe zu, daß ich an etwas Derartiges gedacht habe, Mr. Barnes. Und nun, was wollen Sie thun?«

»Zunächst verhafte ich Sie wegen Entführung des Kindes, das sich in der Obhut der Frau Rose Montalbon befand.«

Wenn Barnes erwartet hatte, daß sein Gegner überrascht sein würde, so war er enttäuscht.

»So?« sprach Mitchel gelassen, »und dann?«

»Sodann werde ich Sie durch das Gericht zwingen, das gegenwärtige Versteck des Kindes anzugeben und es auszuliefern.«

»Das würde Ihnen schwer werden, wenn ich nicht zufällig nichts dagegen einzuwenden hätte. Wir wollen die Reihenfolge umkehren und mit der Vorführung des Kindes beginnen. Emily!« Auf diesen Ruf trat seine Frau mit einem schönen jungen Mädchen an der Hand ein. Ihr Gatte erhob sich, ergriff des Kindes Hand und führte es Mr. Neuilly zu. »Rose,« sprach er, »dies ist Mr. Neuilly, ein guter, treuer Freund deiner Mutter, der die weite Reise von New Orleans gemacht hat, um dich zu sehen und dir einen Kuß zu geben. Nicht wahr, Mr. Neuilly?«

Dieser schien tief bewegt zu sein, denn die liebliche Erscheinung, die da vor ihm stand, rief ihm lange vergangene Zeiten ins Gedächtnis zurück. Sie erinnerte ihn an ein andres kleines Mädchen, dessen Heranwachsen er mit zärtlicher Liebe überwacht hatte, denn in seiner Jugend hatte er ihre Mutter, die Großmutter des vor ihm stehenden Kindes, geliebt und war um dieser Liebe willen, die nicht erwidert worden war, unvermählt geblieben. Mit einem freundlichen Worte zog er die Kleine an sich, küßte sie, erhob sich sodann und führte sie nach der Thür des anstoßenden Zimmers. Hier küßte er sie nochmals auf die Stirn, bat sie, zu warten, und schloß die Thür hinter ihr. Dann wandte er sich um.

»Mr. Mitchel,« rief er, »entweder sind Sie der abscheulichste Schurke, den die Erde trägt, oder wir sind hier alle in einem entsetzlichen Irrtum befangen. Erklären Sie sich, Mann, ich muß sofort alles wissen.«

»Zunächst muß ich die Sachlage klar überschauen. Was halten Sie und Mr. Barnes davon?«

»Ich will sie erklären, vorausgesetzt, daß sich Ihre Frau Gemahlin zurückzieht,« sprach Barnes.

»Meine Frau und ich sind eins,« entgegnete Mitchel und legte stolz den Arm um Emily. »Sie brauchen sich nicht zu scheuen, in ihrer Gegenwart zu sprechen.«

»Nun, wenn Sie's nicht anders wollen, so sei es. Ich weiß, daß Rose Mitchel, die hier ermordet worden ist, in New Orleans unter dem Namen Rose Montalbon bekannt und Ihre Ehefrau war. Ich habe auch entdeckt, daß Sie eine junge Kreolin hintergangen haben, die Mutter des Kindes, das uns soeben verlassen hat, und daß diese an gebrochenem Herzen gestorben ist, als Sie sie verlassen hatten. Ferner haben Sie der Montalbon erlaubt, das Kind zu sich zu nehmen und als ihr eigenes auszugeben, obgleich Sie es ihr später entführt haben. Das Frauenzimmer hatte den Verdacht, daß Sie eine andre Ehe eingehen wollten, und schwor, das zu verhindern. Ihr Erscheinen hier, als Sie sich eben verlobt hatten, muß eine Gefahr für Sie gewesen sein. Sehen Sie, worauf ich hinaus will? Mordthaten sind schon um geringerer Ursachen willen begangen worden. Ich glaube demnach, daß ich hinreichende Verdachtsgründe habe, Ihre Verhaftung zu rechtfertigen.«

»Sie könnten mich auf geringeren Verdacht hin verhaften,« erwiderte Mitchel, »das kommt jeden Tag vor, aber um mich zu überführen, müßten Sie alles das beweisen.«

»Und woher wollen Sie wissen, daß ich das nicht kann?«

»Aus dem einfachen Grunde, weil Ihre Angaben alle durchaus falsch sind.«

»Sehr gut, Mr. Mitchel, aber das müssen Sie beweisen.«

»Dazu bin ich auch vollkommen im stande. Zunächst habe ich Ihrer Darstellung nach das Kind entführt. Da haben Sie nur teilweise recht. Ich habe das Kind der Montalbon weggenommen, und ich habe das sogar heimlich und mit Gewalt gethan, aber ich hatte das vollste Recht dazu.«

»Sie geben also zu, daß Sie ihr Vater sind?«

»Im Gegenteil, das stelle ich in Abrede, und das ist der schwache Punkt in Ihrer Geschichte. Ihre ganze Kette von Beweisen stützt sich auf die Annahme, daß ich der Verführer der Mutter dieses Kindes sei, und daß die Montalbon mich in ihrer Gewalt gehabt habe. Thatsächlich bin ich aber nicht ihr Vater, und die Montalbon hatte gar keine Macht über mich.«

»Aber Sie haben doch früher schon zugegeben, daß sie von Ihnen Geld unter Drohungen erpreßt, und daß Sie ihr die verlangte Summe in Juwelen gegeben hätten.«

»Das ist richtig, aber sie hat das Geld nicht von mir erpreßt.«

»Mr. Mitchel, ich vergesse selten eines Menschen Worte. Sie sagten mir damals im Gewölbe, Sie seien in der Gewalt des Frauenzimmers gewesen, und jetzt behaupten Sie auf einmal das Gegenteil. Wie erklären Sie diese widersprechenden Behauptungen?«

»Zwei widersprechende Behauptungen können beide wahr sein, vorausgesetzt, daß ein Zeitraum dazwischen liegt. Als ich zugab, daß ich in der Gewalt des Frauenzimmers gewesen sei, glaubte ich das wirklich, sprach also die Wahrheit; und wenn ich jetzt sage, daß ich nicht in ihrer Gewalt war, spreche ich ebenfalls die Wahrheit, denn ich habe inzwischen den Charakter der Dame, die jetzt meine Frau ist, besser kennen und würdigen gelernt, das ist alles. Ich weiß jetzt, daß die Geschichte der Montalbon ihren Glauben an mich nicht erschüttert haben würde.«

»Um Himmels willen, meine Herren,« unterbrach sie hier der alte Neuilly, »machen Sie doch dieser Wortklauberei ein Ende und kommen Sie zur Sache. Ich brenne vor Ungeduld, die Wahrheit zu erfahren.«

»Ja, Roy,« sprach Emily, »warum erzählst du nicht einfach die ganze Geschichte und lassest die Herren die Wahrheit wissen?«

»Das ist meine Absicht, aber es hat mir Vergnügen gemacht, mit Mr. Barnes meine Klinge zu kreuzen, allein ich sehe ein, daß das rücksichtslos gegen Mr. Neuilly war, und bitte um Verzeihung. – Ich muß mit meiner Jugend beginnen. Schon während meiner Schulzeit liebte ich meine Spielgefährtin, der kleinen Rose Mutter, und als ich auf die Universität nach Harvard ging – sie war damals erst fünfzehn Jahre alt – verlobten wir uns. Ich hatte einen Vetter, der zehn Jahre älter war als ich, der aber ein Spieler und Trinker war. Die Montalbon hielt damals eine Spielhölle in New Orleans, und natürlich gehörte mein unglücklicher Vetter zu ihren Stammgästen. Eines Abends, als er einmal wieder betrunken war, überredete sie ihn, sie zu heiraten, und ein herbeigerufener Geistlicher war gewissenlos genug, die Trauung sofort zu vollziehen. Erst nach mehreren Tagen wurde mein Vetter wieder völlig nüchtern, wußte aber von dem Vorgefallenen gar nichts. Darauf hatte die Montalbon ihren Plan gebaut. Sie machte sich nun an ihn und redete ihm zu, zu heiraten, ja, sie schlug ihm sogar eine Partie vor, und zwar keine andre, als meine kleine Braut. Geld und Rache waren die Zwecke, die das Weib verfolgte. Sie wollte meinen Vetter zur Bigamie verleiten, um ihm dann mit dem Schein über die Trauung mit ihr selbst als Waffe Geld abzupressen, und sie wollte sich an meiner Braut Familie, der sie irgend etwas nachtrug, rächen. Ihr Plan gelang nur zu gut. Mein Vetter verliebte sich wirklich in die junge Kreolin; er war schön, ich fern, sie war noch sehr jung und schwach und gab endlich seiner stürmischen Werbung nach und heiratete ihn. Nun war er in der Gewalt der Montalbon, die ihn fünf Jahre lang gehörig bluten ließ.

»Mittlerweile war die kleine Rose geboren worden, und ich hatte meine Studien vollendet, kehrte aber nicht nach New Orleans zurück, weil ich zu erbittert über die Untreue meiner Braut war. In Paris, wohin ich mich begeben hatte, erhielt ich eines Tages einen verzweiflungsvollen Brief der jungen Frau. Die Montalbon hatte den Schein über die Trauung mit meinem Vetter zum Vorschein gebracht und die Tochter ihres Feindes der Schande preisgegeben. Beherrscht von dem einzigen Gedanken der Rache an meinem Vetter kehrte ich nach Hause zurück, kam aber zu spät. Die arme Frau war tot, mein Vetter verschwunden.

»Ich hörte, er sei nach dem Westen gegangen, und dorthin folgte ich ihm, allein es war schwer, seine Spur zu finden. Fünf Jahre vergingen, bis ich ihn endlich traf und ihm sein Verbrechen vorhalten konnte, aber er lachte mir ins Gesicht, weigerte sich, mit mir zu kämpfen, und entfloh, so daß ich ihm nur die Drohung nachsenden konnte, ich würde ihn bei nächster Gelegenheit niederschießen wie einen tollen Hund.

»Endlich kam diese Gelegenheit. Eines Morgens traf ich ihn an einem Orte, der meilenweit von der nächsten menschlichen Wohnung entfernt lag. Ich stellte ihn und er sah ein, daß er diesmal um sein Leben kämpfen müsse. Ich war entschlossen, ihn ins Herz zu treffen, und dachte nicht an mein eigenes Leben, denn Rache war mein einziger Daseinszweck gewesen, und was danach kam, war mir gleichgültig. Vielleicht hoffte ich, daß auch er mich töten werde. Vollkommen ruhig und meiner Sache sicher, trat ich ihm gegenüber, als etwas eintrat, was mir die Ruhe raubte und das Ergebnis vollständig änderte.

»›Einen Augenblick,‹ sprach er und senkte die Waffe. ›Ich muß noch etwas von dir verlangen, denn ich bin gewiß, daß du mich töten wirst. Als letzte Gunst erbitte ich das Versprechen, daß du mein Kind aus den Klauen dieses Satans in Weibergestalt befreien willst.‹

»›Dein Kind?‹ rief ich. ›Ich glaubte, es wäre tot.‹

»›Das ist eine der Lügen der Montalbon; das Kind lebt und sie hat es in ihrer Gewalt. Ich habe ein Testament zu seinen Gunsten gemacht und ihm mein ganzes Vermögen verschrieben. Du wirst das Papier in meinem Rocke finden. Seltsamerweise habe ich dich zu meinem Testamentsvollstrecker ernannt. Ich wußte, daß du einst die Mutter geliebt hast, aber so wahr ich hoffe, daß Gott mir ein gnädiger Richter sein wird, als ich sie heiratete, wußte ich es noch nicht. Nun bin ich bereit.‹

»Wir schossen, allein die überraschende Neuigkeit hatte mich unruhig gemacht, und statt ins Herz traf ich ihn am Kopfe. Als er zusammensank, stürzte ich zu ihm und verband ihn, so gut ich konnte, um wenigstens der Blutung Einhalt zu thun. Dann eilte ich nach der nächsten Niederlassung und holte Leute mit einer Tragbahre. Zwei Monate lag er danieder und genas langsam, aber sein Geist blieb umnachtet, so daß ich ihn einem Irrenhause in New Orleans übergeben mußte, wo er sich noch befindet.«

»Das ist alles sehr schön, Mr. Mitchel,« sprach Barnes. »Aber was für Beweise haben Sie, daß nicht Sie der Vater des Kindes und der wahnsinnige Vetter der Unschuldige ist, wie das viele Leute glauben?«

»Nun, zunächst besteht keine Spur von Aehnlichkeit zwischen uns, außer, daß wir dieselben Namen führen. Mr. Neuilly wird wohl zugeben, daß ich ihm fremd bin, während er den Schuldigen sehr wohl gekannt hat. Meine Identität zu beweisen, wird mir nicht schwer fallen, denn es kennen mich zu viele Leute in New Orleans. Doch davon später, jetzt zu meiner Erzählung zurück. Ich war entschlossen, mich des Kindes zu bemächtigen, wußte aber, daß die Montalbon es nicht gutwillig herausgeben würde. Auch auf gesetzlichem Wege konnte ich nichts machen, ohne die Herkunft des Kindes zu enthüllen, und das wünschte ich um seiner selbst und noch mehr um der Mutter willen zu vermeiden. Deshalb raubte ich es auf offener Straße. Detektivs wurden auf mich gehetzt, aber Mr. Barnes wird mir vielleicht bezeugen, daß ich mich vor denen nicht zu fürchten brauche, und er wird jetzt wohl auch besser begreifen, warum ich mit deren Verfahren so vertraut bin. Zwei Jahre habe ich sie am Narrenseile geführt, bis sie die Nachforschungen aufgaben, wahrscheinlich weil die Montalbon nicht mehr zahlen konnte. Die Aufregung that mir gut, sie ließ mich mein Leid vergessen und gab mir Beschäftigung. Erst nachdem sie vollkommen eingestellt waren, ging ich auf Reisen und bin erst vor anderthalb Jahren, als ich hierher nach New York kam, von Europa zurückgekehrt. Kurz nach meiner Ankunft erhielt ich den Brief und die Photographie der Montalbon, die ich Ihnen gezeigt habe.

»›Ich habe nicht die Absicht, Geld von Ihnen zu erpressen,‹ sprach sie, als sie bei mir eintrat, ›aber ich habe etwas zu verkaufen, was Sie gern erwerben werden?‹

»Auf meine Frage, was das sei, antwortete sie mir: ›Ein Schein über die Trauung Ihres Vetters mit der Mutter des Kindes, ferner ein Schein über die früher stattgefundene Trauung mit mir, und endlich einer über eine noch früher erfolgte Trauung zwischen mir und einem andern noch am Leben befindlichen Manne.‹«

»Großer Gott!« rief Mr. Neuilly, »wenn sie diese Papiere hatte, dann wäre ja der Beweis erbracht, daß ihre Ehe mit Ihrem Vetter ungültig und dessen Ehe mit Roses Mutter vollkommen gültig war.«

»So ist es. Ich habe dem Frauenzimmer zehntausend Dollars für diese Urkunden bezahlt. Waren sie das nicht wert?«

»Das waren sie wahrlich; ich hätte das Doppelte dafür gegeben.«

»Nun muß ich Ihnen aber doch erzählen, welche Frechheit das Weibsbild besaß. Sie drohte mir, wenn ich den geforderten Preis nicht zahlte, wollte sie mich auf Grund des Trauscheins für ihren Gatten ausgeben und es mir überlassen, zu beweisen, daß sie nicht mich, sondern meinen Vetter geheiratet habe. Ein solcher Skandal wäre mir damals sehr ungelegen gekommen, und da die Papiere, die den ehrlichen Namen meiner einstigen Braut und ihres Kindes wiederherstellten, den Preis ohnehin wert waren, zahlte ich ihn.«

»Ich muß Sie nochmals fragen,« warf hier Barnes dazwischen, »ob Sie beweisen können, daß Sie nicht der Mann der Montalbon waren?«

»Geht das nicht schon daraus hervor, daß sie mir diese Papiere ausgeliefert hat?«

»Durchaus nicht,« erwiderte der Detektiv. »Nehmen wir einmal an, Sie wären wirklich ihr Mann gewesen und wünschten nun Miß Remsen zu heiraten, würden Sie dann nicht jeden Preis für eine Urkunde gezahlt haben, die bewies, daß Ihre Ehe mit der Montalbon ungültig war?«

»Sie sind aber wirklich ein ungläubiger Thomas, Mr. Barnes, und ich muß Ihnen wohl noch einen weiteren Beweis geben.« Damit trat er an seinen Schreibtisch und kehrte mit einigen Papieren zurück. »Hier ist ein Bekenntnis der Person, das sie mir damals abgelegt hat, als ich den Handel mit ihr abschloß. Sie sehen, es stimmt mit meiner Darstellung überein, allein Sie könnten auch das für erzwungen und unwahr halten, und deshalb will ich Ihnen noch einen bessern Beweis vorlegen. Hier,« – er überreichte Neuilly ein Papier – »ist der Schein über die Trauung meines Vetters mit der Montalbon. Wie manche Leute es machen, hat die Frau ihre und meines Vetters Photographie auf das Papier geklebt. Ich frage Sie nun, Mr. Neuilly, ist das der Mann, den Sie gekannt haben?«

»Sie haben recht, Mr. Mitchel, ich erkenne dieses Gesicht genau wieder, während Sie mir unbekannt waren. Dies ist der Mann, den ich stets als den Gatten der Montalbon gekannt und für einen vollendeten Schurken gehalten habe.«

»Was sagen Sie dazu, Mr. Barnes?«

Barnes' Antwort war darauf berechnet, seine Zuhörer zu überraschen, allein sie verfehlte ihre Wirkung.

»Mr. Mitchel, können Sie mir sagen, wer die Montalbon ermordet hat?«

»Ich glaube nicht, daß ich diese Frage zu beantworten verpflichtet bin,« erwiderte Mitchel rasch.

»Dann empfehle ich mich Ihnen,« versetzte Barnes und erhob sich. »Kommen Sie mit, Mr. Neuilly?«

»Gehen Sie nicht, Mr. Neuilly,« rief Emily dazwischen, ehe der alte Herr antworten konnte, »Sie haben ja noch gar nichts von Rose gesehen, und wir würden uns sehr freuen, wenn Sie heute abend unser Gast bei unserm Hochzeitsfeste sein wollten.«

»Ha, ha, ha, ha, Mr. Barnes, ist sie nicht würdig, meine Frau zu sein? Sie nimmt Ihnen Ihren Zeugen, denn ich hoffe, Sie werden die Einladung annehmen, Mr. Neuilly.«

»Das wird mir großes Vergnügen machen, und Sie, Mr. Barnes, müssen mich unter diesen Umständen entschuldigen und dürfen es mir nicht übelnehmen.«

»Gewiß nicht, Sie haben ganz recht, daß Sie bleiben, und ich will Sie alle Ihrem Glücke überlassen. Möge es von Dauer sein. Leben Sie wohl,« sprach er und entfernte sich.

»Es ist wirklich zu arg,« sprach Mitchel, »aber diese Detektivs sind manchmal ganz verrannt in ihre Ideen. Denk dir nur, Königin, er glaubt, oder vielmehr, er hat geglaubt, du seiest eines Mörders Frau. Was sagst du dazu?«

Als Antwort küßte sie ihn leise auf die Stirn, verließ das Zimmer und kehrte mit der kleinen Rose an der Hand zurück.


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