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Allerlei Geschichten über Tiere und von Tieren.

Von früh an spielte das Tier in Anekdoten, Schnurren und Scherzen seine Rolle – bald als Beispiel (Reinecke Fuchs) bald als Objekt für Aufschneider und scherzhafte Schwindeleien (Märchen, Münchhausen usw.). Aus der Unzahl neuerer Geschichten, in denen oft der Mensch eine etwas klägliche Rolle spielt – ähnlich der Tierbändigerin, die bei der Heimkehr aus dem Löwenkäfig, wo sie mutig den Kopf in den Rachen des gelben Untieres gelegt hatte, in ihrem Zimmer aber vor einer Maus auf den Stuhl springt, – aus dieser Unzahl ist hier ein Extrakt vom Amüsantesten zusammengepreßt.

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Der Mann, der mit den Fischen sprach.

Es wurde ein Mann von einem Fremden zum Mittagessen eingeladen. Das erste Gericht bestand aus einer Schüssel Schellfische, die frisch sein sollten. Als aber der Gast einen davon auf seinen Teller bekam, fand er ihn so scharf riechend, daß er keinen Bissen davon genießen mochte. Um nun seinem Bekannten mit guter Manier beizubringen, daß er ihm verdorbene Fische vorgesetzt habe, beugte er seinen Kopf über den Tisch und tat, als wenn er leise mit dem Fisch redete. Dann nahm er den Teller und hob ihn lauschend an sein Ohr. Sein Gastgeber fragte ihn, was das bedeuten solle.

»Ach,« antwortete der Gast, »mein Bruder ist vor vierzehn Tagen in der See ertrunken, und da hab' ich den Fisch gefragt, ob er mir keine Nachricht von ihm geben könnte.«

»Nun, und was antwortete der Fisch?« fragte der Gastgeber weiter.

»Er sagte mir, er könne mir leider gar keine Nachricht geben, denn er sei schon so lange aus der See fort, das Unglück müßte erst nachher geschehen sein.«

*

Warum die Katze so schrie.

Ein armer Mann kam in eine Barbierstube und fragte, ob man ihn nicht um Gottes willen umsonst barbieren wolle, da er kein Geld habe. Darauf antwortete der Meister verdrießlich: »Um Gottes willen? Das ist eine unangenehme Arbeit, aber setzt Euch für diesmal nur hin!« Damit winkte er dem Lehrling, der dem armen Mann das Gesicht mit kaltem Wasser und ohne Seife naß machte und ihn mit einem alten, stumpfen Messer erbärmlich genug rasierte.

Zu eben dieser Zeit schrie in der Küche eine Katze ganz jämmerlich, weil sie genascht hatte und deshalb Prügel bekam. Der Herr rief unwillig: »Warum schreit denn die Katze so?« Worauf der Mann, der so geschoren wurde, daß ihm die Augen überliefen, antwortete: »Vielleicht wird sie auch um Gotteswillen barbiert!«

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Der Bär als Schwein.

Ein Bärentreiber kam im Winter bei schrecklichem Schneegestöber abends spät in einer Mühle an, die unweit eines Dorfes im Ansbachischen lag. Er bat den Müller mehr um seines Bären willen als für sich selbst um ein Nachtquartier. Der Müller sah auch ein, wie unmöglich es dem Bärentreiber sei, jetzt noch weiterzuziehen, bedauerte aber, daß er grade für den Bären keine Unterkunft habe. »Wenn Ihr einen Tag später gekommen wäret,« fuhr der Müller gutmütig fort, »so hätte ich wohl auch Euren Bären beherbergen können. Morgen schlachte ich mein Schwein, und in dessen Stall hätte er gut Unterkunft finden können.« Der Bärentreiber, besorgt um die Pflege des ihn ernährenden Tiers, drang mit Vorstellungen und Bitten in den Müller, diese Nacht sein Schwein wo anders unterzubringen und den Schweinestall dem Bären einzuräumen. Es geschah, und alle legten sich behaglich zur Ruhe.

Um Mitternacht kam aber heimlich ein Dieb, der schon lange vorgehabt, das Schwein zu stehlen, und auf die Nachricht, daß der Müller am nächsten Tag schlachten wolle, nun endlich zur Tat schritt. Er packte den Bären an und wunderte sich, wie kräftig sich das Tier zur Wehr setzte. Aber grade das überzeugte ihn von der ungewöhnlichen Größe der erhofften Beute, und er ging nun erst recht auf den Bären los. Aber der Bär schlug, ohne zu murren, ruhig jeden Angriff ab. Da der Dieb natürlich immer noch ein Schwein, wenn auch ein ungewöhnlich großes, vor sich zu haben glaubte, so ließ er sich dadurch keineswegs abschrecken, sondern erneuerte mutig sein so viel versprechendes Werk. Aber der Bär, der unterdessen eine vorteilhafte Stellung genommen hatte, brachte seinen Gegner jetzt zwischen seine Tatzen, drückte ihn fest eingeschlossen sehr unsanft an seine Brust und begann ein fürchterliches Brummen als Siegesgeschrei. Jetzt erst merkte der Dieb, daß er irgendeiner unheimlichen Bestie in die Klauen geraten war und stimmte in den kläglichsten Tönen ein. Dieses seltsame Duett weckte bald den Müller, der den Bärentreiber davon benachrichtigte. Gemeinsam gingen sie zum Stall. Da lag der Besiegte, halb entseelt und noch fest eingeklammert zwischen den Tatzen seines zottigen Besiegers. Das gerettete Schwein wurde am nächsten Tage geschlachtet, der Bärentreiber blieb beim festlichen Schmause, und der Bär behauptete zum Lohn auch die andere Nacht den siegreich erkämpften Platz.

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Der grüne Hoppatzer.

In einer Augsburger Handschrift steht zu lesen:

»In Ulm an der Donau waren die Heringe lange Zeit unbekannt, bis zu Kaiser Friedrichs II. Zeiten ein Kaufmann ein Faß voll in die Stadt brachte. Er lobte sie über die Maßen, wie sie so eine gute Fastenspeise seien und gar leicht ohne alle Unkosten könnten zubereitet werden, »denn«, so sagte er, »wenn sie das Feuer nur gesehen haben, sind sie schon gekocht«. Der Rat der Stadt beschloß, den seltsamen Fisch zu probieren, und so führte man das ganze Faß zum Tor hinaus auf eine Wiese, wo ein großes Feuer angezündet wurde. Als das Feuer hell brannte, zog der hochweise Herr Bürgermeister zuerst einen Hering heraus und hielt ihn an das Feuer. Allein der Hering war schlüpfrig und wischte ihm aus der Hand. Der Bürgermeister, nicht langsam, bückte sich und suchte ihn im Gras. Aber er erwischte einen grünen Hoppatzer, den er so fest hielt, daß er vor Schreck »Quak, quak!« schrie.

»Quak hin, quak her,« sagte der Bürgermeister, »du hast das Feuer gesehen!« und wischte den grünen Hoppatzer ins Maul hinein. Von der Zeit an soll die Sprache erst des Bürgermeisters, dann der Kinder des Bürgermeisters, nachher aller Ulmer und zuletzt aller Schwaben dem Gequake der Frösche ähnlich geworden sein.

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Der schlaue Judas.

Wie die Legende erzählt, gingen Jesus, Petrus und Judas einst über Land und besaßen als Proviant eine Gans, die Judas in Verwahrung hatte. Da erklärte Jesus: »Für uns drei ist die Gans doch zu wenig. Legen wir uns hin, und wer den schönsten Traum hat, der soll sie bekommen!«

So legten sie sich hungrig zur Nachtruhe hin, und des Morgens beim Erwachen sagte Petrus: »Mir hat geträumt, ich wäre in den Himmel gekommen und säße nun zur Rechten des Vaters.«

»Und ich,« sagte Jesus, »ich träumte, ich säße neben dir!«

Endlich begann Judas: »Ich habe etwas merkwürdiges geträumt. Es war mir nämlich, als läge die Gans schön gebraten in einer Schüssel vor mir, und ich äße sie auf. Und heute früh, als ich nachsah, da war sie wirklich verschwunden.« Der schlaue Judas war nachts heimlich aufgestanden und hatte die Gans in der Tat gegessen.

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Der Papagei und der Affe.

Kurz vor der französischen Revolution spielte in der vornehmen Gesellschaft Frankreichs das galante Leben noch immer die größte Rolle. Der Marquis van Coigny und der Prinz von Monaco bewarben sich beide um die Gunst der Herzogin von Valentois. Der Marquis verehrte ihr einen sehr gelehrten Papagei, von dessen Redekünsten er sich viel versprach, der Prinz aber schenkte der Dame seines Herzens einen wunderbar abgerichteten Affen. Als ob die Tiere gewußt hätten, welche Rivalität zwischen ihren ehemaligen Herren herrschte, begannen sie sofort Streit miteinander, und der Affe riß dem Papagei sämtliche Federn aus, so daß das arme Tier bald darauf starb. Aus diesem Tierkampf entwickelte sich dann auch ein Kampf zwischen den beiden Rivalen um die Gunst der schönen Herzogin, und der Marquis von Coigny wurde im Duell schwer verwundet.

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Der prophetische Traum.

In Padua träumte jemand, er würde von einem großen Löwen gebissen, der an der Kirche der heiligen Justina in Marmor ausgehauen stand. Er mußte beim Erwachen sehr über diesen Traum lachen, und als er am nächsten Tage vor diesem marmornen Löwen vorbeiging, zeigte er ihn seinen Freunden, steckte seine rechte Hand in den Rachen des Löwen und sagte spöttisch:

»Seht doch den grimmigen Löwen, der mich im Traume biß!«

In demselben Augenblick aber fühlte er einen durchdringenden Schmerz und zog seine Hand schnell zurück. Er untersuchte seine Wunde und fand zu seinem Schreck, daß ihm ein Skorpion, der sich in den Rachen des Löwen verkrochen hatte, diese gefährliche Wunde beigebracht hatte. Er hatte große Ursache, seinen Übermut zu bereuen, denn trotz aller angewandten Mittel starb er nach einigen Tagen an seiner Wunde.

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Der Student und der Hund.

Ein Student wurde von einem großen Fleischerhund angefallen, der wütend auf ihn loskam. Der Student zog aber seinen Degen und durchstach seinen Angreifer, so daß er tot zu Boden fiel. Da der Besitzer des Hundes den Studenten verklagte, mußte sich dieser vor dem Richter verantworten. Auf die Frage, warum er den Hund getötet habe, antwortete der Student, er habe sich seines Lebens gewehrt. »Sie hätten aber doch nicht gleich zum Degen greifen sollen!« warf ihm der Richter vor.

»Ja, Herr Richter,« erwiderte der Student, »hätte der Hund mich mit dem Schwanz angegriffen, dann hätte ich mich seiner sicher mit der bloßen Hand erwehrt. Da er aber mit aufgesperrtem Rachen und scharfen Zähnen auf mich lossprang, glaubte ich ihm auch etwas Scharfes zeigen zu müssen, und ich hatte grade nichts anderes als meinen Degen.«

Dem Richter gefiel diese Antwort, und er wies den Fleischer mit den Worten ab: »Lern Er künftig Seinen Hunden mehr Höflichkeit, so wird Ihm keiner mehr erstochen!«

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Das Pferd ohne Kopf.

Ein betrunkener Pächter ritt auf einem sehr geduldigen und verständigen Pferde gegen Abend nach Hause. Einige junge Leute hatten ihm aufgelauert. Sie nahmen ihn vom Pferde, stellten sich, als plünderten sie ihm die Taschen und setzten ihn dann verkehrt wieder auf sein Pferd, wobei sie ihn, damit er nicht herunterfiele, festbanden. Das Pferd kam richtig zu Hause an. Der Pächter rief, und seine Frau öffnete das Tor, voll Verwunderung, ihren Mann in dieser Lage zu finden.

»Ach, Maria!« jammerte der noch immer betrunkene Pächter. »Diese verdammten Schurken haben mich ausgeplündert, und dann haben sie auch noch, wie du siehst, meinem Pferd den Kopf abgeschnitten.«

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Ein ägyptischer Münchhausen.

Daß es auch in Afrika Aufschneider gibt, erhellt aus einer merkwürdigen Tiergeschichte, die ein angesehener Einwohner der Wüste Schendy dem Fürsten Pückler erzählte:

»Es ist noch nicht lange her, daß ein Mann aus Berber sich hier niederließ, den wir alle gekannt haben. Eines Morgens führte er sein Pferd an den Nil, band den Strick, an dem er es hielt, an seinen Arm und kniete, während das Tier seinen Durst stillte, zum Gebet nieder. In dem Augenblick, wie er mit dem Gesicht auf dem Boden liegt, fegt ihn ein Krokodil nach der gewöhnlichen Art seines Angriffes mit seinem Schweif in das Wasser und verschlingt ihn. Das entsetzte Pferd wendet alle Kräfte an, um zu entfliehen, und da der im Bauche des Krokodils befindliche Arm seines Herrn den Strick nicht loslassen konnte, und der Strick auch nicht zerriß, so zerrte das Pferd an demselben das Krokodil nicht nur aus dem Flusse heraus, sondern schleppte es auch über den Sand, zwei Stunden weit, bis an die Tür seines eigenen Stalles fort, wo es denn bald von der herbeikommenden Familie getötet wurde. Den Verschlungenen aber zog man noch im lebenden Zustand aus dem Bauch des Tieres.«

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Die Hasenjagd.

Ich weiß nicht, ist es ein Schwabe oder ein anderer deutscher Landsmann gewesen, der einmal von einem Hasen hübsch angeführt worden ist. Es hatte nämlich ein lang anhaltender Regen die Gegend so sehr überschwemmt, daß fast alles Wild in den Niederungen zugrunde gegangen war. In dieser Not hatte sich ein Häslein schwimmend auf einen Weidenbaum gerettet, der noch aus dem Wasser hervorragte. Das sah ein Bauer von seiner einsamen Hütte aus und dachte sich: der Hase wäre doch mehr geborgen in seiner Küche, als dort auf dem Baume, wo er ohnehin zuletzt doch versaufen oder verhungern müßte. Also zimmerte er ein paar Bretter zusammen und ruderte damit gegen den Weidenbaum zu, um den Hasen zu fischen. Der aber mochte dabei auch seine Gedanken und Pläne im Kopf haben, wie es sich aus der Folge ergab. Denn wie nun der Bauer anfuhr und sich an den Zweigen erhob, ersah sich der Hase den rechten Augenblick und sprang über den Bauern hinweg auf das bretterne Fahrzeug, das durch den Aufsprung in Bewegung gebracht, nun fortschwamm, wohin es das Wasser führte. Beim nächsten Hügel, wo es anfuhr, sprang der Hase aufs Trockne und dankte, wie es schien, seinem Erretter mit dem allerliebsten Männchen. Der Bauer aber, der nicht schwimmen konnte, säße wohl jetzt noch auf dem Baume, wenn ihn die Nachbarn nicht heimgeholt hätten. Sie lachten ihn aber ob seiner Hasenjagd brav aus.

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Abenteuer in einer Wolfsgrube.

Es liegt ein Dorf in Lothringen, darin wohnte ein lebenslustiger und immer auf Schmausereien bedachter Pfaffe, wie man deren nicht wenige in Lothringen findet. Nun begab es sich am heiligen Dreikönigsabend, daß er aus seinem Dorf in ein benachbartes laufen wollte, um dort bei einem reichen Bauern den Königskuchen zu essen. Es war aber schon reichlich spät, da er schon in seinem eigenen Dorf ebenfalls den Königskuchen mitgegessen hatte. Nun hatten die Bauern von dem Dorf, in das er hingehen wollte, erst am selben Tag eine tiefe Wolfsgrube nicht weit von ihren Häusern aufgeworfen, und wie man zu tun pflegt, hatten sie inmitten der Grube eine Heustange aufgerichtet und eine Ente in einem Korbe darauf gebunden, damit, wenn die Wölfe und Füchse die Ente hörten, sie dem Geschrei zulaufen und in die Grube fallen sollten.

Als nun der hochwürdige Herr nahe dem Dorfe war, hörte er die Ente im Feld etwas abseits von der Straße schreien. Er dachte bei sich selbst: »Diese Ente ist aus dem Dorfe gekommen, wie leicht kann sie ein Fuchs erwischen und auffressen. Da ist es schon besser, ich fange und erwürge sie, dann kann ich sie an einem heimlichen Ort verstecken. Wenn ich dann nach dem Abendessen nach Hause gehe, so nehme ich sie mit und habe morgen zur Nacht noch einen schönen Braten.«

In solchen Gedanken kam der Pfaffe immer näher zu der Ente, und je näher er zu ihr kam, je lauter und anhaltender schrie sie. Nun war die Grube allenthalben mit kleinem Reisig und Stroh überdeckt, so daß der gute Pfaffe nichts anderes meinte, als es wäre ebener Boden, und schnell auf die schreiende Ente zulief, daß sie ihm nicht entkommen möchte. In solchem eilenden Laufen fiel er ganz ungestüm in die Wolfsgrube. Die Ente aber hub jetzt noch lauter zu schreien an. Dies hörte auch ein hungriger Wolf, der ebenfalls dem Entengeschrei zulief und zu dem Pfaffen in die Grube fiel. Als der Wolf merkte, daß er gefangen war, verhielt er sich ganz ängstlich und bescheiden und tat dem Pfaffen nicht das geringste Leid an. Trotzdem war es dem Pfaffen bei dem Wolf in der Grube gewaltig ängstlich, und er gab jeden Augenblick sein Leben verloren. Es dauerte dabei nicht ganz eine Stunde, da kam ein Fuchs, der ebenfalls meinte, einen guten Bissen zu erhaschen. Diesem erging es wie den beiden andern. Der Fuchs aber, sobald er in der Grube war, fing in seiner Angst an, den Pfaffen an seinem Rock zu beißen und zu zerren, daß dieser eine wahre Hölle ausstand und nicht mehr wußte, ob er leben oder sterben sollte.

Nun befand sich die Grube so nahe bei dem Dorfe, daß er es gut hörte, wenn die Bauern bei ihrem Fest auf den Bohnenkönig anstießen und ausriefen: »Der König trinkt!« Das machte den Geistlichen erst recht verdrießlich, denn er war es gewohnt, dabei zu sein, wenn irgendwo geschlemmt und getrunken wurde, nicht aber über Nacht in einer Wolfsgrube zu liegen. Als nun des Morgens die Bauern schauen wollten, was sie in der Nacht gefangen hätten, kamen sie mit Seilen und Leitern, Spießen und Keulen zu der Grube und fanden also den Pfaffen, Wolf und Fuchs beieinander, worüber sie sich sehr verwunderten.

Der Pfaffe bat sie gar freundlich, sie möchten von ihren Fragen abstehen und zunächst einmal trachten, ihn aus seiner großen Not herauszubringen. Nachher wollte er ihnen alle Dinge der Reihe nach erzählen. Sie ließen ihm also ein Seil in die Grube, der Pfaffe band sich selbst daran, und dann zogen sie ihn herauf. Der Pfaffe bat die Bauern um aller Heiligen Willen, sie sollten des Wolfes Leben verschonen, den Fuchs aber sollten sie umbringen, er wollte ihnen auch ein Trinkgeld geben.

Und als sie ihn nach der Ursache seiner seltsamen Bitte fragten, sagte er:

»O ihr lieben Freunde, der gute, fromme Wolf ist die ganze Nacht so züchtig und still bei mir in der Grube gesessen und hat mir gar kein Leid zugefügt. Aber der schädliche, lästerliche Fuchs fing, sobald er in die Grube kam, an, nach mir zu schnappen und meinen Rock zu zerreißen, und er hat mich ganz ängstlich gemacht. Darum hat er auch den Tod verdient.«

Die Bauern nahmen das angebotene Trinkgeld, schlugen aber sowohl den Fuchs wie den Wolf tot. Und ich glaube, hätten sie gewußt, daß es des Pfaffen Absicht gewesen, ihnen die Ente zu stehlen, sie hätten ihn sicherlich auch totgeschlagen, ebenso wie die beiden andern.

Aus Jörg Wickrams Rollwagenbüchlein.

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Die gestohlene Kuh.

In Köln hat ein Abenteurer sein Wesen getrieben, von dem man gar viel schreiben könnte, denn er ist heute noch vielen im Gedächtnis. Eine Geschichte, die ich selbst von glaubhaften Personen in Köln gehört habe, will ich hier kurz erzählen. Nach vielen abenteuerlichen Reisen ist er einst zwei Meilen von Köln in ein Dorf und in ein Wirtshaus gekommen und hat Herberge zur Nacht begehrt. Der Wirt hat ihm solche gegeben und ihn gefragt, wo er morgens hinwolle. Der Abenteurer antwortete, er wolle nach Köln auf den Markt. Da sprach der Wirt: »Das ist gut, dann können wir morgen miteinander gehn!« – »Wir müssen aber früh aufstehen,« meinte der Gast, »damit wir rechtzeitig auf den Markt kommen.« – Der Wirt sprach: »Schau du nur zu und verschlaf' dich nicht, ich bin immer früh auf.« – »Lieber Wirt,« bat der Gast, »wenn Ihr denn so früh auf seid, so weckt mich bitte!« und der Wirt versprach es ihm.

Nun hatte der Wirt eine feiste Kuh im Stall, das wußte der Gast wohl, und als nun alle im Haus schlafen gegangen waren, stand der Gast in großer Stille wieder auf, nahm die Kuh aus dem Stalle und führte sie bei Nacht einen guten Teil Wegs auf Köln zu und band sie in einem seitwärts gelegenen Gebüsch an einen Baum, damit jemand, der vorüberginge sie nicht sähe. Er selbst kehrte wieder in den Gasthof zurück.

Des Morgens früh stand der Wirt auf und weckte den Gast, und die beiden gingen nun miteinander plaudernd auf Köln zu. Als sie in die Gegend kamen, wo der Abenteurer die Kuh an einen Baum gebunden hatte, sagte der zu dem Wirt: »Hört einmal zu, lieber Wirt. Es ist mir ein Bauer in dem Dorf da hinter dem Gebüsch noch Geld schuldig, und ich will doch sehen, ob ich es nicht bekommen kann. Zieht also gemächlich weiter, ich werde bald wieder bei Euch sein.« Der Wirt sprach: »In Gottes Namen!« und ging langsam weiter. Der Schalk aber kam zu dem Baume, fand die Kuh noch angebunden, nahm sie bei dem Seil und zog aufs gemächlichste hinterher, so daß er erst kurz vor Köln wieder mit dem Wirt zusammentraf. Als der ihn kommen sah, rief er: »Gast, kommst du endlich? Ich habe schon lange auf dich gewartet!« Der Gast sprach: »Ja, ich habe viel Plage mit dem Bauern gehabt, bis ich zur Bezahlung gekommen bin. Denn er hatte kein Geld, und ich wollte die Schuld erledigt haben. Da hab' ich eine elende Kuh für mein gutes, ausgeliehenes Geld nehmen müssen. Ich fürchte, ich kann sie nicht für den Betrag in Köln verkaufen, wie ich sie genommen habe!« Der Wirt sah die Kuh an und sprach: »Das ist auf meinen Eid eine schöne, feiste Kuh! Wenn ich meine eigene Kuh nicht selbst gestern abend spät noch in den Stall gestellt hätte, dann würde ich schwören, es wäre meine Kuh, so ähnlich sieht sie ihr.« Damit schwiegen sie beide der Rede, bis sie in die Stadt Köln kamen.

Nun war aber der Gast in Köln schon so verrufen und bekannt, daß er sich auf dem Markt, wo man Kühe und Ochsen verkaufte, wegen verschiedener böser Streiche nicht sehen lassen durfte. Denn er hatte schon ein paarmal Ochsen gekauft und sie nachher nicht bezahlt. Deshalb sagte er zu dem Wirt, er hätte noch andere dringende Geschäfte, und bat ihn, doch für ihn die Kuh zu verkaufen. Er zeigte ihm auch seine Herberge an, wohin er ihm das Geld bringen sollte, und versprach ihm ein gutes Trinkgeld. Der Wirt ging darauf ein, löste für die Kuh sogar noch etwas mehr, als er gedacht hatte, und brachte das Geld dem Gast getreulich in die bestimmte Herberge. Der empfing das Geld mit großem Dank und schenkte dem Wirt ein Trinkgeld, womit dieser wohl zufrieden war.

Nun gedachte der Gast, wie er ohne Umstände von dem Wirt loskommen könnte und sprach zu ihm: »Wir wollen zu Morgen miteinander essen, denn die Kuh hat mehr eingebracht, als sie mir wert war. Der Bauer, der mir die Kuh gab, muß die Zeche bezahlen!« Damit bat er die Wirtin, ihm zwei zinnerne Platten zu leihen, er wolle gehn und ein paar gebratene Hühner kaufen. Im Begriff aber hinauszugehen, trat er an den Kölner Wirt heran und sagte: »Lieber Wirt, leiht mir Euren Mantel! Ich mag nicht, daß man sehe, was ich gekauft habe; ich will den Mantel darüber schlagen!« Im Wirklichkeit aber fürchtete er, daß man ihn in seinem gewöhnlichen Rock erkennen möchte. Als ihm nun der Wirt den Mantel gab, da schlug er ihn um seinen Rock, nahm die Platten darunter und wanderte damit fröhlich davon, denn es war ihm natürlich keinen Augenblick eingefallen, gebratene Hühner zu kaufen. Es lag ihm auch nichts daran, was die beiden Wirte nachher über ihn reden würden, denn er hatte überhaupt nicht vor, sich bei ihnen noch einmal sehen zu lassen.

Als nun die beiden Zurückgebliebenen lange auf ihn gewartet hatten, da kam auf einmal des guten Bauern Tochter gelaufen mit großem Weinen und Klagen und sagte. »Oh, Vater, es ist eine übele Geschichte geschehen. Wir haben unsere Kuh verloren, sie ist uns diese Nacht gestohlen worden!« Der Vater durchschaute jetzt die ganze Büberei und sprach: »Da schlag der Teufel drei! Ich habe sie selbst verkauft!« Und er mußte über den Schelmenstreich schließlich selbst lachen, und wartete jetzt auch nicht länger auf die gebratenen Hühner.

So war er um seine Kuh gekommen, die Wirtin um die beiden Platten und der Wirt um seinen Mantel. Und sie hatten es alle drei mit Willen getan, aber ohne ihr Wissen.

Aus: »Schimpf und Ernst« von Bruder Johannes Pauli.

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Der verzauberte Esel.

Von Michele Colombo, übersetzt von Wilhelm Cremer.

In vielen Gegenden Italiens sah man in früheren Zeiten auf den Gipfeln entlegener Hügel einsame Hütten errichtet, die man Einsiedeleien nannte. In diesen wohnten ein, zwei oder höchstens drei Männer, die dort ein einsames Leben führten und ihren Unterhalt in den benachbarten Dörfern und Städten einsammelten. Obgleich sie Mönchskleidung trugen, waren sie doch keine eigentlichen Mönche und lebten meist nach ihren eigenen Wünschen und Behagen. In der Treviser Mark hauste solch ein alter Einsiedler, ein ehrwürdiger Greis, der sich wegen seiner Gebrechlichkeit schließlich zwei jüngere Gefährten nahm, die Teodolindo und Arsenio hießen. Teodolindo hatte ein gewinnendes, angenehmes Wesen, das alle Herzen gewann, so daß er von jedem erhielt, was er nur wollte. Arsenio aber war ein lebenslustiger, heiterer Spaßvogel, der den Kopf voller Schnurren hatte und die Leute durch List dazu brachte, ihm seine Wünsche zu erfüllen, ohne daß sie es nur merkten.

Eines Tages begab es sich, daß die zwei lustigen Einsiedler nach ihrer Gewohnheit Almosen suchend durch das Land gezogen waren und gegen Abend ihre Schritte heimwärts lenkten. Da erblickten sie einen an einem Baum gebundenen Esel, der von niemand bewacht wurde. Er gehörte einem armen Landmann jener Gegend, namens Gianni, welcher, um sich und seine kleine Familie zu erhalten, ein Gütchen bewirtschaftete und jetzt gerade in einem nahe gelegenen Wäldchen Holz einsammelte, um es nachher dem Esel aufzuladen. Dieser Gianni war ein höchst einfältiger Mensch, dem man vorreden konnte, in gewissen Ländern hätten die Esel Flügel und könnten wie die Adler fliegen.

Die beiden Eremiten waren von ihrer langen Wanderung sehr ermüdet, besonders da sie volle Querfläche trugen, und als Arsenio den Esel sah, fiel ihm sofort ein neuer Streich ein.

»Was sagst du dazu, mein Bruder,« wandte er sich an Teodolindo, »daß dieses rüstige Lasttier müßig dasteht, während wir uns übermüde mit unserer Last nach der Einsiedelei schleppen müssen? Glaubst du nicht, daß, uns die göttliche Vorsehung diesen Esel hierhergestellt hat, und daß es Sünde ist, ihr Geschenk auszuschlagen?«

Er trat zu dem Eselein hin, legte seinen Quersack auf seinen Rücken und forderte den anderen Ermüdeten auf, das gleiche zu tun. Dann band er das Tier vom Saume los und zog ihm den Halfter ab. Er legte diesen um seinen eigenen Hals und band sich selbst in der Weise fest, wie früher das Lasttier angebunden gewesen war. »Geh, Bruder,« sagte er zu Teodolindo, »bringe die Last zur Einsiedelei und sage dem ehrwürdigen Alten, ich sei ermüdet zurückgeblieben und würde mit Gottes Hilfe morgen nachkommen. Der Esel sei geliehen und würde von uns nächste Woche zurückgebracht.«

Teodolindo schüttelte über diesen Eselsstreich den Kopf, ging aber doch seiner Wege und richtete alles aus, wie ihm Arsenio gesagt hatte. Inzwischen hatte Gianni seinen Holzvorrat gesammelt, und als er nun den Eremiten anstatt seines Esels angebunden fand, da rief er aus: »Herr Gott, stehe mir bei!«

Er war ganz außer sich, die Haare standen ihm zu Berge, er schlug ein Kreuz und fürchtete, das Ganze sei ein Streich, den ihm der Teufel spielte. Der Einsiedler hielt mit Mühe sein Lachen zurück und sprach mit angenommenem Ernst: »Du wunderst dich höchlich, mein Sohn, über das, was du siehst, und du hast wohl Ursache dazu. Tritt zu mir, ohne Furcht mein Sohn, und erstaune über Gottes geheimes Gericht. Wisse, daß kein Mensch auf dieser Welt sündenfrei leben kann. Auch ich, der ich lange Jahre als Eremit gelebt hatte, unterlag der Versuchung des Bösen, bis mich die Gerechtigkeit Gottes eines Tages, um mich zu strafen, in ein gemeines Lasttier verwandelt hat. Nun aber hat mir die himmlische Barmherzigkeit wieder meine menschliche Gestalt zurückgegeben, und ich bitte dich, mich von den schimpflichen Banden, die um meinen Hals gebunden sind, zu befreien.«

Gianni schenkte Arsenios Worten völligen Glauben. Als er ihn losgebunden hatte, fiel er ihm zu Füßen und sprach fast weinend: »Mein Vater, verzeiht mir die vielen Schläge, die Ihr von mir bekommen habt, und die endlosen Flüche, die ich über Euch ausgestoßen habe.«

Arsenio hob ihn freundlich auf und sagte: »Betrübe dich nicht darüber, mein Sohn. Es war das alles Gottes Wille, und je mehr du mich geschlagen hast, um so schneller war ja auch meine Buße beendet. Ich aber werde, sobald ich in meine Zelle zurückgekehrt bin, nie unterlassen, mit heißen Gebeten seiner zu gedenken, damit dir für den verlorenen Esel der reiche Segen des Himmels zuteil wird.«

Gianni versetzte: »Herr, wollt Ihr nicht heute nacht in meiner Hütte einkehren? Es ist schon spät.«

»Du hast recht«, sagte der Einsiedler und machte sich mit dem Bauern auf den Weg, wobei er aber das Gespräch auf dessen Familie lenkte und so unbemerkt von allem Kunde erhielt. Als sie daher in die Hütte traten, tat er, als kenne er alle Anwesenden, und fing bald mit diesem, bald mit jenem vertraut zu sprechen an, worüber sie sich sehr verwunderten. Noch mehr erstaunten sie, als ihnen Gianni die Geschichte des guten Eremiten erzählte, und auch sie bedauerten den Ärmstes wegen der Mühsale, die er erduldet hatte. Die Hausfrau beeilte sich, ein leckeres kleines Abendessen herzurichten, und Ganni opferte ein eifersüchtig bewahrtes Fäßchen würzigen Weins. Der Eremit aber wußte sie durch weise Gespräche zu unterhalten, die spaßhaft und doch zugleich erbaulich waren. Am nächsten Morgen nahm der Einsiedler nach einem kleinen Frühstück Abschied und kehrte in die Einsiedelei zurück. Den Esel übergab er einem ehrlichen Mann, der in der Nähe wohnte, damit er ihn zum Verkauf auf den Markt führe.

Zufällig war an dem gleichen Tage auch Gianni daselbst. Er sah seinen Esel und erkannte ihn gleich an einem der Ohren, das ein wenig verstümmelt war. Er war sehr betrübt, trat zu ihm hin, näherte sich seinem Ohr, um insgeheim mit ihm zu sprechen, und sagte ganz leise: »Ach, lieber Vater, seid Ihr schon wieder der Versuchung unterlegen?«

Der Esel, als er das Geflüster an seinem Ohre vernahm, schüttelte seinen Kopf, als wollte er nein sagen.

»Leugnet es nicht«, antwortete Gianni wieder ins Ohr. »Ich erkenne Euch nur zu gut; Ihr seid derselbe!«

Der Esel schüttelte den Kopf.

»Ei, so lügt doch nicht, ehrwürdiger Vater«, versetzte der ehrliche Bauer mit etwas gehobener Stimme. »Das Lügen ist eine Sünde. Es ist viel besser, Ihr gesteht es. Ihr wißt ja, eine Sünde, die man gebeichtet hat, ist schon halb vergeben.«

Die Leute, die einen Menschen mit einem Esel reden hörten, hielten Gianni für verrückt, und als er die ganze Geschichte erzählte, brach ein schallendes Gelächter aus. Am Ende redete ihm einer im Scherze zu, das unglückliche Tier wieder zu kaufen, es mit Korn und dem besten Heu, das er habe, zu füttern, und ihm eine möglichst gute Behandlung angedeihen zu lassen zum Ersatz für die Unbill, die er ihm früher angetan. Der Rat gefiel Gianni, er kaufte den Esel und nahm ihn mit nach Hause.

Seine Angehörigen staunten sehr, als sie ihren alten Esel wieder sahen, und von jetzt ab wurde er von allen nur gepflegt und gehätschelt. Aber das schändliche Tier ward darüber bald unverschämt und nahm so üble und störrische Gewohnheiten an, daß er schließlich allen zur Last wurde. Er biß heftig, stieß mit den Füßen und schrie so laut bei Tag und bei Nacht, daß sie es nicht mehr ertragen konnten. Am Ende sah Gianni, daß der schlimme Esel alle Tage böser wurde, und da er für das Seelenheil des Eremiten fürchtete, nahm er von neuem seine Zuflucht zu Prügel und Hieben.

Aber sei es, daß der Herr Esel inzwischen allzu verzärtelt worden war oder daß Gianni in seiner sonst löblichen Strenge etwas zu weit ging, jedenfalls konnte das Tier eine so harte Zucht nicht ertragen und war in kurzer Zeit des Todes verblichen. Die ehrlichen Leute beweinten den Einsiedler sehr, besonders weil er in der Eselsgestalt ohne Reue verstorben und so der ewigen Verdammnis verfallen war, und hüteten sich, ihrerseits je in die Fallstricke des Teufels zu verfallen.

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Der Bauer und der Sperber.

Von Franco Zachetti. Übersetzt von Wilhelm Cramer.

Als König Philipp von Valois regierte und zu Paris wohnte, besaß er einen Sperber, der an Schönheit und Vortrefflichkeit alle übertraf, die je an seinem Hofe waren. Der Sperber hatte Schellen von Gold und Silber und alle mit Schmelz überzogen, auf denen die Lilien des königlichen Wappens standen. Einstmals auf einer Jagd ließ ihn der Falkner auf Rebhühner los; die faßte er aber nicht, und während er sonst so zahm war, daß er immer, wenn er einmal nichts fing, vom Fluge auf die Faust zurückkehrte, tat er nun gerade das Gegenteil. Er flog in die Höhe und so weit weg, daß man ihn ganz aus dem Auge verlor.

Als der König dies sah, schickte er acht Knappen nebst dem Falkner aus, um das Tier zu verfolgen, bis sie es wiederfänden. Sie gingen da- und dorthin und zogen acht Tage umher, ohne eine Spur von ihm zu entdecken, kehrten dann nach Paris zurück und meldeten es dem König. Dieser ward sehr betrübt und beklagte bitter den Falken. Schließlich ließ er öffentlich bekanntmachen, wer ihm den Sperber finge und wiederbrächte, der würde von ihm zweihundert Franken bekommen, wer ihn aber behielte, käme an den Galgen. Die Nachricht ging durch das ganze Land.

Einen Monat später arbeitete ein Bauer in einer entfernt liegenden Grafschaft auf dem Felde und hörte plötzlich die Glöckchen des Sperbers, der auf einem Baum saß. Der Bauer trat wie zum Scherz näher, hielt seine rauhe, schwielige Hand hin, und auf eine sonst gar nicht gewöhnliche Lockung kam ihm das Tier auf die Hand. Als der Bauer die königlichen Wahrzeichen sah, von denen er durch seine erwachsenen Töchter gehört hatte, erfaßte er die Wurfriemen, knüpfte diese an ein Seil und band es an eine Stange. Als er aber überlegte, wer er war und daß er nun genötigt sei, den Vogel vor den König zu bringen, wurde ihm ganz ängstlich zumute. Dennoch begab er sich auf den Weg.

Unterwegs traf er einen Türsteher des Königs, der in Geschäften zufällig seine Straße kreuzte. Er hörte die Schellen und sagte: »Du hast den Sperber des Königs. Gib ihn mir, du würdest ihn nur verderben.«

Der Bauer antwortete: »Seid so gut und entreißt mir nicht, was mir das Glück verliehen hat! Ich will ihn tragen, so gut ich es kann.«

Der andere bemühte sich mit Bitten und Drohungen, um ihn von dem Bauer zu bekommen, aber es half nichts. Endlich sagte der Türsteher: »Dann tut mir wenigstens einen Gefallen. Ich stehe gut mit dem König, ich werde dir nützlich sein, in was ich kann. Versprich mir aber, daß du mir die Hälfte gibst von dem, was dir der König gibt.«

Der Landmann sagte: »Ich bin's zufrieden!« und versprach es. Mit vieler Mühe kam er auch nach Paris und fand seinen Weg zu dem König. Dieser war sehr erfreut, seinen Sperber wiedergefunden zu haben und sprach zu dem Bauer: »Verlange, was du begehrst!«

Der Bauer antwortete: »Herr König, dieser Sperber ist mir auf die Hand gesessen, mit Gottes Hilfe habe ich ihn hergebracht, so gut ich konnte. Das Geschenk, das ich dafür von Euch verlange, ist, daß Ihr mir fünfzig Prügel- oder Peitschenhiebe geben laßt.«

Der König verwunderte sich und fragte ihn um den Grund dieser Bitte. Der Bauer erzählte nun, wie ihm der Türsteher das Versprechen abgedrungen habe.

»Er verlangte, ich sollte ihm die Hälfte geben von dem, was Eure heilige Krone mir schenke. Laß ihm also fünfundzwanzig geben und die anderen fünfundzwanzig mir. Ich bin zwar ein armer Mann und hätte es wohl nötig, für meine zwei heiratsfähigen Töchter etwas anderes zu erhalten. Aber dennoch will ich zufrieden weggehen, wenn ich bekommen, was ich verlange, um den anderen das empfangen zu sehen, was er verdient, und wenn ich auch die gleiche Strafe dulden muß, als wenn Ihr mir von Eurem Gold und Eurem Silber gäbet.«

Der König war weise und verstand die Rede des ungebildeten Bauern, dachte daher, ihn nach Gerechtigkeit zufriedenzustellen und sagte zu seinen Leuten: »Ruft mir den Türsteher herbei!«

Er wurde sogleich gerufen, kam vor den König, und dieser fragte ihn: »Du hast diesen Mann getroffen, wie er mit dem Sperber kam?«

Er antwortete: »Ja, Herr König.«

Der König sprach: »Du hast von ihm die Hälfte des Geschenkes begehrt, das er bekommen würde. Ich schenke nun diesem Bauern fünfzig Peitschenhiebe auf den bloßen Leib, von denen du nach dem Vertrage fünfundzwanzig bekommen sollst.«

Er befahl einem seiner Gerichtsdiener, ihn sogleich entkleiden zu lassen und zur Ausführung zu schreiten, und so geschah es. Der König ließ ihn nun in Gegenwart des Bauern vor sich kommen und sprach zu diesem: »Ich habe ihm die Hälfte des Geschenkes gegeben und dir deine Verpflichtungen abgenommen, die du durch dein Versprechen gegen diesen Schurken hattest. Den Rest gebe ich dir allein.«

Dann wandte er sich zu einem seiner Kämmerer und sprach: »Geh', laß diesem Mann zweihundert Franken geben, damit er seine Töchter verheiraten kann. Und in Zukunft komm' ruhig zu mir, wenn dir etwas fehlt, ich will immer deiner Not abhelfen.«

So schied der Bauer glücklich von dannen. Der Meister Türsteher aber nahm sich von den Peitschenhieben eine Warnung, um nicht mehr seinem eigenen Vorteil statt dem des Königs nachzugehen.

*

Scherzhafte Jagd.

Talleyrand, Fürst von Benevent, war beim Ausbruch der französischen Revolution Bischof von Autun und Abt von Celles und St. Denis. Später in der Revolutionszeit gewann er einen großen Einfluß und wurde 1797 Minister der auswärtigen Angelegenheiten. Mit Bonaparte stand er anfangs nicht im besten Einvernehmen, er haßte ihn als einen ahnungslosen Emporkömmling und spielte ihm einst einen netten Streich.

Es war zur Zeit des Konsulats und Talleyrand besaß bei Auteuil an der Seine in der Nähe des Wäldchens von Boulogne ein Landhaus. »Ich will einmal zum Frühstück zu Ihnen kommen«, sagte Bonaparte zu dem ehemaligen Bischof von Autun.

»Tun Sie das, General«, erwiderte dieser. »Mein Haus liegt nahe am Wäldchen von Boulogne, und nach dem Frühstück unterhalten wir uns mit Jagen.«

Bonaparte war damals sehr jung und kannte das Wäldchen von Boulogne wenig oder gar nicht, und so fragte er, ob es in dem Wäldchen wohl wilde Schweine gäbe.

»Es gibt nicht viele«, antwortete der verblüffte Talleyrand, der sofort dem Konsul einen Streich zu spielen beschloß. »Aber Sie sollen welche finden!«

Sofort wurde verabredet, daß die Jagd am nächsten Morgen um sieben Uhr stattfinden sollte, und Talleyrand, der vor Lachen fast sterben wollte, schickte sofort auf den Markt, um ein großes schwarzes Schwein zu erhandeln, das zwei seiner Leute geradenwegs nach dem Wäldchen von Boulogne schleppen und dort im Laufen üben mußten. Bonaparte kam, von seinem Adjutanten begleitet, auch pünktlich an, und diese machten sich im Stillen über die meist wenig passenden Jagdausdrücke im Munde des Konsuls lustig. Das Frühstück war bald zu Ende, die Gesellschaft brach jubelnd auf und stürzte mit den von den nächsten Pächtern zusammengebrachten Hunden in den Wald. Man suchte eine Weile, endlich ward dann das Schwein losgelassen, und Bonaparte schrie jauchzend: »Ich sehe den Keiler!«

Talleyrand, der mit Schrecken gewahr wurde, daß das Tier keine Lust hatte, sich besondere Bewegung zu machen, sandte schnell einen Diener mit einer scharfen Hetzpeitsche hinter ihm her, der mit seinen Hieben den Eber endlich zur Flucht brachte. Der Konsul, nur mit seinem Gewehr beschäftigt, hatte nichts davon bemerkt. Wütend sprengte er hinter dem vermeintlichen Keiler her und erreichte ihn nach einer halbstündigen Jagd.

Unterdessen hatten die Adjutanten natürlich den Streich durchschaut, den man ihrem Herrn spielte, und einer von ihnen sprengte an ihn heran und flüsterte ihm zu, der angebliche Keiler sei ein ganz gewöhnliches Schwein. Der Konsul schäumte vor Wut und jagte im stärksten Galopp nach Auteuil zurück. Vielleicht hätte er an Talleyrand eine üble Rache genommen, aber er erinnerte sich rechtzeitig, daß dieser mit der ganzen guten Gesellschaft von Paris in engster Verbindung stand und ihn zum Gegenstand eines allgemeinen Gelächters gemacht hätte, wenn er die Sache zu ernsthaft genommen hätte. Bei seiner Ankunft in Auteuil unterdrückte er daher seinen Ärger und tat so, als habe ihm der Streich einen wirklichen Spaß gemacht.

Dies gab Talleyrand den Mut, noch einen zweiten Streich mit dem Konsul zu beginnen. »Aus der Eberjagd ist nichts geworden«, sagte er daher. »Aber es ist noch zu früh, nach Paris zurückzukehren. Das Wäldchen von Boulogne strotzt von Kaninchen, und Ludwig der Sechzehnte liebte diese Jagd besonders. Sie wissen, er war ein großer Jäger.«

»Ja,« erwiderte Bonaparte, noch immer in schlechter Laune, »und ich bin ein desto schlechterer.«

»Der Ritt muß Ihnen Appetit gemacht haben«, begann Talleyrand wieder, »während wir uns erfrischen, will ich meine Flinten holen lassen, die ich von Ludwig dem Sechzehnten geerbt habe.«

Das nun folgende Frühstück dauerte zwei Stunden, während welcher Talleyrand seinen Gast mit Schmeicheleien überschüttete, worin er ein großer Meister war. Inzwischen wurden alle Bedienten nach Paris gesandt mit dem Auftrag, alle Kaninchen aufzukaufen, die sie finden konnten. Schnell wurden ihrer fünf- bis sechshundert zusammengebracht und in Fiakern nach dem Wäldchen von Boulogne gefahren.

Bonaparte machte sich mit seiner Flinte und seinen Adjutanten auf die Jagd. »Ich bin kein Ludwig der Sechzehnte,« sagte er, »und daher überzeugt, daß ich nicht ein einziges schießen werde.« Dennoch erlegte er mehrere Kaninchen, und die Adjutanten mußten über den Eifer, mit dem er die unschuldigen Tiere verfolgte und dabei immer von Ludwig dem Sechzehnten sprach, innerlich lachen. Das fünfzehnte Kaninchen fiel, und Bonaparte jubelte über sein Glück, bis endlich einer seiner Begleiter, der sich nicht länger halten konnte, ihm ins Ohr raunte: »Ich weiß nicht, General, aber mir scheint es, das sind zahme Kaninchen. Der Halunke hat uns zum zweitenmal zum besten gehabt.«

Diesmal war Bonaparte ernsthaft wütend und ritt im Galopp nach Paris zurück. Sechs Monate vergingen, ehe Talleyrand ihn wieder sah. Die Furcht vor der Rache des Konsuls aber machte, daß weder von den Kaninchen- noch von der Eberjagd in den feinen Kreisen von St. Germain ein einziges lautes Wort gesprochen wurde. Desto mehr spottete man aber im geheimen über den Emporkömmling, der zahme Schweine für wilde Eber gehalten hatte.

*

Die drei Hunde auf der Hochzeit.

Es waren einmal in einem Dorfe drei Hofhunde, die hielten gute Nachbarschaft miteinander. Nun sollte da eine große Bauernhochzeit sein. Alt und Jung war dazu geladen, und es wurde gekocht und gebacken, gesotten und gebraten, daß der Geruch durch das ganze Dorf zog. Die drei Hunde waren auch beisammen und rochen den feinen Dunst und ratschlagten, wie sie auch hin zur Hochzeit gehen wollten und sehen, ob für sie nichts abfallen würde. Aber um unnützes Aufsehen zu vermeiden, beschlossen sie, nicht sogleich alle drei auf einmal hinzugehen, sondern einzeln, einer nach dem andern.

Der erste ging, machte sich in das Schlachthaus, erschnappte jählings ein großes Stück Fleisch und wollte damit seiner Wege gehen. Allein er wurde erwischt und empfing eine fürchterliche Tracht Prügel, abgesehen davon, daß man ihm das Stück Fleisch aus den Zähnen riß.

So kam er hungrig und übel geschlagen zurück auf den Hof zu seinen Nachbargesellen, die hungerten schon nach guter Nachricht und fragten: »Nun, wie hat es dir ergangen und gefallen?« Da schämte sich aber der Hund, die Wahrheit zu gestehen, daß sein Hochzeitsmahl in einer scharfgesalzenen Prügelsuppe bestanden, und er sprach deshalb: »Ganz wohl! Aber es geht dort scharf her und muß einer hart und weich vertragen können!«

Die Kameraden, als sie das hörten, meinten, es werde über alle Maßen gegessen und getrunken auf der Hochzeit, und es fielen viele gute Bröcklein ab, harte und weiche, Fleisch und Bein, und alsbald rannte der zweite Hund in vollen Sprüngen nach dem Hochzeithaus, gerade in die Küche und nahm, was er fand. Aber ehe er noch den Rückweg fand, war er schon bemerkt, und es wurde ihm ein Topf voll siedend heißem Wasser über den Rücken gegossen, daß es nur so dampfte, als er von dannen schoß wie ein Pudel, der aus dem Wasser kommt. Doch ob's ihn auch schrecklich brannte, er verbiß seinen Schmerz.

Als er nun auf den Hof kam, wo die beiden Kameraden seiner harrten, da fragten die gleich: »Nun, wie hat es dir gefallen?« – »Ganz wohl!« antwortete der Hund. »Aber es geht dort heiß her und muß einer kalt und warm vertragen können.«

Da dachte der dritte Hund: Die Hochzeitsgäste sind beim Schmaus in voller Arbeit, und kalte und warme Speisen wechseln ab! Er wollte daher nichts versäumen und wenigstens zum Nachtisch da sein, wenn der mürbe Kuchen aufgetragen wird, und er eilte sich, was er konnte. Kaum aber war der in dem Hause, da erwischte ihn einer, klemmte ihm den Schwanz zwischen die Stubentür, gerbte ihm das Fell windelweich und klemmte solange, bis die Haut vom Schwanze sich abstreifte und der Hund verschändet entsprang.

»Nun, wie hat es dir auf der Hochzeit gefallen?« fragten die Freunde, jeder mit etwas Spott im Herzen. Der Übelzugerichtete zog seinen geschundenen Schwanz, so gut es gehen wollte, zwischen die Beine, daß man ihn nicht sah, und sprach: »Ganz wohl! Es ging recht toll her und gab viel Mürbes, aber Haare muß einer lassen können.«

Und da dachten die drei Hunde noch lange daran, wie wohl ihnen die Hochzeitssuppe, die Hochzeitsbrühe und der Hochzeitskuchen geschmeckt habe, und vom Braten hat jeder genug gerochen.

Ludwig Bechstein.

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Wie durch eine Katze ganz Schilda abgebrannt ist.

In Schilda hatte es von altersher nie eine Katze gegeben, so daß es kein Wunder war, daß die Mäuse immer mehr zunahmen und selbst im Brotkorbe nichts mehr vor ihnen sicher war. Was die Schildbürger nur neben sich stellten, wurde von den Tieren zernagt und gefressen, und die Angst vor ihnen war groß. Da begab es sich, daß ein fremder Wandersmann durch Schilda kam. Er trug eine Katze auf dem Arm und kehrte beim Wirt ein. Der Wirt fragte ihn, was dies für ein Tier sei, und der Fremde sagte, es sei ein Maushund. Nun waren die Mäuse in Schilda so zahm, daß sie vor den Leuten gar nicht mehr flohen und am hellen Tage ohne Scheu hin und her liefen. Darum ließ der Wandersmann die Katze laufen, und sie erlegte vor den Augen des Wirts nicht wenige der Mäuse. Als der Gemeinde dies durch den Wirt gemeldet wurde, fragten die Schildbürger den Mann, ob ihm der Maushund wohl feil wäre, sie wollten ihn gut bezahlen. Er antwortete, der Maushund sei ihm zwar eigentlich nicht feil, weil er ihn zu gut gebrauchen könne, aber ihnen wolle er ihn doch für einen billigen Preis ablassen. Und so forderte er hundert Gulden dafür. Die Bauern waren froh, daß sie ihm die Hälfte sofort bezahlten, die andere Hälfte sollte er sich in einem halben Jahr holen kommen. Der Kauf wurde eingeschlagen, und der Fremde trug den Schildbürgern den Maushund in das Vorratshaus, in dem sie ihr Getreide liegen hatten, denn dort waren auch die meisten Mäuse. Der Wanderer aber zog eilig mit dem Gelde davon, denn er befürchtete, der Kauf möchte sie reuen und sie möchten ihm das Geld wieder abnehmen.

Nun hatten aber die Bauern vergessen, zu fragen, was der Maushund esse. Darum schickten sie dem Wanderer eiligst einen nach, der ihn danach fragen sollte. Als nun der mit dem Gelde sah, daß ihm jemand nachlaufe, eilte er nur um so mehr. Der Bauer aber rief ihm von ferne zu: »Was isset er? Was isset er?« Der Fremde antwortete: »Wie man's beut! Wie man's beut!« Der Bauer aber verstand: »Vieh und Leut! Vieh und Leut!« Er kehrte sehr bestürzt um und brachte dem Rat die furchtbare Nachricht. Die Ratsherrn waren noch viel mehr erschrocken und sprachen: »Wenn er keine Mäuse mehr hat, dann wird er unser Vieh fressen und endlich uns selbst, obgleich wir ihn mit unserm guten Gelde für uns gekauft haben!« Sie hielten deswegen einen Rat über die Katze und wollten sie töten. Es hatte aber keiner das Herz, sie anzugreifen. Endlich beschlossen sie einmütig, das Haus, in dem die Katze sich befand, mit Feuer zu vertilgen. Denn ein geringer Schaden wäre besser, als daß sie alle um Leib und Leben kämen. Und somit zündeten sie ihr Vorratshaus an.

Als aber die Katze das Feuer roch, sprang sie zum Fenster hinaus und rettete sich in ein anderes Haus, während das verlassene bis auf den Erdboden niederbrannte. Niemand war in größerer Angst als die Schildbürger, da sie des Maushundes nicht Herr werden konnten. Sie hielten aufs neue Rat, kauften das Haus, in dem die Katze jetzt war, und zündeten es auch an. Aber die Katze sprang auf ein Dach, saß da eine Weile und putzte sich nach ihrer Gewohnheit mit der Pfote den Kopf. Die Schildbürger aber meinten, der Maushund hebe die Hand auf und schwöre, daß er solches nicht ungerächt lassen wolle. Da nahm einer einen langen Spieß, um nach der Katze zu stechen. Diese aber ergriff den Spieß und fing an, daran hinabzulaufen. Darüber entsetzten sich die Bürger und die ganze Gemeinde, liefen davon und ließen des Feuer brennen. Dieses verzehrte den ganzen Marktflecken bis auf das letzte Haus, die Katze aber kam gleichwohl davon.

Die Schildbürger aber, die so ihre Heimat verloren hatten und sich auch vor der Rache des Maushundes fürchteten, zogen auseinander, der eine hierhin, der andere dorthin. Und seitdem gibt es Schildbürger in der ganzen Welt.

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Napoleon schießt einen Hirsch.

Napoleon, der mit Feuerwaffen in den Händen anderer so gut umzugehen wußte, war der schlechteste Schütze von der Welt. Nahm er ein Gewehr in die Hand, so konnte er auf dreißig Schritt einen Ochsen nicht treffen. Dennoch ging er auf die Jagd, aber nicht, weil er Vergnügen daran fand, sondern weil er sie als eine königliche Zerstreuung betrachtete, und weil er glaubte, daß gerade diese Bewegung seiner Gesundheit sehr zuträglich sei. Er galoppierte drauf los, und seine Jäger mußten das Tier verfolgen. Das einzige, was ihn unterhielt, war, bei dem Hallali dabei zu sein. Eines Tages, bei Fontainebleau, stellte der Hirsch die Hunde, als nur einige Jäger in der Nähe waren; weder der Kaiser noch die Personen seiner nächsten Umgebung hatten der Jagd zu folgen vermocht. Schon waren mehrere Hunde durch den Hirsch kampfunfähig gemacht worden, und die Jäger befanden sich in großer Verlegenheit. Töteten sie den Hirsch, so war der Kaiser damit nicht zufrieden; ließen sie die Hunde töten, so setzten sie sich einer Strafe durch den Oberjägermeister aus.

»Wo ist der Kaiser?« hat jemand den Kaiser gesehen?« fragten verschiedene.

»Ich glaube, er ist fort!« sagte einer. »Ich sah ihn in der Richtung auf Fontainebleau galoppieren.«

Nun entschloß sich der älteste der Jäger, den Hirsch abzufangen; kaum aber war dieses geschehen, als man am Ende einer Allee eine Reitergruppe erblickte.

»Ach, du lieber Gott!« rief einer der Jäger. »Wir sind verloren! Da kommt der Kaiser mit seinem Gefolge.«

»Bah!« rief der alte Jäger. »Er versteht nichts davon, und wenn er auch von manchen Dingen mehr weiß als ich, so will ich ihm doch hier wohl etwas weißmachen.«

Mit diesen Worten sprang er in das Holz, schnitt zwei Gabelzweige ab, steckte sie in den Boden und stützte damit den Hirsch so, daß er wie lebend aussah. Die Hunde umgaben bellend den Verendeten, und Napoleon erschien auf dem Platze. Er stieg vom Pferde, ergriff eine Büchse und schoß den besten Hund der Meute tot.

»Sire, der Hirsch ist tot!« meldete der Jäger.

»Das hatten Sie nicht nötig, mir noch erst zu sagen!« erwiderte Napoleon sehr zufrieden, bestieg sein Pferd und ritt nach Fontainebleau zurück.

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Der tote Schimmel.

Ein reicher Kaufmann in Danzig besaß einen Schimmel, der eines Tages erkrankte und trotz guter Pflege starb. Zufällig befand sich gerade der Barbier bei dem Kaufmann, als man diesem die Nachricht brachte, und der Barbier bat den reichen Herrn, er möchte ihm doch den toten Schimmel schenken. Auf seinen Wunsch erhielt er denn auch eine schriftliche Anweisung an den Stallknecht zur Herausgabe des Schimmels. Die Anweisung, der Datum und Unterschrift nicht fehlten, lautete: »Ich habe dem Barbier Schopf den Schimmel geschenkt, der ihm zu verabfolgen ist.«

Dankend entfernte sich der Barbier und ging in eine große Gaststube, wo wegen des Marktverkehrs zahlreiche Leute aus- und eingingen. Der Barbier war fröhlich und guter Dinge, ließ sich eine Flasche Wein bringen und lud auch einige Bekannte ein, mit ihm ein Gläschen zu trinken. Diese staunten darüber sehr, denn der Barbier pflegte sonst gar nicht so freigebig zu sein, und sie fragten ihn, ob er ein gutes Geschäft gemacht habe.

Da erzählte er ihnen nun, dem sei allerdings so, denn der Kaufherr Frantz habe ihm seinen Schimmel geschenkt. Anfangs wollte das keiner glauben, als er aber mit seinem Schein herausrückte und man die Unterschrift des Herrn Frantz erkannte, wurden auch die Ungläubigsten anderer Meinung, wenn sie auch meinten, eine solche Freigebigkeit sei eigentlich unerklärlich, und die Sache müsse doch noch einen Haken haben.

»Ja,« sagte der Barbier, »es liegt allerdings ein ungewöhnlicher Grund vor. Heute Morgen erhielt Herr Frantz die Nachricht, daß ein Schiff, das er längst verloren gegeben hatte, glücklich in einem Hafen gelandet war, und er befand sich in einer ganz ungewöhnlich guten Stimmung. Die hab' ich dann zu benutzen gewußt, und als sich gerade der Stallknecht über irgend was an dem neuen Wagen beschwerte, sagt ich zum Herrn Frantz, er möchte mir doch den Schimmel schenken und sich ein anderes Pferd kaufen, das besser in den neuen Wagen paßte. Der alte Herr wollte zwar anfangs nicht darauf eingehen, ich ließ aber nicht nach mit Bitten, bis er, um mich loszuwerden, mir lachend den Schimmel schenkte, wie ihr hier schwarz auf weiß sehen könnt. Nun will ich hingehen und mein Pferd verkaufen.«

Als er so gesprochen hatte, trank er sein Glas aus und wollte fortgehen, kehrte aber noch in der Tür um und sagte: »Hört einmal, mir fällt etwas ein. Ich könnte den Schimmel auch verlosen. Ich bin zufrieden, um schnell zu Geld zu kommen, wenn zwanzig Lose, jedes zu einem Dukaten, genommen werden. Wer nimmt ein Los?«

Da der schöne Schimmel in Danzig ziemlich bekannt war, so waren sofort verschiedene Einheimische und dann auch Fremde bereit, sich zu beteiligen, und ehe eine halb Stunde vergangen war, hatte der Barbier unter den Gästen sämtliche Lose abgesetzt. Nun ging's an das Auslosen, und siehe da! ein biederer Bauer war der Glückliche, dem der Schimmel zufiel. Der Barbier war gleich bereit, dem hocherfreuten Bauer seinen Schimmel zu übergeben, und beide gingen nun nach dem Stall des Herrn Frantz.

Der Schimmel lag auf der Erde, und als er auf den Zuruf des Barbiers nicht aufsprang, ergriff dieser die Peitsche, um den faulen Gaul wieder auf die Beine zu bringen. Aber der Schimmel kehrte sich nicht an die Schläge. Da wurde der Barbier wütend, peitschte den Schimmel mit aller Macht und schrie dazu, wie nur ein wütender Pferdeknecht schreien kann. Jetzt kam der Stallknecht des Herrn Frantz hinzu und wollte seinen Augen nicht trauen. Als er den Barbier so wütend sah, ergriff er ihn beim Arm und fragte ihn, was er denn von dem toten Schimmel wolle, er sei wohl nicht bei Sinnen.

Der Barbier fuhr entsetzt zurück, als er hörte, daß der Schimmel, den ihm Herr Frantz geschenkt hatte, tot sei. Als nun der Stallknecht erzählte, wie der Schimmel krank geworden und in der vergangenen Nacht krepiert sei, da mußte es der Barbier schließlich doch glauben – er hätte sich ja auch sonst noch näher davon überzeugen können.

Bauer und Barbier standen nun mit langen Gesichtern da. Der Barbier erholte sich zuerst von seinem Schreck und sagte zu dem Bauern:

»Guter Freund, ich habe keine Schuld daran, daß Ihr jetzt nur einen toten Schimmel erhalten könnt. Ich will aber nicht Euren Schaden, da habt Ihr Euren Dukaten wieder, so habt Ihr nichts verloren. Und nun lebt wohl, ich habe keine Zeit übrig und muß fort. Grüßt Eure Frau und Kinder!«

Mit diesen Worten war er auch schon verschwunden. Der Bauer aber ließ den toten Schimmel im Stich und machte sich auf den Heimweg. Zu Hause erzählte er, was er für ein Glück gehabt habe, wie es ihm nachher zwar fehlgeschlagen sei, wie er aber schließlich doch ohne Schaden davongekommen sei.

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Braesig im Zoo.

Aus: Abenteuer des Entspekter Bräsig. Von Fritz Reuter.

Indem, daß ich mir hierüber noch den Kopf zerbreche, gehe ich weiter und befinde mich bald darauf nach Aussage eines angetroffenen Schutzmanns in dem Tiergarten. »Um Vergebung!« sage ich zu ihm, »in diesem Garten sollen jo woll noch würkliche wilde Biester sein, wie Affen, Bären und Kameeler!«

»O ja,« sagt er, »es sünd noch welche; aber nicht in der Freiheit hierum, das wäre plozeiwidrig; nee! sie sitzen alle in Prisong in einem eingerichteten Garten, und wenn Sie dahin wollen, dann müssen Sie erst hier links und dann rechts und dann so und so und dann immer grad' aus gehen.«

Na, ich bedanke mir denn natürlich und geh natürlich nun auch rechts und links un so un so un zuletzt auch grad' aus, und verbiester mir denn nu auch natürlich, indem daß ich grade auf einem Stakettengeländer loskam. – Weilen dessen ich nun hier noch stand und ruminierte, wo ich mich hinschlagen sollte, kommt ein Mensch, den ich so for einen Maurergesellen außer Dienst taxiere, auf der andern Seite von das Stakett zu stehen. »Lieber Freund, wo komme ich woll von hier in den wilden Tiergarten?«

»Kommen Sie mal en bischen besser ranner«, sagt er; und ich komme auch dicht an das Stakett heran! – »Sehen Sie woll da das Hesternest in jener Pappel?« sagt er und zeigt über das Hesternest und sag': »Ja,« sag' ich, »ich seh's.« – »Na,« sagt er, und legt mir die Hand vertrauenvoll auf die Schulter, »denn sehen sie nich rechts noch links, sondern sehen Sie sich ümmer das Hesternest an.« – »Schön«, sag' ich, denn ich denke, er will mir 'ne Art von Contenanz-Punkt geben, wonach ich mir richten kann. – »Und denn leben Sie wohl!« sagt er und nimmt mir meinen Hut ab, macht mir mit meinem eigenen Hut 'ne Verbeugung, schmeißt mir über das Geländer das seinigte schauderhafte Etablissemang von einem Maurerhut vor die Füße und verliert sich ohne Wiedersehen in die nebenbei befindlich grüne Buschkasche. – Und zwischen uns das vierfüßige Stakettengeländer!

Da stand ich nu und sah mir abwechselnd den Maurerhut und das Hesternest an, wobei sich mir eine große Ähnlichkeit zwischen beiden aufdrang.

Aber was tun? – Über das Geländer könnte ich nicht herüber, und den Hut könnte ich doch nicht aufsetzen; ich resolvierte mich also rasch und ging denselben Weg wieder zurück, daß ich doch erst bloß wieder in bewohnte Gegenden käme.

Dies Glück gelang mir denn auch bald, indem daß ich einen kleinen, nüdlichen, auferweckten Straßenjungen traf, der mich for einen Silbergroschen nach dem zotologischen Garten brachte, natürlich in bloßem Kopfe, d. h. mit bloßer Perrücke. – Entreh: vier Groschen. – Ich bezahlte und konnte nun 'rein gehen.

Hier ist nun eine merkwürdige Einrichtung getroffen, die mir dem bekannten Post- und Reisespiel aus meiner Jugendzeit entnommen zu sein scheint. Es stehen nämlich an den Wegen lauter Wegweiser, die ümmer von einer Kreatur zur andern zeigen, wobei man sich aber in acht nehmen muß, daß man keine überschlägt, wie mich das passiert ist; denn dann kann es existieren, daß man total in Bisterniß kommt, und daß man, wie ich z. B., einen Eisbären for eine Löffelganz hält.

Hier in diesem Garten sind nun sehr verschiedene Markwürdigkeiten, meistens vierfüßige, aber auch Vögel und Ungeziefer. Sie alle zu beschreiben is nich nötig, denn sie stehen schon gedruckt in einer kleinen Naturgeschichte, die man for vier Schilling bei'm Entreh mitkauft. Außer Affen, Bären, Kameeler, die auch bei uns in Mecklenborg in der Vorzeit auf Jahrmärkten begänge waren, nu aber an der Grenze von der Polizei als Tagediebe abgewiesen werden, habe ich allhier kennengelernt: den Pepitahirsch, ein Prachtstück von einem Achtzehnender, vorne gut aufgesetzt und mit schöner Aktion in dem Hinterteile; dann zweierlei Schweinerassen aus Amerika, von denen die eine Markwürdigkeit wegen keinen Schwanz hatte; scheinen mich aber beide keine Mastungsfähigkeit zu haben; ferner die sogenannten reißenden Tiere, wie Hiähnen, Tigers und Löwen, die zum Frühstück und zum Mittag- und Abendessen rohe Biefstücks essen; aber ohne Pfeffer und Zwiebeln, wie es jetztund die Reisenden genießen. – (Ahpropoh! Dies soll von mich ein Witz sein!) –

Wie ich man gehört habe, haben sie hier eine kleine Löwenzucht einrichten wollen; es is aber nich gegangen, weil mang die drei Löwen keine Löwen-Sie gewesen is.

Ferner war hier auch eine Art von Vogelstrauß zu sehen, der sich bei sich zu Hause aber »Casimir« nennt; er soll natürliche Eier legen, obgleich er von die schwarzen Mohren zum Spazierenreiten benutzt wird. Ih, ja! Knochen hat er; aber man zwei; von Vorderteil und Hinterteil is gar nicht bei ihm die Rede, und wo soll denn da richtige Gangart herauskommen? Es is also wohl nur ein Läuschen.

Nachdem ich dies und noch vieles andere gesehen hatte, will ich schon nach Hause, d. h. nach Berlin, gehen, da fällt mir ein Parragraf aus der kleinen Naturgeschichte in die Augen, welcher lautet: »Der Lama. Er trägt Wolle und Lasten, läßt sich auch reiten und ist sehr flüchtig, ist also gleichsam aus einer Vermischung von Schaaf, Kameel und Hirsch entstanden.« Dies war mich denn doch ein bißchen bunt, darauf konnte ich mir keinen Vers machen; ich denke also, das Beste is, du besiehst ihn dir perßöhnlich. Ich suche ihn und finde ihn. Da steht er: Dallohrig, vorne französisch und hinten kuhhessig, mit 'ner Farbe, die's gar nicht giebt. Wie er mir bemerkt, kommt er piel auf mich los und steckt den Kopf über die Stacketten, legt seine Dallohren zurück und zeigt mir sein Gebiß.

Ih, denk ich, büst du so einer, der von Natur schon falsch is, denn sollst du noch falscher werden; ich narr' ihn also, indem ich ihm mit einem Stock auf die Nase kloppe. Seh'n Sie, da wurde dieser Lama doch so boshaftig, daß er ordentlich mit die Beine trampelte. Na, ich hau' ihm noch eins auf die Schnautze; aber da – – – –! – Gott soll mich bewahren! – spuckt mich das entfamte Biest eine stinkerige Salwe über den bloßen Kopp und das Gesicht und die übrigen Kleidungsstücke, daß ich denke, mich sollen die Ohnmachten antreten.

»Wischen Sie ab! Wischen Sie rasch ab!« ruft mich eine Stimme zu, die ich aber nicht sehen kann, weil mich die Augen verkleistert sind, »Wischen Sie rasch ab! Der Gift frißt Ihnen sonst die Kleider entzwei!«

Aber womit? Mit dem Schnupptuch? Ja, hätte ich auch einen? – Ich hätte keinen. – Ich fühlte aber, wie mich der bis jetzt noch ganz unbekannte Freund zu fassen kriegt und mir wischt, und als ich die Augen aufmachen kann, sagt er: »Aber warum holen Sie nicht Ihren Schnupptuch 'raus?« – »Weil sie mich den gestohlen haben.« – »Wo haben Sie denn Ihren Hut?« – »Weil sie mich den auch gestohlen haben.« – »Haha,« sagt er und lacht, »Sie sind also woll noch ein Grüner?«

Sehen Sie, das is das ganze, woher sich der obige dumme Schnack auf der Kegelbahn stammt, mir hat keiner grün angemalt, sondern dieser Mann hat mir bloß grün benannt, und das is nich in den Affenkasten gewesen, das passierte mir bei der Lamabucht.

wie er mich nun so abwischt, kommt er auch unterhalb die Magengegend und fragt: »Was haben Sie denn hier für einen Knudel?« – »Das ist mein Geldbeutel,« sag' ich, »den ich da wegen der Taschendiebe verfestigt habe.« – »Das is recht«, sagt er. »Sie scheinen mich ein vorsichtiger Mann zu sein. – Aber wo in aller Welt kommen Sie zu diesem Lama?« – »Je,« sag' ich, »ich wollt ihn bloß en bißchen brüden«, und dabei seh' ich mir meinen neuen Freund genauer an.

Er hätte Stulpenstiewel und einen Möckintisch an, obschonst die Witterung trocken wie ein Spohn war, und in der Hand hätte er eine Reitpeitsche. Ich sage also zu ihm: »Auch woll ein Ökonomiker?« – »En richtigen!« sagt er. – »En Meckelbürger?« frag' ich. – »Beinah«, sagt er. »En Uckermärker« – »Kennen Sie woll einen gewissen Trebonius, Colonius, Pistorius, Prätorius und Livonius?« – »Sehr gut«, sagt er. »Sind meine besten Freunde.« – Na, nu wußte ich denn, daß ich mit einen ordentlichen Menschen zu tun hatte, und wir gehen zusammen aus dem wilden Tiergarten.

Mein neuer Freund und Mitkollege erzählte mich denn vielerlei, denn er hatte es hellischen mit's Maul. »Herr Entspekter Bräsig,« sagte er – denn ich hatte mir mit meinem christlichen Namen namkünnig gemacht, und er auch, und hieß »Bohmöhler« – »Herr Entspekter,« sagte er also, »Sie is es akkerat mit dem Lama so gegangen, wie die Zehlendorfer Bauern mit dem großen französischen Filesofen Wolltähr. Kennen Sie ihm?« – »Ne,« sage ich, »einen gewissen Wollter kenne ich wohl, aber das ist ein Zuckerkanditer in Stemhagen.« – »Den meine ich nicht,« sagt er, »ich meine Wolltähren, welcher ein Zeitgeist von den ollen Fritz war. Na, diesen hatte sich der olle Fritz aus Frankreich verschrieben, indem daß, er bei ihm noch in die französischen Privatstunden gehen wollte. Na, er kam auch, war aber schauderhaft häßlich anzusehen, und dabei war er ein nichtswürdiger falscher Karnallje. Nun begab es sich aber, daß dieser Wolltähr einmal bei 'ner Gelegenheit einen von den ollen Fritzen seine Kammerjunkers häßlich auf die Leichdörner trat. Na, die Kammerjunkers – haben Sie die Art auch bei sich zu Hause?« – »Natürlich,« sage ich, »denn wir leben in Mecklenborg auch in einem nützlichen Staate.« – »Na, also die Kammerjunkers sünd überall hellisch pfiffige, junge Menschen, und dieser war einer von der richtigen Sorte. Er wollte Wolltähren einen Sticken stechen, und weil er wußte, daß dieser in einer Kutsche zu dem ollen Fritz nach Potsdam in die Privatstunden fahren mußte, jagte er zu Pferde vorauf nach Zehlendorf und sagte zu die Bauern im Kruge, sie sollten aufpassen, es würde eine Kutsche kommen, da säß den ollen Fritzen sein Leibaffe in, und sollten ihn jo nicht 'rauslassen, denn das Biest wär falsch und rackerig und biß auch. Na, als die Kutsche nu anhielt, stellten sich die Bauern um den Wagen, un als Wolltähr nu 'raus wollte, kloppten sie ihn immer auf die Finger, un tahrten ihn: »Trr Ap! Bittst ok?« Und wenn er die Nase 'raussteckte, denn kriegt er eins auf den Schnabel: »Trr Ap! Bittst ok?«

»Herr Entspekter Bohmöhler,« sage ich, »Ihre Geschichte paßt auf meinen Lama ganz genau, bloß daß mich, zuletzt dieser seinen Gift in die Augen verabfolgte.«

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Der fliegende Hund.

(Vampyr, Grabesflügler, Schreckentier oder Blutsauger. Ausgestellt in Arnims Hotel, Unter den Linden. Es ist abends sieben Uhr.)

Schultze: »Verzeihen Sie, können Sie mir sagen, wo es hier hereingeht zu dem Herrn, wo der fliegende Hund is?«

Der Herr vom Fliegenden Hund: »Das bin ich selber.«

Schultze: »Ah, sehr anjenehm. Könnten wir wohl noch einen Stehplatz bekommen?«

Der Herr: »Sie wünschen das Tier zu sehn?«

Schultze: »Ja – was beträgt das Entree, wenn ich fragen darf?«

Der Herr: »Fünfzehn Silbergroschen pro Person, hier ist die Kasse.«

Schultze: »So? Je nun – ich wollte eijentlich mit meine Familie herkommen. Ist es denn auch etwas für Kinder?«

Der Herr: »Gewiß. Wollen Sie sich nicht überzeugen? Bitte!« ( Lüftet den Vorhang.) »Treten Sie doch ein.«

Schultze: »Je nun – wie gesagt – bloß einen Blick. Ich habe nicht viel Zeit. Komm, Müller!« ( Stellt Müller vor.) »Mein Freund, Herr Müller, aus Berlin, Regierungsbezirk Nassau

Der Herr: »Bitte, treten Sie nur mit ein.«

Schultze: »Sie haben keinen Nachteil durch ihn: Er sieht des Abends nicht gut, er hat bloß noch einen kleinen Schimmer.«

Der Herr: »Bitte, das macht nichts. Sie haben nicht nötig, etwas zu zahlen.«

Schultze: »Nein, das tun wir nicht. Wir sind von der Presse und dürfen nichts annehmen, weil wir ein Urteil haben. Um Verzeihung, ist dies der fliegende Hund, welches Tier dort in der Mitte hängt?«

Der Herr: »Zu dienen. Dies ist der Vampyr

Müller: »Er ist auch bereits zu einem Operntext verarbeitet worden, wenn ich fragen darf?«

Der Herr: »Wie meinen Sie?«

Schultze: »Er beißt doch nicht?«

Der Herr: »Nein, treten Sie ohne Sorge näher. Nur bei vollständiger Dunkelheit fällt der Fliegende Hund Tiere und Menschen an, indem er ihnen das Blut aussaugt, das Fleisch aber liegen läßt.«

Schultze: »Damit würde mir nu weniger gedient sein.«

Der Herr: »Dies geschieht jedoch nur in der Freiheit. In der Gefangenschaft lebt er von dem Saft süßer Früchte, von Honig und verschiedenen Zuckerwaren.«

Müller: »Also der reine Bonbonschultze!«

Der Herr: »Den Tag über schläft er mit herabhängendem Kopf wie alle Nachtvögel. Sobald jedoch die Dämmerung eintritt, macht er die Flughäute frei!«

Müller: »Mit 'ne Briefmarke?«

Schultze: »St! Stille doch! – Sie verzeihen, warum heißt er eijentlich der Fliejende Hund?«

Der Herr: »Weil der Kopf einem Fuchse ähnlich sieht und ihm die Füße gänzlich fehlen.«

Schultze: »Drum eben! Ich wunderte mich schon, daß er sich nicht schubberte. Er scheint in dieser Beziehung wenig von den Hunden zu haben.«

Der Herr: »Es ist das erste lebende Exemplar, welches in Europa gezeigt wird.« (Er steckt die Hand in den Käfig und faßt den Vampyr.)

Müller: »Sie – lassen Sie das sein! – Machen Sie keine Witze!«

Der Herr: »O seien Sie unbesorgt, meine Herren, wie ich Ihnen bereits gesagt, ist das Tier unschädlich, solange es hell ist. Nur in der Dunkelheit ist es ihm möglich –«

Müller: »Können Sie denn nicht mal die Rouleaux ein bißchen runter lassen, damit er aufrührerisch wird?«

Der Herr: »Dies würde gefährlich sein und leicht zu einem Unglück Veranlassung geben. Ich selbst wage mich des Nachts nur in einer Blechmaske mit Glasaugen zu ihm.«

Müller: »Aber hören Sie mal, des is ja jrade das Intressanteste! wenn Sie das für nächsten Sonntag ankündigen, denn haben Sie es so voll, daß kein Apfel zur Erde kann.«

Der Herr: »Meinen Sie?«

Schultze: »Versteht sich! Da kennen Sie Berlin nicht.«

Der Herr: »Das Tier könnte jedoch leicht jemanden durch seinen Biß, verletzen.«

Müller: » I, die Berliner beißen auch auf alles, Wenn Sie an die Säulen schlagen lassen: › heut abend jroßes Vampir-Ausschieben und frische fliejende Hundekeile: jeder jeehrte Jast erhält an der Kasse eine Blechmaske mit Jlasaugen‹ – denn sollen Sie was erleben!«

Der Herr: »Ein starker Zuspruch würde mir allerdings sehr angenehm sein. Wünschen sich die Herren noch die Schmetteilinge anzusehen?«

Schultze: »Danke herzlich. Eine Seeschlange haben Sie sonst nicht

Der Herr: »Nein, aber die Herren sind doch wohl mit der Schaustellung zufrieden?«

Müller: O gewiß. Man kann sich ein Viertelstündchen hier recht angenehm unterhalten. Nur wie jesagt, das Entree wünschte ich etwas niedriger, vielleicht: › Erwachsene Zahlen in Begleitung von andern jar nischt! Kinder die Hälfte.‹ Da würden Sie ein schönes Jeld zusammenschlagen

*

De dode Kater Aus »Platt-Deutsche Märchen«, Verlag E. Diederichs, Jena.

Dar is mal 'n Katt un 'n Kater wetß, de gaht mal tosam'n to 'n Nötplücken.

Als se nu bi to plücken sünd, do versnirrt de Kater sik in 'n Nötbusch un röppt: Help, Help.

De Katt, de ment, he röppt: Melk, Melk! Un se löppt gau hen to Hus un halt'n beten Melk. Awer as se mit ehr Melk ankümmt, da is de Kater al dot.

Do makt se em los' un nimmt em op'n Nacken und dricht mit em to Hus. Un dar lecht se em in de Kammer op 'n Brett un bi em hen sitten un weent.

Nu hett sik dat ja bald rund snackt, dat de ol Kater dot is, un do dur't dat ne lang'n da kümmt dar 'n jung'n Voß an.

De Voß, de fragt de Köksch! (dat is uk je 'n Katt weß), wat Madam wul to Hus is.

Ja, secht de Köksch, Madam, de sitt in 'e Kamnr un beweent ehr'n allerlewßen Mann, de is dot bleben.

Ja, secht de Voß, se schall Madam doch mal fragen, wat se ken'n Mann wedder hebb'n will.

De Köksch, de kloppt je an de Kamerdör: Heda!

Wer da?

Kamerkätschen.

Wat will Se?

Hier is en, secht de Köksch, de fragt, wat Madam ken'n Mann wedder hebb'n will.

Och ne, secht se,
hier licht he op 'n Bred',
hett mi hegt, hett mi plegt,
hett mi so menni Mus tödragen.
Och ne, ik will gar ne wa' fre'n – –
Wat hett he vör Har?

Rod', secht de Köksch.

Denn lat'n man hen to Holt gähn, secht se, un sik ehr afsengeln!

Als de Voß eben weg is, do kümmt dar 'n jung'n Kater an. De Kater, de fragt uk, wat Madam will to Hus is.

Ja, secht de Köksch, Madam de sitt in 'e Kamer un beweent ehr'n allerlewßen Mann, de is dot bleben.

Ja, secht de Kater, se schall Madam doch mal fragen, wat se ken'n Mann wedder hebb'n will.

De Köksch de kloppt je wedder an: Heda!

Wer da?

Kamerkätschen.

Wat will Se?

Hier is en, secht de Köksch, de fragt, wat Madam ken'n Mann wedder hebb'n will.

Och ne, secht se,
hier licht he op 'n Bred',
hett mi hegt, hett mi plegt,
hett mi so menni Mus tödragen.
Och ne, ik will gar ne wa' fre'n – –
Wat hett he vör Har?

Grad' so 'n aZ Madam, secht de Köksch.

Denn herut mit'n ol'n Döwel! secht se. Lat den doden bi'n Stert un smitt 'n ut't Finster.

*

De Ratt, de Bur un de Ratsherr. Aus Platt-Deutsche Volk-Märchen von W. Wisser gesammelt. Verlag Eugen Diederichs, Jena.

Dar is mal'n Mekelbörger Bur'n weß, de is mal na Lübeck weß mit Eier. Un de kümmt he uk bi 'n Ratsherrn. Do secht he to den Ratsherrn: Se sünd je 'n Rad'sherr, secht he, denn raden S' doch mal, wo vel Eier as ik in min Kip heff. Wenn S' dat raden künnt, denn schüllt se s' all' hunnert hebb'n.

Oh, secht de Ratsherr, dar heß je wul 'n fiw Stieg' in.

Döwel hal! secht de Bur, dat hebbt S' rad't, dat hadd' 'k ne dacht. Un do kricht de Ratsherr je de hunnert Eier.

›n Dag‹ darna, do kümmt de Bur wedder. Do hett he 'n Sack, de is up 'n Enn' 'n beten twei. Un ut dat Lock, dar kikt 'n Ben in 'n Stert rut vun 'n Katt.

Na, Herr Rad'sherr, secht he, wüll wi mal wedder raden? Awer dit Mal drap Se dat nich. Dar will ick tein Daler up wedd'n. Un darmit lecht de Bur tein Daler up 'n Disch.

Ja, wat schall ik denn raden? secht de Ratsherr.

Ja, wat ick in min'n Sack heff, wenn S' dat raden künnt.

Ja, secht de Ratsherr, dar sett ik tein Daler gegen. Un darmit lecht he uk tein Daler up 'n Disch. In din'n Sack dar heß du 'n Katt in.

Ne, secht de Bur, dat hebbt S' ne drapen. Dat he' 'k je glik secht. Dat 's 'n Kater. Un darmit rakt he sik dat Geld up 'n Dutt in geiht mit sin'n Kater ut de Dör.

Do hatt he sin Eier je göt betahlt kregen.

*

Für d' Katz.

von Ludwig Anzengruber.

»Gut'n Abend, Wirt!«

»Auch so viel, Hausiererjockl. Wieder einmal anschau'n lassen?«

»Jo, all' heilig Zeit halt. Früher hat das Öfterkommen taugt, daß mer'n Leuten mit der War' unter die Augen herumgegangen is, bis s' Lust kriegt hab'n zum Kaufen; hitzt, wo's Geld rar is, muß mer sich aufs Seltenwerd'n verlegen, muß ihnen mit 'm Kram völlig aus'm G'sicht gehn, daß s' Angst krieg'n und schleuni zum Feilsch'n anheb'n, weil s' nit wissen können, ob ihnen unser Herrgott 's Leben schenkt, bis mer wieder einmal mit ein'm gleichen Stückl 's Wegs kommt.«

»Bist a Schlauer, verstehst 'n Vorteil.«

»Gib du mir deine fetten Bissen, laß, ich dir gleich mein' Kraxen dafür, samt der Schlauheit und 'm Vorteil. Was ich sag'n wollt', 'n Tagwerker Domini bin ich grad begegnet.«

»Is just kein' Ehr'.«

»Er war auch mit einer Begleitung, die keine bringt. Ein Schtandar hat'n eing'führt. Er soll beim Grindelbauer eing'brochen hab'n.«

»So, so? Na schau, das nimmt mich gar nit wunder. Is ja nit sein erst's Stückl in derer Weis'.«

»Was d' sagst! War er denn schon mal eing'sperrt g'west?«

»Dös nit. Damal is er ganz heil davonkommen, war a lustig G'schicht. Weißt es nit? Na, los' zu. Wird dir taugen. Kannst's unter d' Leut' bringen. Kennst ja wohl die alte Bräuningerin, 's selbe alte, zeundürre Weiberl, was d' Kitteln so im Griff hat? Sie fürcht' se allweil, daß sie s' vor Mägrigkeit verliert, und da krampft sie sich randweis' in d' B'satz ein und ruckt all's miteinander af d' Höchen. In der Brunngassen hat s' ein klein's Häuserl und weit davon ein' klein' Acker mit Grundbirn' und af all'n zwei'n mehr Mäus', als s' drein und drauf unterbringen kann. Vorm Jahr war's, da is ihr a alte Katz' krepiert, z'erst hat s' im ganzen Haus h'rumg'sucht und g'lockt: ›Mitzi, Mitzerl! Wirst doch kein schlechte Mutter machen und deine Kinder verlassen? Mein, schön's Mitzerl‹ – und wie sie's liegen sieht, sagt s': ›Ach mein, jetzt is dös Mistvieh richtig hin wurd'n.‹ Na, mit einer toten Katz' war nix anz'fangen, wann sie s' aber af ihr'm Feld eingrabt, so is dös a Dünger wie a anderer. Weil sie sich doch g'scheut hat, daß sie d' so ledig anfaßt, bind't sie s' fein sauber in a alt's Tüchl, nimmt 's Packer! unterm Arm und geht schön langsam nach ihr'm Acker.

Nit weit davon steht die Hütten, wo der Domini drein haust mit Weib und Kinder, wo dö schrei'n, so krieg'n s' von der Mutter d' Lotteriezetteln zum Spiel'n und vom Vadern Schläg', und dös wird fürs Schulgeh'n abg'rechnet. Na, 'n selben Abend is der Domini just fuchsteufelswild am Feldweg g'standen wie allmal mit ein' großen Durst, aber – wie oftmal – mit kein klein' Groschen im Sack. Steht da und fahrt sich a öften, wie sein Brauch is, mit der Linken übers Kreuz, was ihm g'wiß nöt vom viel'n Arbeiten wehtan hat, und sasaunt herum: ›Kein Herrgott hilft unserei'm, wann mer ihm gleich all' Tag' sein Vaterunser oder a paar bet't.‹ – Muß aber auch a Freud' für 'n Herrgott'n sein, wann ihn so a Schnapsbruder Vader heißt! – Und schreit er: ›Himmelsapperment, hitzt gilt mer schon all's gleich, ich tu' was!‹ Schon a Zeit hat er die Bräuningerin dahersteigen g'sehn und bemerkt, daß S' was tragt, und wie s' ganz nah' is, faßt er mit der Linken ans Kreuz und mit der Rechten nach 'm Paket: ›Her damit, Alte‹, und fort war er, und dö wär's auch gern g'west, aber nach der anderen Seiten zu, doch aus Angst hat s' nit von der Stell' können, wie s' spater g'sagt hat: nit um a G'schloß, ich mein' aber, sie hätt' gehn oder laufen mögen, sie hätt' keins dafür kriegt, einer Alten gibt mer doch fürs Davonrennen kein G'schloß, ehnder verheißt mer 's einer Jungen fürs Zulaufen. Mittlerweil' is der Domini, schier ein' Kopf größer, in sein' Hütten treten. ›Da schaut's her, was's für ein Vader habts‹, schreit er sein' Leuten zu und wirft's Pack! af 'n Tisch; wie aber 's Mitbrachte näher is ang'schaut word'n, da sein s' alle miteinander ausg'rennt, so ein' Eil' hab'n s' g'habt. daß s' in d' frische Luft kommen.

Ich kann's nit sagen, wer dö Sach' verzunden hat, aber mit einmal krieg'n wir allz'samm' a Vorladung vors Kreisgericht, der Domini, d'Bräuningerin, ich und noch paar, dö von näher oder von weiten 'n ganzen Attak mitang'schaut hab'n. No, dö Bräuningerin hat einer von uns af'n Wagen g'nummen, und so sein wir halt ins G'richt g'fahren. Der Domini hat z' Fuß, gehn können, is auch gleich in aller Früh von daheim fort, war ihm just nit leid, daß er ein' ganzen Tag hat feiern könnet und ein'm löblichen Kreisgericht daran d' Schuld geben. Wie wir dort hintreffen, weist mer uns gleich in d'Stub'n zun Herrn Adjunkt; is a g'spaßiger Mann g'west, derselbe Herr. Er dürft' mal, daß er über alles B'scheid weiß, auch probiert hab'n, wie's Aufhängen tut, denn er hat allweil um sein' Hals h'rumg'fingert, als ob 'n dort noch 's Strickl einschneiden tät.

Gleich nach uns tappt der Domini herein, und wie er d' Bräuningerin ansichtig wird, sagt er zu der: ›Ah, haben s' dich schon eing'liefert, du alte Hex'? Dös is mer lieb. So is halt doch, noch a Gerechtigkeit im Land. Du hast mich nit schlecht betrog'n! – Herr Adjunkt,‹ sagt er drauf zu dem, ›freiwillig hat sie sich von mir berauben lassen, hat auch a rechtschaffen's Binkerl mitg'führt, was war aber drein?‹

›Jesses, du diebischer Raubmörder,‹ belfert die Bräuningerin, ›beklag' du dich noch! Dukaten hätten 'leicht drei sein sollen? A verreckt' Vieh war drein, und dös war dir vergunnt.‹

Auf dös hat 'n Adjunkt der Hals kitzelt, und er sagte: ›Lieb'n Leut'! Woll'n annehmen, 's war alles doch nur ein G'spaß.‹

No zetert d'Bräuningerin: ›A sauberer G'spaß, wo eins drüber siech könnt' werd'n vor Schrecken oder hin auch gleich.‹

›Hätt' dir auch nit g'schad't‹, eifert der Domini geg'n ihr, und drauf zun G'richt: ›Ah na, Herr Adjunkt! Denken S' Ihnen, Sö hätten heim Weib und Kind hungern und gehn in der ehrlichen Absicht vom Haus, eins anz'packen und krieg'n nix als a tote Katz! Dös lass' ich nit für ein G'spaß, gelten!‹

Dösmal muß aber 'n Herrn Adjunkt 's Strickel höllmentisch eingeschnitten hab'n, denn er is in d' Höh' g'fahren. ›Du bist a Vieh!‹ schreit er 'n Domini an. ›War's kein G'spaß, so ist's Raub g'west, und dafür kriegst bei aller Gnad' und Barmherzigkeit paar Jahr'.‹

›Für d'Katz?‹ fragt der Domini ganz dumm.

›Für d'Katz‹, sagt der Adjunkt.

›So, so? na, na!‹ sagt der Domini. ›Schier mein' ich schon selber, 's wär' nur a G'spaß g'west.‹

Drauf hat er so a deppetes Gelachter ang'hebt, daß mer sich alle miteinander nit anders hab'n helfen können und mitlachen mußten. Und so is 's zu sein' guten Glück fürs Mal dabei blieb'n und all's für die Katz g'west. Dösmal aber wird wohl der Herr Adjunkt nit lachen, der Grindelbauer auch nit, und am allerwenigsten der Domini. Hab' mir's doch gleich damal schon denkt, dö Katz' laßt Haar', und davon bleibt was anhängen.«

*

Der mißverstandene Hund.

Als der greise chinesische Fürst Lihungtschang London besuchte, beschloß ein Mitglied der Börse, dem berühmten Diplomaten ein wertvolles Geschenk zu machen. Nach langem Überlegen verfiel er auf den Gedanken, dem Chinesen zwei kleine, sehr kostspielige Schoßhündchen zu schenken. Gesagt, getan. Nach einigen Tagen erhielt er von Lihungtschang folgenden überraschenden Dankbrief:

»Ich habe mich über Ihr Geschenk sehr gefreut; leider zwingen mein Alter und meine Gesundheit mich zu einer sehr strengen Diät. Ich habe daher angeordnet, daß die beiden Hündchen für einige Herren meiner Begleitung hergerichtet werden, und sie haben ihnen vortrefflich geschmeckt.«

*

Dilemma.

Als noch Büffelherden am Rande der westlichen Berge Amerikas grasten, gerieten eines Tages zwei kühne Goldsucher einem Bisonbullen in die Quere, der sich von seiner Herde abgesondert zu haben und Amok zu laufen schien. Der eine der Goldsucher erkletterte einen Baum, und der andere tauchte in eine Höhle. Der Büffel brüllte vor dem Höhleneingang und wandte sich dann dem Baume zu. Da kam der Mann aus der Höhle heraus, und der Büffel drang wieder auf ihn ein. Der Mann tauchte von neuem in das Loch. Nachdem sich dies verschiedene Male wiederholt hatte, rief der Mann auf dem Baum seinem Kameraden, der zitternd am Höhleneingang stand, zu:

»Bleiben Sie doch in der Höhle, Sie Hansnarr!«

»Was wissen Sie von dieser Höhle«, schrie der andere zurück. »Da ist ein Bär drin!«

*

Mitaines Menagerie. Ein Löwe aus dem Atlas in Tarascon. – Ein schreckliches und dabei großartiges Zusammentreffen.

Aus: Die wunderbaren Abenteuer des Herrn Tartarin aus Tarascon.

Von Alphonse Daudet. Verlag Ph. Reclam, Leipzig.

Nachdem wir nun Herrn Tartarin von Tarascon geschildert haben, nachdem wir über sein Privatleben berichtet, nachdem wir erzählt haben, daß die Göttin des Ruhmes seine Stirn mit dem Weihekusse berührt und ihm den unvergänglichen Ehrenkranz aufs Haupt gedrückt hat – jetzt, nachdem der geneigte Leser das Leben des Helden in seiner bescheidenen Umgebung kennengelernt hat, mit allen seinen Freuden und Schmerzen, seinen Träumen, Hoffnungen und Wünschen, wollen wir zur Schilderung der glanzvollsten Momente seines Lebens eilen, und so berichten wir denn jenes eigentümliche Ereignis, das den Anlaß gab, daß er sich aufschwang zu niegeahnter Größe und Höhe.

Eines schönen Abends waren mehrere Bewohner der lieben Stadt Tarascon im Laden des Waffenschmiedes Costecalde beisammen. Herr Tartarin, der in sollen Dingen ja Kenner war, zeigte eben einigen Freunden, die sich dafür interessierten, ein Hinterladergewehr, das damals noch neu und nicht allgemein bekannt war' er setzte ihnen lang und breit die Vorzüge dieser Waffe im Hinblick auf die der bisher üblichen Systeme auseinander, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und ein Mützenjäger in den Laden stürmte, nicht anders, als sei er aus einer Kanone geschossen, oder als sei der höllische Feind ihm auf den Fersen.

»Ein Löwe! Ein Löwe!« schrie er.

Furchtbarer Schreck und höchstes Entsetzen malte sich sofort auf aller Zügen. Tartarin ließ, die Waffe aus der Hand fallen, Costecalde schloß eiligst die Ladentür.

Man drängt sich um den Jäger, man befragt, man bittet, man beschwört ihn und erfährt endlich den Zusammenhang.

Der Tierbändiger Mitaine war mit seiner Menagerie vom Jahrmarkt zu Beaucaire nach Tarascon gekommen und hatte die Absicht ausgesprochen, einige Tage in dieser Stadt zu bleiben; er hatte seine Bude auf dem sogenannten Schloßplatz aufgeschlagen und daselbst auch seine Käfige aufgestellt, die mehrere Schlangen, Krokodile und auch einen prächtigen Löwen aus dem Atlasgebirge beherbergten.

Ein Löwe aus dem Atlas in Tarascon! So etwas war ja seit Menschengedenken nicht dagewesen. Die biederen Mützenjäger sahen, als sie diese Rund« vernahmen, noch einmal so kühn und stolz wie sonst darein; ihre männlich-schönen Gesichter strahlten ordentlich vor Genugtuung und Befriedigung, denn das Ereignis war wohl für den ganzen Art von Wichtigkeit, sie aber, als die Männer von der Gilde, ging es doch am meisten an. In allen Ecken des Costecaldeschen Ladens wurden schweigend Händedrücke ausgetauscht – jeder verstand den andern. Die Bewegung war so groß, sie war über alle so unerwartet und mächtig gekommen, daß, niemand sich fand, der ihr mit Worten hätte Ausdruck geben können.

Selbst Tartarin nicht. Bleich und zitternd vor Aufregung, stand er jetzt, das Hinterladergewehr, das er vom Boden wieder aufgenommen hatte, krampfhaft mit den Händen umschließend, kerzengerade vor dem Ladentisch und starrte träumerisch vor sich hin. Ein Löwe aus dem Atlas! Da, ganz dicht bei ihm – mit zwei Schritten zu erreichen! Ein Löwe – das will sagen, das gewaltigste und mächtigste Tier, das auf Erden wandelt; der König der Tiere, das Bild seiner Träume, das erste in der Wirklichkeit erscheinende von jenen Geschöpfen, mit denen bisher nur seine Phantasie alles ringsumher bevölkert hatte – das war nun leibhaftig da!

Ein Löwe, heilige Götter!

Und noch dazu einer aus dem Atlas!! Das war mehr, als der gute Tartarin sich jemals hatte träumen lassen.

Das Blut schoß ihm plötzlich zu Kopfe. seine Augen flammten, sein ganzes Gesicht glühte. Er warf mit einer, entschiedenen Bewegung das Hinterladergewehr über die Achsel, wandte sich zu dem tapferen Kommandanten Bravida, der früher im Montierungsdepot Dienste getan hatte, und rief ihm mit Donnerstimme zu: »Vorwärts, Kommandant! wir wollen ihn sehen!«

»Heda – wo bleibt denn mein Gewehr? Sie nehmen ja mein neues Hinterladergewehr mit!« rief der stets vorsichtige und kluge Costecalde dem Forteilenden nach. Tartarin jedoch war schon auf der andern Seite der Straße, und hinter ihm marschierten alle Mützenjäger, die stolzen und zuversichtlichen Blicke auf den Führer gerichtet.

Als sie, auf dem Platze anlangten, wo die Menagerie etabliert war, fanden sie schon eine große Zuschauermenge versammelt. Die Tarasconeser sind von Hause aus ein mutiger und tüchtiger Menschenschlag; nun hatten sie denn mit lobenswertem Eifer die neue Gelegenheit benutzt, waren in Scharen zu Mitaines Menagerie gewandert und hatten die Bude denn auch recht ansehnlich gefüllt.

Die dicke Madame Mitaine konnte damit wohl zufrieden sein. Im Kostüm einer Kabylin, die Arme bis zum Ellenbogen nackt, eiserne Armbänder um den Unterarm, eine Peitsche in der einen, ein schon gerupftes, aber nach lebendes Huhn in der andern Hand haltend – so stand die ehrenwerte Dame am Eingang ihrer Bude und machte den tarasconischen Herrschaften die Honneurs –, und da sie ebenfalls »doppelte Muskel« hatte, wie man bald herausfand, so konnte es ihr ja nicht fehlen. Sie persönlich hatte einen fast ebenso großen Erfolg zu verzeichnen, wie die ihrer Pflege anvertrauten Bestien.

Tartarin, der nun mit der Flinte auf der Schulter eintrat, jagte allen Anwesenden einen panischen Schrecken ein.

All diese guten Tarasconesen, die so ruhig und gemütlich vor den Käfigen auf und ab spazierten, ohne Waffen, ohne Mißtrauen, ja – ohne jede Ahnung einer vorhandenen Gefahr, mußten natürlich in Angst versetzt werden, als sie ihren großen und berühmten Tartarin plötzlich in vollster Kriegsausrüstung in die Bude treten sahen.

Grund zu Besorgnissen war entschieden vorhanden, wenn sogar dieser Held alle Sicherheitsmaßregeln getroffen hatte. So war denn im Nu die Szene eine andere geworden. Der Raum vor den Käfigen war leer, die Kinder schrien, die Damen drängten nach dem Ausgange. Der Apotheker Bezuquet behauptete, er wolle nur schnell auch sein Gewehr holen, und so kam er als einer der ersten aus der Menagerie.

Die ruhige, sichere, selbstbewußte Haltung Tartarins ließ jedoch bald auch bei anderen den Mut wieder neu erwachen. Stolz, mit erhobenem Haupte – so schritt der unerschrockene Tarasconese durch die Bude; bei dem Bassin, in dem sich die Krokodile befanden, ging er vorbei, ohne nur einen Moment stehen zu bleiben; ebenso schritt er an der Kiste mit den Schlangen vorüber; der einen, die eben das Huhn hinunterwürgte, warf er nur einen verächtlichen Blick zu. Nun kam er endlich an den Löwenkäfig, und hier machte er denn auch halt.

Ein furchtbarer und doch großartiger Anblick! Der Löwe von Tarascon und der Löwe aus dem Atlas – hier standen sie einander gegenüber.

Auf der einen Seite, nämlich außerhalb des Eisengitters, stand Tartarin. Er hatte den Oberkörper ein wenig nach vorn gebeugt und stützte sich auf sein Gewehr. Auf der andern Seite stand der Löwe – wirklich ein sehr schönes Exemplar. Die Tatzen waren in dem Stroh versteckt, das ihm im Käfig als Lager diente; den ungeheuren Kopf mit der gelben Mähne hatte er auf die Vorderpranke gesenkt; er blinzelte mit den Augen.

So standen sich die beiden ruhig gegenüber und sahen sich Aug' in Auge.

Weiß der Himmel, wie es nun gekommen ist – entweder verdarb der Anblick des Gewehres dem Löwen die gute Laune, oder er witterte in seinem Gegenüber einen Erzfeind seiner Rasse, genug – das mächtige Tier, das alle andern Tarasconesen bisher nur mit dem Ausdruck souveräner Verachtung angeblickt und ihnen zeitweilig ins Gesicht gegähnt hatte, machte plötzlich eine Bewegung, als gerate es in Wut. Zuerst hob es die Nüstern, schnaubte und streckte die Vorderpranken noch weiter nach vorn; dann erhob es sich mit einem Male zu seiner ganzen Höhe, richtete den Kopf auf, schüttelte die Mähne, öffnete den gewaltigen Rachen und stieß ein furchtbares Gebrüll aus, das ganz ausschließlich an Tartarin gerichtet zu sein schien.

Ein entsetzlicher Angst- und Jammerschrei war die Antwort. Tarascon war in Not. Alles drängte nach den Türen, alle suchten Rettung in wildester Flucht – alle, Frauen, Kinder, Lastträger, Mützenjäger, sogar der tapfere Kommandant Bravida. Nur Herr Tartarin rührte sich nicht von der Stelle. Er stand fest und unerschütterlich vor dem Käfig – in seinen Augen leuchtete es wundersam, und den Mund hatte er so eigentümlich verzogen. Als bald darauf einige Mützenjäger ihre Fassung einigermaßen wiedergewonnen hatten und, sicher gemacht durch die Ruhe ihres Herrn und Meisters und im Vertrauen auf die Haltbarkeit ihrer eisernen Käfigstäbe, sich jenem näherten, da hörten sie, wie er murmelte, indem er unverwandt den Löwen anblickte:

»Das wäre einmal eine Jagd! Ja, das lohnte sich!« Und weiter sprach der Tartarin an jenem Tage nichts.

*

Der Blutegel.

Von Paul von Schönthan.

Aus: »Kinder von heute«, Verlag Ph. Reclam.

Fritzi, ein fünfundachtzig Zentimeter hoher Zukunftsmensch, ist nicht recht wohl, eine drohende Entzündung oder dergleichen belästigt ihn.

Vormittags kommt der Arzt, ein liebenswürdiger, gutmütiger, beschränkter alter Herr, der nur noch zu Frauen und Kindern gerufen wird. Er stammt aus der Ära der Aderlässe, Latwergen und Zugpflaster.

»Nicht von Bedeutung,« lautet seine Diagnose, »wir werden dich gleich wieder in Ordnung haben, Fritzi – morgen setze ich dir zwei Blutegel, und übermorgen kannst du wieder in die Schule!«

Fritzi geht ein Grausen an, einerseits der versprochenen Blutegel und dann mehr noch der Schule wegen. Der Arzt erscheint am nächsten Tage wieder. Er hält ein Gläschen in der Hand, das mit Zeitungspapier verhüllt ist, das Blutegel-Aquarium. »So, da sind sie«, lächelt er. Aber siehe da: Fritzi befindet sich bedeutend wohler, es scheint, daß die Aussicht auf die Blutentziehung seine Rekonvaleszenz befördert hat. Er empfängt den Arzt mit dem Rufe: »Ich bitt', Herr Doktor, mir ist schon wieder ganz gut, ich brauch' keine Blutegel mehr.« – Der Mann der Wissenschaft nickt gedankenvoll: »Na, weißt was, Fritzi? Da lassen wir's halt diesmal.«

Er hat das verhüllte Gläschen auf den Schreibtisch gestellt; beim Fortgehen bittet er, man möge es ihm bis morgen aufbewahren, da er am Beginn seiner Rundfahrt zu Patienten stehe, und »im Wagen schwappert das Wasser alleweil über«, meinte er.

Bertha, das Stubenmädchen, wird gerufen, erhält den Auftrag, das Gläschen gut aufzubewahren. Sie weiß nicht, was es enthält und verschwindet damit, um es in der »Speis« zu verwahren, wo Topf- und Glaszeug hingehören. Fritzi ist froh, der Gefahr entronnen zu sein. Gegen Abend fällt ihm ein, die beiden grauslichen Blutsauger, die ihm vermeint waren, zum Gegenstand einer untersuchenden Betrachtung zu machen.

Bertha reicht ihm nach langwierigen Beschwörungen endlich das Glas aus dem Schrank im Vorzimmer, und Fritzi macht sich darüber her.

Einige Augenblick später läuft er in den Salon: »Mama, Mama, es ist nur einer drin!«

»Was denn?«

»Ein Blutegel!«

Mama ignoriert die Botschaft anfangs, dann fällt ihr die Sache auf. »Wo kann das zweite Vieh sein?« Sie ordnet eine Untersuchung des Schrankes beim Schein der Küchenlampe an; Bertha und die titanenhaft gewachsene böhmische Köchin Klara begeben sich mit einer gewissen Zimperlichkeit an die Durchforschung des Schrankinnern, sie wagen die Dinge nur mit dem ausgestreckten Zeigefinger vom Platze zu rücken und schneiden ängstliche Gesichter. Die gnädige Frau ermutigt sie, zuerst in Güte, dann befehlend, aber ihr graut selbst vor dem Gedanken, unvermutet mit der Hand auf den eklen Wurm zu stoßen. Die Recherchen verlaufen resultatlos.

Die sechzehnjährige Hedwig, das etwas exaltierte zarte Töchterchen, wird von einer starken Erregung befallen, die sich in roten Flecken auf Kinn und Wangen verrät.

»Mama,« ruft sie, »mich ficht ein schrecklicher Gedanke an; wenn wir am Ende heute Mittag – es ist so dunkel in der Küche – es wäre ja möglich...«

»Aber Kind! Du bist doch überspannt.«

»Wir haben Zwetschenröster gehabt, Mama – oh, es ist ein furchtbarer Gedanke...«

Das junge Mädchen schüttelt sich. Ihre düsteren Vorstellungen beginnen Mamas Phantasie anzustecken.

»Und vorher Spinat...« sagt sie plötzlich dumpf und wie zu sich selber.

Die Nachforschungen nach dem zweiten Blutegel werden fortgesetzt. Ohne Erfolg!

Die zarte Hedwig schreit plötzlich laut auf, dann springt sie hoch in die Luft und wankt auf das Sofa.

»Kind?« ruft die Mama in höchster Verwirrung.

»Ich bin auf etwas getreten!« stößt die von dem Schreckbild des Blutegels Verfolgte heraus.

Es war eine Orangenschale, die auf dem Teppich lag, nichts weiter. Man schleicht auf den Fußspitzen umher, wie in einem Krankenzimmer. Nur Fritzi bleibt beherzt, er ist zur Zeit der einzige Mann im Haus, und durchquert, mit der Armbrust bewehrt, alle Wohnungsräume, alle –

Es wird Abend. Der Herr des Hauses kehrt aus dem Bureau heim. Die Gattin wollte ihm die Angelegenheit verschweigen, so lange es eben angegangen wäre, aber man hatte vergessen, Fritzi Diskretion aufzuerlegen, und der lief dem Schöpfer seiner Tage schon auf dem Korridor entgegen, um denselben mit dem fait accompli zu überraschen: »Papa, Papa, ein Blutegel ist uns auskommen!«

Der Vater achtet zuerst gar nicht darauf, umarmt Weib und Kind und macht sich über das Abendblatt her.

In dieser Beschäftigung stört ihn nach einiger Zeit Stimmengewirr von nebenan. Fritzi weint und wehklagt, er will nicht zu Bett gebracht werden.

Mama ist in heller Verzweiflung: »Papa,« ruft sie ins Eßzimmer dem Gatten zu, »bitte, komm doch, der Bub' ist nicht zu bändigen!«

»Papa,« heult Fritzi, »ich trau' mich nicht ins Bett, ich fürcht' mich, daß der Blutegel in der Nacht kommt und mich auszuzelt!«

Nun kommt die Sache zur Sprache. Fritzi wird endlich beruhigt, und nachdem ihm der Vater mit Handschlag und Ehrenwort versprochen hat, daß die Lampe die ganze Nacht brennen – was die Blutegel über alles hassen – und eine Wache an seinem Bett aufgestellt werden soll, läßt er sich mit Versprechungen und Trostworten einschläfern.

»Wo ist denn der zweite Blutegel nur eigentlich hingekommen?« sagt der Gatte, nachdem diese Affäre beigelegt ist, mit forcierter Ruhe.

Mama zuckt die Achseln, Hedwig sieht den Vater mit heldenmäßig niedergekämpftem Entsetzen an.

»Da müssen die Mädchen ordentlich nachsuchen, im Vorzimmer oder in der Küche muß er sein, heute noch müssen sie nachschauen, aber nicht erst nach dem Nachtmahl.« – Er dachte noch ans Essen! Die Männer!

Nach einiger Zeit kommt das Abendbrot auf den Tisch. Des Familienoberhauptes Lieblingsgericht, »Beuschel mit Knödel« – ordinär, aber gut. Es wird schweigend ausgeteilt. Aber der Herr des Hauses wird allmählich von geheimen Vorstellungen schrecklicher Art beunruhigt, er sondiert mit der Gabel lange Zeit in dem Fleischgericht und äugelt dazwischen verstohlen nach seiner Gattin, und diese beugt tiefer, als es sonst ihre Gewohnheit ist, das sorgenvolle Haupt über den dampfenden Teller, als suche sie etwas. Die ätherische Hedwig verschmäht unter einem unglaublichen Vorwand das Fleisch und würgt unter geheimen Schauern die kleinere Hälfte eines Kloses hinab. Eine wortarme schwüle Stimmung.

»Habt ihr denn auch unter dem Schrank nachgesehen?« sagte der Familienchef plötzlich.

»Überall!« antwortete die Hausfrau mit hoffnungslosem Ausdruck.

Hedwig seufzt.

Endlich legt Papa die Serviette auf den Tisch, zündet sich flüchtig eine Zigarre an und – mobilisiert. Bertha und Klara werden mit brennenden Lichtern ausgerüstet und der Haushaltungsvorstand leitet die Nachforschungen mit Umsicht und Bravour. Er ist überall der Erste, Mutigste; er verschmäht es nicht, der Klara, die enorm groß ist, den Stuhl zu halten, damit sie auf den Schrank sehen kann, er rückt mit der muskulösen Bertha den Kasten von der Wand, sie knien zu dreien auf der Erde und leuchten unter die »Anrichte« in der Küche, unter das Klavier, hinter den Ofen, zwischen die Bücher der Bibliothek. Alles vergebens.

Der Kommandant der Verfolgungstruppe sieht alle Hoffnung schwinden.

Hedwig sitzt wachend bei Fritzis Bett; die Füße möglichst an sich hingezogen, starrt sie vor sich hin; sie sieht überall, an den Bilderrahmen und an den Wänden den Ausreißer aus dem eklen Geschlecht der Blutegel träge hinankriechen. Dann blickt sie wieder auf den kleinen Schläfer, der manchmal im Traum zusammenzuckt, als quälten ihn ängstliche Phantasien. Bald wird sie durch Mama abgelöst.

Klara – das Riesenmädchen aus Slawonien – erklärt der Gnädigen, daß sie kein Auge zutun würde und es vorziehe, für diese Nacht bei ihrer Kollegin im ersten Stock Gastfreundschaft zu suchen; es wird ihr gewährt. Man kann niemand zwingen, die Nacht in einer Wohnung zu verbringen, in der sich ein Blutegel herumtreibt.

Das andere Mädchen, Bertha, muß aber ausharren. Diese strotzenden, roten, blutreichen Arme, die sie immer bloß trägt und die die ganze Wonne eines Korporals vom Train sind – ja, das wäre wohl eine Delikatesse für den vielleicht schon auf der Lauer liegenden, ruchlosen Bluthund aus dem Wurmgeschlecht. – Die Soldatenbraut sitzt am Küchentisch bis über die Mitternacht hinaus, weinend; dann schreibt sie zwei Briefe, einen an ihre Mutter und einen an »ihn«. Sie bereitet beide schonend auf eine gewisse tragische Möglichkeit vor.

Hedwig war lange Zeit erfolglos zum Schlafengehen aufgefordert worden, die elterliche Energie erschlaffte an diesem Abend ganz und gar. Nur er regierte, er hielt alle in Angst und Sorge: der Blutegel. Hedwig hatte das Meyersche Konservationslexikon herbeigeholt und studierte – überflüssig zu sagen, welchen Absatz. Eine Gänsehaut überlief sie, als sie las, daß dieses abscheuliche Gezücht mit seinen Kiefern, die wie eine Kreissäge wirken, die Haut der Warmblüter durchsägt, daß alle seine Arten die Menschen angreifen, daß sie sogar in den Rachen, in die Kehle und Luftröhre gelangen und zwanzig Jahre alt werden, so alt wie ein stark heiratsfähiges Mädchen. Man denke, ein heiratsfähiger Blutegel!

Der Artikel über diesen häßlichen, schmutzig-grünen, gewalttätigen, kalten, schlüpfrigen, plumpen, blutgierigen, aus Sumpf und Schlamm stammenden Ringelwurm erhitzte ihre Phantasie, und als sie ihn zum drittenmal gelesen hatte, erklärte sie, heute überhaupt nicht zu Bett gehen zu wollen, weil sie ganz gewiß dort nur ein hitziges Nervenfieber bekommen würde. Dazwischen griff sie manchmal plötzlich unter den Tisch.

»Furchtbar nervös ist das Kind!« sagte die Mama rügend, aber sie zuckte selber ein paarmal zusammen, wie unter einem unvorhergesehenen schmerzhaften Biß.

»Ihr seid komisch,« sagte der pater familias mit saurem Lächeln, »ist das Vieh wirklich, in den Zimmern, so schläft es jetzt. Ihr könnt ja zur Vorsicht das Licht brennen lassen. Es ist zehn Uhr, höchste Zeit!« Die drei begaben sich nach diesem Ausspruch endlich in ihre Schlafzimmer. Die Kaltblütigkeit des Hausherrn war keine ehrliche, ein leiser Schüttelfrost des Ekels überlief ihn, wenn er an die Möglichkeit eines unvorhergesehenen Überfalls dachte, und vorläufig setzte er sich angezogen auf den Stuhl vors Bett und rauchte eine dritte und eine vierte Zigarre. Hedwig riegelte sich in ihre Kemenate ein, sie hatte vorher aus dem Eßzimmer noch die Karaffine geholt und beim Schein von zwei Kerzen ihre bebenden Glieder mit Essig gesalbt, da im Lexikon erwähnt war, daß die gierigsten Blutegel durch Kochsalzlösung oder Essig um den Appetit gebracht werden.

Mama legte nun in derselben heimlichen Abgeschlossenheit eine Rüstung aus Wolle an, sie zog dicke Winterstrümpfe über Hände und Arme und bettete sich in Korsett und Schuhen auf die Chaiselongue.

Eine mit Seufzern, Angst, Herzklopfen, nervösen Zuckungen, wüsten Träumen und Bangen erfüllte Nacht. Hedwig behauptete am anderen Morgen in ihrer übertriebenen Weise, sie sei um zehn Jahre älter geworden. – Aber die Gefahr war für diese Nacht überwunden, der nächste Tag sollte ausschließlich der Egeljagd gewidmet sein.

Gegen 10 Uhr kam der Doktor. Er erkannte sofort, daß sich in diesem Hause etwas Furchtbares ereignet haben mußte, von Fritzi bis zu der Riesenköchin aus Slawonien schien alles von der Reaktion einer gewaltigen Erregung ergriffen zu sein. Sie waren düster und schweigsam, wie nach einer großen Katastrophe.

»Hier ist Ihr Gläschen, Herr Doktor!« sagte die Hausfrau »entschuldigen Sie, es ist nur nach einer darin.«

Der Arzt blickte in das Gläschen und dann auf Fritzis Mama.

»Wieso? Ja so, es ist wahr, ich habe gestern zwei bringen wollen, aber im Wagen, da hat's so geschwappert, und da ist, ohne daß ich's bemerkte, einer herausgehupft, gerad' zuvor habe ich den armen Kerl zwischen den Sitzpolstern im Wagen gefunden, schon ganz vertrocknet ...«

»Oije!« rief Fritzi, sich übermütig aufs Bein schlagend.

Die Gesichter der anderen hellten sich auf, als der Arzt so sprach. Hedwig wandte sich ab und faltete ihre nervösen Hände zu einem Dankgebet, die Hausfrau war verlegen und die gewaltige Köchin stieß einen Riesenseufzer der Herzenserleichterung aus, Bertha weinte.

Als der Herr des Hauses Mittags mit zwei Dienstmännern, die er zu dem Verfolgungszug gegen den verborgenen Feind aufgenommen hatte, erschien, war alles wieder ruhig geworden.


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