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Die Gräfin Lichtenau und ihre Gefährtinnen.

Die größte, einflußreichste, begabteste und gefährlichste Mätresse, die je in Berlin gelebt hat, war die Gräfin Lichtenau. Wie die Gräfin Wartenberg stammte auch sie aus Kleinbürgerkreisen: sie war die Tochter eines Musikers. Daß sie eine so überragende Stellung gewinnen konnte, war zweifellos ein Verdienst ihrer Fähigkeiten – wie auch der Unfähigkeiten ihres Verehrers, des Königs Friedrich Wilhelm II. Er hatte schon als Prinz untergeordneten männlichen und weiblichen Umgang, konnte sich nie zusammenhängend ausdrücken und fiel so in die Hände derer, die am leichtesten den Sinn seiner Worte verstanden. Politik war ihm gleichgültig; Kunst und Literatur aber interessierten ihn gar nicht. Vom Gepränge des Hofes mochte er nichts wissen und ging am liebsten in einem blauen Frack.

Der englische Staatsmann James Harris, der nachmalige erste Graf von Mamelsbury, der nach dem Hubertusburger Frieden bis 1767 und in den Jahren 1771-76 bei Friedrich dem Großen als englischer Gesandter akkreditiert war, spricht in seinen im Jahre 1845 herausgekommenen Tagebüchern und Briefwechseln wiederholt vom preußischen Thronfolger, von seinen vielen Schulden, seinen unköniglichen Umgebungen und Vergnügungen mit Mätressen und einer Rotte lustiger Offiziere, von seiner gedrückten Stellung gegenüber seinem Oheim. Man erfährt, daß der Prinz gern ein Anlehen bei der englischen Regierung gemacht hätte, worauf diese aber nicht einging. Ein Vertrauter des Prinzen entdeckte dem Gesandten schon Ende des Jahres 1774, daß er 300 000 Taler in Berlin und ebensoviel im Auslande schuldig sei, daß er nicht einmal seine Wäscherin bezahlen könne, daß er alles mit den Mädchen durchgebracht habe; er habe unter anderen eine, die ihm jährlich 30 000 Taler koste und auf ebensoviel belaufe sich das Geld das er brauche, um die Spione seines Onkels zu gewinnen. 1775 schreibt Harris: »Es ist unmöglich, die Geldverlegenheit des Prinzen zu schildern. Sein Kredit ist ganz erschöpft und dies in Verbindung mit dem Zustande von Unterwürfigkeit, in dem er sich befindet, drückt seinen Geist schon merklich nieder, und als ob das Schicksal nicht müde würde, ihn zu verfolgen, hat sein Ungestüm ihn während des Karnevals in eine schlimme Geschichte verwickelt, deren unangenehme Wirkung er noch fühlt und welche er auch so bald noch nicht wieder los wird, da sein Onkel vielleicht boshafter Weise ihn nötigt, seiner militärischen Obliegenheit weit strenger als gewöhnlich nachzukommen.

Friedrich Wilhelm II.

Friedrich Wilhelm II.
Gemälde von Dorothea Therbusch, 1773.
Quelle: de.wikipedia.org

Der Prinz von Preußen hat in seinem Aeußern nichts was ein großes Talent anzeigte. Lang und stark, aber ohne Gewandtheit, sieht er mehr einem tüchtigen Grenadier als einem großen Fürsten ähnlich. Da er von seinem Oheim auf das Aeußerste überwacht und eingeengt ist, so ist es schwer zu sagen, ob seine Zurückhaltung und Schweigsamkeit natürlich oder angenommen ist. Gewiß ist freilich, daß er sich so verhält nicht nur vor dem Hofe und in Gegenwart von Vornehmen, sondern auch dann, wenn er den Prinzen vergißt und in der schlechten Gesellschaft lebt, welche ihn zu unterhalten scheint, indem er sie beständig um sich zu haben sucht. Auch hier drückt er aber seine Zufriedenheit nie anders aus, als daß er seine Genossen aufmuntert, möglichst laut und lärmend zu sein und alle Achtung bei Seite zu setzen, welche sie ihrem künftigen Könige schuldig sind. Seine erste Mätresse (die spätere Gräfin Lichtenau) führt bei diesen Gelagen den Vorsitz und geht bei allen Unanständigkeiten, die dabei vorfallen, mit dem besten Beispiele voraus.«

1776 schreibt Harris: »Der Prinz von Preußen bringt in jeder Woche vier bis fünf Nächte in Berlin zu und seine französischen und deutschen Mätressen beschäftigen ihn so sehr, daß er an nichts weiter denkt. Die niedrigsten Auftritte fallen zwischen diesen Heldinnen vor. Die Französin zeichnet sich durch List und Koketterie aus, während die andere auf ununterbrochene Herrschaft pocht, die sie durch Drohungen und offene Gewalttätigkeit zu behaupten sucht.«

Graf Mirabeau schreibt über den König Friedrich Wilhelm II.: »Ueberall Verwirrung und Zeitvergeudung. Die Bedienten fürchten die Heftigkeit des Königs und doch sind sie die ersten, die seine Unfähigkeit verspotten. Kein Papier ist in Ordnung, auf keine Eingabe erfolgt ein Bescheid, keinen Brief öffnet der König persönlich, keine menschliche Gewalt wäre imstande, ihn dazu zu bringen, vierzig Zeilen hintereinander weg zu lesen. Auf stoßweise ausbrechende Heftigkeit folgt Abspannung und gänzliches Nichtstun!«

Mirabeau schreibt ferner unterm 1. Januar 1787: »Von Tag zu Tag steigt die Verachtung gegen den neuen König. Man ist schon über die Bestürzung hinweg, die der Verachtung vorhergeht. Im Anfang staunte man, als man sah, daß der König seiner Vorliebe treu blieb fürs Theater, fürs Konzert, für die alte und für die neue Mätresse. Man staunte, als er Stunden fand, um Bilder, Meubles, Kaufmannsläden zu besehen, um auf dem Violoncello zu spielen, um über die Händel der Hofdamen sich zu unterrichten – und Minuten, um seine Minister zu hören, die unter seinen Augen die Interessen des Staates lenken. Gegenwärtig staunt man, wenn irgend eine Torheit einer neuen Art oder irgend eine Gewohnheitssünde nicht einen seiner Tage in Anspruch genommen hat. – Und dennoch konnte die Wut, selbst zu regieren, ohne selbst etwas zu tun, nicht höher steigen. Seit zwei Monaten schon hat der König mit keinem Minister gearbeitet.«

Gegen das Ende seiner Regierung mußte selbst ein Preuße dieses Urteil bestätigen. Oberst von Massenbach schrieb im Jahre 1795 in einem Fragment aus seinem Tagebuche, das er in seinen Memoiren zur Geschichte des preußischen Staates mitteilt: »Der König hat die größte Aehnlichkeit mit einem asiatischen Fürsten, der sich in das innere seines Serails zurückgezogen hat und mit seinen Sklaven und Sklavinnen lebt, die Regierungsgeschäfte aber seinen Vezieren überläßt. Die Ringmauer, welche jetzt zwölf Fuß hoch um den neuen Garten in Potsdam gezogen wird, erinnert an die Mauern des Serails; kein fremdes Auge soll sehen, was in dem Bezirke vorgeht.«

Wilhelmine Gräfin von Lichtenau

Wilhelmine Gräfin von Lichtenau
Gemälde von Dorothea Therbusch, 1776.
Quelle: de.wikipedia.org

Schon während seiner ersten Ehe war Friedrich Wilhelm mit der Gräfin Lichtenau bekannt geworden. Die Gräfin Lichtenau hieß, wie Vehse berichtet, früher Wilhelmine Enke. Sie war eine volle herrlich gebaute Brünette und die Tochter eines Trompeters bei einem in Berlin garnisonierenden Regiments, Elias Enke, der aus Hildburghausen stammte. Er hatte nach erhaltenem Abschiede eine kleine Wirtschaft eingerichtet und war nachher als Waldhornist unter den Kammermusikern der Kapelle Friedrichs II. angestellt worden. Sie war noch nicht vierzehn Jahre alt, als der zweiundzwanzigjährige Prinz sie ungefähr 1766 kennen lernte. Sie war damals im Hause ihrer älteren Schwester, welche die Eltern als Figurantin bei der großen italienischen Oper aufs Berliner Theater gebracht hatten und die durch die Gunst mancher Herren aus den ersten Ständen in die Lage gebracht worden war, ein eigenes Hauswesen zu haben. Der Prinz fand an dieser älteren Schwester viel Geschmack und besuchte sie öfters. Bei einer dieser Gelegenheiten bemerkte er einst, daß die jüngere Schwester von der älteren eine wahrhaft grausame Behandlung erfahren mußte. Der gutmütige Prinz ward darüber aufs Höchste entrüstet und beschloß, die Gemißhandelte unter seinen unmittelbaren Schutz zu nehmen. Er führte die Kleine noch in derselben Nacht ihren Eltern wieder zu und befahl ihnen, für ihre sorgfältige Erziehung auf seine Kosten bedacht zu sein. Ungefähr nach einem Jahre, als die ältere Schwester mit einem reichen russischen Grafen Matuschka aus Berlin nach Venedig entflohen war, verlangte der Prinz seinen Schützling wiederzusehen. Wilhelmine war unterdessen zu einer blühenden Schönheit herangewachsen. Der Prinz war von ihrer Grazie, Naivität und kunstlosen Dankbarkeit bezaubert. Er übernahm nun selbst ihre weitere Ausbildung, entfernte sie aus dem elterlichen Hause und brachte sie ganz im geheimen nach Potsdam in das Haus eines seiner Getreuen. Hier wurde sie einer besonderen Aufseherin, einer Madame Girard von der französischen Kolonie, und geschickten Lehrern übergeben und der Prinz besuchte sie fast täglich. Er trieb selbst mit ihr Geschichte und Geographie und las mit ihr die alten und neuen Dichter, namentlich Rousseau's Nouvelle Heliose und Shakespeare in Eschenburgs Uebersetzung. Sir John Falstaff war des Prinzen Lieblingsfigur. Sie erzählt in ihrer im Jahre 1808 herausgegebenen Apologie darüber folgendes: »Es ist keine Prahlerei, wenn ich sage, daß unter tausend Geliebten der Fürsten, welche die Geschichte aufweist, vielleicht nicht eine ist, die sich mit mir vergleichen läßt. Sie können mich an Reizen des Körpers, an Vorzügen des Geistes bei weitem übertroffen haben; aber ihr Geist war nicht durch den Geliebten selbst gebildet. Gleich im ersten Jahre unserer Bekanntschaft bei Gelegenheit unseres Unterrichts geschah es, daß sich einst das Herz des Kronprinzen auf eine äußerst liebevolle Weise gegen mich ergoß. Indem er mir gestand, daß er viele Fehler und mitunter Laster gegen mein Geschlecht begangen, gab er mir die heiligste Versicherung, daß er mich nie verlassen werde. Bei seinem fürstlichen Ehrenworte beteuerte er mir, wenn ich früher als er sterben sollte, als derselbe zärtliche Freund wie bisher mir die Augen zuzudrücken. Mit einem Federmesser, das er eben um meine Feder zu korrigieren in der Hand hielt, machte er sich einen Ritz in den Ballen der linken Hand, drückte das Blut aus und schrieb mir diese Versicherung auf einen kleinen Zettel von ungefähr drei Zeilen nieder. Diese Handlung erschütterte mich so sehr, daß ich mich hierüber nicht zu fassen wußte. Er verlangte von mir ein Gleiches. Die Worte, die ich mit meinem Blute niederschrieb, waren die Erwiderung seiner eigenen, nämlich, daß ich ebenfalls bis zu seinem Tode seine unveränderliche Freundin bleiben und ihn nie verlassen wolle. Nach seinem Tode wird man zuverlässig unter seinen Papieren meinen Zettel gefunden haben.«

Nach den Mitteilungen, welche Friedrich Förster teils selbst von der Gräfin, teils durch den Hofrat Hirt, einen ihrer Vertrauten erhielt, lauteten die Worte des Prinzen: »Bei meinem fürstlichen Ehrenworte, ich werde dich nie verlassen. Fr. W., Prinz von Preußen.« Die Gräfin zeigte noch nach dreißig Jahren die Narbe von der Wunde am Ballen ihrer linken Hand. Nachdem Wilhelmine so drei Jahre lang von dem Kronprinzen selbst in Potsdam erzogen worden war, schickte er sie zu ihrer völligen Ausbildung nach Paris. Ihre Schwester, die Gräfin Matuschka, die unterdessen von ihren Reisen zurückgekehrt war und sich von ihrem Gemahl wieder getrennt hatte, begleitete sie mit einer zahlreichen Bedienung. In Paris blieb Wilhelmine sechs Monate, sie wohnte bei Mademoiselle de Launay und war nicht nur Schülerin des großen Vestris, sondern unter Anleitung ihrer schon kunsterfahrenen Schwester, die abwechselnd von den Fürsten Baralinski und Bellasinski, den Grafen Schuwaloff und Buturlin und anderen russischen Herren unterhalten wurde, die vollkommenste französischen Kurtisane. Bei ihrer Rückkehr ward der Prinz durch ihre neuerworbenen Vollkommenheiten mehr als vorher gefesselt, er unterhielt sie auf die glänzendste Weise; wie sein Vertrauter an James Harris sagte, kostete sie ihm jährlich 30 000 Taler.

Sie gewann jetzt einen so entscheidenden Einfluß auf ihn, daß auf ihre bloße Empfehlung Personen ohne alles weitere Verdienst die ansehnlichsten Staatsämter erhielten. Friedrich der Große aber, der das geheime Spiel durchschaute, ließ damals eine ernsthafte Weisung an alle Kollegien ergehen »nicht mehr auf die Empfehlungen einer gewissen hohen Person bei Anstellungen Rücksicht zu nehmen.« Um dieselbe Zeit fügte es der Zufall, daß die Enke, ohne ausweichen zu können, im Schloßgarten mit dem großen König zusammentraf. Er erteilte ihr eine derbe Weisung und zu gleicher Zeit den Befehl, den ersten besten Mann zu nehmen, in welchem Falle für reichliche Aussteuer gesorgt werden solle. Die Wahl fiel nach langen Debatten auf den Sohn des königlichen Gärtners in Potsdam, den Kammerdiener Rietz.

Die »Vertrauten Briefe« – von dem preußischen Kriegsrat von Cölln zu Glogau, einem Zeitgenossen – enthalten über diesen Rietz, der zwar nur ein Kammerdiener, aber zugleich Freund des Kronprinzen und späteren Königs war, folgende Charakteristik: »Der Kämmerer Rietz war ein ganz gemeiner Mensch. Als Bedienter ertrug er alle Launen des Kronprinzen. Friedrich Wilhelm war jähzornig und mißhandelte oft seine Leute; das tat ihm sehr leid, sobald die Hitze verflogen war und er machte es durch Geschenke wieder gut. Rietz ließ sich von seinem Herrn Ohrfeigen, Stockprügel, Fußtritte und Mißhandlungen jeder Art gefallen und war ein geduldiges Instrument. Er entschädigte sich dadurch, daß er die ihm untergebenen Bedienten wieder ebenso mißhandelte. Nachdem er sich für seinen Herrn zum Deckmantel seiner Lüste, zum Ehemann für seine Mätresse hergeben haben müssen, da saß er fest auf seinem Posten. Rietzen's Genuß bestand in Essen und Trinken, in der Befriedigung seines Hochmuts, im Sammeln eines Kapitals fürs Alter. Im neuen Garten zu Potsdam, in dem Hause am Eingang feierte Rietz seine Bacchusfeste; hier floß der Champagner und alle edlen Weine wie Wasserbäche.«

Die Heirat Rietzens mit Wilhelmine Enke erfolgte nur dem Namen nach; Rietz übernahm die Verbindlichkeit, nie mit ihr unter einem Dache zu wohnen.

Madame Rietz erhielt hierauf ein Landhaus in Charlottenburg, das dem Grafen Schmettau gehörte, es ward damals für 20 000 Taler, welche der König anwies, gekauft und neu eingerichtet. Der Prinz besuchte hier mit Genehmigung seines Oheims Madame Rietz fortwährend bis zu dessen Tode. Friedrich der Große stellte nur die Bedingung, daß sein Neffe fortfahren solle, mit seiner Gemahlin zu leben, um einen Thronerben zu erwecken, denn er hatte bisher nur eine 1767 geborene Tochter, die nachherige Herzogin von York mit ihr erzeugt. Aber die Prinzessin (die erste braunschweigische Gemahlin) wies höchst entschieden allen Umgang mit ihrem Gemahl ab. Nun griff Friedrich der Große zu einem Mittel, das nach dem notorischen Vorgange des französischen Hofes allerdings auch an den deutschen Höfen nicht ungewöhnlich war. Ueber dieses Mittel berichtet ein französischer Emigrant Oberst Dampmartin, der der Hofmeister des Sohnes der Gräfin Lichtenau war, in der 1811 von ihm veröffentlichten Schrift »Züge aus dem Leben Friedrich Wilhelm II.«: »Friedrich der Große, treu seiner tiefen Menschenverachtung, überredete sich leicht, daß eine leichtfertige Frau ohne alles Ehrgefühl sei. Die hübsche Prinzessin hatte sich für die Ehebrüche ihres Gatten gerächt, und wurde nach vierjähriger Ehe nach Küstrin verbannt. Ein alter Kammerdiener eröffnete der Prinzessin, daß er im Auftrage des Königs sie ersuche, den Leutnant der Leibgarde N. N. (wahrscheinlich Graf Friedrich Schmettau), der durch die Schönheit seiner Formen, sein Betragen und seinen ausgezeichneten Mut die Aufmerksamkeit Sr. Maj. auf sich gezogen habe, zu vertraulichem Umgange bei sich aufnehmen möge. Der Kammerherr wendete seine Beredsamkeit auf, aber weder guter Rat noch Bitten, noch die angedrohten Folgen einer Weigerung machten den geringsten Eindruck. Als er seine Aeußerungen verdoppelte, unterbrach ihn die Prinzessin mit den Worten: »Mein Herr, wenn Sie es wagen, eine Unterhaltung fortzusetzen, die mich so sehr verletzt, so werde ich Ihnen selbst auf der Stelle befehlen, für den Thronfolger zu sorgen, den der König begehrt. Harte Strafen würden folgen, wenn Sie sich ungehorsam bezeigten!« Der Kammerherr, hoch in die sechzig, entfloh vor Schrecken und kam bleich zum Könige. Dieser beschloß nun die Scheidung.«

Es hat nicht fehlen können, daß diese skandalöse Geschichte ins Leugnen gestellt worden ist – das Empörendste dabei ist, (wenn Grund da ist, daß man gerade über so etwas sich besonders im Namen der Hoheiten empört,) der Mangel an aller Diskretion von seiten des nächsten Dieners dieser Hoheiten, durch den allein es gekommen ist, daß sie so ruchbar wurde. Das Zeugnis Dampmartins ist nicht schlechtweg zu verwerfen, denn aus den Briefen, die die Gräfin Lichtenau in ihrer Apologie von ihm hat drucken lassen, geht deutlich hervor, daß er ein ernster und besonnener Mann war. Allerdings sind solche und ähnliche Dinge im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert an Höfen vorgekommen. Man setzte sich sehr leicht über sie hinweg.

Madame Rietz blieb Favoritin, auch als der Prinz 1769 sich zum zweitenmal vermählte, auch als 1770 der Nachfolger Friedrich Wilhelm III. geboren war. Lord Malmesbury schreibt 1776: »Sie ist groß von Person, munter von Aussehen, nachlässig in ihrer Kleidung und gewährt eine wahrhaftige Vorstellung von einer vollkommenen Bacchantin. Der Prinz ist gegen sie äußerst freigebig und sie allein vertut das ganze Einkommen, das er von dem Könige erhält. Sie erwidert allerdings diese Großmut auf die beste Weise, die in ihren Kräften steht, denn, indem sie ihm versichert, daß er im alleinigen Besitz ihrer Zärtlichkeit stehe, verlangt sie keineswegs dieselbe Treue von ihm, sondern bemüht sich im Gegenteil, so viel sie kann, seine Wünsche zu befriedigen, so oft dieselben aus Unbeständigkeit oder Uebersättigung an einem neuen Gegenstande haften. Dabei ist sie so gewandt, daß sie ihn niemals mit einem Frauenzimmer bekannt werden läßt, von der zu erwarten stände, sie werde ihr den Rang streitig machen in der Herrschaft über den Prinzen. Ihre Wahl und glücklicherweise für sie auch die seinige fällt gewöhnlich auf Frauenzimmer von der niedrigsten Gattung. Diese Vergnügungen, die einzigen, an denen er Geschmack findet, nehmen den größten Teil seiner Muße in Anspruch. Der Rest seiner Zeit vergeht entweder auf der Parade, in Begleitung des Königs oder an der Toilette, welche er, so oft es ihm möglich wird seine Uniform beiseite zu legen, mit raffiniertester Kunst handhabt. Er ist sogar genötigt, einen Kammerdiener zu halten, der Espère en Dieu heißt und beständig zwischen Potsdam und Paris unterwegs ist, um die zeitigste Nachricht von jeder Aenderung in den Moden zu bringen. Da nun Espère en Dieu seine Erkundigungen bloß bei seinen Kollegen, den Friseuren einzieht, so ist es sehr leicht möglich, daß die, die seinen Instruktionen folgen, fälschlich als zu dieser Klasse gehörig betrachtet werden.«

Als Friedrich Wilhelm den Thron bestiegen hatte, Ich halte mich hier an die Geschichte des preußischen Hofes von Eduard Vehse, die im Jahre 1851 in Hamburg erschienen ist. wurde der Einfluß der Madame Rietz sehr bald fast allmächtig. Ihr nomineller Gemahl ward sofort von dem neuen König, der seinen lieben Rietz noch an der Leiche des großen Friedrichs umarmte, mit einer ansehnlichen Hofstelle bedacht – als Geheimer Kämmerer und Tresoir des Hauses und der Schatulle des Königs. Rietzens Bruder ward Kammerdiener und Kabinettsekretär. Madame Rietz ließ der König ihr Landhaus zu Charlottenburg zu einem prächtigen Palais mit ansehnlichem Garten ausbauen. Ihrer Schwester, der Gräfin Matuschka, wurde durch stattliche Mitgift ein neuer Gemahl, der Hauptmann Albrecht Ernst von Schönberg vom Regiment Arnim verschafft und ein prächtiges Wohnhaus in der neuen Leipziger Straße eingerichtet. Auch die Brüder von Madame Rietz erhielten einträgliche Stellen; der eine ward Stallmeister des Königs, der andere Oberjäger.

Madame Rietz stand jetzt im vierunddreißigsten Jahre. Sie versichert in ihrer Apologie, daß bereits vor dem Regierungsantritte des Königs dessen Liebe sich in bloße Freundschaft verwandelt habe, daß die vertrauten Verhältnisse seitdem nie wieder eingetreten seien. Aber selbst eine halbjährige Trennung, von ihren Feinden veranlaßt, hätte diese Freundschaft nicht trennen können. Das stärkste Band machten die Kinder; diese beiden Kinder hätten sie nach wie vor in der Gunst des Königs befestigt. Sie waren geboren in den Jahren 1770 und 1778 – der Graf Alexander von der Mark gleichzeitig mit Friedrich Wilhelm III. und die Gräfin Marianne von der Mark 1778. Einen zweiten Sohn Wilhelm wollte Friedrich Wilhelm II. aber nicht anerkennen; er ward deshalb auf den Namen des Scheingemahls, des Kämmerers Rietz getauft.

Der von dem König anerkannte Sohn war, wie Mirabeau schreibt, der einzige Mensch, der den König aus seiner habituellen Lethargie ziehen konnte, er liebte ihn bis zur Anbetung.

Madame Rietz war klug genug, den König nicht in seinen neueren und jüngeren Liebschaften zu stören, sie trat ganz in die Stellung der Madame Pompadour ein, sie suchte nur zu verhindern, daß ihr eigener Einfluß beeinträchtigt werde und traf deshalb selbst die Auswahl; erst erhielt eine Mlle. Minette (Horst), früher Waschmädchen, die Gunst des Königs, die später 1796 mit 10 000 Taler Aussteuer einen Mann fand, dann Madame Baranius, vom Theater, die nachher Herrn Rietz heiratete, endlich vom Corps de ballet eine schöne, frische Brünette ohne viel Geist, die Tänzerin Schulsky. Diese wohnte sogar mit Madame Rietz in Potsdam im neuen Garten zusammen und erhielt sich bis zum Tode des Königs als erklärte Favoritin unter der Hauptfavoritin. Die Schulsky ward, wie Dampmartin berichtet, dem König in der Eigenschaft zugegeben, wie Abisag von Sunem dem König David, um seine alten erstarrten Glieder zu wärmen. Nach des Königs Tode heiratete sie einen Gardeleutnant, sie war eine reiche Partie geworden. Neben ihr wurden genannt: Silberminchen, die an einen Doktor verheiratet wurde, die kleine Französin und eine Bethmann.

Unter den neuen Liebschaften des Königs befand sich aber auch eine Dame aus dem Hofadel, das Fräulein Julie von Voß, eine Nichte des Oberhofmeisters der Gemahlin Friedrich des Großen. Friedrich Wilhelm hatte ihre Bekanntschaft schon drei Jahre vor dem Tode seines Oheims gemacht und diese drei Jahre lang, bis er selbst König ward, sie mit seiner unausgesetzten Neigung verfolgt, ohne zum Ziele seiner Leidenschaft zu kommen. Mirabeau schreibt unterm 26. Juli 1786 kurz vor dem Tode Friedrich des Großen: »Immer dieselbe respektvolle Leidenschaft für das Fräulein von Voß. Auf einer kleinen Reise, die sie mit ihrem Bruder machte, begleitete ein vertrauter Kammerdiener des Prinzen ihren Wagen in der Entfernung und wenn die Dame, die nach meiner Ansicht sehr häßlich ist, das geringste Begehren kund tat, z. B. nach weißem Brote, so fand sie das, was sie gewünscht hatte eine halbe Meile davon. Sie hat sich noch nicht ergeben, das scheint unzweifelhaft.«

Kaum aber hatte Friedrich Wilhelm den Thron bestiegen, so ließ sich Fräulein Voß, ohne, wie sie gestand, in den König verliebt zu sein, durch seine dreijährige treue Anhänglichkeit gerührt, bewegen, ihm sich zu ergeben, jedoch unter einer dreifachen Bedingung, daß die Bewilligung der Königin eingeholt werde, daß der König sie sich heimlich zur linken Hand antrauen lasse und daß die Rietz mit ihren Kindern nach Litauen exiliert werde. Letztere Bedingung schlug der König ab, die beiden ersten erfüllte er. Das devote Konsistorium erklärte vor der Trauung mit Berufung auf die von Luther und Melanchthon tolerierte Doppelheirat des hessischen großmütigen Philipp die Ehe des Königs zur linken Hand für zulässig. Die Königin gab ihren Konsens, da der König ihre Schulden bezahlte und ihr ihr Nadelgeld erhöhte, auch hoffte sie, mit der Voß die Rietz zu verdrängen. Fräulein Voß erhielt nun in Potsdam eine Wohnung, 1787 ward sie zur Gräfin von Jugenheim erhoben. Ihr Bruder Otto Carl Friedrich von Voß, Schwiegersohn des Kabinettsministers Finkenstein seit 1780, ward zum Staatsminister befördert. Oeffentlich hatte man der Gräfin die Stellung einer Ehrendame bei der verwitweten Königin im königlichen Palaste gegeben. Mirabeau schildert sie folgender Gestalt: »Fräulein Voß besitzt einen gewissen natürlichen Verstand und einige Bildung, aber eher Manien als Willensäußerungen, sie bemüht sich, ihr sehr hervorstehendes linkisches Wesen durch den Anschein von Naivität zu verbessern. Sie ist häßlich in hohem Grade, Grazie hat sie nicht, sie hat nur den Teint des Landes und noch finde ich, daß dieser mehr bleich als weiß ist, sie besitzt eine schöne Büste. Ihre Vestalinnenstrenge hat den König verführt. Sie findet es lächerlich, eine Deutsche zu sein, spricht etwas englisch und ist eine Anglomanin, welche meint, es gehöre nicht zum guten Tone, die Franzosen zu lieben. Einige liebenswürdige Leute dieser Nation haben sie in Verlegenheit gesetzt, aus Eitelkeit haßt sie diejenigen, die sie nicht nachahmen kann. Mitten in ihren Schwächen besitzt sie eine fast abergläubische Devotion und diese hat sie veranlaßt, die eheliche Einsegnung für ihr Verhältnis mit dem König zu verlangen. 22. Dezember 1786, vier Monate nach Friedrich II. Tode, ward sie des Königs vierte Frau.

Es ist offenbar die antifranzösische Richtung, die den Grafen von Mirabeau so entschieden gegen die neue Gräfin Ingenheim einnahm. Auch Dampmartin schildert sie nicht besonders hübsch, sogar etwas »harzadiert blond«, aber sanft, anständig, kalt und wenig für den Ehrgeiz empfänglich. Sie war eine Schönheit im Genre Tizians und als solche ward sie im Berliner Wochenblatt bei Beschreibung der kleinen Fêten und Hofbälle verblümt und inkognito gefeiert; bei Hofe hieß sie die Ceres oder wegen ihrer Vorliebe für England Miß Bethy. Die neue Favoritin wurde durch ihre Verwandten, namentlich den Grafen Finkenstein, bewogen, sich dem Könige zu überlassen, indem man ihr vorstellte, daß sie das Glück des Landes fördern werde wenn sie dazu beitrage, eigennützige und verkehrte Personen durch ihren Einfluß von dem König zu entfernen, sie müsse sich großmütig dem Ruhm desselben opfern. Sie opferte sich, nachdem sie, wie die Gräfin Lichtenau in ihrer Apologie sagt, vorher »ihr ganzes Fortune völlig in Sicherheit gebracht hatte,« aber weder sie noch der König fanden ihre Befriedigung dabei. Sie grämte sich, zehrte sich auf und verfiel. Am 2. Januar 1789 gebar sie dem König den Grafen Gustav von Ingenheim. Nach der Geburt dieses Knaben verfiel sie in eine, in ihrer Familie erbliche Lungenschwindsucht und der König vermied es, sie ferner zu besuchen. Er kehrte wieder zu seiner lieben Rietz zurück, in deren Gesellschaft er sich ungezwungener fühlte. »Sie hatte – schreiben die »vertrauten Briefe« – so genau des Königs Reizbarkeit studiert, daß, wenn er durch häufigen Wechsel sich abgestumpft hatte, die alte Freundin noch Reizmittel im Rückhalt hatte, wodurch sie ihn so zu fesseln wußte, daß er immer wieder zu ihr zurückkam. Bösartig war sie nicht, sie war ganz weibrachsüchtig in der Liebe, und eitel. Sie hat manchen Schurken gehoben und Bettler bereichert, die sie nach ihrem Fall mit Füßen treten wollten. Die Natur hatte ihr alle Reize verliehen, um Männerherzen zu fesseln; tändelnde Liebe war ihr nicht eigen, dagegen gab sie vollen Genuß der Sinnlichkeit. Ihr Körper war wunderschön, ganz Ebenmaß ohne Gleichen. Besonders ihre Arme waren von seltener Schönheit; sobald sie Handschuhe im Laden Paskels am Schloßplatze kaufte, fanden sich Kunstdilettanten ein, um zu bewundern, wenn sie beim Anprobieren ihre schönen Arme entblößte. Auch fehlte es ihr an Unterhaltungsgabe nicht.

Noch in demselben Jahre 1789, wo die Gräfin Ingenheim ihren Sohn geboren, erlag sie bald nachher einem Zehrfieber und starb am 25. März. Der Hofadel verbreitete das Gerücht, die Rietz habe sie vergiftet und das Publikum glaubte es, besonders auch deshalb, weil der Leichnam, der in dem Erbbegräbnis der Familie Voß in der Kirche zu Buch beigesetzt worden war, nicht in Verwesung überging. Nach dem Tode des Königs, als der Volksunwille gegen die Lichtenau ausbrach, zirkulierte das Gerücht, daß der Tod infolge einer Vergiftung mit einem Glase Limonade in der Oper erfolgt sei, man wollte das in den Papieren der gestürzten Sultanin gefunden haben.

Da der König dem Gerüchte, das unbegründet war, keinen Glauben beimaß, versuchte der Hofadel den Sturz der verhaßten Rietz durch eine neue Favoritin. Die Augen des Königs wurden nun auf eine der ersten jungen Hofschönheiten gelenkt, eine prächtige Blondine, die einundzwanzigjährige Gräfin Fräulein Sophie Juliane Friederike von Dönhoff. Dieses Fräulein Gräfin aus dem Hause Beynühnen, Enkelin des Generals Alexander unter Friedrich Wilhelm I., war die Tochter eines Majors, der schon, als sie sechs Jahre alt war, starb, worauf ihre Mutter, eine Baronesse Langermann, Erbfrau der Beynühnischen Güter, den Geheimen Rat Graf Eulenburg in zweiter Ehe geheiratet hatte. Sie war Hofdame der regierenden Königin und bei Hof hieß sie Hebe, wahrscheinlich wegen ihrer jugendkräftigen Gestalt, zu diesem bei dem König viel vermögenden körperlichen Vorzug fügte sie noch den, der auch viel bei ihm galt, daß sie vortrefflich Pianoforte spielte und sang. Nach dem Tode des Fräulein Voß ergab die Komtesse Dönhoff sich dem König unter denselben Bedingungen, die diese gestellt hatte, nämlich daß die Königin ihre Einwilligung erteile, und daß von dem Hofprediger auch ihre Ehe zur linken Hand eingesegnet werde. Die Familie bestand darauf ausdrücklich. Die neue Ehe wurde am 11. April 1790 in der Kapelle zu Charlottenburg von Zöllner eingesegnet. Die zweite Gemahlin erhielt eine königliche Ausstattung, eine Mitgift von 200 000 Talern, die Mutter ein Geschenk von 50 000, die jüngere Schwester 20 000 Taler, Baron Langermann aus Mecklenburg, ihr Onkel 40 000 Taler. Das Haus des Ministers Heynitz wurde um 30 000 Taler für sie gekauft. »Die Komtesse Dönhoff – berichtet Dampmartin – blendete durch jenes gefährliche Zusammenspiel von Reizen, Liebenswürdigkeit, Kaprizen und Launen, welche die Leidenschaft noch mehr entflammen. War der König beharrlich in seiner Anbetung, so durfte er auf deliziöse Vergnügungen rechnen, nur mußte er dabei auf ein ruhiges und friedliches Leben verzichten. Die Gräfin maßte sich als Gemahlin des Königs auch an, als Souveränin zu sprechen. Aber der König liebte es weit mehr, sein Vergnügen durch Nachgiebigkeit zu erlangen, als sich in ermüdende Dispute einzulassen. Die Augen der Königin füllten sich mit Tränen, wenn sie der sanften Jugenheim gedachte, die Damen des Hofs ordneten sich nicht ohne Widerstreben dem Vorrange unter, den eine, die aus ihrer Mitte war, erlangt hatte. Madame Rietz war klug genug, ohne auch nur einen Laut zu tun, dem Befehle des Königs sich zu fügen, der sie allerdings zur Ertragung des beleidigendsten Hochmuts von feiten der Dönhoff verurteilte; sie war ja doch sicher, daß der Gebieter des trockenen Tons der vornehmen Dame bald genug überdrüssig werden und zu dem Kreise zurückkehren werde, in dem er sich ungezwungen bewegen konnte. Bald wurde dem König daß Einmischen der Gräfin in die Politik unerträglich. Um ihrem Stolz zu genügen und aus Eifersucht gegen die Rietz und deren Rekrutenaushebung aus dem Corps de ballet hatte die Gräfin Dönhoff Potsdam verlassen und sich nach Berlin begeben.

Sie hatte dem König einen Sohn am 24. Januar 1792 geboren; er erhielt den Namen Wilhelm Graf von Brandenburg. Er ward am 14. Februar getauft, der König hielt seinen Sohn selbst über die Taufe. Vier Monate nach der Geburt dieses Sohnes am 30. Mai 1792, kurz vorher, ehe der König zur Rheinkampagne sich begab, reiste die Gräfin plötzlich ab in die Schweiz. Am 4. Januar 1793, während der König noch am Rhein war, gebar sie eine Tochter, die Julie, Gräfin von Brandenburg, getauft wurde.

Der Bruch der Dönhoff mit dem König war drastisch. »Sie hatte – erzählen die vertrauten Briefe – nicht Verstand genug, den König zu fesseln und ließ sich, durch einige Schwärmer verführt, einfallen, sich in Staatsgeschäfte mischen zu wollen.« Kurz nachdem der König von der Rheinkampagne zurückgekehrt war, machte sie ihm eine Ueberraschungsszene in Potsdam, am 19. November 1793. Sie kam abends sieben Uhr heimlich mit der Gräfin Solms, die ihre neugeborene Tochter trug, in den neuen Garten von Potsdam, wo der König eben im neuen Pavillon sein gewöhnliches Konzert mit dem Violoncellisten Duport hielt. Der König war selbst Virtuos auf dem Cello, doch hinderte ihn in späteren Jahren sein starker Unterleib, das Instrument zwischen den Knieen zu halten. Die vernachlässigte Favoritin stürzte sich mit aufgelöstem Haar durch die Versammlung zu des Königs Füßen, sie stellte ihm die neugeborene Tochter mit den Worten vor: »Hier nehmen Sie Ihr Eigentum zurück!« Der König blieb ruhig, führte die Damen in ein anstoßendes Kabinett, wo die heftigste Szene vorfiel. Der König aber behielt seine Kaltblütigkeit und sagte gelassen: »Versorgung.« Darauf ward die kleine Gräfin Brandenburg mit dem Grafen Brandenburg zugleich im neuen Garten erzogen. Die Aufsicht erhielt Madame Rietz. Die Mutter aber blieb vom Hofe verwiesen mit einer Pension von 8000 Talern. Die Szene, welche die Gräfin dem König machte, war auf ein Wiederanknüpfen des Verhältnisses berechnet gewesen, die Gräfin irrte sich aber in der Wahl des Mittels, der Bruch blieb. Der Grund des Bruches war die große Verschiedenheit der Charaktere, der König mochte mit der heftigen Dame sich nicht weiter befassen. Die Gerüchte, die im Publikum umliefen, über Begünstigungen, welche die Gräfin dem Grafen Medem und dem Grafen Lehndorf habe zukommen lassen, waren ebenso bloße Gerüchte, wie ihre Verbindung mit den französischen Jakobinern. Die Gräfin, welche die Lichtenau in ihrer Apologie selbst als eine Dame »von englischem und römischem Geiste« bezeichnet, lebte darauf eingezogen zu Angermünde in der Uckermark. Unter der folgenden Regierung ward ihr erlaubt, nach Berlin zu kommen und ihre Kinder zu sehen. Sie starb erst 1834 auf ihren Gütern bei Werneuchen in der Mittelmark.

Der geliebte natürliche Sohn der Madame Rietz, der Graf Alexander von der Mark, war zu des Königs herbstem Schmerz bereits am 1. August 1787 in seinem neunten Lebensjahre gestorben und zwar unter Umständen, von denen die Gräfin in ihrer Apologie so rätselhaft spricht, daß man an einen unnatürlichen Tod denken möchte. »Aeußerst betrübt war der König. Doch die Umstände dieses nur allzuschnellen Todes trugen dazu noch mehr bei als der Tod selbst. Ich weiß diese Umstände – und schweige.« Die Mutter hatte auch diesen Trauerfall benutzt, um sich in der Gunst des Königs immer fester zu setzen. Bischofswerder und Wöllner und die Brüder Rosenkreuzer, die sie sonst in Gegenwart des Königs persiflierte und ihn dadurch oft wütend machte, boten ihr die Hand. Der König hatte verlangt, den Schatten seines Lieblings noch einmal zu sehen. In dem Palais unter den Linden zu Berlin, das der König seinem Liebling geschenkt hatte, ward in dem Trauerzimmer, worin der kleine Graf gestorben war, die Zitierung vorgenommen. Es wurde mit besonderer Pracht ausgestattet und mit Hilfe theurgischer Gaukelkünste mußte der Geist des früh Verstorbenen aus dem Lande der Seligen dem königlichen Vater erscheinen. Er erschien, um ihn an das der Mutter geleistete Versprechen zu erinnern, sie unter keinen Umständen von sich zu entfernen. Der König ließ dem geliebten Entschlafenen 1791 ein Denkmal von Marmor durch Schadow in der Dorotheenkirche errichten und erkannte ihn damit feierlich als seinen Sohn an.

Die Tochter der Madame Rietz, die Gräfin Marianne von der Mark, trat nach dem Tode ihres Bruders in dessen Stelle in der Gunst bei dem König und befand sich fortwährend in seiner Nähe. Graf Medem wurde für einen Bewerber um ihre reiche Hand gehalten, sie erhörte ihn aber nicht und auch ein anderweitiges Heiratsprojekt mit dem Lord Hervey, Sohn des Lord Bristol, Bischofs von Londonderry, eines der eifrigsten Anbeter der Mutter, kam nicht zustande. Die Gräfin heiratete am 11. März 1797 den höchst verschuldeten Erbgrafen Friedrich von Stolberg, sie erhielt eine Mitgift von 200 000 Talern, ward aber bereits nach zwei Jahren, 1799 wieder geschieden. Sie war ebenso angenehm, wie ihre Mutter, »tat es aber auch – wie Manso sagt – ihrer Mutter im Leben wie im Lieben gleich, wo nicht voraus.« Sie verheiratete sich später noch zweimal mit einem Polen, Caspar von Makowski, Neffen des Bischofs von Warschau und mit einem schönen französischen Obersten Thierry in Paris. Hier starb sie 1828.

Nach dem Bruche mit der Gräfin Dönhoff blieb Madame Rietz – Roxolane, wie sie bei Hofe hieß – unumschränkte Beherrscherin des Königs. Ihr Einfluß erstreckte sich auf alles. Wen sie begünstigte, ward begünstigt. »Kein Kammerpräsident – sagen die »vertrauten Briefe« – hätte gewagt, einen seiner Kanzlisten hart anzufahren, wenn er gehört hätte, daß er die Waschzettel der Gräfin Lichtenau schrieb.« Die entschiedene Teilnahme am französischen Revolutionskriege und besonders an dem unglücklichen Zuge in die Champagne schreibt man hauptsächlich auf ihren Einfluß. Sie begleitete den König auf diesem Champagne-Feldzug und hielt einen förmlichen Hof zu Aachen und Spaa mit allem Glanze einer Königin. Täglich wurden Stafetten abgesandt und erhalten, um sie über den Gang der Ereignisse im Laufenden zu unterhalten und ihren Beirat einzuholen. Die französischen Emigranten machten ihr, als ihrer besten Freundin, den eifrigsten Hof. Sie selbst gesteht in ihrer Apologie, daß man den Basler Frieden durch sie habe hintertreiben wollen. Die zum Teil aus dem Portefeuille des Fürsten Hardenberg entflossenen Mémoires d'un homme détat berichten und sie selbst hat es durch ihre Erzählung bestätigt, daß Lord Henry Spencer, der englische Gesandte in Berlin, ihr 100 000 Guineen angeboten habe, um Preußen damals im Jahre 1795 bei der Koalition zu erhalten. Sie schlug sie aus.

Schon im Jahre 1789 hatte einer der beiden jungen Gualtieri sich um die Hand der Madame Rietz beworben. Nach Berlin 1793 zurückgekehrt, bot ihr ein erst zwanzigjähriger Lord Templetown seine Hand an. Bei der in Berlin und Wien damals herrschenden Anglomanie machten die Engländer eine große Figur und zeichneten sich durch Extravaganzen schon damals aus. Sie machten in Berlin gewaltigen Spektakel. Sie betranken sich fast alle Tage in der Stadt Paris, wo sie speisten; eines Tages warfen sie ein ganzes Bett auf die Straße. Templetown war ein feuriger Irländer, er begehrte mit Leidenschaft die Hand der preußischen Sirene. Der König schlug aber die Genehmigung zu der schon deklarierten Heirat ab, weil er besorgte, Madame Rietz möge mit dem Lord übersiedeln und die freundschaftliche Verbindung, die ihm unentbehrliches Bedürfnis geworden war, allmählich absterben. Im Jahre 1795 trat ein drastischer Bruch dieser Liaison ein; der feurige Irländer soll die auf einer Galanterie mit einem untergeordneten Liebhaber betroffene Geliebte mit Ohrfeigen gestraft haben; sie erwirkte seine Ausweisung aus Berlin vom König und beschloß nun, zu ihrer Zerstreuung selbst auf Reisen zu gehen.

Der Umgang mit Künstlern hatte bei Madame Rietz den lebhaften Wunsch erweckt, Italien zu sehen. Die Aerzte wurden veranlaßt, ihr die Bäder von Pisa, und als Nachkur die Seebäder von Neapel zu verordnen. Der König genehmigte die Reise aus Rücksicht für ihre Gesundheit, sie hatte auch, wie sie später selbst erzählt hat, ihm davon gesprochen, den Stein der Weisen aufzusuchen. Am 13. März 1795 reiste sie von Berlin ab und blieb über ein Jahr aus. Der König setzte ihr Reisegelder aus und gab ihr carte blanche an die vornehmsten Bankiers in Mailand, Florenz, Livorno, Rom und Neapel mit. In ihrer Begleitung befand sich ihr früherer täglicher Gesellschafter in Berlin, Herr Filistri de Caramondani, Hofpoet des Königs, als Reisemarschall, ihre siebenjährige Gesellschafterin, Mademoiselle Chappuis, ihr Sekretär Steinberg und ihre übrige Dienerschaft. Der König begleitete sie am Tage ihrer Abreise früh vier Uhr selbst noch an den Wagen. Die Reise ging über Wien und die Schweiz, wo Madame Rietz Lavater in Zürich aufsuchte, im Oktober 1795 erreichte sie Pisa, von da ging sie nach Rom und Neapel. Sie reiste mit fürstlichem Aufwand, gab überall große Feste, kaufte für die Rechnung des Königs Statuen, Bilder und andere Kunstwerke an, machte Bestellungen bei Künstlern und mit dem allen eine Menge Schulden. Sie selbst sagte zwar in ihrer Apologie, daß sie von der carte blanche nicht den allermindesten Gebrauch gemacht habe, daß die ausgesetzten Reisegelder vollkommen hingereicht hätten, aber die Schulden kamen bei dem nach dem Tode des Königs gegen sie angestrengten Prozesse zur Sprache. Obwohl bereits 44 Jahre alt, hatte sie doch noch eine Reihe von Liebesaventüren auf dieser Reise und die Tatsache ist unwiderleglich, daß sie jungen und alten Männern den Kopf verdreht hat. Ein ganzer Schwarm von Liebhabern und Abenteurern aus der vornehmen Welt zog ihr nach. Einer ihrer enthusiastischsten Anbeter war der Chevalier de Sape, ein Sohn des sächsischen Prinzen Xaver, ein junger Mann, der damals in Italien lebte, später Gouverneur in Neapel ward und 1802 im Duell fiel. Mehrere flammende Briefe von ihm ließ sie selbst im zweiten Teil ihrer Apologie abdrucken, die allerdings hinreichend sind, um sehen zu lassen, mit welcher Anziehungskraft sie begabt war. Aehnliche, wenn auch nicht so flammende Briefe finden sich von dem berühmten Archäologen Hirt, den ihre Kunstliebe in Rom ihr auf Empfehlung des Herzogs von Sussex zugeführt hatte und der bald einer ihrer begünstigsten Verehrer wurde. Aloys Hirt, ein entsprungener Klosterbruder aus Schwaben, machte damals den Fremdenführer in Rom. Er war dreißig Jahre alt, von kräftiger Gestalt und wohlgebildetem Aeußern.

Hirt folgte später der Gräfin Lichtenau nach Potsdam, wohnte bei ihr im neuen Garten, in einem der für den Fremdenbesuch leerstehenden Häuser und speiste bei ihr, ward durch sie dem König vorgestellt und erhielt als Akademiker, Hofrat und Instruktor des vierten Prinzen des Königs, Wilhelm, der Neigung zu Altertümern zeigte, eine Pension von 1800 Talern.

Alle größeren und kleineren Höfe Italiens bewarben sich um die Ehre, die allvermögende Favoritin des Königs von Preußen bei sich zu empfangen. Nur der Hof von Neapel machte Schwierigkeiten. Die Königin Karoline, eine geborene österreichische Erzherzogin, wollte zwar einer königlichen Mätresse, aber nicht einer bürgerlichen Madame Rietz die Hofehren verwilligen. Madame Rietz wandte sich deshalb an den König und machte ihm in einem Schreiben vorstellig, »daß wiewohl Se. Maj. wohl wüßten, daß sie für ihre Person keinen Wert auf die törichten Eitelkeiten der Hof-Etikette lege, es sie doch in eine schiefe Stellung bringe, daß ihre Tochter in den Grafenstand erhoben sei, während sie noch selbst dem niederen Bürgerstand angehöre.« Darauf ward Madame Rietz gerichtlich von Herrn Rietz, mit dem sie nie getraut worden war, geschieden und zur Gräfin von Lichtenau erhoben. Das Grafendiplom erteilte ihr vier Ahnen von väterlicher und mütterlicher Seite, Ebenbürtigkeit und Stiftsfähigkeit. In das ihr gestiftete Wappen kam der preußische Adler und die königliche Krone. Der Lord Bristol, späterer Erzbischof von London, soll ihre Erhebung zur Gräfin befördert haben. Auch er wollte sie heiraten und bot ihr seine Schlösser und seine Börse an. Der König schenkte ihr nun, um sich nicht übertreffen zu lassen, die Güter, deren Nutznießung sie gehabt und dazu 50 0000 Taler.

Mit dem König war die Gräfin während der ganzen Zeit ihrer italienischen Reise in beständigem Briefwechsel geblieben. Sie übersandte ihm regelmäßig ihr Journal. In Berlin unterhielt sie ihre Agenten, die sie fortwährend im Laufenden erhielten. So erhielt sie auch in der Entfernung ihren Einfluß.

Im Jahre 1796 verschlimmerte sich der Gesundheitszustand des Königs bedeutend; die Vorboten der Wassersucht stellten sich ein. Auf die Nachricht davon eilte die Gräfin mit Kurierpferden im Juni 1796 in Begleitung des Oberhofmeisters der Königin, Grafen Wittgenstein, aus Italien nach Potsdam zurück. Ihr Herz war bei dem Anblick der Leiden des Freundes, Beklemmung und Schlaflosigkeit, zerrissen. Sie widmete sich nun mit der treuesten Anhänglichkeit seiner Pflege, sie ging zweimal mit ihm, 1796 und 1797, in das ihm verordnete Bad zu Pyrmont.

Die sorgfältige Krankenpflege hinderte aber nicht, jetzt auch alle Vorteile und Annehmlichkeiten zu genießen, welche durch die Erhebung zur Gräfin von Lichtenau gekommen waren. Sie ward bei Hofe vorgestellt, die Königin hatte ihr ihr mit Brillanten besetztes Bildnis nach Pyrmont geschickt; es geschah dies alles auf Empfehlung ihres Oberhofmeisters, des späteren Oberkammerherrn und Fürsten Wittgenstein und der Kammerfrau Hille, welche beide durch unumschränkte Gewalt über die Königin sich in der Gunst des Königs erhielten. In der großen Gesellschaft ward die neue Gräfin durch die ältere Gräfin Haake präsentiert. Ja, die neue Gräfin empfing jetzt in ihrem eigenen Hause den gesamten Hof noch im letzten Lebensjahre des Königs, am 14. März 1797. Sie hatte in diesem Hause, dem von ihrem Sohn übererbten Palais unter den Linden, ein Theater einrichten lassen. Die ganze Kapelle war ihr zur Verfügung gestellt. Die Gräfin ließ den neuen Salon durch Cleopatra, opera seria einweihen. Dampmartin berichtet über diese Vorstellung, der er beiwohnte, die ungeheure Sensation in ganz Berlin machte und die deshalb merkwürdig ist, weil ihr nicht nur die legitime königliche Familie, sondern auch sämtliche Schößlinge aus der üppigen Päonien-, schmachtenden Narzissen- und prächtigen Tulpenpartie des Gartens des königlichen Lustwohlgefallens beiwohnten. »Die Königin, der Kronprinz und seine Gemahlin sowie die anderen königlichen Prinzen und Prinzessinnen bebten vor Ingrimm über den sie erniedrigenden Zwang, sich bei einer Frau als Gäste zu sehen, deren bloße Nähe sie schon aufs tiefste verletzte. Der König trug auf seinem bleichen Gesicht die Zeichen einer tödlichen Krankheit; die gutmütige Königin verzog ihre Lippen zu einem erzwungenen Lächeln; der Kronprinz konnte seine heftige Gemütsbewegung nicht verbergen, er warf verstohlene Blicke bald der zärtlich geliebten Mutter, bald seiner angebeteten Gemahlin (Luise) zu, als könne er nicht begreifen, wie es möglich sei, sich mit ihnen in den prachtvollen Zimmern der Mätresse seines Vaters zu befinden. Nichts hätte mehr seine beiden vorherrschenden Tugenden in Harnisch bringen können; Sparsamkeit und Anständigkeit. Jung, freimütig, dabei ein wenig menschenscheu, vermochte er es nicht über sich zu gewinnen, seinen Aerger zu verbergen. Die Gräfin Lichtenau, die in bei weitem reicheren Schmucke wie die Königin glänzte, empfing des Königs zärtlichste Huldigungen. Den Kindern seiner drei Mätressen, die in einer der ersten Ranglogen saßen, warf er Näschereien zu.«

Mit den höchsten Ehrenbezeugungen wurde die Eitelkeit der Gräfin Lichtenau bei ihrer zweiten Brunnenreise nach Pyrmont im Juni 1797 genährt. Sie stand hier einem glänzenden Hoflager vor, während die Königin in dem bescheidenen Badeort Freienwalde ihre Zeit zubrachte. In Pyrmont erhielt die Gräfin die Huldigung von mehr als 20 Reichsfürsten, die hier dem Könige von Preußen ihre Aufwartung machten. »Der Kronprinz«, schreibt Förster nach den mündlichen Mitteilungen der Gräfin, »erhielt vom Könige eine Einladung, mit seiner Gemahlin nach Pyrmont zu kommen, welcher er sich nicht entziehen konnte. Er hatte hier sehr peinliche Tage zu überstehen. Am 3. August wurde im Brunnensalon sein Geburtstag gefeiert. Die Gräfin Lichtenau hatte ein Festlied gedichtet und trug es an der Tafel vor.« »Der Kronprinz,« erzählte sie selbst, »kam mir nach und dankte mir in den verbindlichsten Ausdrücken, ohne auch nur die entfernteste Abneigung gegen mich zu zeigen.« Nicht minder als der Mätresse wurde dem Kämmerer Rietz von allen anwesenden Durchlauchten und Hoheiten auf die bettelhafteste Weise der Hof gemacht. Wer irgend etwas bei dem Könige erreichen wollte, dem blieb nichts anderes übrig, als entweder die Mätresse oder den Kämmerer, oder wenn er ganz sicher gehen wollte, beide für sich zu gewinnen. Angesehene Reichsfürsten überboten sich in Artigkeiten und Geschenken, welche sie an den königlichen Kleiderausklopfer verschwendeten. –

»Der König fühlte sich nach seiner Rückkehr aus dem Bade so sehr erleichtert, daß ihm seine Aerzte den Gefallen taten, ihn für gänzlich wiederhergestellt zu erklären, obschon die Wassersucht bald wiederkehren mußte. Die Nachricht von der Wiederherstellung des Königs »des Vielgeliebten«, wie ihn die Berliner nannten, verbreitete so allgemeine Freude, daß die Hauptstadt eine glänzende Feier zur Wiedergenesung veranstaltete.

»Das Fest begann am frühen Morgen mit Glockengeläut und Posaunenblasen von den Türmen der Stadt. Auf den Plätzen war Tanzvergnügen, Mastbaumklettern, Puppentheater, Speisung der Armen auf öffentliche Kosten, in dem Börsensaal großes Zweckessen zu 500 Kuverts, am Abend: Oper, Feuerwerk, Illumination, Ball. Der König, so leidend er war, hielt sich den ganzen Tag auf den Füßen, besuchte die öffentlichen Tanzplätze, fuhr durch die Straßen während der Illumination und nahm an dem, von den Bürgern ihm zu Ehren gegebenen Mittag- und Abendessen teil. Die Königin hatte sich mit Unwohlsein entschuldigt, die Gräfin Lichtenau nahm ihre Stelle ein, der Kronprinz hatte sich auf den ausdrücklichen Befehl des Königs ebenfalls eingefunden. Die Gräfin erschien bei der Abendtafel im griechischen Gewand Polyhymnia mit goldenem Diadem, und ihre sämtlichen Anbeter, deren Zahl Legion war, hatten sich zu diesem ungezwungenen Bürgerfeste eingefunden. Die Gräfin hatte die Kühnheit, an der öffentlichen Tafel einige von ihr selbst gedichtete Strophen, welche der Kapellmeister Himmel komponiert hatte, zu singen und das Publikum zollte ihr einen nicht endenwollenden Beifall. Dies sind die Strophen der märkischen Sappho:

»Glänzend war die Morgenröte
Freudig endigt dieser Tag:
Ja wohl freudig weil er heute
Friedrich Wilhelm uns geschenkt.«

»Welcher Jubel, welch Entzücken!
Vater, Sohn, so Hand in Hand
In die lange Zukunft blickend,
Uns ein edles Beispiel seyend.
Söhne schaut den Sohn hier an;
Väter folgt dem edlen Vater
In der Hütte auf dem Thron!«

Hirt überreichte ihr einen Lorbeerkranz, der König zwang den Kronprinzen, der gekrönten Mätresse die Hand zu küssen.«

Mit diesen Ehrenbezeugungen begnügte sich aber die Gräfin Lichtenau nicht. Sie, die sich, wie Förster sagte, immer gern an das Reelle hielt, erhielt weit reellere Gunstbezeugungen von ihrem königlichen Freunde. Der König machte ihr die sogenannten Lichtenau'schen ehemals Brenkenhoff'schen Güter in der Neumark zum Geschenk, die drei Domänen: Lichtenau, Breitenwerder und Roßwiese, mit einer Jahresrente von 4800 Talern. Dazu genoß sie schon seit der Thronbesteigung des Königs noch monatlich 300 Louisd'or für ihre Haushaltung in dem ebenfalls nach dem Tode ihres Sohnes 1787 auf sie übergegangenen Palais unter den Linden. In verschiedenen Zeiträumen hatte sie eine ansehnliche Summe an Juwelen erhalten. In seiner letzten Krankheit äußerte der König, »daß es nun die höchste Zeit sei, daß er hier fort mache« und schenkte ihr deshalb noch eine halbe Million Taler in holländischen fünfprozentigen Banknoten, welche der Minister Struensee nach Holland schickte, wo sie auf ihren Mann kontrasigniert wurden.

Es war sogar im Werke, als der König über die erneuerten Beweise der Hingebung der Gräfin für ihn in Pyrmont gerührt war, ihr die Grafschaft Pyrmont von dem Fürsten von Waldeck zu kaufen. Sie schlug es aus, obgleich sie später schrieb: »Ich hätte die Höhe nur keck besteigen sollen, der Schwindel würde schon vergangen sein und ich stände jetzt wenigstens so fest, wie irgend etwas im deutschen Reiche steht.«

»Man glaubte mich im Besitz von Millionen, und seitdem ich – erzählte sie – Gräfin geworden war, wußte ich mich gar nicht vor Heiratsanträgen vornehmer Herren zu retten.« In ihrem Palais unter den Linden machte sie eines der angenehmsten Häuser von Berlin; sie vereinigte in ihm die geistvollsten Zirkel, bestehend aus Staatsmännern, Diplomaten, Offizieren, Gelehrten, Künstlern und selbst Geistlichen. Für die Entwicklung der feineren und freieren Geselligkeit in Berlin war das Haus der Gräfin Lichtenau von unberechenbarem Einflüsse, es kam durch dieses Haus, wie gleichzeitig durch die reichen jüdischen Häuser, die damals Gesellschaft bei sich sahen, ein ganz anderer Ton in die höhere Gesellschaft und eine Annäherung der geistreichen Leute aus den verschiedenen Ständen. Die Gräfin besaß die Gabe, den Personen, die sie bei sich sah, eine freudenvolle und zwanglose Unterhaltung zu verschaffen, im hohen Grade. Ueberhaupt war feiner Geschmack ihr nicht abzustreiten.

Lord Bristol, Bischof von Londonderry gehörte zu den glühendsten Anbetern der Gräfin Lichtenau, deren sie so viele in ihren jungen und noch in ihren ziemlich alten Tagen gehabt hat.

»Wissen Sie wohl«, schreibt er ihr aus Berlin, 2. November 1795, »daß ich heute morgen zwei Stunden damit zugebracht habe, mit wahrem Entzücken Ihr süperbes Theater, Ihr elegantes Bett, wo nichts als die Schläferin fehlte, um es vollkommen zu machen, und ganz besonders Ihren prachtvollen Salon zu betrachten? Alles trägt den Stempel des wahren Geschmacks und nichts bleibt in diesem Feenpalast zu wünschen übrig, als die Gegenwart seiner Herrin.«

Ihr Haus muß raffiniert und kostbar eingerichtet gewesen sein. Alle Zeitgenossen stimmen ein in dies Entzücken. Besonders wußte sie den König durch ihre Gemäldegalerie zu reizen, die Halb- oder Ganz-Entblößte zeigte und deren Stoffe meist den Zärtlichkeiten der Geschlechtszuneigung entnommen waren. Ja, es ist sogar die Rede von einem schwarzen Kabinett, in dem schwarze Kanapees standen. Die Lichtenau soll in diesem Raum sich und andere in Evaskostüm dem König dargeboten haben – und zwar meist, wenn er nach irgend welchen theatralischen Aufführungen besonders erregt war. Ja, in einem Buch aus ihrer Zeit in »Infernale, Eine Geschichte aus Neu Sodom« wird Friedrich Wilhelm II. vorgeworfen, er habe sich von der Gräfin Lichtenau seine eigene Tochter zuführen lassen.

Wird das nun auch übertrieben sein – die Gräfin Lichtenau spielte jedenfalls mit Aufbietung aller Kräfte und aller Mittel ihre glänzende Rolle bis zum Tode des Königs. Einmal, in des Königs letzter Krankheit war davon die Rede, daß er für ihre Häuser und Güter zwei Millionen Taler in englischen Banknoten geben wollte, mit denen sie nach England übersiedeln solle. Sie blieb aber standhaft dabei, daß sie sich nie von ihrem Freunde und Wohltäter trennen werde, zumal jetzt, da er leide. So nahm sie der König als Krankenpflegerin mit sich ins Marmorpalais nach Potsdam.

Kaum aber hatte Friedrich Wilhelm III. die Regierung angetreten, so rückte eine Abteilung des Garderegiments vor ihre Wohnung im Kavalierhause des neuen Gartens zu Potsdam und es ward ihr von dem Oberst von Zastrow und dem Major von Kleist im Namen des neuen Königs Arrest angekündigt, was in gewisser Beziehung eine Wohltat für sie war, denn die Bevölkerung Berlins war im höchsten Grade gegen sie erbittert; die Gräfin würde der Gefahr gröbster Mißhandlung nicht entgangen sein. Hatte sie doch jeden, der mit der Günstlings- und Mätressenwirtschaft die sie getrieben, nicht zufrieden gewesen war und der nicht schweigen konnte, verfolgt. Nun endlich konnten alle reden. Und was vorher in zahllosen Schmähschriften heimlich von Hand zu Hand gegangen, ward nun von Mund zu Mund gerufen und verurteilt. Ihre Häuser wurden versiegelt und auch ihre Mutter und ihr Sohn verhaftet. Sie bewohnte mit ihnen drei Zimmer in Potsdam, bis sie März 1798 des Prozesses wegen nach Berlin kommen mußte.

Sie wurde beschuldigt, den Krondiamanten Solitair, den Siegelring und noch einen Ring des Königs an sich genommen zu haben, wies aber vor Gericht nach, wo sie diese Gegenstände in den Zimmern des Königs aufbewahrt habe. Auch eine Mappe mit wichtigen Staats- und Gelddokumenten sollte sie sich angeeignet haben. Sie enthielt aber nach der gerichtlichen Aussage der Gräfin nichts, als ihre seit 28 Jahren an den König geschriebenen Briefe. Eine gegen sie förmlich eingeleitete Untersuchung wegen der Bezahlung der in Italien gemachten Schulden und ihrer vermeintlichen politischen Verbindungen im Auslande ergab auch nichts Kriminelles. Was man gewiß fand, waren die holländischen 500 000 Taler Banknoten – in fünf Paketen, unentsiegelt und sehr wertvolle Juwelen. Man konfiszierte alles, auch ihre Häuser und Güter. Alle verließen sie, und Leute kehrten ihr den Rücken und machten gegen sie die Ankläger, die sie emporgehoben und groß gemacht hatte, wie z. B. der Minister des Auswärtigen, Graf Haugwitz, Leute nahmen gegen sie den Ton vornehmer Beamten an, die sich zur Zeit des Glücks vor lauter kriechenden Schmeicheleien gegen die einflußreiche und liebenswürdige Freundin nicht zu lassen gewußt hatten, wie der Graf Schulenburg-Kehnert.

Noch im März 1798 ward sie von Berlin auf die Festung Glogau verwiesen, jedoch ohne sie auf Zimmer und Haus zu beschränken. Sie erhielt ein Jahrgehalt von 4000 Taler. »Sie kaufte sich in Glogau,« sagen die »vertrauten Briefe«, »das schönste Haus, richtete dieses auf das Geschmackvollste ein, gab hier Tee's und Gesellschaften. Wer in Glogau irgend auf Wissenschaft und Kunst Anspruch machte oder für einen genialen Kopf galt, den zog sie in ihre Zirkel. Ein junger, schöner, feuriger Italiener Fontano, der in Posen Theaterlichtputzer gewesen war, ward ihr als Lautenschläger vorgestellt. Er entzückte. Die Gräfin ließ ihn täglich zu sich kommen, um sein reizendes Spiel und seine volle Stimme zu hören. Nach einigen Wochen nahm sie ihn ins Haus. In ihren Vermögensangelegenheiten führte sie mit dem Könige einen Prozeß. Er befahl, der Gräfin unter der Bedingung die Freiheit zu schenken, wenn sie auf alle weitere Ansprüche entsage. So erhielt sie nach drei Jahren, 1800 ihre völlige Freiheit zurück, mußte aber eidlich versprechen, von den ihr vorgelegten Fragen nichts bekannt zu machen. Die 28jährige geheime Korrespondenz mit dem König und der Königin und ein viele Jahre hindurch von ihr geführtes Journal, das man bei ihr gefunden, behielt man zurück; diese Papiere sollen auf Befehl des Königs ungesehen von ihm verbrannt worden sein. Die Gräfin erhielt die übrigen Papiere zurück und lebte seitdem in Breslau. Am 3. Mai 1802, fünfzigjährig, heiratete sie nach eingeholter königlicher Einwilligung Fontano, der kein anderer als der bekannte Theaterdichter Franz von Holbein ist und den früheren Namen, den er als Schauspieler abgelegt hatte, wieder annahm.

»Sobald diese Heirat erfolgt war,« sagen die »vertrauten Briefe«, »suchte der junge (28jährige) Gemahl bei jüngeren Frauen Befriedigung und er war es, der einen Herrn Trojer gegen seine Frau eifersüchtig machte. Trojer erstach sie und wurde dann enthauptet.«

Holbein machte erst Reisen nach Paris, Posen und Wien, wo er endlich blieb und sich aufs Theaterfach warf. Die Gräfin ward schon am 31. Januar 1806 wieder von Holbein verlassen, sie lebte darauf im Ausland und ging von Breslau zuerst des Krieges wegen ebenfalls nach Wien.

Hier ward sie von einem Ausländer, der durch die gegen sie erschienenen Pamphlete enrangiert war, auf die unanständigste Art auf öffentlicher Straße angefallen, so daß ihr die Wiener Polizei Hilfe schaffen mußte. Nach dem Tilsiter Frieden kehrte sie nach Breslau zurück und 1809 erhielt sie durch Napoleon, an den sie sich gewandt hatte, von der Krone Preußens eine Entschädigung für die ihr entzogenen Häuser, Güter und Gelder. 1811 ging sie nach Paris, wo sie dem Kaiser, um ihm zu danken, in St. Cloud vorgestellt wurde. Sie lebte noch eine Zeitlang in Paris und dann in Berlin, wo sie in den Befreiungstagen ihren Patriotismus betätigte und 1820 starb, achtundsechzig Jahre alt.



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