Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfzehntes Kapitel

Als sie allein war, überließ sich Claire ihren Gedanken und vergaß den Ort, wo sie war und was um sie her vorging. Verworrenes Getöse und Hörnerschall drang fern aus dem Walde herüber und auf dem Pflaster der Hauptstraße rollten die Wagen mit hellem Geklingel vorüber. Die junge Frau war jedoch taub und blind gegen alles, was nicht Philipp war. Ihre Erinnerung kehrte zur Vergangenheit zurück, und indem sie sich ihr Leben so vorstellte, wie es hatte sein können, gedachte sie mit Wehmut des Glückes, auf welches sie freiwillig verzichtet hatte. Ferne von jener unheilvollen Zeit, konnte sie nur schwer die Gefühle begreifen, denen sie einst gehorcht hatte. Diese Art von wahnwitzigem Stolz, dessen Beute sie damals geworden, war ihr heute unerklärlich, und das fieberhafte Streben, früher als der Herzog verheiratet zu sein, erschien ihr dermaßen kleinlich, daß sie darüber errötete. Wie konnte sie nur ihr ganzes Leben von so geringen Motiven bestimmen lassen?

Zu ihrem Troste sagte sie sich, daß Philipp, so ernsthaft sie ihn auch beleidigt hatte, dennoch nicht für immer unerbittlich bleiben könne. Zwar hatte sie sein strenges, stolzes Antlitz noch vor Augen und der Ton seiner Stimme klang ihr noch in den Ohren, als er sagte: »Sie werden eines Tages die Wahrheit erfahren und werden einsehen, daß Sie noch mehr ungerecht als grausam waren: aber Sie könnten mich dann auf den Knieen um Verzeihung bitten, so würde ich doch kein Wort des Mitleids für Sie haben.« Waren diese furchtbaren Worte nicht bloß vom Zorn diktiert? War er wirklich der Mann, sie ohne Schwanken und ohne Nachsicht aufrechtzuerhalten? Sie sah ihn, wie er an jenem Abend schmerzgebeugt, das Antlitz mit den Händen bedeckt, vor ihr gesessen, wie er sich dann emporgerichtet und sein thränenvolles Auge ihr zugewendet. Gewiß, er hatte sie geliebt und hatte sein Leben hingeben mögen um ein hoffnungspendendes Wort, um einen freundlichen Blick von ihr. Acht Monate waren seitdem verstrichen. War die grausame Wunde, welche die junge Frau dem Herzen Philipps geschlagen, vernarbt, oder war seine Liebe für immer entflohen?

Claire zeichnete mit der Spitze ihres Fußes mechanisch einige Linien in den Sand.

»Wenn man wahrhaft geliebt hat,« sagte sie mit lauter Stimme, als wolle sie die Frage, welche ihr Inneres bewegte, an den Wald richten, an den Raum, an den Wind, an die ganze Natur, welche sie geheimnisvoll und still umgab, »wenn man geliebt hat, wie er mich liebte, kann man dann vergessen?«

»Wenn man wahrhaft geliebt hat,« antwortete eine spöttische Stimme, die sich zu nähern schien, »kann man niemals vergessen.«

Claire erhob den Kopf rasch und bemerkte den Herzog, der seit einem Augenblicke in den Kiosk getreten war und, an die Balustrade gelehnt, die junge Frau lächelnd beobachtete.

»Gestehen Sie, daß ich gerade recht kam, um Ihnen zu antworten,« sagte er lustig. »Denn an mich haben Sie doch wohl gedacht?«

Claire sah ihn an, indem sie die Augen in höchster Verachtung zur Hälfte schloß.

»Nein, mein Wort darauf,« antwortete sie.

»Desto schlimmer!«

»Und Sie,« fragte die junge Frau, »was suchen Sie hier?«

Der Herzog stieg die sechs Stufen des Perrons hinab und näherte sich Claire.

»Sie suche ich,« sagte er mit einer Verbeugung.

»In welcher Absicht?« »In der Absicht, freimütig mit Ihnen zu sprechen. Sie haben mich vor einer Stunde, als ich Ihnen meine Gesellschaft anbot, ziemlich schlecht aufgenommen und ich dachte, daß Sie jetzt vielleicht geselliger wären. Sind Sie geneigt, mir zu antworten?«

»Mein Gott, lieber Herzog, ich glaube, daß wir einander nichts zu sagen haben.«

»Sind Sie dessen so gewiß? Ich konstatiere mit Bedauern, daß Sie in der Verstellungskunst Meisterin geworden sind. Sie haben Kummer und wollen es nicht eingestehen.«

Claire zuckte verächtlich die Achseln.

»Und ich,« sagte sie, »ich konstatiere, daß Sie geistig in sehr merklicher Weise abnehmen, denn Sie kommen unablässig auf die gleichen Ideen zurück, mit einer weinerlichen Miene, die anzusehen wahrhaft peinlich ist. Beruhigen Sie Ihr zu feinfühlendes Herz. Ich habe keinen Kummer und auch keine Lust, mir welchen zu machen, um Ihnen damit Vergnügen zu bereiten.«

»Gut denn!« erwiderte der Herzog scheinbar arglos. »Ich wünsche ja nichts sehnlicher, als mich geirrt zu haben. Ich hatte mich in dieser Hinsicht Ideen hingegeben, die mir vollkommen richtig schienen; doch man muß eben glauben, wie Sie so schön sagen, daß ich meinen klaren Verstand verloren habe. Diesen Morgen schien es mir, als wären Sie nervös, aufgeregt. Die Jagdpartie war ohne Zweifel zu anstrengend, Sie wollten nicht daran teilnehmen und beschäftigten sich damit, Ihren Gemahl zu beobachten.«

»Nun?« fragte Claire, eine zornige Aufwallung unterdrückend.

»Nun denn,« fuhr der Herzog fort, »sonderbarer Weise zeigte sich Herr Derblay nicht im mindesten geneigt, sich mit Ihnen abzugeben; er gehörte ganz der Herzogin, die ihn zu ihrem Kavalier erkoren hatte. Und Sie, statt zufrieden zu sein, daß er so galant seine Pflicht erfüllt, schleuderten ihm niederschmetternde Blicke zu.«

»Woraus Sie geschlossen haben?« fragte Claire kalt.

»Daß das gute Einvernehmen, welches zwischen Ihnen und Ihrem Gemahl zu herrschen scheint, in Wirklichkeit nicht besteht und daß er den Schatz nicht genug würdigt, den der Zufall oder vielmehr mein Mißgeschick ihm überlieferte. Dann, was soll ich Ihnen noch sagen? Tausend kleine Züge, die ich ehemals unbeachtet ließ, kamen mir wieder in den Sinn. Ich erinnerte mich an Ihr seltsames Benehmen bei Ihrer Hochzeit, versuchte, mir Ihre Niedergeschlagenheit und Ihren Zorn zu erklären, und nachdem ich das Für und Wider genau erwogen, kam ich zu dem Schlusse, daß Sie, was Sie auch dagegen sagen mögen, das Glück nicht besitzen, das Sie verdienen.«

Der Angriff war rasch und direkt. Der Herzog hatte mit einemmal das Bollwerk, womit sich Claire so geduldig umgab, niedergeworfen. In kühner Weise machte er ihr begreiflich, daß ein Platz, der von außen keine Hilfe zu erwarten hat, früher oder später sich ergeben müsse. Die junge Frau wollte keinen Schritt zurückweichen; sie ging sogar zum Angriff über und sagte mit nicht länger verhehlter Bitterkeit:

»Alsdann haben Sie, mitleidiges, großmütiges Herz, gedacht, daß der Augenblick vielleicht günstig sei, um mir einige Tröstungen anzubieten?«

Der Herzog mit seiner großen Erfahrung in derlei kleinen Scharmützeln, ließ sich noch nicht hinreißen, Claire auf das Gebiet zu folgen, welches sie ihm in so kühner Weise eröffnete. Ohne seine Sache für immer zu verlieren, durfte er die Berechnung nicht zugestehen, die ihn im voraus geleitet. Er mußte als von einem unwiderstehlichen ernsten Gefühle hingerissen erscheinen und demgemäß den spöttischen Ton, den er bis dahin geführt, wechselnd, antwortete er ernst und traurig: »Sie beurteilen mich falsch, Claire; ich that alles, was von mir abhing, glauben Sie es mir, um Sie zu vergessen. Als ich hieher kam, glaubte ich, Sie nicht mehr zu lieben, und dachte, daß ich Sie ohne Gefahr wiedersehen könnte. Es hieß, daß Sie glücklich wären, und ich freute mich darüber. O, armer Narr, der ich war. Nach soviel Enttäuschungen und Prüfungen hielt ich mein Herz für erstorben, aber mit tiefem Weh habe ich es auferstehen und sich neu beleben gefühlt. Alle meine Erinnerungen kehrten zurück, ich sah Sie wieder und, ach! so kummervoll, trotz der Anstrengungen, die Sie machten, Ihren Kummer und Ihre Traurigkeit zu verheimlichen. Wohl konnten Sie andere damit täuschen – mich nicht – denn sehen Sie, seit langem schon vermag Ihr Antlitz meinen Augen nichts zu verbergen. Wären Sie glücklich gewesen, so hätte ich Sie aus der Ferne angebetet, ohne daß ein einziges Wort von mir Ihre Ruhe gestört hätte.... Aber Sie litten! ... Da war ich nicht mehr Herr meines Willens, ich fühlte mich durch eine unwiderstehliche Gewalt zu Ihnen hingezogen und ich wußte, daß es für mich auf dieser Erde keine andere Frau geben könne als Sie allein!«

Claire hörte mit Erstaunen diese leidenschaftlichen Worte an. Keine Fiber ihres Herzens hatte dabei gezuckt. War dieser Mann, der so zärtlich zu ihr sprach, wirklich derselbe, den sie so sehr geliebt, daß sie fast den Verstand darüber verloren hätte? Seine Stimme, deren Klang sie ehemals durchschauerte, ließ sie nun kalt und gleichgültig und sie sah in ihm bloß einen jener geschickten Komödianten, welche nur Geist und Nerven jener Frauen zu erschüttern vermögen, die nicht stark genug sind, das Gleichgewicht ihrer Seele zu behaupten. Keinen Moment dachte sie, daß er aufrichtig sein könne und sie sah in seiner Bewerbung einzig die niedrige Begierde, eine plötzliche Laune zu befriedigen.

»Wissen Sie, daß es Ihnen nicht an Unverschämtheit fehlt,« sagte sie mit Bitterkeit. »Als Sie einst zu wählen hatten zwischen einer Frau, die Sie zu lieben vorgaben, und einem Vermögen, das Sie in Versuchung brachte, waren Sie nicht unschlüssig. Sie haben Ihr Herz verschlossen und Ihre Kasse geöffnet. Heute nun, da Sie das Geld haben, wäre es Ihnen nicht unangenehm, auch die Frau zu besitzen! O, mein lieber Herzog, Sie sind zu ehrgeizig. O, nein! das wäre zu viel.«

Der Herzog schüttelte melancholisch den Kopf.

»In welch harter Weise sprechen Sie mit mir,« sagte er. »Ich wußte, daß Sie mir immer noch zürnen!«

Claire machte eine rasche Bewegung, ihre Augen sprühten vor Unwillen und mit schneidiger Stimme entgegnete sie:

»Ihnen zürnen! Sie bilden sich zuviel ein, mein Lieber! Wenn ich für Sie irgend ein Gefühl empfände, so wäre es das der Dankbarkeit; denn, wenn ich heute die Frau des Herrn Derblay bin, der ebenso tüchtig ist, wie Sie unfähig sind, ebenso aufopfernd, wie Sie egoistisch, ebenso großmütig, wie sie kleinlich, der mit einem Worte alle Vorzüge besitzt, die Ihnen mangeln, und keinen der Fehler, die Sie haben, so sind Sie es doch, dem ich dies verdanke.«

Der Herzog biß sich in die Lippen; jedes Wort dieser heftigen Rede hatte ihn wie ein Schlag voll ins Gesicht getroffen. »Herr Derblay,« entgegnete er, indem er Claire mit seinem Blicke zu bemeistern versuchte, »ist ohne Zweifel ein vollkommener Mensch, aber er besitzt einen Fehler, der seine Vollkommenheit nutzlos macht, für Sie wenigstens: er liebt Sie nicht! Seit wenig Monaten erst ist er Ihr Gatte! Wenn er Ihren Wert zu schätzen wüßte, würde er stets aufmerksam und zärtlich an Ihrer Seite weilen! Wo ist er jedoch? Bei der Herzogin! ...«

»Bei Ihrer Frau!« rief Claire mit Heftigkeit aus und, indem sie sich wieder zu beherrschen suchte, fügte sie ruhiger hinzu: »Wohlan! Warum sollte ich mich darüber aufregen, wenn es Sie nicht beunruhigt?«

»O, ich, ich bin eben nicht eifersüchtig,« erwiderte der Herzog in leichtfertigem Tone, »Und dann kenne ich die Herzogin. Sie ist eine schöne, mit Spitzen bedeckte und mit Edelsteinen geschmückte Puppe: doch ohne Herz und Kopf. Wo sollte da die Leidenschaft Raum finden? Während Ihr Gemahl...«

Bei diesen Worten näherte er sich der jungen Frau, als ob er fürchtete, daß das Gift seiner Worte auf seinem Weg durch die Luft etwas von seiner perfiden Schärfe verlieren könnte.

»Sie sahen ihn an ihrer Seite, vor kaum einer Stunde... O, der Undankbare, der so sein Glück verkennt; der Unkluge, der sich der Gefahr aussetzt, es zu verlieren! Gehen Sie doch: lassen Sie ihn bei der Herzogin; sie sind eines des anderen würdig und lassen Sie mich in Ihrer Nähe bleiben, mich, der ich Sie zu schätzen weiß, der ich Sie verstehe, der ich Sie liebe!«

Claire trat einen Schritt zurück, als wünschte sie zwischen sich und den Herzog eine größere Entfernung zu legen, und mit gedrücktem Herzen, nicht imstande, ruhig zu scheinen, so sehr sie sich auch dazu zwang, gab sie zur Antwort: »Was Sie mir da sagen, sehen Sie, ich muß darüber lachen!«

»Jawohl, wie Figaro sagt, um nicht gezwungen zu sein, darüber zu weinen,« versetzte der Herzog, »denn im Grund ist die Sache schrecklich traurig. Sie sind an einen Mann gefesselt, der moralisch stets ein Fremder für Sie bleiben wird; Alles in ihm und in Ihnen bekämpft sich und stößt sich ab, denn er ist ein Plebejer und Sie sind eine Patrizierin. Ich weiß gewiß, daß er Gleichheitsprincipien huldigt, und Sie – Sie sind Aristokratin bis zu den Fingerspitzen. Er ist roh, wie alles, was vom Volke ausgeht, und das beleidigt Sie. Sie sind stolz, wie alles was zum Adel gehört, und das verdrießt ihn. Die zwei Rassen, denen Sie beide entstammen, sind von Geburt aus eine der andern feindlich. Die Voreltern dieses Herrn haben Ihren erlauchten Ahnen den Kopf abhauen lassen, meine Teure; kurz, alles treibt Sie, ihn zu hassen, und nichts bewegt Sie, ihn zu lieben.«

Claire erhob stolz den Kopf und, dem Herzog Trotz bietend, entgegnete sie:

»Ich liebe ihn dennoch, Sie wissen es wohl.«

»Sie bilden sich nur ein, ihn zu lieben,« fing der Herzog mit Sanftmut wieder an, als ob er einem Kinde etwas begreiflich machen wollte, »weil Sie eifersüchtig sind. Aber es gibt verschiedene Arten von Eifersucht: die eine entsteht aus Liebe, die andere entspringt dem Stolze. Die letztere ist es, ich könnte darauf schwören, unter welcher Sie leiden. Ihr Gemahl vernachlässigt Sie, und so wenig Ihnen an ihm gelegen ist, so verdrießt Sie dies dennoch. Das ist ganz natürlich! Sie hängen an ihm mit dem Geiste des Widerspruchs. Alle Frauen sind so geartet und die Krise, die Sie jetzt durchmachen, o, mein Gott, die kenne ich sehr genau.«

Claire schwieg voll Erstaunen und Unwillen und hörte den Herzog seine vermessenen Ansichten entwickeln. Bligny nahm für Neugier, was nur Verblüffung war, und begierig, das Werk der Demoralisation, das er so gut begonnen zu haben glaubte, fortzusetzen, fuhr er lachend fort:

»Sehen Sie, ich spiele ein offenes Spiel mit Ihnen und lasse Sie in meine Karten sehen. Die Krise besteht aus vier Phasen, gleich dem Umlauf des Mondes. In diesem Momente sind Sie in der ersten, genannt die des Widerstandes. Ihr Gemahl vernachlässigt Sie und Sie sind bemüht, ihn zurückzuerobern; das ist eine fixe Idee. Er, er widersteht, und bald bemerken Sie, daß Ihre Bemühungen vergeblich sind. Der galante Ehemann geht von der Flatterhaftigkeit ganz bestimmt zur Untreue über und Sie treten in die zweite Phase, genannt die der Enttäuschung. Ihre Ruhe ist hin, Ihre Illusionen sind verflogen, Sie verfallen in eine tiefe Niedergeschlagenheit und wenden sich zu Gott, dem alleinigen Tröster in so großer Verzweiflung. Doch da Ihr Gemahl von Erfolg zu Erfolg unbehindert weiterschreitet, fängt Ihr Glaube an, in die Brüche zu gehen ... Der glückliche Mann ist zu heiter und Sie sind zu traurig. Schließlich sind Sie erst zweiundzwanzig Jahre alt und haben das Recht, zu lieben. Man kann nicht immer allein leben. Eine dumpfe Erbitterung erfaßt Sie und Sie treten in die Phase des Zornes. Ein Schleier ist von Ihren Augen gefallen; Sie sehen Ihren Mann, wie er in Wahrheit ist, d. h. plump, gemein und dumm; nun sind Sie erstaunt, ihn auch nur eine Minute bedauert zu haben und Sie ertappen sich auf gewissen Gelüsten, Vergeltung zu üben, und dann möge er sich wohl hüten, der flatterhafte Gemahl, denn das Ende der Krise ist nahe. Nun stehen Sie da, noch errötend, aber entschlossen, und treten mit Ihrem hübschen Fuß in die Phase der Tröstung. Blicken Sie um sich: alles ist hier rosig, alles blüht, alles ist lustig und man vergißt hier wunderbar schnell! Mutig vorwärts! Noch ein Schritt und Sie haben sie erreicht. Sie zaudern noch? Erlauben Sie Madame, daß ich Ihnen meine Hand anbiete, um Sie in diese Phase einzuführen, bei der ich Sie mit ein klein wenig Hoffnung und mit unendlich viel Liebe erwarte.«

Der Herzog wollte die Hand Claires ergreifen, doch die junge Frau stieß dieselbe heftig zurück, und ihm ein düsteres, drohendes Antlitz zeigend, bemerkte sie:

»Ihre Berechnungen sind höchst scharfsinnig und bekunden ein langes Studium der Frauen, nur bedauere ich, zu sehen, daß Sie nur die schlechten und verderbten so gewissenhaft beobachtet haben, wahrend Sie versäumten, auch den braven Frauen Ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Es gibt, – ich bin stolz, es Sie zu lehren – unglückliche Frauen, die den Verstand nicht verlieren und sich hinreichend getröstet finden, wenn Sie ihre Selbstachtung bewahren und die Achtung anderer zu verdienen wissen.

»Sehr gut, sehr gut!« lachte der Herzog. »Sie sind ganz in Ihrer Rolle: Phase des Widerstandes.«

»Wenn Sie nun nicht einhalten, so muß ich Sie hassen.«

»Ich kann nicht einhalten, weil ich nicht aufhören kann, Sie zu lieben.«

»Das, was Sie Liebe nennen, ist nur eine unwürdige Verfolgung. Was sind Sie für ein Mann, sich meinem Hasse auszusetzen, nachdem Sie sich meine Verachtung zugezogen haben?«

Der Herzog schwieg einen Augenblick und sah Claire an, die, vor Entrüstung bebend vor ihm stand. Eine Flechte ihres blonden Haares hatte sich gelöst und wallte schimmernd über ihre Schulter hinab, unter der dunklen Amazone wogte ihr Busen stürmisch und ihre Hand umschloß krampfhaft den kleinen, aus Leder geflochtenen Stiel ihrer Reitgerte, als wäre sie eine Waffe. Sie sah in ihrer Aufregung bewundernswürdig schön aus.

Eine unsinnige Begier ergriff den Herzog. Er wurde blaß, seine Augen umflorten sich und mit ausgebreiteten Armen auf die junge Frau zuschreitend, stammelte er:

»Was es auch koste, Sie müssen die Meine werden.« Er berührte sie und sein heißer Atem strich über ihr Gesicht hin. Sie bog sich zurück und mit düster gefalteter Stirne und gepreßter Stimme rief sie:

»Nehmen Sie sich in acht! Wenn Sie noch einen Schritt machen, so werde ich Sie wie einen erbärmlichen Feigling behandeln und Sie ins Gesicht schlagen.«

Er sah sie vor sich mit erhobener Rechter, energisch und drohend wie zum Schlage bereit und unwillkürlich wich er einen Schritt zurück.

Stolz über ihren Sieg, richtete sie ihre hohe Gestalt empor, und noch zitternd vor Aufregung, sagte sie:

»Ist es denn so weit mit mir gekommen, daß Sie es wagen, mich in dieser Weise zu beleidigen? Bin ich denn offenkundig so verlassen, daß man mir ungestraft solchen Schimpf anthun darf? Hätte ich an meiner Seite einen Mann, mich zu verteidigen, so würden Sie es nicht wagen, mich anzugreifen. Ich stehe also allein und man darf sich alles erlauben; wohlan, Sie sehen, daß ich imstande bin, mich selbst zu wehren,«

Der Herzog war wieder ruhig geworben und verbeugte sich vor der jungen Frau.

»Sie werden Ihre Meinung ändern,« sagte er, »die Zukunft gehört mir; ich werde geduldig sein und warten.«

Diese kalte, vermessene Antwort brachte Claire außer sich, sie sah den Herzog mit wildem Blicke an und mit vor Aufregung erstickter Stimme rief sie empört aus:

»So wissen sie denn, wäre ich auch die unglücklichste aller Frauen, sollte ich, was unmöglich ist, auch die unwürdigste werden und so tief sinken, wie Sie es sagen, nun denn, hören Sie: Sie flößen mir so viel Abscheu und Widerwillen ein, daß ich wen immer ... einen Vorübergehenden ... einen Unbekannten Ihnen vorziehen würde.«

Dieser Wutschrei ließ den Herzog völlig kalt und mit demselben vertrauensvollen Lächeln, welches die Gabe besaß, Claire außer sich zu bringen, sagte er:

»Wir werden ja sehen!«

Die junge Frau gab sich weiter keine Mühe, zu antworten, sondern sie wendete sich von ihm ab und, zu dem Plateau hinabsteigend, von welchem sie nur durch einen beweglichen Vorhang von Erlen und Espen getrennt war, näherte sie sich dem Platze, wo die Diener des Herrn Moulinet einen appetitlichen Imbiß für die Jäger vorbereiteten.

Sie konnte das Gefühl der Angst, das der freche Angriff des Herzogs in ihr erweckt hatte, nicht los werden; seine funkelnden Augen, seine zitternden Hände, die sie erfassen wollten, und sein bleiches Gesicht verfolgten sie und sie fürchtete sich vor einer Erneuerung des Kampfes, dem sie durch ihre Energie das erste Mal entronnen war, und da sie kein Vertrauen mehr in die Ehre des Edelmanns setzte, den sie so lange wie einen Gott verehrt hatte, flüchtete sie sich hieher unter den Schutz der Lakaien.

»Aufgepaßt,« sagte der Haushofmeister zu seinen Gehilfen, »unsere Gesellschaft kehrt schon zurück.«

Gleich einer tosenden Ueberschwemmung kamen auf dem grünen Rasenteppich mit dumpfem Rollen die Wagen aus allen Wegen des Waldes heran. Die Reiter folgten in den Seitenpfaden und auf fünfhundert Meter Entfernung vernahm man schon deutlich die Jubelrufe und das fröhliche Stimmengewirr der von dem tollen Ritte erhitzten Jugend. Frei von allen Sorgen, völlig dem Genuß der Gegenwart hingegeben, genoß die Gesellschaft in vollen Zügen den schönen, heiteren Tag. Claire stellte zwischen dieser Lustigkeit und ihrer eigenen Melancholie einen schmerzlichen Vergleich an. Sie zürnte der ganzen Natur, festlich gestimmt zu sein, wenn sie in ihrem Innern sich so traurig fühlte, und vergaß leider ganz, daß sie selbst die alleinige Urheberin dieses Schmerzes war.

Ein Wagen, der in das Rondel einfuhr, entriß sie ihren trostlosen Gedanken. Die Marquise saß auf dem Rücksitz desselben, bequem zurückgelehnt, wie in ihrer weiten Bergère, mit einem kleinen Spitzenshawl um die Schultern. Claire stürzte freudig auf sie zu.

Die Luft schien ihr durch die Anwesenheit der edlen Frau gereinigt und an ihrer Seite fand sie augenblicklich ihre Ruhe wieder. Frau von Beaulieu hatte in ihrem gewohnten Phlegma sich wenig beeilt, in den Wald zu kommen, und hatte nur, um ihre Tochter zu Pferde zu sehen, sich überhaupt ihrer süßen Ruhe entrissen und die große Kutsche anspannen lassen.

»Wie?« sagte sie, »Du bist hier und ganz allein? Wo ist denn dein Gemahl und Sophie?«

»Die Baronin hat mich erst vor kurzem verlassen,« antwortete Claire ruhig, »und Philipp habe ich selbst aufgefordert, der Jagd zu folgen. Ein Mann darf sich öffentlich nicht zu viel mit seiner Frau beschäftigen, das gäbe Anlaß zu Gerede...«

Sie sah heiter und ruhig aus und die Marquise betrachtete sie mit wahrer Befriedigung. Kein Argwohn berührte ihren etwas oberflächlichen Geist.

»Ihr seid glücklich genug, um euch den Luxus zu gestatten, euer Glück zu verbergen,« sagte Frau von Beaulieu. »O, dieser Philipp ist die Perle aller Schwiegersöhne!«

Durch die Ankunft der Mehrzahl der Reiter, die in schnellstem Trab herankamen, wurde die Aufmerksamkeit der Marquise abgelenkt und Claire konnte die Verlegenheit verbergen, welche ihr das Lob der Mutter verursachte. La Brède und Du Tremblays, auf ihren schaumbedeckten Rossen, der eine mit dunkelrotem Kopf, der andere auf dem Punkte, ohnmächtig zu werden, wurden von der lärmenden, fröhlichen Schar umringt, die sich in begeisterten Lobsprüchen erging über die Kraft und Gewandtheit, womit die beiden jungen Leute die Verfolgung ausgehalten. Der Vicomte von Pontac, die Trompete am Munde, blies aus vollen Lungen das Halali, während sein Piqueur Bistoque zu Fuß, die Arme schlenkernd, mit gebogenem Rücken und verdrießlicher Miene seinen großen, roten Klepper hinter sich herzog und zwischen den Zähnen höchst kritische Bemerkungen murmelte, über die Herren, welche bloß Jagd spielen und die armen guten Pferde müde hetzen, um hinter Papierschnitzeln herzujagen, als ob sie, mit Respekt zu melden, lauter Lumpensammler wären.

Mit einem Blicke wurde Claire Philipp gewahr, der mit der Baronin und Susanne zurückkehrte. Sophie eilte voraus, hielt neben ihrer Freundin still und flüsterte ihr rasch einige Worte ins Ohr, welche dunkle Rosen auf die Wangen der jungen Frau zauberten.

»Als wir ankamen,« sagte sie, »war er nicht mehr bei Athénaïs. Er hatte sie der Gesellschaft des dummen Vicomte von Pontac überlassen, diesem Einfaltspinsel, der nichts anderes versteht, als auf dem Jagdhorn zu lärmen.«

Sie brach in Lachen aus, indem sie mit den Augen zwinkerte und mit der unwillkürlichen Unverschämtheit der Kurzsichtigen Athénaïs anstarrte, die eben angeritten kam und von der Trompete ihres Begleiters halb taub war, ohne eine Bemerkung dagegen zu wagen, aus Furcht, damit gegen den guten Ton zu verstoßen.

Als sie indes Claire erblickte, setzte Athénaïs ihr Pferd in Galopp und mit ironischer Gebärde sich an den Herzog wendend, der mit gleichgültiger Miene einige Schritte von der Kutsche der Frau von Beaulieu entfernt stand, rief sie: »Ei, ei, Herzog! Da sind Sie ja wieder? und mit Frau Derblay zusammen? Das ist ja sehr liebenswürdig, daß Sie Ihrer Cousine Gesellschaft leisten!«

Athénaïs heftete einen diabolischen Blick auf Philipp, um ihm einen argwöhnischen Gedanken einzuflößen. Sie wollte auf diese Weise für die etwas demütigende Art, mit welcher er sie so rasch verlassen hatte, Rache nehmen. Der Hüttenbesitzer trat fest und fast drohend vor und Claire erblaßte. Sollte der unversöhnliche Haß der Herzogin einen feindseligen Zusammenstoß der beiden Männer zur Folge haben?

»Ich war nicht so glücklich, meiner Cousine Gesellschaft leisten zu können, wie Sie anzunehmen belieben,« sagte der Herzog, indem er sich ehrerbietig vor Claire verbeugte: »denn als ich hieher kam, war meine Tante mir schon zuvorgekommen.«

»Wirklich! Nun dann müssen Sie ein schlechtes Pferd haben, mein Lieber, und Sie werden ein anderes nehmen müssen,« entgegnete die Herzogin.

Vor Zorn, daß ihre Bosheit wirkungslos verpufft war, versetzte Sie ihrer Stute einen so heftigen Peitschenhieb über die Ohren, daß das Pferd zur Seite sprang, sich hoch aufbäumte und wütend das schaumbedeckte Gebiß schüttelte.

Der Herzog schritt kaltblütig auf sie zu, ergriff das Pferd beim Zügel und, es zur Ruhe zwingend, half er Athénaïs aus dem Sattel, indem er ihr mit verächtlicher Miene zuflüsterte:

»Nichts zeugt von schlechterem Geschmack, als sein Pferd in dieser Weise steigen zu lassen, abgesehen davon, daß Sie eine sehr mittelmäßige Reiterin sind und leicht abgeworfen weiden könnten. Das würde sich denn doch zu schlecht machen. Gewöhnen Sie sich doch solche Manieren ab: sie schmecken zu stark nach dem Kramladen.«

Und die Herzogin, die vor Wut zitterte, zurücklassend, entfernte sich Bligny mit seinem langsamen, ruhigen Schritte, um sich zu seinen Freunden zu gesellen und mit ihnen auf den guten Erfolg des heutigen Tages anzustoßen.

Claire war düster und verstimmt zu ihrer Mutter in den Wagen gestiegen und bat dieselbe, sie nach Pont-Avesnes zurückzuführen. Sie fühlte eine Centnerlast auf dem Herzen: die Antwort des Herzogs, welche er Athénaïs gegeben und die so rechtzeitig das gefährliche Einschreiten Philipps verhindert hatte, schien sie mit ihm in eine Art von Mitschuld verstrickt zu haben, und sie war auf dem Punkte, ihrem Gemahl die Wahrheit zu sagen und eher seinen Tadel und seinen Zorn zu ertragen, als das verhaßte Einverständnis mit dem Herzog gelten zu lassen. Indessen wagte sie doch nicht, sich zu äußern, und seufzend sah sie sich zu ewiger, ihrem Selbst so heftig widerstrebender Lüge verdammt, gezwungen, immer und überall zu täuschen und ein lächelndes Gesicht zu zeigen, wenn die Verzweiflung ihr im Herzen wühlte.

Sie warf schüchterne Blicke auf Philipp, der neben dem Kabriolett des Herrn Bachelin hintrabte. Der Hüttenbesitzer plauderte ruhig mit dem alten Notar und seine Stimme verriet nicht die geringste Aufregung, sodaß Claire dachte, sie habe sich vielleicht getäuscht, indem sie ein zorniges Aufleuchten in seinen Augen zu bemerken geglaubt, als er auf den Herzog zugeschritten. Doch sie kannte seine Selbstbeherrschung und vielleicht zwang er sich in diesem Augenblick, sorglos zu erscheinen. Claire hegte die Hoffnung, daß er eifersüchtig sei und, selbst wenn ihr Leben auf dem Spiel stehen würde, wünschte sie, er möchte sich zu Drohungen gegen sie hinreißen lassen, ja selbst die Hand gegen sie erheben, wie schon einmal in jener Schreckensnacht. Die Ungewißheit wurde ihr unerträglich und sie nahm sich vor, am nächsten Morgen mit ihm wegen ihres Bruders zu sprechen und endlich die geheimnisvollen Absichten ihres Mannes zu durchdringen. Nachdem sie diesen Entschluß gefaßt hatte, wollte sie heiter sein und bemühte sich, die Wolken zu zerstreuen, die ihre Stirne umdüsterten, und wie ein Schauspieler, der die Scene betritt, um seine Rolle vorzutragen, nahm auch sie eine lächelnde Maske an.

Fern von den Baumgruppen klang gedämpft das Murmeln der fröhlichen Gesellschaft und, das Echo des Waldes erweckend, erscholl die Trompete Pontacs, die den Tod des Hirsches verkündete, der in doppelter Gestalt durch den großen La Brède und den kleinen Du Tremblays vorgestellt wurde.


 << zurück weiter >>