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Zweites Kapitel

Mit ihren siebenunddreißig Jahren war Gräfin Regine noch eine reizende Frau. Ihre blonde Schönheit war in der Einsamkeit höchstens ein wenig verblaßt, wie eine Blume zwischen den Seiten eines Buches. Ihr häufiges und längeres Verweilen auf dem Ruhebette hatte sie an Körperfülle mehr zunehmen lassen, als gerade wünschenswert, allein ihre Taille war doch noch schlank und ihre Schultern erfreuten sich einer stattlichen Breite.

An den langen Abenden, die Frau von Croix-Mort in Gesellschaft des Geistlichen zubrachte und die mit endlosen Monologen ausgefüllt wurden, welche der Priester nur hie und da durch ein: »Gewiß, Frau Gräfin!« unterbrach, das ebenso salbungsvoll klang, wie sein »Amen« nach der Messe, philosophierte sie ins Blaue hinein über die Stellung der Frau in der Gesellschaft, über Liebe und Ehe. Erging sich dann die Gräfin zuweilen in allzu lebhaften Gefühlsbetrachtungen, so senkte der gute Pfarrer sittsam errötend die Nase und ließ ein halblautes, verlegenes Hüsteln hören, das für eine Art Ordnungsruf gelten konnte. Auf dieses Warnungszeichen hin kehrte die schöne Regine seufzend zu rein idealistischen Anschauungen zurück, und auf diesem neutralen Gebiete stimmten die Ansichten des rasch beruhigten Priesters vollkommen mit denen der Gräfin überein.

Ein feinerer Beobachter als der würdige Mann hätte in den umständlichen philosophischen Ausführungen der Gräfin die geheime Bitterkeit und das schmerzliche Vermissen ihrer Seele leicht herausgefühlt. Die Liebe leugnen, heißt dies nicht, sie nie empfunden haben und darüber unglücklich sein? Frau von Croix-Mort, die das reifere Alter erreicht hatte und ihre Jugend entschwinden sah, machte aus der Not eine Tugend. Zur Gleichgültigkeit gezwungen, verdammte sie jede Erregung. Und doch kannte sie Stunden fieberhafter Aufregung, in denen all das unbefriedigte Sehnen ihres Herzens in Empörung geriet und sie nach stürmischen Kämpfen in schmerzliche moralische und physische Niedergeschlagenheit verfiel. Dann hieß es, sie habe Migräne und müsse das Zimmer hüten. Wenn in solchen Stunden Edmee, die, gesund und kräftig, gar nicht begreifen mochte, daß man so viel an seinen Nerven leiden könnte, ernst und leise hereintrat, um nach ihrem Befinden zu fragen, so erhielt sie ein abweisendes: »Laß mich doch!« zur Antwort, woraus sie schloß, daß ihre Gegenwart mehr lästig als angenehm sei. Sie schlich dann wieder hinaus und zog sich in einen kleinen Winkel des Erdgeschosses zurück, wo sie sich ein Maleratelier eingerichtet hatte.

Unter dem Fenster desselben ließ sich häufig ein schwerer Tritt auf dem Kiese vernehmen. Es war Jean Billet, der unter dem Vorwande, Wildbret zu bringen, aufs Schloß kam, um einen Blick von seiner jungen Herrin zu erhaschen. Er blieb draußen stehen, und seine blaue Tuchmütze zwischen den Fingern hin und her drehend, fragte er: »Wollen Sie heute nicht einen kleinen Spaziergang machen, Fräulein Edmee? Im Gehölze gibt es junge Fasanen, die kaum den Eiern entschlüpft sind. Die Dingerchen sind gar so herzig anzusehen ... Der Boden ist trocken ... das Wetter mild ... lockt Sie dies nicht hinaus?«

»Ein andermal, mein alter Billet. Sieh, ich bin heute sehr beschäftigt ...« Und um ihn zu trösten, lächelte sie ihm freundlich zu.

»Das sagen Sie jetzt immer! Ach, ich weiß nicht, was man Ihnen bei der Konfirmation gegeben haben mag ... aber seit jenem Tage sind Sie nicht mehr dieselbe. Sie haben jetzt Wald und Feld nicht mehr gern und bleiben den ganzen Tag auf einem Stuhl sitzen ... Mein Gott, was für eine Farbe haben jetzt aber auch Ihre Wangen! Am Ende werden Sie noch krank! ...«

»Nein, ich befinde mich sehr wohl, doch wenn du mir einen Gefallen thun willst, so bringe mir einige Nußhäher, ich möchte mit ihren blauen Flügelfedern einen Ofenschirm verzieren ...«

»Die sollen Sie morgen haben, Fräulein Edmee ...«

Daraufhin entfernte sich der Waldhüter mit beruhigtem Gemüte, da er sich durch die trauten Bande des Gehorsams wieder an seine angebetete Herrin gefesselt sah. Aus der Ferne vernahm Edmee alsbald die Schüsse, welche die in den Buchen kreischenden Vögel niederstreckten

Vier Jahre waren verflossen, seit Edmee ein stilles, vernünftiges Mädchen und ihre Mutter allmählich ein überspanntes Frauenzimmer geworden. Im übrigen war die Zeit über die Schloßbewohner dahingeschritten, ohne eine merkliche Veränderung ihres körperlichen oder geistigen Zustandes hervorzubringen. Bloß der gute Pfarrer hatte sich etwas verändert. Er begnügte sich jetzt nicht mehr mit seinem Nachmittagsschläfchen, sondern schlummerte auch während des Tages häufig ein.

Die Gräfin trat jetzt in ihr achtunddreißigstes Jahr, und sie, die bisher die Einfachheit selbst gewesen, wurde nun von einer plötzlichen Gefallsucht angewandelt, die sich in der Vorliebe für ausgeschnittene Kleider kundgab, für Spitzenärmel, die den runden, vollen Arm freigaben, und kleine Halbschuhe, die den mit einem durchbrochenen Seidenstrumpfe bekleideten Fuß sehen ließen. Wem aber sollte denn eigentlich all dieser Aufwand gelten? Einem frommen Priester etwa, der dafür unempfänglich war, oder ihrer Tochter, die er gleichfalls nicht berühren konnte? Vielleicht gar den Vögeln des Himmels oder dem idealen Wesen, das sich allmählich in die Träume der schönen Regine eingeschlichen hatte?

Das ganze Jahr hindurch war auf Croix-Mort kein Fremder zu erblicken. In der ersten Zeit ihrer Witwenschaft war die Gräfin zu gedrückt gewesen, um ihren Nachbarn Besuche zu machen. Es waren das überdies auch lauter alte, langweilige, zimperliche Leute, deren Gesellschaft nur lästige Pflichten auferlegt hätte, während ein geselliger Verkehr mit den bürgerlichen Kreisen von Vieuville oder Clairefont der Gräfin von Croix-Mort unter ihrer Würde dünkte. So lebten denn Mutter und Tochter wie zwei Dornröschen im verzauberten Schlosse, und als Prinz figurierte nur der brave Pfarrherr, der freilich nicht dazu angethan war, sie zu erwecken, als an einem Sommernachmittage ein fremder Wagen in der großen Lindenallee, die zum Schlosse führte, angerollt kam. Die Dienerschaft eilte an die Fenster mit der Neugier und Hast von Wilden, die plötzlich ein Schiff ihrem Strande nahen sehen.

Der Wagen war ein eleganter Phaethon, mit einem schönen Fuchs bespannt, den ein junger Mann lenkte. Der Fremde fuhr auf dem Kies des Hofes eine elegante Kurve, warf die Zügel seinem Bedienten zu, der von der Höhe des Rücksitzes herabgesprungen war, um das Pferd zu halten, stieg langsamen Schrittes und mit unentschlossener Miene, als habe er viel eher Lust, wieder umzukehren, als einzutreten, die Stufen der Freitreppe hinauf und trat in die monumentale Vorhalle ein. Hier zog er aus seiner saffianledernen Brieftasche eine Karte, reichte sie dem ihm entgegeneilenden Diener und sagte mit wohllautender Stimme: »Fragen Sie die Frau Gräfin, ob sie mir die Ehre erweisen will, mich zu empfangen.«

Er wurde in ein kleines Sprechzimmer geführt, das mit seinen Korduantapeten und seinen geschnitzten Birnbaummöbeln ein sehr gefälliges Aussehen hatte. Aus schwarzem Rahmen lächelte das künstlerisch gemalte Bild eines noch jungen, schönen, tadellos eleganten Mannes herab. Über dem Gemälde hing das Wappenschild der Croix-Mort. Der Besucher musterte es zerstreut und murmelte ungeduldig: »Ich hoffe, die gute Dame wird mich nicht lange aufhalten ...«

Er seufzte, wie jemand, der sich langweilt und, ans Fenster tretend, warf er einen gleichgültigen Blick auf die Terrasse. In vollem Tageslichte erschien er als ein sehr schöner Mann mit blauen Augen und blondem, in der Mitte geteiltem Bart; sein tadelloser Anzug sowie Hand- und Fußbekleidung waren die des echten Parisers. Auf den ersten Anblick konnte man ihm ein Alter von dreißig Jahren beimessen, faßte man ihn aber aufmerksamer ins Auge, so bekundeten die Fältchen an den Schläfen, der Einschnitt um den Mund neun bis zehn durch Toilettenkünste verheimlichte Jahre.

Das Öffnen der Thür entriß ihn seinem Nachdenken. Er drehte sich um, sah sich Frau von Croix-Mort gegenüber und verbeugte sich mit erstauntem, befriedigtem Lächeln, da er gewahrte, daß die »gute Dame«, wie er sie genannt, durchaus nichts Matronenhaftes hatte.

»Herr Ferdinand von Ayères?« fragte Regine mit einem Blick auf die Karte, die sie in der Hand hielt.

»Ja, Frau Gräfin, Ihr Nachbar. Ich wohne vier Kilometer von hier im Schlosse de la Vignerie. Sie gehen wenig aus, ich meinerseits lebe drei Viertel des Jahres in Paris, so kommt es, daß mir das Glück noch nicht so hold war, mich Ihnen vorstellen zu dürfen.«

Frau von Croix-Mort maß den schönen Ferdinand mit stolzen Blicken. Aus seiner Redeweise klang ihr ein Mißton entgegen; die aristokratische Erziehung, die sie zehn Jahre vor ihrer Rückkehr in das Provinzschloß genossen hatte, erwachte wieder in ihr, und mit dem ganzen abweisenden Stolze einer großen Dame, der man ungelegen kommt, sagte sie: »Wollen Sie mir vielleicht erklären, Herr von Ayères, was mir das Vergnügen verschafft. Sie bei mir zu sehen?«

Der Baron ließ sich nicht aus der Fassung bringen, er strich mit der Hand über seinen schönen, blonden, goldglänzenden Bart und erwiderte: »Ach Gott, ich weiß wohl, daß dieses Vergnügen ein sehr geringes ist, gnädige Frau, seien Sie versichert, daß ich nur einer dringenden Notwendigkeit gehorche, indem ich mir herausnehme, Sie zu belästigen ... Vernehmen Sie die Ursache. Ich bin passionierter Jäger, meine Besitzungen grenzen an die Ihrigen; so kam es, daß ich heute morgen unwillkürlich die Grenze überschritt und in ein Gehölz geriet, das zu betreten ich kein Recht hatte ... Ich schoß einen Fasan ... Kaum wollte ich ihn aufheben, als Ihr Waldhüter, der hinter einem Gebüsch auf der Lauer gelegen haben mochte, auf mich zusprang, nur das Wild aus den Händen riß und mich mit einer gerichtlichen Klage bedrohte ... Der Bursche, einer der rohesten Art, die mir jemals begegnet, wollte meine Einwendungen gar nicht anhören, befahl mir, ihm sogleich den Rücken zu wenden, indem er mir beteuerte, daß, wenn er mich je wieder ertappen sollte, ich es gehörig büßen würde ... Natürlich ließ ich mich nicht weiter mit ihm ein; da ich aber voraussetze, daß die Befehle, welche Sie diesem Manne erteilen, nicht so strenge sind, wie man es seinem Vorgehen nach zu glauben berechtigt wäre, so entschloß ich mich, in eigner Person Ihnen mein Haupt auszuliefern und Sie zu bitten, mich wenigstens diesmal nicht auf öffentlichem Platze hinrichten zu lassen.«

Seine schönen weißen Zähne schimmerten, während er mit lachendem Munde erzählte, und seinen Kleidern entströmte ein leichter, feiner Duft.

»Ich weiß, daß Billet ein höchst eigensinniger Mensch und daß es besser ist, nicht mit ihm in Streit zu geraten,« entgegnete Frau von Croix-Mort. »Aber glauben Sie ja nicht, mein Herr, daß ich sein rohes, freches Benehmen gutheiße; denken Sie nicht weiter an den kleinen Vorfall von heute morgen, er wird keine Folgen haben, und entschuldigen Sie freundlichst den Mangel an Lebensart bei einem Diener, der nur aus übergroßer Ergebenheit fehlte.«

Der schöne Ferdinand verbeugte sich mit feinem, ehrerbietigem Anstande.

»Ich danke Ihnen, gnädige Frau, daß Sie mich mit so viel Wohlwollen behandeln. Es bleibt aber deshalb doch Thatsache, daß ich mich heute morgen eines Vergehens schuldig gemacht ... Gestatten Sie, daß ich mir zu gunsten Ihrer Armen selbst eine Geldbuße auferlege.«

Dabei entnahm er seiner Brieftasche eine Fünfhundertfranknote und legte sie mit gleichgültiger Miene auf den Kamin.

»Ich fühle mich geneigt, dem Zufall zu danken, der mich diesen Fehltritt begehen ließ, weil er mich in Ihre Nähe brachte ...«

Diesmal widersprach die Gräfin nicht. Er warf ihr einen lebhaften Blick zu und schritt nach dem Ausgang hin. Im selben Augenblick ging die Thür auf und Edmee sagte im raschen Hereintreten: »Mama, Billet ist da, er wünscht dich zu sprechen ...«

Beim Anblick des Fremden blieb sie einen Augenblick betroffen stehen und machte errötend eine entschuldigende Handbewegung.

»Fräulein von Croix-Mort, meine Tochter,« stellte die Gräfin in aller Form vor; dann fuhr sie in verändertem Tone fort: »Es ist der Waldhüter, der ohne Zweifel von mir die Erlaubnis erbitten kommt, Sie verfolgen zu dürfen ...«

»Ich hatte nicht zu viel Vorsprung. Wer weiß, wie sehr er Sie gegen mich eingenommen hätte, wenn er früher gekommen wäre! ...«

Alle drei schritten hinaus und fanden in der Vorhalle den alten Jean, der mit umgehängter Flinte hier wartete, indes sein Hund draußen vor der Thür lag. Er riß Mund und Augen weit auf, als er den Verbrecher in zuversichtlicher Haltung in Gesellschaft »seiner Damen« sah. Er brummte etwas in seinen roten Bart hinein und krümmte den Rücken wie ein gestellter Eber.

»Frau Gräfin, ich sehe, daß Sie bereits wissen, worum es sich handelt,« begann er in mürrischem Tone. »Ich habe diesen Herrn heute morgen im Walde ertappt.« »Es scheint sogar, daß Ihr höchst unhöflich waret,« unterbrach ihn die Gräfin. »Ihr mißbraucht in ganz eigentümlicher Weise die Rechte, welche Ihr in meinem Namen ausübt ... Ich wünsche, daß Ihr in Zukunft Euer Benehmen ändert ... Was diesen Herrn betrifft, so wird er fortan auf unsrer Besitzung jagen, wann und wo es ihm beliebt, und Ihr werdet darüber wachen, daß ihm kein Hindernis in den Weg gelegt werde ...«

»Ihre Güte beschämt mich, Frau Gräfin,« sagte der schöne Ferdinand.

»Ich gewähre Ihnen mit dieser Erlaubnis keine allzu große Gunst, mein Herr, wir sind hier nur Frauen und unsre Jagd soll, wie es heißt, eine sehr ergiebige sein, ohne daß sie jemand genießt ... Sie werden uns dafür Wildbret schicken, damit ist alles geordnet ...«

Der junge Mann erging sich von neuem in Danksagungen, verabschiedete sich, bestieg sein Phaethon und fuhr in raschem Trabe davon.

Jean Billet, der ihm mit den Augen folgte, stand noch immer unbeweglich an derselben Stelle und Edmee mußte ihn anreden, ehe er sich des Ortes, an dem er weilte, zu erinnern schien. Er sah die Gräfin mit vorwurfsvollem Blicke an, schob mit einer raschen Achselbewegung den Tragriemen seiner schweren Tasche zurecht, pfiff seinem Hunde und entfernte sich ohne ein weiteres Wort durch die Parkalleen.

»Ich glaube, Mama, daß du den armen Billet sehr gekränkt hast,« sagte Edmee.

»Das wäre wohl ein rechtes Unglück!« entgegnete die Gräfin scherzend. »Er ist ein ganz abscheulicher Flegel! Es war wahrhaftig angezeigt, daß er einen Verweis erhielt, und ich bereue es nicht, ihm diesen erteilt zu haben.«

Hierauf verließ Regine ihre Tochter und begab sich auf ihr Zimmer, aus welchem sie erst zur Speisestunde herabkam.

Weshalb sollte Billet, dessen Handlungsweise sie niemals gerügt hatte, einen Verweis nötig haben? Weshalb bereute sie es nicht, ihm diesen erteilt zu haben, da sie doch noch am selben Morgen nicht den geringsten Groll gegen ihn gehegt? Weshalb hatte sie den schönen Herrn von Ayères, den sie zuerst mit abweisender Zurückhaltung aufgenommen, mit freundschaftlichen Worten entlassen?

Weshalb fühlte sie, die gestern noch sich entsetzlich gelangweilt, sich in diesem Augenblick so angenehm mit köstlichen Träumen beschäftigt? Lauter Rätsel, die der Laune und der Phantasie entsprungen, und die nur von dem unberechenbaren, tändelnden Sinn einer Frau gelöst werden können.

Edmee, die dem alten Billet nachgerannt war, hatte ihn bei der Divonettebrücke eingeholt. Sie nötigte ihn zum Stillstehen und, ihre Mutter entschuldigend, suchte sie den unfreundlichen Diener zu begütigen. Aber daraufhin brach dieser erst recht los. Ach, er war nicht mehr Herr über sein Gebiet ... Damit war es zu Ende! Ein andrer durfte sein Wild erlegen, das er mit so viel Mühe und Sorgfalt gegen Diebe und das Raubzeug schützte. O, was für ein Unglück!

Er schwieg, stützte sich auf die Brüstung der kleinen Brücke und starrte düster vor sich hin; dann fuhr er mit einer heftigen Gebärde fort: »Schon recht, gnädiges Fräulein, von einem solchen Menschen ist nichts Gutes zu erwarten! ... Das ist einer von den Laffen, die viel schwatzen, den Frauen schön thun und ihnen die Köpfe verdrehen ...«

Edmee sah ihren Freund streng an.

»Du vergißt, daß es im Schlosse nur zwei Frauen gibt, meine Mutter und mich ... Und mich,« fügte sie hinzu, ohne sich eines Lächelns erwehren zu können, »mich kann man ja noch kaum zu ihnen rechnen! ...«

Der rauhe Mann betrachtete sie mit frommer Verehrung. Wie sie so dastand in ihrem hellen Kleide, das sich von dem dunklen Hintergründe des Gehölzes abhob, umschimmert von einem Sonnenstrahl, der ihre weiße Stirn unter dem schwarzen Haar erglänzen ließ, mit ihren frischen Lippen und den blauen, treuherzigen Augen, schien sie all den köstlichen Zauber der Jugend in sich zu verkörpern. Billet sah in ihr die Gottheit seiner Wälder und Fluren, deren Einsamkeit und Stille er über alles liebte. Fern von ihnen und seiner Herrin konnte ihm die Welt nichts bieten. Stumm neigte er das Haupt in der unbestimmten Herzensbesorgnis, daß der Fremde, der so plötzlich an einem einzigen Tage zu solch hohem Ansehen auf dem Schlosse gelangt war, auch noch der Gebieter des jungen Mädchens werden könne.

»Geh, tröste dich,« hob Edmee wieder an, »du wirst nicht so viel Verdruß haben, als du zu befürchten scheinst. Unser Nachbar wird mehr auf seinen Besitzungen jagen, als auf den unsern.«

»Daran wird er sehr wohl thun,« erwiderte der Hüter lakonisch, schob mit entschlossener Miene seine Flinte unter den Arm, schritt über die Brücke und verlor sich im Dickicht.


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