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Peintres des choses galantes

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An grauen, verhangenen Tagen, wenn unten im Park der Regen sang, hat Friedrich die endlosen Promenaden im schmalen, hohen Bildersaal seines Sommerpalastes geliebt, unter blitzenden, flimmernden Kristallustres an heller vergoldeter Decke, nachdenkliche Gänge eines wählerischen und befriedigten Liebhabers, der die Blicke von Polignacs Mohren und Polignacs Antiken zu den Statuen Pompejis, von den Büsten und Köpfen stets aufs neue entzückt zu den Festen der Maler gleiten ließ. Es sind die »Peintres des choses galantes«. Drüben in der Galerie im Park, wo meist die großen Empfänge glänzen, mag die Gäste eine Rubenssche Maria rühren. Susanne im Bade auf Rubenssche Art ihre heimliche Schönheit entschleiern. Und man wird einen Liebesgarten durchwandeln, ein Herkules wagt den Löwenkampf, Dejaneras Raub gelingt. Van Dyk zeigt einen rüstigen Greis im Schilf, zeigt einen Amor, der auf Schlittschuhen eilig die Liebe heranfährt. Und ein Christus in der Vorhölle, ein Stückchen weiter die Verhöhnung Christi, – rasch geht man vorbei: Barbaren von Lukas Cranachs harter, hölzerner, mitleidloser Einfalt. Aber Christus wird ein Nobile, wenn Veronese ihn malt, ein schweigsamer, edler Gebieter mit dem blassen, feinen Kopf römischer Cäsaren. Im Bildersaal des Sommerpalastes freilich fehlen die Niederländer, fehlen van der Werfft und Lukas Cranach, fehlen die klassischen Italiener. Aber niemand wird sie vermissen. Und man wird sich willig eine Stunde lang Watteau vertrauen, Watteau und seinen Trabanten, die den leichteren Weg durch ein galantes Jahrhundert wissen.

Verschwenderisch setzt der Reigen von Festen, von Tänzen, von Idyllen der Anmut ein, die Lancret und Pater, die Gelehrigsten unter den Schwärmern Watteaus, stets nach dem Dichter ersinnen wollen. Bald da, bald dort grüßt Pater und Lancret seltener trifft man Antoine Watteau, aber die Vielmaler beherrscht überall der Franzose aus Valenciennes: beherrscht, berückt und verführt sie. Und Watteau ist das Tändeln, der Duft, das Schimmern der Zeit, Watteau ist ihr zärtlichster, lächelnder, versonnener Poet, der in holder Mengung von Vision und Wirklichkeit selbst die Angst seiner müden, in Krankheit verflackernden Tage vergißt und den leuchtendsten Glanz der Epoche, ihr historisches Kolorit für die Träumereien der Nachwelt schafft. Im Luxembourg steht Antoine Watteau, an die Brüstung einer Terrasse gelehnt, und alles klingt wie ein Plätschern vorbei. Über die Parkwege flattert das helle Gelächter, flattern die Scherzworte der Kavaliere, die im Übermut die Artigkeit nicht erzürnen, neugierig hascht der Wind das Geplauder der Damen, und er trägt das heimliche Rauschen, das Knistern ihrer Gewänder davon. Im Sonnenglanz schimmern die farbigen Trachten, schimmert der Rasen, schimmert die Sehnsucht verheißender Fernen, phantastisch zeichnen die Bäume die Schatten in heitere Himmel. Und an der Brüstung der Terrasse im Luxembourg kommt die Gesellschaft von ganz Paris vorbei, die verliebten Herzoginnen und die begehrenswertesten Marquisen, die die Elegie der Wünsche vielleicht selbst in ein erwünschtes Gewähren wandeln, die witzigen Marschälle von Frankreich, die die Schlachten vielleicht nur vor dem Feinde nicht gewinnen, die Hofdamen und die Literaten, die Künstler, die Pamphletisten und die gepuderten Abbés mit den Brevieren der irdischen Seligkeit, diese ganze fröhliche, strahlende, sorglose Gesellschaft der Zeit der Régence, die voll Mutwillen der Würde des Sonnenkönigs den Krieg ansagt und bittend die Grazie umschmeichelt, der munteren, verwöhnten Zeit der Régence, die die Schwermut, das Grübeln und die Mühen verbannt, nur all die Fêtes galantes, die Sonne und die wolkenlosen Sommer besitzt, die Klagen der kurzen Einsamkeiten und die Seufzer der vorgeahnten Abenteuer, die die Überraschten nicht mehr bestürzen. Man hat die Steifheit der Pretiösen völlig vergessen, man zerstreut sich in Paris in den eleganten Salons, der Adel schwärmt von seinen Gemälden und Bronzen, von seinen Schlössern und Landhäusern, man denkt die Sommerbelustigungen aus, die Jagdgesellschaften und ländlichen Feste, wo ein Rasenidyll, ein Frühstück im Freien, ein Tanz auf verborgener, grüner Lichtung stets neue Formen und neue Farben in unerschöpflicher Erfindung gewähren. Und man denkt der Belustigungen voll Ernst. Lässig reiht sich Stunde an Stunde: sie alle gehören der Laune, dem Spiel. Die Leidenschaften hat man verschmäht, man lächelt über die großen Ekstasen, denn man liebt nur die Andeutung, die zärtlichen Zweifel, das halbe Erfüllen, die Koketterie. Die Schönheit hat auf den Pomp, die Liebe auf die Heroen verzichtet. Bezaubert will man bezaubernd sein. Und niemals Stürme wecken. In den Abendwinden verklingt ein Geständnis unmerklich. Durch die Dämmerung schleicht sich schelmisch ein Amor. Und nickt den Damen zu. Die Kavaliere singen zur Laute.

Watteau hat die Feste als Dichter gemalt. Feste eines Phantasielands im Rokoko. Denn schon die Regentschaft hat schrillen Mißklang. Schon hungern die Bauern, die Soldaten plündern, der Adel verschwendet und man hört auch von Prinzessinnen, die jetzt schon nackt sich zur Tafel setzen. Aber Watteau hört es nicht. Watteau malt die Unschuld der Sinne. Sein Reich ist die blinkende Fabelheimat, die Cytherens Insel den Liebenden schenkt, bunt flattern die seidenen Wimpel des Schiffes, das voll Ungeduld die Pärchen erwartet. Man wird in den Vorzimmern der Granden Watteau nicht treffen, wo die Kammerdiener die vielsagenden Mienen mit ein paar Louisd'ors sich entsiegeln lassen, kein Zöfchen darf die Späße der Herrin verraten, und die Schäferspiele aller Boudoirs bleiben unbelauscht hinter ihrem lockeren Vorhang, den ein wenig später erst die lüsternen Blicke Paters umstreifen. Watteau malt die Sehnsucht, die galante Anfrage, malt lyrische Schalmeien, die durch hundert Modulationen beglücken, und durch die Landschaft, die in der Erinnerung des Vlamen mit hellen, durchsichtigen Stimmungen auftaucht, geht arglos das versponnene Klingen fort. Man weiß, daß Watteau stets der Bedrücktheit, der Schwüle des Zimmers entwich, daß er dort die Tollheit der Sinne nicht kannte: in der Landschaft, im Garten, auf einer Parkterrasse übt die Welt von Paris ihre Kunst des Verliebtseins.

In Sanssouci wird schon Watteaus »Belustigung im Freien« die heiteren Sommerspiele seiner Epoche bringen. Man lagert zwanglos, lagert Paar um Paar, und die Zeit ist voll Stille. Kaum hauchen die Lüfte, kaum regt sich ein Baum. Manchmal die Akkorde einer trägen Gitarre, und die Gesichter lächeln, die Blicke verstehen sich, ein Bursch erschreckt eine furchtsame Kleine – man ist sehr beschäftigt und tut doch nichts. Romantisch ein Kavalier am Terrassenaufgang, abseits der Gesellschaft, abseits in Gedanken, romantisch im weiten, farbigen, fließenden Mantel. Kühn sitzt das Barett, kühn Gesten und Haltung. Und vielleicht wird nur der Kavalier mit der Laute im nahen »Konzert« all den Glanz und die Ritterlichkeit, diesen verschwenderischen Rhythmus der Zeichnung, diesen Rausch des Kolorits an verschollener Tracht, der selbst die Farben der Landschaft bestimmt, noch übertreffen können, – der Kavalier im »Konzert«, das alle betört. Nachlässig ruht, halb an den zierlichen Schemel gelehnt, der auch dem Grandseigneur die leichtere, ungezwungene Pose gestattet, ein Cello mit tiefem Braun im Rasen: der Grandseigneur improvisiert auf der Laute, und aller Stimmung hält er gefangen, aller Stimmung hat er bewegt. Und Damen mit Notenheften, die in süßer Müdigkeit den weißen Händen fast entgleiten, dann Kinder, die voll großer Wichtigkeit mit kleinen Hündchen spielen, und vor dem Kavalier selbst als vertiefte Lauscherin die Schöne, der das Lied, die Serenade, die Beteuerung gilt. Und noch drei fröhliche Paare am Waldrand, Watteaus Motiv voll lyrischer Zartheit, das aus allen Gruppen dieses Poeten irgendwo klingt: der erste Galan, dem sich bald alle Wünsche erfüllen, entführt seine Dame in schützende Schatten; schon hebt auch der zweite die Geliebte empor, die im Walddunkel die gleiche Seligkeit schenkt; doch zögernd bedenkt die dritte Dame, zögernd und in Sehnsucht, die nahe Gefahr. Auch sie indes wird auf stillen Waldweg gern mit dem Freund entschlüpfen. Und sie alle werden noch heute, wenn der Abend verklingt, mitten im Waldreich Cytherens Märcheninsel finden, gleich den anderen drei Freunden und der kecken, der entschlossenen und der zögernden Freundin, für die das Schiff mit bunten Seidenwimpeln zum Abschied in verklärtere Heimat ruft.

Und noch einmal wird man vor Watteau verweilen. Doch jetzt ist's ein Trubel von ländlichen Paaren, ein dörfischer Jubel, ein Trubel von Burschen und lustigen Dirnen, ein Lachen und Scherzen, ein Übermut um die breite, langsame, feierliche Kutsche mit den gravitätischen Rossen, die mitten durch die Gaffer, die Lärmer und Gäste, durch die Zuschauerreihen am Wegrand im »Brautzug zur Kirche« fahren. Ein Geiger mit der Fiedel tanzt quer über die Straße. Man hält Blumen im Korb an der Kutsche empor. Bedächtig folgen die Alten im Zuge, Matronen voll Würde schreiten zur Kirche. In leichtem Bogen wölbt sich das Haus, eine schlichte Kuppel, kaum Konturen sind sichtbar in verflüchtigter Zeichnung. Und Kontur bleibt eigentlich auch die Landschaft ringsum, die den Brautzug umrahmt, diese weiche, verhauchende Landschaft Watteaus, die überall nur Rahmen, überall nur Stimmung, nur verklingende Innigkeit mit der leisen Rückerinnerung an Rubens und Tizian, an die früh verehrten Meister werden. Doch dann verblaßt die Kunst Watteaus, nichts als Kavaliere und Damen, nichts als Hirten, Schäferinnen und Dörfler zu malen: sie verblaßt bei den Erben. Lancret und Pater, die man in Friedrichs Sommerschloß häufiger trifft, üben breit nach Antoine Watteau die Begabung freier Kopisten.

Lancret malt Tänze. Seine Landschaft ist spröde, spröde die Gruppen, die er beim Jagdfrühstück auf grünem Rasen zeigt: nur die Linie schmächtiger, wiegender Körper, vornehmlich der Tänzer, trifft er mit rhythmischem Schwung. Er malt die Sallé, die Camargo und noch eine Flut von Bildern tänzerischer Kunst. Man hat von Lancret einen Tanz im Freien, den Tanz an der Fontäne, den Tanz vor dem Zelte, einen ländlichen Tanz. In Sanssouci zunächst einen Tanz im Freien. Fast ängstlich folgt eine Dame der Bewegung des Tänzers, und ein plauderndes Paar, das gelassen zusieht, bespricht vielleicht die Ergötzungen kommender Nächte. Der Galan hat die verwilderte Artigkeit eines Landsknechts, hat die Derbheit des Dudelsackpfeifers, den man vom Dorf mit seinen Weisen holte. Die Szene ist leer gegen die Szenen Watteaus, und Lancret, der schließlich keinen Ausweg weiß, setzt ein hölzernes Windspiel noch in die Landschaft. Seine Farben sind matt, die Figuren sind steif: Watteaus Lyrik wird für Lancret ein Versuchen mit klügelnder Rechnung. Übrigens leiht man vom Vorbild mit stillem Vergnügen. Im »Tanz an der Pegasusfontäne« entzückt eine Dame durch das Halten des Kleides, das mit schimmernden Falten vom Nacken fließt, und man weiß, daß man diese Grazie auch in Watteaus Laden auf »Gersaints Firmenschild« bestaunen kann. Und schon ein paar Schritte weiter wird man auch Watteaus »Zögerndes Paar« im »Blindekuhspiel« wiederfinden. Stets reichen die Einfälle Lancrets, wenn sie selbständig sind, nur zu knappen, sparsamen Episoden. Die drallen Mägde, die das Stadtkostüm mit plumper Eitelkeit lieben, holt er aus den Faubourgs von Paris und bringt ihnen einen Guckkastenmann, den sie alle mit der Schar verwunderter Kinder umstehen. Lancret zeichnet Genrebildchen mit Vogelfängern, mit Jahrmarktkünstlern und Soldatenvolk. Die Innigkeit Watteaus, der Klang des alten Pastorals bleibt seinem kalten Wesen fremd, und den Anstand werbender Sinne bei Watteau übersetzt schon er in Frivolität. Er hat schon die Pointen verräterischer Schaukeln und der neugierigen Schelme, die sie unter bauschenden Röcken bewegen. Sein »Blindekuhspiel« reizt noch nicht mit der Frechheit Paters, durch die laszive Lust in heißen Gesichtern, aber auch Lancret deutet gern schon durch verfängliche Berührung, durch eindeutiges Umfassen den Ausklang der meisten Feste an. Wo er gesellschaftlich bleiben will, bringt er, wenn man der schmiegsamen Sanftheit Watteaus denkt, starre, harte Theatertableaus, seine Bursche breiten oft die Starrheit der Masken im Theater über die langen Gesichter, und hart sind dann die Schnörkel seiner Treppen, Gärten, Gartenterrassen: nur die Anzüglichkeit wird dort die Gruppen ein wenig beleben. Die Anzüglichkeit kommt freilich rasch unverhüllt: Pater malt sie neben Lancret, Pater aus Valenciennes, der dem Zynismus der Galanterie nachstrebt, nur daß die tollsten Einfälle, der witzigste Esprit, die unverschämtesten Linien erst Fragonard ganz glücken.

Von Pater hat Friedrich ein paar Bilder zum Schmuck für Sanssouci gewählt, von denen nicht alle verraten, daß Pater unter den Schülern Watteaus das Kolorit des Landsmannes am täuschendsten trifft. Gelblichmatt und unbestimmt verfließen die Farben der zwei Pendants, die einmal den »Sultan im Freien«, von seinen Frauen umringt, und in unmittelbarer Nähe des Bildes den »Sultan im Serail« darstellen. Farbiger im Ton, mit bunterer Bewegtheit gruppieren sich die »Soldaten vor dem Wirtshaus« – auch hier noch das Paar, das sich auf Watteausche Art entfernt –, dann abermals als ein Seitenstück die »Soldaten auf dem Marsche«, die flüchtig an Teniers erinnern, wenn man nur die heftigste Ungeniertheit wegdenkt. Erst Pater bringt die auf dem Boden kollernden Paare, die sich begehrlich vor allem Volk umschlingen, mit breiter, vergnüglicher Dreistigkeit, und die vollen, prallen, nackten Busen, die die Soldateska zu gern geduldetem Spiel aufrufen. Paters »Blindekuhspiel« übertrifft das Thema Lancrets. Neben der Laszivität ergötzt hier manche Zierlichkeit. Vor reichbekränzter Marmorherme hascht sich das Paar im Tanz. Keine Überfülle der Figuren. Und die Binde um die Augen trägt nicht, wie bei Lancret, der Kavalier, die Binde trägt die Dame. Der Diener, der die Gäste in Sanssouci durch den Saal geleitet, hält eine Pointe bereit: die Dame sei die Frau Pompadour.

Aber man wird unter den Malern der Galanterie Herrn Antoine Pesne nicht ganz verbannen wollen: den »Apelles von Berlin«, der für den alten Friedrich Wilhelm schon seine Kunst mit Eifer trieb, dann Friedrich die Deckengemälde in Rheinsberg gab und für den Bildersaal in Sanssouci eine Susanne im Bade malte. Der biegsame Körper hat sanfte Glätte ohne Süßlichkeit. Vor den gefeierten Landsleuten, die er in seinen Gesellschaftsbildern auf trivialere Art nachahmt, muß der Berliner Modemaler, der den ganzen Hof porträtiert, freilich stark zurückstehen. Man weiß, daß Graf Rothenburg, der Gesandte in Paris, von Friedrich stets neue Befehle aus Potsdam empfängt, Watteaus zu suchen, »möglichst große« Watteaus, für die sich dann manchmal auch ein Lancret einschleicht. Daß der Agent Mettra, der später falsche Corregios anbietet, bei der Versteigerung der Sammlung Tallard nicht fehlen darf, und die Vente Julienne nicht unbeachtet bleibt, die Kostbarkeiten aus des Besitzers Freundschaft mit Watteau nach Preußen abgibt … Für das sommerliche Schloß von Sanssouci nimmt man davon zunächst die sommerlichen Feste. Pesne, der nicht so teuer erkauft wird, wie Watteau und sein Kreis, begegnet man öfter nur in den Zimmern des Palastes. Da oder dort hängt auch eines seiner Porträts. Unter ihnen wird der Arzt de la Mettrie mit der Pelzmütze überm Ohr, der schnupfende la Mettrie mit dem Epikuräergesicht Reminiszenzen beschwören. Man ist mit den Malern zu Ende, und von den Bildern führen die Reminiszenzen noch einmal zurück in den Marmorsaal. Von den Wänden hallen dort die Gespräche, das Lachen schwirrt und die Rufe flattern. Im Marmorsaal wartet die Tafelrunde …

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