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3. Die erste Londoner Reise.

(1781–92)

»Ich bin durch meine wenigen Werke nur gar zu einheimisch: wenn schon der Verfasser nicht, so sind doch fast in allen Musiken seine Kinder zugegen,« antwortete Haydn jener Tonkünstler-Wittwenkasse, die ihn als »Auswärtigen« mit so schweren Bedingungen hatte belegen wollen. Von dieser Popularität vernehmen wir schon aus den 1770er Jahren ein charakteristisches Beispiel, als er einmal wie gewöhnlich in Geschäften nach Wien zu reisen hatte.

Es war Winter, er hatte über ziemlich abgetragene Kleider einen Pelz geworfen, dem ebenfalls das Alter anzusehen war, eine ungekämmte Perrücke und ein alter Hut machten die Erscheinung vollständig: Haydn, ein so großer Freund der Reinlichkeit, war diesmal nicht zu erkennen, er schien maskirt zu sein. So fuhr er in Wien ein. In der Kärnthnerstraße hört er in einem gräflichen Hause Musik und zwar eine seiner Symphonien. Das Orchester war stark, die Spieler gut: »Halt Kutscher, halt!« Haydn springt aus dem Wagen, stürzt in das Haus, eilt die Treppe hinauf, öffnet ein Vorzimmer und legt sein Ohr an die Thüre, um ruhig zuzuhören. Da tritt ein Diener ein, mißt die fremde Erscheinung von Kopf bis zu Fuß und donnert endlich heraus: »Was hat der Herr hier zu schaffen?« – »Ich möchte ein wenig zuhören.« – »Hier ist kein Ort zum Zuhören, geh der Herr seiner Wege.« Haydn stellt sich, als höre er die Grobheiten nicht. Doch faßt ihn der Diener schließlich am Pelz mit den Worten: »Der Herr hat genug gehört, pack' er sich jetzt, sonst wird man ihm die Thüre weisen.« Jetzt greift Haydn zu einem paar Siebzehnern. Doch als der Allegro zu Ende ist, drängt der Bediente abermals zum Weggehen. Haydn wollte um des Adagios willen aufs neue in die Tasche greifen, als sich zufällig die Thüre öffnet und er von einem der Musiker wahrgenommen wird. Im Augenblick erschallt im Saal ein lautes Gerede. »Haydn! Haydn!« ertönte von allen Lippen, die Thüre wird aufgerissen, mehr als zwanzig Personen umringen den verehrten Meister und ziehen ihn in den Saal, theils um ihn als Bekannte zu begrüßen, theils um ihn kennen zu lernen. Da erklingt mitten in das laute Gerede, wie von oben herab eine durchdringende Stimme: »Das ist Haydn nicht, unmöglich kann ers sein! Haydn muß ein großer, schöner, starker, kein so kleiner unansehnlicher Mann sein, wie der da in dem Kreise.« Allgemeines Gelächter. Haydn, mehr als alle verwundert, blickt umher, wer ihm denn da seine Existenz streitig machen will. Es war ein italienischer Abbé, der viel von Haydn gehört hatte und ihn sehr liebte: er war auf den Tisch gestiegen, um ihn in dem Getümmel nur zu sehen. Das allgemeine Gelächter endete erst mit Beginn des Adagios. Haydn aber blieb bis zum Ende der Symphonie.

»Mein Unglück ist nur der Aufenthalt auf dem Lande,« schreibt Haydn selbst im Frühjahr 1781. Allein wenigstens ein paar Wintermonate kann er in Wien sein, und hier ist es nun, wo er den Künstler fand, der mehr als alle anderen, auch Ph. E. Bach nicht ausgenommen, auf ihn gewirkt und seinen Ruhm zu den Sternen zu heben geholfen hat, – Mozart.

Die persönliche Bekanntschaft kann erst geschehen sein, als im Frühjahr 1781 Mozart nach Wien kam, um dann für immer dort zu bleiben. Denn die Briefe des Vaters von den Reisen im Jahre 1764 und 1768 erwähnen Haydns gar nicht, und im Sommer 1771, wo Mozart abermals kurze Zeit in Wien war, weilte wol Haydn wie gewöhnlich in Esterhaz. Dagegen zeigen Mozarts eigene Briefe, daß er Haydn schon als Knabe kennt und liebt: er läßt sich seine Menuetten nach Italien nachschicken und will nach ihnen den »deutschen Menuet-Geschmack« auch in Italien einführen. Die wirkliche Bekanntschaft muß aber sogleich die beiden im Alter so sehr verschiedene Künstler, deren wahres Fundament ja im Leben wie im Schaffen vor allem das Gemüth, das innige deutsche Gemüthsleben bildete, sehr nahe zu einander geführt haben. Und daß Mozart sogleich ganz zu Haydn stand, sagt uns eine Erzählung Griesingers. Haydn ließ einst in Gegenwart von Mozart und dessen ewigem Anfeinder und Verkleinerer Leopold Kozeluch ein neues Quartett aufführen, worin einige kühne Uebergänge vorkamen. »Das klingt fremd, hätten Sie das wol so geschrieben?« sagte Kozeluch zu Mozart. »Schwerlich!« lautete die Antwort. »Aber wissen Sie warum? Weil weder Sie noch ich auf diesen Einfall gekommen wären.« Ein anderes Mal, als dieser »geniearme« Componist mit seinem Tadel gar nicht zur Ruhe zu bringen war, rief Mozart äußerst heftig: »Herr, und wenn man uns beide zusammenschmelzt, wird doch noch lange kein Haydn daraus.«

Die Berührung mit den Kreisen, wo in Wien in diesem »goldenen Zeitalter der Musik« Haydns Compositionen nach ihrer besonderen Art mit Lust und Liebe, ja mit voller Seelenhingabe von Künstlern und Liebhabern gepflegt wurden, bestimmte ihn denn auch sofort, sich hier ebenfalls selbst gleichsam durch einen gleichwerthen Einsatz einzukaufen: er begann bereits im Herbst 1782 einen Cyclus von sechs Quartetten zu schreiben, und die italienische Widmung an Haydn ist das schönste Zeichen neidloser Bewunderung, das sich denken läßt. Sie ist vom Herbst 1785 und lautet in der Uebersetzung so:

 

»Meinem theuren Freunde Haydn.

Wenn ein Vater seine Söhne in die weite Welt schickt, so sollte er sie, meine ich, dem Schutze und der Führung eines hochangesehenen Mannes anvertrauen, der durch günstige Fügung unter seinen Freunden der beste ist. So, Mann des Ruhmes und theuerster Freund, bringe ich dir hier meine sechs Söhne. Sie sind in der That die Frucht einer langen und mühevollen Arbeit. Allein die Hoffnung, welche mir meine Freunde machten, sie wenigstens zum Theil belohnt zu wissen, gibt mir Muth und überredete mich, daß diese Werke mir eines Tages zum Heil gereichen werden. Du selbst, theuerster Freund, bewiesest mir bei deinem letzten Aufenthalte in dieser unserer Hauptstadt deine Zufriedenheit. Dieses Urtheil beseelt mich über alles, und deshalb empfehle ich sie dir und gebe mich der Hoffnung hin, daß sie dir deiner Gunst nicht ganz unwürdig erscheinen. Nimm sie gütig auf und sei ihnen Vater, Führer und Freund. Von diesem Augenblicke an übertrage ich dir meine Rechte über sie und bitte dich nur, die Fehler, die mir das schonende Auge des Vaters verborgen haben mag, mit Nachsicht zu betrachten und auch trotz derselben deine edelmüthige Freundschaft, die ich so sehr schätze, mir zu bewahren, derweilen ich von ganzem Herzen bleibe dein aufrichtigster Freund

W. A. Mozart.«

 

Er nannte Haydn »Papa« und fügte, wenn man von dieser Dedication sprach, hinzu: »Das war Schuldigkeit, denn ich habe von Haydn erst gelernt, wie man Quartette schreiben müsse.« Wie sehr aber auch dieser durchaus dem gottbegnadeten eigentlichen Genius in der ächten Bescheidung seiner Art sich beugte, erfahren wir aus einem Briefe des Vaters vom 14. Februar desselben Jahres 1785, den man zuerst vollständig abgedruckt findet in dem Buche » Mozart. Nach den Schilderungen seiner Zeitgenossen« (Leipzig 1880). Die Stelle lautet: »Am Samstag war abends Herr Joseph Haydn bei uns, es wurden die neuen Quartette gemacht, die er zu den drei andern, die wir haben, gemacht hat, sie sind ein bischen leichter, aber vortrefflich componirt. Herr Haydn sagte mir: Ich sage Ihnen vor Gott als ein ehrlicher Mann, Ihr Sohn ist der größte Componist, den ich von Person und dem Namen nach kenne, er hat Geschmack und überdies die größte Compositionswissenschaft.« Das war in der That ein Ausdruck jener »Zufriedenheit«, und solchem »Vater« konnte Mozart wol seine »Kinder« anvertrauen: er verstand ihren Gehalt und ihren Charakter. »Wenn Mozart nichts anderes componirt hätte, als seine Quartetten und sein Requiem, wäre er schon unsterblich geworden,« hörte Abbé Stadler später Haydn selbst sagen. Und bei einem Streit über die berühmte Querstandstelle im Eingang des Cdur-Quartetts meinte er, da Mozart sie so geschrieben habe, werde er dafür auch seine Gründe gehabt haben. Ebenso versäumte er auch später keine Gelegenheit Mozartsche Musik zu hören und betheuerte, daß er nie eine Composition von ihm gehört habe, ohne etwas zu lernen. Von einem Quartettabend aus der Zeit von 1786 aber berichtet in jenem Buche Näheres Basilio-Kelly: es waren Haydn, Dittersdorf, Mozart und Vanhall, gewiß eine einzigartige Besetzung. Nur möchte wol an der ersten Geige Dittersdorf gesessen sein, dessen virtuoseres Spiel wir ja kennen.

Als nun im Jahre 1787 in Prag der Don Juan aufgeführt worden war und man sich, weil Mozart den Antrag einer zweiten Oper nicht hatte annehmen können, an Haydn wandte, schrieb er im December von seinem Esterhaz aus den folgenden schönsten seiner Briefe, der auch in der Biographie Mozarts angeführt ist. Man verlange eine komische Oper von ihm, sagt er. Recht herzlich gern, wenn man Lust habe von seiner Singcomposition etwas für sich allein zu besitzen. Aber um sie in Prag aufzuführen, könne er damit nicht dienen, weil alle seine Opern zuviel an das Personal in Eisenstadt gebunden seien und daher anderswo nie die Wirkung hervorbringen würden, die er nach der Localität berechnet habe. Ganz anders würde es sein, wenn er das unschätzbare Glück haben könnte, ein ganz neues Werk für das dortige Theater zu componiren. Aber auch da habe er noch viel zu wagen, indem der große Mozart nur schwer jemand andern zur Seite haben könne. »Denn könnte ich jedem Musikfreunde, besonders aber den Großen,« schließt er, »die unnachahmlichen Arbeiten Mozarts so tief und mit solchem musikalischen Verstand, mit einer so großen Empfindung in die Seele prägen, als ich sie begreife und empfinde, so würden die Nationen wetteifern, ein solches Kleinod zu besitzen. Prag soll den theuren Mann festhalten, aber auch belohnen. Denn ohne dieses ist die Geschichte großer Genien traurig und gibt der Nachwelt wenig Aufmunterung zum ferneren Bestreben, weßwegen leider soviel hoffnungsvolle Geister darnieder liegen. Mich zürnet es, daß dieser einzige Mann noch nicht bei einem kaiserlichen oder königlichen Hofe engagirt ist! Verzeihen Sie, wenn ich aus dem Geleise komme: ich habe den Mann zu lieb.«

War nun der letzte Vorwurf, wie allerdings Haydn in Eisenstadt noch nicht wissen konnte, für sein eigentliches Ziel nicht mehr begründet, indem Mozart soeben k. k. Kammercompositeur geworden war, so hat derselbe ohne Zweifel noch ein weiteres: Haydn selbst. Denn gerade in Wien war unter den Fachmusikern, den Kritikern und in den ausschlaggebenden Machtkreisen die Anerkennung seines eigenartigen Schaffens noch nicht entfernt durchgedrungen. Seine Briefe hallen im Gegentheil von Vorwürfen über dieses Unrecht und Mißgeschick wieder, und die obigen Aeußerungen Mozarts bezeugen, wie berechtigt sie waren. Einen Esterhazyschen Capellmeister im damals noch so öden Ungarn über sich oder nur ebenbürtig anzuerkennen, das stand den tonangebenden Herren des italienischen Geschmacks und der spanischen Etiquette um so weniger an, als volksthümliche Laune, Scherz und Humor ihr Recht in der Musik erst soeben zu erringen hatten und die Freiheiten, die ihre Natur sich gegen die hergebrachte Compositionsweise erlauben mußte, nicht gestattet oder gar als Fehler erschienen. Und leider stand in dieser Hinsicht der sonst nicht beschränkte, aber ebenfalls in der wälschen Manier befangene Joseph II. an der Spitze. Der uns wolbekannte I. F. Reichardt, der 1783 in Wien bei dem Kaiser war, erzählt: »Am wenigsten konnte sich das Gespräch über Haydn einigen, den Reichardt mit Hochachtung nannte und mit Bedauern vermißte. Ich dachte, sagte der Kaiser, ihr Herren Berliner liebt solche Späße nicht: ich habe aber auch nicht viel davon – und so ging es ziemlich arg über den vortrefflichen Künstler her.« Bestätigt wird dies immerhin einigermaßen durch Josephs Gespräch mit Dittersdorf zwei Jahre später: »Was halten Sie von seinen Stücken für die Kammermusik?« – »Daß sie in der ganzen Welt Sensation machen, und das mit allem Recht.« – »Tändelt er nicht manchmal gar zuviel?« – »Er hat die Gabe zu tändeln, ohne jedoch die Kunst herabzuwürdigen.« – »Da haben Sie Recht.«

Mußte nun solch arge Parteilichkeit und böses Unverständniß Haydn sehr kränken, so bereiteten wieder ihm Mozarts Urtheile und Zuneigung erhöhtes Selbstgefühl, und dieser pflegte mit seinen Aeußerungen nicht zurückzuhalten. »Es war gewiß rührend, wenn er von den beiden Haydn und anderen großen Meistern sprach: man glaubte nicht den allgewaltigen Mozart sondern einen ihrer Schüler zu hören,« erzählt Niemetscheck von dem Prager Aufenthalte Mozarts. Und F. Rochlitz berichtet als Mozarts Urtheil: »Keiner kann alles, schäkern und erschüttern, Lachen erregen und tiefe Rührung, und alles gleich gut als Joseph Haydn.« Diese Verehrung mußte dem Meister sein volles künstlerisches Bewußtsein geben. Denn wer konnte hier sicherer urtheilen als solch ein Genius? Zudem bestätigte er nur das Urtheil der unbefangenen Hörer in aller Welt. Von Paris hörten wir schon. Ja man spielte dort, wie wir aus Gyrowetz' Selbstbiographie erfahren, bereits um 1787 eine Symphonie von diesem jüngeren Meister als eine »Favorit-Composition« in allen Theatern und Concerten, weil man sie – für ein Werk Haydns hielt. Ebenso hat er sich überall gegen heimliches Abschreiben und Nachstich seiner Werke zu wahren.

So überrascht es uns denn nicht, am Schluß eines Briefes vom Jahre 1787, in dem er einem Londoner Musikalienhändler die Sieben Worte, 6 »prächtige Symphonien«, 3 »ganz niedliche Notturne« anbietet, ihn sagen zu hören: »Ich hoffe Sie zu Ende dieses Jahres selbst zu sehen, da ich aber bis jetzt von Herrn Cramer noch keine Antwort erhalten habe, werde ich mich für diesen Winter nach Neapel engagiren.« Die Londoner Einladung betraf die sogenannten Professional-Concerte. Aber ebenso wandte sich ein Jahr daraus I. P. Salomon an ihn wegen Concertaufführungen im Haymarket-Theater. Mozart schreibt nämlich 1783 an seinen Vater: »Ich weiß ganz zuverlässig, daß Hofstetter Haydns Musik doppelt copirt,« und Haydn sagt 1787 selbst zu Artaria: »Ihr eigener Copist ist ein Spitzbub, da er diesen Winter dem meinigen 8 Ducaten geboten, wenn er ihm die Sieben Worte zukommen lasse.« Darum klagt er mit Recht, daß er für seine Werke nicht hinlänglich bezahlt sei, und dankt einmal Artaria »unendlich für die unverhofften 12 Ducaten«. »Ich habe bis jetzt den Lesern verschwiegen, daß Haydn bei meinem ersten Besuche äußerte, seine Noth habe bis zum 60. Jahre gedauert,« erzählt Dies und bemerkt dazu, daß trotz aller Sparsamkeit und der Freigebigkeit des Fürsten Nicolaus bei dessen Tode, also nach fast 30 Jahren Mühe, sein einziger Besitz das kleine Haus und 500 Fl. Geld gewesen sei. Doch besaß er noch etwa 2000 Fl. in Staatspapieren, die er jedoch als Nothpfennig nicht angreifen durfte. Dies schiebt solche Vermögenslosigkeit bei solchem Fleiß wol mit Recht hauptsächlich der Verschwendungssucht seiner Frau zu. Allein die Thatsache bestand, und so begreifen wir, trotz Esterhazys Güte, Haydns öfters sehnsuchtsvolle Ausschau nach außen: es galt nicht blos dem gleichen Ruhm mit Gluck und Mozart, es galt zugleich, wie die Sachen standen, dem Beutel, und diesen konnte, wie wir Haydn nach seinem Selbst- und Ehrgefühl kennen, auch ein solcher Fürst nicht immerfort wohlgespickt erhalten.

»Mein größter Ehrgeiz besteht nur darin, vor aller Welt, sowie ich es bin, als ein rechtschaffener Mann angesehen zu werden,« schreibt er selbst noch um 1776 und widmet alles Lob, das ihm zu Theil geworden, »Gott dem allmächtigen, dem er allein für dasselbe zu danken habe«: sein Wunsch sei nur, weder seinen Nächsten noch seinen gnädigsten Fürsten, viel weniger den barmherzigen Gott zu beleidigen. Jetzt aber hatte er »der Ehre schöne Götterlust« kennen gelernt, und mehr noch drängte ihn die für sein Künstlergefühl unwürdige Lage steter Einschränkung und Bedrängniß, seinen Blick lebhafter als sonst nach außen zu richten. »Ich hatte einen guten Fürsten, mußte aber zu Zeiten von niedrigen Seelen abhängen, ich seufzte oft nach Erlösung,« schreibt er sogar von London aus 1791. Ja der Beschluß, die Londoner Einladung anzunehmen, muß ziemlich fest gewesen sein. Denn der Brief von 1787 schließt: »Unterdessen sage ich vielen Dank für das mir offerirte Quartier«. Wirklich zu reisen aber verhinderte ihn, so lebhaft er auch von seinen Freunden »bestürmt« und wie wir sahen von außen eingeladen ward, seine Dankbarkeit. »Er schwur dem Fürsten, ihm so lange zu dienen, bis der Tod über dessen Leben oder über sein eigenes entscheiden würde, ja ihn auch dann nicht zu verlassen, wenn ihm Millionen geboten würden,« hörte Dies von ihm selbst. Denn der Fürst ließ ihn in dringendsten Fällen gar auf seine Rechnung Schulden machen. Doch nahm Haydn dazu so selten wie möglich Zuflucht und ließ es auch dann stets bei kleinen Summen bewenden.

Unter solchen Eindrücken gemischter Natur sind nun die Briefe geschrieben, die in die nächsten Jahre fallen und aus denen wir vorerst einige kurze Auszüge zu geben haben. Sie sind an jene Frau von Genzinger in Wien gerichtet, die Frau eines Arztes, der zugleich Leibarzt des Fürsten Esterhazy war. Sie war unserem Meister in diesen seinen älteren Jahren besonders nahe getreten, denn sie hatte seine Freundschaft auf dem Wege seiner Kunst gesucht: sie richtete nämlich Symphonien von ihm für Clavier ein. Man fühlt beim Lesen dieser Briefe so recht die edleren Bedürfnisse von Haydns Seele. Wie die vortreffliche Frau denn auch sichtbaren Einfluß auf die poetische Seite seines Schaffens gehabt hat und ihr ja die schöne Sonate bestimmt war, deren Adagio »sehr viel zu bedeuten hatte!« Hier erklingen in der That sehnsuchtsvoll aufathmende Accorde, wie sie die Musik damals höchstens in leisen Ansätzen kannte.

In dem Hause dieses »Damen-Doctors«, wie er allgemein in Wien genannt wurde, versammelten sich nun Sonntags regelmäßig Mozart, Dittersdorf, Beethovens späterer Lehrer Albrechtsberger und, wenn er eben in Wien war, auch Haydn, und ihm mußte es doppelt schmerzlich sein, aus diesen »allerangenehmsten Unterhaltungen«, wo er »das unschätzbare Glück hatte, neben ihrer Gnaden zu sitzen und sie Mozarts Meisterstücke spielen zu hören«, zur »traurigen Einsamkeit« zurückzukehren. Dies geschah aber leider in dieser späteren Zeit stets früher, als Haydn es wünschte. »Die jähe Entschließung meines Fürsten, sich von dem (ihm) verhaßten Wien zu entfernen, verursachte meine schleunige Reise nach Esterhaz,« schreibt er einmal 1789. Im Gegensatz zu den übrigen Magnaten, die nirgend lieber ihren Prunk zeigten und ihren »Plaisirs« nachgingen als gerade in Wien, weilte Fürst Nicolaus mit zunehmenden Jahren stets unlieber in Wien. Dem Mißmuth über diese Verhältnisse gibt Haydn denn auch beredtesten Ausdruck.

»Wohledelgeborene sonders hochschätzbare allerbeste Frau von Genzinger«, diese Anrede versetzt uns sogleich in das Costüm der Zeit und nachfolgender Brief vom 9. »Febry« 1790 in die ganze Situation.

»Nun, da sitz ich in meiner Einöde, verlassen wie ein armes Waisenkind, fast ohne menschliche Gesellschaft, traurig, voll der Erinnerung vergangener edlen Tage, ja leider vergangen! – und wer weiß, wann diese angenehmen Tage wiederkommen werden, diese schönen Gesellschaften, wo ein ganzer Kreis Ein Herz, Eine Seele ist, – alle diese schönen musikalischen Abende, welche sich nur denken und nicht beschreiben lassen, wo sind alle diese Begeisterungen? – Weg sind sie, und auf lange sind sie weg«, so schreibt er und der angeborene Humor muß das Gefühl der Oede tilgen helfen. »Wundern sich Euer Gnaden nicht, daß ich so lange nichts von meiner Danksagung geschrieben habe. Ich fand zu Hause alles verwirrt, drei Tage wußte ich nicht, ob ich Capell-Meister oder Capell-Diener war, nichts konnte mich trösten, mein ganzes Quartier war in Unordnung, mein Clavier, das ich sonst liebte, war unbeständig, ungehorsam, es reizte mich mehr zum Aerger als zur Beruhigung, ich konnte wenig schlafen, sogar die Träume verfolgten mich, und als ich am besten Figaros Hochzeit zu hören träumte, weckte mich der fatale Nordwind auf und blies mir fast die Schlafhaube vom Kopfe.«

Die jetzt folgende Schilderung läßt uns ganz den Componisten erkennen, der kurz zuvor an seinen Verleger geschrieben hatte, er habe »bei launigter Stunde« ein ganz neues Capriccio für Clavier gemacht, welches wegen seiner Art, Besonderheit und Ausarbeitung gewiß mit allem Beifall werde aufgenommen werden. »Ich wurde um drei Pfund magerer,« fährt er nämlich fort, »denn die guten Wiener Bisserl verloren sich schon unterwegs. Ja ja, dacht' ich bei mir selbst, als ich in meinem Kosthaus statt dem kostbaren Rindfleisch ein Stück von einer 50jährigen Kuh, statt dem Ragout mit Knödeln einen alten Schöpsen mit gelben Murken, statt dem böhmischen Fasan einen ledernen Rostbraten u. s. w. speisen mußte. Ja ja, dacht' ich bei mir selbst, hätte ich jetzt manches Bisserl, das ich in Wien nicht habe verzehren können! Hier in Esterhaz fragt mich niemand: ›Wünschen Sie Chocolade, mit oder ohne Milch, befehlen Sie Kaffee, mit was kann ich Sie bedienen, bester Haydn, wollen Sie Gefrorenes mit Vanille oder mit Ananas?‹ Hätte ich jetzt nur ein Stück guten Parmesankäse, um die schwarzen Nudeln leichter hinabzutauchen! Verzeihen Sie, allerbeste gnädige Frau, daß ich Ihnen das allererste Mal mit so ungereimtem Zeug die Zeit stehle, verzeihen Sie es einem Manne, welchem die Wiener zuviel Gutes erwiesen haben. Ich fange aber schon an, mich nach und nach an das Ländliche zu gewöhnen, gestern studirte ich zum ersten Mal und so ziemlich Haydnisch.«

Dazu kam für den Augenblick ein Ereigniß, das ihn in seiner geschäftlichen Thätigkeit doppelt anspannte: die Fürstin starb und der Fürst versank dadurch in solche Schwermuth, daß sie alle Tage noch besonders Musik machen mußten. Ja der Fürst wollte Haydn jetzt auch nicht auf 24 Stunden fortlassen. Da verlautet von seinem öfters sehr tief gekränkten Herzen und den vielen Widerwärtigkeiten und Verdrießlichkeiten. »Nun in Gottes Namen, es wird auch diese Zeit vorübergehen,« schließt er aber, schon jetzt auf den Winter hoffend. »Es ist doch traurig, immer Sklav zu sein, allein die Vorsehung will es,« bescheidet er sich dann ein andermal. »Ich bin ein armes Geschöpf, stets geplagt von vieler Arbeit, sehr wenig Erholungsstunden, Freunde? was sag' ich, einen ächten? – es gibt ja keine ächten mehr, – eine Freundin, o ja, es mag wol noch eine sein, sie ist aber weit weg von mir. Je nun, ich unterhalte mich in Gedanken. Gott segne sie und mache, daß sie auch meiner nicht vergesse!« – »Meine Freundschaft, so zärtlich dieselbe ist, wird niemals strafbar werden, weil ich stets die Ehrfurcht vor den erhabensten Tugenden Euer Gnaden vor Augen habe,« hatte er aber auch geschrieben, als zu seinem Leidwesen einmal ein Brief an Frau von Genzinger verloren gegangen war.

Jetzt aber trat plötzlich die Zeit ein, wo die »Verdrießlichkeiten« doch aufhörten und Haydn in eine bessere Lage und obendrein zur vollen Freiheit gelangte: der Fürst starb und krönte seine Großmuth mit Hinterlassung einer Pension von 1000 Gulden. Der neue Fürst Paul Anton fügte dann derselben weitere 400 Gulden hinzu, sodaß Haydn jetzt mit einem Gehalte von 2800 Mark gut zu leben hatte. Denn der neue Fürst hatte die Capelle entlassen und von Haydn nur verlangt, daß er seinen Titel als Esterhazyscher Capellmeister weiter führe. Haydn nannte diese Stellung allerdings »klein besoldet«, ja obendrein »zu Pferd ohne Sattel und Zeug« und hoffte auch, heute oder morgen durch seine Verdienste – » denn schmeicheln und betteln kann ich nicht«, – oder aus eigenem Antriebe seines gnädigsten Fürsten in einen besseren Stand gesetzt zu werden. Es geschah dies aber erst später und zwar durch »seinen vierten Fürsten«. Jetzt siedelte er zunächst nach Wien über, einen Antrag des Fürsten Grassalkowic in seine Dienste zu treten, schlug er aus, und nicht lange, so nahm von anderswoher sein Geschick eine glückliche Wendung und an die Stelle bürgerlicher Beschränkung trat freieste Bewegung und weiteste Oeffentlichkeit.

Jener Geiger I. P. Salomon, ein geborner Bonner, der Haydns Quartette schon früh gespielt hatte und jetzt im Londoner Musikleben von einer ausgezeichneten Stellung war, trat eines Abends in Haydns Zimmer und sagte kurz: »Ich bin Salomon aus London und komme Sie abzuholen, morgen werden wir einen Accord schließen.« Er hatte sich auf einer Reise, um Sänger für den Theaterunternehmer Gallini zu engagiren, befunden und bei der Rückkehr in Cöln des Fürsten Esterhazy Tod vernommen. Haydn äußert im ersten Augenblick allerhand Bedenken, die Unkenntniß fremder Sprachen, die Unerfahrenheit im Reisen, sein Alter. Allein Salomons Vorschläge waren so glänzend, daß er schwankend wird. Allerdings 5000 Gulden und der Verkauf der Compositionen waren etwas für den in knappen Verhältnissen zum Alter herangelebten einfachen Musiker. Zudem sind ja Compositionen genug fertig, die noch kein Mensch außerhalb Esterhaz kennt. So läßt er denn seine Einwilligung von des jungen Fürsten Erlaubniß abhängen und achtet ferner nicht auf fremde Abrathungen. Selbst Mozart, der weit in der Welt Umhergereiste, wird auf seine bestgemeinten Einwendungen, der »Papa« sei ja alt, habe keine Erziehung für die große Welt, rede namentlich zu wenig Sprachen, von dem 58jährigen, seiner selbst sicheren älteren Freunde ruhig dahin beschieden: »Ich bin noch munter und bei guten Kräften und meine Sprache versteht man durch die ganze Welt.«

Der Fürst versagt die Erlaubniß nicht und schießt sogar Reisegeld vor. Haydn verkauft also sein kleines Haus zu Eisenstadt, nimmt die 500 Gulden, die er sich erspart hat, übergibt seine Staatspapiere der »hochschätzbaren« Wiener Freundin, der er auch seine Frau empfiehlt, und bereitet sich in jedem Stücke zu der Reise, die seinen Weltruhm begründen sollte. Es war am 15. December 1790. Mozart verläßt seinen geliebten »Papa« den ganzen Tag nicht. Er speiste bei ihm und sagte im Augenblick der Trennung zu Thränen gerührt: »Wir werden uns heute das letzte Lebewohl sagen.« Auch Haydn war tief bewegt, er, der 24 Jahre ältere Mann dachte an den eigenen Tod. Schon ein Jahr nachher aber vernahm er von Mozarts Ende und weinte bittere Thränen. »Ich freue mich kindisch nach Hause, um meine guten Freunde zu umarmen,« schrieb er später an Frau von Genzinger. »Nur bedauere ich dieses an dem großen Mozart zu entbehren, wenn es anders so ist, welches ich nicht wünsche, daß er gestorben sein sollte. Die Nachwelt bekommt nicht in 100 Jahren wieder so ein Talent.« Er sollte es denn auch sein, der zunächst Mozarts Erbe antrat, und der Londoner Aufenthalt war es, der ihm dazu den Gesichtskreis erweiterte und die Phantasie freier entfaltete: er ward dann der unmittelbare Lehrer Beethovens, dessen Sonaten, Quartette und Symphonien in den Werken, die Haydn jetzt schuf, ungleich mehr Entwicklungskeime und sogar unmittelbare Vorbilder gefunden haben als in denen Mozarts, deren letzte Schönheiten wie Eingebungen von oben sind und kaum von den Nachkommenden aufgenommen und nachgebildet werden konnten.

Die Briefe an Frau von Genzinger haben die Kenntniß der Ereignisse dieser Reise sehr bereichert, und der fleißigen Erforschung derselben an Ort und Stelle ist ein kleines Buch C. F. Pohls »Mozart und Haydn in London« (Wien 1867) zu verdanken, sodaß wir diesmal vollgenügend unterrichtet sind. Doch beschränken wir uns hier auf das nothwendigste Charakteristische und dasjenige, was zu Haydns Entwicklung gehört.

In München lernte Haydn jenen Cannabich kennen, der den Orchestervortrag in Deutschland so sehr gehoben hatte und daher für den Begründer der Symphonie doppeltes Interesse haben mußte. In Bonn, wo seine Musik besonders viel Freunde hatte und in Kirche, Theater, Concert und Kammer außerordentlich oft zur Aufführung kam – man vergleiche darüber »Beethovens Leben«, I. Theil, – in Bonn wurde er nach Dies' Erzählung auf mehr als eine Art überrascht. Salomon führte ihn, es war zu Weihnachten, in die Messe. »Die ersten Accorde kündigten ein Werk der Haydnschen Muse an. Unser Haydn hielt es für einen Zufall, indessen war es ihm sehr angenehm, sein eigenes Werk mitanzuhören,« heißt es da. Gegen das Ende näherte sich ihm eine Person und lud ihn ein, sich in das Oratorium zu begeben. Haydn war nicht wenig erstaunt, als er sah, daß der Kurfürst Maximilian ihn dahin hatte rufen lassen, ihn sogleich bei der Hand nahm und ihn seinen Musikern mit den Worten vorstellte: ›Da mache ich Sie mit Ihrem von Ihnen so hoch geschätzten Haydn bekannt.‹ Der Kurfürst ließ beiden Theilen Zeit, einander kennen zu lernen und lud ihn dann an seine Tafel. Haydn kam durch diese Einladung in nicht geringe Verlegenheit. Denn er und Salomon hatten in ihrer Wohnung ein kleines Diner bestellt. Haydn mußte also zu Entschuldigungen seine Zuflucht nehmen. Er beurlaubte sich darauf und begab sich nach seiner Wohnung, wo er von einem nicht erwarteten Beweise des Wohlwollens des Kurfürsten überrascht wurde: sein kleines Diner war nämlich auf des Kurfürsten stillen Befehl in ein großes zu 12 Personen verwandelt und die geschicktesten Musiker dazu eingeladen worden. Ob wol der kurfürstliche Hoforganist Beethoven unter den Geladenen war? Er zählte damals gerade 20 Jahre und zu den »Geschicktesten« der Musiker gehörte er gewiß.

Die weitere Reise und die Ankunft in London beschreibt Haydn selbst seiner Freundin in Wien. Er blieb während der ganzen Ueberfahrt auf Deck, um das »ungeheure Thier«, das Meer sattsam zu betrachten. Er mochte dabei mit lächelnder Ironie an den Sturm im »krummen Teufel« denken. Ebenso versenkt er sich sogleich in die »unendlich große Stadt London, welche wegen ihrer verschiedenen Schönheiten und Wunderdinge in Erstaunen versetzt.« Mehr aber erweiterte es seinen Gesichtskreis, einmal ein großes Publicum, den Stellvertreter eines großen freien Volkes, wie England damals vor andern Völkern war, mit eigenen Augen zu sehen. Schon seine Ankunft hatte großes Aufsehen verursacht, er wurde durch drei Tage in allen Zeitungen »herumgetragen«. Nach einigen Tagen ward er zu einem Liebhaberconcert geladen und dort am Arm des Concertunternehmers unter allgemeinem Klatschen durch den Saal bis zum Orchester hingeführt, »allda angeäffet und mit einer Menge englischer Complimente bewundert«. Nachher führte man ihn zu einer Tafel von 200 Gedecken, wo er obenan sitzen sollte. Allein er verbat sich, da er schon bei einer Mittagseinladung zuviel gegessen, diese Ehre, mußte aber trotzdem der Gesellschaft die »harmonische Gesundheit« in Burgunder zutrinken.

Solchem glänzenden Willkommen entsprach der Fortgang und das Ende von Haydns Aufenthalt in London. Er selbst wußte aber auch gesellschaftlich wie künstlerisch sich die Herzen zu gewinnen. Sein Landsmann Gyrowetz fand einige tonangebende Häuser, welche Festmahle veranstalteten, deren Mittelpunkt Haydn ward. Sein einfaches und freundliches Wesen, der größte Gegensatz gegen die damals durch lange Verwöhnung so hochfahrend gewordenen italienischen Künstler jener Zeit, entsprach den Engländern, und wenn er gar nach Tische sich ans Clavier setzte und heitere deutsche Lieder sang, waren auch die Widerspenstigsten sein und Alle trugen nun seinen Ruhm in weite Kreise. Fälle wie die freche Abweisung bei dem einst so gefeierten, jetzt alten und eigensinnigen italienischen Geiger Giardini, der die Anmeldung seines Besuches mit den Worten aufgenommen hatte: »Ich mag den deutschen Hund nicht kennen lernen,« blieben vereinzelt, möchten aber nach ihrer Narrheit auch wol stets bei Haydn Lachen statt Zorn erregt haben. Wie er selbst aber im vollen Gegensatz zu solchem Hochmuth tüchtige Künstler zu würdigen wußte, erfahren wir aus seiner Begegnung mit dem großen Orgelspieler Dupuis. Der aus Beethovens Leben bekannte Sir G. Smart erinnerte sich ihn beobachtet zu haben, wie er in der Kirche von St. James voll Aufmerksamkeit dem Spiele Dupuis zuhörte und ihm dann beim Austritt aus der Capelle um den Hals fiel und ihn küßte. Die neidlose Anerkennung fremden Verdienstes war Haydns wie Mozarts natürliches Bedürfen. Bald wissen denn auch die Zeitungen fast täglich etwas über ihn zu sagen. Schon beginnen aber auch der Neid und der Kampf, die er wie jede hervorragende Erscheinung von Jugend an zu bestehen hatte: man wollte entdeckt haben, daß seine Kräfte im Abnehmen seien und daher von seinen Leistungen nicht mehr das Frühere zu erwarten stehe. Und gar erst, als Salomons Concerte eröffnet waren und den größten Erfolg hatten, weil jedes neue Werk des Meisters Ruhm neu besiegelte! Besonders jene Professionalconcerte unter dem Geiger W. Cramer, der ihn schon 1787 selbst eingeladen hatte, waren seine schlimmsten Feinde: es waren eben die professori d. h. die Fachmusiker, welche dieselben veranstalteten, und Zunftneid kam hier zu dem Scheelsehen über den Erfolg. Und doch war Haydn in ihrem ersten, dem Salomonschen vorauseilenden Concert dieser Saison gewesen und hatte ihnen das Compliment gemacht, bei keiner Gelegenheit seine Symphonien so ausgezeichnet vorgeführt gehört zu haben.

Sogleich das erste Concert Salomons hatte solch entscheidenden Erfolg. Viel trug dazu jedenfalls bei, daß Haydn sich das Orchester zu dem eigenartigen freieren Vortrage seiner Symphonien auf kluge Weise zu gewinnen verstanden hatte. Er wußte den Spielern zu schmeicheln und den Tadel auf das feinste in das Lob zu verweben, lud die Besten unter ihnen zu Tische und vor allem vermochte er ihnen seine Meinung sogleich praktisch vorzumachen, sodaß das Ende, so sagt Dies ausdrücklich, Liebe und Begeisterung war. Selbst die italienischen Sänger, die jeder Schwierigkeit und Dissonanz gern bequem auswichen, wußte er zur Ausführung »seiner sehr oft überraschenden Modulationen und Intonationen« zu bringen. »Nie vielleicht hatten wir einen reicheren musikalischen Genuß,« sagt daher auch das Morning Chronicle, und das Adagio seiner Symphonie (in D) mußte – »ein damals seltener Fall« – wiederholt werden. Eine italienische Oper »Orpheus und Euridice« für das neue Theater Gallinis kam, obwol fast vollendet, nicht zur Aufführung, weil demselben die Eröffnung der Bühne nicht erlaubt ward. Sie hat Stücke, die dem Besten ebenbürtig sind, was Haydn geschrieben hat. Doch ist das Ganze nach dem herkömmlichen italienischen Zuschnitt einzelner Gesangsstücke. Ganz anders entfaltete sich aber jetzt Haydns Genius auf seinem eigensten Gebiete, und was heute außer den Quartetten an Instrumentalmusik von ihm noch lebt, ist meist hier in London entstanden. Vor altem die 12 » Londoner Symphonien«. Sie bekunden denn auch auf das deutlichste die Erweiterung des Gesichtskreises und der Phantasie, die Vertiefung des Geisteslebens und zugleich die reiche und sichere Verwendung der Instrumente, die Haydn direct neben Mozart und Beethoven stellt. Er hatte hier aber auch ein Orchester zu Gebote, wie es damals kein zweites an Stärke und Tüchtigkeit in der Welt gab, und zugleich die Aufgabe, einer großen, wenngleich nicht eigentlich musikalischen, doch immer persönlich erweckten und gesund kräftigen Zuhörerschaft künstlerische Eindrücke zu bereiten, die Geist und Herz »packen«. Ja Haydn ist es, der in London, wo die ernste Gesangmusik seit Händel so hoch galt wie kaum irgendwo, auch beim großen Publikum zuerst Sinn für die reine Instrumentalmusik erzeugt hat, und dies für ihre ernste wie für ihre, den Engländern leichter zugängliche humoristische Weise. Den eigentlichen Freunden und Kennern der Musik aber boten seine Quartette was sie suchten, und auch von ihnen sind die besten in und für London geschrieben.

Ende Mai erlebte Haydn die seit 1784 alljährlich wiederholte große Händel-Feier in der Westminsterabtei von mehr als 1000 Mitwirkenden. Schon der äußere Anblick war großartig und feierlich zugleich. Aber vor allem konnte sich hier Händels Muse nach ihrer vollen Majestät entfalten. Es kamen über 20 größere und kleinere Werke zur Aufführung und in ihrem Vortrage waltete ja noch des Meisters gewaltige persönliche Ueberlieferung. Als die Tonwogen des weltberühmten Hallelujahs daher brausten und die Tausende da, der König an der Spitze, sich erhoben, blieb wol kein Auge trocken. Auch Haydn, der nahe der königlichen Loge stand, weinte wie ein Kind. »Er ist der Meister von uns Allen,« rief er überwältigt aus. Die Erhabenheit des allumfassend Ewigen hat sein eigenes Schaffen niemals erreicht, er war sozusagen aus der Kirche ins Leben entlassen und hat den Weg zu ihrem erhabenen Ernst nie wiedergefunden. Allein der Sinn des Religiösen, die ächte Frömmigkeit des Herzens lebte in Haydn ebenfalls lebendig wirkend und hat seinen Gebilden jenen Hauch lebendiger Schöpfung gegeben, der in ihnen die »Ebenbilder Gottes« auch innerhalb der Musik schuf. Die tiefe Unschuld seiner Geschöpfe und der oft wahrhaft rührend ergreifende schöne Ernst in manchem dieser Gesichter stammen aus dem gleichen Quell wie Handels mächtige Erhabenheit. Seine »Schöpfung« sollte die Welt hierüber bald noch mehr aufklären. Sie verdankt ebenfalls dem Londoner Aufenthalte ihre Entstehung, und mancher breiter angelegte Chorsatz erinnert zugleich daran, daß Haydn jetzt auch diesen Händel ganz und so recht von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte: er ward ihm, was für Mozart und Beethoven S. Bach wurde, den Haydn noch so gut wie gar nicht gekannt hat.

Eine besondere Auszeichnung erfuhr Haydn, nachdem nun die Saison glänzend für ihn beendet war, am 8. Juli 1791: er ward von der Universität Oxford zum Doctor der Musik ernannt. Als er darauf im schwarzseidenen Doctormantel mit viereckiger Mütze bekleidet beim Eintritt in das letzte Festconcert stürmisch empfangen wurde, ergriff er den Saum des Mantels und hielt ihn mit einem lauten » I thank you!« in die Höhe, welcher deutliche Ausdruck des Dankes allgemeines Beifallklatschen hervorrief. Diese Ehrung diente für England dazu, ihn nur noch berühmter zu machen. Um so sicherer konnte Salomon bereits im August ankundigen, daß sie ihre Concerte nach demselben Plane, der ihnen im Winter soviel Erfolg verschafft hatte, fortsetzen würden.

Unterdessen langte ganz unerwartet eine Zurückberufung Haydns nach Esterhaz an: er solle für eine Festlichkeit des fürstlichen Hofes die Oper schreiben. Er konnte natürlich nicht gehorchen, da er sich völlig vertragsmäßig gebunden hatte, und mußte sich so dem fürstlichen Zorn wie der Dienstentlassung aussetzen. Der Fürst war denn auch sehr ungehalten, hatte aber bei seiner Rückkehr doch nur den Vorwurf: »Haydn, Sie hätten mir 40,000 Thaler ersparen können.«

»Ich erwarte nun leider meine Entlassung, hoffe aber, daß mir Gott die Gnade geben wird, durch meinen Fleiß diesen Schaden in etwas zu ersetzen,« schrieb er am 17. September 1791 an Frau von Genzinger, und dieser Fleiß wurde ihm um so mehr erleichtert, als er den Sommer über auf einem Landgut in einer der schönsten Gegenden bei einer Familie wohnte, deren Herz, wie er schreibt, dem von Genzingerischen Hause glich. Was galt nicht ihm, dem so sehr an die Natur Gewöhnten, ein solcher Landaufenthalt schon allein! »Ich bin, Gott sei ewig gedankt, bis auf die gewöhnlichen rheumatischen Zustände gesund, arbeite fleißig und gedenke jeden Morgen, wenn ich allein mit meiner englischen Grammatik in den Wald spaziere, an meinen Schöpfer, an meine Familie und an alle meine hinterlassenen Freunde,« schreibt er aus dieser »Clausur« heraus, die ihm jedoch, wie wir sehen, den schönsten äußeren und inneren Frieden gewährte. Und dann das Bewußtsein frei zu sein. »O meine liebe gnädige Frau, wie süß schmeckt doch eine gewisse Freiheit!« schreibt er. »Nun habe ich sie einigermaßen. Ich erkenne auch die Wohlthat derselben, ungeachtet mein Geist mit mehr Arbeit beschwert ist. Das Bewußtsein kein gebundener Diener mehr zu sein, vergütet alle Mühe.« Hier erlebte er denn auch eine drastische Bestätigung des Glückes, das er »aus dem Nichts« sich selbst geschaffen. Sein Hausherr, ein reicher Bankier, wurde von seinen vertraulichen Erzählungen über die harten Tage seiner Jugend so ergriffen, daß er »einstens fluchte, daß es ihm zu gut auf dieser Welt ginge«. Jetzt erst sehe er, daß er nicht glücklich sei: »ich kenne nur den Ueberfluß und davor ekelt mir,« rief er aus und begehrte Pistolen, um sich zu erschießen, was jedoch, gewiß zu Haydns besonderem Troste unterblieb.

Nach London zurückgekehrt, hatte er bewegten Tagen entgegenzugehen. Denn die Fachmusiker spannten alle Segel auf, um die Salomonconcerte zu überflügeln, und ihre öffentlichen Angriffe wirkten denn auch soweit, daß Haydn selbst von Wien aus Anfragen über seine wirklichen »Umstände« erhielt. Sogar Mozart sollte diesen Gerüchten geglaubt und ihn selbst »sehr herabgesetzt« haben. »Ich kann es nicht glauben,« schreibt Haydn einfach und verweist ihn auf den Bankier Grafen Fries, bei dem allein er 500 Pfund angelegt habe. »Daß ich auch in London eine Menge Neider habe, ist ganz gewiß, die meisten davon sind Wälsche, allein sie können mir nicht nahe kommen, weil mein Credit bei dem Volk schon vor vielen Jahren festgesetzt war,« fügt er hinzu, und dann nach seiner zuversichtlichen Empfindung: »Der Obere ist meine Stütze!«

Die Professionisten versuchten nun zunächst wiederholt, durch höhere Anerbietungen ihn für sich selbst zu gewinnen, allein er wollte den Unternehmern, die so große Auslagen hatten, nicht wortbrüchig werden noch »durch schmutzige Gewinnsucht« schaden. So kam man denn weiter auf seine Jahre und die angebliche Geistesschwäche zurück und kündigte an, daß man seinen Schüler Pleyel gewonnen habe. Dieser, ein nächster Landsmann Haydns, war damals 34 Jahre alt, also 25 jünger als er. Von seinem Talente hatte sogar Mozart eine günstige Vorstellung. »Wenn Sie dieselben noch nicht kennen, so suchen Sie sie zu bekommen, es ist der Mühe werth,« schrieb er 1784 von neuen Quartetten Pleyels an seinen Vater. »Sie werden auch sogleich seinen Meister herauskennen. Gut und glücklich für die Musik, wenn Pleyel seinerzeit im Stande ist, uns Haydn zu ersetzen.« Derselbe war denn auch wol ohne Zweifel ganz arglos auf die Einladung nach London eingegangen und erschien nun wirklich zur Saisonzeit von 1792.

Derweilen war Haydn zwei Tage beim Herzog von York gewesen, der eben damals die 17jährige Prinzessin Ulrike von Preußen, Tochter des Königs Friedrich Wilhelm II. geheirathet hatte. Schon 1787 hatte ihr musikliebender Vater ihm für sechs neue Quartette mit einem sehr gnädigen Schreiben einen Ring gesandt, den er als einen Talisman gern trug. »Sie ist die liebenswürdigste Dame von der Welt, besitzt sehr viel Verstand, spielt Clavier und singt sehr artig,« schreibt dem entsprechend Haydn. »Die liebe Kleine saß neben mir und humste alle Stücke auswendig mit, weil sie dieselben so oft in Berlin hörte. Des Herzogs Bruder, der Prinz von Wales spielte das Cello so ziemlich gut mit. Er liebt die Musik außerordentlich, hat sehr viel Gefühl, aber wenig Geld. Mich vergnügt aber mehr seine Güte als das Interesse,« schließt er in diesem Bericht. Er ließ denn auch Haydn für sein Cabinet malen.

Persönliche Auszeichnungen ähnlicher Art empfing derselbe noch sehr viele. Ein Herr Schaw ließ über eine Tabaksdose, die Haydn ihm geschenkt hatte, einen »Sarg von Silber« machen und darauf schreiben: »Geschenk des berühmten J. Haydn«. Seine bildschöne Frau – »die Mistreß ist das schönste Weib, das ich jemals gesehen,« schreibt Haydn in sein Tagebuch, – ließ gar seinen Namen in Gold auf Bänder sticken, davon eines er selbst noch in späten Jahren aufbewahrte. In diesen Tagen empfing er unter bittern Thränen die Nachricht von Mozarts Tode. »Mozart starb den 5. December 1791«, schreibt er einfach in sein Tagebuch. Das schöne Wort gegen seine geliebte Freundin in Wien aber, die ihm Mozarts »Meisterstücke« so oft gespielt hatte, kennen wir. Ebenso äußerte er später wiederholt zu Griesinger: »Mozarts Verlust ist unersetzlich, sein Spiel vergesse ich in meinem Leben nicht, das ging ans Herz!« Und noch im Jahre 1807 sagte er gegen andere Musikfreunde mit Thränen im Auge: »Verzeihen Sie mir – ich muß immer weinen, beim Namen meines Mozarts.« Gerade die jetzige eigene Ehrung mußte ihm den Glanz dieses Genius und das Dunkel seines äußeren Daseins in diesen letzten Jahren seines Lebens in einen um so tiefer empfundenen Gegensatz stellen. Und jetzt galt es nur um so mehr, die Ehre deutscher Kunst zu wahren. Er selbst war jetzt sozusagen ihr Allvertreter. In den gleichen Tagen nun kommt Pleyel an. »Es wird also einen blutigen harmonischen Krieg absetzen, zwischen Meister und Schüler,« schreibt Haydn. Allein sie sind im Gegentheil schon andern Tags beieinander. »Pleyel zeigte sich bei seiner Ankunft gegen mich so bescheiden, daß er neuerdings meine Liebe gewonnen, wir sind sehr oft zusammen und das macht ihm Ehre und er weiß seinen Vater zu schätzen, wir werden unsern Ruhm gleich theilen und jeder vergnügt nach Hause gehen,« sagt er selbst weiter. Er hätte aber auch seine österreichische Heimath verläugnen müssen, würde er gegen den »Papa« anders gehandelt haben.

Eine der Zeitungen freilich verstand die Situation richtig. »Haydn und Pleyel sind diese Saison aufeinander gehetzt und beide Parteien sind heftige Gegner, doch da beide Componisten ersten Ranges sind, so werden sie wol die kleinliche Meinung ihrer respectiven Bewunderer nicht theilen,« schreibt der Public Advertiser. Und so kam es auch, jedoch nicht ohne vorherige bittere Erlebnisse für beide Männer. Denn es mischte sich zuviel persönliche Gehässigkeit Anderer ein. Die Professionisten kündigten zwölf neue Compositionen Pleyels an. »Um also Wort zu halten und den armen Salomon zu unterstützen, muß ich das Opfer sein und stets arbeiten,« schreibt zu Anfang 1792 Haydn nach Wien. »Ich fühle es aber auch in der That, meine Augen leiden am meisten, mein Geist ist in der That müde, nur der Beistand des Himmels kann das ersetzen, was meinen Kräften mangelt. Ich bitte Ihn täglich darum, denn ohne Seinen Beistand bin ich ein armer Tropf!« Dabei war er die besten Tagesstunden über durch Besuche und Privatmusiken in Anspruch genommen. »Ich schrieb zeitlebens in Einem Jahre nicht soviel als im verflossenen,« sagt er trotzdem und seine Arbeiten zeigen die köstliche Jugendfrische der früheren bei ungleich tieferem Gehalt und reicherer Gestaltung. Dabei fand er doch noch Zeit, Dutzende von schottischen Liedern zu bearbeiten und sagt stolz: »Ich rühme mich dieser Arbeit und schmeichle mir dadurch noch viele Jahre nach meinem Tode zu leben.« Sie gefielen aber auch ganz außerordentlich und die Verleger wandten sich eben deßhalb später auch an Beethoven.

Die Professional-Concerte waren auch diesmal wieder voraus, blieben jedoch von feinem Tact gegen ihren Gegner, von dem sie sogleich zu Beginn eine Symphonie brachten und den sie auch wieder persönlich eingeladen hatten. »Man kritisirt sehr Pleyels Kühnheit, unterdessen liebe ich ihn dennoch, ich bin jederzeit in seinem Concert und bin der erste, der ihm applaudirt,« schreibt Haydn selbst nach Wien. Ebenso nahm er auch in sein erstes Concert eine Symphonie Pleyels auf. Seine eigene neue Symphonie aber machte, trotzdem er selbst das Finale für zu schwach hielt, »den tiefsten Eindruck auf die Hörer,« das Adagio mußte sogar wiederholt werden und das ganze Werk kam im 8. und 18. Concert »auf Verlangen« wieder vor. Für das zweite Concert hatte Haydn einen Chor »der Sturm« geschrieben, es war das Erste, was er auf englischen Text componirte, und gefiel sogleich außerordentlich, weil es die mächtigsten Eigenschaften seiner Kunst, Kraft und Milde zu vereinigen gewußt hatte. Er hatte sich damit, wie er selbst schreibt, »vielen Credit in der Singmusik bei den Engländern erworben«, und dies sollte noch seine entscheidenden Folgen haben.

Im 6. Concert, am 23. März 1792, erschien nun die Symphonie »mit dem Paukenschlag«. Haydn erzählt darüber: »Es war mir nur daran gelegen, das Publicum durch etwas Neues zu überraschen. Das erste Allegro wurde schon mit unzähligen Bravos aufgenommen, aber der Enthusiasmus erreichte bei dem Andante den höchsten Grad. ›Noch einmal! noch einmal!‹ schallte es von allen Seiten und Pleyel selbst machte mir über meinen Einfall ein Compliment.« Allein Gyrowetz hatte ihn gerade nach dessen Vollendung besucht und es auch sogleich auf dem Clavier zu hören bekommen. »Da werden die Weiber aufspringen!« rief seines Erfolges gewiß Haydn bei dem Paukenschlage schelmisch lächelnd aus. Dies erinnert denn doch an die landläufige Erzählung von der Entstehungsursache des Werkes, daß nämlich die Mylords und Ladies in den Concerten, die sogleich nach dem späten Diner der Engländer stattfanden, manchmal einzulullen pflegten und Haydn sie so auf seine humoristische Weise zu wecken gedachte. Die Engländer nannten die Symphonie The surprise (die Ueberraschung) und sie ist unter den zwölfen bis auf den heutigen Tag ihr Liebling geblieben.

Wie tief aber überhaupt der Eindruck von Haydns Musik auf die englischen Hörer war und wie sehr es scheint, als habe dieselbe erst den inneren Genius der Musik, ihren geheimnißvollen Zusammenhang mit einem ewigen Sein dem britischen Volksgemüthe ahnungsreich erschlossen, beweist eine seltsame Nachricht aus Haydns Tagebuche. Ein Geistlicher versank beim Anhören des Andantes einer Symphonie von ihm in die tiefste Melancholie, weil ihm nachts zuvor von demselben geträumt hatte und zwar mit der Vorstellung, daß das Stück ihm den Tod ankündige. Er verließ augenblicklich die Gesellschaft und legte sich zu Bette. »Heute den 25. April erfuhr ich, daß dieser evangelische Geistliche gestorben sei,« schreibt Haydn dazu. Es sind die Anfänge der Enthüllungen des tiefsten Gefühls und persönlichen Seelenbestandes, was sich in Haydns Musik ausspricht, und sie machen sozusagen den letzten Haft unserer individuellen Existenz aus. Daraus allein erklärt sich die unwiderstehliche und unermessene Wirkung der Musik. Sie ist das Abbild des ewigen Seins selbst, während die übrigen Künste nur Abbild seiner Erscheinungen sind: ihre Wirkung ist so sehr viel mächtiger und eindringlicher als die der anderen Künste, weil diese nur vom Schatten, sie aber vom Wesen der Dinge redet, sagt der Philosoph. Und ein Volk, das so hervorragende metaphysische und tragische Anlagen hat wie die Engländer, mußte hier, von diesem einfachen aber tief sinnigen deutschen Haydn mit seinen Symphonien geradezu ins Herz seiner Existenz getroffen werden. Wie hätten sie also auch irgend einem Lebenden von damals die Palme über ihn zuerkennen mögen! War er doch selbst bereits von dem tiefer liegenden Genius dieser Nation ergriffen und in Gebiete des Geistes geführt worden, wohin sonst sein Wesen nicht reichte. Jede seiner Compositionen für London und aus der Zeit darauf zeigt dies und gar manche Aeußerung von ihm selbst beweist die ernstliche Achtung vor seinem Publicum in England. »Mir war die Partitur um so viel angenehmer, weil ich vieles davon für die Engländer abändern muß,« schreibt er, als ihm im März des Jahres 1792 aus Wien endlich seine längst gewünschte Esdur-Symphonie nachgesandt worden war. Und man darf bei all diesen Begebnissen nicht vergessen, daß Händel seine Oratorien in und für England geschrieben hat und sogar Beethovens Neunte die »Sinfonie für London« war.

Im Mai 1792 hat Haydn ein Benefice-Concert mit zwei neuen Symphonien, und dieses wie die letzten Concerte sämmtlich finden soviel Zuspruch, daß Salomon dem Publicum noch ein Extraconcert mit denjenigen Compositionen bieten darf, die in der Saison am meisten angesprochen haben. »So schloß Salomon die Saison mit dem größten Eclat,« sagt der Morning Herald und Pohl fügt einfach und treffend hinzu: »Haydn aber stand in vollem Glanze da, geliebt, geachtet und überall gesucht. Sein Name war die Stütze jedes Concertgebers, Maler und Kupferstecher verewigten ihre Kunst durch sein Bild.« Ein solches höchst charakteristisches Portrait im Profil von G. Dance ist der englischen Ausgabe der »Musikerbriefe« von 1867 beigegeben, es bestätigt das obenangegebene Bild seiner Erscheinung in jedem Zuge.

Vor der Abreise hatte er noch einen Eindruck, der ihn so recht kennzeichnet und die Quelle andeutet, aus der bei ihm im letzten Grunde alle Musik floß: er hörte in der alljährlichen Versammlung der Armenschulen in der Paulskirche viertausend Kinder ein einfaches Lied singen. »Keine Musik rührte mich zeitlebens so heftig als diese andachtsvolle und unschuldige,« steht in seinem Tagebuche, und er fügt noch bekräftigend hinzu: »Ich stand und weinte wie ein Kind.«

Bei diesem Eindruck war übrigens unbewußt ein lebhafteres Gedenken der eigenen Heimat mitwirkend, der er nun so lange Zeit fern war und deren Bild in unserem Herzen niemals stärker erwacht, als wenn wir die kleinen Geschöpfe sehen, die so recht eigentlich der lebendige Genius von Haus und Heim sind. Er gibt selbst als Hauptgrund der Rückkehr an, daß er die vaterländische Luft zu genießen gewünscht habe, und hatte schon im Dezember 1791 geschrieben, in London sein Leben zuzubringen, sei er nicht im Stande und wenn er Millionen zu verdienen wüßte. Der große Eindruck jener Feier selbst ist jedoch auch von anderen Künstlern bezeugt. Im Jahre 1837 wohnten ihr Berlioz, der Geiger Duprez und John Cramer bei. »Niemals habe ich Duprez in einem ähnlichen Zustande gesehen,« erzählt Berlioz, »er stammelte, weinte, phantasirte.« Und wie er selbst, der sich, um das Ganze besser übersehen zu können, im Chorhemde unter die begleitenden Baßsänger gestellt hatte, bei diesem Gewoge von Kindern und Kinderstimmen mehr als einmal »gleich Agamemnon mit seiner Toga« sich das Gesicht mit dem Notenhefte bedecken mußte, so rief ihm Duprez beim Herausgehen, und zwar in der Verwirrung des Augenblicks italienisch statt französisch sprechend, voll Entzücken die Worte zu: »Erstaunlich, erstaunlich! Der Ruhm Englands.«

Dieses letztere mochte auch Haydn denken, der die Nation ja gerade von dieser Seite des Gemüthslebens ergriffen und selbst wieder im Herzen berührt hatte. Es war der letzte große Eindruck in der »unendlich großen Stadt London« und er faßte gleichsam in Haydns eigenem Innern zusammen, was er derselben gegeben hatte und selbst verdankte. Das allgemein Menschliche war ihm hier zuerst auch im großen Rahmen und in allumspannender Oeffentlichkeit entgegengetreten und hatte seine eigene, an sich mehr bloß bürgerlich umfangene Natur zu größerem Umfassen geweitet, ohne irgend ihr selbst Gewalt anzuthun. Ja er hatte die volle Macht des englischen Gemüths auch in dem Verhältnisse der persönlichen Zuneigung erfahren, die jene »schöne und liebenswürdige« Mistreß Schröter zu ihm und seinen »süßen« Compositionen gefaßt hatte, – eine Zuneigung, die sie selbst als »eine der höchsten Segnungen ihres Lebens« betrachtete und die sie mit der »unzerreißbarsten Anhänglichkeit« an ihn fesselte. »Mein Herz war und ist voll Zärtlichkeit für Sie, doch keine Sprache kann nur halb die Liebe und Zuneigung ausdrücken, die ich für Sie fühle. Sie sind mir mit jedem Tage meines Lebens theurer,« lautet es ein anderes Mal. Und daß es eben der tiefere Grund und Bestand seines eigentlichen Wesens war, was in der schon bejahrten Frau eine solche fast leidenschaftvolle Zuneigung erzeugte, sagen die Worte: »Wahrhaftig, mein Theuerster, keine Zunge vermag den Dank auszudrücken, den ich für den unbegrenzten Genuß fühle, welchen Ihre Musik mir verschafft.« Dies machte für Haydn solch liebende Verehrung noch ungleich schöner: er war damit in der That ganz persönlich gemeint.

So waren innere Genugthuung und dankbare Freude die Empfindungen, die ihn in dem Augenblicke des Abschiedes beseelten. Aeußerlich wie innerlich bereichert, kehrte er im Juli 1792 nach Wien zurück, um nicht zwei Jahre später – abermals an der Themse zu sein.

 


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