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2. Beim Fürsten Esterhazy.

(1754–81)

»Seine Stunden verflossen mit Unterrichtgeben und mit Studiren. Alles mußte auf die Tonkunst Bezug haben, darum kam um diese Zeit nie ein anderes Buch in seine Hände. Die einzigen Werke Metastasios machten davon eine Ausnahme. Und auch dies läßt sich keine Ausnahme nennen, da Metastasio immer für die Musik dichtete und folglich einem Capellmeister, der gesinnt war, einst seine Kräfte an einer Oper zu versuchen, bekannt sein mußte,« so sagt Dies. Und weiter hören wir von Haydn selbst, daß ein italienischer Sänger und Operncomponist sein letztentscheidender Lehrer, der Lehrer des Generalbasses war. Er habe viel componirt, doch nicht ganz »gegründet« d. h. correct und solide, bis er endlich das Glück gehabt habe, von dem berühmten Herrn Porpora die »ersten Fundamente der Setzkunst« zu erlernen, sagt er.

Der Neapolitaner Nicolo Porpora, der »Patriarch der Melodie«, war von 1753-57 in Wien. Er gehörte jener ersten italienischen Opernschule an, die fast ganz Europa beherrschte. Der Reiz des Melodischen waltete hier vor und damit die Gesangskunst. Diese aber war damals zu ihrer höchsten Höhe gestiegen. Geschmeidige Melodieführung blieb daher stets die Hauptsache. Aber auch Durchsichtigkeit des allerdings noch sehr einfachen harmonischen Gewebes war ein Vorzug dieser Schule. Haydn ward der Clavierbegleiter, als Porpora der zehnjährigen Martines und der Geliebten eines Gesandten Gesangunterricht gab, und erhielt zur Entschädigung den Compositionsunterricht des heftigen und übermüthigen alten Maestro. »Esel, Landstreicher, Dummkopf« wechselte mit Rippenstößen gegen den allerdings nicht gerade beweglich anstelligen »Tedesco«. Ja drei Monate hindurch hatte derselbe sogar Bedientenstelle zu vertreten und dem Meister die Schuhe zu putzen. Allein: »ich profitirte im Gesang, in der Composition und in der italienischen Sprache sehr viel,« sagt der bescheidene Handwerkersohn, der seine Kunst über alles liebte, einfach und alles ausgleichend selbst. Und in der That, mit der deutschen Instrumentalmusik vor ihm, sogar mit Ph. E. Bachs Sonaten verglichen, zeigt Haydns Styl sogleich sowohl die Ausmerzung des Tüdesken, dessen uns die Romanen von je anklagten, wie die feinere Phrasirung der Melodie und eine Klarheit der Harmonie, die dem Ganzen zugleich den Reiz des Schönen verleihen, wo die Kunst Ph. E. Bachs bei dem Geistreichen und Charakteristischen stehen bleibt. Auch schränkt er die Verschnörkelung ein und es ist bei ihm überhaupt ein gewisser Sinn für die reine Linie und vor allem für die Eurhythmie des Aufbaues zu erkennen, der an sich dem Deutschen selten eigen ist und doch einen wesentlichen Vorzug gerade der modernen deutschen Instrumentalcomponisten ausmacht.

Haydns erste größere Werke waren aber auch ebenfalls italienische Opern, die er sogar selbst durchaus schätzte und die auch sehr gefielen, und nur ein tiefes inneres Gefühl für seinen entscheidenden Beruf und der glückliche Zufall, der ihm gestattete, dasselbe rechtzeitig dauernd zu befriedigen, bewahrten ihn vor einer Bahn, die ihm allerdings rasch Ruf und Glück begründet haben möchte, aber nicht den unsterblichen Ruhm gebracht hätte, der dem »Vater der Symphonie« ums Haupt gewoben ist. Widerstand er doch sogar Glucks, des damals schon berühmten Operncomponisten, Aufforderung zu einer Reise nach Italien! Sonst erfährt man, wie dabei zugleich bemerkt sei, nicht viel von einer näheren Verbindung dieser beiden Künstler. Naturanlage, Charakter und die Ziele des Bestrebens lagen bei ihnen gar zu weit auseinander.

Umsomehr vertiefte sich Haydn jetzt in ernste Studien theoretischer Natur: 16-18 Stunden täglicher Arbeit waren die Regel, zwei Drittel davon jedoch dem Bedürfniß der Subsistenz gewidmet. Matthesons »Vollkommener Kapellmeister« und des Wiener Hofcapellmeisters Fux Gradus ad Parnassum bildeten hier seine Schule. »Mit unermüdeter Anstrengung suchte sich Haydn Fuxens Theorie verständlich zu machen,« sagt der Legationsrath Griesinger, der von 1800 an viel in seiner Nähe war und 1810 ebenfalls »Biographische Notizen« über ihn veröffentlicht hat. »Er arbeitete die Aufgaben aus, ließ sie einige Wochen liegen, übersah sie dann wieder und feilte so lange daran, bis er es getroffen zu haben glaubte.« Haydn nannte dieses Werk geradezu »classisch« und bewahrte ein stark abgenütztes Exemplar bis zu seinem Ende. Ebenso fand sich Matthesons Buch »ganz zerfetzt« in seinem Nachlasse vor. Seinem Wissen als Componist steckte dies freilich nicht weitere Grenzen, allein er schätzte die Methode und hat darnach früh und spät manchen Schüler gebildet, und unter diesen Schülern befand sich ja ein – Beethoven.

»Er versah einige Zeit in einer Vorstadtkirche Organistendienst, schrieb Quartetten und andere Stücke, die ihm immer mehr die Gunst der Liebhaber gewannen, sodaß er als ein Genie überall bekannt wurde,« sagt Dies. Eine solche Bekanntschaft war der Regierungsrath von Fürnberg, – »von welchem ich besondere Gnade genoß,« sagt Haydn selbst, – und er, der in seinem Landaufenthalt Weinzierl eine Kammermusik, bestehend aus dem Pfarrer des Orts, seinem Verwalter, Haydn und einem Cellisten hatte und ihm auch schon einige Trios verdankte, forderte ihn eines Tages auch zur Composition für ihr Streichquartett auf. So lenkte ein »ganz zufälliger Umstand« seinen erfinderischen Geist auf das Sondergebiet, das die wundervollsten Früchte der Kammermusik hervorbringen sollte, auf das Streichquartett. Das war in den 1750er Jahren.

Für vier Streichinstrumente hatte schon mancher geschrieben. Aber Haydn stellte hier sogleich eben jene mehrsätzige organische Form her, die er von der Sonate kannte und gab kraft seines gründlichen harmonischen Wissens den bisher blos skizzenhaft angedeuteten anderen Stimmen ebenfalls mehr selbständigen melodischen Gehalt, sodaß ihr Gang den Spieler wie den Hörer schon an sich fesselte. Man hatte damit sozusagen eine Scene von vier miteinander agirenden Individualitäten vor sich, die ein völliges concretes Lebensbild abspielen, – eine künstlerische Aufgabe, die den Mann des musikalischen Handwerks wie den Geist des Künstlers und Dichters zugleich und in noch viel höherem Grade in Anspruch nehmen als die einfache Claviersonate. Daher die Erfindung des Streichquartetts für die Musik geradezu epochemachend ward.

Sogleich das erste Quartett (Bdur 6/8) fand denn auch solchen Beifall und regte Haydn selbst so lebhaft an, daß er in kurzer Zeit achtzehn Werke dieser Art schuf. Dennoch erzählt ein Ohrenzeuge dieser ersten Productionen, ein preußischer Major, der im siebenjährigen Kriege in österreichische Gefangenschaft gerathen war, dem bis zur Aengstlichkeit bescheidenen Manne sei, obgleich alles von seinen Compositionen entzückt war, nicht beizubringen gewesen, daß seine Arbeiten werth seien bekannt zu werden. Ja noch 20 Jahre später schaut er an dem, damals allerdings in der ganzen Welt berühmten Hasse als einem »großen Tonkünstler« herauf und will eine Aeußerung »mit unverdienten Lobsprüchen« über sein Stabat mater »zeitlebens wie Gold aufbehalten«, und zwar »nicht des Inhalts sondern eines so würdigen Mannes wegen.« Wer kennt heute Hasse, und wer, der sich überhaupt um Musik bekümmert, kännte wol Joseph Haydn und seine Quartette nicht? Und doch hatte der englische Musikforscher Burney schon 1772 sogar bei Gluck solche spielen gehört!

Zu jener regeren Compositionsthätigkeit aber trug viel bei, daß er jetzt in eine bessere materielle Lage gekommen war: er war durch Fürnberg musikalischer »Directeur« eines musikliebenden Grafen geworden. Die ersten Quartette selbst athmen denn auch schon die volle frohmüthige Laune dieses kindlichen Gemüths, und wenngleich anfangs mancher über Entwürdigung der Musik zu Getändel schrie und dem Componisten ernstes Streben absprach, so trat diesmal der Erfolg selbst für den Schöpfer der Gattung ein, und gar mancher ernstere und innige Zug der Werke selbst gemahnt auch bereits an die schönen Stunden, die noch heute ein Quartettabend mit Haydn gewährt.

Jener Graf, der um 1759 Haydn als seinen Dirigenten anstellte, – und ein solcher hatte ja damals zugleich Componist zu sein, – war der böhmische Grande Franz von Morzin, und bei ihm, der winters in Wien sommers auf seinem Gute Lukavez lebte und hier eine Capelle hielt, hat Haydn denn seine erste Symphonie geschrieben. Auch »Symphonien« gab es längst vor Haydn. Ursprünglich hieß alle mehrstimmige Musik so, dann waren es Gesangstücke mit Instrumentalbegleitung, vom 17. Jahrhundert an aber Instrumentalstücke allein. Besonders hieß die Instrumentaleinleitung der italienischen Oper Sinfonia. Diese bestand regelmäßig aus Allegro, Adagio und wieder Allegro. An der Hand der Sonatenform bildete aber Haydn nun wie beim Quartett auch diese drei Sätze selbständiger und reicher aus und nahm zugleich den Menuet dazu, sodaß die Viersätzigkeit Regel ward. Speciell für die Symphonie bestand dann Haydns Fortschritt in der Befreiung und Belebung der einzelnen Instrumente und vor allem in ihrer geschickten Mischung und der dynamischen Steigerung ihres Zusammenspiels, und hier hatte er Vorbilder in den Componisten der Mannheimer Schule, die später auch Mozart so sehr bewundern sollte.

Haydns erste Symphonie (Ddur) zeigt sofort die klare Disposition seiner Werke auch in solchem größeren Orchesterspiel. Wie er dieses weiter bildete, werden wir bald erkennen. Die Stelle bei Morzin selbst, in Besoldung ausreichend, wäre wol überhaupt die Quelle vielen Schaffens geworden, denn der Graf und sein junger Sohn waren »leidenschaftliche Liebhaber der Tonkunst«. Allein die Bedingung lautete: »Unverheirathet!« Und doch war Haydn jetzt 27 Jahre alt und es sollte eben damals auch durch einen Zufall, der uns zugleich die Unschuld seiner Jugend enthüllt, der Zauber des anderen Geschlechts in seinen Empfindungskreis treten. In späteren Jahren erzählte er nämlich selbst noch gern davon, wie einst, als er der schönen jungen Gräfin zum Gesang begleitete, sie sich, um besser sehen zu können, über ihn beugte und wie dabei das Busentuch auseinandergefallen sei. »Es war das erste Mal, daß mir ein solcher Anblick ward, er verwirrte mich, mein Spiel stockte und die Finger blieben auf den Tasten ruhen,« sagte er selbst zu Griesinger. »Was ist das Haydn?« rief die Gräfin, »was treibt Er da?« Voll Ehrerbietung entgegnete Haydn: »Aber gräfliche Gnaden, wer sollte auch hier nicht aus der Fassung kommen?«

Die Folgen solcher unerwarteten Neuerfahrung sollten denn auch nicht lange ausbleiben.

Im Herbst 1760 war Haydn wieder bei seinen Schülern in Wien. Es gehörten dazu zwei Töchter eines Perrückenmachers Keller in der Ungargasse, der Haydn früher öfters unterstützt hatte. Die jüngere Tochter gefiel ihm bald so sehr, daß er trotz des gräflichen Verbotes, das bei dem »feurigen jungen Manne« im Gegentheil nur einen »desto stärkeren Reiz« hervorbrachte, beschloß, sich mit ihr zu verheirathen. Doch zu seinem Schmerze zog sie selbst vor in ein Kloster zu gehen. »Haydn, Sie sollten meine älteste Tochter heirathen!« sagte darauf einmal scherzend der Vater, dem der tüchtige und begabte junge »Directeur« offenbar besonders behagte, und Haydn – that es. War's Dankbarkeit, war's Unkenntniß und Unbehilflichkeit in Lebensdingen oder der Wunsch, bald zu einer Frau zu kommen, – er heirathete ohne oder gar gegen seine Neigung und hat es schwer zu büßen gehabt. Wir fassen hier sogleich alles Entscheidende dieser Sache zusammen.

Schon daß die Frau älter war als Haydn, machte das Verhältniß mißlich. Allein Dies nennt sie obendrein eine »gebieterische und eifersüchtige Frau, die keiner Ueberlegung fähig war und den Namen einer Verschwenderin verdiente.« Ja die Züge der Zanksucht und herzlosen Behandlung ihres Mannes lassen uns eine volle Xantippe erkennen. Zudem war sie entgegengesetzt der einfachen ächten Herzensfrömmigkeit Haydns höchst bigott und prunkgläubig. Nur ein Charakter wie der seinige vermochte denn auch eine solche traurige, obendrein kinderlose Ehe zu ertragen. »Wir gewannen uns lieb, dessenungeachtet entdeckte ich bald, daß meine Frau viel Leichtsinn besaß,« sagte er selbst milde bescheiden zu Dies. Allein Griesinger erfuhr ebenfalls von ihm selbst, daß er ihr wegen ihrer Putzsucht seine Einkünfte sorgfältig verbergen mußte. Auch lud sie die geistlichen Herren gern zu Tische, ließ viel Messen lesen und gab mehr milde Beiträge, als ihre Lage gestattete. So mögen auch wohl manche der Messen und kleineren Kirchenstücke Haydns, besonders die in österreichischen Klöstern verbreiteten, darauf zurückzuführen sein, daß sie durch ihres Mannes Talent sich gefällig erzeigen wollte, wobei er natürlich nicht sein Besseres gab, sondern im landläufigen Styl verharrte. Als daher Griesinger sich einst bei ihm erkundigte, ob nicht eine Gefälligkeit, für welche er selbst nichts annehmen wollte, seiner Frau erstattet werden könne, antwortete er resolut: » Die verdients nicht, und ihr ist es gleichgiltig, ob ihr Mann ein Schuster oder ein Künstler ist.« Sie war aber auch geradezu boshaft und suchte absichtlich ihren Mann zu ärgern, verwendete z. B. seine Noten zu Papilotten und Pasteten-Unterlagen, wodurch manche ältere Partitur verloren gegangen sein mag. Als sie aber eines Tages sich beklagte, daß nicht einmal soviel Geld im Hause sei, um ihn, wenn er unerwartet sterbe, begraben zu lassen, verwies Haydn sie auf eine Reihe Kanons, die in Ermangelung wirklicher als Zierbilder unter Glas und Rahmen an der Wand in seinem Schlafzimmer hingen: er stehe dafür, daß sie soviel werth seien, als sein Leichenbegängniß erfordere. So groß also seine Langmuth und seine Herzensgüte waren, er überwand das Gefühl des inneren Widerstreites gegen seine Frau nicht. Denn noch im Jahre 1805, als der Geiger Baillot bei ihm war und sie im Hausgange an einem Gemälde vorbei kamen, sagte stillstehend und Baillot am Arme greifend Haydn: »Das ist meine Frau, sie hat mich oft in Wuth gebracht.«

Wie ist es da nicht wolbegreiflich und entschuldbar, wenn er selbst zeitweise sich anderer Neigung neigte. »Meine Frau war unfähig zum Kindergebären, daher war ich auch gegen die Neigung anderer Frauenzimmer weniger gleichgiltig,« sagte er zu Griesinger. Besonders war es in späteren Jahren die italienische Sängerin Luigia Polzelli, die seine Zuneigung gewann und ihm liebende Theilnahme zuwendete. An sie schreibt er im Jahre 1792, also nach 32jähriger unglücklicher Ehe von London aus in solcher überschäumender Wuth: »Meine Frau, diese verwünschte Person ( bestia infernale), hat soviel Dinge geschrieben, daß ich ihr antworten mußte, ich komme gar nicht mehr nach Hause, seitdem hat sie wieder Vernunft.« Und etwas milder und fast wehmüthig ergeben ein Jahr später: »Meine Frau befindet sich die meiste Zeit übel und ist immer von derselben schlechten Laune, aber ich kümmere mich um nichts mehr, einmal werden diese Qualen doch ein Ende nehmen.«

»Man wird es zugestehen müssen, daß ich keine andere Absicht gehabt als die, mich in den Tugenden zu üben, die bei Erduldung eines solchen Weibes nöthig sind,« dieses Wort in Lessings »jungem Gelehrten« hat jener Biograph mit Fug auf Haydn angewendet. Zuletzt ertrug er's aber doch nicht mehr: er that seine Frau zu dem Schullehrer Stoll zu Baden, der aus Mozarts Briefen bekannt ist, in Pension, wo sie im Jahre 1800 starb. Haydn hat den schönen Frieden, der aus so manchem seiner Adagios spricht, offenbar stets schwer erkauft, es war aber dann auch die wahre innere Seelenruhe und nur einzelne Accordseufzer erinnern an Wotans Wort: »Von Morgen bis Abend in Müh' und Angst, nicht wonnig ward sie gewonnen!« Den vollströmenden Herzenserguß der Liebe jedoch hat Haydn niemals zu bieten verstanden. Man darf nicht an Constanze und Pamina denken, wenn das Menschenpaar der Schöpfung oder Hannchen und Lucas von ihrer Zärtlichkeit singen. Und doch sind beide Werke geschrieben, als Mozart längst todt war! Die Fülle und die Würde der ächten Frauennatur, die seiner eigenen Frau fehlten, sollte er jedoch, wie wir noch sehen werden, anderwärts ebenfalls kennen und würdigen lernen. Daher denn dieser weichere und tiefere menschliche Herzenston auch seinen Compositionen nicht fehlt, im Gegentheil durch ihn zuerst mit vollerem Widerhall in seine Kunst eingeführt worden ist.

Wir kehren in das Geleise der Erzählung zurück.

»Es verfloß ein halbes Jahr, ohne daß dem Grafen Morzin die Heirath seines Capellmeisters bekannt wurde. Aber es ereignete sich ein Umstand, der Haydns Lage eine andere Richtung gab: der Graf sah sich genöthigt, seinen bisherigen großen Aufwand zu vermindern, er verabschiedete seine Virtuosen und so verlor Haydn den Dienst,« erzählt Dies. Doch noch kurz zuvor hatte ebendort jener Fürst Esterhazy Haydns Orchesterstücke kennen gelernt und lieb gewonnen. Dazu sein wachsender Ruf, sein liebenswürdiger persönlicher Charakter und die lebhafte Empfehlung Morzius, – kurz noch in demselben Jahr 1761 ward Haydn fürstlich Esterhazyscher Capellmeister und blieb es bis zum – späten Lebensende.

Diese Stellung entschied für Haydns Bedeutung als Instrumentalcomponist.

Die Residenz der Esterhazys ist das Städtchen Eisenstadt in Ungarn, wo das fürstliche Schloss für jede Art Musik- und Theateraufführung Raum bot und Musik auch seit alter Zeit die besonderste Unterhaltung der Familie bildete. Hier hat denn Haydn sich in aller Ruhe thätiger Arbeit zu dem bewundernswürdigen Componisten entwickeln können, der ihn zum Begründer der modernen Instrumentalmusik gemacht hat. Der Fürst hielt eine, wenn auch kleine, doch ziemlich vollständige Capelle und ein bescheidenes Chorpersonal mit ein paar Solisten. Dazu kam, daß nach Uebung damaliger Zeit Bediente und Beamte ebenfalls als Musiker mitzuwirken hatten. Die Gewalt über den ganzen Musikkörper ward dem neuen Capellmeister gegeben und er auch sogleich zum Offiziersrang erhoben. Dafür hatte er nun täglich in der Antichambre zu erscheinen und die Befehle in Betreff der Musik einzuholen, hatte zu componiren was gewünscht ward und zudem die Sänger heranzubilden. Die »Conventions- und Verhaltungsnorm« vom 1. Mai 1761 überläßt übrigens all seine schuldigen Dienste seiner Geschicklichkeit und seinem Eifer und hofft, daß er das Orchester auf solchem Fuße erhalten werde, daß es ihm zur Ehre gereiche und er sich der ferneren fürstlichen Gnade würdig mache.

Nun in der That selten hat sich eine Hoffnung so erfüllt. Denn die Capelle ward bald ausgezeichnet, und Haydns zunächst für sie geschriebene Compositionen durchliefen nicht lange darauf die Welt. Bereits seine erste Symphonie für Esterhazy in Cdur, genannt »der Mittag«, beweist aber auch, daß er dem Fürsten wie der Capelle ihre eigenen Aufgaben gleicherweise zum Bewußtsein bringen wollte: sie macht Ansprüche an das Orchester, wie sie diese Capelle erst viel später wirklich erfüllen konnte, ist aber auch im Styl sogleich viel größer und breiter gehalten, hat sogar, ein früher Vortraum Beethovenscher Instrumentaldramatik, als einen eingeschobenen Satz ein »Recitativo« für Geige mit Orchester. Ebenso aber war auch sein eigenes künstlerisches Wirken fest begründet. Denn die stets wachsende Antheilnahme seines Fürsten – jenem Paul Anton folgte bereits im nächsten Jahre Fürst Nicolaus, ihm 1790 Fürst Anton und 1795 wieder ein Nicolaus, – gab auch ihm selbst stets neuen Antrieb zum Schaffen, sodaß selbst die Enge der ländlichen Verhältnisse die ersten beiden Jahrzehnte hindurch nicht gar zu drückend empfunden ward. Vom Jahre 1766 an weilte er übrigens mit seinem Fürsten meist winters mehrere Monate in Wien. »Mein Fürst war mit allen meinen Compositionen zufrieden, ich erhielt Beifall, ich konnte als Chef eines Orchesters Versuche machen, beobachten, was den Eindruck hervorbringt und was ihn schwächt, also verbessern, zusetzen, wegschneiden, wagen, ich war von der Welt abgesondert, niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irre machen und quälen, und so mußte ich original werden,« – mit diesem Worte gegen Griesinger hat Haydn selbst den Werth dieser ganzen Existenz bei Esterhazy für seine künstlerische Entwicklung zusammengefaßt.

Wir hören aber noch etwas Besonderes. »Die Jagd und der Fischfang waren Haydns Lieblingserholungen während seines Aufenthaltes in Ungarn,« sagt Griesinger. Man denke aber nur einen Augenblick an die Wirkung, die ein solcher ruhig stetiger Aufenthalt in Gottes freier Natur hat, und gar, wenn dies 30 Jahre so fortgeht und hier die einzige Gemüthserfrischung außer dem eigenen Berufe liegt. »Der thauende Morgen, o wie ermuntert er!« singt Eva in der Schöpfung, und wenn dann in solcher frühesten Frühe, wo Jagd und Fischfang beginnen, im vollen Glanze strahlend die Sonne aufsteigt, ein »Riese stolz und froh«, oder abends beim Heimgang der Jäger »mit leisem Gang und sanftem Schimmer« der Mond »heranschleicht«, wie muß in solcher erhabenen Stille der Natur erst dieses Gemüth sich erhoben haben und völlig zu sich selbst erwacht und »original« geworden sein! Es war die Zeit, wo soeben in aller gepuderten Unnatur des Zopfes der Sinn für die Natur wieder erwachte und ihre Herrlichkeit und keusche Reine einen tiefen Eindruck auf alles edlere Empfinden hervorrief. Haydn streifte in dieser heiligen Einsamkeit, die also neben der geliebten Kunst sein einziges Glück und Befriedetsein im wirklichen Leben bildete, Zopf und Puder ab und trat der reinen Gestalt der eigenen Seele nahe. Man hört dies deutlich aus seinen freierfundenen Weisen, den ernsten wie den heiteren, die selbst den unschuldsvollen Frieden der Natur malen.

Aber noch etwas Anderes lernte er hier malen. Nur eine so unbefangene und liebende Betrachtung, wie sie solch ein stetiger inniger Verkehr mit der Natur mit sich bringt, vermag ihr auch eine so sichere Beobachtung des Charakteristischen ihrer einzelnen Erscheinungen abzugewinnen, und eben dieses Bewußtsein ließ einen Haydn selbst in alten Tagen an die »Schöpfung«, ja an die »Jahreszeiten« gehen. Jener Symphonie »der Mittag« ließ er bald eine »der Morgen« folgen. Und daß hier ebenfalls das »Erwachen der Empfindungen bei Ankunft auf dem Lande« dargestellt werden sollte, beweist ein bald darauf erscheinendes Concertino »der Abend«, das mit einem »Gewitter« abschließt. Nach Dies hatte ihm nämlich sein Fürst den Auftrag gegeben, »die vier Tageszeiten zum Vorwurf einer Composition zu machen«. Daß er mit diesen Werken selbst aber eine ganze neue Welt für die Musik erschließen half, werden wir bei ihrer Begegnung hören. Selbst Beethovens so unendlich tieferes Naturgefühl hat hier einen Anstoß erfahren, und alles dies ist in letzter Reihe auf den stillen Aufenthalt Haydns in dem ländlichen Eisenstadt und Esterhaz zurückzuführen. Wir werden den Einfluß dieser Existenz denn auch in den jetzt folgenden Einzelheiten nur bestätigt finden.

Zunächst Fürst Nicolaus, damals ein Vierziger, entsprach in seinem Thun den Verhältnissen, in denen er stand. Reich und vornehm wie er war, waren auch seine Passionen nobel, sein Erscheinen bei Hofe glänzend, in dem Reichthum seiner Juwelen sogar sprichwörtlich. Aber dem Sport und Hofprunk ging doch bei weitem seine Liebe zu Kunst und Wissenschaft vor, und es stand nach ächt ungarischer Weise vor allem sein innerer Sinn auf Musik. Er war ein ächter »österreichischer Cavalier« der besten alten Zeit. Herzensgüte, Großmuth und Wohlwollen bezeichnen seinen Charakter. Dies erfuhr besonders die Capelle. »Während der ganzen Dauer seiner Regierung bilden die Protokolle, meistens mit dem Wahlspruch ›Gott mit Uns!‹ beginnend, eine fortgesetzte Kette von Erledigungen auf Geld- und Naturalienanweisungen, nur selten findet sich ein abschläglicher Bescheid,« sagt Pohl in seiner quellenmäßigen Biographie Haydns. Doch kannte er auch Strenge, nur ohne andauernden Groll. Sein eigenes Instrument war das damals beliebte Baryton, das heute längst völlig durch das edlere Violoncello verdrängt ist. Auf dasselbe bezieht sich folgende charakteristische Begebenheit.

Der Fürst wollte auf seinem Instrumente immer nur in einer Tonart spielen. Haydn übte das Instrument nun selbst ein ganzes halbes Jahr Tag und Nacht, oft durch das Schelten seiner Frau gestört und einmal sogar wegen Nachlässigkeit im Componiren von seinem Fürsten selbst scharf getadelt. Darauf ließ er, einer Anwandlung von Eitelkeit nachgebend, sich bei der Abendmusik in mehreren Tonarten auf dem Instrumente hören. Aber der Fürst blieb ganz ruhig und sagte nur: »Haydn, das muß Er besser wissen.« Im ersten Augenblick schmerzte diesen solche Gleichgiltigkeit seines verehrten Gebieters, dann aber fühlte er den ebenso zarten wie gerechten Vorwurf, daß er, um ein guter Barytonspieler zu werden, soviel Zeit verlor und seinen wahren Beruf vernachlässigte, und wandte sich mit erneutem Eifer zur Composition. Für das Baryton allein hat er übrigens 175 Stücke geschrieben.

Wie Haydn überhaupt bei diesem Fürsten sich fühlte, sagt das eine Wort der Autobiographie von 1776: »allwo ich zu leben und zu sterben mir wünsche.« Sein Gehalt war mit dem neuen Regierungsantritt um die Hälfte erhöht worden, es betrug seitdem 600 Fl., doch kamen häufige Geschenke des Fürsten dazu. Diese halfen auch seine Sehnsucht nach außen, besonders nach Italien dämpfen, die naturgemäß in seiner Einsamkeit doch manchmal erwachen mußte. Er gedachte noch in greisen Jahren in dankbarer Rührung des »gütigen und großmüthigen« Fürsten Nicolaus, der ihm auch zweimal sein bei dem Brande der Stadt eingeäschertes Häuschen wieder aufbauen ließ. Und wenn er viel, sehr viel nur zu dessen persönlicher Neigung und daher weniger Werthvolles schuf, so war doch des Fürsten Kenntniß der Musik groß genug, um Haydns stets sich höher hebendes Schaffen zu begreifen und so dieses selbst auch stets lebendig wach erhalten zu helfen. Dabei war Haydn persönlich nicht unfrei, wenigstens nicht mehr als jeder Angehörige eines Hofes in jener Zeit des »erleuchteten patriarchalischen Despotismus.« Er ward daher auch nichts weniger als Höfling, sondern blieb Künstler und bei seinem Stande. »Ich bin mit Kaisern, Königen und vielen großen Herren umgegangen und habe manches Schmeichelhafte von ihnen gehört, aber auf einem vertraulichen Fuß will ich mit solchen Leuten nicht leben und halte mich lieber zu Leuten von meinem Stande,« hat er zu Griesinger gesagt. Ja in diesen späteren Jahren machte er sein persönliches Bewußtsein selbst gegen seinen Fürsten und Herrn geltend. Nach seiner Rückkehr von London beklagte er sich bitter über das allgemein übliche »Er«, und von da an heißt es denn auch immer »Herr von Haydn« und »Wohledelgeborener« oder »Lieber Capellmeister von Haydn«. Und der junge Fürst Nicolaus mußte in den 90er Jahren bei dem Tadel einer Probe vernehmen: »Fürstliche Durchlaucht, dies zu verstehen ist meine Sache«. Ein ungnädiger Blick war das Einzige, was Se. Durchlaucht darauf entgegnete.

Mit der Capelle selbst, die übrigens gute Kräfte zählte, hatte Haydn gar manchmal Noth, die milde Nachsicht des Fürsten machte sie leichtsinnig, und die Biographie Mozarts zeigt, was für ein Stand die Musiker damals waren. »Wahrhaft rührend und herzgewinnend sind dann die Gesuche Haydns, wenn er für solche bittet, die eben nur der Leichtsinn verleitete,« sagt Pohl. Auch half er dabei mit besonders gearteten Compositionen nach, die den Fürsten milde stimmen sollten. Dazu mag jene fünfsätzige Symphonie Le midi mit ihrem Recitativ für den ersten Geiger Tomasini, den allerdings der Fürst selbst besonders liebte, ebenfalls gehören, – zugleich ein Beweis, daß die Vorstellungen der Phantasie ihn schon früh vorzugsweise bestimmten und er gleich Gluck kein »Maurer« sondern ein »Architekt« sein wollte. Und daß bei diesem Componiren stets die ganze Seele dabei war, beweisen die Nach- und Ueberschriften In nomine Domini, Laus Deo u. a.

Die ausgedehnteren Compositionen der ersten Zeit bei Esterhazy waren freilich eben jene italienische Opern. Der Fürst hatte »welsche Comödianten« kommen lassen und die Feste des Hauses, bei denen, wie wir oben hörten, sogar manchmal die kaiserlichen Herrschaften erschienen, wurden vor allem durch solche theatralische Aufführungen geziert. Während des 30jährigen Aufenthaltes bei Esterhazy ist denn auch gar mehr als ein Dutzend solcher Werke entstanden, auf die Haydn selbst etwas hielt und die auch sicherlich der feinen Detailzüge und besonders der harmonischen Schönheiten und instrumentalen Effecte eine reiche Fülle aufwiesen. »Wenn Cherubini einige meiner Manuscripte durchsah, so traf er immer auf die Stellen, welche Auszeichnung verdienen,« sagte Haydn selbst zu Griesinger, und Cherubini, damals noch vorzugsweise Operncomponist, wird sich wol auch vorzugsweise um Haydns Opern bekümmert haben. Allein hier fehlte dennoch eben, was Haydns selbständige Instrumentalmusik auszeichnet, der sichere Wurf des Ganzen, die freie Geltung der geistigen Bewegung: dies war für die Oper die That Glucks und an ihr hat Haydn keinen Antheil. Er sah denn auch selbst ein, daß seine Opern »in ihrer ursprünglichen Gestalt in der neueren Epoche schwerlich mit Glück aufgeführt werden könnten.« Doch werden wir noch in London einer Oper von ihm begegnen.

Hingegen gibt uns schon ein Bericht der Wiener Zeitung vom Jahre 1766 ein Bild seiner vielseitigen und erfolgreichen Thätigkeit wie des Charakters seines Genius. »Herr Joseph Haydn, der Liebling seiner Nation, dessen sanfter Charakter sich in jedem seiner Stücke ausdrückt«, mit diesem Titel wird er unter den hervorragenden damaligen Componisten der Kaiserstadt aufgezählt. Seine Composition habe Schönheit, Ordnung, Reinheit, eine seine und edle Einfalt, die schon empfunden werde, ehe noch der Zuhörer darauf besonders aufmerksam gemacht sei. Es sei in seinen Quartetten, Trios u.s.w. ein reines helles Wasser, das ein südlicher Hauch bald kräusele bald hebe und in Wellen werfe, ohne daß es den Boden und Abschluß verliere. Die Verstärkung der Melodie durch Octaven habe ihn zum Urheber und man könne ihr das Gefällige nicht absprechen, wenn sie selten und in Haydnschem Kleide erscheine. In Symphonien sei er ebenso männlich kräftig wie erfinderisch, in Liedern reizend, einnehmend, lieblich, in Menuetten natürlich scherzend und anmuthend.

Man sieht, die Zeit erkannte ihren Mann in der Hauptsache sogleich. Strenge Zunftmeister wie Haydns Vorgänger im Amt, der Capellmeister Werner, ein ächter Mann der alten contrapunktischen Schule, waren freilich auch sogleich mit »Modehansl« und »G'sanglmacher« bei der Hand. Aber selbst die damals gegen alles Süddeutsche gar auflauerische Berliner Kritik weiß von Haydns Quartetten Op. 19 und Symphonien Op. 18 schon im Jahre 1782 »originellste Laune und lebhaftesten angenehmsten Witz« auszusagen. Es ist J. F. Reichardt, der dies ausspricht. Es habe wol nie ein Componist soviel Einheit und Mannichfaltigkeit mit soviel Annehmlichkeit und Popularität verbunden, sagt er. Es sei äußerst interessant, Haydns Arbeiten in ihrer Aufeinanderfolge zu betrachten. Sogleich die ersten Werke vor 20 Jahren hätten die ihm eigene gemüthvolle Laune gezeigt, doch sei es da noch mehr bloßer Muthwille und ausgelassene Lustigkeit ohne viel harmonische Tiefe gewesen. Nach und nach aber sei die Laune männlicher, die Arbeit durchdachter geworden, bis durch erhöhte und ernstere Gefühle auch reiferes Studium und vor allem Effect und dadurch der reife originelle Mann und bestimmte Künstler sich darstelle. »Wenn wir auch nur einen Haydn und Ph. E. Bach hätten, so könnten wir Deutsche schon kühn behaupten, daß wir eine eigene Manier haben und unsere Instrumentalmusik die interessanteste von allen ist,« schließt er.

Haydn hatte also die von Ph. E. Bach begründete Sonatenform, deren organischen Charakter die Theorie und Geschichte der Musik aufweist, auf das reichere Streichquartett und den vollen Orchesterkörper übertragen. Wie er dadurch sie selbst endgiltig ausbildete, ist hier nicht näher auszuführen. Er begründete, wie wir hörten, deren Viersätzigkeit in Allegro, Adagio, Menuet, Finale und brachte durch seine große Productivität und Beliebtheit diese Form erst zur allgemeinen Uebung. Den Charakter des an sich vornehmen Menuets als einer bürgerlich gemüthlichen und vor allem humoristischen Heiterkeit hat aber überhaupt erst Haydn demselben gegeben. Dann erweiterte, gliederte und erhob er ganz wesentlich den entscheidenden 1. Satz der Sonatenform, gab ihm mehr Fülle und Bedeutung durch organische Entwicklung aus seiner eigenen motivischen Substanz, vertiefte das Adagio aus einem einfachen Liede (Cavatine) ebenfalls zu einem Bilde vollgesättigter Stimmungen und wußte vor allem im Finale durch die thematische Arbeit wahrhafte Wunder von Geist und Leben zu erzeugen. Daß dabei die Verwendung der verschiedenen Instrumente nach ihrer mannichfachen Eigenart wesentlich die Wirkung erhöhen half, versteht sich bei Haydn von selbst. Doch hat, das darf nicht vergessen werden, gerade in diesem Punkte auf ihn wesentlich Mozart eingewirkt, der die Mannheimer und Pariser Capellen und ihren Vortrag genau studirt hatte und diesen Vorschritt vor allem in seinen Opern verwerthete.

Allein das Letztentscheidende bleibt hier immer der Keim lebendigen Lebens, den Haydn dieser Form verlieh und den er in ihr um so freier entwickeln konnte, als er eine gegebene feste Form aufnahm und zu ihrer vollen Erscheinung ausbildete. Haydn gab eben dem Quartetts und der Symphonie zuerst, was man »Naturell« nannte.

Selbst PH. E. Bachs »Sonaten für Kenner und Liebhaber« haben immer noch sozusagen etwas »Componirtes«: sie sind reflectirt und gemacht, allerdings geschickt und geistreich, aber die freie Empfindung waltet nur in Momenten, besonders im Adagio, wo eben Bach sich an den Gesang der Oper und vor allem an das aus dem Gemüth stammende deutsche Lied anlehnen konnte. Des großen Seb. Bach Instrumentalwerke sind cyclopische Bauten, pelasgisches Steingefüge, ja oft felsiges Elementargebirge selbst. Manchmal schaut es da wol aus dem Gestein wie ein Gesicht hervor, aber es ist eben ein Felsengesicht wie das an der Loreley oder wie jener romantische Brocken-Spuk: »Und die langen Felsennasen, wie sie schnarchen, wie sie blasen«, sind versteinerte Riesenleiber, mächtige Sphinxbilder, die mehr verschweigen als sie sagen. Im schroffsten Gegensatz dazu war die Oper jener Zeit die affectirte modische Puppe in der äußerlichsten Erscheinung theatralischer Geziertheit. Erst Gluck sollte den hinter all dein höfischen Flittertand sich verbergenden Ernst der Sache selbst aufdecken. Die Franzosen und Italiener krankten auch in ihrer instrumentalen Kunst an dieser modisch-höfischen Gebundenheit einer bloß äußerlichen Vornehmheit und Ceremonie der theatralischen Musik, und höchstens haben D. Scarlatti, Corelli, Couperin die ersten Versuche gemacht, der freien Empfindung und unbefangenen Natur eigenes Recht in der Musik zu bereiten.

Der dieses »Naturell«, diese angeborne und daher unwillkürliche Art sich nach seiner eigenen Natur und Stimmung zu äußern, zuerst völlig auch in der Musik walten ließ, war eben unser Haydn und darum nannte ihn Beethoven »groß« und die Nachwelt »unsterblich«. Und da nun nach dem bekannten italienischen Wort kein Mensch einen schöneren Kopf malen kann, als er selbst hat, so haben wir uns zuerst einmal diesen Haydn selbst körperlich und geistig anzusehen, und was gilts, sein Portrait wird uns umgekehrt an seine Musik gemahnen?

Haydns hagere aber kräftige Statur stand etwas unter mittlerer Größe, die untere Hälfte erschien zu kurz gegen die obere, wozu seine altmodische Art sich zu kleiden beitragen mochte. Seine Züge waren ziemlich regelmäßig, der Blick feurig und sprechend, aber dennoch meist gütig einladend. »Aus der ganzen Physiognomie und Haltung sprach Bedächtigkeit und ein sanfter Ernst,« sagt Griesinger. Das Gesicht drückte, wenn er ernst war, Würde aus, sonst nahm er im Gespräche leicht eine heiter lächelnde Miene an, doch hörte ihn Dies niemals laut lachen. Seine große gebogene Nase, – er litt an einem Polypen, – war wie das übrige Gesicht stark von Blatternnarben entstellt, sodaß die Nasenlöcher jedes eine andere Form hatten, die Unterlippe ragte kräftig sinnlich vor. Die Gesichtsfarbe war sehr braun. Eine der biographischen Skizzen über ihn nennt ihn einmal geradezu einen »Mohren«. Er selbst hielt sich für häßlich und erzählte von einem Fürstenpaar, die seine Erscheinung nicht leiden konnten, weil er ihnen zu garstig gewesen sei. Von der Perrücke hörten wir schon, er blieb ihr trotz aller wechselnden Mode durch zwei Menschenalter bis zum Tode getreu. Sie verdeckte aber zum Nachtheil des Gesammteindrucks seiner Physiognomie einen großen Theil der breiten und schön gewölbten Stirne. Lavater machte auf seinen Schattenriß den Vers:

Etwas mehr als Gemeines erblick' ich im Aug' und der Nase,
Auch die Stirne ist gut, im Munde 'was vorn Philister.

»In seinem Charakter war viel Frohsinn und Scherz,« sagt Dies. Und er selbst meinte noch im Alter, »das Leben sei eine köstliche Sache.« Lebensfreude ist denn auch ein Grundzug seines Wesens und seiner Compositionen. Dazu mochte seine individuelle Lage, die bürgerliche Beschränkung seiner Existenz beitragen. Denn »alle Beschränkung beglückt«, sagt der Philosoph. Ebenso erhielt ihm die regelmäßige Einfachheit der Lebensweise das so köstliche Gut der Gesundheit, also das nächste freudige Daseinsgefühl, und es ist in der That kein »nur angenommener Frohmuth«, was uns aus seinen Werken entgegentönt. Und obwol schon in Folge seines äußeren Lebensganges und seiner steten inneren Arbeit mehr zu ruhiger Betrachtung und ernstem Besinnen geführt, liebte er doch dem Gespräche stets eine launige Wendung zu geben. Von seiner persönlichen Anhänglichkeit und Dankbarkeit hörten wir oben, ebenso war er sehr wohlthätig und human gesinnt, – »Haydns menschenfreundliches Betragen gegen Hohe und Niedrige ist Natur,« sagte einmal Dies, – und Bescheidenheit war seine ächt österreichische Tugend. Griesinger gibt als deren tieferen Grund wol mit Recht seine Religiosität an, die ächte Frömmigkeit des Herzens, die nicht sich und das Vergängliche, sondern das Ganze und Ewige im Sinne trägt! Darauf beruhte auch die schöne Erscheinung, daß trotz allem Ruhme, den er zeitlebens so reichlich genoß, er nicht übermüthig noch hochfahrend ward. »Ehre und Ruhm waren die zwei mächtigen Triebfedern, die ihn regierten, mir ist aber kein Beispiel bekannt, daß sie in Ehrsucht ausgeartet wären,« sagt Dies. Er betrachtete auch sein Talent als ein gütiges Geschenk des Himmels, und niemand war geneigter fremdem Verdienste Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Bei Ph. E. Bach sahen wir dies schon, ebenso sprach er von Gluck und Händel immer mit dankbarster Verehrung. Von dem unvergleichlich schönen Verhältniß zu Mozart werden wir noch hören. Doch kannte er auch seinen eigenen Werth. »Ich glaube meine Schuldigkeit gethan und der Welt durch meine Arbeiten genützt zu haben, mögen nun Andere dasselbe thun,« pflegte er zu sagen. Eben deßhalb duldete er auch keine persönliche Schmeichelei und konnte in solchem Falle sogar grob werden. Ebenso ließ er seine Güte nicht mißbrauchen und ward durch dergleichen Versuche gereizt und spöttisch gemacht.

»Eine arglose Schalkheit oder was die Briten Humor nennen, war ein Hauptzug in Haydns Charakter. Er entdeckte leicht und vorzugsweise die komische Seite eines Gegenstandes, und wer auch nur eine Stunde mit ihm zugebracht, mußte es bemerken, daß der Geist der österreichischen National-Heiterkeit in ihm athme,« endigt Griesinger. Und wenn wir nun noch deutlicher vernehmen, daß er in jüngeren Jahren »sehr empfänglich für Liebe« gewesen sein soll und selbst im Alter noch den Damen immer etwas Artiges zu sagen hatte, so muß man sein Wort bei solchen Dingen »das gehört schon zu meinem Metier« in dem Sinne verstehen, wie in Goethes Elegie Amor selbst dem römischen Dichter »Stoff zum Liede« und den »höheren Styl« gibt, und würde in der That ohne solche persönliche Erwecktheit für das ewig glühende Allfeuer menschlicher Schöpfung manche Züge, namentlich seiner Adagios, gar nicht verstehen. »Es hat sehr vieles zu bedeuten, es ist etwas mühsam, aber viel Empfindung,« sagt er selbst einmal gegen seine »hochschätzbare« Frau von Genzinger, die uns bald begegnen wird, von einer Sonate. Es ist nach allen Anzeichen, welche die Briefe geben, diejenige, deren Adagio cantabile in Bdur ¾ steht und im zweiten Theile eine herrlich dunkeltiefe Modulation mit Wechsel der Melodie in Discant und Baß mittelst Ueberschlagen der Hände hat. Das erste Allegro ist ebenfalls förmlich wie ein Zwiegespräch zwischen einer männlichen und einer weiblichen Stimme. »Ich hätte Euer Gnaden so vieles zu sagen und soviel zu beichten, von welchem niemand als blos Euer Gnaden mich lossprechen könnte,« schreibt er selbst dazu. Sie sei »auf ewig« für die Freundin bestimmt, sagt er ferner, und der Menuet wunderbarerweise der nämliche, den sie im letzten Briefe von ihm gefordert habe.

Auch später in London nahm er eine Sängerin Miß Billington, deren Lebenswandel allerdings wenig löblich war und sogar in öffentlichen Blättern gegeißelt ward, in Schutz. »Man will sagen, daß ihr Charakter fehlerhaft sei, dessenungeachtet aber ist sie ein großes Genie und alle Weiber sind ihr gehässig, weil sie schön ist,« schrieb er in sein Tagebuch. Dasselbe enthielt ferner Briefe von einer englischen Wittwe Madame Schröter, die ihn schwärmerisch liebte. »Sie war, obgleich sie schon 60 Jahre zählte, noch eine schöne und liebenswürdige Frau, die ich, wenn ich ledig gewesen wäre, sehr leicht geheirathet hätte,« sagte er auf eine Anfrage von Dies mit dem ihm eigenen schalkhaften Lächeln. Und eine einzige Stelle dieser zärtlichen Briefe genügt uns hier, um den Grad solcher Herzensneigung zu verstehen: »Mein theuerster Haydn, ich fühle für Sie die tiefste und wärmste Liebe, deren das menschliche Herz fähig ist.« Ohne die Nahrung der inneren Erwiderung aber erlöscht auch das loderndste Feuer. Er wollte selbst später nicht begreifen, daß er in seinem Leben von so manchem schönen Weibe geliebt worden sei. »Meine Schönheit konnte sie nicht dazu verleiten,« sagte er 1805 zu Dies. Und als dieser bemerkte: »Sie haben ein gewisses genialisches Etwas im Gesicht,« sagte er: »Man mag mirs ansehen, daß ichs mit jedem gut meine.« Er dünkte sich von keinem besseren Stoff zu sein und suchte sich nicht durch erheuchelte Reinheit auf eine höhere Stufe der Moralität zu stellen, als ihm nach seiner Meinung zukam, deutet Dies dies aus. Er war der ächte Sohn seiner österreichischen Heimat in einer Zeit, wo man noch im Paradies zu wandeln und das Leben jedes Stachels zu entbehren schien.

So steht Joseph Haydn in einer nach allen Seiten hin individuell ausgeprägten Persönlichkeit vor uns, der Uebergang aus einer in jeder Art Willkür gebundenen unnatürlichen Modezeit, wie sich seine ganze äußere Erscheinung zeitlebens darstellte, in eine Epoche erneuter freien Regung des Individuums und seiner unwillkürlichen Empfindungen. Und ganz naiv gibt er uns nun auch selbst noch an, wie nicht die »Setzkunst« sondern die Stimmung und Begeisterung stets seine Muse gewesen sei. »Haydn dichtete seine Werke immer vor dem Claviere,« sagt Griesinger. »Ich setzte mich hin, fing an zu componiren, je nachdem mein Gemüth traurig oder freudig, ernst oder tändelnd gestimmt war. Hatte ich eine Idee erhascht, so ging mein ganzes Bestreben dahin, sie den Regeln der Kunst gemäß auszuführen und festzuhalten, und das ist es, was so vielen Componisten fehlt, sie reihen ein Stückchen an das andere, sie brechen ab, wenn sie kaum angefangen haben, aber es bleibt auch nicht im Herzen sitzen.« Daher schuf er auch immer aus einem Guß, wenngleich zunächst nur die Hauptzüge des Ganzen. Und daß es meist diese poetisch-musikalische Stimmung war, was ihn trieb, bezeugt uns folgende Anekdote. »Um das Jahr 1770 war Haydn in ein hitziges Fieber verfallen und der Arzt hatte ihm während der Genesung aufs strengste verboten, sich mit Musik zu beschäftigen,« erzählt Griesinger. Bald darauf sei jedoch seine Frau, allerdings nachdem sie noch der Magd das Verbot ernstlich eingeschärft hatte, in die Kirche gegangen. Kaum war aber die Gattin fort, als er die Magd mit einem Auftrage fortschickte und sich dann »eilends an sein Clavier schwang.« »Mit dem ersten Griffe stand die Idee einer ganzen Sonate vor seiner Seele, und der erste Theil wurde beendigt, während seine Frau in der Kirche war. Als er sie zurückkommen hörte, warf er sich geschwind wieder ins Bett und hier componirte er den Rest der Sonate.« Mozart und Beethoven freilich hätten des Claviers gar nicht erst bedurft, um zu componiren, – und ob nicht Haydn ebenfalls jenen ersten Satz schon im Bette selbst gefunden hatte, bleibe dahingestellt. Jedenfalls bezeugt die Anekdote den ächt künstlerischen unwillkürlichen inneren Drang in ihm.

Aus eben diesem Quell der lebendigen persönlichen Erregung entsprang also von Anbeginn an das lebhaft Redende und die persönliche Physiognomie der Themen und Motive in Haydns Compositionen. Ja seine Melodie erinnert durchaus an die Arie, aber nicht in der Rococo-Geziertheit der Mode Ludwigs XIV., sondern eben an die auf die Sprache gegründete Declamation, und nur ein gewisser bestimmt regelmäßig wiederkehrender Zuschnitt seiner Melodien läßt uns fühlen, daß es doch immer noch die Zopfzeit ist, in der wir da leben. Die einzelnen Partien dieser gegebenen Sonatenform aber werden nun eben durch die »männlichere Laune« und die »erhöhten und gefesteten Gefühle« selbst tiefer mit individuellem Leben durchdrungen. Und hier trifft vor allem Griesingers Wort zu: »In seinen Compositionen zeigt sich diese Laune ganz auffallend, und besonders sind seine Allegros und Finales oft ganz darauf angelegt, den Zuhörer durch leichtfertige Wendung des anscheinenden Ernstes in den höchsten Grad des Komischen zu necken und fast bis zur ausgelassenen Fröhlichkeit zu stimmen.« Volksmäßigen, auch verfeinerten, im höchsten Grade aber originellen musikalischen Witz nennt es Dies, und diese »musikalische Neckerei« war in der That ein neues und tief fruchtbares Gebiet für die Kunst: sie erweckte Geister, die noch schliefen, und von Mozart und Beethoven bis zu Schumann und Wagner sehen wir dieser lichtesten musikalischen Seelenstimmung und Gemüthsverfassung Wunderlaute der entzückendsten und wehmuthsvoll ergreifendsten Art entspringen. Denn der Grund dieser Stimmung ist das unwillkürliche aber tiefe Gefühl für das menschliche Leben, Leiden mit seinem Leid, Lachen mit seiner Thorheit und immer inneres Dabeisein, wo Menschendinge vorgehen.

Haydn selbst verdankt diesem seinem Gemüthszustande ebenso manchen Zug und Wurf seiner Adagios wie seiner Menuets und Finales. Die wachsende geistige Reife aber brachte mit der Zeit auch »Ideen, welche seinem Gemüthe vorschwebten und die er durch die Tonsprache auszudrücken strebte.« Er selbst erzählte Griesinger, wie er in seinen Symphonien öfters »moralische Charaktere« geschildert habe: in einer seiner ältesten sei die Idee herrschend, wie Gott mit einem verstockten Sünder spricht, ihn bittet sich zu bessern, der Sünder aber in seinem Leichtsinn den Ermahnungen nicht Gehör gibt. Eine Symphonie aus dem Jahre 1767 heißt »der Philosoph«, ein Divertimento hieß »der verliebte Schulmeister«, und ein anderes Werk aus früher Zeit, genannt »die Zerstreute«, wird uns noch begegnen.

Eine Anekdote aus dem Jahre 1772 führt uns die drastische Entstehungsgeschichte solch eines lebendigen Kunstwerkes vor. Der Fürst hatte seit 1766 den Sommer über Hofhalt in dem Schloß Esterhaz am Neusiedlersee und ward dorthin auf volle sechs Monate auch von den besten seiner Musiker begleitet. »Ich war damals jung, fröhlich, folglich nicht besser als alle Andern, sagte Haydn mit Lächeln, nämlich in Bezug auf die Sehnsucht seiner Musiker, heim zu Frau und Kindern zu kommen. »Der Fürst mußte diese wohlbegreifliche Sehnsucht längst kennen, die komischen Auftritte, die sie erzeugte, mußten ihm Vergnügen machen, wie hätte er sonst auf den Einfall kommen können, den Aufenthalt plötzlich um zwei Monate zu verlängern?« sagt Dies. Der Befehl stürzte die jungen Männer in Verzweiflung, sie bestürmten den Capellmeister und keiner empfand ihre Lage mehr als Haydn. Sollte er eine Bittschrift überreichen? Dies würde nur Stoff zum Lachen gegeben haben. Er stellte eine Menge ähnlicher Fragen an sie selbst, keiner aber wußte Antwort. Was that er? An einem der nächsten Abende ward der Fürst auf die sonderbarste Weise überrascht. Mitten im Feuer einer leidenschaftlichen Musik endigt eine Stimme, der Spieler legt die Noten geräuschlos zusammen, löscht die Pultlichter aus und geht weg. Bald nachher endigt eine zweite Stimme und der Spieler entfernt sich ebenfalls. Eine dritte und vierte folgt, alle löschen die Lichter aus und nehmen die Instrumente mit sich fort. Das Orchester verdunkelt sich und wird immer leerer. Der Fürst und alle Anwesenden schweigen verwunderungsvoll. Endlich löscht auch der Vorletzte, Haydn selbst seine Lichter aus und entfernt sich. Nur der erste Geiger bleibt. Haydn hatte dazu absichtlich diesen gewählt, weil sein Spiel dem Fürsten so sehr gefiel und dieser dadurch gewissermaßen gezwungen wurde, das Ende abzuwarten. Das Ende kam, die letzten Lichter wurden ausgelöscht und Tomasini verschwand ebenfalls. Jetzt stand der Fürst auf und sagte: »Wenn sie alle gehen, so müssen wir auch gehen.« Die Musiker hatten sich derweilen im Vorzimmer versammelt und der Fürst sagte lächelnd: »Haydn, ich habe es verstanden, morgen können die Herren reisen.« Es war die Composition, die nachher unter dem Namen »Abschiedssymphonie« bekannt geworden ist.

Aehnlich wußte Haydn schon früh gegebene Vorstellungen und angedeutete Empfindungen durch seine Musik sozusagen zu einer tatsächlichen Wirklichkeit zu bringen. Ein Domherr in Cadiz hatte zu einer Charfreitagsfeier eine Musik verlangt, die den sieben Worten des Erlösers am Kreuz, nachdem sie von dem Geistlichen gesprochen und erläutert worden seien, die letzte Deutung und sinnenhafte Fülle geben solle. Haydn selbst sagt in einem Briefe nach London, jeder Text der Sieben Worte sei blos durch die Instrumentalmusik dergestalt ausgedrückt, daß es dem Unerfahrenen den tiefsten Eindruck in seiner Seele erwecke, und hielt es mit vollem Recht für eines seiner besten Werke. Es ward auch später, unter seiner eigenen Leitung, zweimal in London aufgeführt. Am Schluß hat es ein »Erdbeben«, das dort in seinem eigenen Benefiz-Concerte gar zum drittenmal erschien und ein Vorläufer der Schöpfungsbilder ist. Sämmtliche Stücke sind in der That von der entschiedenst ausgeprägten Stimmung. Dies war in den 1780er Jahren, und daß man dazu gerade Haydn gewählt hatte, beweist nicht blos, wie weit sein Ruf damals schon gedrungen war, sondern vor allem, daß seine künstlerische Tendenz, die Instrumentalmusik zu einer persönlich redenden Sprache zu erheben, mit Sicherheit verstanden wurde. Damit war der Meister der Kunst auch nach außen hin festgestellt und es währte denn auch nicht lange, daß ihm mit erweiterten Verhältnissen größere Aufgaben geboten wurden.

Wir schließen mit einer Auslese charakteristischer Aeußerungen, welche Haydn selbst bereits in diesen früheren Jahren seines Schaffens über seine Kunst und künstlerische Richtung gethan hat, sie stehen meistens in den »Musikerbriefen«.

Schon im Jahre 1776 sagt er in jener Autobiographie, welche für eine »gelehrte Nationalgesellschaft in Wien« von ihm begehrt worden war, in dem Kammerstyl habe er außer den Berlinern fast allen »Nationen« zu gefallen das Glück gehabt. Ihn wundere nur, daß die »sonst so vernünftigen Herrn Berliner« in ihrer Kritik kein Maß haben, da sie ihn das einemal bis an die Sterne erhoben, das anderemal »70 Klafter tief in die Erde schlügen«, und dies ohne irgendwelche Angabe des Grundes.

Aber auch der Quelle dieses seines allentzündenden künstlerischen Schaffens ist er sich bewußt.

Der Wiener Pensionsverein für Tonkünstlerwittwen, der heute den Namen »Haydn« führt, hatte an unseres Meisters Aufnahme, zu der er das Oratorium »die Rückkehr des Tobias« geschrieben hatte, die Bedingung geknüpft, daß er der Gesellschaft außerdem alljährlich einige Compositionen zu ihrem Vortheil liefere, und im Fall der Nichterfüllung sollte er gar »cassirt« d. h. ausgestoßen werden können. Darauf aber fordert Haydn seinerseits im Gegentheil seinen Beitrag zurück und richtet sich dabei in folgender Weise als schaffender Künstler auf: »Bester Freund, ich bin ein Mann von zu vieler Empfindung, als daß ich beständig der Gefahr sollte ausgesetzt sein cassirt zu werden. Die freien Künste und die so schöne Wissenschaft der Composition dulden keine Handwerksfesseln. Frei muß das Gemüth und die Seele sein!«

Dies war im Jahre 1779: es bezeichnet das volle Erwachen seines Künstlerbewußtseins. Ebenso wird er mehr und mehr sich des hohen Wesens einer Kunst bewußt, die aus solcher Quelle des Schaffens fließt. Im Jahre 1781 will er von einem der ausgezeichnetsten Musikkenner Wiens, dem aus Mozarts Leben bekannten Hofrath von Greiner für seine Lieder das »Gutachten in Betreff des Ausdrucks« wissen und versichert seinem Verleger Artaria in Wien, daß seine Lieder »durch den mannichfaltigen natürlich schönen und leichten Gesang vielleicht alle übertreffen werden«. Die Franzosen wunderten sich über den »ausnehmend gefälligen« Gesang seines Stabat Mater, dergleichen Arbeit sei allerdings in Paris noch nicht gehört worden und vielleicht ebensowenig in Wien. Dies ist um so bezeichnender, als Gluck damals seine großen dramatischen Werke bereits sämmtlich geschrieben und aufgeführt hatte. Einige der Lieder seien von dem Wiener Capellmeister Hofmann »elendig« componirt, fährt Haydn fort. Und eben weil der Prahlhans glaube, den Parnaß allein getragen zu haben und ihn bei einer gewissen großen Welt zu unterdrücken suche, habe er diese nämlichen Lieder, um der nämlichen groß sein wollenden Welt den Unterschied zu zeigen, in Musik gesetzt. »Es sind nur Lieder, aber keine Hofmannschen Gassenlieder, wo weder Idee noch Ausdruck und noch viel weniger Gesang herrscht,« schließt er. Und damit wir nicht im Zweifel darüber sind, daß er der geistig-poetischen Natur seines Schaffens nichts rauben läßt, will er die Lieder von niemand vorher gesungen haben, bis er sie selbst in den musikalischen Häusern vorgetragen habe. »Durch die Gegenwart und den wahren Vortrag muß der Meister sein Recht behaupten,« sagt er. Es ist die unterscheidende Richtung und Art der modernen Tonkunst, die sich erst vollendet in Mozart und Beethoven darstellt, und Musik, die der Geist geschaffen hat, kann auch nur das geistige Verständnis völlig ausführen.

Es war also etwas Innerliches, die Stimmung, was ihn durchaus beherrschte und zu seinem charakteristischen Schaffen zwang. »Man wird von einem gewissen Humor ergriffen, der sich nicht bändigen läßt,« sagte er einmal. Ebenso that er denn auch ein andermal den bezeichnenden Ausspruch: »Die Musik spielt mich wie ein Clavier.« Und nach der technischen Seite hin sagte er deshalb noch 1805 ebenfalls ausdrücklich zu Dies: »Wenn ich etwas für schön hielt, sodaß das Gehör und Herz nach meiner Meinung zufrieden sein konnten und ich eine solche Schönheit der trockenen Schulfuchserei hätte opfern müssen, ließ ich lieber einen grammatischen Schnitzer stehen.«

Und um nun zuletzt dem Spieler auch einige Beispiele solcher wahren Lebensmalerei in Tönen zu bezeichnen, sei nach der bekannten ›Edition Peters‹ gegriffen, die jedem leicht zugänglich ist. Da steht zunächst von den 34 Claviersonaten die einzige in Cismoll als ein Prachtstück einer charaktervollen ernsten Stimmung da, und der Menuet geht sogar in das Melancholische über, wie es die Volksweisen jener südlichen Völker zeigen. No. 5 ist das reinste Bild heiterer Gesundheit, man sieht das junge Leben auf den Frühlingswiesen spielen. No. 7 steigert diese Stimmung zu tollem Uebermuth, und in dem Largo aus Dmoll klingt trotz seiner bloßen 18 Tacte so gut der große tragische Styl Beethovens an wie dort dessen Humor, – wobei noch an die Variationen in Fmoll erinnert werden muß, deren Klänge und Rhythmen dem Trauermarsch der Eroica zuwinken. Das Adagio der Asdursonate No. 8 ist eine Perle geistreicher Verwendung aller harmonischen und contrapunktischen Mittel, und in dem Larghetto von No. 20 schlagen schon wahrhaft wonnevoll des Lebens Nachtigallen: beides sind völlige lyrische Scenen. Ueberhaupt zeigt die erste Sonate Haydns wie die letzte eine plastische Ausprägung, die ebenso das Lebens- wie das Kunstgefühl dieses Meisters sicher bewährt und uns oft mit dem vollsten Staunen der Bewunderung über die Macht des Genius erfüllt, der in so kleinem Rahmen und mit so einfachen Mitteln Dinge sagte, die noch heute, wo irgend die Empfindung sich selbst gesund und zur Erfassung wirklichen Menschendaseins fähig erhalten hat, auch unmittelbar anrühren.

Reicher, größer, mehr innerlich ausgebaut, wenn auch allgemein ästhetisch genommen durchaus nicht in höherer Vollendung, erscheint dies alles in den Quartetten, und hier vor allem erschaut man erst, daß Haydn in jeder Weise Mozarts wie Beethovens Vorbild, aber mehr noch, daß er die ganze Quelle der Erfolge der neueren Italiener gewesen ist, die seine Heiterkeit, seine sinnige Art, seine Liebenswürdigkeit und Naturanmuth nur copirten, wo jene deutschen Heroen seine Gemüthskraft und seine freie geistige Erfassung und Hantirung in ihr eigenes innere Leben aufnahmen und F. Schubert seinen »Gesang« unvergleichlich schön fortbildete. Diese geistvollen ersten Sätze, diese sprudelnden Finales, diese Menuets, diese Adagios, immer und immer wieder voll überraschenden Witzes, voll unwillkürlich ergreifender, oft rührend warmer Herzlichkeit! Da ist in der That »Idee, Ausdruck, Gesang«. Wir berühren auch hier nur Stücke, die in der Edition Peters zu finden sind: Op. 54 mit dem höchst charakteristischen Menuet und dem Finale, daß durch sein ein Presto umschließendes Adagio an sich schon merkwürdig ist, zugleich aber wie ein Vorläufer des Adagios von Beethovens Sonate Op. 31 I erscheint. Die Adagios in Op. 74, Op. 76, Op. 77 sind nur größer im Tone, nicht schöner und inniger, als bereits Op. 54 und Op. 64 sie zeigen, dasjenige aus Op. 103 aber hat in seinen Schlußtacten etwas von dem beseligend erhebenden Wesen des Schlusses der schönsten aller Seelendichtungen, welche die reine Musik je geschaffen hat, jenes Lentos von Op. 135, Beethovens Grabessang. Wir schweigen von den Symphonien als zu wohlbekannten Werken Haydns. Allüberall aber begegnet uns, wie Goethe die letzte Quelle alles Lebens nennt, »Idee und Liebe!«

Man erkennt, die »Beschränkung« hatte Haydn ebenso bereichert wie beglückt: wir stehen jetzt vor der Epoche, wo er durch die innige persönliche Berührung mit Mozart und dann durch das Heraustreten in eine große und mannichfaltige Außenwelt seinen Genius zu den entscheidenden großen Aufgaben entfalten sollte.

 


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