Charlotte Niese
Das Tagebuch der Ottony von Kelchberg
Charlotte Niese

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Drittes Buch

Paris, 1800.

Gestern abend sind der Marquis und ich hier angekommen und im Gasthaus abgestiegen. Es ist merkwürdig, wieder in Paris zu sein! Manchmal denke ich, daß ich die letzten fünf Jahre geschlafen habe, dann aber weiß ich doch, daß ich lebte, daß ich aber nicht schreiben mochte. Wozu auch? Das Leben war nicht ganz leicht in den deutschen Städten, in denen der Marquis seine Tätigkeit suchte. Das Leben mit ihm war auch nicht leicht, darüber aber will ich lieber nichts schreiben. Jean Barival ist nun einmal mein Gemahl geworden, und wir leben vornehm und gleichmütig nebeneinander. Mein Junge ist drei Jahre alt – wir haben ihn Heribert, nach meinem Onkel, genannt, und jetzt ist er in Plön bei der guten Tante Amelie. Solange wir keine rechte Heimat haben, soll er den Frieden der stillen Häuslichkeit im Schloß zu Plön kennen lernen. Er hat blonde Haare und blaue Augen. Könnte ein deutscher Bube sein und ist doch der zukünftige Marquis von Barival. Er darf's nicht vergessen, sein Vater sagt's ihm täglich. Dabei ist das Schloß Barival noch in den Händen der Republik, und wir sind hergekommen, um die Besitztümer meines Onkels wieder zu erlangen. Sie sind uns sicher, Josephine Bonaparte hat es Tante Amelie und mir versprochen; besser aber ist es, einmal selbst nach dem Rechten zu sehen.

Talleyrand, mit dem wir den gestrigen Abend zusammensaßen, sagt dasselbe. Das war im Eßzimmer des Gasthofes, der voll von eleganten Menschen war. Die Frauen wenig bekleidet, aber mit Schmuck behängt; die Herren in den sonderbarsten Kostümen, wie wir sie in Deutschland kaum gesehen hatten. Niemand trägt eine Perücke mehr oder gepuderte Haare. Der erste Konsul, dessen Bild man überall sieht, trägt sie lang und glatt, mit einer Art Locke über der Stirn, und Jean hat sie sich schon heut morgen gerade so frisieren lassen. Sein welliges blondes Haar eignet sich schlecht zu dieser Tracht, aber man muß der Mode sein Opfer bringen. Wenn's das einzige ist, will ich zufrieden sein!

So schön in Paris! Mitten im Frühlingsglanz, mit blühenden Bäumen und Tausenden von Blumen! Heute bin ich ganz allein in unserem Garten spazieren gegangen. Denn es wird wieder unser Garten sein und unser Haus. Die Republik hat's nicht angerührt, sondern alles leer und verschlossen stehen lassen. Der Onkel hat nämlich nicht auf der Konskriptionsliste gestanden, und die Namen seiner Erben waren aufgezeichnet in den Listen der Gefängnisse. Dann hat Josephine, die jetzige Konsulin, ihre Hand über dem Besitz gehalten. Sie wird mich in den nächsten Tagen empfangen, damit ich ihr meinen Dank ausspreche. Sie ist eine vornehme Frau, wohl die vornehmste in Frankreich geworden, und sie soll ihre Stellung gut ausfüllen. Der Konsul soll sie sehr lieb haben; aber man munkelt, daß sie nicht mehr die einzige Königin seines Herzens ist. Wer aber unter uns Frauen darf verlangen, die einzige Liebe ihres Mannes zu sein? Während ich unter den Bäumen des alten Gartens wandere, denke ich über diese Dinge nach. Ich weiß lange, daß Koralie noch immer eine Rolle im Leben meines Mannes spielt, daß er ihr Geld schickte, als wir selbst kaum etwas hatten. Wenn ich doch nur wüßte, was er an ihr findet! Augenblicklich weiß ich nicht, wo sie sich aufhält, und ich frage auch nicht. Nachgerade wird man gleichgültig. Aber ich denke an alte Zeiten, an die schlanke Gestalt meines Onkels, der einst hier Herr war, an sein stilles Grab im Norden. Und wie ich mir durch einen Wächter das stille große Haus aufschließen ließ, gedachte ich der Gestalten, die einst hier ein und aus gingen: der vornehmen Herren und Damen, der alten Lenoir, die längst nicht so schlimm war wie ihre Enkelin, und vieler vieler anderer. Und plötzlich steht das Haus Duplay vor mir, Lenore, die Stolze, der sanfte Robespierre, die kleine Jeanne. Und über mich kommt die Sehnsucht, sie alle wiederzusehen.

Jeanne wollte damals Paris nicht verlassen, und wir hätten sie auch kaum mitnehmen können. Sie und die Ballier taten sich zusammen, um irgendeinen Erwerb zu suchen, und ich vergaß sie, bis ich wieder herkam. So ist man das Produkt seiner Umgebung. Wie viel habe ich in Deutschland vergessen, das mir jetzt wieder in Erinnerung kommt! Peter Fuchs, wo bist du? Warst du nicht ehemals ein guter Kamerad, und holtest du mich nicht aus dem Gefängnis? Was ist aus dir geworden?

* * *

Also wir waren zum Tee bei der Konsulin. Sie war sehr reizend, sprach mit mir von alten Zeiten, was sie sonst nicht tun soll, und machte Jean ein Kompliment über mich, das dieser mit einer artigen Schmeichelei erwiderte. Dann kam der Konsul, vor dem ich eine Verbeugung machte, wie sie der arme Ludwig entgegenzunehmen pflegte, aber Bonaparte nahm sie freundlicher auf. Der Konsul hat ein schönes, interessantes Gesicht, er sprach gleich sehr lebhaft mit Jean, fragte ihn nach Deutschland und nach den dortigen Verhältnissen. Er interessiert sich für alles und scheint große Kenntnisse zu haben. Jean antwortete klug und verständig. Er weiß die Menschen immer für sich einzunehmen. Unsere Angelegenheiten stehen gut. Bald werde ich das Haus in der Rue Richelieu als mein Eigentum betrachten dürfen. Ebenso wie die zwei Güter in der Provinz. Wir werden an Tante Amelie allmählich eine Abfindungssumme bezahlen; und ich freue mich darauf, daß sie und ihr Mann aus kleinlichen Sorgen herauskommen, denn die Finanzen des Herzogs werden von Jahr zu Jahr schlechter, so daß er eigentlich niemals mehr Gehalt zahlt.

Jean ist mit allem einverstanden. Er weiß, daß meine Bekanntschaft mit der Konsulin ihm die Wege ebnet, also muß er mir rücksichtsvoll entgegenkommen, übrigens wäre es unrecht, zu behaupten, daß er jemals nicht rücksichtsvoll gewesen wäre; wir gehen nur kühl nebeneinander her, und ich empfinde Sehnsucht nach ein wenig Liebe. Seitdem mein Junge so weit weg ist, habe ich niemand, der mich liebt.

Wir machen Besuche und gehen viel in Gesellschaften. Solche wunderlichen Gesellschaften. Die Damen kaum bekleidet und frei im Benehmen, die Männer unbescheiden und formlos. Beim ersten Konsul herrscht der beste Ton; die anderen lachen und behaupten, daß er den französischen Hof nachmachen will; das sollte ihm aber nicht gelingen! Und sie sprechen zweideutige Dinge und können nicht begreifen, daß ich sie nicht verstehen will. Allerdings, ich bin ein Cidevant und habe einen Cidevant geheiratet. Es gibt Leute, die uns spitzige Bemerkungen machen. Aber weder ich noch Jean verstehen sie. Denn das muß ich ihm lassen: er ist trotz vieler Fehler immer ein vornehmer Mann geblieben.

* * *

Heute ging ich in die Rue St. Honoré. Eine Art Heimweh zog mich hin, über das ich mich selbst wunderte. Aber es war so, und wie ich das alte Häuschen suchte, in dem ich mit der Lenoir einige Zeit gewohnt hatte, empfand ich es fast schmerzlich, daß der baufällige Kasten einem neuen Hause Platz gemacht hatte. Aber das Duplaysche Haus war unverändert. Das Schild mit dem Namen und einigen Emblemen hing noch vor der Tür, und die Fenster waren alle wieder in Ordnung und frisch gestrichen. Gerade wie ich mich unschlüssig vor dem Hause aufhielt, ging die Tür auf, und der Tischler kam heraus, in gerader Haltung und mit demselben gleichmütigen Gesicht, mit dem er ehemals aus dem Jakobinerklub zu kommen pflegte. Er sah gleichgültig über mich weg, und ich mochte ihn nicht anreden. Wir haben damals kaum einige Worte gewechselt; mit ihm mich zu unterhalten, hätte wenig Sinn gehabt. Aber, als nach wenig Augenblicken Lenore ihrem Vater folgte, machte ich eine unwillkürliche Bewegung, sie anzureden. Sie war schwarz gekleidet und trug den Kopf gerade so hoch wie damals, als sie hoffte, die erste Frau in Frankreich zu werden.

Ihre Augen ruhten einen Augenblick auf meinem Gesicht, dann schürzte sie verächtlich die Lippen und raffte ihr Kleid zusammen, als scheute sie meine Berührung.

Ich war wirklich gekränkt. Natürlich ging ich nun weiter und fand bald einen kleinen Laden, vor dem der Name Vallier stand. Wahrhaftig, das war meine ehemalige Kollegin in der Hausarbeit, Bürgerin Vallier, die einen kleinen Laden von allerlei Niedlichkeiten aufgetan hatte, die mich gleich erkannte, mir fast um den Hals fiel und mich in das Hinterstübchen drängte und mich küßte.

»Mademoiselle sind Sie's wirklich? Ach, ich hab's gleich gedacht, daß Sie wiederkämen; es gibt doch nur ein Paris, nicht wahr? Hier nur kann man so hübsche Dinge erleben, wie wir es taten!«

Sie lachte, rieb sich die Hände, horchte auf die Ladenglocke, die aber nicht anschlug. Sie brachte gleich heraus, daß ich verheiratet und eigentlich eine Marquise war.

»So muß es sein, Bürgerin,« sagte sie befriedigt. »Einen Mann muß man haben und ein Kind, dann kann einem niemand etwas anhaben, besonders, wenn dieser Mann nicht gleich tot bleibt, wie es der armen Jeanne passiert ist. Sie hat einen Offizier von unserer glorreichen Armee gekriegt, und da muß er gleich bei Marengo fallen. Sie wissen, wir haben einen großartigen Sieg erfochten; das muß man dem Bonaparte lassen, daß er diese Dinge versteht, aber für die Frauen ist's nicht angenehm, wenn sie mit einmal Witwe werden!«

Wie sie so schwatzte, erfaßte mich ein wunderbares Gefühl, eine Angst, die ich mir selbst nicht erklären konnte, aber Madame Vallier plauderte schon weiter.

»Ach, Bürgerin Marquise, Sie müssen sich der kleinen Jeanne annehmen, sie soll mal zu Ihnen kommen und ihre Schicksale berichten. Madame Didier heißt sie jetzt und hat eine kleine Tochter. In Italien ist sie gewesen und dann noch anderswo; wir Franzosen erobern ja die halbe Welt; aber dann ist Marengo gekommen, und nun weiß sie nicht recht, wovon sie leben soll. Irgendein General hat ihr sagen lassen, sie müßte sehen, bald wieder einen Mann zu bekommen, der für sie sorgte, aber so schnell geht's denn doch nicht, und jeden kann man nicht nehmen!«

Ich war wieder sehr ruhig geworden. Warum mußte ich auch fürchten, daß mein guter Peter Jeannes Mann gewesen wäre und nun sein Leben ausgelebt hätte? Und wenn er es tat, was ging's mich an.

Die gute Vallier schwatzte unaufhörlich von den Duplays, die so starre Republikaner waren, daß sie sich offen gegen den ersten Konsul und seine Wohnung in den Tuilerien ausgesprochen hatten. Es gab überhaupt noch immer Jakobiner, die sich nichts von dem Italiener gefallen lassen und ihn bald absetzen wollten.

Frau Vallier ließ bei dieser Mitteilung ihre Stimme sinken und sah sich um, als fürchte sie, belauscht zu werden.

Die Wände haben Ohren, Bürgerin, im Tempel sitzt eine Menge von Gefangenen, die nichts anderes getan, als ihre Meinung gesagt haben. Aber Bonaparte liebt keine eigene Meinung. Nun, er ist ein großer General, das muß man ihm lassen, und seine Frau bringt Geld unter die Leute, obgleich sie eine schlechte Bezahlerin ist. Ja, wenn ich mir denke, daß die arme Witwe Capet schließlich kein ordentliches Kleid anzuziehen hatte, als sie sich zum letztenmal in der Öffentlichkeit zeigte, daß das weiße Kleid, das sie trug, ein geliehenes war, dann geht's doch manchmal merkwürdig in der Welt zu. Denn ehemals hatte die Capet doch sehr schöne Kleider, und wo sie geblieben sind, mag Gott wissen. Wirklich, ich hab was von Robespierre gehalten, als er noch vernünftig war, aber all die schönen Sachen der Capets, die sie doch in den Tuilerien ließen, die sind doch alle verschwunden, und eigentlich gehörten sie dem Volke, das nichts bekommen hat. Ja, ja, Bürgerin, wir hier in der Straße reden manchmal noch von den alten Zeiten. Es war doch komisch, daß damals alle Aristos zur Guillotine kamen, und nachher alle die, die sie hinaufschickten. Wer hatte nun recht und wer unrecht?«

So schwatzte sie noch ein Weilchen, wollte mich nicht loslassen und hatte dies und jenes zu berichten, an das uns eine gemeinsame Erinnerung knüpfte.

Als ich meinem Mann nachher von meinem Besuch berichtete, hörte er sehr aufmerksam zu, riet mir dann aber, nicht wieder zu der guten Frau zu gehen, sondern ihren Besuch lieber bei mir zu empfangen, und den auch nur in beschränktem Maße.

»Wir müssen vorsichtig leben, Madame,« setzte er hinzu. »Mit Freundinnen von Robespierre dürfen Sie nicht verkehren, das könnte sowohl Ihnen wie mir schaden!«

Seit einiger Zeit schon sagt Jean Madame zu mir und nennt mich Sie – gerade wie ich ihn Monsieur und gleichfalls Sie nenne. Zuerst erschrak ich, als dieser steife Ton bei uns eingeführt wurde; jetzt habe ich mich daran gewöhnt. Der Marquis hat mich nur flüchtig geliebt; schon lange weiß ich es, und ich bin dumm, in ihm noch etwas Besonderes zu sehen. Ich tue es auch nur in verschwiegenen Stunden; er darf es nie merken. Er ist übrigens sehr froh in diesen Tagen. Der erste Konsul hat ihn in Frankreichs Dienste genommen: er wird als hoher Beamter nach Oberitalien und vielleicht nach Rom geschickt. Soll Kunstschätze für die Republik sammeln und vielleicht neue Steuern ausschreiben. Er wird schon in den nächsten Tagen abreisen, während ich in Paris bleiben muß. Erstens, weil die Angelegenheit unserer Güter noch nicht geregelt ist, dann auch darum, weil ich mich gewissermaßen als Pfand für sein gutes Betragen hier aufzuhalten habe.

Mir ist alles recht, aber ich wäre doch lieber in das liebe kleine Nest des Nordens gegangen, wo mein Junge ist. Er spielt im Schloßgarten und ist ein dicker Bub geworden, wie Tante Amelie mir schreibt. Wer aber soll ihn mir herbringen? Und außerdem kommt hier die Hitze, und dort oben ist's kühl und grün. Ich muß mich bescheiden.

* * *

Heute hat mich Jeanne Didier besucht. Eine zierliche kleine Frau, deren Haltung man nicht ansieht, daß sie einst ein einfaches Dienstmädchen war. Ihr Mann ist als Kapitän gefallen, und sie muß sich und ihr Kind allein durchbringen. Hat einen kleinen Mittagtisch eingerichtet, an dem einige junge Offiziere essen. Das bringt nicht viel Verdienst, aber doch so viel, daß sie und ihr Kind dabei satt werden. Und bei ihr erkundige ich mich nach dem Kapitän Renard, und sie weiß etwas von ihm. Ein tüchtiger Offizier, aber ein zu guter Republikaner. Der Konsul mag die strengen Republikaner nicht mehr; die kritisieren seine Handlungen zu laut und sehnen sich nach den Zeiten des ersten Direktoriums.

Jeanne kann vernünftig sprechen. Dreimal ist sie mit ihrem Mann ins Feld gezogen und hat alle Strapazen mit ihm geteilt. Sie hat ernsthafte und kluge Leute reden hören und von ihnen gelernt. So lustig wie ehemals ist sie nicht mehr. Wer aber kann immer lustig bleiben! Und sie läßt sich geduldig von meinem Knaben berichten und erzählt nur ganz bescheiden von ihrem eigenen Kinde. Aber sie hat ihr Töchterchen bei sich, und ich muß mich in Sehnsucht verzehren.

* * *

Der Marquis schreibt liebenswürdige Briefe und schickt sogar Geld. Er muß verstehen, die Steuern gut auszuschreiben, so daß viel für ihn abfällt. Anders kann ich es nicht begreifen. Aber es ist angenehm, unser verfallenes Haus wieder instand setzen zu lassen. Barival schickt auch Kunstwerke und Bilder fürs Haus. Allerdings mit der Bestimmung, falls die erste Konsulin einiges sehen und bewundern sollte, es ihr gleich zu schenken. Aber Josephine hat wenig Zeit, mich zu besuchen; außerdem erhält sie ganze Wagenladungen von Teppichen, Bildern und Marmorfiguren aus Italien. Sie ist zufrieden, wie mir scheint, wenn sie auch manchmal darüber klagt, daß Bonaparte wenig Zeit für sie habe.

Er soll ihr nicht mehr ganz treu sein; aber Jeanne sagt, daß die meisten Männer dies nicht seien. Und Bonaparte ist noch immer sehr rücksichtsvoll.

Jeanne ist eine gute Gesellschaft für mich. Sie kommt allwöchentlich einmal und berichtet mir manches, was ich sonst nicht wissen würde. Denn der erste Konsul hat mich in seinem Haushalt als Ehrendame seiner Gemahlin aufnehmen lassen. Dies bringt gerade keine Arbeit, bedingt aber, daß ich mich fast täglich in den Tuilerien zeigen muß.

Das Leben ist etwas einförmig, aber der Konsul wünscht nicht, daß seine Gemahlin alle ihre ehemaligen Freundinnen aufsuchen soll. Sie muß sich mit ihrem Umgang vorsehen. Sie ist immer gut zu mir, fragt gelegentlich auch wohl nach Tante Amelie und nach meinem kleinen Heribert. Aber seitdem ich bei der letzteren Frage einmal bitterlich weinte, fragt sie nicht mehr. Wenn ich doch meinen Jungen bei mir hätte! Doch der Marquis wünscht es nicht; ich habe ihn oft gefragt und immer dieselbe Antwort erhalten. Unser Kind soll in der Stille und Ländlichkeit erzogen werden, um gesund zu bleiben.

1804.

Napoleon ist Kaiser der Franzosen geworden, und auch Barival kam zur Krönung. Es war eine aufregende Zeit, man freute sich, als alles wieder in Ordnung war. Die alte Etikette ist eingeführt; viele ehemalige Emigranten erhalten hohe Hofstellen, und wenn der Marquis es wünscht, kann er Pair von Frankreich werden. Aber Barival geht lieber wieder nach Rom, wo er eine sehr angenehme Stellung hat. Ich höre, daß er dort in einem Palast wohnt und sehr schöne Gesellschaften gibt. Die Damen der römischen Aristokratie sind liebenswürdig gegen ihn, am meisten wird er aber mit einer schönen Französin gesehen, die sich Marquise von Brielle nennt. Jeanne hat es mir berichtet. Sie führt noch immer ihren Mittagtisch, obgleich sie sich einmal schon mit einem Obersten hätte verheiraten können. Sie hätte ihn auch genommen, aber als er sich eines Tags brüstete, in Nantes gewesen zu sein und an den Ertränkungsszenen teilgenommen zu haben, da wollte sie ihn nicht heiraten.

»Man weiß nicht, wie so einer in der Ehe ist!« setzte sie hinzu, und ich mußte ihr recht geben.

Ich suche immer noch nach Pierre Renard, und ich finde ihn nicht. In keiner Armeeliste, nirgendwo wird sein Name genannt. Jeanne meint, er sei vielleicht bei Marengo gefallen. Da ihr Mann dort sein Leben gelassen hat, glaubt sie von allen, sie hätten dasselbe Schicksal erlitten.

Sie ist manchmal ein wenig dumm, die kleine Jeanne, und dann wieder sehr klug. Ich könnte sie nicht gut entbehren und freue mich ihrer Gesellschaft. Die anderen Damen sind alle eifersüchtig aufeinander; jede will bei Josephine die erste Rolle spielen, und sie läßt sich auch beeinflussen. Es muß schön sein, eine Kaiserin zu sein und Gnaden austeilen zu können.

* * *

Heute sah ich zum erstenmal den Vizekönig von Italien wieder. Denselben, mit dem ich, als er Eugen Beauharnais hieß, durch das Paris des eben besiegten Schreckens gegangen bin! Obgleich seitdem zehn Jahre vergangen sind, hatte er die Liebenswürdigkeit, mich zu erkennen und mit mir von alten Zeiten zu sprechen. Ein Thema, das sonst ängstlich vermieden wird. Aber Eugen ist ein vornehmer Mann, und die andern wollen es nur sein. Ihm gegenüber nannte ich auch den Namen Renards als meines Retters aus dem Gefängnis. Schon oft habe ich von ihm gesprochen, aber niemand hat sich den Namen gemerkt. Der Vizekönig aber fragte gleich: »War das der Renard, der mit einigen andern Offizieren so lange im Tempel gefangen gewesen ist?«

»Im Tempel?«

»Ja, wissen Sie nicht, daß mehrere Verschwörungen gegen den ersten Konsul entdeckt worden sind? Die rabiaten Republikaner trachteten ihm nach dem Leben; dafür haben sie natürlich büßen müssen!«

Diese Unterhaltung war auf einem Gartenfest in Malmaison, und ich wandte mich nachher an einen der kaiserlichen Adjutanten, um Auskunft über den Kapitän Renard zu erhalten. Er war sehr liebenswürdig und wollte sich erkundigen, ob der Mann noch im Gefängnis oder schon frei wäre. Dann verlangte die Kaiserin nach mir, und ich mußte lange hinter ihr stehen und ihre Klagen über die Unfreundlichkeit der Pariser Kaufleute anhören. Sie geben ihr nicht gern mehr Kredit, und der Kaiser wird manchmal böse, weil sie so viel Geld braucht.

Ich habe Jeanne kommen lassen und sie gebeten, sich nach Renard zu erkundigen. Wenn er wirklich noch im Gefängnis schmachtet, soll er frei werden.

* * *

Er ist nicht mehr da – hat drei Jahre im Gefängnis zugebracht, ist dann entwichen. Peter, Peter, wo steckst du? Hast du deine Kinderfreundschaft ganz vergessen?

1806.

Wir haben in Preußen die Schlacht bei Jena gewonnen, und der Marquis Barival ist ins Hauptquartier des Kaisers berufen worden, um in dem eroberten Lande Kontributionen einzutreiben. Es scheint, daß er dies Geschäft besonders gut versteht. Vorher aber ist er auf einige Tage in Paris und trotz aller Einnahmen in schlechter Stimmung. Gegen mich ist er artig und hat mir von selbst vorgeschlagen, im nächsten Frühjahr nach Deutschland zu reisen, um meinen Sohn zu sehen. Ich wage noch nicht, mich zu freuen; aber ich beginne die Tage zu zählen, die mich vom Frühling trennen. Es sind ihrer leider so viele! Aber ich höre öfters vom kleinen Heribert: Tante Amelie betet jeden Abend mit ihm, und dann empfiehlt mein Sohn mich besonders dem lieben Gott. Ich habe es auch nötig: in diesem bewegten und doch öden Leben denkt man so wenig an die Vergänglichkeit des Daseins.

1807.

Januar. Ich habe das Amt erhalten, der Kaiserin vornehme fremde Damen vorzustellen. Aus allen Ländern kommen sie nach Paris, um den glänzenden französischen Hof kennen zu lernen; die Kaiserin, die einstmals im Gefängnis saß und eine arme Witwe war!

Gestern nannte mir der Hofmarschall zwei italienische Herzoginnen, deren Männer unter den Fahnen des Kaisers dienen. Ihre Namen wurden mir auf einem Zettel übergeben, und beide Damen standen schon im Vorzimmer der Kaiserin, als ich kam. Die eine, eine kleine dicke Dame, kam auf mich zu und sagte einige Worte in gebrochenem Französisch; die andere lächelte mich an und zeigte ihre spitzen Zähne. Es war Koralie, Marquise von Brielle, vermählte Herzogin von Tremezzo. Sie war in kostbaren grünen Brokat gekleidet und trug eine königliche Perlenkette.

Das Hofleben hat mich hart gemacht, ich zuckte mit keiner Wimper, sagte den Damen das, was meines Amtes war, und nannte später der Kaiserin mit klarer Stimme die Namen.

Josephine war liebenswürdig, sie ist es jetzt meistens. Die arme Frau! Hat sie doch keinen Sohn, der Napoleons Nachfolger werden könnte! Sie ist schon bei der Lenormand gewesen, um sich sagen zu lassen, wie lange sie noch Kaiserin bleiben würde; die Prophetin aber hat ihr nicht antworten wollen. Also die Kaiserin war sehr artig, fragte beide Damen nach ihren Männern und erkundigte sich bei Koralie, in welchem Teile Frankreichs ihre Familie gewohnt habe.

Die Gefragte nannte die Auvergne – dann glitt sie leicht über diesen heiklen Gegenstand hinweg, sagte der Kaiserin Schmeicheleien und versuchte, die andere Herzogin nicht zu Wort kommen zu lassen. Dann war die Audienz vorüber, und beide Damen konnten sich entfernen. Ich hatte noch andere Damen vorzustellen und nahm mir vor, Koralie zu vergessen. Ich wußte, daß sie immer wieder über mich triumphierte, aber ich war kalt geworden.

Barival war nicht besser als andere Männer, seine Frau war ihm ein notwendiges Dekorationsstück, seine Freuden suchte er anderswo. Nun begriff ich seine üble Laune: Koralie hatte ihn verlassen und sich einen vornehmen Mann genommen, das hatte ihn natürlich geärgert.

Es gab gerade viele Feste bei Hofe und dadurch für alle Damen viel Arbeit. Ein großer Ball sollte stattfinden, zu dem auch die vorgestellten italienischen Damen eine Einladung erhalten hatten, als sich eines Morgens der Zeremonienmeister bei mir melden ließ. Er war aufgeregt und erklärte, daß die Einladung für die Dame, die sich Herzogin von Tremezzo nannte, zurückgenommen werden müßte.

»Sie ist nicht die richtige Herzogin«, berichtete er. »Die rechtmäßige Gemahlin des Herzogs befindet sich im Kloster, und diese Marquise von Brielle ist eine Abenteurerin. Sie ist weder Marquise noch Herzogin; an den Hof meines kaiserlichen Herrn darf ich sie nicht bringen. Sie müssen zu der Dame fahren und ihr die Sache schonend beibringen. Sie muß wegen Krankheit absagen.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Ich kann's nicht tun!«

»Warum nicht?« fragte der Graf, der noch bei Ludwig dem Sechzehnten den Hofdienst gelernt hatte.

»Ersparen Sie mir die Antwort, Graf, ich kann der Dame nicht gut eine so unangenehme Botschaft überbringen!«

Er versank in Nachdenken und küßte mir plötzlich die Hand.

»Dann muß ich selbst den unangenehmen Gang übernehmen, nun, ermorden wird mich die schöne Koralie kaum!«

Wahrscheinlich dämmerte ihm, warum ich nicht zu Koralie wollte; die Männer wissen mehr voneinander als wir Frauen von unsern Mitschwestern. Ich bin gespannt, wie alles enden wird!

* * *

Soweit schrieb ich gestern. Am Abend ließ sich die Herzogin von Tremezzo bei mir melden. Einen Augenblick zögerte ich, dann ließ ich sie in meinen Salon führen.

Es war dasselbe Zimmer, das meinem Onkel als Arbeitszimmer gedient hatte. Seine Möbel waren nicht mehr darin, sie waren der Revolution zum Opfer gefallen, aber ich hatte mich bemüht, dem Gemach eine ähnliche Einrichtung zu geben. Die Ledertapete war ähnlich wie die einst zerstörte, der Schreibtisch stand an derselben Stelle, und der Teppich hatte dieselbe Farbe.

Ich ließ die »Herzogin« ein wenig warten, dann trat ich ein und bat sie höflich, Platz zu nehmen. Sie war in einen eleganten Pelz gehüllt und trug eine Zobelmütze, die ihr sehr gut stand. Aber sie war aufgeregt.

»Es ist lange her, daß wir uns sahen,« begann sie, »und daß wir uns gerade in dem mir so teuren Hause wiedersehen müssen, bewegt mich!«

Ich dachte an den Augenblick, da sie mich den Schergen überantwortete, da sie nur Hohn und Spott für mich hatte, aber ich erwiderte, daß auch für mich das Haus viele Erinnerungen enthielte.

Dann schwieg ich und sah sie an, da sie mir den Grund ihres Besuches erklären mußte.

Er ließ auch nicht auf sich warten.

»Marquise, Sie haben mich der Kaiserin vorgestellt, ich bin zum Ball geladen, und nun wird mir mitgeteilt, daß ich lieber auf dieses Fest verzichten sollte. Wollen Sie mir den Grund sagen?«

»Sie wissen ihn besser als ich!« entgegnete ich höflich.

Ihre Augen begannen zu funkeln.

»Hüten Sie sich, Madame! Wenn Sie mich beleidigen, werde ich Jean Barival zu finden wissen! Er liebt mich noch immer, ich weiß es. Mit Freuden wird er mich wieder aufnehmen!«

»Und der Herzog von Tremezzo?«

Vielleicht lächelte ich ein wenig, denn Koralie fuhr auf und begann zu schimpfen, wie sie einst geschimpft hatte. Es fehlte wenig und sie hätte mich eine Aristo genannt, wie zu alten Zeiten.

Ich saß ihr sehr ruhig gegenüber. Mochte sie schelten und sich brüsten, daß Jeans Liebe ihr immer gehört habe, daß ich eine langweilige Deutsche sei, die keinem Franzosen genügen könne, daß ich durch Lug und Trug in meine jetzige hohe Stellung gekommen wäre: ihre Worte machten keinen Eindruck auf mich. Es stand nur plötzlich die alte Zeit vor mir auf: ich dachte an Frau Lenoir, die besser gewesen war als ihre Enkelin, und endlich war es mir, als hörte ich eine lachende Stimme sprechen:

»Nun, kleine Puppe, willst du mich nicht heiraten?« Koralie war gegangen, ich hatte es kaum bemerkt. Ich schalt mit mir selbst, daß ich eine Träumerin geworden war, aber ist es nicht ein Glück für uns, wenn wir einmal träumen können?

Auf dem Hofball sind die zwei italienischen Herzoginnen nicht erschienen, die andere schien auch nicht ganz glaubwürdig zu sein. Der Graf St. Vié winkte mir am Abend lachend zu: die beiden Damen waren aus Paris über die italienische Grenze verwiesen.

Berlin 1809.

Jetzt regieren wir in Preußen, und der Marquis hat in Berlin zu tun, wohin er mich berufen hat. Seine Gesundheit ist schlecht geworden; niemand aber darf es wissen, vor allem nicht der Kaiser, der sich über seine hohen Beamten immer Bericht erstatten läßt. Napoleon selbst muß eine eiserne Gesundheit haben; eben war er noch in Spanien, nun kämpft er gegen die Österreicher und will fast täglich Nachrichten aus dem eroberten Preußen haben. Die böse Politik! Die französischen Generale, die bei uns verkehren, sagen, ich dürfte mich nicht um Schlachten und Waffenglück bekümmern; der Kaiser ist ein Gott, der die Geschicke der Erde leitet, nur an ihn muß man glauben! Ach, ich will wohl an ihn glauben, aber ich kann doch nachts nicht schlafen, wenn ich an meinen kleinen Heribert denke, der im nächsten Jahre nach Frankreich in die Schule von St. Cyr geschickt werden soll. Er ist dann dreizehn Jahr alt, und Seine Majestät braucht junge Soldaten! Dabei ist mein Junge noch so klein und zart, ein rechtes Kind, das seine Mutter liebt und sich von ihr lieben läßt!

Ich bin fast vierzehn Monate in Plön gewesen, bei den liebsten Menschen, die ich habe. Der Marquis hatte nichts dagegen, da er doch keine bleibende Statt hatte, und ich habe mich eingesponnen in den Frieden der Kleinstadt, in die Buchenwälder, in die weite Fläche der Seen! Draußen in der Welt war Krieg, und sein Grollen kam aus weiter Ferne zu uns – wir konnten ihn aber wieder vergessen und brauchten nicht an ihn zu denken. Es war so friedevoll, daß mein Tagebuch im Koffer liegen blieb; ich hatte nichts zu schreiben. Wie glücklich sind die zwei Menschen miteinander: Tante Amelie mit ihrem Mann! Sie haben keinen anderen Wunsch, als nur sich zu leben und einander die Wünsche vom Auge abzulesen. Daß es solche Ehen gibt! Ich wundere mich, und dann werde ich traurig. – Ob es auch für mich ein solches Glück gegeben hätte, wenn – ja wenn es eben alles anders gekommen wäre? Der alte Herr Fuchs in Plön ist lange verschollen. Niemand weiß mehr von ihm – er soll bei den Emigranten sein Hab und Gut eingebüßt haben und dann an den Rhein gezogen sein. Von seinem Sohne spricht kein Mensch mehr. Ich bin wohl das einzige Wesen, das ihn nicht vergessen hat.

Der Marquis gefällt mir nicht. Er ist müde und verstimmt, aber er zeigt es nur mir; wenn die Herren aus dem Generalstab kommen, ist er liebenswürdig und angeregt. Ebenso gegen die preußischen Herren, die oft erscheinen, weil sie die Kontributionen nicht zahlen können. Wir saugen das Land aus; es muß wohl sein, aber manche Hand ballt sich heimlich gegen uns, die Eroberer. Aber so ist der Krieg, und die Preußen haben den kriegerischen Geist verloren, der sie einst unbesiegbar machte. So wenigstens sprechen die Franzosen, und Barival sagt, der König von Preußen sollte nur wieder Marquis von Brandenburg werden, das würde das beste sein. Nun ja, gegen den Kaiser kann eben niemand!

* * *

Dem Marquis geht's besser. Er ist nach Wien berufen worden, um den Friedensverhandlungen beizuwohnen. Der Kaiser ehrt ihn durch sein Vertrauen, und diese Wahrnehmung macht meinen armen Gatten halb gesund! Er will mich nicht mitnehmen; die Wohnung hier unter den Linden ist gerade behaglich geworden, und er wünscht hierher zurückzukehren. Ich darf mir meinen kleinen Heribert kommen lassen und ihm die Stadt und alle Sehenswürdigkeiten zeigen. Es sind sonnige, milde Herbsttage, und ich freue mich kindisch, daß Tante Amelie und ihr Mann den Jungen bringen wollen. Wie gut und ungestört werden wir es haben und recht von Herzen froh sein.

* * *

Es ist anders gekommen. Als ich zur Post ging, um meine lieben Reisenden im Triumph abzuholen, stieg wohl mein Junge aus dem Wagen, aber die ältliche Dame, die ihm folgte, kannte ich nicht eher, als sie mir ihren Namen sagte. Es war Tante Georgine von Ahlefeld, die einen Verwandten in Berlin besuchen wollte und Heribert mitnahm. Tante Amelie war nicht wohl genug zur Reise gewesen, und ihr Mann wollte sie nicht verlassen. Natürlich nicht – wann sind diese zwei jemals getrennt gewesen, seitdem sie den Ehebund schlossen? Eine altmodische Ehe, würde der Marquis sagen. Ich freute mich, Fräulein von Ahlefeld wiederzusehen und ihr Gastfreundschaft anbieten zu können, die sie gern annahm. Sie war stark und unbehilflich geworden, zeigte aber für alles Interesse und versteifte sich im Laufe der Unterhaltung darauf, daß sie es gewesen wäre, die mein Glück gemacht hätte.

»Wissen Sie noch, Ottony, wie der dicke Baron aus Hannover Sie heiraten wollte und Sie ihn beinahe genommen hätten, nur um von mir wegzukommen? Sie waren damals in dem Alter, in dem das Mädchen sich nach einer eigenen Häuslichkeit sehnt. Er war auch so übel nicht, der Neuhof, aber ich ermahnte Sie, sich zu besinnen. Und dann kam jener anziehende kleine Franzose. Leichtes Blut, nicht wahr, aber ein guter Name und doch auch der Mann, der Ihnen bestimmt war. So ist denn alles zu einem guten Ende gekommen, und Sie sind eine große Dame geworden. Bei Baron Neuhof ist nicht alles nach Wunsch gegangen: die zweite Frau lief ihm davon. Sie verlangte zu viel, wie ich gehört habe.«

So plauderte die alte Dame, mischte Wahrheit und Dichtung durcheinander und glaubte selbst an das, was sie sagte. Zufällig wußte ich, daß die Frau des dicken Barons nicht damit einverstanden gewesen war, die Herrschaft im Hause mit einer drallen Magd zu teilen, und daher das Feld räumte. Sie wohnte jetzt in Plön, und Onkel Treusch hatte mir in seiner zögernden Art die Geschichte erzählt. Aber ich antwortete nichts; was die gute Tante Georgine sich einmal in den Kopf gesetzt hat, ist nicht mehr herauszubringen. Sie war übrigens eine gute Gesellschaft, bewunderte unseren Kaiser über alle Maßen, und lächelte über die Preußen, die sich schwer an die französische Oberhoheit gewöhnen.

Das Königspaar soll sehr unter der Abhängigkeit vom Kaiser leiden. Tante Georgine weiß, daß die Königin Luise leidend sein soll. Aber sie gibt Bälle in Königsberg, tanzt viel und schön. Im Winter werde ich sie wohl kennen lernen, da die Herrschaften wieder nach Berlin kommen wollen. An ihrer Stelle würde ich in Königsberg bleiben.

Januar 1810.

Ich bin wieder in Paris. Ein Kurier brachte mir den Befehl meines Mannes, Heribert selbst nach Frankreich zu geleiten. Außerdem bereiten sich Veränderungen im kaiserlichen Haushalt vor, die ich mitzumachen habe. Der Kaiser wird sich scheiden lassen und eine Fürstin von Geblüt heiraten. Die arme Josephine scheint ihr Schicksal zu ahnen, obgleich ihr niemand eine Andeutung zu machen wagt. Aber sie unterläßt nicht, sich Berge von schönen Kleidern und Spitzen auf Kredit zu kaufen. Marie Antoinette hat nicht so viel gebraucht wie sie. Aber König Ludwig eroberte und brandschatzte auch nicht so viele Länder.

Es ist still in meinem großen Hause; die Dienerschaft kommt erst allmählich wieder zusammen. Ich hatte der guten Jeanne Didier die Überwachung anvertraut, und sie hat sich der Aufgabe sehr gut entledigt. Noch immer hat sie einen Mittagstisch von Offizieren und Beamten, und sie weiß viel von Politik und Heeresaufgaben. Es scheint, daß manche Generale nicht mehr einverstanden mit dem Kaiser sind, trotz seiner Siege. Er braucht auch viele Menschen, und es war mir bitter, meinen Jungen in die Offiziersschule zu St. Cyr zu bringen. Heribert ist noch ein Kind, ein Junge, der jubelnd durch die großen Baumreihen des Gartens läuft, und für den das Leben nur voll Sonnenschein und vielen guten Tagen ist. Ach, wird die Sonne ihm wirklich immer scheinen? Die Zeiten werden ernsthaft; aber in Paris ist niemand ernst. Von den Heeren kommt eine Siegesbotschaft nach der anderen; und wenn in Spanien nicht alles geht, wie es gehen soll, so wird dies Land sich der Franzosen doch nicht erwehren können.

Frau Vallier sitzt noch in ihrem Laden, verkauft Bänder und Spitzen und freut sich ihres Lebens. Wenn sie den Namen Napoleon ausspricht, dann weint sie vor Stolz und Rührung. Die Duplays sind auch noch da, aber wenn ein kaiserlicher Wagen an ihrem Hause vorüberfährt, dann kehren sie ihm den Rücken. Ein Bild von Robespierre steht bekränzt vor Leonorens Bett: sie soll jeden Morgen davor knien.

»Die wissen nicht mit der Zeit fortzuschreiten!« sagt Frau Vallier achselzuckend, und ich möchte ihr erwidern, daß sie doch treu sind. Aber ich kenne ihre Antwort? »Treue? Was ist das? Man muß vernünftig sein!«

Die arme Josephine muß auch vernünftig sein. Der Papst wird ihre Ehe mit dem Kaiser scheiden, und dann wird Napoleon eine österreichische Erzherzogin, eine Nichte von der »Witwe Capet« heiraten. Als ich der Vallier diese Verwandtschaft klarzumachen versuche, lacht sie nur.

»Madame, damals waren doch ganz andere Zeiten! Damals war Frankreich arm und unglücklich, jetzt ist's reich und glücklich. Daran wird die neue Österreicherin auch nichts ändern!«

Wir Ehrendamen haben Abschied von Josephine genommen. Es war in Malmaison und sehr rührend, aber der Kaiser hatte befohlen, daß wir nur kurz bleiben durften.

Nächstens wird die feierliche Trauung des Kaisers mit Marie Louise sein. Ich habe abgelehnt, bei ihr in Dienst zu treten, sie hat genug Damen, da die vornehmsten Frauen des alten und neuen Adels sich zu den Stellen drängen; aber mein Gesuch um Entlassung ist nicht bewilligt worden, und mein Gatte, der noch in Österreich ist, schrieb mir einen scharfen Brief, der mich ermahnte, mein Glück nicht mit Füßen zu treten.

Ist es ein Glück, an diesem so veränderlichen Hofe zu dienen? Ich weiß es nicht, aber ich wage nicht, ungehorsam zu sein. Mein Junge, der mich alle Monate besuchen darf, berichtet, daß schon jüngere Knaben als er zur Armee geschickt werden. Besonders, wenn ihre Väter den Kaiser geärgert haben. Nein, ich will Napoleon nicht ärgern; ich will seinen Befehlen gehorchen.

Mein kleiner Heribert wird bald nicht mehr klein genannt werden können. Er hat sich in die Höhe gereckt und ist allerliebst in seiner Uniform. Dabei ist er ein so gutes Kind: liebenswürdig gegen alle Menschen und sehr gut zu seiner Mutter. Er ist der einzige, dem ich von alten Zeiten erzählen kann, und der nachdenklich mit mir durch die Räume des Hauses geht. Von Marie Antoinette muß ich ihm berichten und der schönen Prinzessin Lamballe, vom Gefängnis und von dem treuen Freunde, der mich rettete.

»Du weißt nicht, wo Pierre Renard ist, und hast ihm nie deine Dankbarkeit bezeigt?«

»Ich wollte gern, mein Kind, aber die Umstände hinderten mich!«

Darüber wundert sich Heribert.

»Man muß doch dankbar sein!« wiederholt er und streicht über seine Oberlippe, als sproßte dort ein Bärtchen. Es kommt aber noch keins, und er runzelt die Stirn, als er mich lächeln steht.

Er ist ein Kind, mein Heribert, und mein Augentrost. Er hat alle guten Eigenschaften seines Vaters und hoffentlich keine seiner schlechten.

Der Marquis wird übrigens zur Trauung des Kaisers erwartet. Ich bin gespannt, wie er sich befindet. In den letzten Briefen klagte er nicht über seine Gesundheit.

1811.

Wir haben den König von Rom getauft, und der Marquis ist nach Hamburg geschickt worden, um dort seine ihm angenehme Beschäftigung, Eintreibung von Kontributionen, aufzunehmen. Als ich ihm meine Begleitung anbot, lehnte er sie in seiner höflichsten Art ab.

»Ich will Sie nicht von Ihrem Sohne trennen, Madame!«

Ich freute mich, ich will's nicht leugnen, und Jean Barival lächelte mit einem Anflug von Melancholie.

»Sehen Sie, Madame, daß ich Ihre Gedanken und Wünsche erraten habe?«

»Marquis,« ich konnte gleichfalls ein Lächeln nicht unterdrücken, »ich weiß, daß Sie sich besser ohne mich unterhalten.«

»Meinen Sie?« Er sah mit seinen noch immer schönen Augen vor sich hin. »Allerdings, ich bin nicht für das Kleinbürgerliche, und Sie, Madame, können sich von diesem nicht trennen.«

»Würden Sie es lieben, wenn ich Liebhaber hätte?« erkundigte ich mich, nicht ohne Schärfe, und mein Gatte hob die Schultern.

»Mein Gott, Sie sind immer so gerade aus wie eine Bürgersfrau – aber, wir ändern uns eben beide nicht mehr!«

Nein, wir ändern uns nicht mehr – Es ist mir bald darauf mitgeteilt worden, daß die Marquise von Brielle in Hamburg wohnt, und kein Geringerer als der Kaiser sagte es mir: »Madame, Ihr Mann sollte diese Dummheiten lassen. Er ist ein guter Beamter und weiß seine Stellung auszufüllen, aber nachgerade wird er zu alt für diese Art von Liebschaften!«

Es war in Gegenwart von Marie Louise, daß der Kaiser mir diese Worte sagte, und ich hörte sie schweigend und mit der Ehrerbietung an, die Seine Majestät beansprucht.

Als er das Zimmer verlassen hatte, schlug die Kaiserin mich leicht auf die Schulter: »Machen's nit so traurige Augen, Marquise, die Männer taugen alle nix!«

Sie spricht gern einmal mit mir Deutsch, das Französische macht ihr kein Vergnügen. Sie ist eine gute Frau, sehr unbedeutend und gleichgültig. Aber sie ist eine Fürstin von Geblüt, und der Kaiser behandelt sie immer sehr artig.

1812.

Tante Amelie ist gestorben. Ihr Mann hat's mir heute angezeigt. Ich bin sehr traurig, nun habe ich nur meinen Jungen, der mich liebt. Und er wird nächstens zur Armee gehen müssen. Wir wollen Rußland erobern, und die Soldaten freuen sich auf den Feldzug. Auch mein Junge, der der festen Überzeugung ist, daß der Kaiser alles kann, auch das große, kalte Reich erobern. Der Marquis, der kürzlich hier war, glaubt dasselbe. Er hat jetzt einen Posten am Rhein erhalten; in Hamburg ist er noch nicht scharf genug gewesen, wie er mir berichtete. Jeanne hingegen, die ich noch öfters sehe, hat mir anvertraut, daß die Marquise von Brielle das Nebelklima nicht vertragen konnte und eine wärmere Luft wünscht.

Jeanne weiß viele Geschichten. Noch immer hat sie ihren Mittagtisch, und die Offiziere machen sie zu ihrer Vertrauten. Noch immer könnte sie heiraten, falls sie Lust dazu hätte, aber sie kann sich nicht entschließen.

»Lieber will ich, daß meine Claire mal einen guten Mann kriegt und ich ihr die Mitgift anständig ausrichten kann!«

Dann stecken wir zwei Mütter die Köpfe zusammen und schwatzen über unsere Kinder. Ich habe Heribert malen lassen. Ein kleines Miniaturbild, das nur seinen dunklen Kopf zeigt, seine sprechenden Augen. Und weil Jeanne in helles Entzücken beim Anblick des Bildes ausbrach, habe ich ihr den Maler geschickt, damit Claire auch gemalt werde. Sie ist ein gutes Kind mit sanftem, unbedeutendem Gesicht und wird nächstens ins Kloster geschickt werden, um noch etwas zu lernen. Heribert interessiert sich ein wenig für sie, macht ihr den Hof, wenn er sie sieht und lügt ihr allerhand vor. Das klingt alles sehr possierlich; aber manchmal macht mich die Ähnlichkeit mit seinem Vater ein wenig besorgt. Ich hoffe, daß er nur die guten Eigenschaften hat!

Diese letzte Nacht träumte mir so deutlich von Tante Amelie. Sie sah mich mit ihren guten Augen an und sagte in leiser Klage: »Wie schnell hast du mich vergessen, Ottony!« Ach, ich vergaß sie nicht, wenig Stunden am Tage gehen hin, daß ich ihrer nicht gedenke und um sie trauere. Aber das Leben erfordert so viel, die Zeit zum Nachdenken wird immer kürzer. Jeanne sagt auch, daß man nicht viel nachdenken soll!

August 1812.

Heute ist mein Kind mit einem der Garderegimenter zur Armee in Rußland gegangen.

5. Mai 1814. Paris.

Seitdem mein Sohn vor Moskau gefallen ist, habe ich dies Haus wenig verlassen. Ich habe die Armen besucht, habe gebetet und nachgedacht. Das letztere zu tun, hatte ich fast verlernt – jetzt kam die Zeit des Rückwärtsblickens, der Auflehnung gegen Gottes Willen, das Sichbeugen unter seine starke Hand.

Mein Kind hat nur kurz in dieser Welt bleiben dürfen, es war wohl gut so – sagt man nicht, daß Gott die jung sterben läßt, die er am meisten liebt? Aber ich kann nicht darüber schreiben – ich bin auch nicht die einzige Mutter, die weint.

Gestern zog Ludwig der Achtzehnte in Paris ein, der Bruder des Märtyrerkönigs, ein dicker Mann mit kalten Augen. Neben ihm saß Marie Therese, die einstige Madame Royale, jetzige Herzogin von Angoulême.

Als der von sechs weißen Pferden gezogene Wagen die Rampe zu den Tuilerien hinauffuhr und dort hielt, traten zweihundert weißgekleidete Frauen aus dem Schloß. Sie trugen Lilien in den Händen, knieten nieder und baten: »Tochter Ludwigs des Sechzehnten, segne uns!«

Das stolze Gesicht der Herzogin wurde schneeweiß; dann nahm sie sich mit einem Ruck zusammen und streckte mit stolzer Gebärde die Hände über uns aus.

Danach hatte mein Gemahl die hohe Ehre, die Fürstin mit einer kurzen Ansprache zu begrüßen. Er entledigte sich seiner Aufgabe mit großem Geschick. Der König nickte ihm huldvoll zu und zog ihn nachher lange ins Gespräch.

Wir sind wieder Bourbonen geworden, wie man an diesem merken kann, und wir verachten den korsischen Eroberer, der nach Elba gebracht ist. Seine Zeit ist vorüber, eine andere bricht an. Wird sie lange bleiben? Meine Freundin Jeanne behauptet, daß Napoleon wiederkehren wird; ihre Offiziere sagen es, und wenn diese auch immer andere sind, so hat sie doch Fühlung mit der Armee.

Dem Marquis Barival habe ich Jeannes Ansicht nicht vorenthalten. Er zuckt die Achseln und lächelt über Altweibergeschwätz. Aber ich weiß, daß er selbst nicht ganz sicher ist. Er wird vielleicht seine Maßregeln treffen, den Mantel hängt er immer nach dem Winde. Er ist alt geworden und oft sehr müde. Seit meines Kindes Tod sahen wir uns nicht, und er bat mich in seinem Anmeldebrief, nicht von Heribert bei unserem Wiedersehen zu sprechen. Diesem Wunsch bin ich gern nachgekommen, das Andenken meines Sohnes ist mir heilig, und die Lippen seines Vaters sind es nicht.

Also haben wir nur von den veränderten Verhältnissen in Frankreich geredet und davon, daß Heribert immer ein guter Royalist gewesen ist. Nur um Frankreich nicht zu verlassen, diente er dem Emporkömmling. So sprachen wir, und ich erhielt meine Befehle für die Ovation der Herzogin von Angoulême. Wie ich dann aber das Zimmer verließ, um einige Anordnungen zu geben, und später leise wieder eintrat, saß mein Mann vor dem Miniaturbilde meines Sohnes, hielt es in der Hand und küßte es. Er bemerkte mich nicht, und ich zog mich ebenso leise zurück, wie ich eingetreten war.

Also er hat ihn doch auch geliebt, und vielleicht wollte er es Koralie nicht zeigen. Sie soll noch immer in derselben Stadt wohnen, in die er versetzt wird. Vielleicht ist sie jetzt in Paris.

Ach, ich schäme mich, aber die Frau ist mir gleichgültig geworden. Sie ist mein böser Geist gewesen, sie wird es bleiben, bis ich sterbe, aber sie hat keine Macht mehr über mich. Denn meine Liebe zu meinem Mann ist langsam gestorben.


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