Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Geschichte von Gisli dem Geächteten

Karte zu den Geschichten von Gisli und von Havard

 

1. Thorkel Schärengewinn und seine Söhne

Unsere Geschichte fängt damit an, daß König Hakon, Adalsteins Pflegsohn, üher Norwegen herrschte 935-961.; und zwar war es gegen das Ende seiner Tage.

Es war ein Mann, der hieß Thorkel, mit dem Beinamen Schärengewinn. Er wohnte im Surental In der norwegischen Landschaft Nordmöre. und hatte die Hersenwürde. Er war mit Isgerd verheiratet und hatte drei Söhne: Ari, Gisli und Thorbjörn, das war der Jüngste. Sie wuchsen alle zu Hause auf.

Ein Mann namens Isi wohnte am Fibuli-Fjord in Nordmöre. Seine Frau hieß Ingigerd, seine Tochter Ingibjörg. Ari, der Sohn von Thorkel, freite um Ingibjörg und bekam sie mit reicher Mitgift. Sie brachte ihm auch einen Knecht ins Haus, der hieß Kol.

Es war ein Mann, der hieß der bleiche Björn, das war ein Berserker. Er zog durchs Land und forderte jeden zum Zweikampf, der nicht nach seinem Willen tun wollte. Er kam um die Winterzeit auf Thorkels Hof. Damals hatte Ari die Wirtschaft schon übernommen. Björn ließ Ari die Wahl: entweder solle er sich ihm auf dem Stockaholm dort im Surental zum Zweikampf stellen oder ihm sein Weib ausliefern. Ari wählte nicht lange; er wollte lieber kämpfen, als sich und seiner Frau den Schimpf antun. Eine Frist von drei Nächten wurde festgesetzt. – Nun kam der verabredete Tag. Da schlugen sie sich, und das Ende war, daß Ari fiel und sein Leben ließ. Björn meinte, nun habe er sich Land und Weib erkämpft; aber Gisli sagte, er wolle lieber sterben als das geschehen lassen; er wolle sich dem Björn zum Kampf stellen.

Da sagte Ingibjörg zu ihm: »Wenn ich auch Aris Weib wurde, so hätte ich doch lieber dich zum Manne gehabt. – Mein Knecht Kol hat ein Schwert, das heißt Grauseite; das laß dir von ihm leihen. Denn in dem Schwerte steckt die Kraft, daß der den Sieg behält, ders im Kampfe führt.«

Da bat Gisli den Knecht um das Schwert, und der lieh es nur ungern her. Gisli waffnete sich zum Zweikampf und sie schlugen sich, und das Ende war, daß Björn fiel. Gisli war sehr froh über diesen Sieg; und nun, sagt man, warb er um Ingibjörg. Er wollte eine solche Frau seinem Geschlecht erhalten; und sie wurde sein Weib. Er übernahm den ganzen Besitz Aris und wurde ein mächtiger Mann. Bald darauf starb sein Vater, und die ganze Erbschaft fiel an Gisli. Da ließ er alle die totschlagen, die Björn begleitet hatten.

Der Knecht forderte sein Schwert zurück. Gisli wollte es nicht hergeben und bot ihm Geld dafür. Aber der Knecht wollte nichts andres als sein Schwert – und bekam es darum doch nicht. Das gefiel ihm übel, und er fiel über Gisli her. Das gab eine schwere Wunde. Dafür hieb Gisli dem Knecht mit Grauseite so stark auf den Schädel, daß die Klinge zerbrach und die Hirnschale barst. So fanden beide, Gisli und der Knecht, den Tod.

 

2. Thorbjörn, Thorkels Sohn, und seine Söhne

Hierauf übernahm Thorbjörn den ganzen Besitz von seinem Vater und seinen beiden Brüdern. Er wohnte auf Stokkar im Surental. Er freite um Thora Rauds Tochter aus Fridarey und bekam sie zur Frau. Ihre Ehe war glücklich und es währte nicht lange, so bekamen sie Kinder. Das älteste war eine Tochter namens Thordis; von den Söhnen hieß der älteste Thorkel, der zweite Gisli, der jüngste Ari. Sie wuchsen alle dort zu Hause auf, und unter ihren Altersgenossen in der Gegend tat es ihnen keiner gleich. Später kam Ari zu seinem Oheim Styrkar in Pflege. Aber Thorkel und Gisli blieben beide daheim.

Es war ein Mann, der hieß Bard; er wohnte auch dort im Surental. Er war noch jung und hatte gerade sein väterliches Erbe übernommen. Es war ein Mann, der hieß Kolbjörn; er wohnte auf Hella im Surental. Man sprach davon, Bard habe mit Thordis Thorbjörns Tochter Umgang. Sie war schön und klug. Dem Thorbjörn mißfiel das sehr. Er sagte, wäre Ari zu Hause, so würde es nicht glatt abgehen. Aber Bard sagte: »Laß Kinder und Narren schwatzen. Ich treibe es darum nicht anders.«

Thorkel war sein Freund und wußte um alles. Aber dem Gisli war das Gerede ebenso ärgerlich wie seinem Vater. – Einmal, erzählt man, war Gisli mit Bard und Thorkel zusammen unterwegs. Sie waren schon halb bis Granaskeid – so hieß Bards Hof – und als niemand sich eines Bösen versah, erschlug Gisli den Bard. Thorkel wurde zornig und sagte, Gisli habe unrecht getan; aber Gisli bat seinen Bruder, sich zu beruhigen: »Laß uns die Schwerter tauschen, und nimm du das besser beißt«, sagte er und machte einen Scherz daraus Gisli deutet seinem Bruder damit an, daß ihm als dem älteren, das schärfere Schwert gebührt hätte.. Da wurde Thorkel ruhig und setzte sich neben Bards Leiche. Aber Gisli ging heim und erzählte es seinem Vater und der wars zufrieden.

Aber es wurde niemals wieder ganz heiter zwischen den Brüdern, und Thorkel ging auf den Waffentausch nicht ein. Er mochte auch nicht länger zu Hause bleiben, sondern zog nach der Insel Saxa zum Zweikampf-Skeggi, einem nahen Verwandten Bards, und blieb bei ihm. Er reizte ihn immer wieder, seinen Vetter Bard zu rächen, und er solle doch Thordis, seine Schwester, zur Frau nehmen. Da ritten sie ihrer zwanzig nach Stokkar.

Und als sie auf den Hof kamen, trug Skeggi dem Thorbjörn die Schwiegerschaft an: »ich möchte nämlich deine Tochter Thordis zur Frau«. Aber Thorbjörn wollte sie ihm nicht geben. Man sagte, Kolbjörn habe es mit ihr. Skeggi schien es, als ob der die Schuld trüge, daß er das Mädchen nicht bekam. Er suchte Kolbjörn auf und forderte ihn zum Zweikampf nach der Insel Saxa. Kolbjörn sagte, er werde kommen; er sei ja nicht wert, Thordis zu besitzen, wenn er den Kampf mit Skeggi scheue. Thorkel und Skeggi ritten heim nach Saxa und erwarteten dort ihrer zweiundzwanzig den angesetzten Tag. Und als die drei Nächte herum waren, ging Gisli zu Kolbjörn und fragte ihn, ob er zum Zweikampf bereit sei. Kolbjörn fragte zurück, ob er das nötig habe, um Thordis zu bekommen. »Das solltest du nicht fragen«, sagte Gisli. Kolbjörn sagte: »Ich meine, das habe ich dazu doch nicht nötig: mit einem Mann wie Skeggi zu kämpfen!« – Da nannte Gisli ihn einen ganz armseligen Feigling. – »Und wenn wir auch nur Schande von dir haben, werde ich jetzt doch für dich gehen.«

Gisli zog also selbzwölft nach Saxa. Skeggi kam auf die Insel und sagte das Zweikampfrecht auf und steckte für Kolbjörn den Kampfplatz ab. Und als er sah, daß weder Kolbjörn noch ein Ersatzmann für ihn gekommen war, da sagte er zu seinem Schmied Ref, er solle Bilder von Gisli und Kolbjörn machen: »Stelle sie einen hinter den andern; und dieses Schandbild soll immer stehen bleiben, ihnen zum Hohn.« – Das hörte Gisli aus dem Gehölz und antwortete: »Deine Leute werden Nötigeres zu tun bekommen. Hier kannst du den sehen, der mit dir zu kämpfen wagt.«

Da traten sie an und kämpften. Jeder hielt seinen Schild selber. Skeggis Schwert hieß Gunnlogi (d. i. Kampflohe). Mit dem hieb er auf Gisli und es gab einen hellen Klang. Da rief Skeggi:

Gellt' Gunnlogi:
Grimmig freut's Saxa.

Gisli hieb mit seinem Hauspieß zurück und trennte den unteren Rand von Skeggis Schild und ihm den Fuß vom Bein.

Er rief:

Hüpft Nämlich vor zum Kampf. Hels Waffe d. h. Todeswaffe: Der Spieß.:
Hackt' ich auf Skeggi.

Skeggi kaufte sich los und ging seither immer mit einem Holzfuß. Thorkel aber zog nun mit seinem Bruder Gisli heim, und sie waren nun wieder gut freund miteinander. Gislis Ansehen schien durch diese Tat nicht wenig gewachsen.

 

3. Gisli tötet Kolbjörn und Skeggi

Nun ist von zwei Brüdern zu erzählen; der eine hieß Einar, der andre Arni; sie waren die Söhne des Skeggi von Saxa. Sie wohnten auf Flydrunes, nördlich von Drontheim. Sie warben beim Herbstding und beim Frühjahrsding Mannschaft und zogen ins Surental zu Kolbjörn und ließen ihm die Wahl: entweder solle er mit ihnen ziehn und Thorbjörn und seine Söhne ausbrennen helfen oder auf der Stelle sterben. Da zog er es vor mitzugehen.

Sie machten sich also sechzig Mann stark auf den Weg und kamen über Nacht nach Stokkar und legten Feuer an das Haus. Thorbjörn und seine Söhne und Thordis lagen alle zusammen in einer Kammer und schliefen.

Es waren da in dem Hause zwei Molkenfässer. Nun nahmen Gisli und seine Leute zwei Bocksfelle und tauchten sie in die Molken und bekämpften damit das Feuer. Dreimal erstickten sie so das Feuer vor den Augen der Angreifer und dann gelang es Gisli und den Seinen, die Wand auszubrechen, und so gewannen sie das Freie. Es waren ihrer zehn. Sie erreichten im Schutze des Rauches den Berg und kamen so aus der Witterung der Hunde; aber zwölf Leute verbrannten mit dem Hause. Die Angreifer aber glaubten, sie hätten alle drinnen verbrannt. Damals sagte Gisli die Strophe:

Hoh' Flamme um's Haus uns
Hüpft' – Feu'r, ungeheures.
Drob Gaut's Kuckuck Gauts (d.+h. Odins) Kuckuck ist der Rabe. gut das
Geht, der Wolf hat Sätt'gung.
Früh'r am Feind' Kling', harte,
Färbt' ich oft aus nicht'germ
Grund'. Stoff, Vater, zum Streite
Stellt weidlich dein Leid dar. d.+h. Deiner Leiden wegen wird ein Streit entbrennen.

Gisli und seine Leute gingen weiter bis nach Fridarey zu Styrkar und brachten dort Leute zusammen, vierzig Mann, und überfielen Kolbjörns Hof und verbrannten darin ihn und elf von seinen Leuten.

Darauf verkauften sie ihren Landbesitz und kauften sich ein Schiff. Es waren nun ihrer sechzig. Sie fuhren mit all ihrer Habe ab und kamen zu den Äsundinseln und gingen dort vor Anker. Dann fuhren vierzig von ihnen auf zwei Booten weiter nordwärts und kamen nach Flydrunes. Die beiden Brüder, Skeggis Söhne, waren da gerade mit sieben anderen unterwegs, um die Pacht einzutreiben. Gisli und seine Leute ritten ihnen entgegen und erschlugen sie alle. Gisli tötete drei, Thorkel zwei. Darauf gingen sie in den Hof und machten dort reiche Beute. Gisli schlug da dem Zweikampf-Skeggi den Kopf ab; denn der lebte damals dort bei seinen Söhnen.

 

4. Thorbjörn zieht nach Island

Darauf ritten sie zum Schiff zurück und stachen in See. Sie waren gut zwei Monate unterwegs und fuhren auf Island in den Dyrifjord ein und zwar auf der Südseite, in die Mündung der Ache im Habichtstal.

Nun ist von zwei Männern zu erzählen, die wohnten an den beiden Seiten des Fjords und hießen beide Thorkel. Der eine wohnte am Südufer auf Rothof im Quellental. Das war Thorkel Eireks Sohn. Der andere wohnte am Nordufer auf dem Allwetterhof und hieß der reiche Thorkel. Thorkel Eireks Sohn war von den Vornehmen der erste, der das Schiff aufsuchte. Er traf Thorbjörn Sur, denn diesen Beinamen hatte er bekommen, weil er sich mit den Molken (Sur) verteidigt hatte. Das Land an beiden Ufern war damals noch unbebaut. Nun kaufte sich Thorbjörn Sur am Südufer auf Seehof im Habichtstale an; dort baute Gisli einen Hof, und seitdem wohnten sie da.

Es war ein Mann, der hieß Bjartmar; er wohnte im innersten Winkel des Adlerfjords; er war ein Sohn des An Rotmantel. Seine Frau hieß Thurid und war eine Tochter Hrafns von Ketilssand am Dyrifjord, Hrafn aber war ein Sohn des Dyri, der den Fjord in Besitz nahm. Bjartmar und Thurid hatten vier Kinder: das älteste war eine Tochter namens Hild, die Söhne hießen Helgi, Sigurd und Vestgeir.

Es war ein Norweger, der hieß Vestein; er war zur Zeit der ersten Besiedelung nach Island gekommen und lebte bei Bjartmar. Er nahm seine Tochter Hild zum Weibe, und sie lebten noch nicht lange zusammen, so bekamen sie zwei Kinder: eine Tochter Aud und einen Sohn Vestein. Dieser Vestein, Vesteins Sohn, wurde ein großer Kauffahrer. Aber zu der Zeit, bei der die Erzählung jetzt steht, hatte er einen Hof unterm Hengstberg am Önundsfjord. Seine Frau hieß Gunnhild, seine Söhne Berg und Helgi.

Nach alledem starben Thorbjörn Sur und seine Frau Thora. Da übernahmen Gisli und sein Bruder Thorkel den Hof. Thorbjörn und Thora aber wurden im Hügel bestattet. Thordis lebte bei ihren Brüdern.

 

5. Vestein und Thorgrim, die Schwäger der Surssöhne

Es war ein Mann, der hieß Thorbjörn, mit dem Beinamen Seehundsfluh; er wohnte am Fischbeinfjord auf Quenenberg. Seine Frau hieß Thordis, seine Tochter Asgerd. Um diese Asgerd freite Thorkel Surssohn und bekam sie zur Frau. Gisli freite um Aud, die Schwester Vesteins, und bekam sie. Nun wohnten beide Paare zusammen im Habichtstal.

Eines Frühjahrs hatte der reiche Thorkel Thords Sohn auf dem Ding am Thorskap zu tun und die Surssöhne begleiteten ihn. Auf Thorskap wohnte damals Thorstein Dorschbeißer, Von ihm erzählt die Geschichte vom Goden Snorri ausführlicher: Thule VII Kap. 7-11. der Sohn von Thorolf Mosterbart, mit seiner Frau Thora, der Tochter von Olaf Thorsteins Sohn. Ihre Kinder hießen Thordis, Thorgrim und der dicke Börk. Thorkel brachte seine Sache auf dem Ding zum Austrag. Nach dem Ding lud Thorstein Dorschbeißer ihn und die beiden Surssöhne ein, bei ihm einzukehren, und beschenkte sie zum Abschied reichlich. Dafür luden sie seine Söhne für das nächste Frühjahrsding zu sich nach dem Westen ein. Und dann zogen sie heim.

Im nächsten Frühjahr zogen also die Söhne Thorsteins selbzwölft zum Ding auf Falkensanden und trafen dort die Surssöhne. Die sagten, sie sollten nach dem Ding zu ihnen kommen. Vorher aber hatten sie noch den reichen Thorkel zu besuchen. Nachdem sie das getan hatten, gingen sie zu den Surssöhnen und wurden dort gut bewirtet. Dem Thorgrim fiel die Schwester der Brüder durch ihre Schönheit auf; er warb um sie und sie wurde ihm gleich verlobt; und auch die Hochzeit wurde sofort gefeiert. Sie brachte ihrem Gatten Seehof in die Ehe mit. So siedelte Thorgrim in den Westen über. Börk blieb mir Stein und Thorodd, den Söhnen seiner Schwester, auf Thorskap.

Nun wohnt Thorgrim auf Seehof. Die Surssöhne aber ziehen nach Bühl und bauen sich dort einen schönen Hof. Bühl und Seehof grenzen aneinander. – Nun wohnen sie dort nebeneinander und halten gute Freundschaft. Thorgrim hat die Godenwürde und die Brüder haben an ihm einen festen Halt.

Eines Frühjahrs zogen sie ihrer vierzig zum Ding; sie gingen alle in bunten Kleidern. Auch Gislis Schwager Vestein und alle Leute aus dem Surental waren dabei.

 

6. Die Habichtstaler schließen Blutsbrüderschaft

Es war ein Mann, der hieß Gest, er war Oddleifs Sohn; er war auch zum Ding gekommen und wohnte in der Hütte des reichen Thorkel.

Sie saßen gerade beim Bier, die Habichtstaler; aber die anderen waren auf dem Gericht, denn man war noch bei den Prozessen. Da kam einer zu den Habichtstalern in die Hütte, Arnor, ein arger Schwätzer und Herumträger, und sagte: »Ganz seltsam ists mit euch Habichtstalern, ihr denkt an nichts als ans Trinken und kommt nicht einmal aufs Gericht, wenn eure eigenen Dingleute ihre Prozesse führen. Alle finden das seltsam; nur daß ich es laut sage.« Da sagte Gisli: »Gehn wir denn aufs Gericht, vielleicht reden wirklich schon mehr darüber.« Sie gingen also aufs Gericht, und Thorgrim fragte, ob jemand da wäre, der ihre Hilfe brauchte: »Was in unseren Kräften steht soll keinem versagt sein, solang wir leben, wenn wir ihm einmal unsere Hilfe versprochen haben.« Da antwortete der reiche Thorkel: »Es sind nur unbedeutende Sachen, die hier verhandelt werden. Wir werdens euch wissen lassen, wenn euer Beistand nötig wird.« – Da entstand ein Gerede darüber, wie übermütig ihre Schar doch wäre, und was für eine herrische Sprache sie führten. Thorkel fragte da den weisen Gest: »Wie lange meinst du wohl wird sich die Herrlichkeit der Habichtstaler und ihr Geprahle noch so halten?« Gest antwortete: »Wenn der dritte Sommer kommt, werden sie nicht mehr alle so einmütig sein, wie sie da jetzt beisammen sind.« Aber Arnor war bei diesem Gespräch dabei und kam in die Hütte der Habichtstaler gelaufen und erzählte ihnen, was er gehört hatte. Da antwortete Gisli: »Er wird damit etwas gesagt haben, was viele meinen. Aber wir wollen uns vorsehen, daß seine Weissagung nicht wahr wird. Und ich weiß auch ein gutes Mittel dafür: Wir vier wollen unsere Freundschaft noch fester binden als bisher und uns Blutsbrüderschaft schwören.« Damit waren die andern einverstanden. Da gingen sie auf das Ende der Landzunge und schnitten dort einen Rasenstreifen aus der Erde, so daß er an beiden Enden noch an der Erde festblieb, und stellten einen Runenspeer darunter; der war so lang, daß ein stehender Mann die Schaftnägel mit der Hand erreichen konnte. Darunter mußten sie nun alle vier treten: Thorgrim, Gisli, Thorkel und Vestein. Und dann ritzten sie sich blutig und ließen ihr Blut in der trockenen Erde zusammenfließen, die unter dem Rasenstreifen bloßgelegt war, und rührten dann das Ganze zusammen, die Erde und das Blut. Darnach fielen sie alle auf die Knie und schwuren ihren Eid: Einer solle den anderen wie seinen leiblichen Bruder rächen, und riefen alle Götter zu Zeugen. Und als sie einander dann die Hände gaben, da sagte Thorgrim: »Ich habe schon genug Verpflichtungen, wenn ich es mit meinen beiden Schwägern Thorkel und Gisli tue; gegen Vestein verpflichtet mich nichts« – und zuckte seine Hand zurück. »So muß ich dasselbe tun,« sagte Gisli und zuckte seine Hand zurück: »Ich werde mich doch nicht einem Manne verpflichten, der mit meinem Schwager nichts zu tun haben will.« Das schien allen Umstehenden eine wichtige Sache.

Gisli sagte da zu seinem Bruder Thorkel: »Nun ist es gekommen, wie ich ahnte. Nun wird alles, was wir hier getan haben, zwecklos sein. Mir ahnt auch, daß nun das Schicksal seine Hand im Spiele hat.« – Dann zog man vom Ding nach Hause.

 

7. Thorgrim erschlägt zwei Norweger

Gegen den Sommer geschah es, daß ein Schiff nach Island kam und in den Dyrifjord einlief. Das gehörte zwei norwegischen Brüdern, Thori und Thorarin, die stammten aus Vik. – Thorgrim ritt zum Schiff und kaufte vierhundert Baumstämme und bezahlte einen Teil der Summe gleich bar, das andere blieb er ihnen schuldig. Da zogen die Kaufleute ihr Schiff in Sandachmünde aufs Land und suchten sich Unterkunft. Es war ein Mann, der hieß Odd, Örlygs Sohn; er wohnte auf Strand am Plattenfjord. Er nahm die beiden Schiffsherrn auf.

Nun sandte Thorgrim den Thorodd, sein Holz aufzuschichten und zu zählen, denn er wollte es bald heimschaffen. Thorodd kam hin und schichtete das Holz auf; dabei schien ihm die Ware nicht so gut, wie Thorgrim gesagt hatte. Da schalt er die Norweger. Aber die ließen sich das nicht gefallen, sondern hieben auf ihn ein und erschlugen ihn. Nach diesem Totschlag verließen die Norweger ihr Schiff. Sie zogen um den Dyrifjord, beschafften sich Rosse und wollten dann in ihr Ouartier zurück. Sie ritten den Tag über und die ganze Nacht, bis sie in das Tal kamen, das vom Plattenfjord ins Land geht. Dort aßen sie ihr Frühstück und legten sich dann schlafen. Inzwischen hatte Thorgrim von dem Handel gehört. Er war sofort aufgebrochen, hatte sich über den Fjord setzen lassen und zog nun ohne jede Begleitung hinter ihnen drein. Er traf sie in ihrem Lager und weckte den Thorarin und stieß ihn mit seinem Speerschaft an; der aber sprang auf und wollte nach seinem Schwert greifen, denn er erkannte Thorgrim. Aber der traf ihn mit seinem Speer und tötete ihn. Jetzt wachte Thorir auf und wollte seinen Bruder rächen, aber Thorgrim durchstach ihn mit seinem Speer. Seitdem heißt es dort »Frühstückstal« und »Norwegerfall«.

Darauf ritt Thorgrim heim und wurde nun durch diese Tat berühmt. Er blieb den Winter über still zu Hause. Gegen den Frühling aber rüsteten die beiden Schwäger Thorgrim und Thorkel das Schiff zur Fahrt, das den Norwegern gehört hatte. Diese Norweger waren rechte Streithähne gewesen und hatten drüben in Unfrieden gelebt. Jetzt rüsteten also die beiden das Schiff und fuhren nach Norwegen. In demselben Sommer stachen auch Vestein und Gisli von der Muschelbucht im Steingrimsfjord Der Steingrimsfjord geht vom Welpenbotten (Húnaflói) westwärts ins Land. aus in See. Önund aus Mitteltal führte für Thorkel und Gisli die Wirtschaft, Sakastein auf Seehof bei der Thordis.

Als diese Dinge geschahen, herrschte Harald Graupelz 961-962. über Norwegen. Thorgrim und Thorkel landeten im nördlichen Norwegen. Sie trafen den König bald und machten ihm ihre Aufwartung. Der König nahm sie gut auf. Sie traten in seine Dienste und brachten es bald zu Gut und Ehren.

Gisli und Vestein waren über zwei Monate auf dem Meere und segelten zur Zeit der Herbstgleiche in einem großen Unwetter und Schneesturm bei Nacht auf Hördaland. Da brach ihnen das Schiff in Stücke; doch konnten sie Habe und Leute ans Land retten.

 

8. Gisli und Vestein in Dänemark. Das Wahrzeichen

Es war ein Mann, der hieß Bart-Bjalfi; er besaß ein Kaufschiff und wollte nach Dänemark fahren. Da fragten sie ihn, ob sie die eine Hälfte seines Schiffs kaufen könnten. Er sagte, er habe gehört, sie wären tüchtige Kerle, und schenkte ihnen das halbe Schiff. Und sie schenkten ihm sofort mehr dafür wieder, als das ganze Schiff wert war.

Nun fuhren sie nach Dänemark, in eine Handelsstadt, die heißt Viborg, und blieben dort den Winter über bei einem Mann namens Sigradd. Es waren nun also ihrer Drei: Vestein, Gisli und Bjalfi, und es war gute Freundschaft zwischen ihnen und sie wechselten Geschenke. Aber gleich mit Frühlingsanfang machte Bjalfi sein Schiff zur Heimfahrt nach Island fertig.

Es war ein Mann, der hieß Sigurd, ein Handelsgenosse Vesteins, Norweger von Geburt. Er war damals gerade in England. Er sandte dem Vestein Nachricht, er wolle die Genossenschaft mit ihm lösen; er brauche sein Geld nicht länger. Und nun bat Vestein seine Genossen um die Erlaubnis, sich von ihnen zu trennen und Sigurd aufzusuchen. Gisli sagte: »Du mußt mir aber versprechen, daß du nicht ohne meine Erlaubnis wieder von Island fortfahren willst, wenn du gesund heimgekommen bist.« Das versprach ihm Vestein.

Und eines Morgens stand Gisli auf und ging zur Schmiede. Er war ein ungewöhnlich geschickter Mann und verstand sich auf alles. Er machte sich da eine Münze, eine gute Unze schwer; und fügte sie aus zwei Teilen zusammen. Sie hatte nämlich zwanzig Stifte, jede Hälfte zehn; und wenn man die zusammenlegte, sah es aus wie ein ganzes Stück; aber man konnte auch die beiden Hälften auseinandernehmen. Und nun, erzählt man, nahm er die beiden Hälften auseinander und gab die eine dem Vestein und sagte, er möge sie als ein Wahrzeichen behalten: »Und wir wollen sie einander erst zuschicken, wenn es einem von uns ans Leben geht. Es sagt mir auch eine Stimme, daß wir noch in die Lage kommen, wo wir sie uns zuschicken, wenn wir uns auch selber nicht begegnen.« – Dann fuhr Vestein nach England, Gisli und Bjalfi aber fuhren nach Norwegen und von da im Sommer nach Island. Dort machten sie gute Geschäfte und lösten dann als Freunde ihre Genossenschaft. Bjalfi kaufte sein halbes Schiff von Gisli zurück, Gisli aber fuhr mit elf Mann auf einer Lastschute nach dem Dyrifjord.

 

9. Der Frauenzank

Thorgrim und Thorkel hatten inzwischen auch ihr Schiff bereit gemacht und kamen an demselben Tage bei Habichtsachemünde in den Dyrifjord, als Gisli eben auf der Schute hineingesegelt war. Nun trafen sie sich gleich und begrüßten sich herzlich und gingen dann auseinander, jeder in sein Heim. Auch Thorgrim und Thorkel hatten gute Geschäfte gemacht. Thorkel war sehr hochmütig geworden und faßte in der Wirtschaft nicht mit an. Gisli dagegen schaffte Nacht und Tag.

Es war an einem Tag mit schönem Wetter, da hatte Gisli alle Leute zur Heuarbeit befohlen; nur Thorkel tat nichts, sondern blieb als einziger Mann auf dem Hofe und hatte sich nach seinem Frühstück im Saalhaus schlafen gelegt. Das Saalhaus war hundert Klafter lang und zehn Klafter breit; auf seiner Südseite, etwas tiefer, war das Frauenhaus angebaut. Darin saßen Aud und Asgerd und nähten.

Als Thorkel aufwachte, ging er zum Frauenhause, denn er hörte dort lautes Gespräch; und legte sich an der Wand daneben hin. Da hörte er Asgerd sagen: »Tu mir den Gefallen, Aud, und schneid mir das Hemd für meinen Mann Thorkel zu.«

»Das kann ich nicht besser als du,« sagte Aud, »und du würdest mich nicht darum bitten, wenn du meinem Bruder Vestein das Hemd zuschneiden solltest.« Damit deutet Aud auf ein Liebesverhältnis zwischen Asgerd und Vestein.

»Das ist eine Sache für sich,« sagte Asgerd: »Und es wird mir wohl noch eine Zeitlang gefallen.«

»Ich weiß lang, wie es darum steht,« sagte Aud: »Reden wir nicht länger davon.«

»Ich würde darin keinen Vorwurf sehen,« sagte Asgerd, »daß Vestein mir gefällt. Man hat mir auch erzählt, daß Thorgrim dich sehr oft besucht hat, ehe dich Gisli heiratete.«

»Deswegen konnte mir noch niemand etwas anhängen,« sagte Aud. »Seit ich Gislis Frau bin, habe ich keinen Mann angesehen, daß mir irgend jemand etwas anhängen könnte. Hören wir jetzt mit diesem Gespräch auf.«

Thorkel hatte jedes Wort, das sie sprachen, gehört und als sie schwiegen, sagte er: »Hör einer! – Schlimme Dinge! Totschlag und bösen Streit! Das geht einem ans Leben – oder mehreren!« Und ging wieder hinein.

Da sagte Aud: »Oft erwächst Schlimmes aus Weiberschwatzen. Und es mag sein, daß hieraus etwas ganz Schlimmes entsteht. Wir müssen uns etwas ausdenken.«

»Ich habe mir schon etwas ausgedacht,« sagte Asgerd; »das wird helfen.«

»Was denn?« fragte Aud.

»Heut abend, wenn Thorkel und ich zu Bett gehn, leg ich ihm meine Arme um den Hals; dann wird er mirs verzeihen und es eine Lüge nennen.«

»Das allein wirds wohl noch nicht tun,« sagte Aud.

»Wie willst du dir denn heraushelfen?« fragte Asgerd.

»Ich werde Gisli alles sagen, was mir not macht und wo ich nicht weitersehe.«

Als es Abend wurde, kam Gisli von der Feldarbeit heim. Sonst dankte Thorkel seinem Bruder immer für die Arbeit; aber heute blieb er stumm und sagte kein Wort. Da fragte ihn Gisli, ob er sich nicht wohl fühle.

»Krankheit ists nicht,« sagte Thorkel, »aber noch schlimmer als Krankheit.«

»Habe ich irgend etwas getan, daß du mir deswegen zürnst?« fragte Gisli.

»Nein«, antwortete Thorkel; »du wirst es schon erfahren, wenn es auch noch etwas dauert.«

Damit ging jeder seiner Wege und sie sprachen an dem Tag nichts mehr miteinander. Thorkel aß am Abend wenig und ging als erster schlafen. Und als er im Bette lag, da kam Asgerd und hob die Decke auf und wollte sich zu ihm legen. Da sagte Thorkel: »Ich wünsche nicht, daß du heute nacht bei mir schläfst, und überhaupt nicht wieder.«

Asgerd sagte: »Was hat sich denn so plötzlich verändert? Oder was ist sonst los?«

Thorkel sagte: »Ich bin lange blind gewesen, aber jetzt wissen wir beide darum. Deiner Ehre wird es nicht eben dienen, wenn ich deutlicher werde.«

Da antwortete sie: »Du magst darüber denken, wie du willst. Aber ich will mich nicht lange mit dir um den Bettplatz streiten – sondern du hast zweierlei Wahl: entweder nimmst du mich zu dir und tust, als wäre nichts geschehen, oder ich hole mir hier auf der Stelle Zeugen und sage mich von dir geschieden, und lasse meinen Vater alles heimholen, was ich dir zugebracht habe. Dann werde ich dir nicht länger den Platz im Bett wegnehmen.«

Thorkel schwieg und sagte nach einer Weile: »Tu was du willst – ich werde dir das Bett diese Nacht nicht verbieten.«

Sie zeigte schnell, was ihr am besten schien, und stieg sofort zu ihm ins Bett. Sie lagen noch nicht lange zusammen, da hatten sie sich versöhnt, als wäre nichts geschehen.

Nun kam auch Aud zu Gisli ins Bett und erzählte ihm ihr Gespräch mit Asgerd und bat ihn, er solle nicht böse sein, sondern Rat schaffen, wenn er könnte.

»Ich sehe hier keinen Rat, der was taugt«, sagte er, »aber ich will dir auch nicht darum zürnen. Denn jeder redet, was das Schicksal ihm eingibt, und was geschehen soll, das geschieht.«

 

10. Thorkel trennt sich von Gisli. Festvorbereitungen

Der Winter ging hin und die Schiffahrt begann. Da bat Thorkel seinen Bruder Gisli um eine Unterredung und sagte: »Höre einmal, mein Lieber, ich hätte Lust zu einem Wohnungswechsel. Und zwar meine ich, ich möchte gern, daß wir unseren Besitz teilen; dann würde ich mit Schwager Thorgrim zusammenziehen.« Gisli antwortete: »Was Brüdern gehört, bleibt am besten beisammen. Mir wäre es sehr viel lieber, wenn alles so bliebe wie bisher. Laß uns nicht teilen.« – »Es geht nicht länger so weiter mit unserer gemeinsamen Wirtschaft«, sagte Thorkel; »du hast ja nur Schaden davon. Du hast alle Mühe und Arbeit in der Wirtschaft immer allein gehabt und ich schaffe so gut wie nichts.« – »Rede du nicht davon«, sagte Gisli, »solange ich nicht davon anfange. Wir sind doch bis heute miteinander ausgekommen – manchmal schlechter und manchmal besser.« Thorkel sagte: »Was du da sagst, führt zu nichts. Ich wünsche nun einmal, daß wir uns trennen. Und dafür, daß ich davon anfange, sollst du auch den Hof und all unser Erbland behalten; ich nehme das bewegliche Gut.« – »Wenn es denn nicht anders geht, als daß wir uns trennen, da lasse ich dir auch freie Wahl, wie du die Teilung machen willst. Das ist mir ganz gleichgültig.« – Es endete damit, daß Gisli die Verteilung vornahm und Thorkel das bewegliche Gut bekam; Gisli aber behielt das Land.

Sie teilten auch die beiden Ziehkinder; das war ein Knabe Geirmund und ein Mädchen Gudrid, die Kinder Ingjalds, eines Verwandten der Surssöhne. Das Mädchen blieb bei Gisli und Geirmund ging mit Thorkel. So zog Thorkel zu seinem Schwager Thorgrim und wohnte von nun an mit ihm zusammen. Gisli aber behielt den Hof und er merkte nicht, daß es mit der Wirtschaft jetzt etwa weniger gut ginge als vorher.

Nun verging der Sommer und Winteranfang kam heran. Es war damals allgemein Sitte, daß man den Winter um diese Zeit mit Gastmählern und dem »Winteranfangsopfer« feierte. Gisli unterließ die Opfer, seitdem er in Viborg in Dänemark gewesen war; aber er veranstaltete wie früher ganz großartige Gastmähler. Als es nun so weit war, rüstete er ein großes Gastmahl. Er lud die beiden Namensvettern dazu: Thorkel Eirekssohn und den reichen Thorkel und seine Schwäger, die Bjartmarssöhne, und viele andere Freunde und Fahrtgenossen. Und an dem Tag, wo die Geladenen zu ihm kamen, sagte Aud: »Wenn ich die Wahrheit sagen soll, so fehlt mir jetzt einer, den ich gern hier hätte.«

»Wer ist das?« fragte Gisli.

»Mein Bruder Vestein. – Wenn doch der unser Fest mitfeiern könnte!«

Gisli sagte: »Darüber denke ich sehr anders. Ich würde etwas darum geben, daß er jetzt nicht her käme.«

Damit war ihr Gespräch zu Ende.

 

11. Grauseite wird umgeschmiedet

Es war ein Mann, der hieß Thorgrim mit dem Beinamen »Nase«; er wohnte auf dem Nasenhof am Ostufer der Habichtstalache. Er stak voller Zauberei und Wunderkünste und war ein Hexenmeister wie nur einer. Den luden Thorgrim und Thorkel ein; denn sie hatten da auch ein Gelage.

Thorgrim verstand sich aufs Schmieden. Und nun, erzählt man, gingen die beiden Thorgrime und Thorkel in die Schmiede und schlossen sie hinter sich ab. Dort nahmen sie die Bruchstücke von Grauseite, die dem Thorkel bei der Teilung zugefallen waren, und Thorgrim schmiedete ein Speereisen daraus. Bis zum Abend waren sie damit fertig. Runen waren hineingeschnitten und eine Spanne lang waren Schaft und Eisen ineinandergefügt.

Weiter wird erzählt: Önund aus Mitteltal kam auch zu Gislis Einladung und nahm ihn beiseite und sagte ihm, Vestein sei nach Island gekommen; »und er kommt wohl hierher«. Da besann sich Gisli nicht lange, sondern rief zwei seiner Knechte, Hallvard und Havard, und sagte, sie sollten zum Önundsfjord reiten und Vestein aufsuchen; »und sagt ihm einen Gruß von mir: er soll zu Hause bleiben, bis ich ihn besuche, und nicht zur Einladung ins Habichtstal kommen«; und gab ihnen ein verknotetes Tuch mit, darin war die halbe Münze als Wahrzeichen, wenn er ihren Worten etwa nicht glaubte.

Da machten sich die beiden auf den Weg. Sie nahmen sich in Habichtstal ein Boot und ruderten bis Bachmünde, landeten dort und gingen zu dem Bauern, der dort auf Bessistätten wohnte; er hieß auch Bessi. Sie sagten ihm einen Gruß von Gisli: er solle ihnen seine zwei Hengste leihen. Sie hießen die Garnfäustlinge und waren die schnellsten im ganzen Westfjordland. Bessi lieh sie ihnen und nun ritten sie bis Moosfeld und weiter landein zum Hof unterm Hengstberg.

Vestein war inzwischen aber schon fortgeritten; und es traf sich, daß er in dem Augenblick unten an der Steildüne bei Moosfeld entlang ritt, wo die beiden oben über sie hinritten, und so verfehlten sie sich.

 

12. Vestein kommt zu Gislis Fest

Es war ein Mann, der hieß Thorvard; er wohnte auf der Höhe. Zwei von seinen Knechten gerieten über der Arbeit in Streit und schlugen sich mit ihren Sicheln, und beide bluteten. Vestein kam darüber zu und versöhnte sie und brachte es dahin, daß beide sich zufrieden gaben. Dann ritt er weiter zum Dyrifjord, von zwei Norwegern begleitet.

Hallvard und Havard erreichten den Hof unterm Hengstberg und erfuhren dort, daß Vestein schon fortgeritten war. Da ritten sie hinter ihm drein so schnell sie konnten. Und als sie bei Moosfeld waren, sahen sie mitten im Bärental Leute reiten, aber noch lag ein Hügel zwischen ihnen. Nun ritten sie ins Bärental hinunter und als sie nach Arnkelsbrink kamen, versagten ihnen die Pferde. Da sprangen sie ab und schrieen. Vestein und seine Begleiter hörten es; sie waren da auf der Gemlufallsheide angelangt und warteten nun. Und als sie sich trafen, brachten die beiden ihre Botschaft vor, wiesen auch die Münze vor, die Gisli ihm schickte. Vestein holte die andere Hälfte aus seinem Geldgürtel und wurde sehr rot, als er die beiden Stücke zusammen sah. »Ich glaube euch«, sagte er; »und hättet ihr mich früher getroffen, so wäre ich umgekehrt. Aber hier fließen schon alle Wasser zum Dyrifjord – ich muß nun auch dorthin und ich sehne mich auch dahin. Die Norweger sollen hier umkehren, aber ihr nehmt euer Schiff und sagt Gisli und meiner Schwester, daß ich komme.« Da fuhren sie heim und sagten es Gisli. Der antwortete: »Das muß nun so kommen.«

Vestein ritt nach Lämmertal zu seiner Base Luta und die ließ ihn über den Fjord setzen. Dabei redete sie ihn an: »Vestein«, sagte sie, »sieh dich vor; du wirst es nötig haben.«

Er wurde nach Dingsanden übergesetzt. Dort wohnte damals einer, der hieß Thorwald Funk. Vestein ging dort auf den Hof und Thorwald stellte ihm sein Roß zur Verfügung. So ritt er nun mit dem Schellenzaum des Thorwald und mit seinem eigenen Sattelzeug. Thorwald begleitete ihn bis nach Sandachmünde und bot ihm an, ihn ganz bis zu Gisli zu bringen. Aber Vestein sagte, das sei nicht nötig. Da sagte Thorwald: »Im Habichtstal ist vieles anders geworden. – Sieh du dich vor.« Damit trennten sie sich.

Vestein ritt weiter, bis er ins Habichtstal kam. Es war eine klare Mondnacht. Auf Thorgrims Hof ließen Geirmund und ein Mädchen namens Rannveig gerade das Vieh herein. Sie band das Vieh drinnen an, und er trieb es zu ihr hinein. Da ritt Vestein über den Hofplatz und Geirmund trat an ihn heran und sagte: »Komm nicht hierher nach Seehof; geh zu Gisli – und sieh dich vor.«

Rannveig war aus dem Stall gekommen; sie sah dem Manne nach und glaubte ihn zu erkennen; und als das Vieh drinnen war, zankten sie sich, wer der Mann gewesen sei, und gingen dabei ins Haus.

Thorgrim saß mit seinen Leuten am Feuer und fragte sie, ob sie jemanden gesehen oder getroffen hätten, oder worüber sie sonst zankten. »Ich hab es doch deutlich gesehen, daß Vestein hier entlang ritt«, sagte Rannveig: »er hatte einen schwarzen Mantel an und einen Spieß in der Hand und einen Schellenzaum.« – »Und was sagst du, Geirmund? – »Ich sah nicht genau hin. Aber ich glaube, es war ein Knecht von Önund aus Mitteltal. Er hatte Gislis Mantel und Önunds Zaumzeug und einen Fischspeer in der Hand.« – »Eins von euch beiden muß lügen«, sagte Thorgrim. »Geh nach Bühl hinüber, Rannveig, und sieh zu, was es dort gibt.«

Rannveig ging und kam an das Tor von Bühl, als man dort beim Biere saß. Gisli stand draußen am Tor und begrüßte sie und meinte, sie solle nur bei ihnen bleiben. Aber sie sagte, sie wolle wieder heim. »Ich wollte nur die junge Gudrid sprechen.« Da rief Gisli nach Gudrid, aber die war nicht zu finden. Da fragte Rannveig: »wo ist Aud?« – »Die ist hier«, sagte Gisli. Da kam Aud heraus und fragte sie, was sie wollte. Rannveig sagte, es wäre nur eine Kleinigkeit, und kam nicht mit der Sprache heraus. Da fragte Gisli, ob sie denn nun dableiben wolle oder weggehen. Da ging sie heim und war noch ein Stück dümmer geworden als vorher, wenn das noch möglich war; und wußte nichts zu erzählen.

Am nächsten Morgen ließ sich Vestein die zwei Packtaschen geben, die Hallvard und Havard im Schiff mitgenommen hatten. Darin war ein sechzig Klafter langer Wandteppich und ein zwanzig Ellen langes Kopftuch, mit drei eingewobenen Streifen von Goldbrokat, und drei Waschschüsseln mit eingelegtem Gold. Das holte er nun alles heraus und schenkte es seiner Schwester und Gisli und seinem Schwurbruder Thorkel, falls der es annehmen würde. Da ging Gisli mit den beiden Thorkels nach Seehof zu seinem Bruder Thorkel: Vestein sei gekommen und habe ihnen beiden Geschenke mitgebracht, und zeigte sie ihm und sagte, er könne haben, was er wolle. Da antwortete Thorkel: »Du hättest es verdient, beide Geschenke zu behalten. Ich will nichts davon haben. Und mein Gegengeschenk wird wohl auf sich warten lassen«, und wollte durchaus nichts annehmen. Da ging Gisli heim und es schien ihm, als laufe nun alles in der einen Richtung.

 

13. Vestein wird erschlagen

Das Nächste, was auf Bühl geschah, war, daß Gisli zwei Nächte hintereinander unruhig schlief, und man fragte ihn, was er geträumt habe; aber er wollte seine Träume nicht erzählen. Nun kam die dritte Nacht und alle gingen zu Bett.

Als nun alles im Schlaf lag, ging ein starker Wirbelwind über das Haus und deckte es auf der einen Seite vollständig ab, und gleich hinterdrein ging ein Wolkenbruch nieder, der ohne Beispiel war. Da wurde das Haus natürlich naß, weil das Dach nicht mehr fest war. Gisli sprang schnell auf und rief seine Leute, sie sollten mit anfassen. Einer von Gislis Knechten hieß Thord, mit dem Beinamen »Hasenherz«, das war ein groß gewachsener Mann, beinah so groß wie Gisli. Dieser Knecht blieb im Haus, während Gisli und alle anderen zum Heu liefen, um es zu retten. Vestein bot seine Hilfe an, aber Gisli wollte es nicht. Und wie es immer mehr ins Haus hinein regnete, da rückten die beiden Geschwister ihre Betten von der Wand ab und stellten sie der Länge nach ins Zimmer. Alle andern waren fort, und niemand im Hause als die zwei und Thord, der Knecht.

Und kurz vor Dämmerung kam etwas herein, ganz leise, und dahin, wo Vestein lag. Der war aufgewacht. Aber ehe er sich besann, war ihm ein Spieß mitten durch die Brust gestoßen. Als er diesen Stoß fühlte, sagte er etwas: »Der saß«, sagte er, – und gleich darauf ging der Mann hinaus. Vestein wollte aufstehen; da fiel er tot neben die Bettpfosten.

Aud wachte davon auf und rief Thord Hasenherz und sagte, er solle den Spieß aus der Wunde ziehen. Man sagte damals: wer die Mordwaffe aus der Wunde zöge, der müsse den Ermordeten rächen; und wenn der Täter die Waffe in der Wunde ließ, so hieß es Totschlag, aber nicht Mord. Thord war so leichenscheu, daß er nicht in die Nähe der Leiche zu kommen wagte. Da kam Gisli herein und sah, was vorgegangen war, und sagte zu Thord, er solle es nur sein lassen. Er zog selber den Spieß aus der Wunde und warf ihn blutig wie er war in eine Truhe, so daß keiner ihn sah, und setzte sich auf das Bett. Nachher ließ er alles für Vesteins Leichenfeier rüsten, wie es damals Sitte war. Vesteins Tod ging Gisli und den andern sehr nahe.

Nun sagte Gisli zu seiner Ziehtochter Gudrid: »Geh nach Seehof hinüber und sieh zu, was sie dort treiben. Ich schicke dich dorthin, weil ich auf dich in dieser Sache und auch sonst am meisten vertraue. Sieh dich ordentlich um, damit du mir erzählen kannst, was sie treiben.«

Gudrid ging nach Seehof. Da waren die Thorgrime und Thorkel schon auf und saßen mit ihren Waffen da. Und als sie eintrat, wurde sie nur zögernd begrüßt. Alle waren sehr wortkarg. Aber Torgrim fragte sie, was sie Neues brächte. Da sagte sie: Vestein sei erschlagen, »oder besser: ermordet«. Thorkel antwortete: »Vor einiger Zeit wäre uns das eine große Neuigkeit gewesen.« – »Mit ihm ist ein Mann dahin«, sagte Thorgrim, »der es verdient hat, daß wir alle ihm die Ehre antun und sein Begräbnis möglichst würdig begehen und ihm einen Hügel errichten. Und das ist wahr: sein Tod ist ein großer Verlust. Du kannst Gisli auch sagen, daß wir nachher hinüberkommen werden.«

Da ging sie heim und erzählte Gisli, Thorgrim sei mit Helm und Schwert und in voller Rüstung dagesessen, Thorgrim Nase mit einer Zimmermannsaxt, und Thorkel habe ein Schwert gehabt, eine Spanne lang aus der Scheide gezogen. »Die andern waren auch alle schon auf. Einige hatten Waffen.«

»So wars zu erwarten«, sagte Gisli.

 

14. Vesteins Bestattung

Gisli rüstete nun mit all seinen Hausleuten das Begräbnis Vesteins zu, in der Sanddüne, die unterhalb von Seehof neben dem Binsenteich entlang läuft. Und als er fertig war, da kamen Thorgrim und Thorkel mit vielen andern von Seehof zur Hügelerrichtung herüber. Und als sie Vesteins Leichnam nun zugerichtet hatten, wie es der Brauch wollte, da ging Thorgrim zu Gisli und sagte: »Es ist eine alte Sitte, den Toten für ihren Weg nach Valhall die Totenschuhe zu binden. Das will ich dem Vestein tun.« Und als er es getan hatte, sagte er: »Ich will mich nicht aufs Totenschuh-Binden verstehen, wenn die hier sich lockern.«

Darauf setzten sie sich am Hügel hin und redeten miteinander und meinten, es wäre sehr unwahrscheinlich, daß es je herauskäme, wer dies Bubenstück begangen hätte. Thorkel fragte Gisli: »Wie trägt Aud den Tod ihres Bruders? Weint sie sehr?« »Das kannst du dir selber denken«, sagte Gisli: »Sie trägt es standhaft, aber es geht ihr nahe.« Und dann sagte er: »Die letzte und die vorletzte Nacht hatte ich einen Traum. Ich will damit nichts darüber sagen, wer den Mord begangen hat, aber der Traum ging darauf. In der ersten Nacht träumte mir, es ringele sich eine Giftschlange aus einem gewissen Hofe und stäche Vestein tot; und in der zweiten Nacht träumte mir, es käme ein Wolf aus demselben Hof gelaufen und bisse Vestein tot. Ich habe diese Träume bisher nicht erzählt, weil ich hoffte, dann würden sie sich nicht erfüllen.« Und dann sprach er die Strophe:

Wähn', Schwinger des Wundzweigs, Wundenzweig = Schwert. Dessen Schwinger: Krieger, hier Thorkel.
Vestein froher war einstmals
Da beim Erwachen – dreimal
Den Traum nicht ersehn' ich –:
Als mitsammen metfroh
Man beim Wein uns fand da
Weil'n in Sigrhadds Saale –
Sein Platz stets bei meinem.

Da fragte Thorkel: »Wie trägt Aud den Tod ihres Bruders? Weint sie sehr?« – »Oft fragst du darnach, Bruder«, sagte Gisli: »Du bist ja sehr neugierig, das zu erfahren.«

Dann sprach Gisli die Strophe:

Schwer'n Zorn unter'm Schlei'r wohl,
Schlangen-Pfühls Gefn, Die Gefn (Göttin) des Schlangenpfühls (d.h. des Goldes): die Frau, hier Aud. verhüllt sie.
Aus Schlummers Wann' d. h. den Augen., wonn'ger,
Wangenregen Tränen. fließt langsam.
Ab Lauchs güt'ge Eiche, Umschreibung für Frau (Aud).
Ohn' Ruh' durch die Bruder-
Trauer, dann trocknet Brauens
Tau Die Tränen. mit Speeres Hauptsitz. Der Hauptsitz (d. h. Hochsitz) der Speere ist die Hand.

Und weiter sprach er:

Arm-Lavas Gna Die Gna (Göttin) des Armlavasteines (d. h. des Goldes) = Frau, hier Aud. laufen
Läßt kniewärts vom lichten
Brau'nwald Von den Augenwimpern. – (Lachens Bann d. h. Schmerz. sie
Bändigt) – perl'nde Tränen.
Thögn der Nattern-Nied'rung, Thögn: eine Walküre. Walküre der Nattern-Nied'rung (d. h. des Goldes, weil auf ihm die Drachen liegen) = Frau, hier wieder Aud.
Nüss' langt sie von Wangens
Hasel, kummerentkeimter, Der aus dem Kummer (als Nährboden) aufgewachsene Nußbaum des Gesichtes ist eine kühne Umschreibung für das Auge. Dessen Nüsse sind dann folgerichtig die Tränen.
Kenner des Lieds Der Skalde, Gisli selbst. ersehnend.

Darauf gingen die beiden Brüder zusammen zum Hof. Da sagte Thorkel: »Das ist ein schlimmer Schlag gewesen; und dich muß er ja noch schmerzlicher getroffen haben als uns. Aber schließlich hat doch jeder mit sich selber am längsten zu wandern. Ich möchte, du ließest es dir nicht so nahe gehen, daß die Leute etwa Verdacht schöpfen. Ich möchte auch, wir nähmen unsere Spiele wieder auf und es stände zwischen uns wieder so wie in unserer besten Zeit.«

»Das ist ein gutes Wort«, sagte Gisli, »und ich bin gerne bereit dazu. Aber eine Bedingung möchte ich stellen. Wenn dir nun deinerseits etwas begegnet, was dich ebenso schmerzlich trifft, wie mich dies getroffen bat, dann mußt du mir versprechen, dich ebenso gegen mich zu benehmen, wie du es jetzt von mir verlangst.« – Das versprach ihm Thorkel. Dann gingen sie in den Hof und tranken da Vesteins Gedächtnis. Und als das geschehen war, ging jeder heim, und nun blieb alles in Frieden.

 

15. Das Schlagballspiel. Festvorbereitungen

Sie nahmen nun ihre Wettspiele wieder auf, als ob nichts geschehen wäre. Besonders oft spielten Gisli und Thorgrim zusammen, die beiden Schwäger, und die Umstehenden wurden sich nicht einig, wer der Stärkere war; doch hielten die meisten Gisli dafür.

Sie spielten Schlagball am Binsenteich; da waren immer viele Leute. Eines Tages, als gerade besonders viele gekommen waren, meinte Gisli, man solle zwei gleich starke Parteien bilden. »Das wollen wir gern,« sagte Thorkel; »aber wir wünschen dann auch, daß du Thorgrim gegenüber nicht zurückhältst; denn die Leute reden schon darüber. Ich würde es dir von Herzen gönnen, daß du alle Ehre davon hast, wenn du der Stärkere bist.« – »Noch haben wir das nicht erprobt,« sagte Gisli: »Aber es kann wohl noch einmal dazu kommen, daß wirs erproben.«

Nun spielten sie, und Thorgrim kam gegen Gisli nicht auf, sondern Gisli brachte ihn zu Fall und der Ball flog über die Grenze. Da wollte Gisli den Ball holen, aber Thorgrim hielt ihn auf und ließ ihn nicht heran. Da warf Gisli ihn so hart zu Boden, daß ihm die Haut von den Fingergelenken ging und das Blut aus der Nase sprang. Thorgrim stand langsam auf. Er sah nach Vesteins Hügel hinüber und sagte:

Schüttert' in Wund' des Streiters D. h. Vesteins.
Speer. Kann da nichts tadeln.

Gisli faßte den Ball im Lauf und traf Thorgrim mitten zwischen die Schultern, so daß er kopfüber hinstürzte; und sagte dabei:

Böllert' auf Bürdens Stelle Der Schulter.
Ball. Kann da nichts tadeln.

Da sprang Thorkel auf und sagte: »Nun ist es entschieden, wer der Stärkste ist und der Geschickteste; nun wollen wir aufhören.«

Das taten sie auch. Die Spiele wurden abgebrochen und der Sommer ging hin. Zwischen Gisli und Thorgrim wurde es merklich kühler.

Thorgrim wollte zu Winteranfang ein Gastmahl geben, den Winter begrüßen und dem Frey ein Opfer bringen. Er lud seinen Bruder Börk dazu ein und Eyjolf, Thords Sohn, aus Otterntal und viele andere namhafte Männer.

Auch Gisli rüstete ein Gelage und lud seine Schwäger aus dem Adlerfjord und die beiden Thorkels dazu ein. Nicht weniger als sechzig Leute kamen zu Gisli. Auf beiden Höfen sollte ein großes Trinken stattfinden. Auf Seehof war der Estrich mit Binsen vom Teich bestreut. Als nun Thorgrim und seine Leute beim Vorbereiten waren und den Saal behängen wollten, – die Eingeladenen wurden schon zum Abend erwartet – da sagte Thorgrim zu Thorkel: »Jetzt kämen uns die Teppiche recht erwünscht, die schönen, die Vestein dir schenken wollte. Es will mir scheinen, als mache es doch etwas aus, ob sie dir richtig gehören oder gar nicht. Und ich möchte dir vorschlagen, sie jetzt holen zu lassen.«

Thorkel antwortete: »Alles kann, wer Maß halten kann. Ich werde sie nicht holen lassen.«

»So werd ich es tun,« sagte Thorgrim und befahl Geirmund hinzugehen.

Geirmund antwortete: »Schaffen werd ich schon etwas, aber hinzugehen paßt mir nicht.«

Da trat Thorgrim auf ihn zu und gab ihm eine tüchtige Maulschelle und sagte: »Jetzt geh, wenns dir nun besser paßt.«

»Jetzt werd ich gehen,« sagte Geirmund, »obgleich es nun noch schlimmer ist. Aber das kannst du glauben: ich werde dafür sorgen, daß dir diese Schelle noch einmal in die Ohren läutet, und das nicht zu leise! Sie wird dir redlich bezahlt scheinen.«

Damit ging er und kam nach Bühl, als Gisli und Aud gerade dabei waren ihren Saal zu behängen. Geirmund brachte seinen Auftrag vor und erzählte alles, wie es gegangen war.

»Willst du ihnen den Teppich leihen, Aud?« fragte Gisli.

»Was fragst du? Du weißt selbst, daß ich denen drüben nichts Gutes gönne, weder dies noch sonst etwas, was ihre Ehre mehrt.«

»Wollte Thorkel es?« fragte Gisli.

»Er war damit einverstanden, daß ich sie holte.«

»Das soll genügen,« sagte Gisli und ging mit ihm und gab ihm die Teppiche. Er begleitete ihn bis zur Grenze des Hofes und sagte: »Nun steht es so: ich habe gemacht, daß dein Weg nicht umsonst war; nun möchte ich, daß du mir bei dem zur Hand gingest, was mir anliegt. Eine Gabe ist der andern wert. Und ich möchte, daß du heut abend die Riegel an den drei Toren nicht schlössest. Du magst dich auch daran erinnern, wie du auf diesen Weg geschickt wurdest.«

Geirmund antwortete: »Droht deinem Bruder Thorkel etwas Böses?«

»Ganz und gar nicht,« sagte Gisli.

»Dann wird sichs machen lassen.«

Und als Geirmund nun heimkam, warf er die Sachen hin. Da sagte Thorkel: »Gisli ist anders als andere Männer an Geduld. Er benimmt sich besser als wir.«

»Dies haben wir jetzt nötig,« sagte Thorgrim. Und sie hängten den Teppich auf.

Am Abend kamen die Geladenen. Das Wetter wurde trübe. Es gab ein dichtes Schneetreiben am Abend und alle Wege wurden zugeschneit.

 

16. Thorgrim wird erschlagen

Börk und Eyjolf kamen am Abend mit sechzig Mann, so daß nun auf Seehof hundertzwanzig waren, aber nur halb so viel bei Gisli. Auf Bühl fingen die Leute gegen Abend an zu zechen und gingen darauf zu Bett und schliefen.

Gisli sagte zu Aud: »Ich habe das Pferd des reichen Thorkel noch nicht besorgt. Geh du mit mir und schiebe den Riegel wieder vor und bleib wach, solange ich fort bin; und schließ wieder auf, wenn ich zurückkomme.«

Er nahm den Speer Grauseite aus der Truhe. Er war im schwarzen Mantel und in Hemd und Leinenhosen und ging nun zu dem Bach, der zwischen den zwei Höfen hindurchfließt und beiden Höfen das Wasser für die Wirtschaft lieferte. Er ging den Pfad zum Bach und watete dann im Bach entlang bis zu dem Pfad, der zum andern Hof führte.

Gisli kannte die Einrichtung der Gebäude auf Seehof. Denn er hatte den Hof dort gebaut. Vom Hofplatz aus konnte man in den Kuhstall kommen. Dorthin ging er. Da standen dreißig Kühe auf beiden Seiten. Er knotete ihnen die Schwänze zusammen, allen dreißig auf beiden Seiten, und schloß darauf den Kuhstall so wieder ab, daß man ihn nicht aufmachen konnte, wenn man von innen zur Tür kam.

Dann geht er zum Wohnhaus und Geirmund hat sein Teil besorgt, denn die Türe ist nicht verriegelt. Nun geht er hinein und schiebt den Riegel von innen vor, als wäre es am Abend richtig geschehen. Dann geht er in aller Gemächlichkeit zu Werke. Er bleibt stehen und lauscht, ob irgend jemand wacht, und merkt, daß alle schlafen. Drei offene Lampen brannten im Schlafsaal. Nun nimmt er Binsen vom Estrich und dreht sie zusammen, wirft sie in das eine Licht, und das erlischt. Darauf bleibt er stehen und gibt acht, ob jemand davon aufwacht, aber das geschieht nicht. Dann nimmt er einen zweiten Binsenwisch und wirft den in das nächste Licht und löscht es aus. Da merkt er, daß doch wohl nicht alle schlafen; denn er sieht: eines jungen Mannes Hand nähert sich dem innersten Lichte, hebt die Lampe herunter und löscht das Licht.

Nun geht er ins Innere des Saales und zu dem Bettverschlag, in dem Thorgrim und seine Schwester schlafen. Die Türe ist nur angelehnt; beide liegen im Bett. Gisli geht hinein und tastet vor sich und berührt sie an der Brust; sie schlief an der Außenseite. Da sagt Thordis: »Warum ist deine Hand so kalt, Thorgrim?« und weckt ihn. Thorgrim sagt: »Soll ich mich zu dir wenden?« Sie glaubte, er hätte sie mit seiner Hand berührt. – Gisli wartet nun wieder eine Weile und wärmt die Hand in seinem Hemd. Aber die beiden schlafen wieder ein. Nun berührt er Thorgrim leise, so daß er aufwacht; der glaubt, Thordis habe ihn geweckt und wendet sich zu ihr. Da zieht Gisli ihnen mit der einen Hand die Decke herunter und mit der anderen durchbohrt er Thorgrim mit Grauseite, so daß der Speer im Bett haftet. Da schreit Thordis: »Wacht auf, ihr Männer im Haus, Thorgrim ist erschlagen!«

Gisli eilt schleunigst fort, zum Kuhstall, und geht da hinaus, wo er es geplant hatte, und riegelt hinter sich fest zu. Er geht dann denselben Weg heim, den er gekommen ist, und niemand kann seine Spur sehen. Aud schiebt den Riegel von der Tür, wie er heimkommt, und er legt sich schlafen und tut, als wäre nichts geschehen, als hätte er nichts zu tun gehabt.

Auf Seehof aber waren alle Männer betrunken und wußten nicht, was nun zu tun sei. Es kam über sie unversehens und so wurde kein Rat gefunden, der taugte.

 

17. Thorgrims Bestattung

Eyjolf sagte: »Hier sind große und schlimme Dinge geschehn und dies Volk hier ist sinnlos. Nun scheint mir das Beste, daß wir Licht machen und zur Türe laufen, damit der Mörder nicht auskommen kann.« Und so geschah es. Als aber kein Mörder zu entdecken war, meinten die Leute, der müsse einer von drinnen sein, der die Tat getan hätte. Und so ging es hin, bis der Tag kam. Dann nahm man die Leiche Thorgrims und tat den Speer aus der Wunde – Börk tat das, sein Bruder – und rüstete das Begräbnis. Sechzig Mann blieben auf Seehof, die anderen sechzig gingen nach Bühl zu Gisli.

Thord Hasenherz stand draußen; und als er den Haufen kommen sah, lief er hinein und sagte, ein Heer käme auf den Hof zu, und war ganz außer sich.

»Es ist gut,« sagte Gisli und sprach die Strophe:

Jed' Wort tödlich wird mir
Werden kaum. Mit Schwertes
Mund Spitze., blut'gem, viel'n Mannvolks
Mörder eh' war der Fehd'baum Der Krieger, Gisli selbst..
Ruhig mich, gemächlich
Man find't, ob hinsank auch
Wellenrosses Walter Wellenrosses (Schiffes) Walter: der Seefahrer, Krieger, hier Thorgrim.:
Wie toll rast das Volk da!

Nun kamen Thorkel und Eyjolf auf den Hof. Sie gingen zu dem Bettverschlag, in dem Gisli mit seiner Frau lag. Aber Thorkel, Gislis Bruder, betrat den Verschlag zuerst und sah, wie Gislis Stiefel da ganz vereist und verschneit lagen. Da schob er sie unter den Schemel, daß niemand anders sie sehen konnte. Nun begrüßte Gisli sie und fragte, was es Neues gäbe. Thorkel sagte: »Große und schlimme Dinge: Thorgrim ist erschlagen,« und fragte, was das wohl zu bedeuten habe, und was nun zu tun sei.

»Das geht Schlag auf Schlag,« sagte Gisli. »Wir wollen uns erbieten, Thorgrim mit zu bestatten; das könnt ihr von uns verlangen; und es ist unsere Pflicht, ihm Ehre anzutun.«

Das nahmen sie an, und dann gingen sie alle zusammen nach Seehof. Dort rüsteten sie alles zur Hügelerrichtung und legten Thorgrim in ein Schiff; dann warfen sie nach altem Brauch den Hügel darum auf.

Und als es so weit war, daß der Hügel geschlossen werden sollte, da ging Gisli zum Bach und nahm einen Stein auf, so groß wie ein Fels, und warf den in das Schiff, so daß es fast schien als ginge es aus allen Fugen, und es krachte sehr im Schiff. Dabei sagte er: »Ich will mich nicht aufs Schiffe-Festmachen verstehen, wenn dies hier von einem Sturm mitgenommen wird.«

Manche sprachen davon, das gehe hier dem nicht ganz unähnlich zu, was Thorgrim an Vestein getan hatte, als er von den Totenschuhen redete.

Darauf machten sie sich vom Hügel fort auf den Heimweg. Da sagte Gisli zu seinem Bruder Thorkel: »Ich glaube nun, von dir erwarten zu können, daß es jetzt zwischen uns wieder so steht wie in unserer besten Zeit, und daß wir unsere Spiele wieder aufnehmen.«

Thorkel war einverstanden und damit gingen sie auseinander. Gisli hatte nicht wenig Gäste. Das Fest ging zu Ende, und Gisli gab allen seinen Gästen schöne Geschenke.

 

18. Thorgrim Nases Zauber.
Das Schlagballspiel

Auf Seehof tranken sie Thorgrims Gedächtnis und Börk gab vielen Leuten schöne Geschenke.

Als Nächstes geschah nun, daß Börk bei Thorgrim Nase einen Zauberspruch gegen Thorgrims Mörder bestellte: daß nichts ihn berge, soviele auch zu ihm hielten, und daß er nirgends auf dem Lande Ruhe finde. Einen neunjährigen Ochsen bekam Thorgrim dafür. Nun bereitete sich Thorgrim nach seiner Art vor: er schlug sein Zaubergerüst auf und sprach dann seinen Zauberspruch als ein rechter Hexenmeister mit allem Unflat und Teufelei.

Es geschah auch etwas, was den Leuten ein noch nie dagewesenes Wunder zu sein schien: auf der Südseite von Thorgrims Grabhügel blieb der Schnee niemals liegen noch fror es dort. Daraus glaubten sie sehen zu können, wie lieb Thorgrim dem Frey durch seine Opfer geworden sei, daß er nicht duldete, daß es zwischen ihnen fröre.

So ging der Winter weiter und die Brüder hatten wieder ihre Spiele zusammen. Börk zog nach Seehof zu Thordis und nahm sie zur Frau. Sie ging damals mit einem Kinde, und gebar einen Knaben, der wurde in der Wasserweihe zuerst Thorgrim genannt, nach seinem Vater. Aber als er heranwuchs, zeigte er sich rücksichtslos und händelsüchtig. Da veränderte man seinen Namen und nannte ihn Snorri. Der spätere ›Gode Snorri‹ vgl. Thule VII. Börk wohnte den Winter über auf Seehof und nahm an den Spielen teil.

Eine Frau namens Audbjörg wohnte talaufwärts auf Makelshofen. Sie war eine Schwester von Thorgrim Nase und die Witwe von Thorkel mit dem Zunamen ›Makel‹. Ihr Sohn hieß Thorstein; der war nach Gisli der Stärkste bei den Spielen. Gisli und Thorstein spielten immer auf der gleichen Seite, Börk und Thorkel auf der anderen. Eines Tages kamen viele Leute zum Zuschauen, denn viele waren sehr begierig zu sehen, wer der Stärkste sei und der beste Spieler. Und da ging es wie auch anderswo: je mehr Zuschauer kommen, desto größeren Eifer haben die Spieler.

Man erzählt, daß Börk an dem Tage nicht gegen Thorstein aufkommen konnte; und zuletzt wurde er wütend und zerbrach Thorsteins Schläger. Aber Thorstein brachte ihn zu Fall und warf ihn auf dem Glatteis zu Boden. Als Gisli das sah, sagte er, er solle es dem Börk geben, so gut er könne: »wir wollen die Schläger tauschen.« Das taten sie und dann setzte er sich hin und machte Thorsteins Schläger zurecht. Er schaute dabei nach Thorgrims Grabhügel hinüber. Schnee lag am Boden, und Frauen saßen am Abhang, seine Schwester Thordis und viele andere.

Da sagte Gisli:

Find' auf Riesin-Freundes-
Fäller-Grims ›Der Fäller des Riesen‹ ist Thor. Der erste Teil des Namens ›Thorgrim‹ wird durch diese Umschreibung umschrieben. Heim Stellen
Tau'n: am Grabe Gunnlicht-
Gaut's Gunn: Walküre, deren Licht das Schwert. Gaut (Odin) des Schwerts ist wieder Thorgrim. da, dem ich schadet'.
Nun ihm hier ›Landnahme‹ Gisli spielt auf seine Tötung Thorgrims an: dessen Ruhe im Grabe wird höhnisch als ein Landbesitz bezeichnet, den er (Gisli) ihm verschafft habe.
Naht, Speerlärmes Mehrer: Kampfs Mehrer: Thorgrim.
Stromloh'ns Baum Stromloh'ns (Goldes) Baum: Gisli. als Leh'nsmann
Lieh's Helmes Thrott, Helmes Thrott (Odin): Thorgrim. diesem.

Thordis merkte sich die Strophe auf der Stelle, ging heim und bekam ihren Sinn heraus.

Sie brachen das Spiel ab, und Thorstein ging nach Haus. Thorgeir Birkhahn vom Birkhahnhof und Berg Kurzbein vom Kurzbeinmoor gingen mit ihm. Thorstein und Berg sprachen auf dem Heimweg über das Spiel und gerieten dabei zuletzt in Streit. Berg hielt es mit Börk, und Thorstein redete dagegen. Berg versetzte dem Thorstein eins mit dem Axtrücken. Aber Thorgeir trat dazwischen, so konnte Thorstein es dem Berg nicht zurückgeben und ging heim zu seiner Mutter Audbjörg. Die verband ihm seine Wunde und war gar nicht mit ihm zufrieden.

In der Nacht konnte die Alte nicht einschlafen; da ging sie hinaus und war schwer erbost. Draußen war es kalt und windstill und klar. Sie ging mehrmals rückwärts um das Haus herum. Da begann das Wetter sich zu ändern, es kam ein wildes Schneegestöber und darauf Tauwind. Da brach am Berghang der Schnee, eine Lawine stürzte auf Bergs Hof und zwölf Leute kamen dort um. Die Spuren dieses Bergsturzes sind dort noch heute zu sehen.

 

19. Gisli von Börk vorgeladen und verfolgt

Thorstein ging nun zu Gisli und der verbarg ihn. Dann ging Thorstein zum Borgfjord und von dort außer Landes. Börk aber kam nach Makelshofen und ließ Audbjörg greifen. Er nahm sie mit hinaus nach Salzhorn und steinigte sie dort. Als das geschehen war, zog Gisli aus und kam nach Nasenhof. Dort nahm er Thorgrim Nase fest und führte ihn nach Salzhorn und zog ihm ein Kalbsfell über den Kopf Damit der Zauberer nicht noch im Tode durch den ›bösen Blick‹ Unheil anrichten kann. und steinigte ihn und verscharrte ihn neben seiner Schwester auf der Höhe zwischen Habichtstal und Mitteltal. Damit war es ruhig und der Frühling kam heran.

Börk zog nach Thorskap und zwar wollte er ganz dorthin übersiedeln und es schien ihm, als brächte er nicht viel Ehre von seiner Fahrt mit: ein solcher Mann wie Thorgrim erschlagen und das ohne Genugtuung! Er rüstet sich nun zur Reise und trifft seine Anordnungen für die Übersiedlung; aber er wollte dann noch einmal nach Seehof zurückkommen und Geld und Weib nachholen.

Thorkel, Gislis Bruder, wollte auch mit nach Thorskap übersiedeln und machte sich mit seinem Schwager Börk reisefertig. Nun erzählt man, Thordis habe Börk auf den Weg gebracht. Da sagte Börk: »Nun will ich, daß du mir sagst, warum du damals im Herbst zuerst so traurig warst, als wir mit dem Spielen aufhörten. Du hast versprochen, es mir zu sagen, ehe ich fortginge.«

Sie waren gerade an Thorgrims Hügel angekommen, als er das sagte. Da hält sie an und sagt: sie wolle nicht weitergehen. Und dann erzählt sie, was Gisli gesagt hatte, als er auf Thorgrims Hügel sah; und sagt ihm die Strophe her. »Und ich meine, du brauchst nicht länger nach Thorgrims Mörder zu suchen, sondern du kannst jetzt mit allem Recht die Sache gegen ihn einleiten.« Börk geriet in helle Wut und sagte: »Nun will ich sofort umkehren und Gisli totschlagen. Hier ist es am besten nicht lange zu zögern.«

Aber Thorkel sagt, er würde damit nicht einverstanden sein. »Ich weiß noch nicht, was an dem wahr ist, was Thordis sagt; und es scheint mir ebenso möglich, daß es nicht stimmt. Weiberrat ist selten gut.«

So ritten sie den Sandweg – dazu brachte ihn Thorkel – bis sie nach Sandachmünde kamen. Dort saßen sie ab und ließen die Pferde weiden. Börk war wortkarg, aber Thorkel sagte, er wolle seinen Freund Önund besuchen. Damit ritt er so schnell davon, daß er ihnen bald aus den Augen war. Dann bog er ab auf Bühl zu und sagte dem Gisli, was geschehen war: Thordis habe die Sache durchschaut und die Strophe herausbekommen. »Du mußt also damit rechnen, daß die Sache entdeckt worden ist.«

Gisli schwieg und sprach die Strophe:

Schwester Thordis. mein, schmucklüst'rner,
Scheint's, fehlt Gudruns Seele,
Gjukitochters. Tücht'g're
Tat inwohnt' ihr'm Sinnhof Ihrer Seele, nämlich als Thordis'.,
Als Seelohes Saga Die Saga (Göttin) der Seelohe (des Goldes) ist Gudrun.
Sandt' zur Hel ihr'n Mann da: Tötete den Atli.
Hart rächt' Brüder, Gunnar und Högni. hurt'ge,
Halsbands Freyja Die Göttin des Goldschmucks: Frau, hier Gudrun. Der Dichter stellt seiner Schwester die energische Gudrun der Nibelungensage als Muster auf. also.

»Ich glaubte das nicht von ihr verdient zu haben. – Aber nun möchte ich wissen, Bruder, was ich von deiner Seite erwarten soll nach dem, was ich jetzt begangen habe.«

»Daß ich dich warne, wenn man dich töten will; aber verbergen tu ich dich nicht, wenn ich mich dadurch in deine Sache verwickle. Ich empfinde es doch als eigene Beleidigung, daß Thorgrim erschlagen wurde, mein Schwager und Handels- und Wirtschaftsgenosse.«

Gisli antwortete: »War es nicht zu erwarten, daß ein Mann wie Vestein nicht ungerächt liegen würde? Ich würde dir nicht so antworten, wie du mir jetzt antwortest, und noch weniger so handeln.« Damit trennten sie sich. Thorkel suchte Börk wieder auf; dann ritten sie zusammen nach Thorskap,und Börk richtete sich dort ein. Thorkel kaufte sich ein Stück Land am Bardistrand, das hieß »in der Mulde«.

Nun kamen die Ladetage. An denen die Ladungen zum Frühjahrsding ergehen mußten. Da ritt Börk mit vierzig Mann von Thorskap fort, um Gisli vor das Ding von Thorskap zu laden. Thorkel, Gislis Bruder, war auch dabei und Börks Schwestersöhne Thorodd und Stein. Dann war noch ein Norweger dabei, der hieß Thorgrim. So ritten sie nach Sandachmünde.

Da sagte Thorkel: »Ich habe hier auf einem kleinen Hof noch eine Schuld stehn«, und er nannte den Hof. »Ich will dort hinreiten und die Schuld einfordern. Reitet ihr gemächlich hinterdrein«. Damit ritt Thorkel voraus. Und als er zu dem Hof gekommen war, von dem er gesagt hatte, da bat er die Bäurin, ihm ein anderes Pferd zu geben und seines vor dem Tor stehen zu lassen. – »Wirf ihm eine Decke über den Sattel. Und wenn meine Begleiter kommen, dann sag, ich säße drinnen in der Stube und zählte das Geld.« – Da gab sie ihm ein anderes Pferd und er ritt in Hast und kam in den Wald und traf Gisli und sagte ihm, wie es stehe: Börk sei nach Bühl unterwegs. Gisli fragte seinen Bruder um Rat und wieweit er gesonnen sei, ihm zu helfen, und ob er ihm wohl einigen Schutz gewähren wolle. Aber Thorkel sagte dasselbe wie das vorige Mal: Er werde ihm Nachricht geben, wenn ihm nachgestellt würde, aber er werde sich vor allem hüten, was ihn mit in die Sache ziehen könnte. Damit ritt Thorkel wieder weg und richtete seinen Ritt so ein, daß er Börk und seiner Schar in den Rücken kam und so deren Ritt beträchtlich aufhielt.

Gisli nahm nun zwei Lastpferde und zwei Schlitten und trieb mit ihnen und seiner Habe in den Wald. Thord Hasenherz begleitete ihn. Da sagte Gisli: »Du bist mir oft gehorsam gewesen und hast meinen Willen getan. Ich bin noch in deiner Schuld.« Gisli war gewöhnt, in einem schwarzen Mantel und überhaupt vornehm gekleidet zu gehen. Jetzt warf er den Mantel ab und sagte: »Diesen Mantel will ich dir schenken, mein Lieber! Und du sollst ihn jetzt gleich haben. Zieh ihn nur an. Und dann setz dich in den Schlitten, der hinterdrein fährt; ich will die Pferde führen und deine Joppe anziehen – und wenn es geschehen sollte, daß dich jemand anruft, dann denke dran und antworte ja nicht. Aber wenn dir jemand was tun will, so halt dich in den Wald.«

Da wechselten sie die Kleider und Gisli führte die Pferde. Thord war ein großer Mann und ragte hoch über seinen Schlitten hinaus; er warf sich auch ordentlich in die Brust und kam sich prachtvoll angezogen vor. – Nun sahen Börk und seine Schar die beiden, wie sie nach dem Walde fuhren, und sprengten scharf hinter ihnen drein. Aber als Thord das merkte, da sprang er aus dem Schlitten so schnell er konnte und auf den Wald zu. Die andern meinten, das sei Gisli, und hielten mit aller Kraft hinter ihm her und riefen ihn an, als sie heran waren. Aber er antwortete nicht, sondern lief was er konnte. Da warf der Norweger Thorgrim seinen Spieß nach ihm und traf ihn zwischen die Schultern, so stark, daß er vornüber zu Boden fiel, und das gab ihm den Tod. Da sagte Börk: »Sei gesegnet für deinen Wurf!«

Die beiden Brüder redeten miteinander: sie wollten hinter dem Knecht her und sehen, ob der nicht auch vielleicht jagenswert sei, und machten sich zum Walde hin.

Nun ist von Börk und den anderen zu erzählen: sie kamen an den Mann im schwarzen Mantel heran und nahmen ihm die Kapuze ab. Da schien ihnen ihre Beute weniger wert als sie gedacht hatten, denn sie fanden Thord Hasenherz, wo sie Gisli erwartet hatten.

Die beiden Brüder waren inzwischen an den Wald herangekommen, gerade als Gisli drinnen angelangt war. Nun sah er sie und sie ihn. Da warf der eine seinen Spieß nach ihm, aber Gisli griff ihn im Flug und warf ihn zurück. Er traf Thorodd mitten auf die Brust und durchbohrte ihn. Da kehrte Stein zu seinen Gefährten um und sagte, durch den Wald sei ziemlich schlecht durchzukommen. Aber Börk wollte ihn trotzdem weiter verfolgen, und so geschah es. Und als sie an den Wald kamen, sah der Norweger Thorgrim, wie sich an der einen Stelle ein Zweig bewegte, und warf seinen Spieß in der Richtung und traf Gisli in die Wade. Gisli schickte den Spieß zurück und durchbohrte Thorgrim, und der ließ sein Leben. Da suchten sie den Wald ab und konnten Gisli nicht finden und kehrten mit diesem Erfolge wieder um. Sie gingen nach Bühl und sprachen dort die Ladung gegen Gisli, den Töter Thorgrims. Seinen Besitz ließen sie unberührt und ritten darnach heim.

Gisli stieg inzwischen auf den Berg hinter seinem Hof und verband sich dort seine Wunde, solange Börk auf dem Hofe war. Und als sie abgezogen waren, ging Gisli heim und machte sich sofort zum Aufbruch fertig. Er verkaufte sein Land an Thorkel Eireks Sohn und bekam dafür bares Geld; denn davon hatte Thorkel einen guten Vorrat. Nun kaufte Gisli sich ein Schiff und belud es mit reicher Habe; seine Frau Aud und seine Ziehtochter Gudrid begleiteten ihn – hinaus in den Fjord, bis nach Haushorn; dort legten sie an. Gisli ging dort zum Hof und traf einen Mann, der fragte ihn, wer er wäre. Aber Gisli sagte, was ihm gerade Passendes einfiel, und nicht die Wahrheit. Gisli nahm einen Stein und warf ihn auf die Insel, die dort vor dem Lande lag, und sagte, der Sohn des Hauses solle das einmal nachmachen, wenn er heimkäme; dann würde er merken, wer da gewesen sei. Aber das konnte ihm niemand nachmachen und da zeigte sich wieder, daß Gisli in solchen Künsten gewandter war als die meisten anderen Männer. Darnach ging Gisli zu seinem Boot und ruderte um Haushorn herum und über den Adlerfjord und in den Fjord, der vom Adlerfjord abgeht und Geirthjofsfjord heißt, und ging dort an Land und baute sich dort einen ganzen Hof und blieb da den Winter über.

 

20. Gisli wird geächtet

Das Nächste war nun, daß Gisli seinen Schwägern Helgi und Sigurd und Vestgeir sagen ließ, sie möchten zum Ding gehen und in seinem Namen einen Vergleich anbieten, damit er nicht geächtet würde. Sie gingen auch zum Ding, die Bjartmars Söhne, aber sie brachten den Vergleich nicht zuwege; und man sagt ihnen nach, sie hätten sich dabei übel aufgeführt: es sei ihnen beinahe sichtbar zu Herzen gegangen, als sie es aufgeben mußten. Da erzählten sie dem reichen Thorkel, wie es stand, und sagten, sie hätten nicht den Mut, Gisli seine Ächtung anzusagen. Aber das Ende wurde darum nicht anders, sondern Gisli wurde auf dem Ding geächtet. Da suchte der reiche Thorkel Gisli auf und sagte ihm die Ächtung an.

Da sprach Gisli die Strophen:

Nicht trat ein
Auf dem Thorsspitz'
In meiner Sach'
So schlimm Ende,
Wäre nur
Vesteins Herze
In der Brust
Der Bjartmarssöhne.

War'n gar schlapp,
Da sie stark sein sollten,
Meiner Frau
Mutterbrüder.
Als wenn beworfen
Wär'n Verschwender
Föhrde-Tags Föhrde-Tag (d. h. Licht): Gold; Goldes Verschwender: die (freigebigen) Krieger.
Mit faulen Eiern.

Und weiter sprach er:

Auf dem Thing sie entehr'nd Nämlich für sie selbst. Urteil
Ob mir, Seelichts Seelichts (Goldes) Geber: Mann, hier Thorkel. Geber,
Fällten – (die bittre Botschaft
Bracht' nordher man vordem) –:
Blauhemds Walter Blauhemd: Der blauschwarze Panzer; dessen Walter: Krieger (hier: ich). böse
Büßen das müßt' lassen
Börk und Stein, er, Spender
Strahl'nden Tags der Salzflut. Der Tag (d. h. das Licht) des Meeres: das Gold. Dessen Spender: hier wieder Gisli selber.

Gisli fragte ihn, was er von ihm zu hoffen habe. Thorkel antwortete: er werde ihn in Schutz nehmen, aber nur soweit als er kein Geld dabei zusetzen würde. Darauf ritt Thorkel heim. Man sagt, Gisli sei drei Winter am Geirthjofsfjord gewesen und dazwischen manchmal bei Thorkel Eireks Sohn, und drei weitere Winter durchzog er ganz Island und besuchte die Vornehmen und bat sie um ihren Beistand. Aber infolge der Hexerei, mit der Thorgrim Nase seinen Zauber gesprochen hatte, und infolge des Fluches glückte es nicht, daß die Vornehmen seine Partei nahmen; und wenn ihnen seine Sache auch manchmal nicht so ganz aussichtslos erschien, so kam doch jedesmal etwas dazwischen. Nur bei Thorkel Eireks Sohn hielt er sich länger auf; und nun war er schon sechs Winter in der Acht. Nachher lebte er bald am Geirthjofsfjord in Auds Hof, bald in seinen Verstecken, die er sich eingerichtet hatte; das eine war nördlich vom Fluß, das andere war in den Kletterfelsen südlich vom Hof. In denen hauste er abwechselnd.

 

21. Eyjolf übernimmt die Verfolgung.
Gislis Träume

Als Börk das erfuhr, machte er sich auf den Weg und besuchte den grauen Eyjolf, der damals auf Otterntal am Adlerfjord wohnte, und bat ihn, Gisli zu suchen und in der Acht zu erschlagen und sagte, er wolle ihm dreihundert Mark feinen Silbers zahlen, wenn er sich alle Mühe gebe, ihn zu suchen. Eyjolf nahm das Geld und versprach seinen Beistand.

Ein Mann namens Helgi lebte auf Eyjolfs Hof mit dem Übernamen »der Spürhund«, ein Mann mit geschwinden Beinen und scharfen Augen; der wußte an allen Fjorden Bescheid. Ihn sandte Eyjolf zum Geirthjofsfjord, um zu sehen, ob Gisli dort sei. Er wurde dort einen Mann gewahr und wußte nicht, ob es Gisli war oder jemand anders. So kehrte er um und erzählte Eyjolf, wie es stand. Der sagte, er wisse bestimmt, das müsse Gisli gewesen sein, und besann sich nicht lange, sondern machte sich mit sechs Mann nach dem Geirthjofsfjord auf und bekam Gisli nicht zu sehen und kehrte mit diesem Erfolge heim.

Gisli war klug und groß in vordeutenden Träumen. Darüber sind alle, die die Vergangenheit kennen, einig, daß Gisli nach Grettir Asmunds Sohn Die Geschichte vom starken Grettir ist im 5. Bande von Thule übersetzt. am längsten von allen in der Acht gelebt hat.

Eines Nachts im Herbst, so erzählt man, als Gisli in Auds Hof schlief, lag er sehr unruhig und als er aufwachte, fragte sie ihn, was er geträumt habe. Er antwortete: »Ich habe zwei Traumfrauen. Die eine ist gut zu mir und sagt mir immer Gutes, aber die andere sagt mir einmal ums andere immer Schlimmeres und weissagt mir nichts als Unglück. Jetzt träumte mir, ich ginge zu einer Art Haus oder Halle und ginge auch hinein und da erkannte ich viele Befreundete und Verwandte darinnen. Sie saßen an Feuern und tranken. Es waren sieben Feuer. Einige waren sehr heruntergebrannt, einige noch in hellster Flamme. Da kam meine freundliche Traumfrau, und sagte, das bedeute meine Lebenszeit, wieviel ich noch zu leben hätte. Und sie riet mir, solange ich noch lebte, den Glauben unserer Väter mir leid sein zu lassen, und keinen Zauber noch Bräuche der Vorzeit zu treiben, und der Lahmen und Blinden mich anzunehmen, und derer, die geringer wären als ich. Damit war der Traum aus.«

Damals sprach Gisli die Strophen:

Seeglut-Fold, Fold (Göttin) der Seeglut (des Goldes): Frau, hier: Aud. einen Saal ich
Sah, drin Feuer brannten
Ein und sechs. Mir Unglück,
Eir Golds Goldes Eir (Göttin): Frau, hier: Aud., kündet wohl das.
Boten Willkomm beide
Bankreih'n Spender des Sanges. Dem Skalden (Gisli selbst).
Im Haus all' den Helden
Heil dann selbst ich anbot.

»Merken dir, milder Pfeilbaum,Krieger.
Magst du,« Agd's Freund'Agdir, norwegische Landschaft, also: der Freund Norwegens (so heißt Gisli als geborener Norweger). sagte
Band-VörVör (Göttin) des Bandes = Frau., »wieviel Brände
Brannten allda im Saale?«
»Seh'n noch sollst du der Winter
So viel,« Deckens BilBil (Göttin) der Bettdecke = Frau. sprach.
»Nah bess'rem SeinDem jenseitigen Leben. bist du
Bald, Klipp'-Fürst-Tranks Walter.«Der Trank des Klippfürsten (Riesen): der Dichtermet, dessen Walter: der Skalde (Gisli).

Entzieh' dich all'm Zauber
Zäh, sprach Idisipp'-Redens
Nauma. Idi ein Riese. Die Rede der Riesensippe (auf Grund eines Mythos) = Gold. Goldes Nauma (Göttin) = Frau. Von Skalden nimm dir
Nur 's Best', Adlers Mäster. Krieger.
Schiffsrain-Loh'ns Verschwender Die Lohe (das Feuer) des Schiffsraines (des Meeres) ist das Gold, dessen Verschwender der Krieger.
Schlimm'res, heißt es, nimmer
Eig'n', Schild-Feuers Föhre, Föhre (Baum) des Schildfeuers (Schwertes) ist der Krieger.
Fürwahr, denn Kunst, arge. Nämlich die obengenannte Zauberkunst.

Werd' kein Männermörder, –
Mir versprich's – streitgierig!
Zu nah Kampfs Njörden Kampfs Njörde (Götter) = Krieger.
Nie tritt zuerst, bitt' ich.
Blinden hilf, Lahm', Handlos',
Haff-Fohl'ns-Sporner Haff-Fohl'ns (d.+h. Seerosses, Schiffes) Sporner = Seefahrer, Krieger., nicht sollst du
Schäd'gen. Hohn, Baldr des Schildes Baldr (Gott) des Schildes = Krieger.,
Schlimm wirkt. Denk' dran immer!

 

22. Gisli besucht seinen Bruder Thorkel

Jetzt ist von Börk zu erzählen: er drängte den Eyjolf sehr und meinte, er gäbe sich nicht die Mühe, die er versprochen habe, und von dem Geld habe er noch nicht viel Nutzen gehabt, das er ihm ausgezahlt habe; und sagte, er wisse genau, daß Gisli am Geirthjofsfjord sei; und sagte den Leuten, die zwischen ihm und Eyjolf Botendienste taten, er solle nun Gisli suchen, sonst werde er selber ausziehen. Davon wachte Eyjolf auf und sandte Helgi, den Spürhund, zum zweitenmal an den Geirthjofsfjord. Diesmal nahm er Mundvorrat mit und blieb eine Woche fort und lauerte nun darauf, daß er Gisli zu sehen bekäme. Eines Tages sah er ihn aus seinem nördlichen Versteck herauskommen und erkannte ihn. Da zögerte er nicht lange, sondern machte sich auf und erzählte Eyjolf, was er gesehen hatte. Eyjolf zog nun mit acht Mann aus und ritt zum Geirthjofsfjord und zum Hofe der Aud. Dort fanden sie Gisli nicht. Da suchten sie den Wald nach Gisli ab und fanden ihn nicht. Sie kamen wieder zum Hofe der Aud und Eyjolf bot ihr viel Geld, wenn sie Gisli verriete, aber sie dachte gar nicht daran. Da drohten sie ihr, sie würden sie mißhandeln; aber das half auch nichts, und so mußte man damit heimreiten. Dieser Zug brachte Eyjolf nur Spott ein und er zog in diesem Herbst nicht noch einmal aus.

Aber obgleich Gisli damals nicht gefunden worden war, merkte er doch, man werde ihn einmal fangen, weil Eyjolfs Hof gar so nahe lag. Deshalb ritt er nach Bardistrand zu seinem Bruder Thorkel in der Mulde. Er klopfte an die Türe vom Schlafhaus, in dem Thorkel lag. Da kam er heraus und begrüßte Gisli. »Jetzt möchte ich wissen,« sagte Gisli, »ob du mir ein wenig merkbarer beistehn willst. Ich hoffe jetzt auf deine kräftige Unterstützung, denn ich stecke jetzt arg in der Klemme, und ich habe auch lange genug mit dieser Bitte gewartet.« Thorkel antwortete ebenso wie früher: er werde ihm keine Hilfe gewähren, durch die er sich mitschuldig mache; aber er sagte, er werde ihm Geld oder ein Pferd geben, wenn er dessen bedürfte, und was er sonst schon gesagt hatte. Da sagte Gisli: »Nun sehe ich, daß du mir nicht helfen willst. Gib mir nun dreihundert Ellen Tuch und tröste dich damit, daß ich dich fortan kaum noch oft um Hilfe angehn werde.« Thorkel gab ihm das Tuch und einiges Silber. Gisli sagte, er nehme jetzt auch das an; aber er selber würde nicht so kleinlich gegen ihn handeln, wenn er in seiner Stube stände. Gisli ging dieser Abschied sehr zu Herzen.

Er ging nun nach Furt zu der Mutter des Gest Oddleifs Sohn und kam vor Tag dort an und klopfte an die Tür. Die Bäurin ging zur Tür. Sie hatte schon oft Geächtete beherbergt und hatte einen unterirdischen Raum. Dessen einer Ausgang war beim Fluß, der andere in ihrer Küche. Man sieht noch heute die Spuren.

Thorgerd nahm Gisli freundlich auf: »Ich werde dir erlauben, dich hier eine Zeitlang zu verstecken; aber ich kann nicht wissen, ob das etwas anderes wird als Weiberhilfe.« Gisli sagte, er nehme es an: die Männer benähmen sich jetzt derart, daß es die Frauen ihnen unschwer zuvor tun könnten.

Gisli blieb den Winter über dort und nirgends hatte er es in seiner Acht so gut wie bei Thorgerd.

 

23. Gislis Träume.
Letzter Besuch bei Thorkel

Gleich mit beginnendem Frühjahr zog Gisli wieder zum Geirthjofsfjord. Er konnte da nicht länger von seiner Frau Aud fort sein, so sehr liebten sich die beiden. Er blieb also den Sommer über heimlich dort und bis Herbstanfang. Da wurde es wieder häufiger mit seinen Träumen, sobald die Nächte länger wurden. Jetzt kam die schlimme Traumfrau zu ihm und er führte ein böses Traumleben. Einmal erzählte er der Aud, was er geträumt hatte, als sie ihn danach fragte. Und damals sprach er die Strophe:

Schier mich irr'n, soll Schwertes
Spalter Der Krieger (Gisli). werden alt noch,
Meine Träum'. Seh Saumnaht's
Sjöfn Saumnahts Sjöfn (Göttin) = Frau. nah oft im Schlafe.
Hoffnung, andr', eröffnet
Äl-Nanna Äl-Nanna(Göttin) = Frau. kaum, Spangens
Bil Die Bil (Göttin) der Spange = Frau, hier die angeredete Aud., Lied's Bieter D. h. dem Skalden (mir).. Wohlig
Bleibt drum doch mein Schlummer.

Und dann erzählte Gisli, die schlimmere Frau besuche ihn oft und wolle ihn immer mit Blut oder mit etwas Rotem beschmieren und ihn darin waschen, und setze ihm hart zu.

Und weiter sprach er die Strophe:

Alle Träum' noch immer
Uns Gut's künden nimmer.
Freud' mir fortnimmt, jede,
Frans'-Gefn. Gefn (Göttin) der Fransen, des Gewebes: Frau. Drob ich rede.
Will Schlummer mich umfahen,
Weib oft seh' ich nahen:
Gewaschen mit Wundenflut Blut. dann
Werd' ich. Ihr selbst klebt Blut an.

Und weiter:

Gold-Eyr Goldes Eyr (Göttin) = Frau., sprach zu Speeres-
Strom-Bäumen, Speeres Strom = Kampf. Dessen Bäume: die Krieger. was geträumt ich,
Erneut: daß Tod nah'te.
Nicht an Worten gebricht's mir.
Des Speerhaders Kampfes. Schürern
Schlecht geht's, die mich geächtet,
Heißen Brünnen-Hasses
Hetzern Die Hetzer (d. h. Erreger) des Brünnenhasses (d. h. des Kampfes) sind die Krieger, hier Gislis Feinde., – zürn' ich jetzo! D. h. »wenn ich jetzt in Wut gerate«.

Die Zeit über geschah nichts Erwähnenswertes. Gisli zog zur Thorgerd und wohnte den zweiten Winter bei ihr, aber den Sommer darauf zog er wieder zum Geirthjofsfjord und blieb dort bis Anfang Herbst. Da ging er noch einmal zu seinem Bruder Thorkel und klopfte dort an die Tür. Thorkel wollte nicht herauskommen. Da nahm Gisli ein Stäbchen und ritzte Runen darauf und warf es hinein. Thorkel sah es und nahm es auf und besah es und stand dann auf, ging hinaus und begrüßte Gisli und fragte ihn, was es neues gäbe. Gisli sagte, er könne ihm nichts neues erzählen. »Ich habe dich jetzt zum letztenmal aufgesucht, Bruder. Laß darum deine Hilfe etwas wirksamer werden. Ich will es dir damit vergelten, daß ich dich von jetzt ab nicht mehr darum angehe.«

Thorkel antwortete wieder dasselbe wie damals. Er bot ihm ein Roß oder ein Schiff an, lehnte aber jede andere Art von Unterstützung ab. Gisli nahm das Schiff an und bat Thorkel, es mit ihm zu Wasser zu lassen. Er tat das und schenkte ihm dazu fünf Lasten Lebensmittel und hundert Ellen Tuch.

Und als Gisli das Schiff bestieg, stand Thorkel am Lande. Da sagte Gisli: »Nun glaubst du, mit allen Vieren in der Krippe zu stehen und vieler mächtiger Männer Freund zu sein und dünkst dich über alle Furcht erhaben; ich dagegen bin geächtet und auf mir liegt die Todfeindschaft vieler Männer, und doch kann ich dir sagen: du wirst noch vor mir erschlagen werden. Nun wollen wir auseinandergehen, weniger brüderlich als es sein sollte, und werden einander nicht wiedersehen. Aber das kannst du glauben: ich hätte nicht so an dir gehandelt!«

»Ich scher mich nicht um dein Weissagen,« sagte Thorkel. Damit trennten sie sich.

Gisli ruderte nun nach der Hergilsinsel im Breitfjord. Dort nahm er Planken und Bänke, Ruder und alles, was an Bord lose war, aus dem Schiff heraus und kippte das Schiff um und ließ es zum Land gegen das Ufer treiben. Da errieten die Leute den Zusammenhang, als sie das Schiff sahen: Gisli dürfte wohl ertrunken sein, wo das Schiff zerschlagen und ans Land getrieben war. Und das Schiff hatte er wohl von seinem Bruder Thorkel bekommen.

Gisli ging zum Hof auf der Hergilsinsel. Dort wohnte ein Mann namens Ingjald mit seiner Frau Thorgerd. Ingjald war mit Gisli verwandt und war mit ihm zusammen nach Island gekommen. Und als sie sich trafen, bot er Gisli allen Schutz und Hilfe an, die er ihm würde leisten können. Und Gisli nahm das an und lebte dort eine Zeitlang in Frieden.

 

24. Helgi Spürhund entdeckt Gisli bei Ingjald

Ingjald hatte einen Knecht Svart und eine Magd Bothild: und ein Sohn von ihm hieß Helgi, das war ein Trottel wie nur einer und ganz vertiert. Man hatte ihm einen durchlochten Stein um den Hals gehängt; so fraß er draußen Gras wie ein Stück Vieh. Er war hoch gewachsen und fast wie ein Troll und hieß der Ingjaldstrottel.

Gisli blieb dort den Winter über und baute dem Ingjald ein Schiff und allerlei anderes. Aber alles was er machte, war leicht zu erkennen, denn er war geschickter als die meisten andern. Man wunderte sich darüber, wie gut gearbeitete Sachen Ingjald hatte; denn er selber war nicht geschickt.

Gisli war immer die Sommer über am Geirthjofsfjord. Auf diese Weise vergingen drei Winter, seitdem Gisli die Träume gehabt hatte, und diese Aufnahme bei Ingjald kam ihm sehr zu statten. Aber all das kam den Leuten allmählich verdächtig vor und sie meinten: Gisli müsse wohl noch am Leben sein und habe sich bei Ingjald aufgehalten und sei nicht ertrunken, wie man gesagt hatte. Die Leute hatten ihr Gerede darüber, daß Ingjald jetzt drei Schiffe besaß, lauter gut gearbeitete. Dies Gerede kam dem grauen Eyjolf zu Ohren. Da bekam Helgi den Auftrag noch einmal auszuziehen und kam nach der Hergilsinsel. Gisli war immer in dem unterirdischen Raum, wenn Leute auf die Insel kamen. Aber Ingjald war als gastfrei bekannt und bot dem Helgi an bei ihm zu bleiben. So blieb er dort über Nacht. Ingjald war sehr fleißig; er ruderte jeden Tag auf die See hinaus, wenn sie fahrbar war. Als er nun am Morgen zur Ausfahrt bereit war, fragte er den Helgi, ob er es mit der Abreise nicht eilig habe, oder warum er sonst liegen bleibe. Helgi sagte, ihm sei nicht ganz wohl und hustete dazu und rieb sich den Schädel. Ingjald sagte, er solle sich dann nur vollkommen ruhig halten, und fuhr auf die See; aber Helgi begann jämmerlich zu stöhnen.

Nun erzählt man weiter: Thorgerd wollte eben zu Gislis Versteck und ihm sein Mittag bringen. Aber zwischen ihrer Küche und dem Raum, in dem Helgi lag, war nur eine Lattenwand. Thorgerd ging aus der Küche. Da zog Helgi sich an der Lattenwand in die Höhe und sah, daß da für jemanden das Essen angerichtet war. In dem Augenblick kam Thorgerd wieder hinein. Da drehte sich Helgi schnell um und fiel von der Wand herunter. Thorgerd fragte ihn, warum er denn so an den Wänden herumklettere und nicht ruhig läge. Er sagte, er habe so rasende Kopfschmerzen, daß er nicht ruhig liegen könne; »und ich möchte dich bitten, mich in mein Bett zu bringen«. Das tat sie. Dann ging sie mit dem Essen hinaus. Sofort stand Helgi auf und ging hinter ihr her und sah, was es da gab. Dann kehrte er um und legte sich wieder zu Bett und blieb den Tag über darin.

Ingjald kam gegen Abend heim und trat an Helgis Bett und fragte ihn, ob er sich etwas wohler fühle. Da sagte Helgi, es wende sich schon zum Besseren; und bat, ihn morgen früh wieder ans Land zu rudern. So wurde er am nächsten Tag nach der Flachinsel übergesetzt und ging von da aus nach Thorskap. Dort erzählte er, er habe entdeckt, daß Gisli bei Ingjald wohne. Da machte sich Börk auf und nahm vierzehn Mann mit. Sie stiegen in ein Schiff und segelten nordwärts, über den Breitfjord. An demselben Tage war Ingjald mit Gisli zusammen aufs Meer gerudert und sein Knecht und die Magd auf einem zweiten Schiff, und lagen bei ein paar Inseln, die die Platteninseln heißen.

 

25. Gislis List

Jetzt sah Ingjald das Schiff vom Süden heranfahren und sagte: »Dort fährt ein Schiff. Und ich denke, das ist der dicke Börk.« – »Was ist da zu tun?« fragte Gisli; »ich weiß, daß du ein rechter Kerl bist; nun will ich sehen, ob auch dein Rat was taugt.« – »Da ist schnell geraten,« sagte Ingjald, »obgleich mein Witz nicht berühmt ist. wir müssen mit allen Kräften zur Insel rudern und dann auf den Vadsteinfelsen steigen und uns dort wehren, solange wir uns halten können.« – »Ganz wie ichs erwartet hatte,« sagte Gisli: »Dieser Rat zeigt, daß du wirklich der bist, für den ich dich hielt. Aber das hieße dir deine Hilfe übler lohnen, als ich vorhatte, wenn du um meinetwillen dein Leben verlieren solltest. Das soll nicht geschehen; sondern wir wollen uns etwas anderes ausdenken. Rudere du mit deinem Knecht zur Insel und steigt auf den Felsen und macht euch dort kampffertig. Dann werden die dort drüben vor dem Horn meinen, ich sei der zweite. Aber ich will mit dem Knecht die Kleider tauschen, wie ich es schon einmal tat, und zu Bothild ins Schiff steigen.« Ingjald tat nach Gislis Vorschlag. Und als sie sich trennten, fragte Bothild: »Und was haben wir nun vor?« Gisli sprach die Strophe:

Schilds Baum Der Krieger. späht nach Rat aus,
Schmucks Träg'rin. Frau. Muß weg jetzt
Ich von Ingjald. Steche
An Sudri-Mets Trank Der Trank Sudris (des Zwerges) ist der Dichtermet. Das Ganze also: ich dichte. hier.
Dennoch will ich dulden
Das Schicksal gern, was sich
Beut mir, Blauerd'-Fluten-
Brands Staud'. Blauerde heißt das Meer. Der Brand (das Feuer) der Meereswelle ist das Gold. Des Goldes Staude = Frau, hier Bothild. Angst fehlt ganz mir.

Nun ruderten sie dem Schiffe Börks entgegen und taten ganz arglos. Unterwegs sagte ihr Gisli, wie sie es machen wollten: »Sage du, hier sei der Trottel an Bord; und ich will im Steven sitzen und ihn nachmachen und mich in die Angelschnüre verwickeln und von Zeit zu Zeit über Bord fallen und mich so verrückt aufführen wie möglich. Und wenn sie etwas an uns vorüber sind, will ich mit aller Kraft rudern und zusehen, daß wir so schnell wie möglich auseinanderkommen.«

Sie ruderte also Börks Schiff entgegen, aber doch nicht ganz nah an sie heran, und tat, als führe sie zum Fischen. Da rief Börk sie an und fragte, ob Gisli bei ihnen auf der Insel sei. »Das weiß ich nicht«, sagte sie; »aber ich weiß: ein Mann ist dort, der alle anderen auf der Insel an Wuchs und Künsten weit überragt.« – »So«, sagte Börk; »ist dein Herr Ingjald zu Hause?« – »Der ist schon lange wieder zur Insel gerudert und sein Knecht war dabei, glaube ich.« – »Das wird wohl ein Irrtum sein«, sagte Börk; »das ist wohl Gisli gewesen. – Nun schnell hinter ihnen drein! Gebissen hätte der Fisch; nun gilts ihn an Bord zu ziehen!« Da sagten seine Leute: »Laß uns noch etwas dem Trottel zusehen, wie verrückt der sich anstellt. Wir haben unseren Spaß dran«, und sagten zu Bothild, sie sei zu bedauern, daß sie mit diesem Narren fahren müßte. – »Das scheint mir auch«, antwortete sie; »aber ich merke euch an, daß er euch lächerlich vorkommt und daß ihr mich nicht eben bedauert.« – »Lassen wir diese Dummheiten«, sagte Börk: »wir müssen vorwärts!« Damit trennten sie sich.

Börk und seine Leute ruderten zur Insel und gingen dort an Land und sahen die beiden Männer auf dem Vadsteinfelsen und wandten sich dorthin und meinten, nun könne es ihnen nicht mehr fehlen. Ingjald und der Knecht waren schon oben angekommen. Börk erkannte sie bald und sagte zu Ingjald: »Jetzt gib den Gisli heraus oder sage uns wenigstens, wo wir ihn finden. Du bist ein Hund, daß du den Mörder meines Bruders vor mir versteckst, und wohnst dabei auf meinem Lande! Du hättest alles Böse von mir verdient. Das Vernünftigste wäre, wenn wir dich totschlügen.«

Ingjald antwortete: »Mein Rock ist schlecht, und es soll mir recht sein, wenn ich ihn nicht mehr ganz auftrage. Und ich will lieber mein Leben lassen, als aufhören, Gisli alles Gute zu tun, das in meinen Kräften steht, und ihm in seinen Nöten zu helfen.«

Das sagt man allgemein, daß Ingjalds Schutz dem Gisli am meisten wert gewesen ist, und man sagt auch: damals als Thorgrim Nase den Fluch gegen Gisli sprach, daß es ihm nichts helfen solle, wenn ihn jemand hier zu Land beschütze, da kam ihm nicht in den Sinn, die Außeninseln ausdrücklich zu nennen. Und deshalb war dort die Wirkung des Fluches zu Ende. Doch sollte ihm dies nicht mehr lange helfen.

 

26. Gisli entkommt seinen Verfolgern

Börk hielt es nicht für schicklich, sich als vornehmer Herr mit seinem Häusler zu schlagen. Deshalb kehrten sie zum Hof und suchten Gisli dort und fanden ihn nicht, wie vorauszusehen war. Sie durchquerten nun die Insel und kamen dabei in ein enges Tal. In dem lag der Trottel mit dem Stein am Halse und fraß Gras. Da nahm Börk das Wort: »Jetzt muß ich den Leuten recht geben, die von diesem Trottel Wunderdinge erzählen. Er versteht sich weit besser auf die Kunst, an zwei Orten zugleich zu sein, als ich dachte. Hier brauchts kein langes Staunen, und wir haben uns da eine Dummheit geleistet, die zu weit geht; und ich weiß nicht, ob wir das wieder einholen. Natürlich ist Gisli da in dem Boot bei uns gewesen und hat sich nur aufgeführt wie der Trottel. Und es ist eine Schande für uns, wenn er uns diesmal wieder entwischt, wo wir so viele sind. Wir müssen schnell hinter ihm drein, solang er noch zu fassen ist.«

Darauf rannten sie zum Schiff und ruderten hinter den beiden drein und legten sich mächtig in die Ruder. Sie sahen bald, daß die beiden schon tief zwischen den Landinseln waren. Sie ruderten nun beide mit aller Kraft. – Das Schiff, in dem mehr Ruderer waren, lief schneller und sie kamen einander so nahe, daß Börk auf Schußweite herangekommen war, als die beiden ans Land stießen. Da sagte Gisli zu der Magd: »Nun trennen wir uns. Da ist ein Ring, den gib dem Ingjald, und ein anderer für seine Frau, und sag ihnen, sie sollen dich frei lassen, und weise die Ringe als Wahrzeichen vor. Ich möchte auch, daß Svart frei gelassen wird. Dich kann man wirklich meine Lebensretterin nennen. Und das soll dir auch etwas einbringen.« Damit trennten sie sich. Gisli sprang ans Land und lief in eine Klippenschlucht. Das war auf der kleinen Insel vor Herdhorn. Die Magd ruderte davon, in Schweiß gebadet und dampfend vor Anstrengung.

Börk und seine Leute ruderten ans Land, und Sakastein war als erster über Bord. Er lief hinter Gisli drein, und als er in die Felsschlucht kam, da stand Gisli mit gezücktem Schwert davor und trieb es ihm in den Schädel, so daß es bis an die Schultern hindurch fuhr. Da fiel er tot zu Boden.

Börk und die Seinen liefen auf die Insel, aber Gisli sprang in den schmalen Wasserarm, der ihn vom Festland trennte, und hielt ans Land. Börk schoß seinen Speer nach ihm. Er traf ihn in die Wade und schnitt sich tief durchs Fleisch; es gab eine böse Wunde. Gisli entfernte den Speer, aber er verlor sein Schwert dabei, denn er war so müde, daß er es nicht mehr halten konnte.

Es war schon dunkel, als er ans Land kam. Da lief er in den Wald hinein – damals wuchs hier noch viel Wald. Börk und die Seinen ruderten ans Land und suchten Gisli und umstellten ihn im Walde. Er war so müde und erstarrt, daß er kaum mehr vorwärts gehen konnte, und sah nun allenthalben Leute vor sich. Da überlegte er. Dann ging er wieder zum Meer hinunter und entkam unten an der steilen Küste entlang, nach dem Hügelhof im Walde, und traf den Bauern dort, Ref, den Sohn von Thorstein Balken. Das war ein ganz durchtriebener Fuchs. Ref begrüßte Gisli und fragte, was es Neues gebe. Da erzählte er ihm alles, was zwischen ihm und Börk vorgefallen war.

Ref hatte eine Frau namens Alfdis. Die war schön anzusehen, aber im Herzen voll schlimmer Ränke und eine rechte Teufelin. Sie und Ref paßten gut zusammen. Als Gisli dem Ref erzählt hatte, was geschehen war, bat er ihn um seine Hilfe: »Sie werden bald hier sein«, sagte er, »und es drängt nun sehr; und ich finde selten einen, der mir helfen will.«

»Ich muß eine Bedingung stellen«, sagte Ref; »nämlich, daß ich ganz allein zu sagen habe, in welcher Weise ich dir helfe, und daß du dich dabei um nichts kümmerst.«

»Das nehme ich an«, sagte Gisli; »ich gehe keinen Schritt weiter.«

»Geh nur ins Haus«, sagte Ref. Da gingen sie ins Haus.

Ref sagte zu Alfdis: »Nun sollst du einmal Abwechslung bekommen in deinem Ehebett«, und nahm alle Decken heraus und ließ Gisli sich ins Stroh hineinlegen und breitete die Decken über ihn. Alfdis lag nun also über Gisli. »Bleib nur fürs erste da«, sagte Ref, »was hier drinnen auch geschehen mag.« Und dann sagte er noch zu Alfdis, sie solle sich so grob und unsinnig wie nur möglich aufführen – »und du brauchst dich jetzt nicht zu mäßigen, sondern sage nur alles, was dir in den Sinn kommt, an Flüchen und Schimpfworten. Aber ich will mit ihnen reden und meine Worte wählen, wie es mir nützlich scheint.«

Und als er nun zum zweitenmal hinausging, sah er Leute kommen; das waren Börks Begleiter, acht an der Zahl. Börk war auf Sturzach zurückgeblieben. Sie sollten dorthin gehen und Gisli suchen und ihn greifen, wenn sie ihn fänden. Aber nun stand Ref draußen und fragte, was es Neues gäbe.

»Wir können nur erzählen, was du schon gehört haben wirst. Weißt du nichts von Gisli? Ist er nicht hierhergekommen?«

»Er ist nicht hierher gekommen«, sagte Ref; »und außerdem wäre er auch nur in sein Verderben gelaufen, wenn er das versucht hätte. Ich weiß nicht, wie weit ihr mir glaubt, wenn ich sage, daß ich nicht weniger darauf aus wäre, Gisli totzuschlagen, als irgend einer von euch. Ich bin vernünftig genug, um einzusehen, daß für mich nicht wenig gewonnen wäre, wenn ich die Huld eines Mannes wie Börk gewänne. Dessen Freund wäre ich gewiß gerne.«

Sie fragten: »Hast du etwas dagegen, wenn wir bei dir Haussuchung halten?« – »Oh!« sagte Ref, »das erlaube ich gerne. Ich weiß ja, daß ihr dann um so beruhigter anderswo suchen könnt, wenn ihr einmal genau wißt, daß er hier nicht ist. Geht nur hinein und sucht so peinlich als ihr könnt.«

Sie gingen hinein. Und als Alfdis den Lärm hörte, den ihr Kommen machte, fragte sie, was für Tölpel denn da hereintrampelten, und welche Flegel bei Nacht fremde Leute wachkrakehlten. Ref sagte, sie möge sich doch etwas mäßigen, aber sie war mit ihren Schimpfworten noch nicht zu Ende. Sie kläffte sie in einer Weise an, daß sie es wohl in Erinnerung behalten konnten. Trotzdem durchsuchten sie das Haus; aber doch nicht so sorgfältig, als wenn sie von der Hausfrau nicht mit derartigen Worten beworfen wären. Endlich gingen sie fort und hatten nichts gefunden und sagten dem Bauern Lebewohl. Der aber wünschte ihnen glückliche Reise.

Sie kamen zu Börk zurück, und nun waren sie alle zusammen ganz gewaltig unzufrieden mit ihrem Zug und meinten, sie hätten Schaden und Schande genug heimgebracht, aber nichts erreicht. Das Gerücht davon lief bald durch den ganzen Gau. Da sagten die Leute: das Unglück bei ihrer Jagd auf Gisli scheine ja nicht geringer zu werden. Börk kehrte heim und erzählte Eyjolf, wie die Sache stand.

Gisli blieb einen halben Monat bei Ref. Dann ging er fort, und sie trennten sich als gute Freunde. Gisli schenkte ihm ein Messer und einen Gürtel, zwei schöne Stücke. Es war das letzte was er hatte. – Und darauf ging Gisli nach Geirthjofsfjord zu seiner Frau. Sein Ruhm war durch diese neue Tat erheblich gewachsen. Und das ist auch wahr: keiner war je listenreicher und herzhafter als Gisli – nur das Glück war nicht mit ihm.

 

27. Thorkel wird erschlagen

Nun geht die Geschichte weiter: Börk zog im Frühling mit einer großen Schar zum Ding am Dorschfjord und wollte dort seine Freunde treffen. Gest kam vom Bardistrand, ebenso Thorkel, Gislis Bruder. Jeder von ihnen fuhr auf seinem eigenen Schiff.

Und als Gest eben aufbrechen wollte, da kamen zwei Bursche zu ihm, in schlechten Kleidern, Wanderstäbe in der Hand. Man erfuhr, Gest habe ein geheimes Gespräch mit den beiden gehabt, und erfuhr auch, sie hätten ihn gebeten, sie mitzunehmen, und er habe es ihnen zugesagt. So fuhren sie mit ihm zum Ding. Aber sie gingen schon vorher an Land und wanderten den Weg am Fjord entlang, bis sie zur Dingstätte kamen.

Auf dem Ding war auch ein Mann namens Hallbjörn Kappe, ein Bettler, der stets mit zehn oder zwölf Mann im Gau umherstrich. Der hatte sich auf dem Ding eine eigene Hütte gebaut. Zu ihm gingen die Bursche und baten ihn um Quartier und sagten, sie seien auch Bettler. Er sagte, er gebe jedem Quartier, der ihn darum bäte. »Ich bin hier schon manches Frühjahr gewesen«, sagte er, »und kenne alle Vornehmen und Goden.« Die Bursche sagten, sie würden mit seiner Aufnahme schon zufrieden sein und sich gern von ihm unterrichten lassen: »Wir sind sehr neugierig, die mächtigen Herren zu sehen, von denen man sich solche Geschichten erzählt.«

Hallbjörn sagte, dann wollten sie zusammen an den Strand gehen; er werde jedes Schiff gleich bei der Ankunft erkennen und es ihnen nennen. Da dankten sie ihm für seine Gefälligkeit und gingen mit ihm zum Strand und sahen auf die See hinaus. Da sahen sie ein Schiff herankommen. Da fragte der ältere Bursch: »Wem gehört das Schiff, das dort als erstes kommt?« Hallbjörn sagte: »Dem dicken Börk.« – »Und wem gehört das nächste?« – »Dem weisen Gest«, sagte Hallbjörn. – »Und wer fährt hinterdrein und legt sein Schiff dort an die Landspitze?« – »Das ist Thorkel Surssohn«, sagte er.

Sie sahen nun, wie Thorkel ans Land ging und sich hinsetzte, während seine Leute die Vorräte ausluden und sie aufstapelten, wo die Flut sie nicht erreichen konnte. Börk schlug ihre Hütte auf. Thorkel hatte eine russische Mütze auf und einen grauen Mantel mit goldener Spange um die Schultern und ein Schwert in der Hand. Nun ging Hallbjörn mit den Burschen dorthin, wo Thorkel saß. Da fragte einer von den Burschen, der ältere: »Wer ist der vornehme Mann hier? Ich sah noch nie einen schöneren, ansehnlichern.« Thorkel antwortete: »Schön fließen dir die Worte. Ich heiße Thorkel.« Der Bursch sagte: »Das Schwert, das du da in der Hand hast, scheint ja ein Prachtstück zu sein. Erlaubst du, daß ich es mir ansehe?« Thorkel sagte: »Das ist eine etwas seltsame Bitte, aber ich will es dir erlauben«, und reichte es ihm. Der Bursch nahm es auch und trat ein bißchen zurück, löste die Sicherung und zog es aus der Scheide. Und als Thorkel das sah, sagte er: »Das habe ich dir aber nicht erlaubt, es zu ziehen.« – »Darnach habe ich dich auch gar nicht gefragt«, sagte der Bursch und schwang das Schwert und trieb es dem Thorkel in den Hals, so daß es ihm den Kopf abschnitt. Aber kaum war das geschehen, da sprang der Bettler Hallbjörn auf. Der Bursch warf das Schwert hin, blutig wie es war, und raffte seinen Stab auf, und nun liefen sie mit Hallbjörn zusammen. Alle die Bettler rannten wie rasend. Sie liefen an der Hütte vorbei, die Börk aufschlug. Die Menge drängte dagegen zu Thorkel hin und niemand wußte, wer die Tat begangen habe. Börk fragte, woher der Lärm und das Geschrei dort bei Thorkel käme.

Und als nun Hallbjörn und die anderen Bettler an seiner Hütte vorüber liefen – fünfzehn waren es im Ganzen – und als Börk das fragte, da antwortete der jüngere Bursch, Helgi (aber der andere hieß Berg, der den Totschlag verübt hatte): »Ich weiß nicht, was sie verhandeln; aber ich glaube, sie streiten darüber, ob Vestein nur Töchter hinterlassen hat oder vielleicht auch einen Sohn!«

Hallbjörn lief zu seiner Hütte, die beiden Bursche aber in den Wald, der in der Nähe war, und wurden nicht gefunden.

 

28. Börk läßt die Klage fallen

Nun kamen die Leute zu Hallbjörns Zelt gelaufen und fragten, wie das zugegangen sei, und die Bettler erzählten, zwei fremde Bursche seien zu ihnen gekommen, und sagten, der Mord komme ihnen völlig überraschend, sie hätten nichts davon gewußt. Sie sagten auch, wie die beiden ausgesehen und was sie mit ihnen geredet hätten. Börk glaubte aus Helgis Worten schließen zu können, daß es die Söhne Vesteins gewesen seien. Da ging er zu Gest und besprach mit ihm, was nun zu tun sei.

Börk sagte: »Ich bin am allernächsten dazu verpflichtet, Thorkels Mordprozeß zu führen. Dem ganzen Vorgang nach sieht es mir so aus, als wenn Vesteins Söhne die Täter wären. Ich wüßte sonst niemanden, der mit Thorkel irgend etwas gehabt hätte – nur sie. Für diesmal sind sie ja nun, wie es scheint, davongekommen. Nun gib mir deinen Rat, wie ich die Sache anfassen soll.«

Gest antwortete: »Ich glaube, wenn ich den Totschlag selber begangen hätte, so würde ich auch darauf verfallen sein, mich anders zu nennen als ich hieße. Dann würde der Prozeß ungültig, wenn einer gegen mich begonnen würde.« Er suchte es möglichst zu verhindern, daß die Sache vor Gericht anhängig würde. Manche haben fest behauptet: Gest sei in den Plan der Bursche eingeweiht gewesen; es hätten nämlich verwandtschaftliche Beziehungen zwischen ihnen bestanden.

Damit war ihr Gespräch zu Ende und Börk ließ die Sache fallen. Thorkel wurde nach dem alten Brauch im Hügel bestattet und man zog vom Ding wieder heim, ohne daß sich sonst noch etwas Nennenswertes ereignet hätte. Börk war mit seiner Dingfahrt übel zufrieden, wie er das ja allmählich hätte gewohnt sein müssen, und brachte nur noch mehr Schmach und Schande heim.

Die beiden Bursche wanderten, bis sie am Geirthjofsfjord ankamen, und waren fünf Tage und Nächte nicht unter Dach. Da kamen sie zu Aud. Gisli war auch gerade dort. Sie kamen in der Nacht an den Hof und klopften ans Tor. Aud ging zu ihnen hinaus und begrüßte sie und fragte, was es Neues gäbe. Aber Gisli lag in seinem Bett, in dem unterirdischen Raum. Aud redete dann immer laut, wenn er sich versteckt halten sollte. Die beiden erzählten ihr nun von Thorkels Ermordung und was damit zusammenhing und fragten sie, was sie nun tun sollten, und sagten ihr auch, wie lange sie schon ohne einen Bissen unterwegs seien.

»Ich muß euch weiterschicken«, sagte Aud; »geht über die Höhe nach Moostal zu den Bjartmarssöhnen. Ich werde euch zu essen mitgeben und ein Wahrzeichen, damit sie euch dort in Schutz nehmen. Ich tue das deswegen, weil ich nicht wage, Gisli zu bitten, daß er euch aufnimmt.«

Da gingen die Bursche in den Wald hinein, bis wo sie niemand mehr finden konnte, und labten sich an ihrem Essen, denn sie hatten lange kein Essen mehr gesehen, und legten sich dann hin und schliefen, als sie satt waren, denn sie waren sehr müde.

 

29. Neue Traumstrophen Gislis

Nun ist von Aud zu erzählen: sie ging wieder ins Haus zu Gisli und sagte: »Nun bin ich sehr begierig, wie du es anfangen wirst, daß bei dem, was ich zu melden habe, mich kein Vorwurf trifft.« Da unterbrach er sie gleich: »Ich weiß schon. Du willst mir melden, daß mein Bruder Thorkel erschlagen ist.« – »Du hast es erraten,« sagte Aud; »die Bursche sind jetzt hierher gekommen und möchten, daß ihr euch nun zur Verteidigung zusammentut. Sie sehen keine andere Rettung.« Da sagte er: »Ich kann es nicht ertragen, meines Bruders Mörder vor mir zu sehen und mit ihnen zusammen zu sein!« Und sprang auf und wollte sein Schwert ziehen und sprach die Strophe:

Wer mag wissen, ob Gisli
Werde nicht aus der Schwertscheid'
Zieh'n Kampfs EisDas (kalte) Schwert. noch – (Aussicht,
Ein'g', gibts für Volk's G'sippen Der Verwandte der Menschen = Mann, hier Gisli.) –:
Da Streits Föhren Die Bäume des Streites = Krieger. Schwertes
Schwinger Schwertes Schwinger: Krieger (Gisli selbst). erzähl'n vom Thinge
Thorkels Tötung. Taten
Tu' bis zuletzt, mut'g', ich.

Jetzt sagte Aud, sie seien schon fort: »Ich hatte Verstand genug, um sie nicht hier in der Gefahr zu lassen.« Da sagte Gisli, auf diese Weise sei es auch am allerbesten: daß sie sich nicht begegneten. Und wurde schnell wieder ruhig. Und nun geschah eine Zeitlang nichts weiter. Es waren jetzt nur noch zwei Winter von der Zeit übrig, die die Traumfrau ihm als Lebenszeit genannt hatte.

Den Sommer über blieb Gisli in Geirthjofsfjord, da kamen alle seine Träume wieder und quälten ihn. Immer kam jetzt die schlimmere Traumfrau zu ihm, nur ganz selten einmal die freundliche.

Eines Nachts träumte Gisli wieder, die freundliche komme zu ihm. Sie ritt auf einem grauen Roß und lud ihn ein, mit ihr zu kommen in ihr Haus, und das nahm er an. Nun kamen sie zu einem Hause, das war beinah wie eine Halle, und sie führte ihn in das Haus hinein. Da lagen Kissen auf den Bänken im Saal und alles war schön eingerichtet. Sie sagte, er möge nun hier bleiben und es sich bequem machen: »Hierher kommst du, wenn du stirbst,« sagte sie; »hier wirst du Reichtum und Seligkeit genießen.«

Da wachte er auf und sprach ein paar Strophen von seinen Träumen:

Bei ihr Speers Erbeuter Dem Krieger (Gisli).
Bot an Saumwerks Nauma Nähwerks Göttin = Frau.
Ihr Grauroß zu reiten,
Gunst zeigt' Liedes Kunstwart. Dem Skalden (Gisli).
Verhieß, – (noch Horn-Nasses
Hegerins Horn-Nasses (Bieres) Hegerin (Schenkin) = Frau. Wort' erwäg' ich) –
Heilung sei von der Sol Sol (die Sonnengöttin, die Sonne). mir
Sicher des Möw'n-Au-Lichtes. Möwen-Auens (des Meeres) Licht: das Gold. Sol (Göttin) des Goldes = Frau.

Darbot Drapas Fert'ger Dem Skalden (Drapa: das Preislied).
(Des nimmer vergess' ich) –
Sitz da, wo lind' Daunpfühl',
Dis' Meerloh'ns, Die Göttin des Meerfeuers (Goldes) = Frau. die hehre.
Sich still mich gesellte
Saumwerks kluge Nauma. Die Nauma (Göttin) des Nähwerks = Frau.
Da gab's nichts Unebenes: Ein bequemes Beilager.
Allweich lag der Skalde. Ich, Gisli.

»Hierhin tritt'st im Tod du,
Traun, Speerbäum'-Falls Mehrer, Der Töter der Speerbäume (Kämpfer) = Krieger.
Einst« – also Hild Halsbands Hild (Walküre) des Halsbands (Goldschmucks) = Frau.
Hub' an zu dem Sangschmied. Skalden.
»All'n Reichtum, Haub'ns Ilm Ilm (Göttin) der Haube = Frau. selbst
Auch sollst du, Wurmpolsters
Ull, Ull (Gott) des Wurmpolsters (des Goldes, auf dem die Drachen liegen) = freigebiger Mann, Krieger, hier Gisli selber. haben: zum Heile
Hier uns beiden wird das.«

 

30. Helgi und Havard auf der Suche nach Gisli

Weiter erzählt man: einmal war Helgi Spürhund wieder in den Geirthjofsfjord auf Suche ausgeschickt, denn man vermutete, Gisli sei dort. Havard begleitete ihn, ein Norweger, der erst im letzten Sommer herausgekommen war, ein Verwandter des weisen Gest. Sie waren in den Wald geschickt, um Bauholz zu schlagen. Aber das war nur ein Vorwand. In Wahrheit sollten sie Gisli suchen und sehen, ob sie nicht sein Versteck entdeckten. Und eines Abends sahen sie auf den Klippen südlich vom Flusse ein Feuer. Der Tag war schon vorüber und es war eine völlig mondlose Nacht. Da fragte Havard den Helgi, was nun zu tun sei. »Du verstehst dich auf so etwas besser als ich.«

»Hier gibt es nur eins,« sagte Helgi; »wir errichten hier auf unserem Hügel ein Steinmal, so daß wir ihn am hellen Tage wiederfinden. Und dann suchen wir von hier aus nach den Klippen. Sie scheinen ja nicht weit entfernt.«

So machten sie es; und als sie das Mal errichtet hatten, sagte Havard, ihn schläfere, er könne nichts anderes mehr als schlafen. Das tat er auch. Aber Helgi blieb wach und baute das Mal noch bis zu Ende fertig. Und als er damit zu Ende war, da wachte Havard auf und sagte, nun solle Helgi schlafen, er wolle wachen. Und Helgi schlief eine Zeitlang. Und während er schlief, machte sich Havard ans Werk und trug das ganze Mal ab, jeden Stein einzeln in die Finsternis. Und als er damit fertig war, da nahm er einen großen Stein und warf ihn dicht neben Helgis Kopf auf den Felsen, so daß der Boden davon bebte. Da fuhr Helgi auf und zitterte vor Angst und Grausen und fragte, was es gebe.

Havard sagte: »Ein Mann ist im Wald. Es sind schon mehr solche Dinger gekommen heute Nacht.«

»Das ist gewiß Gisli gewesen,« sagte Helgi; »er hat uns wohl entdeckt. – Aber das kannst du glauben, mein Lieber: wenn so ein Kiesel uns trifft, dann sind wir lahm für unser Leben. Hier gibt es nichts als schleunigste Flucht.« Damit rannte Helgi so schnell er konnte. Havard kam langsamer hinterdrein und bat Helgi, ihm nicht wegzulaufen. Aber Helgi gab darauf nicht acht, sondern rannte, was seine Füße hergeben wollten. Und zuletzt kamen sie beide beim Schiff an und stiegen hinein und schlugen die Ruder ins Wasser und ruderten so hastig sie konnten, und hielten nicht eher an, als bis sie daheim im Otterntal waren. Da sagte Helgi, er wisse nun eine Stelle, wohin Gisli gekommen sei.

Daraufhin machte Eyjolf sich sofort mit elf Mann auf die Fahrt; Helgi und Havard gingen auch mit. Sie fuhren geradeswegs in den Geirthjofsfjord und durchquerten alle Wälder und suchten das Steinmal und Gislis Versteck und fanden keines von beiden. Da fragte Eyjolf Havard, wo sie denn das Mal errichtet hätten.

Er antwortete: »Das kann ich nicht wissen; denn erstens war ich so schläfrig, daß ich überhaupt nichts von mir merkte, und dann errichtete Helgi das Mal, während ich schlief. Ich halte es für gar nicht ausgeschlossen, daß Gisli uns entdeckt hat und das Mal abgetragen, als es Tag war und wir weggefahren waren.«

Da sagte Eyjolf: »Das Glück meint es nicht gut mit uns in dieser Sache. Wir können wieder umkehren.«

Sie kehrten wieder um, aber dann sagte Eyjolf, er wolle Aud noch aufsuchen. So gingen sie zu ihrem Hof und Eyjolf machte sich noch einmal an Aud heran. Er fing an: »Ich möchte mit dir einen Handel eingehn, Aud,« sagte er; »sag du mir wo Gisli ist, dann gebe ich dir dreihundert Mark Silber, dieselben die ich für seinen Kopf bekommen habe. – Du brauchst auch nicht dabei zu sein, wenn wir ihn umbringen. – Und außerdem will ich dir auch eine Heirat schaffen, die in allem besser sein soll als deine jetzige. – Du magst auch bedenken,« sagte er, »wie ungemütlich du es hast: sitzt hier draußen an dem öden Fjord und bekommst nie einen Freund oder Verwandten zu sehen – und all das um Gislis willen.«

Da antwortete sie: »Das Unwahrscheinlichste ist mir dabei, ob wir darüber eins werden, daß du mir eine Heirat schaffst, die mir so gut scheint wie meine jetzige. Aber das ist ja wahr: Geld ist der beste Witwentrost, wie man zu sagen pflegt. Laß mich sehen, ob dein Geld auch wirklich so viel und so gut ist, wie du sagst.«

Da schüttelte er ihr das Geld in den Schoß und sie spielte mit der Hand darin, er aber zählte und zeigte es ihr vor. Gudrid ihre Pflegetochter, fing an zu weinen.

 

31. Eyjolfs Mißerfolg bei Aud

Dann ging Gudrid hinaus und lief zu Gisli und sagte zu ihm: »Meine Pflegemutter hat jetzt den Verstand verloren und will dich verraten!«

Gisli sagte: »Tröste dich. Solange mir der Tod nur von Aud droht, bin ich um mein Leben nicht bange.« Und sprach die Strophe:

Ihrem Mann, die Männer
Meinen, zu hegen scheine
Falschen Sinn Föhrd'-Elch-Land-
Flammens Hlin Der Föhrde-Elch ist das Schiff. Dessen Land das Meer. Dessen Flamme das Gold. Dessen Hlin (Göttin): Frau, hier Aud. im Innern.
Weiß es, weinend Steinfisch-
Wiesens Fit Der Fisch des Steinbodens: die Schlange, deren Wiese (Bett, worauf sie liegt): das Gold. Dessen Fit (Göttin): Frau, wiederum Aud. dasitzet:
Nicht stimmt's, was von Stromglut-
Stolzer Jörd Stromglut = Gold. Die mit dem Gold prahlende Jörd (Göttin): die Frau, nochmals Aud. man hörte.

Darauf ging das Mädchen heim und sagte nicht, wo sie gewesen war. Eyjolf hatte da das Geld vorgezählt, und Aud sagte: »Dein Geld ist in keinem Punkte weniger oder schlechter als du gesagt hast; nun wirst du mir wohl erlauben, daß ich damit mache, was ich will.« Eyjolf nahm das fröhlich auf und sagte, sie dürfe natürlich damit machen, was sie wolle.

Aud nahm nun das Geld und tat es in einen großen Beutel. Dann stand sie auf und schlug den Beutel mit dem Silber dem Eyjolf auf die Nase, so daß ihn sofort das Blut ganz überströmte, und sagte dazu: »Nimm das für deine Leichtgläubigkeit! und alles Unheil dazu! Hast du geglaubt, ich würde dir Schurken meinen Mann verkaufen? Nimm nun das und Schimpf und Schande dazu! Dein Leben lang sollst du daran denken, du Lump, daß eine Frau dich geschlagen hat – und hast nicht einmal erreicht, was du wolltest!«

Da sagte Eyjolf: »Ergreift den Hund und schlagt ihn tot, wenns auch eine Hündin ist!«

Da sagte Havard dagegen: »Unsere Fahrt ist schon übel genug, auch ohne dieses Bubenstück. Kommt her ihr Männer und haltet ihn zurück.« Eyolf sagte: »Hier geht es nach dem Sprichwort: die schlimmste Gesellschaft nahm ich mir selber mit!«

Havard war sehr beliebt und viele waren bereit, ihm zu helfen und andererseits Eyjolf von einer unüberlegten Tat abzuhalten. So mußte der es denn auf sich sitzen lassen und ritt damit ab. Aber ehe Havard wegging, sagte Aud: »Gisli hat noch eine Schuld bei dir, die soll dir nicht ausstehen bleiben. Hier ist ein Ring, den sollst du haben.«

»Ich hätte diese Schuld selber nicht eingefordert,« sagte Havard.

»Ich will sie jetzt aber bezahlen,« sagte Aud. Und sie gab ihm auch wirklich den Ring für seine Hilfe.

Da verschaffte Havard sich ein Roß und ritt nach Strand zu Gest Oddleifs Sohn und mochte nicht länger mit Eyjolf zusammen sein. Eyjolf zog heim nach Otterntal und war mit seinem Zug übel zufrieden. Und die Leute fanden auch: So viel Schande hätten ihm die früheren doch nicht eingetragen.

 

32. Neue Traumstrophen

Diesen ganzen Sommer über hielt sich Gisli in dem unterirdischen Raum sorgfältig versteckt und mochte nun nicht noch einmal fort. Es schien ihm, als seien nun alle Auswege verschneit. Nun waren ja auch seine Traumjahre alle zusammen vorüber.

Eines Nachts im Sommer geschah es wieder, daß er unruhig schlief. Und als er aufwachte, fragte Aud ihn, was er geträumt hätte. Da sagte er, jetzt sei die schlimme Traumfrau zu ihm gekommen und habe zu ihm gesagt: Nun will ich all das zunichte machen, wovon die freundliche Traumfrau zu dir gesprochen hat. Und ich werde dafür sorgen, daß du von alledem nichts genießen sollst, was sie gesagt hat. Dann sprach er die Strophe:

»Nicht beisammen sollt ihr
Sein,« Schal'ns Träg'rin Die Trägerin der Älschale = Frau. meinte.
Gift der Lieb' so gab euch
Gott beiden zu Leide.
Der Welt mächt'ger Walter Gott.
Wollt', aus Eur'm Haus solltest
Allein ab, zu finden
Ander Heim Im Jenseits., du wandern.

»Und weiter träumte mir,« sagte er, »wie diese Frau auf mich zutrat und mir eine blutige Mütze über den Kopf zog, und vorher wusch sie mir den Kopf mit Blut und begoß mich ganz damit, so daß ich von Blute troff.« Dann sprach er die Strophe:

Träumte, daß Reichtumes
Thrud Thrud (Göttin) des Reichtumes, Goldes = Frau. rot Haupt mit Odins-
Bränd'-Gischt Odins Brände sind die Schwerter. Deren Gischt das Blut. aus Schwertbandes-
Stabes-Born Schwertfessels Stab = Schwert. Dessen Born (erschlossen aus der Leiche): das Blut. mir abwüsch'.
Schwanken Falken-Felsen-
Feu'rs-Göttins Der schwankende (bewegliche) Falken-Felsen: Arm (Sitz der Falken auf der Jagd). Dessen Feuer: das Gold. Dessen Göttin: die Frau. Hand rötet'
Wundens Bö'. Die Böe (der stürmische Regen) der Wunde: Blut. Ward blutig
Bind'-Zierdens Stein Bind'-Zierde: die Haube. Deren Stein: das Haupt. Die Häufung der Umschreibungen für Blut ist, um den Eindruck des Furchtbaren zu steigern, beabsichtigt. mir da.

Und weiter sprach er:

Träumt', der Gunnwell' günst'ge
Göndul Gunnwelle (die Welle der Walküre, des Kampfes) ist der Blutstrom. Die diesem günstige (ihn aufbewahrende) Göndul (Walküre) ist das blutbespritzte Weib des Traumes. blut'g' Haub' spönne
Um Scheitels Ähr'n Die Haare. – (g'schnitten
Schier jüngst war'n sie) – mir da. Die blutige Haube, die Gisli aufgesetzt wird, ist die Wunde.
Netzten Schau'r des Schwertes Blut.
Ständig beide Händ' ihr.
So mich weckt' die Saga
Saumwerks Die Saga (Göttin) des Nähwerks: die Frau, hier Gislis Gattin Aud. aus dem Traume.

Allmählich wurde es so schlimm mit Gislis Träumen, daß er es gar nicht mehr aushielt, im Dunkeln allein zu sein. Sobald er seine Augen zutat, glaubte er das Weib zu sehen. Und wieder in einer Nacht, da war Gisli ganz aufgeregt im Traum. Aud fragte, was er denn gesehen habe.

»Mir träumte,« sagte Gisli, »es kämen Männer auf uns los; Eyjolf war dabei und viele andere. Wir trafen uns und es gab einen Kampf. Einer von ihnen war voran, der heulte laut, und ich hieb ihn mitten auseinander. Und es war mir, als hätte er einen Wolfskopf. Nachher drangen viele auf mich ein. Ich hatte einen Schild in der Hand und wehrte mich lange.« Dann sprach Gisli die Strophe:

Fand bald bei der Feinde
Fund: Beim Zusammentreffen mit den Feinden. an die mich rannten –
(Ob ich träumte auch nur) –:
Ohn' Mannschaft, viel', stand ich.
Mehr Weiter. schien's mir: es färbte
Mein hellrot Blut deinen
Wonn'gen Arm. Gewann mir
Wahlstatt-Beut' – Rab'ns Freud' Ich tötete Feinde zur Sättigung der Raben. – dann.

Und weiter sprach er:

Nicht den Schild zerspalten –
Schwert's Hieb ab der wehrte –
Konnten mit gell'nder Kling' sie:
Kämpft' Skald' Ich (Gisli). allgewaltig,
Bis dann über mich endlich
Obsiegt' Volk, das mich schickt einst
Helwärts. Mich dereinst töten wird. Starken Schwertlärm Kampf.
Schall'n man hörte allda.

Und weiter sprach er:

Einen ich, eh' Früh-Fliegers
Förd'rerDer Förderer (Speiser) des Frühfliegers (des Raben): der Krieger. verwundet' mich, mördert'.
Munins FraßMunin: Odins Rabe, dann Rabe überhaupt. Munins Fraß: die Leichen. Leichen-Flusses
FalkDer Falke des Leichenflusses (des Blutes) = Rabe. gab ich zur Labe.
Klingens Schneid' zerschnitt da
Schenkel zwei. Die Beine
Hin war'n Hort's Zerstörer. Der Verschwender des Goldhorts ist der (freigebige) Krieger.
Hehr drob wird Manns Ehre. D. h. meine (Gislis).

Nun ging es gegen den Herbst. Seine Träume nahmen nicht ab, sondern wurden eher noch schlimmer. Und eines Nachts schlief Gisli wieder unruhig, und Aud fragte ihn wieder, was er gesehen habe. Da sprach Gisli die Strophe:

Träumt', Wunden-Well Blut. rinn' da,
Weib, herab von Leibes
Seiten, all'n, mir. Elend
Also leide Not ich.
Stets hat der Traum mich, schlumm'r' ich,
Schatz-Lofn Göttin des Schatzes (des Goldes) = Frau., hold', getroffen.
Viel Leid durch mich litten
Leut'. Speeres Wind Kampf. dräut mir.

Und weiter sprach er:

Träumt', Schwertnetz-Gnas Schürer, Gna (Göttin) des Schwertnetzes (Schildes) ist die Walküre. Deren (d. h. des Kampfes) Schürer: der Krieger.
Schatz-Hlin Hlin (Göttin) des Schatzes: die Frau, hier Aud., durch der Klinge
Biß viel Bluts die Schultern
Beid' lang mir ließ gleiten.
Hoffnung, lieb', auf Leben
Lauchs Var, Die Var (Göttin) des Lauches: Frau (Aud). kaum sich darbot
In der Pein – und dennoch
Drin find' ich Weh's Linderung. Nämlich im Sterben.

Und weiter sprach er:

Träumt': mir die Arme Tartschen-
Trolls Eigner Troll des Schildes = Axt, deren Besitzer: die Krieger. abzweigten
Beid' mit Brünnens Rute. Dem Schwert.
Bös ward ich voll Scharten.
Schwertes Maul Schneide. zerspaltet'
Stamm mir des Helmes Stamm des Helmes = Haupt., Zwirnes
Syn, Göttin des Zwirnes = Frau (Aud). ganz. Die Kling', grau'nvoll
Gähnt' ob meinem Schopfe.

Und weiter sprach er:

Träumt' oft, Silberbands Sjöfn Göttin des silbernen Haarbandes = Frau. da
Säh' ich ob mir stehen
Weinend. Hemd-Gerds Die Gerd des Hemdes = Frau. Wimper
Wär', schien's, feucht von Zähren.
Well'nbrands Njörun Die Göttin des Wellenbrandes, d. h. Goldes: die Frau. die Wunden
Wohl mir verband, die Holde,
Flugs. Sag' du, worauf deutet
Dies hier. Magst du's wissen?

Stammtafel zu den Geschichten von Gisli und Hörd

33. Gislis letzter Traum

Den Sommer über blieb Gisli daheim und es geschah ihm nichts. Aber dann kam die letzte Nacht des Sommers. Da konnte Gisli nicht schlafen und keins von den dreien. Der Abend hatte volle Windstille gebracht und nun reifte es stark. Da sagte Gisli, er wolle fort und zu seinem südlichen Versteck in den Klippen und sehen, ob er dort schlafen könnte. Da gingen sie alle drei. Die beiden Frauen hatten lange Überröcke an, die gaben eine deutliche Spur im Reif. Gisli hatte ein Stäbchen in der Hand und schnitt Runen hinein, da fielen die Späne auf den Weg.

Sie kamen zum Versteck. Gisli legte sich und wollte sehen, ob der Schlaf nun käme. Aber die Frauen blieben wach. Er sank in einen schweren Schlaf und träumte dabei: es kämen Vögel zu ihm ins Zimmer geflogen, die bissen sich wild miteinander. Sie waren größer als Schneehühner. Es war ein unbändiger Kampf und es sah aus, als hätten sie sich in etwas Rotem oder in Blut gewälzt. Da fragte Aud, was er geträumt hätte – »es war wieder kein freundlicher Traum«.

Da sprach Gisli die Strophe:

Von Erdbluts Heim Erdblut: Der Fluß. Also: aus der Gegend des Flusses. hört' ich
Hall'n ein Geräusch, Lein-Bil, Die Bil (Göttin) des Leines: Frau (hier Aud).
Da wir schieden. Schäd'ge
Schwer kaum Trank der Zwerge. Der Dichtermet, das Gedicht. Der Sinn: ich dichte gut.
Schwertwort's Speierling Schwertworts (d. h. Kampfes) Speierling (Ahlkirschbaum) = Krieger (Gisli). hört' dann:
Schneehühner, zwei, kühne,
Heftig sich hieben. Eibens
Hagel Eibens (Eibenbogens) Hagel sind die Pfeile. wird Männer schlagen.

Und wie er eben damit fertig war, hörten sie Stimmen. Da war Eyjolf gekommen und vierzehn Männer mit ihm. Sie waren vorher beim Hofe gewesen und hatten die Spur im Reif gesehen und waren ihr gefolgt wie dem besten Führer. Und als die drei die Feinde kommen sahen, da stiegen sie auf eine der Klippen, wo sie sich am besten wehren konnten. Jede der beiden Frauen hatte einen groben Knüttel in der Hand.

Eyjolf kam mit seinen Leuten von unten heran. Er sagte da zu Gisli: »Jetzt wird es dir nicht gelingen, noch einmal zu entwischen. Laß dich doch nicht wie ein Feigling jagen; man nannte dich sonst doch herzhaft. – Es ist lange her, daß wir uns trafen, und ich hoffe, es ist heute das letzte Mal.«

Gisli antwortete: »Greif mannhaft an, wenn ich dir nicht wieder entwischen soll. An dir ist es, mich als erster anzugreifen, denn du hast mehr Grund, mir Feind zu sein, als sonst einer in deiner Schar.«

»Das hast du wohl nicht zu entscheiden«, sagte Eyjolf, »wie ich meine Leute verwende.«

»Das war auch zu erwarten«, sagte Gisli, »daß du Hund nicht wagen würdest, mit mir Hiebe zu wechseln.«

Da sagte Eyjolf zu Helgi Spürhund: »Das gäbe jetzt eine rechte Heldentat, wenn du als erster gegen Gisli auf die Klippe vorgingst. Das brächte dir Ruhm für lange!«

»Ich kenn dich schon«, sagte Helgi; »du schickst immer am liebsten andere vor, wenns irgendwo ein bißchen heiß hergeht. Aber weil du mich so hetzt, werde ich als erster gehen. Du aber folge mir dann auch wacker und halt dich gleich hinter mir, wenn du nicht ganz und gar feige bist.«

Helgi ging nun vor, wo es am günstigsten schien; er hatte eine große Axt in der Hand. Gislis Ausrüstung war diese: er hatte eine Axt in der Hand und das Schwert umgegürtet und den Schild an der Seite. Er war in einer grauen Joppe und hatte sich den Strick fest an den Leib gezogen.

Nun nahm Helgi einen Anlauf und sprang zu Gisli auf die Klippe. Gisli wandte sich gegen ihn und schwang sein Schwert empor und trieb es ihm in die Weichen, so daß es den ganzen Mann mitten entzwei schnitt und jeder Teil für sich die Klippe hinunterfiel.

Eyjolf klomm von einer anderen Seite herauf. Da trat ihm Aud entgegen und hieb ihm mit ihrem Knüttel auf die Hand, so daß der alle Kraft entwich. Da stürzte er wieder hinunter.

Da sagte Gisli: »Das wußte ich lang, daß ich gut beweibt war. Aber ich wußte nicht, daß ich so gut beweibt wäre, wie ich bin. – Aber du hast mir nun einen geringeren Dienst getan, als du wolltest und vorhattest, wenn auch die Meinung gut war; denn jetzt hätten sie beide den gleichen Weg gehen sollen.«

 

34. Der Kampf auf der Klippe

Da machten sich zwei Männer daran, Aud und Gudrid festzuhalten und das schien ihnen hinreichende Arbeit. Die andern zwölf griffen Gisli an und klommen die Klippe empor; er aber wehrte sich mit Steinen und mit seiner Axt und erwarb sich dabei großen Ruhm.

Nun sprang einer von Eyjolfs Gesellen gegen Gisli vor und rief: »Jetzt sollst du mir die schönen Waffen lassen, die du hast, und alles zusammen, und dazu Aud, dein Weib!« – Gisli antwortete: »Hol sie dir nur unverzagt! Sonst verdienst du eine Waffe nicht, die ich geführt habe, und auch das Weib nicht.«

Eyjolf stach seinen Speer nach Gisli, aber Gisli hieb mit seiner Axt dagegen und schlug das Speereisen vom Schaft. Und der Hieb war so kräftig geführt, daß die Axt auf den Stein schlug und das Blatt abbrach. Da warf er die Axt fort und griff zum Schwert und teilte mit dem seine Hiebe aus. Dabei schirmte er sich mit dem Schild. Nun griffen sie hitzig an, er aber wehrte sich wacker, und sie gerieten hart zusammen. Gisli erschlug dann noch zwei, und nun waren schon vier gefallen. Da sagte Eyjolf, man solle mannhaft draufgehen. »Wir kommen schlecht weg«, sagte er, »und selbst der beste Ausgang bringt uns nicht mehr viel ein.«

Und als sie es am wenigsten vermuteten, drehte ihnen Gisli den Rücken. Er sprang von der Klippe herunter und auf den Einerschrofen. Dort wandte er sich wieder und verteidigte sich. Das kam ihnen unerwartet. Ihre Lage wurde ihnen jetzt immer ungemütlicher: viere erschlagen, die übrigen verwundet und müde. Da ruhte der Angriff. Aber Eyjolf trieb seine Leute mächtig an und versprach ihnen die größten Ehrengeschenke, wenn sie Gisli faßten. – Er hatte eine auserlesene Schar an Kühnheit und Kampflust.

 

35. Gislis letzte Strophe und Tod

Ein Mann namens Svein war der erste, der sich auf den Felsen Gisli entgegenwagte. Gisli hieb nach ihm und spaltete ihm den Kopf bis zu den Schultern und ließ ihn den Felsen hinunterfliegen. Da wußten die drunten nicht, wie es mit Gislis Hieben noch enden würde.

Sie hielten Rat und wollten um keinen Preis umkehren. Nun griffen sie ihn von zwei Seiten an. Am nächsten hinter Eyjolf waren zwei Verwandte von ihm, Thorir und Thord, zwei rechte Haudegen. Da wurde der Angriff hart und hitzig und sie brachten ihm endlich mit ihren Spießen ein paar Stichwunden bei.

Er wehrte sich wild und mannhaft und sie hatten unter seinen Steinwürfen und den schweren Hieben so zu leiden, daß keiner unverwundet blieb, der gegen ihn anging. Eyjolf und seine Verwandten drangen heftig auf ihn ein; sie wußten, daß nun ihre Ehre und Achtung auf dem Spiele stand. Nun trafen sie ihn mit ihren Spießen, so daß die Eingeweide heraustraten. Aber er zog sie sich mit seinem Hemde an den Leib und band unten den Strick darum.

Und dann sagte Gisli, sie möchten ein wenig innehalten: »Jetzt sollt ihr das Ende haben, das ihr wolltet.« Dann sagte er die Strophe:

Vielholde Stein-Fulla Die Fulla (Göttin) der Steine (der Bernsteinperlen): Frau, hier: Aud.
– Freud' mir – hör' von ihres
Freunds Gislis. kecker Art. Kühn der
Konnt' dau'rn in Gers Schauern. Kämpfen.
Ob Schneid' wohl geschmied'ten
Schwertes auch versehrt mich,
Froh Todesmutig. bin ich. Seinen Sohn wollt'
So tathart mein Vater.

Das war Gislis letzte Strophe. – Und sofort wie er die Strophe gesagt hatte, sprang er vom Felsen herunter, ihnen entgegen, und trieb sein Schwert dem Thord, Eyjolfs Verwandten, in den Kopf, so daß der alsbald den Tod davon hatte. Da fiel auch Gisli über ihn und lebte nicht mehr. Aber Eyjolfs Schaar, die waren alle schwer verwundet.

Als Gisli sein Leben ließ, hatte er so viele und so tiefe Wunden, daß es ein Wunder schien. Nachher haben sie erzählt: Gisli sei keinen Schritt zurückgewichen und sie hätten nicht gemerkt, daß sein letzter Hieb schwächer gewesen sei als sein erster. – Hier ist nun Gislis Leben zu Ende; und das wird allgemein gesagt, daß er an Kühnheit nicht seinesgleichen gehabt hat, ob er gleich nicht in jedem Stück vom Glück begleitet war.

Nun trugen sie ihn hinab und nahmen ihm sein Schwert und verscharrten ihn dort im Kies und gingen dann zum Strande hinunter. Da starb der sechste drunten am Wasser. Eyjolf bot Aud an, bei ihm zu bleiben; aber sie wollte es nicht.

Darauf fuhren Eyjolf und die andern heim nach Otterntal und gleich noch in derselben Nacht starb der siebente; aber der achte lag zwölf Monate an seinen Wunden und starb dann noch. Die andern genasen von ihren Wunden; aber die Schande wurden sie nicht los.

 

36. Thordis scheidet sich von Börk

Eyjolf suchte selbzwölft den dicken Börk auf und brachte ihm die Nachricht mit allen Einzelheiten. Börk ward froh, als er das hörte und bat Thordis, Eyjolf gut aufzunehmen: »Denk an die große Liebe, mit der du an meinem Bruder Thorgrim hingst, und sei freundlich gegen Eyjolf.«

»Weinen werde ich um Gisli, meinen Bruder«, sagte Thordis; »aber ist das nicht Freundlichkeit genug gegen Gislis Mörder, wenn ich Grützbrei ihm gebe zum Gruß?«

Und am Abend, als sie das Essen auftrug, ließ sie den Löffelkasten fallen. Eyjolf hatte zwischen dem Seitenbrett seiner Bank und seinen Füßen das Schwert liegen, das Gisli gehört hatte. Thordis erkannte das Schwert. Und als sie sich nach den Löffeln bückte, packte Thordis das Schwert beim Griff und richtete es auf Eyjolf und wollte ihn mitten durchbohren. Sie merkte nicht, daß die Parierstange nach oben stand, und stieß damit gegen den Tisch. Dadurch ging der Stoß nicht so hoch, wie sie gewollt hatte; sie traf ihn in den Schenkel und es gab eine schwere Wunde. Börk ergriff Thordis und entwand ihr das Schwert. Alle sprangen auf, und Tische und Speisen wurden umgestoßen. Börk überließ dem Eyjolf, das Bußgeld für diese Tat zu bestimmen. Da verlangte Eyjolf die volle Totschlagsbuße und sagte, er hätte noch mehr verlangt, wenn Börk sich dabei nicht so gut benommen hätte.

Thordis verkündete da vor Zeugen ihre Scheidung von Börk und sagte, sie werde von jetzt ab sein Bett nicht mehr berühren. Und das führte sie auch durch. Sie siedelte dann nach Thordishofen draußen auf Aur über. Aber Börk blieb auf Heiligenberg, bis ihn der Gode Snorri von dort vertrieb; Die genaueren Einzelheiten erzählt die Geschichte vom Goden Snorri, die auch den vergeblichen Versuch der Thordis, Gisli zu rächen, nur wenig abweichend berichtet: Thule 7, Kap. 13 und 14. da siedelte er nach Glasachenwald über. Eyjolf aber zog heim und war mit seiner Fahrt übel zufrieden.

 

37. Berg Vesteins Sohn wird erschlagen

Die Söhne Vesteins kamen zu ihrem Verwandten Gest und drangen in ihn, er möchte ihnen die Fahrt nach Norwegen vermitteln, ihnen und ihrer Mutter Gunnhild, und Aud, der Witwe Gislis, und Gudrid Ingjalds Tochter und ihrem Bruder Geirmund. Alle diese verließen Island in Weißach auf dem Schiff des weißen Sigurd. Gest zahlte ihnen die Fahrt mit seinem Geld. Sie hatten gute Fahrt und kamen bei Drontheim ans Land.

Berg ging die Straße entlang und wollte ihnen in Drontheim einen Platz für eine Hütte kaufen; zwei Leute begleiteten ihn. Da begegneten sie zwei Männern, der eine hatte einen Scharlachrock an; er war jung und hoch gewachsen. Der fragte Berg nach seinem Namen. Berg gab ihn der Wahrheit gemäß an und auch sein Geschlecht. Denn er meinte, er würde auf seiner Reise eher Nutzen als Schaden davon haben, wenn er sich auf seinen Vater beriefe. Aber der Mann, der den Scharlachrock an hatte, zog sein Schwert und erschlug den Berg. Das war Ari Surssohn, der Bruder von Gisli und Thorkel.

Bergs Gefährten liefen zum Schiff und erzählten, was geschehen war. Da verließ der Schiffsherr Drontheim mit ihnen, und Helgi ging nach Grönland.

Er kam dorthin und wuchs dort auf und wurde ein sehr wackerer Mann. Leute waren nach seinem Kopfe ausgesandt; aber es war anders bestimmt: Helgi ertrank beim Fischfang und das schien ein großer Schade.

Aud und Gunnhild fuhren nach Hedeby in Dänemark. Dort nahmen sie den Glauben an und machten eine Romfahrt und kamen davon nicht zurück.

Geirmund blieb in Norwegen, heiratete und gelangte zu Ansehen. Seine Schwester Gudrid ward verheiratet und galt für eine verständige Frau. Ihr Geschlecht ist noch heute zahlreich.

Ari Surssohn fuhr nach Island. Er landete in Weißach und verkaufte sein Schiff. Er kaufte sich Land bei dem Hofe Hammer und wohnte dort mehrere Winter. Nachher wohnte er noch an verschiedenen Stellen im Moorland. Auch sein Geschlecht ist noch nicht ausgestorben.

Hier schließen wir die Geschichte von Gisli dem Sohne Surs.

.


 << zurück weiter >>