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Viertes Kapitel.
Die Köpfe

Die Königin blieb eine Woche im Schloß. Leise, gehorsam, die Schultern immer etwas scheu gehoben, hatte sie den dunklen und duftschweren Turmraum betreten und dann wieder verlassen, betreten und verlassen, in den Augen wohl ein Grauen, wie nach schlimmen Tagen, in den Ohren noch, auch durch die Tage, den schmerzenden Klang des fremden Namens, in den Gedanken oft gütigen Zweifel an der bösen Magie aller dieser Nächte, die der ersten und grausamsten folgten. Sie sah außer ihren Frauen nur den seltsamen Fürsprech und Führer, den man den Teufel nannte, wie die Damen es ihr zuflüsterten, und der ihr doch sehr sanft und gut schien, voll Zartheit und heilsamen Zuspruchs, tröstend schon mit seinen wärmenden Augen. – An einem Tage dann sagte er ihr, der König sei in Tours und bedauere, ihr nicht Lebewohl wünschen zu können. Und er begleitete sie in ihre stille Residenz zurück.

Als Ludwig wieder mit ihm im Arbeitskabinett saß, sprach von beiden keiner mehr ein Wort über das, was geschehen war. Die drängenden Geschäfte der Regierung und politische Ereignisse von Bedeutung fanden den König so klar, tatkräftig und überlegen wie nur je. Nur wenn sie des Nachts den Turm verließen – stets gemeinsam, denn es wartete niemand mehr über ihren Köpfen – und der Necker die Tür verschloß, sagte Ludwig diese Worte, an jedem Tag die gleichen Worte:

»Die Anne wird nicht mehr gesund.«

Er sprach sie immer ruhig und langsam, gleichsam resigniert und fern von allem Vorwurf. Oliver beantwortete sie nie. Er prüfte den anderen auch nicht, woher er nach dem Sturm der Leidenschaft die Kraft zu solcher Ergebenheit nahm und ob der scheinbare Gleichmut von Bestand sein konnte. Er erwähnte die Frau so selten wie früher, als er sich taub und blind stellte und im Turm ihre Nähe leugnete, sie über sich in Erwartung wissend. Aber er befahl dem Daniel Bart, täglich dem König über ihren Zustand zu berichten.

Anne wurde nicht gesund. Nach den krisenhaften Delirien, die sich während Carlottas Anwesenheit in Amboise in kurzen Abständen wiederholten, traten nach einer vorübergehenden Entspannung des Körpers mit schmerzhafter Schwellung der Milz die Symptome schweren Wechselfiebers auf. In regelmäßigen Intervallen wurde ihr Leib von Hitze und Frost geschüttelt und fiel dann in völlige Apathie. Die Antidota, die Oliver für sie bereitete, hatten kaum eine Wirkung. Der Meister vermutete, daß sie sie zumeist nicht nahm. Doch er sprach seinen Verdacht nicht aus; er hielt sein Versprechen und schien bei seinen nicht häufigen Besuchen die natürlichen Ursachen ihrer Krankheit nicht anzuzweifeln. Bald stellte er Störungen der Herztätigkeit fest. Er hatte es erwartet; er kannte die langsam und unaufhaltsam das Blut zersetzende Kraft des florentinischen Toxikums, das jetzt nicht mehr neutralisiert werden konnte. Er wußte besser noch als sie die Dauer des körperlichen Widerstandes. Daniel Bart, der sie aufopfernd und geschickt pflegte, bekämpfte auf sein Geheiß nur noch die Wucht der Anfälle, Schmerzen und Schlaflosigkeit und hatte dafür zu sorgen, daß die geheimnisvollen Magisterien, die der Meister als Adept florentinischer Arzneikunde aus der Milch der Mohnsamenkapseln und aus bestimmten Gentianenwurzeln zu bereiten verstand, von der Kranken in der vorgeschriebenen Dosierung eingenommen wurden. Zum mindesten erreichte er so allmählich ein mildes, schmerzloses, von den Erschütterungen des Blutes immer seltener heimgesuchtes Siechtum. Der Geselle, der den gewonnenen Zustand mit dem Beginn der Genesung verwechselte, begann, seinen täglichen Berichten für den König so viel Hoffnung beizumengen, so viel Lob auch – aus seltsamem Antrieb – für die Kunst des Meisters (Worte für sein Interesse an der Kranken, welches um vieles stärker sei, als es den Anschein habe), daß Ludwig an einem dieser Abende seinen Satz zur Frage abänderte:

»Wird Anne gesund, Oliver?«

Der Necker ging ein wenig hinter ihm und antwortete nicht gleich. Ihm schien mit einemmal der Rücken vor ihm so schmächtig und mitleidswert über das innerliche Leid gewölbt, wie an jenem höhnischen Abend, da er ihm allein die Agenzien der Speisen und Getränke zuschob. Doch er versagte ihm noch das Erbarmen, gleich, als ob ihn seine äußere Ruhe reizte. Er antwortete absonderlich genug:

»Litten Sie noch, Herr, dann würde ich sagen: vielleicht.«

Ludwig wandte sich schnell um und sah ihn verwundert an.

»Du weißt es nicht? Ob ich leide, weißt du nicht, Oliver?«

Der Necker zögerte noch eine Sekunde und prüfte das andere Gesicht, das im Schein der Fackel weiß, unruhig und traurig schien. Dann sagte er:

»Vielleicht wird sie gesund, Sire.«

 

Der Großmeister operierte im Süden mit glücklichster Energie. Seine trefflich ausgerüstete und disziplinierte Truppe schlug die kaum formierten Freischaren Armagnacs und Nemours' mit großer Leichtigkeit und ohne viel Verluste. Da die beiden Granden ursprünglich nur die Aufgabe hatten, den Ring der neuen Liga um Ludwig im Süden zu schließen, waren sie zu gleicher Zeit durch die politischen Ereignisse isoliert und durch die unvermutete militärische Offensive des Königs überrascht. Von der Belehnung ihres Alliierten Karl von Frankreich mit der nachbarlichen Guienne erfuhren sie erst, als der Keil der königlichen Armee schon trennend zwischen ihnen lag. In wenigen Wochen nahm der Großmeister ihre Länder, zugleich im äußersten Süden gegen Armagnac, in Quercy und der Auvergne gegen Nemours manövrierend. Der Graf warf sich in einen befestigten Platz der Gascogne, Nemours in das felsige Carlat bei Aurillac. Beide boten Unterhandlungen an; der Großmeister bat den König um Instruktionen.

Ludwig wollte nur den Kopf Nemours', da Armagnac nicht zu den Pardonierten der ersten Liga gehörte und sich dank seinem persönlichen Reichtum, der Lage seiner ausgedehnten Grafschaft und dem Bündnisse mit Juan Aragon unabhängig gehalten hatte. Tristan verlangte auch seine gerichtliche Aburteilung, um sich seiner zu entledigen und die Landschaften an die Krone zu bringen.

»Glaubst du, ich will sie ihm lassen und ihn rehabilitieren?« fragte der König spöttisch. »Aber ich will nicht so viele Prozesse, Tristan. Wenn ich Exempel statuiere, müssen es wenige sein, damit sie wirken. Mit Nemours und später mit Saint-Pol, Hochverrätern, darfst du so viel Aufhebens und profoslichen Lärm machen, wie du willst, Gevatter. Der Graf aber ist ehrlicher Feind.«

Oliver warf leichthin dazwischen:

»Dem Armagnac steht der Heldentod gut zu Gesicht, scheint mir.«

Ludwig sah ihn an, erstaunt und dann lächelnd.

»Kommt mir das Gewissen entgegen?« fragte er leise.

Der Necker beugte sich an sein Ohr:

»Sie haben viel Entgegenkommen verdient, Sire«, flüsterte er.

»Verhandlungsbereitschaft schließt feindselige Akte aus«, opponierte Jean de Beaune. »Armagnac will vielleicht kapitulieren.«

Ludwig nickte ihm erheitert zu.

»Deiner zarten Seele fehlt nur die Weihe«, lachte er, »und deinem dicken Kopf die Tonsur, und du wärest ein Priester von franziskanischer Demut, Jean. – Aber wer vermag etwas gegen des rauhen Krieges schlimme Wechselfälle? – Sieh, mein Freund, wenn Armagnac verhandeln will, muß er sich wohl oder übel ins Quartier meines Großmeisters begeben. Kein Freibrief kann ihn dann von einer verirrten Kugel oder irgendeinem anderen mißlichen Unfall schützen. Und kapituliert er und wird die Festung von meinen Truppen besetzt: wie leicht kann ihm trotz allem noch ein Unglück zustoßen. Mein Großmeister wird es dann schon gebührend bedauern, in meinem Namen und aller Feindschaft bar.« –

Zehn der zuverlässigsten Scharfschützen aus der Schottengarde begleiteten in besonderem Auftrag den Kurier zum Feldherrn zurück. Im Namen des Königs konnte Dammartin jetzt seine Forderungen formulieren: bedingungslose Kapitulation des Grafen gegen schriftlich zugesicherte Begnadigung seiner Person durch den Souverän, der ihn als lehenswürdigen Vasallen in Amboise zu empfangen verspreche. Armagnac nahm das Postulat an. Als die königlichen Truppen die Festung in Besitz nahmen, wurde aus unbekannten Ursachen ein Mann von des Grafen Leibgarde von einer Partisane durchstoßen. Ein Getümmel erhob sich, Schüsse fielen, den hinzueilenden Armagnac traf eine Kugel in die Stirn. – Der Großmeister teilte in einer Proklamation der Bevölkerung den bedauerlichen Tod des regierenden Grafen mit und zugleich seines Landes Annexion durch die Krone. –

Der König, der ursprünglich beabsichtigt hatte, sich auch des Herzogs auf illegalem Weg zu bemächtigen, gab den juridischen Bedenken seines Profosen nach, der den Prozeß nicht mit einer rechtswidrigen Handlung eingeleitet wissen wollte. So forderte seiner Order gemäß der Seneschall der Rouergue den Duc de Nemours auf, sich zu ergeben und seine Person dem Promotor des Pariser Parlamentsgerichtes zur Verfügung zu stellen. Nemours, der wohl wußte, daß seine Felsenfestung zu nehmen Mühe kosten würde, hatte sich nur zu Verhandlungen bereit erklärt, weil die mit ihm geflohene hochschwangere Herzogin kurz vor der Niederkunft stand. Die Bedingungen des Königs, die sein Schicksal nicht einmal verhüllten, zwangen ihn zum Widerstand. Er brach die Unterhandlungen ab, verlangte allein freien Abzug für die Herzogin und hoffte, sich ziemlich lange Zeit zu halten, weil die Belagerer nur schwache Artillerie mit sich führten und weil er glaubte, daß der Hauptteil des Heeres unter Dammartin im Süden von Armagnac noch festgehalten werde.

Ludwig, dem die Nachricht von seinem Widerstand ein wenig die Freude über das Ende des anderen Gegners vergällte, merkte scharf zu seinem Profosen: »Mir scheint, Gevatter, wir werden beide alt; du verwitterst zum pedantischen Kodex, der mich Zeit und Menschen kostet, wie du siehst, ich zerfalle in lauter Nachgiebigkeiten.«

Tristan zuckte mit den Achseln und schwieg. – Jean de Beaune wagte trotz der bösen Sprache des Herrschers gegen Ende der Beratung die Frage, die ihn drückte:

»Aber Sie werden doch menschlich genug sein, Sire, und Nemours' eine Bitte erfüllen: Sie werden die schwangere Herzogin mit ihren Frauen und Kindern unbehindert nach Aurillac gehen lassen?«

Der König schlug unwillig mit der Hand auf den Tisch.

»Jetzt hängt sich noch der Philanthrop an mein anderes Bein!« polterte er. »Nein, mein Evangelier, das tue ich nicht! Denn die Hoffnung der Dame Anjou-Nemours läßt mich hoffen, daß sie die Nerven des Herzogs sehr bald desperat und ihn selber schwach macht. – Der Souverän darf zuweilen nicht menschlich ...«

Er brach ab, als erschrecke er vor diesem Wort. Er wandte den Kopf zögernd dem Necker zu, der hinter ihm stand und ihn ernst ansah.

»Sagtest du etwas, Oliver?« fragte Ludwig beklommen.

»Bist du nicht meiner Ansicht?«

Oliver lächelte ein wenig.

»Sie haben recht, Sire«, erwiderte er, »der König muß sich wohl zuweilen hüten, sich seiner eigenen Menschlichkeiten zu erinnern. Sie möchten ihm die Energie nehmen können.«

Ludwig wandte sich ab und hob in Verwirrung die Schultern. Der Necker beugte sich an sein Ohr.

»Schweigt nicht das Gewissen, Herr, weil Sie jetzt schweigen?«

Der König richtete sich auf und sagte mit einer entscheidenden Handbewegung:

»Ich bin kein Unmensch, Jean – oder nicht immer; du siehst, ich dachte noch einmal darüber nach. Aber das Leben meiner Leute muß mir eine Brutalität wert sein. Auch hoffende Frauen können in unserem Rücken gefährlich sein, um Hilfe rufen und Entsatz beschaffen. Die Dame in Aurillac kann Aragon, meinen Bruder Karl und Burgund alarmieren. – Nein!« –

Der Großmeister eilte mit dem durch den Tod Armagnacs freigewordenen Gros des Heeres und den schweren Mörsern in Gewaltmärschen vor Carlat. Am zweiten Tag der Beschießung kam die Herzogin vorzeitig nieder und starb einige Stunden später an den Folgen der Aufregungen, der schweren Geburt und mangelnder Pflege. – Der gebrochene Nemours ergab sich, wurde sofort den Häschern des Obersten Gerichts übergeben und sollte schon nach dem Norden abtransportiert werden, als ein Eilkurier des Königs mit dem Befehl eintraf, ihn dem feierlichen Begräbnis der Herzogin ungefesselt und im Genuß der seinem Range gebührenden Ehren beiwohnen zu lassen.

Wie der König diese Order versiegelte, hatte er dem Necker zugelächelt und gefragt:

»Versuche ich nicht, wenigstens das Schweigegeld zurückzuzahlen, Bruder?«

Oliver hatte ihm zugenickt, vor Bewegung und dem Gefühl des eigenen Wertes stumm, und Ludwig hatte noch dieses gesagt:

»Das Gewissen soll ruhig wieder sprechen, wenn es not tut. – Ich mag in keine Schuld mehr kommen, Freund.«

Nemours geleitete die Herzogin zu Grabe, wortlos und würdig im Leid, als freier Mann, bekleidet mit den Zeichen seiner Hoheit, den Großmeister und den Seneschall ehrerbietig neben sich. Er präsidierte auch noch dem Leichenmahl. – Dann übergab er schweigend dem Grafen Dammartin seinen Degen, dem Seneschall sein herzogliches Siegel. Die beiden Herren verbeugten sich wortlos und gingen. Der schwarzgekleidete Promotor betrat den Raum, gefolgt von zehn Schergen des Obersten Gerichts, und legte ihm wieder die Handfesseln an. –

Er wurde zunächst nach Lyon gebracht, wo Tristan L'Hermite ihn erwartete und dem ersten Verhör unterzog. Nemours, ohne auf die Anklage einzugehen, wies die Zuständigkeit des Parlaments zurück und verlangte, von der Kammer der Pairs abgeurteilt zu werden. Der Profos, der diesen Einwurf erwartet hatte, unterbrach das Interrogatorium und brachte den Gefangenen nach Paris in die Bastille. Der König berief zu seiner Prozessierung einen außerordentlichen Gerichtshof aus siebzehn Reichsgranden und siebzehn Parlamentariern, deren Qualifikation in persönlicher Feindschaft gegen Nemours oder in zuverlässigem Gehorsam gegen den nicht unbekannten Urteilswunsch des Souveräns bestand. Bourbon für die Dynasten und der Präsident Le Boulanger für das Parlament führten alternierend den Vorsitz, L'Hermite für die Pairs vertrat die Anklage auf Majestätsverbrechen, der Promotor des Höchsten Gerichts die Anklage auf Hochverrat. Der Prozeß währte sechs Wochen, unter großem Aufgebot an Rabulistik. Doch Nemours verteidigte sich besonnen und geschickt und nützte die Öffentlichkeit der Verhandlung klug aus. Er gab nur Insubordination gegen den Befehl zur Übergabe zu, ein Vergehen, welches durch seine Lage als Angegriffener zu erklären sei und nicht als Majestätsverbrechen aufgefaßt werden dürfe. Das Verbrechen des Hochverrats bestritt er, wohl wissend, daß es dem König aus politischen Gründen bedenklich erscheinen würde, mit gültigem Belastungsmaterial auch zugleich Burgund, den Bruder Karl und den Konnetabel zu kompromittieren.

Da das Gericht nicht zu entscheiden wagte, ob die Folter anzuwenden sei, begab sich der Generalprofos nach Amboise, um den Willen des Königs zu erfahren. Ludwig wollte sowohl eine Vernehmung Balues als auch die Zeugenschaft Olivers vermeiden.

»Gebt ihm die Territion«, befahl er, »vielleicht genügt sie.«

Herr Tristan eilte zurück. Der Gefangene wurde im Folterraum verhört, angesichts der Marterwerkzeuge, die die Henkersknechte instand setzten, schärften und erhitzten. Nemours blieb bei seiner Aussage. Wieder kam L'Hermite nach Amboise, wieder beriet sich der König mit den drei Gevattern. Es verwunderte den Necker, daß sich Ludwig Zeit für dieses Hin und Her der Meinungen gönnte und nicht in seiner gewohnten Härte den Beginn des peinlichen Verfahrens kurzerhand befahl. – Will er mich mit seiner Sanftmut fangen und einschläfern, fragte er sich, oder gelte ich, gilt der Mensch in ihm in Wahrheit so viel? – Er prüfte ihn:

»Es wird wohl nichts anderes übrigbleiben, benötigen Sie sein Geständnis, Sire.«

Ludwig sah ihn nachdenklich an.

»Warum soll ich einen Menschen foltern, von dem ich weiß, daß ich ihn verurteile?« fragte er, und lächelnd setzte er hinzu, mit dem Gesicht näher kommend, flüsternd: »Oder hast du gemeint, ich würde jetzt, auf deine Worte hin, ihm die Daumenschrauben ansetzen und die Stifte unter die Fingernägel treiben? – So billig handeln wir doch nicht, Oliver!«

Der Necker senkte den Kopf. – Bin ich es noch, oder ist er es schon wieder selber? fragte er sich unruhig. Dann entschied er sich, ehrlich zu ihm zu sein.

»Gut, Sire«, meinte er, »das beweist aber doch, daß Sie sein Geständnis nicht benötigen.« – Er wandte sich an den Profos: »Sie werden unschwer aus dem zugegebenen und erwiesenen bewaffneten Widerstand Meuterei und Verbrechen gegen des Königs Majestät ableiten und dafür die Todesstrafe vom Gericht verlangen können, Herr Tristan?«

»Das geschieht auf jeden Fall«, entgegnete der Profos.

»Nun also, Sire«, fuhr Oliver fort, »dann lassen Sie die Anklage auf Hochverrat fallen! Das ist vielleicht politisch klug und von Nutzen und verringert das endliche Resultat wenig; denn Nemours hat doch nur einen Kopf!« –

Jacques Herzog von Nemours wurde von Bourbon im Namen des Gerichts und des Königs vom Verbrechen des Hochverrats freigesprochen, des Verbrechens der Majestätsverletzung für schuldig erklärt und zum Tod durch Enthaupten verurteilt. Das Gnadengesuch des Delinquenten, das am Tag nach dem Urteilsspruch dem Souverän zusammen mit dem Diktum vorlag, war von einer solchen erschütternden Schlichtheit und Kraft der Wirkung, daß der Präsident Le Boulanger, die siebzehn Parlamentarier und fünf Aufrechte unter den Granden die Angst vor der Ungnade überwanden und in einem Sonderschreiben die Supplik Nemours' unterstützten.

Der Profos wartete von Tag zu Tag auf die Unterschrift des Königs, der aus unbegreiflichen Gründen zögerte, die ersten Mahnungen Tristans mit Ausflüchten beantwortete und dem auf die Entscheidung Drängenden schließlich mit dürren Worten erklärte, daß kein Gesetz dem Souverän vorschreibe, ein Verdikt innerhalb einer bestimmten Frist zu signieren; das Gericht möge sich in Geduld fassen, wie sie es ihn in reichem Maße gelehrt habe.

So vergingen ungewöhnliche zwei Wochen. Nemours, die Assisen, der Hof, das ganze Land wartete auf das Signum des Todes oder des Lebens, auf die schweren steilen Schriftzüge des königlichen Namens, auf das entscheidende Loys unter dem Urteil oder dem Gnadengesuch. Das Unwahrscheinliche, das nach den ersten achtundvierzig Stunden die Gemüter erregte, wagte sich immer mehr ins Glaubhafte, ins Tatsächliche: der König erwägt die Begnadigung. Er, der die Vollstreckung politischer Todesurteile mit Stundenschnelligkeit zu sanktionieren pflegte, brauchte jetzt Tage, eine Woche, zwei Wochen schon, um seinen eigenen Willen zu bestätigen. – Will der König Gnade üben?

Ludwig schien das Staunen und die Erwartung des Landes nicht zu merken. Er hatte die Schriftstücke an sich genommen, zeigte sie nicht und sprach nicht von ihnen, selbst nicht zu Oliver. Und der Necker, dem Spruch seines Innern folgend, fragte ihn nicht und drängte ihm seinen Rat nicht auf. Aber er sprach an einem dieser Tage, als der König – wie immer zur Schlafenszeit – die Neckerin erwähnte:

»Wollen Sie sie sehen, Sire?«

Ludwig blieb stehen.

»Willst du mich belohnen, Oliver?« fragte er zurück. »Jetzt schon?«

»Ich glaube nicht, Sire, daß Sie bestechlich sind«, entgegnete der Necker ernst. »Ich bin es auch nicht.«

Sie gingen zu Anne, nachdem Oliver die Posten längs des Weges für eine Stunde beurlaubt hatte. Die Frau saß angekleidet in einem Lehnstuhl, ein sanftes Rot auf den Wangen, mit Augen, die glänzten und doch nicht klar waren, die Haut des Gesichts von scheinbarer Frische, die Hände gelb und durchsichtig. Sie lächelte. Doch Ludwig blieb traurig. Er sprach ein paar freundliche Worte, fragte nach dem Befinden, hörte zuversichtliche Antworten. Er schwieg wieder, kaum merklich die Schultern hebend. Dann sagte er leise:

»Sie haben sich für mich geschminkt, Madame. Das zeugt von Ihrer Güte. – Oder hattest du es befohlen, Oliver?« Der Necker blickte ihn an und sagte ja, ohne zu zögern. Anne lächelte matt.

»Es ist schade, daß Sie es sehen, Sire«, sprach sie. – »Warum sehen Sie es?«

Ludwig senkte den Kopf.

»Weil es nicht mir gilt, sondern meinem Gewissen«, erwiderte er verhalten, »und weil ich mich nicht bestechen lasse.«

Er hob den Blick zu Oliver und fuhr erregt fort:

»Ich bin nicht gut, Bruder, ich stütze mich nur auf dich, wenn ich müde oder träge bin; und manchmal weckst du mich selber.«

Der Necker lächelte abgründig.

»Und manchmal muß ich Sie wecken, Herr, damit ich nicht müde oder träge werde.« – Er senkte die Stimme. – »Schliefen wir beide, so taugte als Stütze keiner.« – Er sprach noch leiser. – »Wir sind wahrhaftig noch nicht gut, weil wir unserem Gewissen eine kleine Freude machen möchten, Sire. Wir sind dann nur bequem oder gar kokett – und das wäre noch billiger.«

Der König schlang die Finger ineinander, daß die Gelenke knackten, und wurde rot.

»Du bist ehrlich, Freund«, sagte er, und seine Stimme war unfrei, »du bist wachsam. Du läßt mich nicht los. – Und in Wahrheit: ich wußte dies alles selber nicht, ich weiß es erst jetzt. Ich spielte mir selber allerlei vor, selbst die Nähe des evangelischen Geistes. Man kennt mich als guten Komödianten. Ich habe mich in dieser Beziehung sogar unterschätzt, und das geschieht mir wohl selten. Denn wirklich, ich fand einiges Vergnügen dabei. – Jetzt sehe ich mich wieder ohne Maske und ohne Kothurn. – Du bist oft grausam und rätselhaft, Bruder.«

Oliver hob abwehrend die Hand.

»Warum sollte ich es sein, Herr, oder warum glauben Sie, daß Sie es nicht sind? – Ich meine, wir sollten nicht von uns wie von Gegnern oder von Gegensätzen sprechen. Ich liebte Sie mehr, als Sie wie ein Mensch litten; aber ich werde nicht kalt, wenn Sie als König mit dem Menschenleid zu spielen geruhen; und ich fürchte Sie nicht, wenn Sie hart sind und Leid nur austeilen. – Das ist alles, Sire. Und so werde ich Sie auch nicht loslassen.«

Sie schwiegen eine Weile. –

»Glaubst du denn, ich sei ohne Leid?« fragte dann der König. Oliver antwortete nicht. Er gab der Neckerin mit den Augen einen Befehl.

»Vielleicht werde ich gesund«, sprach Anne. Ludwig sah sie erschüttert an.

»Verzeihen Sie, Madame«, sagte er beengt; »aber es glückt Ihnen heute nicht, mir Freude zu entlocken. – Ich bin Ihnen wohl dankbar für Ihren Willen.« – Er hob gequält die Arme. – »Ist die Prüfung noch nicht beendet, Oliver?«

»Tut sie nicht auch wohl, Sire?« fragte der Necker mit gütiger Stimme zurück. »Macht sie die Seele nicht freier und ehrlicher? – Und wäre es der Anne gelungen, Ihnen Freude zu geben oder Leid zu nehmen, Ihnen, dem Menschen – stünde sie jetzt gesund Ihnen gegenüber: möchten dann Sie, der König, nicht auch Freude geben oder Leid nehmen?«

Ludwig schüttelte langsam den Kopf; er antwortete ernst:

»Der König fühlt sich nicht an diese Lust und Trauer des Menschen gebunden. Er weiß wie du, Bruder, daß er kein sanfter Herrscher ist. Er weiß es gerade jetzt.«

Der Necker strich sich über die Stirn und behielt für ein paar Sekunden die Hand vor den Augen.

»Jetzt geht es noch um die Freude für den König«, sprach er sinnend nach einer Zeit. – »Anne, versuche auch dies.«

Die Frau lächelte und hob anmutig das Gesicht.

»Der Meister bat mich, Sire, Ihnen die gute Kunde zu sagen, die er heute empfing: die Königin hat die Gewißheit erhalten, gesegneten Leibes zu sein.«

Ludwig senkte das Gesicht, das wie in Scham glühte. Er stand mit verlegener Hast auf.

»Der König hat sich zu freuen – gewiß ...«, brachte er hervor. –

Die beiden gingen nach schnellem Abschied in den Turm zurück. Ludwig schritt stumm und erregt durch den runden Raum. Er setzte sich stirnrunzelnd an den Schreibtisch, öffnete ein Geheimfach und entnahm ihm drei Schriftstücke, die er bedächtig aufrollte und nebeneinander auf die Platte legte. Er las sie noch einmal sorgfältig durch, nahm eines der Pergamente wieder in die Hand und sprach harten Tones:

»Nemours bittet mich, ihn zu lebenslänglicher Verbannung zu begnadigen, und will sein Leben in einem spanischen Karthäuserkloster beschließen.« – Er hob den Kopf; Oliver sah sein Profil wie aus Stein. – »Der Mann ist fünfundvierzig Jahre alt«, fuhr er brutal fort, »er kann noch lange leben und bald anderen Sinnes werden, meint er es vielleicht auch in der Todesangst ehrlich. – Und auch Karthäuserklöster haben Türen zum Juan Aragon! – Und wenn dieser Kopf nicht fällt, wird der Schädel Saint-Pols noch härter und das Gesicht des Bruders Karl wieder weniger lang. – Es sind strenge Zeiten, und ich habe so streng zu sein wie sie.«

Er zerriß die Supplik. – Er nahm das andere Pergament, rollte es zusammen und warf es dem Necker zu.

»Schreibe die Namen dieser Leute, die das Gnadengesuch befürworten, auf die geheime Liste – soweit sie nicht schon notiert sind. – Vorerst wird gegen sie nichts unternommen.«

Er schob sich das dritte Pergament zurecht und griff zur Feder.

»Der Profos hat noch heute nacht aufzubrechen. Die Exekution hat innerhalb vierundzwanzig Stunden nach seinem Eintreffen in Paris stattzufinden.«

Oliver schloß die Augen und hörte die Feder knirschend und wuchtig die vier Lettern des Namens schreiben. – Der König sah auf.

»Wir und unser Hof erfahren erst nach der Exekution den Zustand der Madame von Savoyen. Du wirst dafür sorgen, Oliver. – Der König wird erst in einer Woche seine Freude äußern, um im Land nicht mißliche Ideenverbindungen mit dem Prozeß aufkommen zu lassen. – Was siehst du mich so an, Oliver?« –

In den frühen Morgenstunden des Tages nach Tristans Ankunft in Paris begaben sich die beiden Vorsitzenden des Außerordentlichen Gerichts in die Zelle des Delinquenten und zeigten ihm das Todesurteil mit des Königs Unterschrift und Siegel. Nemours nickte stumm mit dem Kopf. Zwei Stunden später verkündete der Generalprofos das Diktum im Parlamentspalast bei offenen Türen. Um drei Uhr des Nachmittages wurde Nemours enthauptet, gemäß dem Befehl des Königs nicht auf dem öffentlichen Grève-Platz, sondern in den Gerichtshallen. Acht Franziskanermönche, begleitet von vierzig Fackelträgern, nahmen nach Anbruch der Nacht den Kopf und den Rumpf mit sich.

Das Jahr wurde gut und glücklich genutzt; doch der Kampf mit dem nächsten der tödlichen Reihe war der schwerste. Der Kopf saß dem Konnetabel hartnäckig auf den Schultern. Der kluge Mann, der das königliche Raubtier um sein Haus schleichen hörte, warf ihm zunächst kräftige Köder hin, die sättigen oder ersticken konnten: er besetzte in seinem Namen einige Städte im Sommegebiet, die unter der Oberhoheit Burgunds standen. Doch das Tier war klüger als der Kluge: es verschlang den Köder nicht noch verschmähte es ihn; es behielt ihn zwischen den Zähnen. Ludwig, der den Herzog mit erstaunlicher Geschicklichkeit und Unsichtbarkeit im östlichen Ausland beschäftigte und seinen Größenwahn mit der Feindschaft des deutschen Kaisers, der Kurfürsten, der Lothringer und Schweizer bepackte, wollte auf keinen Fall sein Interesse in den Westen zurücklenken noch gar Krieg mit ihm; denn er wußte, daß die Bretagne, durch die Nachbarschaft Guiennes wieder lebendig geworden, dann zum gefährlichen Bindeglied einer neuen Allianz gegen ihn werden könnte. Der König wollte aber auch die Sommestädte nicht wieder zurückgeben, weil es seit zwei Jahren sein Ziel war, diese ursprünglich zum Reich gehörigen Landesteile wiederzuerlangen. So begannen seine Praktiken zu spielen. Er ließ Burgund wissen, daß die Besetzung der Ortschaften ohne sein Wissen und gegen seinen Willen geschehen sei, daß er gegen den Meuterer und Hochverräter mit Waffengewalt vorgehen werde und daß er dem Herzog die Städte zurückgeben wolle, wenn er sich verpflichte, die Achterklärung des Konnetabels zu unterschreiben und Saint-Pol, falls er sich zu ihm rette, innerhalb acht Tagen auszuliefern, und wenn er ferner sein Desinteressement an den Personen der Herzöge von der Bretagne und der Guienne erkläre. Burgund, der jedem Anerbieten des Königs mißtraute und sich auch nicht aus der politischen Sphäre Innerfrankreichs hinausdrängen lassen wollte, zögerte zu antworten, zumal ihm auch der Konnetabel, von der Parade des Königs durch Spione unterrichtet, mitteilte, er trete ihm die Gebiete wieder ab und stelle sich ihm zur Verfügung, wenn Burgund gegen Ludwig losschlage. Kurze Zeit darauf auch – nach der Hinrichtung Nemours' und bevor noch der Großmeister gegen ihn geschickt wurde – holte Saint-Pol zu seinem großen Schlag aus: er drängte den englischen Edward, seinen Neffen, der nach der Pazifikation seines Landes auf Burgunds und der einstigen Liga Bitten die Expedition gegen Frankreich seit langem vorbereitete, zur Invasion und garantierte außer seiner eigenen Hilfe auch die Bereitschaft Burgunds, der Bretagne und der Guienne. In der Tat landete Edward mit einem ziemlich starken Heer in Calais, das ihm gehörte. Die Wochen, die jetzt folgten, gehörten zu den schwersten Belastungsproben für Ludwigs diplomatisches Genie. Doch sie führten auch zu seinem größten politischen Triumph. Edward, der von Anfang nicht viel offensiven Geist fühlte und seine Londoner Mätressen vermißte, fand nicht Alliierte und nicht einmal freundlichen Empfang. Den Burgunder, dessen Truppen im westlichen Deutschland beschäftigt waren, brachte sein Erscheinen in die mißlichste Verlegenheit. Er eilte ohne Soldaten und in böser Laune aus dem Rheinland herbei und entschuldigte sich mit dürren Worten, daß er im Augenblick nicht in der Lage sei, aktiv gegen Valois einzugreifen, und daß er nicht mehr für ihn tun könne, als ihm den Durchmarsch durch das Artois zu erleichtern und ihn auf die Unterstützung des Konnetabels zu verweisen, der anscheinend den englischen Freund erwarte. Und er gab ihm den Brief Saint-Pols, der die Rückgabe der Sommestädte versprach, und eine Urkunde von der Hand des Konnetabels, in welcher er dem Herzog gelobte, ihm und allen seinen Freunden und Verbündeten, vornehmlich dem englischen König, zu dienen und beizustehen, gegen und wider alle, die leben und sterben können, ohne jede Ausnahme. Diesem Akt war ein Beglaubigungsschreiben an den König von England beigefügt, in dem seine Hilfsbereitschaft auf die Unterstützung der Invasionsarmee gegen Ludwig von Frankreich präzisiert wurde. – Das war das einzige Aktivum, das der enttäuschte Edward buchen konnte; und es schien wenig oder gar wertlos; denn eine englische Delegation, die sich nach St-Quentin, dem angeblichen Standort des Konnetabels, begeben wollte, stieß an der pikardischen Grenze bereits auf Truppen des Großmeisters und wurde sehr höflich, ohne jede feindselige Haltung gebeten, wieder umzukehren und das Reichsgebiet zu verlassen. Burgund zuckte mit den Achseln, gestand dem englischen Schwager die unklare und sogar verdächtige Haltung Saint-Pols und beurlaubte sich bald, da seine Anwesenheit auf dem deutschen Kriegsschauplatz sehr nötig sei. – So war Edward wieder allein, voll eines starken Gefühls des Unbehagens. Von der Bretagne und der Guienne hörte er nichts; ihre Kuriere waren vielleicht vom Valois abgefangen worden; oder die Nachricht von Nemours' Enthauptung, die noch vor Edwards Landung durch die Länder lief, ihn selber aber erst jetzt traf und bedenklich stimmte, wirkte so lähmend auf die Gemüter der Reichsfürsten, so von Ludwigs Willen, Kraft und Macht überzeugend, daß sie sich nicht zu rühren wagten. Und Edward wußte nicht recht, auf welche Weise und in welche Richtung er sich bewegen sollte, zumal der Winter nahte – Thomas Montgomery, sein Freund, wies unverhohlen auf die kurzen, hüpfenden Wellen des Kanals in ihrem Rücken.

Doch jetzt kam ein nicht erwarteter Besuch: Ludwig Valois schickte nach Calais einen Gesandten, dessen Akkreditiv auf den Namen Sieur Le Mauvais, Graf de Meulan lautete. Dieser Teufelsgraf, wie ihn Montgomery sofort wegen seines sonderbaren Namens, der roten Haare und der verwirrenden Geschmeidigkeit seiner vielsprachigen Eloquenz nannte, entledigte sich einer recht überraschenden Mission. In seiner suggestiven Art bewies er Herrn Edward nicht mehr und nicht weniger, als daß Englands einziger ehrlicher Freund auf dem Kontinent der Allerchristlichste König sei. Habe er während seiner Regierung je den geringsten unfreundlichen Akt gegen England oder das Haus York sich zuschulden kommen lassen oder je eine andere Politik geübt als die des friedlichen Ausgleichs zwischen den beiden Reichen? Wo also sei Grund und Notwendigkeit zum Krieg? Und ist nicht der Feldzug zu Wintersanfang, im fremden Land, gegen eine starke und schlagfertige Armee, ohne Bundesgenossen sehr riskant, wenn nicht aussichtslos? – Will Herr Edward wirklich Heer, Krone und Leben aufs Spiel setzen, aus keinem anderen Grund, um den Herren von Burgund, der Bretagne, der Guienne die Kastanien aus dem Feuer zu holen?

Edward unterbrach ihn:

»Woher will der König wissen, daß diese Herren gegen mich nicht loyal denken und handeln, Herr Graf?«

Oliver lächelte.

»Durch den Konnetabel des Königs wissen wir ziemlich genau die augenblickliche Lage und Ihre Verlegenheit, Sire. Wäre mein Herr nicht so gutgesinnt, wie er ist, so könnte statt meiner der Großmeister hier sprechen.«

»Wie steht der König mit dem Konnetabel?« fragte Edward erregt.

»Gut, Sire, bis Sie ihn eines Besseren belehren, wie er Ihnen durch mich einige Zuverlässigkeitszeugnisse Burgunds und seiner Freunde vorlegen möchte«, antwortete Oliver vieldeutig und zeigte ihm etliche Briefe, aus der trefflichen Fälscherwerkstatt zu Amboise stammend, die eine Art Rückversicherungsvertrag zwischen Burgund, der Bretagne und Karl von Frankreich gegen England enthielten.

Die beiden Könige trafen sich in der Nähe von Amiens und beschworen den Pakt, den der Sieur Le Mauvais vorbereitet hatte: Waffenstillstand von neun Jahren und sofortiger Abzug der Engländer gegen einen Schadenersatz der Expeditionskosten in Höhe von zweiundsiebzigtausend Talern bar, zu zahlen vor Abmarsch der Truppen. Bevor sie sich in guter Freundschaft trennten, tauschten sie noch bedeutsame Schriftstücke aus: Edward gab dem Valois die Bündnisurkunde und Beglaubigung des Konnetabels, eine Kopie des Briefes, in dem Saint-Pol die englische Expedition anregte, und das Schreiben an den Herzog, das die Wiederauslieferung der Städte behandelte; Ludwig händigte dem anderen eine jüngst eingelaufene Nachricht ein, wonach sich Saint-Pol erbot, dem englischen König den Rückweg nach Calais abzuschneiden und sich seiner Person zu bemächtigen; diesen Brief oder eine vom Kronanwalt gezeichnete Kopie möge Herr Edward von London aus seinem Schwager Burgund zusenden. –

Das Dokument war nicht gefälscht. Saint-Pol, der sich in einen Kessel getrieben fühlte, hatte die Ruhe und die klare Überlegung nach und nach verloren und den großen Fehler begangen, persönlich gegen den König, aller Praktiken Meister, die Waffe der politischen Intrige zu versuchen. Im Augenblick, als er den Engländer isoliert wußte, überließ er dem Großmeister kampflos die Sommestädte und schrieb Ludwig, diese Räumung möge der Beweis sein, daß er in keiner Verbindung mit Edward stehe und nicht für die Machination Burgunds verantwortlich gemacht werden könne. Der Herzog wolle, wie er gut wisse, auf die billigste Art durch Edward seine Geschäfte betreiben lassen, während er selber in Deutschland gebunden sei; er habe keinen Mann im Artois stehen und den Schwager mit leeren Versprechungen herübergelockt; mit ihm im Verein der Bretone und der von Guienne, die bisher noch keinen Brief, geschweige denn einen Soldaten – auch auf dem Seewege nicht – nach Calais geschickt hätten. Er, der Konnetabel, rate loyal, den schwunglosen Engländer durch eine rasche Offensive des Großmeisters ins Meer zu werfen, und sei bereit, mit seinen Regimentern Dammartins Truppe zu verstärken oder seinen Rücken gegen Flandern zu decken. – Ludwig beantwortete den Brief mit einer sehr liebenswürdigen Einladung, zu einem Kriegsrat nach St-Quentin zu kommen. Saint-Pol hütete sich zu gehorchen und warf seine besten Regimenter in die äußerst starke Feste Ham, wohin er sich von St-Quentin zurückgezogen hatte. Als er nicht viel später durch seine Agenten von Olivers Mission erfuhr und von der Zusammenkunft der Könige, beging er die zweite Torheit und schrieb, Ludwigs Taktik völlig verkennend und die eigene Rolle in den Unterhandlungen der beiden arg unterschätzend, jenen Brief, den Valois dem Edward York aushändigte. Die Antwort war der Friede mit England, die öffentliche Erklärung seiner Reichsächtung, die von Burgund als Lehensherrn Luxemburgs gegengezeichnet war, und Vormarsch von Truppen auf Ham, von Roye und St-Quentin aus. Jetzt verlor Saint-Pol den Mut und die Besinnung; da auch zwei seiner Hauptleute von ihm, dem Verfemten, abrückten und die übrigen nicht mehr zuverlässig schienen, floh er mit wenigen Dienern nach Mons im Hennegau und flehte Burgund, der vor Nancy lag, um Gnade und Sicherheit an. Der Herzog zögerte; es widerstrebte seinem noblen Geist, den einstigen Freund ans Messer zu liefern. Aber er wußte auch, daß der König, von England und allen inneren Sorgen befreit, eine Verletzung des Reichsbannes gerne zum Anlaß nehmen könnte, um in das ungeschützte Flandern einzurücken oder ihn in Lothringen zu stören; und der Besitz Nancys war ihm wichtig; denn es vollendete die Einheit seines mächtigen Reiches, das von Holland bis Savoyen reichte. So schützte er formale Gründe vor und verlangte vor Auslieferung des Konnetabels die zugesagte Abtretung der Sommestädte, wohl in der Hoffnung, inzwischen Nancy zu nehmen, wieder über sein Heer verfügen und die Situation ändern zu können.

Der König beriet sich mit seinen drei Gevattern, die wegen der politischen Wichtigkeit des Prozesses die Einlösung des Versprechens oder die gewaltsame Verhaftung des Konnetabels für notwendig hielten.

»Ich gebe grundsätzlich nichts heraus, was ich einmal in Händen habe«, erklärte Ludwig. »Ich will aber auch um dieses einen Kopfes willen keinen Krieg mit Burgund – das besorgen andere für mich.«

»Dann müssen Sie auf diesen einen Kopf verzichten«, meinte achselzuckend Herr Tristan.

»Ich verzichte grundsätzlich auf keinen Kopf«, entgegnete der König scharf.

»Wenn Nancy fällt«, meinte Jean de Beaune kalt, »möchte es dem Herzog ein Vergnügen sein, diesen Grundsatz zu erschüttern.«

Ludwig sah flüchtig auf und verzog den Mund. »Daß Nancy nicht vor Saint-Pols Kopf fällt«, sagte er, »kostet mich zwanzigtausend Taler. Der Campobasso, des Herzogs Geschützmeister, steht auf meiner privaten Pensionsliste.«

Die beiden sahen ihn überrascht an und schwiegen. – Oliver ergriff das Wort:

»Mir scheint, wir kommen so nicht weiter, Sire; denn gefiele Ihnen die letzte Möglichkeit, die noch bleibt: eine fiktive Abtretung der Städte, die nach Auslieferung Saint-Pols aus irgendeinem Grunde wieder besetzt würden?«

»Sie gefällt wohl auch dir nicht, Oliver«, entgegnete der König unsicher, »denn auch so könnten wir zum Krieg oder Kriegsgrund kommen, und ich trüge dann noch eine moralische Belastung, die Burgund gegenüber doppelt schwer wiegt. – Ich irre mich doch wohl nicht, Freund, wenn ich etwas anderes, eben die glatte Erfüllung des Versprechens, aus deiner Bemerkung herauszuhören habe?«

Oliver lächelte.

»Und dürfte nicht selbst die ehrliche Abtretung letzten Endes eine Fiktion sein, Sire?« fragte er zurück. »Geben wir denn dem Herzog noch viel mehr als fünf Jahre? Graben die tüchtigen Eidgenossen, der Lothringer und Campobasso selbst nicht schon am Grab für ihn? – Bewilligen Sie ihm ruhig und freudig noch viel mehr, Herr! Ihre Großmut wird Ihnen um so reichere Zinsen einbringen, je umfänglicher sie sich jetzt auftut. Geben Sie ihm außer Luxemburg, das als Lehensgut an ihn zurückfällt, noch alle Landschaften und Städte des Konnetabels in der östlichen Pikardie, im Aisnegebiet und den Ardennen! Geben Sie ihm sein ganzes mobiles Vermögen! Das Gold Saint-Pols und Ihrer guten Vetternschaft schmiedet Burgund an den Osten fest, in dem er nicht aufgeht, sondern untergeht. Versichern Sie ihn in seinen lothringischen Affären Ihrer wohlwollenden Neutralität! – Und Sie erhalten zwei Köpfe: morgen einen abzuschlagenden und in wenigen Jahren einen abgeschlagenen.«

Wenige Tage später übergab der Großmeister die Schlüssel der Sommestädte dem Kanzler Crèvecœur, des Herzogs Generalstatthalter, der in Péronne war, und zeigte ihm die Urkunden über die Schenkung der Saint-Polschen Güter nach ihrer Konfiskation und über die Gewährung der freien Hand in Lothringen. Diese Dokumente würden im Austausch gegen die Person des Konnetabels ausgeliefert werden. Crèvecœur ließ sofort den Grafen Saint-Pol unter sicherer Bedeckung nach Péronne bringen, unterrichtete zugleich durch Eilkuriere den Herzog und bat um den Auslieferungsbefehl, der nicht mehr versagt werden dürfe. Wieder schien Burgund zu zögern; es vergingen acht Tage, ohne daß eine Nachricht von ihm eintraf. – Doch Nancy fiel nicht. Und als der Großmeister ein ultimatives Schreiben des Königs vorwies, in dem die Auslieferung Saint-Pols innerhalb einer Woche gefordert oder die Verletzung des Reichsbannes durch den Herzog als erwiesen erachtet und eine militärische Aktion gegen Péronne und zum Entsatz Nancys angesagt wurde, ließ der Kanzler seinen Herrn in scharfen Worten wissen, daß er seine Ämter niederzulegen gezwungen sei und jede Verantwortung für die kommenden Ereignisse ablehne, wenn nicht dem klaren Recht Genüge geschehe und die Order in der bestimmten Frist einlaufe. Achtundvierzig Stunden später traf des Herzogs merkwürdige Antwort ein: »Sie sind Unser Generalstatthalter und Träger der Exekutionsgewalt, solange Wir im Felde stehen.« Am gleichen Tag führten zweihundert burgundische Kürassiere in ihrer Mitte den Konnetabel ins Quartier des Grafen Dammartin, der ihn ernst und höflich begrüßte und um seinen Degen bat.

Da Saint-Pol in seiner Eigenschaft als Kronfeldherr nicht der peinlichen Gerichtsordnung unterstand und seine Degradation erst mit dem Urteil ausgesprochen werden konnte, brachte der Großmeister selber ihn ungefesselt und als seinen persönlichen Gefangenen nach Paris. Auf der ganzen Reise wurde zwischen den beiden Männern kein Wort gewechselt; Dammartin sprach auch kaum mit den Herren seines Stabes; der Konnetabel saß gerade, stumm und mit kantigem Gesicht im Sattel und sah nicht rechts und nicht links. Sein Blick schien eingezwängt zwischen die Ohren seines Pferdes. Als sie sich von Südosten der Stadt näherten und der massige, von den Halbtürmen flankierte Block der Bastille über die Porte-Saint-Antoine sich aufreckte, drückte der Konnetabel den Hut noch tiefer in die Stirn und schlug den Kragen seines schwarzen Umhanges hoch. So mit verhülltem Gesicht ritt er an Dammartins Seite durch das Tor und das Soldatenspalier zur Festung. Am Portal der Bastille wurden sie vom Präsidenten des Parlaments, seinen höchsten Beamten und Räten, dem Generalprofos des Königs und dem Burghauptmann mit gemessener Feierlichkeit empfangen. Der Großmeister ergriff die Zügel von seines Gefangenen Pferd, richtete sich in den Steigbügeln auf und sprach mit lauter Stimme:

»Seigneurs, die Sie alle hier zugegen sind: Sie sehen hier Messire Ludwig von Luxemburg, Graf von Saint-Pol, Konnetabel von Frankreich. Sein Leib gehört dem König, sein Gut wird dem König und durch ihn dem Herrn von Burgund gehören, sofern Sie, Seigneurs, es für gut und recht befinden. Wie mir der König zu sagen und zu tun befohlen, habe ich getan und sage ich: seinen liegenden und beweglichen Besitz versprach ich durch schriftliche und Ihren Spruch vorbehaltende Urkunde des Souveräns dem Herzog und empfing dafür seine Person, die ich wohl bewahrte und bewachte und jetzt den Händen Ihrer hohen und gerechten Justiz überliefere.«

Er zog das Pferd Saint-Pols so dicht an das seine heran, daß sich die Flanken der Tiere fast berührten, umarmte den anderen und küßte ihn auf die Wangen.

»Gehen Sie mit Gott, Herr Bruder«, sagte er, grüßte die schwarzen Roben und wandte sein Pferd. Die Herren des Gerichts warteten schweigend und unbeweglich, bis der Großmeister und sein Gefolge das Areal der Festung verlassen hatten. Ein Pikett Hellebardiere marschierte im Rücken Saint-Pols auf, der jetzt mit rascher Bewegung den Kragen niederschlug und den Hut abnahm. Der Präsident und der Generalprofos näherten sich ihm, barhaupt; und Herr Le Boulanger sprach: »Monseigneur, seien Sie uns willkommen. Seien Sie guten Mutes und offenen Herzens. Es erwartet Sie des Königs Gerechtigkeit.«

Er und der Profos setzten das Barett wieder auf. Auch Saint-Pol bedeckte sich wieder und sah mit zusammengekniffenen Brauen Herrn Tristan an, der ein Pergament mit königlichem Siegel vorwies, es zusammenrollte, leicht mit ihm seine Schulter berührte und mit seiner leisen Stimme sagte:

»Im Namen des Königs mache ich Sie, Ludwig von Luxemburg, zum Gefangenen des Herrn Philipp Luillier, Kapitän der Bastille, und frage Sie, ob Sie sich vor mir, dem Profos der Marschälle Frankreichs, und dem Ordentlichen Parlamentsgerichtshof auf die Anklagen wegen Hochverrats und Majestätsverbrechens verantworten wollen oder die Entscheidung der Pairs anrufen, die Sie gemäß dem Prärogativ Ihrer Geburt, nicht Ihres Ranges, verlangen können.«

Da der Konnetabel gut wußte, daß die Granden, ihm zumeist feindlich, in diesem Augenblick noch mehr Ursache hatten, dem König gefällig zu sein, als die Berufsrichter, und da er im seltsamen Glauben war, daß es der Anklage an legalem Beweismaterial gegen ihn mangele, willigte er in die Zuständigkeit des Parlaments ein. Er wurde nicht gefesselt und nicht in die Kerker der Bastille gebracht, sondern in ein nicht unfreundliches Turmzimmer, das durch Posten bewacht war. Die Verhöre begannen sofort; aber sie brachten kein Resultat, da Saint-Pol jeden Punkt der Anklage bestritt und geschickter noch als Nemours die Öffentlichkeit des Prozesses ausnutzte. Denn er verstand es, immer wieder die wunde Stelle des Königs zu berühren: die Lütticher Affäre und Ludwigs Intrige mit dem gefallenen Johann von Wildt, die wohlweislich nicht im Bereich der Anklage standen und auf keinen Fall publik werden durften.

Einige Tage vergingen in einer Ruhe, die dem Gefangenen bedrohlicher schien als der Lärm des gerichtlichen Apparates. Dem lebhaften und mutigen Mann war nichts unerträglicher als Ungewißheit. Er wollte kämpfen, aber er wollte den Gegner sehen. Die tückische Art des unsichtbaren Königs haßte und fürchtete er in gleicher Weise. Er wurde immer unruhiger; er vermutete Gift in den Speisen oder einen Schuß durch das vergitterte Guckloch der Tür. An einem Abend endlich hörte er andere Schritte als den unendlich bekannten des Wachtpostens. Das Schloß rasselte, die schwere Eisentür kreischte in den Angeln. Ein hagerer Mann in einem florentinischen Doktormantel trat ein und verneigte sich. Saint-Pol sah ihn einen Augenblick scharf an; dann wurde er rot vor Zorn.

»Ist es mit mir oder mit dem König schon so weit, daß er mir keinen anderen zu schicken weiß als seinen Spitzel?« fragte er scharf. »Ich habe als Gericht das Parlament anerkannt, aber nicht den Zuhälter, wenn er auch sein Gewerbe zu wechseln versteht wie die Farbe seiner Haare! Mit Ihnen habe ich nichts zu schaffen!«

Er drehte dem Necker brüsk den Rücken. Oliver bekam noch dünnere Lippen, und seine Nasenflügel bebten.

»Die Farbe meiner Haare ist so echt heute«, sagte er kalt und kniff gefährlich die Augen zusammen, »daß Sie sie mit Sicherheit als ominös gelten lassen dürfen, Monseigneur.«

Saint-Pol drehte sich heftig um und streckte die Fäuste vor.

»Sind Sie hier, um mich zu rasieren oder mir die Kehle durchzuschneiden, Herr Barbier«, fragte er böse. »Ich erinnere mich, daß Sie mir einmal das eine anboten und ich das andere vermutete. Und mir scheint, ich riet in Péronne nicht schlecht und treffe auch jetzt wohl ins Schwarze. Das möchte die Sache dem Gericht leichtmachen und dem König aus der Verlegenheit helfen. – Aber meinen Sie nicht, daß die Aufgabe Ihre Kräfte übersteigen möchte?«

Er riß mit starker Hand einen Stuhl in die Höhe und schwang ihn bedrohlich. Der Necker lachte laut.

»Monseigneur!« rief er, »Sie treffen so arg daneben, daß ich mich verwundern muß; denn ich hielt Sie von Péronne her für einen besseren Schützen! Glauben Sie wirklich, ich sei der geeignete Mann, um mit Ihnen hier einen Ringkampf auszufechten? Und meinen Sie in der Tat, der König oder das Gericht seien in Verlegenheit? – Lassen Sie ruhig den Stuhl aus der Hand und setzen Sie sich auf ihn. – Ich bin hier, um Ihnen im Namen des Königs, aber außergerichtlich zu sagen, daß Ihre Prozeßtaktik falsch, unnütz und für Sie schädlich ist.«

Der Konnetabel stellte den Stuhl vor sich hin und betrachtete den Necker ernst.

»Wie kann ich Ihnen, gerade Ihnen, das geringste Vertrauen schenken«, sagte er nach einer Weile mit flüchtigem Lächeln, »oder den Glauben, daß Sie mich vor Schaden bewahren wollen.«

»Hören Sie mir zu«, entgegnete Oliver, »und entscheiden Sie selber. – Wenn Sie das Gericht zwingen, die Lütticher Politik des Königs zu behandeln, so begehen Sie indirekt einen neuen Hochverrat. Außerdem zwingen Sie den König, die Anklage auf Ihr Péronner Verbrechen auszudehnen – auf Ihr Verbrechen, Monseigneur«, fuhr der Necker nachdrücklicher fort, als der Konnetabel eine Bewegung des Protestes machte; »denn er kann Ihnen ja Tag und Stunde Ihrer Order an Herrn von Wildt nachweisen und hat nicht nur mich als Zeugen, sondern vor allem das im Geheimen Archiv ruhende Protokoll des Balueschen Geständnisses als Beweismaterial für die gesamte Verschwörung. – Der König will diese Anklage aus den wichtigen Gründen außenpolitischer Rücksicht vermeiden. Aber seien Sie überzeugt, Monseigneur, er führt sie durch, wenn Sie ihn dazu zwingen. Er schwört es Ihnen bei seiner Krone. Und er verspricht sich und Ihnen in diesem Fall ein anderes Verfahren, das er jetzt selbst Ihnen nicht wünscht noch zudenkt.«

Saint-Pol starrte auf den Boden und biß die Zähne aufeinander.

»Es gilt meinen Kopf auf jeden Fall«, sagte er dann langsam und schwer; »was also kümmert mich das Verfahren?«

Der Necker sah ihn mit solcher Kraft an, daß er den Blick wieder hob und seine Pupillen groß vor Entsetzen wurden, noch ehe jener sprach. Jetzt begann wieder Oliver, mit leiser Stimme:

»Der König hat noch zwei Möglichkeiten, die er dann anzuwenden willens ist: die Folter in allen ihren Graden – und die Todesart, die vielleicht sogar dem Rumpf den Kopf läßt, aber den Rumpf nicht als Ganzes ...«

Der Necker schwieg vor der Totenblässe des anderen, der sich schwer gegen den Stuhl lehnte und plötzlich in den Knien einknickte. Oliver ging einen Schritt vor, als ob er ihm aufhelfen wollte. Aber schon raffte sich Saint-Pol hoch und schob den Stuhl wieder wie einen Schild zwischen sich und den Meister. Er trocknete sich den Schweiß von der Stirn.

»Was will er mich foltern«, sprach er heiser, »wenn ich anderes nicht zu gestehen habe; es sei denn Ungehorsam gegen die Einladung, zum Kriegsrat zu kommen, und meine Flucht nach Mons.«

»Sie haben anderes nicht zu gestehen, Monseigneur?«

»Nein!«

»Monseigneur, Sie haben vierfachen Hochverrat nicht zu gestehen: schriftliches Versprechen, Burgund die Städte wiederzugeben, und Aufforderung zum Krieg gegen den Obersten Lehensherrn – Aufforderung zur Invasion des Reichsfeindes – Bündnisversprechen an Burgund und England?«

»Nein! – Beweisen Sie es!«

Oliver lächelte böse.

»Nun«, meinte er, »ich bin kein Jurist; aber ich beweise es trotzdem.«

Er öffnete langsam den weiten Mantel und entnahm ihm die vier Schriftstücke von der Hand des Konnetabels: die Briefe an den Herzog und den englischen König und die beiden Allianzurkunden. Saint-Pol sprang unversehens mit einem Satz auf ihn zu, den Stuhl fortschleudernd, und entriß sie ihm. Oliver lachte.

»Freuen Sie sich mit ihnen, Monseigneur! Bewahren Sie sie auf oder vernichten Sie sie! Die beglaubigten Abschriften sind in Händen des Gerichts.«

Saint-Pol schrie auf vor Wut, vor Verzweiflung, und warf die Pergamente dem Necker vor die Füße. Dann hockte er auf dem Bett, den Kopf zwischen den aufgestemmten Fäusten; und seinen Körper schüttelte es, als fröre ihn oder als weinte er. Oliver, sehr ernst geworden, näherte sich ihm. »Monseigneur«, flüsterte er bewegt, »gestehen Sie dem Gericht – und mir verzeihen Sie. Heute tat ich Ihnen nichts an.«

Er bückte sich, küßte hastig die harten Knöchel der Faust, die den Kopf hielt, und ging. – Der Konnetabel schaute auf, mit offenem Mund, sah die Tür schon wieder ins Schloß fallen, hörte das Kreischen der Riegel, schon wieder den ewigen Schritt des Postens, betrachtete dann seine geküßte Hand, lange Zeit. – In der gleichen Nacht noch verlangte er Papier und Schreibzeug.

Am nächsten Tag las das überraschte Parlament das schriftliche Schuldbekenntnis des Konnetabels und einen genauen Bericht über seine politischen Machenschaften seit der Besetzung der Sommestädte. Der Prozeß wurde jetzt ohne Schwierigkeiten und Zwischenfall zu Ende gebracht. Saint-Pol wiederholte sein Geständnis in den öffentlichen Verhandlungen und erkannte die Autorschaft der vier ihm vorgewiesenen und vorgelesenen Hochverratsdokumente an. Schon eine Woche später konnten dem König die gesamten Prozeßakten und das Diktum, das dem Delinquenten erst am Morgen des Exekutionstages mitgeteilt werden sollte, nach Amboise gesandt werden, wie er es befohlen hatte.

Der Necker, allein mit Ludwig im Turm, las den Wortlaut des Rechtsspruches mit gedämpfter Stimme vor:

»... Und nachdem alles, was zu erkennen und bedenken war, in ernster und strenger Beratung erkannt und bedacht wurde, wird jetzt ausgesprochen, daß das Gericht Messire Ludwig von Luxemburg schuldig der Verbrechen der Majestätsverletzung und des Hochverrats erklärt hat und erklärt und ihn seines Amtes als Konnetabel von Frankreich und aller seiner anderen Ämter, Ehren, Stände und Würden entkleidet hat und entkleidet. Zur Sühne für seine Verbrechen verurteilte und verurteilt das Gericht ihn, den Tod zu erleiden und auf dem Grève-Platz zu Paris vor aller Augen enthauptet zu werden, und erklärte und erklärt alle und jedes seiner Güter, bewegliche und unbewegliche, für konfisziert und gehörig dem König, der über sie verfügt, die Ansprüche des Herzogs von Burgund anerkannt hat und durch gesonderte Urkunde befriedigen wird. Und angesichts der Ungeheuerlichkeit seiner großen und abscheulichen Verbrechen soll Messire Ludwig von Luxemburg nach der Enthauptung gevierteilt werden und seine vier Glieder in öffentlicher Sicht aufgehängt und der Rumpf an den Galgen ...«

Oliver brach ab und sah den König an, der den Kopf senkte. Der Necker ging ohne Zögern an den Tisch, nahm die Feder und strich den letzten Satz aus.

»Das hat der König nicht gewollt«, sagte er ernst, »das würde sein Gewissen nie erlauben.«

Ludwig nickte stumm und ließ ihn gewähren. Der Necker wandte ihm wieder das Gesicht zu und sprach leise:

»Sie haben den Spruch in dem genauen Wortlaut Herrn Tristan vor Prozeßbeginn diktiert; das weiß ich, Sire. Die Brutalität, die ich eben ausstrich, wiegt schwerer als alle Ihre wahrhaftigen und künstlichen Menschlichkeiten in diesem Jahr, Sire. – Sie stehen wieder in meiner Schuld, Sire.«

Der König biß sich auf die Lippen und schwieg. Oliver vollendete die Lesung:

»... Nach der Exekution, öffentlich an seiner Person vorgenommen, so wie es vom Gericht ausgesprochen ist, wird sein Leib in geweihter Erde begraben, sofern er darum ersucht.«

Ludwig unterschrieb das Verdikt und verwarf in einem Nachsatz das mögliche Gnadengesuch. Er legte die Feder hin und barg die Stirn in der Hand.

»Die Köpfe machen müde, Oliver«, flüsterte er; »es ist gut, daß du wach und bei mir bist.« –

Drei Tage später – es war der neunzehnte Dezember und ein Mittwoch – betrat der Festungskommandant Luillier zu sehr früher Stunde das Zimmer des Gefangenen, der sich nicht rührte. Luillier hob die Wachsfackel. Saint-Pol lag mit geschlossenen Augen auf dem Bett, mit starrem Gesicht; nur sein Kinn bebte und die Zähne schlugen leise aufeinander. Der Offizier fragte leise:

»Monseigneur, schlafen Sie?«

Der Konnetabel schüttelte langsam den Kopf auf den Kissen und antwortete, die Lippen kaum bewegend:

»Ich schlafe nicht, Kapitän; es ist lange her, daß ich schlief. Die schweren Gedanken lasten auf mir, Kapitän. Die Gedanken an den Tod sind schwer, und schwerer noch die Gedanken an das Leben.«

Der andere senkte den Kopf. Saint-Pol tat die seltsame Frage:

»Mit welcher Hand soll ich mich bekreuzigen für diesen Tag, Kapitän?«

»Mit der gewohnten Hand«, antwortete Luillier erschüttert, »und das ist die Rechte bei den guten Christen, soll nicht der Teufel das Gebet stören.«

»Der Teufel?« fragte Saint-Pol gepreßt und hob die Knöchel seiner rechten Hand vor die Augen, sie betrachtend. Sie schwiegen eine Weile; dann flüsterte der Konnetabel:

»Sagen Sie mir, was zu sagen ist, Kapitän.«

Der gutmütige Mann suchte die Worte:

»Sie müssen aufstehen, Monseigneur, und sich mit mir in das Gebäude des Parlamentsgerichts begeben. Die Herren haben Ihnen etwas zu sagen, das hier nicht gesagt werden kann.«

Saint-Pol öffnete weit die Augen und schloß sie gleich wieder.

»Wollen mir die Herren ein anderes Quartier geben, Kapitän?«

»Nein ...«, entgegnete Luillier zögernd.

»Aber das Volk von Paris haßt mich und kann mir ein Leid antun«, murmelte Saint-Pol und entblößte die Zähne wie zu einem wehen Lächeln.

»Ich bürge für die Sicherheit des Weges, Monseigneur.«

Der Konnetabel stand auf und zog sich an. Bevor er das Zimmer verließ, schlug er das Kreuz mit der Linken und sprach:

»Die Rechte ist des Teufels wohl, und links sitzt das Herz, das Leben gibt, Kapitän.« – Er versuchte zu lächeln. – »Dir, Gott, empfehle ich mein Leben.«

Im Hof wartete ein berittener Mann in schwarzer Kleidung mit zwei gesattelten Pferden.

»Wer ist der Herr?« fragte der Konnetabel.

»Der Chevalier d'Estouteville, Profos von Paris.«

Saint-Pol sah ihn einen Augenblick an, schlug den Mantelkragen hoch und bestieg ein Pferd. Die beiden Herren nahmen ihn in die Mitte. Sie ritten durch die noch menschenleere Rue Saint-Antoine dem Parlamentspalast zu, unbemerkt und schweigsam. Sie kamen in die Rue de la Barillerie, ritten durch das große Tor des Gebäudes in den »Cour du Mai«, sie hielten vor der Treppe, die zur »Galerie des Merciers« führte. Luillier sprang vom Pferd und half dem Konnetabel aus dem Sattel. Am Fuß der Treppe stand der Parlamentsaktuar, der einige Personalfragen an den Gefangenen richtete. Saint-Pol antwortete mit kurzem Ja. In der Galerie wurde er von dem Generalprofos und dem Promotor des Gerichts mit höflichem Gruß empfangen und dankte ruhig und würdig. Die zwei schritten dann voran, der Gefangene und seine beiden Begleiter folgten. Sie kamen in die Räume des Kriminalgerichts, die Tournelle criminelle genannt wurden. Der Promotor stieß eine Tür auf und bat den Konnetabel, einzutreten. Der Raum sperrte durch schwarze Vorhänge vor dem Fenster das Tageslicht ab. Hinter einem schwarzbehangenen Tisch, auf dem in mächtigen Leuchtern schwarze Kerzen brannten, saßen die beiden Präsidenten des Gerichts. Sie erhoben sich, als die fünf Männer eingetreten waren und die Tür geschlossen und verriegelt wurde.

Herr Tristan trat vor und sprach mit leisem Wohllaut:

»Monseigneur de Saint-Pol, Sie galten einst und bis zu diesem Augenblick für den trefflichsten und mutigsten Ritter des Reiches. Es ist in diesem Augenblick notwendiger als je, daß sich Ihr Mut beweise.«

Er machte eine Pause. Saint-Pol biß die Zähne zusammen und sah ihm in die Augen.

»Monseigneur«, fuhr L'Hermite fort, »es muß jetzt sein, daß Sie sich des Zeichens Ihrer Würde entkleiden, wollen Sie mich nicht zwingen, es für Sie zu tun. – Monseigneur, im Namen des Königs, lösen Sie von Ihrem Hals die Ordenskette des Konnetabels, die Ihnen der Souverän verlieh!«

Saint-Pol gehorchte; aber seine bebenden Hände vermochten nicht die Nadel zu öffnen, die die Kette im Nacken an den Kragen heftete. Er wandte hilflos den Kopf.

»Helfen Sie mir, Kapitän«, bat er mit heiserer Stimme.

Luillier sprang hinzu und entfernte die Nadel. Saint-Pol wandte sich rasch um, küßte ihn auf die Stirn, streifte die Kette ab und gab sie ihm.

»Liefern Sie sie aus, Kapitän«, sagte er. Der Offizier reichte sie mit stummer Verbeugung Herrn Tristan, der sie auf den Tisch legte und zurücktretend rief:

»Ludwig von Luxemburg, vernehmen Sie jetzt den Spruch des Gerichts!«

Der Präsident Le Boulanger ergriff das Pergament, las das Diktum laut und langsam vor und zeigte dann dem Verurteilten Gnadenabweis, Unterschrift und Siegel des Königs. Saint-Pol hielt sich am Tisch fest, den Kopf noch über die Platte gebückt, als der Richter die Urkunde schon wieder an sich genommen hatte; er stöhnte:

»Ach, mein Gott! Ach, mein Gott! Das ist hart!«

Seine Lippen waren weiß, und die Backen bebten in einem Krampf, die Schultern hoben und senkten sich schnell: er sah jetzt aus, als wollte ein ungeheures Lachen aus ihm bersten. – Der Kapitän Luillier schluchzte mit einemmal auf. Alle Blicke wandten sich ihm zu; auch Saint-Pol sah ihn an, plötzlich ruhig und gütig lächelnd, und streifte, ihm zunickend, einen Diamantring vom Finger.

»Erlauben Sie, Seigneurs, daß ich dem Mitleid ein Andenken lasse?« fragte er.

Le Boulanger sah Herrn Tristan an. Der sagte leise:

»Der Ring gehört dem König.«

Jetzt lachte Saint-Pol kurz und lärmend, warf den Ring auf die Fliesen und zertrat ihn.

»Der König kennt kein Mitleid, Kapitän«, sprach er über die Schulter; »es wäre schade um den Ring.«

Die Herren bissen sich auf die Lippen. – Nach einer Weile fragte Saint-Pol flüsternd:

»Seigneurs, wann ...?«

Herr Tristan antwortete:

»Heute ...«

Der Stadtprofos öffnete die Tür zum Nebenzimmer und bat Saint-Pol, der gefaßt schien, zu seinen Beichtigern einzutreten. Der Raum war so hell von Sonne, daß der Delinquent geblendet die Augen schützte. Die vier Doktoren der Theologie – ein Franziskaner, ein Augustiner, der Pönitentiarius der Diözese und der Pfarrer von Saint-Andre-des-Arts, Doyen der theologischen Fakultät der Sorbonne – nahmen ihn mit sanften und guten Worten in ihre Mitte. Saint-Pol verlangte den Leib des Herrn; doch die Hostie konnte ihm nicht bewilligt werden. Sie sangen eine Messe vor ihm, und er war es zufrieden. Sie gaben ihm geweihtes Brot und Wasser, und er aß vom Brot, aber er trank nicht vom Wasser. Er blieb bis zwei Uhr nachmittags bei ihnen, beichtete und erhielt die Absolution. Dann wurde er in das Stadthaus gebracht und schrieb in einem Zimmer des Erdgeschosses, von dem aus man die wartende Menge auf dem Grève-Platz sah, mit sicherer Hand ein Kodizill zugunsten des Kapitäns Luillier und seiner Beichtväter. Der Präsident versprach, für die königliche Genehmigung zu sorgen. Um drei Uhr betrat er, von den Geistlichen umgeben, den Platz, auf dem in kurzen Zwischenräumen mehrere Schafotte errichtet waren. Der Aktuar des Parlaments bestieg die Stufen des größten Schafotts und las mit schallender Stimme dem Volk von Paris das Bekenntnis des Delinquenten und den Spruch des Gerichts vor. Es herrschte eine tiefe Stille. Das Meer der Köpfe füllte den weiten Platz bis Saint-Esprit hin. Saint-Pol wurde zu einem kleinen Schafott neben dem großen geführt. Er ließ sich auf die Knie nieder, das Gesicht der Notre-Dame-Kirche zugewandt, betete kurz und küßte das Kreuz, das ihm der Augustinerpater vorhielt. Er stand auf und betrachtete den Richtblock.

Jetzt trat ein mittelgroßer, stämmiger Mann mit ungeheuren Schultern hinzu, gekleidet in ein ärmelloses Wams von roter Farbe. Es war Henri Cousin, der Scharfrichter. Saint-Pol sah ihn an, lächelte:

»Mein Freund, bist du nicht jener, der mich aus der Welt schaffen muß?«

Henri Cousin schob verlegen das massige Kinn vor.

»Jawohl, Monseigneur, denn so befahl es mir das Höchste Gericht.«

Saint-Pol riß mit schneller Bewegung den Kragen auf und entblößte Hals und Brust. Dann streckte er dem Henker die beiden Hände entgegen, der sie mit einer seidenen Schnur leicht zusammenband. Der Konnetabel bestieg hastig die Schafottstufen, reckte den mächtigen Körper und warf den Kopf zurück. Jetzt wandte er sich zu den Herren des Gerichts, die in einiger Entfernung stumm und steif standen.

»Seigneurs!« rief er durchdringend, »betet für meine arme Seele! Und betet für des Königs Seele, die ärmer ist!«

Und er wandte sich dem Meer der Köpfe zu, das immer unruhiger und stumm noch hin und her wogte, und er brüllte: »Leute! Betet für meine arme Seele! Und betet für eure Seelen, die ärmer sind!«

Und er stieß mit dem Ellenbogen den nackten Arm des Henri Cousin an und hastete:

»Schnell, mein Freund! Schnell, schnell!«

Er kniete auf ein kleines Stück Leinen nieder, das die Stadtwappen trug. Cousin verband ihm die Augen. Ein Gehilfe reichte ihm das schwere Richtschwert. – Die weiße Wintersonne blitzte jetzt in dem stählernen Schwung, die Muskeln des breiten Henkernackens und der Armkeulen schwollen: der Hieb war so gewaltig, daß der Körper schneller als der Kopf auf die Bohlen fiel. – Der Henker, breitbeinig, wankte einen Augenblick, durch die eigene Kraft erschüttert, und hielt sich am schnell aufgestemmten Schwert. Dann richtete er sich auf, wischte mit dem Handrücken Schweiß und Blut aus dem Gesicht, hob den Kopf an den Haaren hoch, tauchte ihn in ein Wasserschaff und stülpte ihn auf den Schafottpfosten. Der Kopf zeigte die Zähne. Das Volk johlte auf, durchbrach die Kette der Bewaffneten und riß die Tuchverkleidung der Richtstätte herunter, balgte sich um die Fetzen. –

Am Abend holten acht Franziskaner und vierzig Fackelträger den Rumpf und den Kopf.


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