Johann Nestroy
Das Mädl aus der Vorstadt
Johann Nestroy

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Akt

Ordinäres Zimmer in einem Vorstadthause mit zwei Seitentüren und einer Mitteltüre, welche in das Vorhaus führt; rechts und links Stühle.

Erste Szene

Knöpfel. Madame Storch. Rosalie. Sabine. Peppi.

(Rosalie, Sabine, Peppi sitzen an dem Tische rechts und sind mit Nähterei beschäftigt. Madame Storch steht beim Tische links und ist beschäftigt, fertige Arbeiten zu ordnen. Knöpfel sitzt an demselben Tisch und schreibt in einem großen Buch.)

Rosalie, Sabine, Peppi (lachen). Ha, ha, ha, ha!

Knöpfel. So hört doch zu lachen auf! Seht ihr denn nicht, ich mach' grad mein' Inventur oder was? (Schreibt emsig fort.)

Madame Storch. Lacht's weniger und arbeit't's mehr!

Rosalie. Wir lachen und arbeiten zugleich.

Sabine. Wenn man sich nicht einmal aufheitern dürft' –

Rosalie. A Nähterin is eh' ein traurig's G'schäft! 's ganze Jahr an Ausstaffierungen arbeiten mit dem Gefühl, selbst nie in die Lag' zu kommen, wo man eine Ausstaffierung braucht.

Sabine. Wer sagt denn das? Ich glaub', wir machen Eroberungen g'nug!

Peppi. Gott sei Dank!

Rosalie (zu Peppi). Du gar, du eroberst alles z'samm.

Madame Storch. An Eroberungen ist freilich kein Mangel.

Rosalie (zu Sabine). Aha, fangt schon wieder an, die Eitle! Jetzt red't die auch!

Knöpfel (rechnend). Achtunddreißig und drei is einundvierzig oder wie –

Rosalie (Sabine zuwinkend, zu Madame Storch). Haben Sie schon lang keine Eroberung gemacht, Madame?

Madame Storch. Die Tag' erst is mir einer nach'gangen, ein gesetzter, bejahrter Herr.

Sabine. Ein Alter!

Knöpfel (rechnend). Neunundfünfzig und sieben is sechsundsechzig oder was.

Madame Storch. Das gibt der Sache einen Wert, von junge G'schwufen red' ich gar nix.

Rosalie (spöttisch, für sich). Ich glaub's! (Zu Madame Storch.) Hat sich aber nicht wieder gezeigt, der gesetzte Herr?

Madame Storch. Ich hab' ihn abgetrumpft, ich bin nicht so, daß ich mich gleich in Diskurs einlass'.

Knöpfel. Oder was.

Madame Storch. Ich bin aber überzeugt, er paßt mir wieder wo auf.

Sabine. Freilich!

Rosalie. Wenn sich so ein g'setzter Mann einmal was in Kopf setzt –

Madame Storch. Unter anderm, wißt's ihr, mit wem ich heut' g'sprochen hab'?

Sabine. Wie können wir das wissen?

Rosalie. Wir kommen ja den ganzen Tag nicht von der Arbeit weg.

Knöpfel (aufstehend). Schwester, das int'ressiert mich, mit wem hast denn g'red't oder was?

Madame Storch. Mit unserer Nachbarin, mit dem Mädl, die die Tag' erst ein'zogen is.

Rosalie. Mit der Langweiligen von der rückwärtigen Stieg'n?

Knöpfel (sehr neugierig). Na, und was hast du heraus'kriegt aus ihr?

Madame Storch. Sie bleibt ein' nie stehen, ich hab' s' aber dasmal festg'halten beim Fürtuch, so hat s' reden müssen. Ich hab' s' eing'laden, daß s' uns besucht. Sie sagt aber, sie geht nirgends hin, sie will weder Leut' sehn noch g'sehn werden von d' Leut'.

Sabine (spöttisch lachend). Jetzt will die keine Leut' sehn!

Rosalie. Da wird weiter den Leuten nicht leid sein drum!

Knöpfel. 's Ganze is auf 'n Schein oder wie?

Madame Storch. Na, es scheint doch, daß eine innere Kränkung –

Knöpfel. Oder was.

Madame Storch. Wie ich s' aber wieder begegn' untern Tor, so kommt s' mir g'wiß nicht mehr aus, ich führ' s' herein, und sie muß uns ihr ganzes Schicksal haarklein erzählen.

Rosalie. Da wird halt ein ganz gewöhnliches Schicksal herauskommen.

Sabine. Man weiß ja, wie die Schicksale sind.

Knöpfel. Natürlich. Jetzt muß ich aber nochmals ins G'wölb' hinunter, muß mir ein paar Belege zur Inventur holen, und das zwar gleich oder wann.

Zweite Szene

Die Vorigen. Schnoferl (tritt zur Mitte ein).

Alle. Der Herr Schnoferl!

Knöpfel. Servus, Freund, Servus oder was.

Madame Storch. Was? Sie sein auch noch auf der Welt?

Sabine. Ich wär' lieber gar nicht mehr kommen!

Rosalie. Er hat wichtige Geschäfte!

Sabine. Und kommt viel in noble Häuser!

Madame Storch. Ordinäre Leut' wie wir sind ihm zu wenig!

Knöpfel (zu Schnoferl). Sie nehmen's nicht übel, ich hab' noch ein'n Augenblick z' tun im G'wölb' oder wo.

Schnoferl. Ich hab' schon später noch das Vergnügen.

Knöpfel. Denn i muß jetzt die Inventur machen oder was. (Eilt zur Mitte ab.)

Sabine. Wir werden jetzt gleich hören, was er für Entschuldigung hat. (Zu Schnoferl.) Reden Sie!

Schnoferl. Wie befinden Sie sich?

Sabine. Glauben Sie vielleicht, wir härmen uns ab über Ihr Ausbleiben?

Schnoferl. Sie befinden sich?

Rosalie. Es is nur die Red' von der Unart.

Schnoferl (mit noch mehr Nachdruck). Wie befinden Sie sich also?

Madame Storch, Rosalie, Sabine, Peppi. Gut, sehr gut!

Schnoferl. Das is schön, um so mehr Teilnahme sind Sie dem schuldig, der sich nicht gut befindet.

Rosalie. Wer befind't sich denn schlecht?

Schnoferl. Ein meiniger Freund.

Madame Storch, Rosalie, Sabine, Peppi. Ein Freund –?

Schnoferl. Ich hab' einen Freund – Sie werden wissen, was Freundschaft ist, denn Sie haben ja auch jede einen Freund – mein Freund ist unglücklich, er leidet sehr.

Sabine. Wer hat ihm denn was getan?

Schnoferl. Ein Mädl!

Madame Storch. Also eine Liebesg'schicht'! Was geht das uns an?

Schnoferl. Kritische Fälle pflegt man immer Sachverständigen vorzutragen. Mein Freund is wahnsinnig, will sich umbringen aus Liebesgram.

Sabine. 's gibt halt doch noch Leut', die eine Bildung haben.

Peppi. Is diejenige also spröd'?

Schnoferl. Gegen meinen Freund ist sie's.

Rosalie. Und gegen andere is sie's vielleicht nicht?

Schnoferl. Darüber schweigt der Historiker. Mein Freund hat an dem, daß sie ihn nicht mag, hinlänglichen Verzweiflungsstoff.

Rosalie. Is er vielleicht recht schiech?

Schnoferl. Schiech, unendlich schiech über sein Schicksal.

Sabine. Wir meinen sein Äußeres, is das schön?

Schnoferl. Schön, unendlich schön, wenn eine halbwegs glühende Phantasie das ruhige Anschaun unterstützt. Übrigens will ich gar nix davon sagen, daß er reich is.

Rosalie, Peppi, Sabine. Reich?

Schnoferl. Ich weiß, das int'ressiert euch Mädln nicht, aber er is sehr reich.

Rosalie (mitleidsvoll). Der arme Mensch!

Sabine. Bedauert mich von Herzen!

Peppi. Wirklich jammerschad'!

Schnoferl. Wie g'schwind sich 's Mitgefühl zeigt, wenn so ein armer Mensch reich ist! Sie allein können helfen, meine Aimablesten.

Rosalie, Peppi, Sabine. Wir?

Schnoferl. Reißen Sie diese Lieb' aus seinem Herzen heraus! Wer verstünd, das besser als Siel

Sabine (geziert). Was können wir da machen?

Rosalie (ebenso). Ich wüßt' gar nicht –

Peppi (ebenso). Hör'n S' auf!

Schnoferl. Mein Freund is krank, herzenskrank durch ein Mädl, ich will diesen Zustand durch Mädln vertreiben.

Rosalie (geziert). Warum nicht gar!

Sabine (ebenso). Was fallt Ihnen ein!

Schnoferl. Ich setz' einen Preis auf sein Herz; die ihn auf andre Gedanken bringt, erhält –

Madame Storch. Das wär' überflüssig, das Herz eines schönen reichen Menschen ist ja ohnehin Preis genug. Ich hab' jetzt nur so ein' wichtigen Gang. (Nimmt ein Paket vom Tische links.) In jedem Fall aber, Herr Schnoferl, hab' ich noch das Vergnügen, Ihnen samt Freund zu sehn. (Eilt zur Mitte ab.)

Dritte Szene

Die Vorigen ohne Madame Storch.

Schnoferl. Der Unglückliche sitzt daneben im Kaffeehaus und starrt mit düsterm Blick in seinen Schwarzen hinein. Ich hol' ihn herauf. (Eilt zur Mitte ab.)

Vierte Szene

Die Vorigen ohne Schnoferl.

Rosalie. 's is eigentlich eine rechte Verlegenheit für uns.

Sabine. Wenigstens müssen wir so tun, als ob's eine wär'.

Peppi. Sollt' ich wirklich mein'n Eduard kränken?

Rosalie. Ich bin gar nicht recht in der Stimmung, eine Falschheit zu begehn.

Sabine. Und was geht uns im Grund der ganze Mensch an?

Rosalie. Nehmen wir gar keine Notiz von ihm.

Peppi. 's wird 's G'scheiteste sein.

Sabine (zu Peppi). Du, schau, das Tüchel schlieft mir so herauf, richt' mir's!

(Peppi ordnet ihr das Halstuch.)

Rosalie. Mir halten heut' wieder die Locken nicht. (Richtet sich am Spiegel die Frisur.)

Peppi. Sali, find'st du nicht, daß ich heut' so trübe Augen hab'?

Rosalie. Warum lest immer halbe Nächt'! (Zu Sabine.) Du, Sabin', schau, ob mir da nicht 's Mieder vorgeht.

Sabine (ordnet an Rosaliens Anzug). Nein, nein, bist schon schön!

Rosalie. Grad heut' hab' ich mich so nachlässig ang'legt.

Peppi (hat nach der Mitteltüre gehorcht). Ich glaub', er kommt.

Rosalie. Setzen wir uns zur Arbeit!

Sabine. Sonst schaut das Ding aus, als ob wir g'wart't hätten auf ihn.

Fünfte Szene

Schnoferl. Gigl. Die Vorigen.

Schnoferl (Gigl vorstellend). Hier, meine Scharmantesten, hab' ich die Ehre, Ihnen meinen Freund aufzuführen.

Peppi. Sie verzeihen –

Rosalie. Bei uns is alles so in Unordnung, wir war'n gar nicht gefaßt.

Sabine. Wir erhalten nie Besuche.

Schnoferl (zu Gigl). Is das was Liebes – diese gänzlich unbesuchten Geschöpfe! So red' doch was!

Rosalie. Wir haben gar keine Zeit, Bekanntschaften zu machen.

Sabine. Sind immer so mit Arbeit überhäuft.

Schnoferl (leise zu Gigl). Siehst, Sie haben gar keine Zeit, diese guten überhäuften Wesen. Red' doch was, sag' eine Galanterie!

Gigl. Ich bin so frei –

Schnoferl (zu den Mädchen). Sehn Sie, Sie haben glaubt, er is so schüchtern, und jetzt sagt er's selber, daß er so frei is. Ah, 's is ein lustiger Ding, jetzt noch nicht, aber später vielleicht.

Peppi (Gigl einen Stuhl anbietend). Is es gefällig, Platz zu nehmen?

Gigl. Ich bin so frei.

Rosalie (zu Sabine). Die hat nit warten können, bis wir ihm einen Sessel offerieren.

Sabine. Sie will die Zuvorkommende spielen.

Schnoferl (leise zu Gigl). Sag' jetzt was vom »Schlaf nicht austragen« oder »Platz an Ihrer grünen Seite« oder sonst was, was dich als Mann von Welt charakterisiert.

Gigl. Ich bin so frei.

Sabine. Das sind Sie nicht, im Gegenteil, Sie sind bescheiden.

Rosalie. Und das is das, was wir schätzen an einem Mann.

Sabine. Wenn man Männer mit Blumen vergleichen dürft' –

Rosalie. So könnt' man Ihnen mit dem bescheid'nen Veilchen vergleichen.

Sabine (ärgerlich beiseite). Das is stark, die schnappt mir 's Wort vom Maul weg, und der klassische Gedanke is von mir.

Schnoferl. Erlauben Sie, daß ich gegen das unverdiente Renommee dieser Blume einen Einspruch tu'. Das Veilchen drängt sich z' allererst hervor, kann's kaum erwarten, bis 's Frühjahr wird, überflügelt sogar das Gras, damit's nur ja früher als alle andern Blumen da is auf 'n Platz – wo steckt da die Bescheidenheit? Aber 's geht schon so, so kommt auch mancher Mensch zu einem Renommee, er weiß nicht wie. Weltlauf!

Peppi (hat Gigl betrachtet, für sich). Ich find', er sieht ganz mein'm Eduard gleich. –

Rosalie (ebenso). Augen hat er wie der Subjekt, der immer aus der Offizin da drüben auf mich herüberschaut.

Sabine (ebenso). Den Wuchs hat er ganz von dem herrschaftlichen Laufer, der mir so nachsetzt.

Gigl (leise zu Schnoferl). Sag' mir nur, wegen was d' mich herg'führt hast?

Schnoferl (leise zu Gigl). Undankbarer, um dir zu zeigen, daß außer deiner Thekla die schöne Welt noch nicht mit Brettern verschlagen is.

Gigl (leise zu Schnoferl). Ich soll also einer die Cour machen?

Schnoferl (leise). Freilich.

Gigl (wie oben). Welcher denn?

Schnoferl. Egal, die Sabin' is schön wie ein Engel, die Rosalie und Peppi sind schön wie die Engeln, also is es ein Teufel, die welche du nimmst.

Gigl. Nein, du, es geht nicht!


 << zurück weiter >>