Johann Nestroy
Das Mädl aus der Vorstadt
Johann Nestroy

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Neunte Szene

Gigl. Schnoferl.

Gigl (desperat). Schnoferl, rett' mich vom Abgrund!

Schnoferl. Was is denn g'schehn? Gigl, red'!

Gigl. Kennst du die Empfindung, die vor fünfhundert Jahr' die Burgfräulein g'habt haben, wenn s' bei die Haar' zur Trauung g'schleppt worden sind?

Schnoferl. Nein, die kenn' ich nicht!

Gigl. Ich hab' die Empfindung, wenn ich an meine Heirat denk'.

Schnoferl. Kennst du die Empfindung, wenn man einen auf freiem Fuß sieht, der alle Ansprüche auf ein Extrazimmer im Narrenturm hat?

Gigl. Nein, die kenn' ich nicht!

Schnoferl. Ich hab' diese Empfindung, wenn ich dein' Diskurs anhör'! Du hast dich damals meucheln wollen, wie s' ein anderer kriegt hat.

Gigl. Und jetzt kruselt Selbstmord in mir, weil ich s' krieg'. Schnoferl, rett' mich vom Abgrund, sag' ihr, daß ich s' nit mag!

Schnoferl. Zu solchen Blasphemien lass' ich mich nicht mißbrauchen. Sag' ihr's selber!

Gigl. Das trau ich mich nicht. Im Gegenteil, wie ich ihr in d' Näh' komm', bitt' ich s' um Verzeihn, dulde Verlobung, dulde Kopulation, alles duld' ich und welk' dem Grabe zu, wenn ich nicht gar durch einen Gewaltstreich –

Schnoferl. Hörst, darin liegt doch kein Quintel Verstand.

Gigl. Aber ein zentnerschweres Gemüt. Schnoferl, rett' mich vom Abgrund! Ich hab' einst geglaubt, in der Frau von Erbsenstein mein Ideal zu erblicken, aber das war optische Täuschung.

Schnoferl. Und jetzt erscheint dir eine andere idealisch?

Gigl. So is es!

Schnoferl. Und diese Täuschung wird erst recht optisch sein. Wer ist sie denn, diejenige?

Gigl. Ein Mädl!

Schnoferl. Hör' auf! Von der Natur mit jedem Reiz verschwenderisch begabt, mit holdem Anmutszauber übergossen, doch hoch überragt die Schönheit ihrer Seele jeden körperlichen Vorzug, und weit über das alles strahlt noch ihr Herz in himmlischer Verklärungsmilde!

Gigl. Du kennst sie?

Schnoferl. Nein, aber die Ideal' schaun ja alle so aus. Notabene durchs Liebhaberperspektiv betrachtet, dem unbewaffneten Auge erscheinen diese Meisterstücke als gewöhnliche Dutzendfabrikswar' in gefälliger Form. Und was is sie denn?

Gigl. Sie hat allweil fleißig gestickt, und a Menge schmutzige Haub'n war'n im Quartier.

Schnoferl. Also a Stickerin, a Haubenputzermadl. Wie heißt s' denn?

Gigl. Thekla!

Schnoferl. Und mit 'm Zunam'?

Gigl. Um den fragt die wahre Liebe nie!

Schnoferl. Wo logiert s' denn?

Gigl. Sie logiert gar nicht, wenigstens für mich nicht mehr, sie is ausgezog'n.

Schnoferl. Wohin?

Gigl. Sie is heimlich aus'zog'n mit ihrer alten Mahm, oder wer sie war.

Schnoferl. A Mahm hat s' auch? Die G'schicht' wird immer obskurer.

Gigl. Es schwebt ein undurchdringliches, wahrscheinlich fürchterliches Geheimnis über ihrer Person. Mit vieler Müh' nur hab' ich Zutritt erhalten, es muß s' aber wieder g'reut haben; drum is sie fort aus dem Logis, aber der Grund –

Schnoferl. Is kein anderer, als daß s' dich nicht mag.

Gigl. Schnoferl, glaubst wirklich –?

Schnoferl. Die einen mögen, verschweigen ein' nie 's Quartier, wenn s' ausziehn, im Gegenteil, sie reden ein' noch sehr häufig um 'n Zins an.

Gigl (desperat). Also verloren!

Schnoferl. Sei froh und lamentier' nicht wegen so einem Mädl, geh hin zu der Frau von Erbsenstein, mach' sie wieder gut und genieße ein unverdientes Glück in ihren Armen.

Gigl. Is denn das wirklich a Glück mit der Erbsenstein?

Schnoferl. Freund, wiederhol' diese Frag' ja nicht, wennst bei ein' Fleischhacker vorbeigehst! Ich weiß nicht, für was er dich anschaut und was dir g'schicht. Sie is ja das Schönste, das Beste, das Himmlischste, was die Erde tragt! Nur dem Umstand, daß mein Alter um zehn Jahr' über »liebenswürdig« und meine Schönheit um zwanzig Grad unter »liebenswürdig« steht, hast du's zu verdanken, daß ich dir diesen guten Rat gib, sonst hätt' ich von deiner Dummheit profitiert und hätt' g'schaut, daß ich s' selber erschnapp'; denn wisse, Jüngling, ich glühe für die Erbsensteinin mit einer Glut, die ebenso intensiv als hoffnungslos is, und nur deswegen red' ich dir zu, weil ich dir sie eher als jedem andern vergönn'!

Gigl. Also, wenn's möglich wär', fischest du mir s' ab? Wie geht denn das mit deiner Freundschaft zu mir zusamm'?

Schnoferl. Freund, in dem Punkt gibt's keine Freundschaft und nutzet auch nix. Is eine zum Abfischen, so wird sie auch abg'fischt, und da is es immer viel besser, es fischt ein'm s' ein feindlicher Freund vor der Hochzeit, als es fischt ein'm s' ein freundlicher Feind nach der Hochzeit ab.

Gigl. Also glaubst, ich soll s' heiraten?

Schnoferl. Na, ob!

Gigl (mit Resignation). Meinetwegen, aber nur g'schwind, daß ich's bald überstanden hab'.

Schnoferl. Sie kommt!

Zehnte Szene

Frau von Erbsenstein. Kauz. Die Vorigen.

Kauz (mit Frau von Erbsenstein zur Mitteltüre rechts eintretend). Na, Gigl, da is sie. Ich hab' Wunder gewirkt zu deinem Besten, du brauchst jetzt nur ihren Zorn zu besänftigen, und sie is versöhnt.

Schnoferl. Ich hab' ihm g'sagt, er soll Ihnen gar nicht gut machen, gnädige Frau, denn wie kann man denn die gut machen, die ohnedies die Güte selber is. Übrigens kann ich versichern, er war krank.

Frau von Erbsenstein. Krank war er?

Schnoferl. Ja, so Beklemmung mit Entzündung.

Frau von Erbsenstein. Da hätt' er wenigstens schreiben sollen!

Schnoferl (zu Frau von Erbsenstein). Ich will ihn übrigens gar nicht verteidigen, denn vor einem so zarten Tribunal werden die Sachen nicht im Rechtsweg, sondern im Gnadenweg entschieden.

Frau von Erbsenstein. Wenn er seinen Fehler einsieht, wenn er bereut –

Schnoferl. Oh, Sie glauben gar nicht, was er schon alles bereut hat –

Frau von Erbsenstein. So bin ich nicht abgeneigt –

Schnoferl (zu Gigl). So red' was oder küss' wenigstens die Hand, du Gegensatz des Cicero!

(Gigl küßt Frau von Erbsenstein die Hand.)

Schnoferl. Jetzt g'schwind die Kontraktssachen in Ordnung gebracht!

Kauz. Komm, Gigl, daß ich dir die Beiständ' aufführ'. (Nimmt Gigl unter den Arm.)

Schnoferl. Und ich führ' die holde Braut.

Frau von Erbsenstein (zu Kauz und Gigl). Wir kommen gleich nach! (Zu Schnoferl.) Ich hab' noch was zu sprechen mit Ihnen.

Kauz (zu Gigl). Nur g'schwind! Sie warten schon. Das hast alles mir zu verdanken. (Mit ihm durch die Mitteltüre ab.)

Elfte Szene

Schnoferl. Frau von Erbsenstein.

Schnoferl (für sich). Sie hat allein mit mir zu sprechen! Jetzt, Schnoferl, sei standhaft, für dich blüht diese Blume nicht, drum handle als Freund und leiste Verzicht auf das, was du nicht erringen kannst! (Zu Frau von Erbsenstein.) Sie wünschen, Frau von Erbsenstein?

Frau von Erbsenstein. Wahrheit wünsch' ich, Wahrheit aus Ihrem Mund, ich hab' bereits eine Ahnung.

Schnoferl. Dann haben Sie auch alles, denn die größten Gelehrten haben von der Wahrheit nie mehr als eine Ahnung g'habt. Übrigens, welche Ahnung können Sie haben? Seit Erfindung der elastischen Strumpfbänder hat das aufg'hört, jetzt kann einem Frauenzimmer nicht einmal 's Strumpfbandl mehr aufgehn.

Frau von Erbsenstein (heftig). Also is er mir untreu gewesen?

Schnoferl. Wer sagt denn das? Die ganze Sache is eigentlich nicht der Müh' wert.

Frau von Erbsenstein. Keine Ausflüchte! Wenn Sie mein Freund sind, reden Sie!

Schnoferl. Das will ich auch. Sie sind eine zu gescheite Frau, als daß man Ihnen Ixe für Ue vormachen könnt' – drum –

Frau von Erbsenstein. Heraus mit der Sprach'! Was war's?

Schnoferl. Kinderei, Dummheit, Irrtum! Er hat in der Zerstreuung sein Herz für a Haub'n ang'schaut und hat's in Vorbeigehn zu einer Haubenputzerin geben.

Frau von Erbsenstein. Also ein Liebesverhältnis? Wart', du undankbarer Duckmauser – jetzt is es aus auf ewig.

Schnoferl. Aber, gnädige Frau, das is ja nicht so, wie Sie meinen! Sie legen viel zu viel Wert in die Sache! Es is nur so eine Mamsell Thekla, sonst hat s', glaub' ich, gar kein' Namen. Wenn es sich um so Mädln, Haubenputzerinnen, Nähterinnen, Seidenwinderinnen etc. handelt, da heißt dieser chemische Herzensprozeß nicht einmal »Liebe«, da wird das Ding nur »Bekanntschaft« genannt, und mit dem veränderten Namen entsteht auch in der Sache ein himmelweiter Unterschied. Bei der Liebe nur wird man bezaubert, bei der Bekanntschaft, da sieht man sich gern; bei der Liebe nur schwebt man in höheren Regionen, bei der Bekanntschaft geht man in einen irdischen Garten wohin, wo 's Bier gut und 's kälberne Bratl groß is; bei der Liebe nur heißt's: »Er is treulos, meineidig, ein Verräter!«, bei der Bekanntschaft heißt's bloß: »Jetzt hat er a neue Bekanntschaft gemacht.« Die Liebe nur hat so häufig einen Nachklang von Zetermordio-Geschrei der Eltern, bei der Liebe nur krampeln sich Familienverzweigungen ein in alle Fasern unserer Existenz, so daß oft kein Ausweg als Heirat bleibt; bei der Bekanntschaft wird bloß ein Zyklus von Sonntäg' – Maximum: ein ganzer Fasching – prätendiert, ewige Dauer is da Terra incognita, und lebenslängliche Folgen sind da gar nicht modern.

Frau von Erbsenstein. Sie sind also der Meinung, daß diese G'schicht' nicht unverzeihlich –?

Schnoferl. Ganz zur Milde geeignet!

Frau von Erbsenstein. Ja – wenn ich wüßte, daß er einsieht –

Schnoferl. Er sieht ein, daß er salva venia ein Esel war, und ich hoffe, er wird als wahrer Esel handeln.

Frau von Erbsenstein. Wie meinen Sie das?

Schnoferl. Er wird nie mehr einen Fehltritt tun, denn bekanntlich geht der Esel nur einmal aufs Eis.

Frau von Erbsenstein. Und im Grund – es is mancher, der noch ein viel ärgerer Hallodri war, nach der Hand doch ein recht guter Gatte und Vater geworden.

Schnoferl. Gewiß! Übrigens muß man das nicht immer so paarweis' aussprechen, denn guter Gatte und Vater, das trifft sich in praxi nicht immer so paarweis' als wie die Strümpfe oder die Ohrfeig'n beisamm'. Es ist sehr leicht, ein guter Vater zu sein; guter Gatte, das is schon mit viel mehr Schwierigkeiten verbunden. Die eigenen Kinder sind dem Vater g'wiß immer die liebsten, und wenn's wahre Affen sein, so g'fallen ein' doch die eigenen Affen besser als fremde Engeln. Hingegen hat man als Gatte oft eine engelschöne Frau, und momentan wenigstens g'fallt ei'm a and're besser, die nicht viel hübscher is als a Aff'. Das sind die psychologischen Quadrillierungen, die das Unterfutter unseres Charakters bilden.

Frau von Erbsenstein. Gut also, ich will großmütig sein, wiewohl die Männer es gar nicht verdienen, daß man –

Schnoferl. Warum sollen wir keine Großmut verdienen? Es gibt Fälle, wo wir auch unverkennbare Züge von Großmut entwickeln. Wir haben zum Beispiel a sekkante Frau, die uns nicht a Stund' ein' Ruh gibt, und wir wünschen ihr dafür die ewige Ruh! Wenn das nicht großmütig ist, nachher weiß ich's nit.

Frau von Erbsenstein. Auf diese Art allenfalls –

Zwölfte Szene

Nannette. Die Vorigen.

Nannette (eintretend). Gnädige Frau, der Kommis vom Juwelier is da.

Frau von Erbsenstein. Ich komm' gleich, er soll warten.

Schnoferl. Und ich geh' gleich, denn er wird auch warten.

(Frau von Erbsenstein spricht leise mit Nannette weiter.)

Schnoferl (für sich). Ich habe mit Selbstaufopferung zugunsten des Freundes gehandelt. Tröste dich, Schnoferl, mit dem Bewußtsein und denke: Die edelste Nation unter allen Nationen is die Resignation. (Verneigt sich gegen Frau von Erbsenstein und geht durch die Mitteltüre ab.)

(Nannette geht gleichzeitig in die Seitentüre ab.)

Dreizehnte Szene

Frau von Erbsenstein (allein).

Frau von Erbsenstein. Ja, ja, ich muß nolens volens nachsichtig sein. Wär' ich lieber vorsichtig gewesen und hätt' mein Jawort nicht so g'schwind gegeben! Das is schon so unser Los. Tritt unsereins diesem vertrakten Geschlecht auch mit noch so vieler Vorsicht entgegen, das Fazit is immer, daß man sich zur Nachsicht bequemen muß.

Lied

1
              Wir sind vorsichtig, wenn sich ein Liebhaber zeigt,
Und verbergen ihm's langmächtig, daß wir ihm geneigt;
Wir sein vorsichtig vor dem entscheidenden Schritt
Und erkundigen uns genau um sein' Konduite;
Wir frag'n vorsichtig nach, dort und da in der Stadt,
Ob er Liebschaften, Schuld'n od'r ein' Dusel oft hat.
Da erfahrt m'r allerhand und sagt: »Freund, es is nix!« –
»Ha!« schreit er, »du magst mich nicht? – Gut, augenblicks
Schieß' ich mir drei Kugeln in d' Herzgrub'n hinein!« –
Was bleibt ein' da übrig als nachsichtig sein?
2
Wir sind vorsichtig, wach'n üb'r d' Kassa als Fraun,
Daß wir sehn, wenn er heimlich ein Geld tut verhaun:
Wir sind vorsichtig, wenn wir ein' Mann hab'n, und schaun,
Wenn er ausgeht alleinig, ob ihm auch zu traun.
So kommt man ganz vorsichtig ihm auf die Schlich'
Und schreit dann: »Ha, Elender, so täuschest du mich!«
Da wird er kasweiß, verliert d' Fassung und schwört,
Es wird nie mehr geschehn, kniet sich nieder auf d' Erd' –
Na, jetzt, 's eigne Gewiss'n is just auch nicht ganz rein,
Was bleibt ein' da übrig als nachsichtig sein?

Repetitionsstrophe
Wir sind vorsichtig, wenn der Mann 's Podagra hat,
Damit er nicht in seine Launen h'nein g'rat't;
Wir schaun vorsichtig, daß er sein' Tee pünktlich kriegt,
Daß die Schlafhaub'n auf 'm nämlichen Platzl g'wiß liegt;
Wir sind vorsichtig, daß ka Speis' schlecht auf 'n Tisch kummt,
Weil er weg'n einer Einmachsoß vierzehn Tag' brummt;
Man laufet gern vorsichtig auf und davon,
's is nix G'schenkts, wenn die Zeit anruckt, wo so ein Mann
Statt der Zärtlichkeit kagetzt jahraus und jahrein:
Da bleibt wohl nix übrig als nachsichtig sein.

(Durch die Seitentüre rechts ab.)


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