Johann Nestroy
Das Mädl aus der Vorstadt
Johann Nestroy

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Sechste Szene

Kauz. Frau von Erbsenstein. Voriger.

Frau von Erbsenstein. Ah, Herr Schnoferl –

Kauz. Unser scharmanter Agent –

Schnoferl. A Diener, gnädige Frau, (zu Kauz) ebenfalls a Diener! Ich komm' Ihnen das zu wünschen, was Sie nicht brauchen, nämlich Glück, das haben S' so schon. Glück wünschen sollt' man einem Menschen, wenn's ihm schlecht geht, da hätt' 's Gratulieren doch ein' Sinn.

Frau von Erbsenstein. Oh, Freund, der Schritt, den ich jetzt tu', is so riskiert –

Schnoferl. Wie können Sie das sagen? Es is ja bei Ihnen nicht zum erstenmal, daß Sie heiraten, ein klarer Beweis, daß Sie den Ehestand überhaupt goutieren! Und dann sind Sie, aufs gelindeste ausgedrückt, der Inbegriff aller Vollkommenheit, er is ein lieber, guter Kerl, bei solchen Ingredienzen kann die Sache nur zum Glück –

Kauz. Ja, mit die Heiraten geht's oft wie beim Krapfenbachen: man nimmt alles mögliche dazu, und sie g'raten doch nicht!

Schnoferl. Aha? Und doch haben Sie mir oft Reprements wegen meiner langwierigen Jungg'sellenschaft geben.

Frau von Erbsenstein. Da hat der Onkel recht g'habt. Sie hätten sich schon lange eine Lebensgefährtin – und selbst jetzt noch, Sie sind immer noch ein Mann –

Schnoferl. Ja, ein Mann bin ich freilich noch, aber was für einer, nicht der, der ich war, und da bin ich viel zu g'scheit, als daß ich mir einbild', es wird sich eine reißen um meine beaux restes. Wenn sich einmal rote Nasen und Platten vereinigen, der Schönheit den G'nackstreich zu versetzen –

Kauz. Nur nicht zu bescheiden! Sie können noch immer auf das Beiwort »liebenswürdig« –

Schnoferl. Beiwort? Geben Sie sich keine so grammatikalische Blöße! »Liebenswürdig« ist im strengsten Sinn des Worts ein Zeitwort, weil es gänzlich der Abwandlung unterliegt: in der halbvergangenen Zeit heißt's »passé«, in der völligvergangenen »schiech« und in der längstvergangenen »grauslich«.

Kauz. Na, es muß ja nicht grad eine Venus sein; Sie wer'n schon eine finden in Ihrer Par –

Schnoferl. G'horsamer Diener, wenn eine mir nur halbwegs g'fallen soll, so muß sie ohne Vergleich schöner sein als ich.

Frau von Erbsenstein. Schau, schau, is der Schnoferl so heiklich!

Kauz. Dann müssen Sie auch bedenken, wenn Sie a Frau hätten, so wären Sie viel ein rangierterer Mann, denn Sie wären ein besserer Wirt.

Schnoferl. Ich bin gar kein Wirt, denn ich zehr' von meinem Eigenen, und das tut kein Wirt. Wenn ein Wirt was verzehren will, schaut er sich um was Bessers um.

Frau von Erbsenstein. Also kommen Sie nicht immer aus mit Ihrem Einkommen?

Schnoferl. Wie man's nimmt! Zwischen Auskommen und Einkommen is es schwer, das gehörige Verhältnis herzustellen, denn 's Geld kommt auf schwerfällige Podagrafüß' herein und fliegt auf leichten Zephyrflügeln hinaus. Übrigens geht mir just nix ab, außer dann und wann die dreitausend Gulden, die ich in einem vorlauten Anflug von Kapitalistengefühl (zu Kauz) bei Ihnen angelegt hab', die ich schon öfters gebraucht hätt', die Sie mir aber nicht bezahlen können, seitdem Sie um hundertzwanzigtausend Gulden b'stohlen worden sind.

Kauz. Oh, erinnern Sie mich nicht daran, das war –

Schnoferl. Ein harter Schlag! Daß Ihnen bei dem Schlag nicht der Schlag troffen hat, das is der schönste Beweis, daß Sie trotz Ihrer Korpulenz gar kein Talent zur Apoplexie haben. Hundertzwanzigtausend Gulden auf einmal! Wann ei'm s' so a Dieb noch ratenweis' stehlet, tät's nit so weh, aber –

Kauz. 's war grad, wie Sie wissen, der Anteil, den ich meinen Seitenverwandten von der in Empfang genommenen Erbschaft hab' auszahlen sollen. Die muß ich jetzt, so gut's geht, nach und nach befriedigen. 's is eigentlich ein Glück für die Leut', daß sie 's Geld nicht auf einmal bekommen, so können sie's nicht auf einmal durchschlagen. Sie kommen aber schon auch noch dran! –

Schnoferl. Ich bitt', ich hab's nicht deßtwegen g'sagt. Sie sind ja keiner von die, die sich durch eine Art Falliment bereichert haben.

Kauz. Im Gegenteil, ich hab' gar nichts und leb' bloß von dem Überfluß meiner Nièce.

Frau von Erbsenstein. Na, na, Herr Onkel, gar so arg –

Schnoferl. Ich hab' den ganzen Gegenstand nur berührt, weil ich auf der Spur bin, zu beweisen, daß damals unschuldigerweis' der Verdacht auf den armen Menschen, Ihren –

Kauz (schnell unterbrechend, halbleise zu Schnoferl). Da reden wir später davon, wenn wir allein – (laut) schauen S' lieber, daß Sie meine Nièce a bisserl aufheitern.

Schnoferl. Ja, ja, ich hab' früher schon bemerkt: eine kleine Sonnenfinsternis an dem Himmel dieser Seraphszüge, dieser Cherubsphysiognomie.

Frau von Erbsenstein. Keine Schmeicheleien, lieber Schnoferl!

Schnoferl. Von Schmeicheleien kann da nicht die Rede sein, wo die Wahrheit bei der knickrigen Sprache vergebens um Ausdrück' bettelt. Ich wollt', der Adelung lebet noch, ich versprechet ihm ein Trinkgeld, daß er mir Worte erfindet, die dieser Reize würdig wären.

Frau von Erbsenstein. Gehn S', wer'n S' nicht fad!

Schnoferl (für sich). Fad! Diese Silbe enthalt't dreitausend Maß Wasser für den Krater des hier tobenden Vulkans! (Aufs Herz deutend.)

Frau von Erbsenstein. Nicht mit Worten, mit Taten sollen Sie mir Ihre Freundschaft beweisen!

Schnoferl. Mit Taten? Ich bin bereit, mit Gefahr meines Lebens –

Frau von Erbsenstein. Nicht Ihr Leben, aber ihre Freundschaft zu meinem Bräutigam wird in Gefahr kommen. Sie müssen ihn verraten, mir sagen, wo er steckt, was er tut, was er treibt!

Schnoferl. Ich hab' gehofft, ihn hier zu Ihren Füßen zu finden, denn Männer sind immer zu Füßen, wenn sie auf a Hand spekulieren.

Kauz (schmunzelnd). Ja, ja, das is so unsere Art.

Schnoferl. Aber jetzt is es akkurat ungefähr beiläufig ein Monat, daß ich ihn nicht zu G'sicht kriegt' hab'.

Frau von Erbsenstein. Grad so lang is es, daß seine Besuche bei mir immer kürzer wer'n, immer –

Schnoferl. Hm, bei Ihnen is er also nicht, bei mir is er auch nicht – dieses Zusammentreffen von Umständen würde in Frankreich schon für einen Beweis gelten, daß er wo anders is.

Frau von Erbsenstein. Dieses Anderswo zu ergründen, ist Ihre Aufgab'.

Kauz. Aber, Nièce, sei doch g'scheit, wir Männer müssen ja alle a wenig austoben! Zum Solidwerden is ja noch Zeit.

Frau von Erbsenstein (zu Schnoferl). Sie müssen das Innerste seines Herzens erforschen.

Kauz. Ein Herz erforschen, is denn das a G'schäft für 'n Herrn Schnoferl?

Schnoferl. O ja, denn ich bin Winkelagent, und welcher Gegenstand in der Welt hat mehr Winkeln als das menschliche Herz?

Frau von Erbsenstein. Sie können ihm grad heraussagen, er braucht sich wegen meiner gar nicht zu genieren!

Nannette (zur Mitteltüre, meldend). Herr und Frau von Blümerl –

Frau von Erbsenstein. Schon gut, ich komm' gleich!

(Nannette ab.)

Frau von Erbsenstein (immer aufgeregter fortfahrend, zu Schnoferl). Es kost't ihm nur ein Wort, und er hat seine Freiheit wieder, und er soll ja nicht glauben –

Dominik (zur Mitteltüre, meldend). Frau von Stutzmann mit die Fräulein Töchter –

Schnoferl. Die Stutzmannischen Töchter –

Kauz. Jetzt rucken s' ein, die Gäst'-

Frau von Erbsenstein (ärgerlich zu Dominik). Auf was wart't Er denn? Ich komm' ja gleich!

(Dominik ab.)

Frau von Erbsenstein (immer aufgeregter fortfahrend, zu Schnoferl). Und er soll ja nicht glauben, daß sich eine Frau wie ich kränkt um einen Mann, der ihren Wert nicht zu schätzen weiß, nicht einmal ärgern kann sich so eine Frau wie ich –

Kauz (für sich). Das is schön von ihr, daß sie sich nicht ärgert!

Frau von Erbsenstein. Denn, Gott sei Dank, eine Frau wie ich hat nicht nötig –

Nannette (zur Mitteltüre, meldend). Die Bitzibergrische Famili!

Frau von Erbsenstein (sehr ärgerlich). Na, ja, sag' ich, ich komm' schon.

(Nannette ab.)

Schnoferl. Die Bitzibergrischen!

Frau von Erbsenstein. Nein, wenn die Gäst' wüßten, wie z'wider sie einem oft sind, es ließ' sich gar kein Mensch mehr einladen auf der Welt. (Mitteltüre ab.)

Schnoferl (indem er gedankenvoll der Frau von Erbsenstein nachblickt). Die Bitzibergrischen!

Siebente Szene

Kauz. Schnoferl.

Kauz. Jetzt sind wir allein, jetzt können wir eher von einer odiosen Geschäftssache –

Schnoferl. Na, Sie wissen, daß damals der Verdacht von dem Diebstahl auf ihren Geschäftsleiter oder Kassier, was er war, auf 'n Herrn Stimmer gekommen is.

Kauz. Er hat sich selbst diesem Verdacht preisgegeben, er is auf und davon, eh' noch eine Untersuchung – ich hab' damals die Sache zwar angezeigt, es is mir aber gar nicht eing'fallen, den Stimmer als verdächtig anzugeben.

Schnoferl. Ich hab' ihn nicht genau gekannt, aber immer als einen braven, rechtschaffenen Mann von ihm reden g'hört, so daß ich durchaus nicht hab' glauben können, daß er einen Kassaeinbruch – und wie ich mich schon um alles annehm', so hab' ich auch schon die ganze Zeit her immer laviert und sondiert, ob man nicht auf Umstände kommen könnt', die seine Unschuld beweisen.

Kauz. Was nehmen Sie sich aber um eine Sach' so an, die Ihnen im Grund' nichts angeht und die auch ganz zwecklos – der Stimmer is durch'gangen, man hat ihm nachgesetzt, aber sie hab'n ihn nicht kriegt. Er is also in Sicherheit, was weiter –?

Schnoferl. Was weiter? Rechnen Sie die verlor'ne Ehr' für gar so ein' klein' Verlust? Freilich, 's gibt Leut', denen die Ehr' nicht ganz zwei Groschen gilt –

Kauz. Ah, das wird wohl bei niemandem der Fall sein.

Schnoferl. O ja! Vorgestern spielen zwei in Kaffeehaus miteinander Billard, d' Partie um a Sechserl. Einer verliert etliche Partien, sagt er: »Ah, das kommt mir z' hoch, wir spielen s' jetzt bloß um die Ehr'«, ein Zeichen, daß der die Ehr' nicht ganz auf zwei Groschen taxiert.

Kauz. Sie Spaßvogel –

Schnoferl. Gehn wir aber gleich wieder aufs Ernsthafteste über! Der Stimmer hat eine Tochter, die folglich auch unter der verlornen Reputation des Vaters leiden muß.

Kauz. Mir hat er nie was von einer Tochter g'sagt.

Schnoferl. Weil er ein g'scheiter Mann war und Ihnen, ohne lateinisch zu können, doch ang'sehn hat, daß Sie ein Vokativus sind.

Kauz. Oh, Sie – Sie sind heut' sehr spaßig aufg'legt!

Schnoferl. Gehn wir gleich wieder aufs Ernsthafteste über! Er hat diese Tochter, wie er Wittiber wor'n is, noch als kleins Mädl zu einer Verwandten gegeben. Weiter hab' ich nix erfahren können, indessen bin ich doch hinter was anders gekommen.

Kauz. Sie haben den Namen Schnoferl wirklich nicht umsonst!

Schnoferl. Ein g'wisser Käfer, mit dem Sie in G'schäftsverbindung waren, der damals auch kurz nach dem Diebstahl von hier fort is, soll Reden fallen haben lassen, als ob er mehr wüßte über die Sach' –

Kauz (etwas betroffen). Käfer –?

Schnoferl. Ich hätt' ihm schon lang gern geschrieben, aber dieser Käfer kriecht bald dort, bald da herum, seine Geschäft' erlauben ihm keinen stabilen Aufenthalt.

Kauz. Is ein schlechter Mensch, dieser Käfer, sollen sich in nichts einlassen, ihm gar nicht nachforschen!

Schnoferl. Was fallt Ihnen ein? Im Gegenteil –

Kauz. Lassen wir das jetzt! Sie glauben nicht, die Erinnerung an diesen Gegenstand greift mir völlig die Nerven an.

Schnoferl. Das find' ich begreiflich. Um also auf was Lustigeres zu kommen, sagen Sie mir, Sie Spekulant, was haben denn Sie in der Bruckengassen herumzuspekulieren?

Kauz. In der Bruckengasse? Das is ja da draußten – Sie werden doch nicht glauben, daß ich Amouretteln in einer so entlegenen Vorstadt such'?

Schnoferl. Das tun ganz andere Leut' als Sie!

Kauz. Gott sei Dank, mein Glück in der eleganten Welt, mein feiner Geschmack –

Schnoferl. Deßtwegen! Die feinsten Fasan- und Austernesser gehn dann und wann wohin auf Knödl und a G'selcht's!

Kauz. Der Stadtgraben bildet die Grenze von meinem Herzensrevier', und noch nie hab' ich meine Leidenschaften über a Glacis getragen.

Schnoferl. Na, so hab' ich Ihnen verkennt, aber der Taille nach waren Sie's! Übrigens, Schönheit bleibt Schönheit, und wenn die Schönheit auch auf einem Grund wo draußt is, so is das noch kein Grund, sie gering zu schätzen. Auch unter die Spenserln schlagen die Herzen auf eine sehr beglückende Weise und auch die niedre Volée hat hohe Genüsse aufzuweisen.

Kauz. Wie der Herr Schnoferl das alles kennt! Ich kenne nur eine Sphäre, die noble, die elegante!

Schnoferl. Geben S' acht, daß ich Ihnen nicht einmal in einer anderen Sphäre erwisch' –

Kauz. Da bin ich sicher, ich vergiß mich nie!

Schnoferl. Insofern Sie Egoist sind, könnt' man das glauben, aber die Lieb' is der Punkt, wo sich auch die Egoisten dann und wann vergessen. Unter anderm aber, stark is das, daß der Gigl – ah, da is er ja!

Achte Szene

Gigl. Die Vorigen.

Kauz (zu Gigl, welcher zur Mitteltüre eintritt). Aber, Gigl, was machst denn für G'schichten?

Gigl. Is sie bös?

Schnoferl. Am Verlobungstag retardieren, was zeigt das für 'n Eh'stand für ein Tempo an?

Gigl. Is sie sehr bös?

Kauz. Welche Frau sieht sich gern vernachlässigt von uns?!

Gigl. Also is sie ganz bös?

Schnoferl. So bös is keine, daß s' nicht zum Gutmachen wär'.

Kauz. Ich hab' noch jede zurecht'bracht.

Gigl. Aber mit was?

Kauz. Mit Liebkosungen.

Schnoferl. Warum nicht gar!

Kauz. Ich mach's wenigstens immer so, und wenn ich zärtlich werd', da is jede weg!

Schnoferl. Oder wünscht wenigstens, weg zu sein! Gigl, wenn man verstimmte Frauen, notabene solche, die nicht auf Präsenten anstehen, umstimmen will, so g'hören zwei Stimmschlüsseln dazu: der eine heißt: Imponieren, der andere: Niederknien.

Gigl. Imponieren, wie tut man das?

Schnoferl. Da macht man ein finsters G'sicht, wirft einen strafenden Blick auf sie und macht ihr Vorwürfe für das, daß man gefehlt.

Kauz. So hab' ich's auch g'macht.

Gigl. Nein, imponieren kann ich nicht.

Schnoferl (zu Gigl). Wenn du das nicht kannst, so wandle den andern Weg, verkürze deine Gestalt um die Knie- und Fersendistanz, halt d' Händ' z'samm' und stottre die Zerknirschungsfloskel: »I werd's nimmer tun!«

Gigl. Das bring' ich eher z'samm', aber ich trau' mich nicht.

Kauz. Ich will dir's erleichtern. Ich red' vorläufig mit ihr, dann kommst du nachläufig dazu, und sie wird gut – nur auf mich verlassen, ich hab' ja ein' Art magische Gewalt über Weiberherzen, wirklich magisch! (Eilt zur Mitteltüre rechts ab.)


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