Johann Nestroy
Frühere Verhältnisse
Johann Nestroy

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Elegantes Zimmer im Hause des Holzhändlers mit Mittel- und Seitentüren

Erste Szene

Scheitermann. Josephine.

(Scheitermann tritt in einem eleganten Schlafrock aus der Seitentüre rechts, Josephine, ebenfalls im eleganten Negligé, folgt ihm.)

Scheitermann. Aber, liebste Gemahlin, Herzensweiberl, ich kann nix davor!

Josephine. Keine Entschuldigung! Ich hab' es nur dir zu verdanken, wenn ich am Ende ohne Dienstboten bin. Vorgestern hast du den Hausknecht fortgejagt –

Scheitermann. Weil ich eine Eigenschaft an ihm entdeckt hab': er war Zigarrendieb.

Josephine. Wegen ein paar elende Zigarren!

Scheitermann. Erlaub' du mir, Engel, meine Zigarren kosten 's Hundert fünfundzwanz'g Gulden, sind also nicht elend, und 's Elend besteht nur darin, daß die guten so teuer sind. Hätt'st du die Sali nicht weggegeben, wären wir in keiner Verlegenheit. Aber da war keine Ruh' – fort hat s' müssen, die Sali, und warum? – Weil –

Josephine. Weil du ihr die Wangen gestreichelt hast.

Scheitermann. Ich? Da wirst du dich irren.

Josephine. Ich hab' es selbst gesehn.

Scheitermann. Wie doch die Frauen immer nach dem Schein urteilen! Willenlose Handbewegung, unabsichtlicher Dienstbot', zufällige Durchkreuzung der Handbewegungslinie durch die übers Zimmer schusselnde Dienstbotenwange – da muß man nicht gleich eine Intention drin suchen wollen.

Josephine. O, deine Freundlichkeiten kennt man schon.

Scheitermann. Ich habe nie eine bevorzugt, ich bin mit alle Dienstboten gleich, (beiseite) wenn s' sauber sind.

Josephine. Hast du schon Kommission gegeben?

Scheitermann. Freilich, Engel, die Kräutlerin wird uns eine schicken.

Josephine. Wie ordinär! »Kräutlerin!« – Man bezieht die Domestiken jetzt aus anständigerer Quelle, man schickt ins Dienstvermittlungs-Comptoir.

Scheitermann. Und glaubst du, daß die aus 'n Comptoir besser sind? Möglich; wir haben aber von der Kräutlerin schon recht gute Dienstboten g'habt; so a Kräutlerin –

Josephine. Schon wieder! Mann, gewöhne dir endlich diese gemeine Redeweise ab! Was würde mein seliger Vater, der verstorbene Professor, sagen, wenn er von dort aus hören könnte, was er für einen ordinären Schwiegersohn hat!

Scheitermann. Ich weiß nicht, Engel, aber ich find', daß du heut' recht ein z'widerer Engel bist.

Josephine. Schweig! Du weißt, daß ich als Tochter aus einem guten Hause an Bedienung gewöhnt bin; wenn ich nicht in einer halben Stunde ein Dienstmädchen habe, so verlasse ich dein Haus und ziehe zu meiner Tante. – O, mein Vater Professor, warum mußtest du so früh sterben!

Scheitermann. Manchmal red'st, Engel, als ob ich ihn um'bracht hätt'; von mir aus könnt' er noch lang Professor sein.

Josephine. Jetzt zögre nicht, in einer halben Stunde längstens muß die Person da sein! Merk' dir das! (Geht durch die Seitentüre links ab.)

Zweite Szene

Scheitermann (allein).

Scheitermann. Prächtige Frau, saubere Frau, junge Frau, superbe Frau – aber mir g'schieht doch leichter, wann s' aus 'n Zimmer geht. Nicht etwan, als ob ich keine Inklination zu ihr hätt', o nein! Konträr! Sie hat nur einen für mich schrecklichen Fehler – sie is aus ein' guten Haus. Das geniert mich, das beengt mich, ich stich ab gegen sie. O, es ist etwas Unangenehmes, wenn man mehr in der Niedrigkeit is und man muß immer emporblicken zu der Stufe, auf der die Frau steht. Es tut ei'm moralisch das G'nack weh. Wenn sie erst wüßt', die überbildete Professorstochter, daß meine Eltern Schuster waren, daß ich selbst – (sich erschrocken umsehend) o Gott, wann's wer höret! – Hausknecht gewesen bin! Das sind die früheren Verhältnisse, und 's Fatalste bei die früheren Verhältnisse is, daß sie oft später aufkommen tun. Es wäre gräßlich! Jetzt werd' ich mich anziehn und unterwegs ein Glas Wein trinken – da vergiß ich's noch am leichtesten, daß ich a Frau aus ein' guten Haus hab'. (Geht durch die Seitentüre rechts ab.)

Dritte Szene

Peppi (allein).

Peppi (tritt während dem Ritornell des folgenden Liedes zur Mitteltüre ein; sie ist in sehr moderner, aber bereits abgetragener Toilette).

Lied
1.
        Theater! O Theater, du
    Der Kunst geweihter Tempel!
Raubst viel Geschöpfen Herzensruh' –
    Ich bin so ein Exempel.
Als Köchin lebt' ich ungetrübt,
    Da konnt' ich lachen, scherzen,
Die Herrn war'n alle in mich verliebt,
    Sonst hatt' ich keine Schmerzen.
Nur eins hat manchmal mich gequält:
    Sehnsucht nach der Theaterwelt!
2.
Ich tat den Schritt – doch welch Gewinn!
    Man zahlte keine Gage,
Auch blühte meinem Liebessinn
    Manch kränkende Blamage.
Liebhab'r und Helden war'n mir hold,
    Es sagte jed'r: »Ich schwöre
Dir Treu', und Treue zwar wie Gold« –
    Doch 's Gold ist nur Chimäre.
So hat in Liebe und in Geld
    Getäuscht mich die Theaterwelt.

(Nach dem Liede.)
Es ist ein ungeheurer Sprung von den Kehlheimer-Platten, wo der Maschin'-Herd steht, bis auf die Bretter, wo die Lorbeerkränze blühn; ich hab' ihn riskiert, um mich aufs höhere Drama zu werfen. Die »Jungfrau von Orleans« war meine erste höchst gewagte Leistung; der Erfolg war täuschend glänzend. Ich hab' dann allerseelentäglich dem Müller sein Kind gehustet und schmeichle mir, daß dieses hektisch aufgeschossene Kind noch von keiner so gehustet wurde. Ich habe als »Grille« Schatten geworfen, ich bin überzeugt, so einen Schatten bringt die Goßmann nicht zustande. Was hab' ich gehabt davon: Gagen zahlen war bei diesen Direktionen nicht üblich, und wegen mir konnte man nicht abgehen von diesem Grundprinzip. Es kommt weniger darauf an, was man leistet, als vielmehr darauf, wo man es leistet. Ich hab' es leider nie zu einer guten Bühne bringen können. Eine gute Bühne ist nämlich die, wo in jeder Loge ein Millionär und auf jedem Fauteuil ein Kapitalist sitzt; da hat man doch Hoffnung, die sich dann und wann zur Möglichkeit, manchmal sogar bis zur Aussicht steigert. Aber bloß auf Lorbeer reduziert sein, das kann einer eh'maligen Köchin, die den praktischen Wert der Lorbeerblätter nur als einen das Kuttlkraut kaum überragenden kennt, unmöglich genügen. Nein, ich kehre wieder zu den Fleischtöpfen Ägyptens, zu meinen früheren Verhältnissen zurück. Meine Fräul'n, die Professorstochter, die mich, so oft sie ihr Herz verschenkte, folglich unzähligemal, mit ihrem Vertrauen beehrt hat, ist im Laufe der Jahre eine junge Frau geworden – soll sie sich deswegen das Herz abgewöhnt haben? Eine Ahnung sagt mir, bei ihr kann ich wieder ein glücklicher Dienstbot' werd'n. Man kommt – sie ist's.

Vierte Szene

Josephine. Die Vorige.

Josephine (aus der Seitentür links kommend). Wer ist denn da –? (Peppi erblickend, für sich.) Ah – eine Dame! (Laut.) Zu wem wünschen Sie?

Peppi (beiseite). Sie kennt mich nicht – meine Toilette is zu fräul'nhaft. (Zu Josephine, ihr nähertretend.) Gnädige Frau –!

Josephine. Was seh' ich –!? (Sie erkennend.) Das ist ja die Peppi!

Peppi. Peppi Amsel, eh'mals Köchin beim Herrn Papa, dem seligen Professor, jetzt stabile erste Liebhaberin bei ambulanten Bühnen.

Josephine. Du bist beim Theater?

Peppi. Eigentlich nur noch, um es für immer zu verlassen; ich sehne mich in die gemütlichen früheren Verhältnisse zurück, drum war jetzt mein erster Weg zu Ihrer Frau Tant', und mein zweiter Weg is zu Euer Gnaden selbst, weil die mir g'sagt hat, daß Sie einen Dienstboten brauchen.

Josephine. Ich habe eine fortgeschickt, die mir in dem Grade mißfiel, als sie meinem Manne zu sehr gefiel.

Peppi. Nicht möglich!? – Kann man, einen Dienstboten auch nur bemerken, wenn man eine solche Gemahlin hat?

Josephine. Schmeichlerin, du kennst die Männer nicht.

Peppi (halb für sich). Jetzt könnt' ich auch Schmeichlerin sagen.

Josephine. Es ist mir doppelt lieb, daß gerade du – ich bedarf einer Vertrauten. Könntest du gleich hier bleiben?

Peppi. O freilich, das is prächtig! Sie sind jetzt meine gnädige Frau.

Josephine (seufzend). Ach, leider, Frau! Es war das unglückselige Flötenspiel, das mir nie hätte einfallen sollen. Wo sind die goldenen Zeiten der Freiheit! Und mein Mann hat große Fehler.

Peppi. Fehlerfreie Männer gibt's nicht, also heißt's entweder ledig bleiben oder einen nehmen mit die Fehler.

Josephine. Mein Mann besitzt für mich zu wenig Geist, er ist, offen gesagt, etwas dumm.

Peppi. Is er reich?

Josephine. Hast du je einen armen Holzhändler gesehen?

Peppi. Reich und dumm?! – Sie sind ja ein Glückskind!

Josephine. Er ist aber dabei auch rätselhaft, beinahe unheimlich. Trotz seiner Borniertheit kommt es mir vor, als verheimlichte er mir was.

Peppi. Was könnt' das aber sein?

Josephine. Ich kann mir nichts anders denken als ein Verbrechen.

Peppi. Ich krieg' eine Ganshaut!

Josephine. Er ist unruhig, meidet den Umgang, flieht die Bekanntschaften –

Peppi. Das haben wohl viele Verbrecher, aber –

Josephine. Und im Schlaf, im Schlaf!

Peppi. Schnarcht er vielleicht?

Josephine. Nicht immer.

Peppi. Übrigens kann das auch mancher Unschuldige perfekt.

Josephine. Er spricht häufig im Schlaf, nicht deutlich gerade –

Peppi. Aha, nur so? (Macht das Murmeln eines im Schlafe Sprechenden nach.) »Mnamnamnam!« Das heißt dann gewöhnlich: »Ah, das is eine Hitz', nicht zum Aushalten!«

Josephine. Es kann aber auch heißen: »Wenn es entdeckt wird, bin ich verloren.« Und mir hat es beinahe so geklungen. (Schaudernd.) Peppi, wenn er am Ende einen Mord –

Peppi. Nein, das gewiß nicht! Es müßt' nur sehr ein alter Mord sein, denn von die neuen is überall der Täter bekannt.

Josephine. Sei es was immer, du, meine erprobte Vertraute, mußt mir behilflich sein, das Geheimnis zu erforschen.

Peppi. O, spionieren, das is mein Fach!

Josephine. Und nun komm, hilf mir bei der Toilette; ich habe dir auch noch andere Dinge eine Menge zu vertrauen. (Geht mit Peppi durch die Seitentüre links ab.)


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