Richard Muther
Geschichte der Malerei. I
Richard Muther

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7. Das Ende des Monumentalstils

Außerhalb des stillen Klosters von San Marco bot eine Stadt wie Florenz keinen Raum für Mystik. Schon daß Fiesole, der Dominikaner war, nicht Scholastisches, sondern Mystisches malte, ist ein gewisser fortschrittlicher Zug, der auffällt. Florenz war der Boden, aus dem im 14. Jahrhundert die männlich-sachliche Kunst Giottos wuchs. So brachte es auch jetzt einen Künstler hervor, der zu Fiesole sich ebenso verhält, wie im 14. Jahrhundert der monumentale ernste Giotto zu den träumerisch weichen Sienesen. Giotto wiedergeboren und an dem Punkte einsetzend, wo damals der Tod seine Weiterentwicklung abschnitt – das ergiebt Masaccio. Masolino und er leiten die Giottoschule ins 15. Jahrhundert herüber.

Masolino hängt schon äußerlich – durch sein Schülerverhältnis zu Starnina – mit der Giottoschule zusammen.

Ein lebhafteres Wirklichkeitsgefühl, weniger Härte in den Köpfen und weniger Steifheit in den Bewegungen unterscheidet allein seine Fresken in San Elemente in Rom von den Werken anderer Giottisten. Die Figuren haben etwas unschuldig Reines, die ganze Art der Erzählung fällt durch ihre Einfachheit und Natürlichkeit auf.

1423 wurde er in die Malergilde von Florenz aufgenommen und erhielt den Auftrag, die im Jahre 1422 geweihte Kapelle der Brancacci mit Fresken aus der Legende des heiligen Petrus zu schmücken. An der Wand rechts hat er hier ein größeres Bild, das die Heilung des Lahmen und die Erweckung der Tabea vereinigt, am Pilaster rechts den Sündenfall, an der Fensterwand die Predigt Petri gemalt. Auch aus diesen Werken spricht ein Künstler, der aus der Giottoschule hervorgegangen, deren Stil leise zu verändern und zu beleben sucht. Im Hauptbild schreiten neben der ideal gekleideten Apostelgruppe zwei Florentiner in kokettem Modekostüm über die Straße. Das Verhältnis der Figuren zu den Baulichkeiten ist perspektivisch richtiger als bei Giotto. Das Nackte bei Adam und Eva ist eingehender als in früheren Werken behandelt.

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In seinen späteren Bildern hat er noch energischer nach Lebhaftigkeit des Ausdrucks und frischer, episodenreicher Schilderung gestrebt. Namentlich die Fresken aus der Geschichte Johannes des Täufers, die er 1428–35 im Baptisterium von Castiglione d'Olona malte, sind voll von lebendigen pikanten Zügen. Die Köpfe der Männer sind zum Teil Porträts. Bei den Frauen, die in Giottos Werken etwas Mürrisches, Hartes haben, tritt ein zartes Schönheitsgefühl, ein feiner Sinn für weltliche Anmut zu Tage. In dem Bilde der Taufe des Johannes hat er die nackten Körper der Täuflinge, selbst in schwierigen Stellungen, mit verblüffender Sicherheit gezeichnet. Rechnet man dazu die modernen Kostüme, diese kuriosen Mützen und kurzen Mäntelchen, diese Schleppen und prächtigen Stoffe, so hat man einen Künstler, der fast ganz mit dem Geschmack des Trecento gebrochen. Nur die starre, aus nackten Felsen zusammengesetzte Landschaft folgt noch dem alten Stil.

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Als Masolino 1425, einem Rufe nach Ungarn folgend, die Arbeit in der Brancaccikapelle abbrach, trat Masaccio in die Lücke ein, fügte am Pilaster links die Vertreibung aus dem Paradies, an der Altarwand die Almosenspende und den Krankenbesuch des Petrus, an die Wand links das Wunder vom Zollgroschen und die Auferweckung des Königssohnes hinzu. Und Masaccio wird nun als der eigentliche Begründer des neuen Stils gefeiert. Ob mit Recht?

Wohl enthalten auch seine Bilder eine Fülle neuer Elemente. Gegenüber diesem fliehenden Paar, dem der Engel mit gezücktem Schwerte folgt, scheinen noch Masolinos Akte ungeschickte Schemen. Auf dem Zinsgroschenbilde wurde der Petrus am Ufer, der sein Obergewand abgeworfen hat und zu dem Fische sich bückt, so daß ihm das Blut in den Kopf steigt, wegen seiner realistischen Natürlichkeit schon von Vasari hervorgehoben. Auf dem Bilde der Auferweckung des Königssohnes war die Figur des knieenden Jünglings wegen der sicheren Bewältigung des Nackten früh ein Gegenstand der Bewunderung und des Nachzeichnens. Wirken Masolinos Baulichkeiten noch mühsam konstruiert, so ist bei Masaccio ungezwungen das harmonische Verhältnis von Menschen und Räumlichkeit erreicht. Hatte Masolino als Jünger Cenninis noch an der starren Baumkuchenform der Felsen festgehalten, so werden bei Masaccio zum erstenmal die ruhigen Berglinien des Arnothales gegeben. Auch der Unterschied der Farbe verdient Beachtung. Bei Masolino hat sie noch den heiter rosigen Gesamtton, den Giotto liebte. Masaccio giebt ihr eine kräftigere Haltung, die nicht mehr den Eindruck gebleichter Gobelins, sondern den der Naturwahrheit erstrebt. Selbst ein äußerliches Merkmal pflegt als Kennzeichen seines Realismus betont zu werden: die Behandlung des Nimbus. Während im früheren Stil, noch bei Masolino, der Heiligenschein als unbeweglicher Kreis den Kopf der Figuren umgiebt, behandelt der Realist Masaccio ihn als wirkliche Scheibe, die wagerecht über dem Kopfe schwebend alle Bewegungen der Figuren mitmacht.

Die Frage ist nur, ob in diesen Dingen Masaccios Größe liegt, ob seine Werke als Paradigmen des Renaissancestils benutzt werden dürfen. Episodische Details, zeitgenössische Moden und Bildnisköpfe, wie sie so zahlreich schon bei Masolino vorkommen, werden mit Recht als Neuerungen des Quattrocento verzeichnet. Masaccio hat davon nichts. Der Gebrauch, den er von Bildnissen macht, ist sehr beschränkt. Kaum daß er sein eigenes Porträt unter den Aposteln anbringt. Im übrigen ist er weit von aller wörtlichen Uebersetzung des Modells entfernt: er veredelt, idealisiert, erhebt das Individuelle zum Majestätischen. Auch das zeitgenössische Kostüm erscheint selten, ist auf die Zuschauer, die Menschen beschränkt, während die Heiligen nach wie vor die antike Toga tragen, deren Faltenwurf er in einfacher Großartigkeit gestaltet. Sittenbildliche Episoden, augenfällige perspektivische Kraftleistungen kommen nicht vor. Er versteht wohl schwierige Probleme zu lösen, aber vermeidet sie lieber, um durch nichts die ruhig große Harmonie zu stören. Selbst als Landschafter bleibt er allen naturalistischen Einzelheiten fern, begnügt sich mit ernsten, majestätischen Linien.

Masaccios Größe liegt nicht in seinem Realismus. Sie liegt in der abgeklärten Ruhe, der grandiosen Einfachheit, dem stilvoll feierlichen Zug seiner Werke. Es ist, mit mehr zeichnerischem Können verbunden, noch immer der heroische Stil, wie ihn hundert Jahre vorher Giotto geschaffen hatte. Und wie er hundert Jahre später von neuem geboren wurde. Denn es ist kein Zufall, daß die Meister des Cinquecento gerade Masaccio zu ihrem Führer erkoren. Als damals die Reaktion gegen den naturfreudigen, in Einzelheiten schwelgenden Realismus des Quattrocento begann, strömten die jungen Maler in der Brancaccikapelle wie in einer Universität zusammen. Hier erhielt Michelangelo von Torregiani den berühmten Faustschlag, der seine Nase platt drückte. Hier fertigte Rafael jene Kopien, die er später in seinen römischen Bildern verwendete. Auch sie bewunderten in Masaccio nicht den Realisten. Sie bewunderten dasjenige, was er von Giotto in die neue Zeit herüber gerettet hatte: die hohe Getragenheit, die feierliche Monumentalität seines Stils.

Parallel mit Masaccio geht in dieser Hinsicht ein nordischer Meister, der wie ein ernster Patriarch aus einem versinkenden Zeitalter in eine neue Epoche hereinlebt: Hubert van Eyck. Dieselbe Bedeutung wie für die italienische Kunst die Brancaccifresken, haben für die nordische die Monumentalfiguren des Genter Altarwerks.

Wie Masaccio steht Hubert von Eyck als Techniker auf dem Boden der neuen Zeit. Namentlich ein Instrument hat er sich dienstbar gemacht, um den Eindruck der Naturwahrheit zu erzielen, den die neue Epoche verlangte: die Farbe. Jene hellen, bleichen, körperlosen Farben, wie sie die Aelteren verwendeten, hatten genügt, so lange rein visionäre Wirkung erstrebt wurde. Sie waren ungenügend, seit man auf wirkliche Illusion, auf frappante Naturwahrheit ausging. Daher ziehen sich durch das ganze Jahrhundert die mannigfachsten koloristischen Versuche. Teils weiß man die Mittel der alten Temperatechnik zu ganz neuer Leistungsfähigkeit zu steigern. Voll, kräftig, leuchtend, nicht in abgestimmter Harmonie, sondern in glitzernder Buntheit sind die Farben nebeneinander gesetzt, gerade in ihrem Widerstreit sich gegenseitig zu höherer Wirkung steigernd. Teils schafft man sich durch die Erfindung der Oelmalerei ein Organ, das noch schmiegsamer den neuen Intentionen folgte. Diese Technik zuerst in der Tafelmalerei verwendet zu haben, war die That des großen Meisters aus Maaseyck.

Wir wissen nicht, wo er hergekommen, können an keinen Jugendwerken seine Entwickelung verfolgen. Als er das Werk, mit dem sein Name für alle Zeiten verbunden ist, den Genter Altar begann, war er ein Greis von fast 70 Jahren und hinterließ es seinem Bruder zur Vollendung. Selbst inwieweit das Altarwerk, das wir heute kennen, dem Plane des ersten Meisters entspricht, ist daher fraglich. Nur das steht fest, daß die Tafeln mit Gottvater, Maria, Johannes und den musizierenden Engeln von Hubert herrühren.

Ganz erstaunlich ist die malerische Kraft, die sich darin äußert. Diese blauen, grünen und roten Mäntel, die in lodernder Glut die Gestalten umfließen, diese schimmernde, mit Diamanten, Perlen und Amethysten übersäte Tiara, dieses mit Edelsteinen geschmückte Scepter wie die schweren Brokatgewänder der Engel, die glitzernden Agraffen, das Glänzen des Eichenholzes und das Funkeln der Orgel hätte ein Früherer vergebens zu malen versucht.

Ebenso geht sein zeichnerisches Wissen über das Niveau der älteren Zeit hinaus. In wuchtiger Körperlichkeit sitzen die Gestalten da, keine ätherischen Spirits, sondern leibhaftige Wesen mit Knochen und Blut. Selbst den Engeln hat er das Schemenhafte genommen, sie auf den Chor der Johanniskirche versetzt, wo die Orgelklänge brausen, wo Geigen- und Harfenspiel ertönt.

Die Parallele mit Masaccio ist trotzdem richtig. Der Naturalismus, die Farbenpracht der neuen Zeit ist mit der Feierlichkeit mittelalterlichen Monumentalstils verbunden. So körperlich die Gestalten sind, schweben sie doch unnahbar über dem Irdischen. So gut gemalt und gezeichnet sie sind, denkt man weniger an das Quattrocento, als an jene ernsten Heiligen, die von strahlendem Mosaikglanz umflossen in der Apsis altchristlicher Kirchen thronen. Wie in Italien hatte es in den Niederlanden während des Mittelalters eine große Monumentalkunst gegeben, und ein Abglanz davon liegt in Huberts Werken. Machtvolle Erhabenheit, einfache Großheit, sakramentale Würde sind die Worte, die man vor seinen Tafeln gebraucht. Und wie verwandt sie darin den Werken Masaccios sind, zeigt auch die Wirkung, die sie auf die folgenden Geschlechter übten. Die Künstler des Quattrocento erinnerten sich Huberts van Eyck nicht mehr. Aber als die naturalistische Begierde gestillt war, als wieder die Sehnsucht nach dem Lapidarstil kam, stand vor dem Genter Altarwerk sinnend ein großer Deutscher. Vor Huberts Gott Vater sah Dürer die Vier Apostel.


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