Richard Muther
Geschichte der Malerei. I
Richard Muther

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4. Die Freskomalerei des späteren Trecento.

Nachdem Giotto der Malerei die Zunge gelöst, begann in ganz Italien eine ungeheure Thätigkeit. In Florenz bot die Kirche Santa Croce, wo Giotto seine letzten Bilder geschaffen, auch den Jüngeren ein reiches Arbeitsfeld. Gleichzeitig erhielt die Kirche Santa Maria Novella ihre Ausstattung. Siena, das lyrisch mystische Siena folgte ebenfalls dem episch gewordenen Zeitgeist, ließ seinen Palazzo publico mit Fresken dekorieren. In Pisa, der schlafenden, toten Stadt, enthält das Camposanto eine der gewaltigsten Bilderreihen mittelalterlicher Kunst. In Padua, wo Giottos Werk in der Arena den Sinn für monumentale Kunst geweckt, erprobten in der Kirche Sant Antonio und in der Kapelle San Giorgio nun auch einheimische Künstler ihre Kräfte.

Die hauptsächlichsten Namen sind: für Florenz Taddeo Gaddi, Giottino, Maso di Banco, Giovanni da Milano, Andrea Orcagna, Agnolo Gaddi, Antonio Veneziano, Francesco da Volterra und Spinello Aretino – für Siena: Simone Martino, Lippo Memmi, Pietro und Ambruogio Lorenzetti – für Padua: Altichiero da Zevio und Jacopo d'Avanzo. Pisa, das ein Hauptsitz der Plastik war, hatte außer Francesco Traini keine einheimischen Maler, sondern rief auswärtige zur Erledigung der großen Arbeiten herbei.

Zunächst fand, nachdem Giotto mit dem Christusleben, der Franziskus- und Johanneslegende vorausgegangen, nun die ganze Bibel, die ganze Heiligenlegende Bearbeitung. Die Geschehnisse des Alten wie des Neuen Testamentes und die Erzählungen der Legenda aurea wurden in demselben episch anschaulichen Stil geschildert, in dem die Predigten des Franziskus gehalten waren.

Dann trat der Dominikanerorden als mächtiger Faktor in das Kunstleben ein. Den Bettelmönchen, schlichten Männern des Volkes, gesellten sich die gelehrten Advokaten der Kirche, die Vertreter jenes Ordens, der seine Hauptaufgabe in der wissenschaftlichen Formulierung und strengen Aufrechterhaltung der reinen Kirchenlehre sah. Diesem starr gelehrten, streng scholastischen Geist entspricht die Kunst, die unter dem Schutze des Dominikanertums sich entfaltete. Während in den Franziskanerbildern nur ausnahmsweise Allegorien vorkommen, gewöhnlich der schlichte Legendenton gewahrt ist, handelte es sich hier darum, in lehrhaften allegorischen Darstellungen das System und die Moral des heiligen Thomas von Aquino, des scholastischen Dominikanerfürsten zu verherrlichen. Und erstaunlich ist, mit welch heiligem Ernst die Maler versuchten, auch diese ganz abstrakten, sinnlich kaum zu packenden Dinge in die Sprache der Kunst zu übertragen. In der berühmten Glorie des heiligen Thomas von Francesco Traini sollte die geistige Einwirkung, die der Heilige von verschiedenen Seiten empfangen und seinerseits auf die Gläubigen ausgeübt, symbolisch dargestellt werden. Traini thut es durch ein kompliziertes System von Strahlen, die auf Thomas fallen und von ihm ausgehen. In dem Freskencyklus der spanischen Kapelle in Santa Maria Novella war die kulturgeschichtliche Bedeutung des Dominikanerordens, sein wissenschaftliches System und strenges Hüteramt der Wahrheit darzustellen. Man sieht also um den Thron des Statthalters Christi Hunde (Domini canes) gelagert, wie sie des Rufes harren, sich auf die Wölfe (die Ketzer) zu stürzen; weiter Mönche, wie sie predigen, und sündige Seelen, die durch die Geistlichen bekehrt, ins himmlische Jenseits eingehen. Wie hier die praktische ist auf dem andern Bild die wissenschaftliche Thätigkeit des Ordens dargestellt. Der heilige Thomas sitzt auf gotischem Thron, zu dessen Füßen die überwundenen Ketzer Arius, Averroes und Sabellius kauern. Dann folgen, durch Frauengestalten personifiziert, die weltlichen und geistlichen Wissenschaften. Eine der Gestalten mit Erdkugel und Schwert soll die Majestät, eine andere mit Pfeil und Bogen die Schrecken des Krieges, eine dritte mit der Orgel die Musik bedeuten. Männliche Gestalten sind noch als Vertreter der allegorischen Begriffe beigegeben.

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Die ähnlichen politischen Allegorien, wie sie in Gerichts- und Ratsälen üblich wurden, sind auf den größten dichterischen Genius der Zeit, auf Dante zurückzuführen. Nachdem dieser das Ideal des Staatslebens definiert, konnte Ambruogio Lorenzetti von Siena seine Wandbilder des Palazzo publico malen, die halb sittenbildlich, halb allegorisch die Segnungen des guten, die Schrecken des schlechten Regimentes vorführen.

Teils auf Dante, teils auf die Lehren der beiden Mönchsorden gehen auch die symbolisch visionären Stoffe zurück, die neben den Allegorien aufkamen. Denn in dem Hinweis auf das Jüngste Gericht, auf Paradies und Hölle sahen diese Prediger das wirksamste Mittel die Gemüter zu erschüttern. Ein Bruder Giacomino da Verona beschreibt das Paradies als einen himmlischen Königshof. Die Patriarchen und Propheten, in grüne, weiße und blaue Gewänder gehüllt, die Apostel auf goldenen und silbernen Thronen, die Märtyrer, rote Rosen im Haar, scharen sich um den Ewigen, in nie getrübter Freude dahinlebend. Zur Seite Christi thront Maria, schön wie eine Blume, von den Engeln durch Harfenspiel und jubelnde Hymnen geehrt. Die Hölle wird als eine Stadt der Unterwelt beschrieben. Giftige Gewässer fließen durch sie hin. Ein Himmel von Metall überwölbt sie. Mit großen Stöcken hauen die Teufel auf ihre Opfer ein. Feuer sprüht aus ihrem Munde; wie die Wölfe heulen, wie die Hunde bellen sie. Dann gab Dante in der Divina commedia diesen Ideen die klassische Form. Nicht bloß die Gliederung des Jenseits in Hölle, Fegfeuer und Paradies, auch die Art der Verteilung und Abwägung der Strafen erhielt durch ihn die dogmatische Fassung.

Die Künstler folgten, indem sie den typischen Darstellungen des Jüngsten Gerichtes, wie sie schon früher üblich waren, ebenfalls umfangreiche Schilderungen des Paradieses und der Hölle zur Seite stellten. Namentlich Orcagna und der große Unbekannte des Pisaner Camposanto ragen durch Werke dieser Art hervor. Während in den byzantinischen Darstellungen des Jüngsten Gerichtes alles in lebloser Steifheit verlief, herrscht hier seelische Bewegung. Christus ist leidenschaftlich erregt, die Madonna Fürbitterin der Menschheit. Die Apostel folgen in angstvoller Spannung dem Vorgang. – Die Hölle ist als Durchschnitt eines unterirdischen Gebirges gedacht, dessen Felswände die verschiedenen Klassen der Sünder trennen. Satans Schreckgestalt nimmt die Mitte ein. Unter ihm lodern Flammen. Alle Arten von Martern erfüllen den Schreckensraum. – Von Jubel und Seligkeit ist das Paradies durchwogt. Gerade indem Orcagna hier jede Bewegung meidet, nur jugendliche Köpfe und strahlende Augen malt, die in leuchtendem Glanz auf den Betrachter blicken, erreicht er überirdische Wirkung: selbst der gewaltige Akt des Gerichtes kann die Seligen in ihrem himmlischen Frieden nicht stören.

Die Todesallegorien bilden gleichsam die Einleitung zu diesen Darstellungen des Jenseits. Hungersnot und Krieg hatte damals die Völker heimgesucht. Die Pest hatte ihren Triumphzug durch Europa gehalten. Man glaubte sich von Gottes Strafgericht verfolgt, hatte die Wahrheit der alten Lehre kennen gelernt, daß der Mensch jederzeit gerüstet sein müsse, vor den Richterstuhl des Höchsten zu treten. So entstand damals das Gedicht von den drei Toten, die den drei Lebenden in den Weg treten mit der ernsten Mahnung: »Was ihr seid das waren wir, was wir sind das werdet ihr«. Jacopone dichtete seine Lieder, worin er den Allgleichmacher Tod als die fürchterliche Macht besang, die plötzlich und tückisch ins blühende Leben eingreift. Das Gegenstück zu diesen Gedichten bildet der Trionfo della morte des Camposanto, von allen symbolischen Darstellungen des 14. Jahrhunderts wohl die bedeutendste. Denn nicht nur in der großartigen Gestaltung der Idee, auch an Naturbeobachtung geht dieser Meister über das Niveau der Schule hinaus. Hatte Giotto sich als Landschafter auf nackte Felsen beschränkt, so wird hier zum erstenmal die Natur im Schmucke der Vegetation gegeben. Ebenso imponiert die realistische Kühnheit, mit der er die zurückscheuenden Pferde oder bei der Bettlergruppe die Verkrüppelungen und Verstümmelungen malt.

Ueberhaupt sind gewisse stilistische Fortschritte, die über Giotto hinaus gemacht wurden, auch in manchen anderen Werken bemerkbar. Orcagna und die Sienesen ergänzen ihn in der psychologischen Analyse. Hatte Giotto starke Empfindungen in dramatischer Deutlichkeit interpretiert, so malt Orcagna auch feinere leise Gefühle, die verschwiegen ein halbes Traumleben führen. Ebenso halten die Sienesen auch im Fresko an ihrer heimischen Empfindung fest und gehen dadurch psychisch über Giotto hinaus. Statt des energischen Ausdrucks des Altmeisters herrscht bei ihnen mehr weiche Träumerei, statt ernster Leidenschaft milde Lieblichkeit, statt pathetischer Dramatik lyrisch empfindsame Zartheit.

Durch seine realistischen Hintergründe fällt der Meister auf, der die Fresken der Capella Spagnuoli schuf. Er zeichnet das einemal einen Garten mit Obstbäumen und bevölkert ihn mit jungen Leuten, die Früchte pflücken oder sich im Schatten ergehen. Das anderemal giebt er die Kathedrale von Florenz genau so, wie sie von den zeitgenössischen Architekten geplant war. Noch weiter gehen nach der realistischen Seite die Paduaner. Hatte Giotto in einfachem Reliefstil die Figuren nebeneinander gestellt, so versuchen die Paduaner schwierigere perspektivische Probleme. Die Bauwerke des Hintergrundes sind korrekter in den Größenverhältnissen, die entfernten Gestalten perspektivisch richtiger verkleinert. Auch die Charaktere sind individueller, mehr porträtartig gefaßt, die Tiere ebensogut wie die Menschen beobachtet. Namentlich die Wiederkäuer, den ruhigen langsamen Schritt der Ochsen haben sie in verblüffender Weise gezeichnet. Selbst das Nackte ist, wo es bei Martyrien darzustellen war, mit einer gewissen Naturkenntnis gegeben.

Von einer eigentlichen Entwicklung in realistischem Sinn läßt sich gleichwohl nicht sprechen. Wenn von einem Schüler Giottos, einem gewissen Stefano berichtet wird, er sei wegen seines naturalistischen Stils »Affe der Natur« genannt worden, so ist dieser Notiz ebenso bedingter Wert beizumessen wie dem Urteil, das Boccaccio über Giottos Naturalismus fällt. Richtiger kennzeichnet Dantes Commentator Benvenuto da Imola die Lage, wenn er zu den Versen Dantes, daß Giotto in der Malerei das Feld behaupte, noch 1376, also 40 Jahre nach Giottos Tod die Anmerkung macht: »Und wohlgemerkt, er behauptet es noch immer, da seitdem kein Größerer gekommen«. Wie während des Mittelalters der byzantinische, herrschte während des 14. Jahrhunderts der Giottostil. In der Erweiterung des Stoffgebietes, nicht in der Vermehrung des von Giotto angehäuften technischen Kapitals bestand die Entwicklung. Die Formen, die der Altmeister geschaffen, dienen den Malern dazu, nun den ganzen Gedankengehalt der Zeit in bildliche Anschauung umzusetzen. An die dunkelsten Allegorien, die phantastischsten Vorstellungen vom Jenseits, die Bearbeitung der gelehrtesten Kirchendogmen treten sie heran, wollen in das ABC der Form, wie es Giotto festgestellt, gleich die Unendlichkeit weltbewegender Ideen legen. An der technischen Vervollkommnung dieser Formen arbeiten Wenige. Die ganze Malerei war – wie in unserem Jahrhundert zur Zeit des Cornelius – das Produkt einer vorwiegend litterarischen Epoche, als die großen Denker und Dichter, Dante und Petrarka, die Geister beherrschten und auch den Künstler veranlaßten, sich nicht als Maler, sondern als Dichter seiner Werke zu fühlen.


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