Richard Muther
Geschichte der Malerei. I
Richard Muther

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2. Die Tafelmalerei unter dem Zeichen der Mystik.

Allein der Umstand, daß die Tafelmalerei, die bisher eine sehr bescheidene Rolle gespielt, jetzt tonangebender Faktor im Kunstbetrieb wurde, ist für den Umschwung des Gefühlslebens bezeichnend. Bei der Mosaikmalerei waren künstlerische Fortschritte und ein Beseelung der Gestalten schon durch die Entstehungsart der Werke ausgeschlossen. Der Maler konnte nicht unmittelbar sich aussprechen, denn er fertigte nur den Karton, wonach Handwerker das Mosaikbild bestellten. Jetzt tritt an die Stelle dieses unpersönlichen Stils, in dessen kaltem Material jede Empfindung versteinerte, eine neue Technik, die dem Meister gestattet, seine Gedanken ohne fremde Vermittlung niederzuschreiben, in flüssigen Pinselstrichen auch feinere Empfindungsnuancen zum Ausdruck zu bringen.

Trotzdem hat sich die Wandlung keineswegs schnell vollzogen. So sehr sich die Kunst bemühte, dem neuen Zeitgeist zu folgen, stand sie doch unter dem Bann einer tausendjährigen Tradition. Das byzantinische Schema herrscht zunächst noch vor. Nur ganz allmählich macht man sich frei. Die neue Empfindung sprengt die überkommenen Formen.

In der älteren Kunst war Maria gewöhnlich allein, mit betend erhobenen Armen, dargestellt worden. Seltener war das Thema der Madonna mit dem kleinen Christus, obwohl nach der Legende schon der Evangelist Lukas ein solches Bild malte. Aber auch dann wahrt Maria ihre hoheitvolle Starrheit. In steifer Vorderansicht sitzt sie, die willen- und gefühllose Trägerin des Gottessohnes, der – mehr ein verkleinerter Mann, ein Miniaturheros, als ein Kind – gravitätisch in ihrem Schoße steht, in der einen Hand als Zeichen seines Lehramtes die Schriftrolle haltend, mit der anderen feierlich den Segen erteilend.

Die ältesten Tafelbilder sind in nichts von diesen Mosaiken verschieden. Teils um an den Metallglanz des früheren Altarschmucks zu erinnern – bis zum 12. Jahrhundert war es Sitte gewesen, die Altäre lediglich mit kostbaren, aus Metall gearbeiteten Reliquiarien zu zieren –, teils wegen der Nachbarschaft der Mosaiken oder Glasgemälde mußten die Bilder einen möglichst glänzenden Eindruck machen. Die Figuren heben sich daher wie auf den Mosaiken von Goldgrund ab. Rot, Blau, Gold ist die durchgehende Note. Auch die Gestalten selbst haben die ernste Feierlichkeit byzantinischer Typen. Der Kopf der Madonna mit den großen geschlitzten Augen und der langen, spitzen Nase, die gleichgültige Art, wie sie mit ihren überlangen, knochigen Händen das Kind hält, ist hier und dort die gleiche. Dieses hat ebenfalls die greisenhaften Züge der byzantinischen Christkinder. Von irgend welcher Neuerung, einem gesteigerten Gefühlsleben ist nicht die Rede.

Erst mit dem Schlusse des 13. Jahrhunderts, in den Werken des florentinischen Malers Cimabue macht sich eine Aenderung bemerkbar. Der Jesusknabe wird kindlicher, freundlicher. Eine leichte Neigung des Hauptes der Madonna sagt, daß sie die Gebete der Menschen hört, ihnen Hilfe und gnädige Verzeihung erwirken kann. Anmut und Weichheit, ein menschliches Rühren beginnt die mürrisch harten Züge zu beseelen. In diesem Sinne schrieb Vasari, es sei durch Cimabue »mehr Liebe« in die Kunst gekommen.

Noch zarter als Toskana hat die stille Bergstadt Siena das Madonnenideal der Mystiker verkörpert. Die Sienesen sind die erste Lyriker der neuern Kunst. Wie sie einerseits ihren Bildern etwas Zierliches, Sauberes, eine Pracht der Farbe und der Vergoldung geben, die an Byzanz gemahnt, spiegelt sich andererseits in ihren Werken auch die ganze weiche Gefühlsseligkeit wieder, die erst durch Franziskus in die Welt gekommen. Betonte die byzantinische Kunst das Greisenhafte, so herrscht hier das Jugendliche, Liebliche, Graziöse. War dort alles starr und steif, so herrscht hier schlanke, biegsame Anmut. Es ist, als seien die steinernen Wölbungen der Kirchen plötzlich durchsichtig geworden, und man schaute hinauf in den wirklichen Himmel, wo zarte, ätherische Wesen, singend und den Höchsten preisend, in ewiger Jugend dahinleben und liebeverwandt zum Menschen herniederbücken.

Duccio, in der großen Madonna des Domes, gab die erste Anregung. Diese Maria ist nicht mehr streng und würdevoll, sie ist huldvoll und mild. Es ist, als hätte sie Mitleid mit der sehnenden Seele des Gläubigen, denn eine leise, träumerische Wehmut verklärt ihre Züge. Auch ihr Verhältnis zum Kind wird anders; nicht mehr als gleichgültige Gottesträgerin fühlt sie sich, sondern als zärtliche Mutter. Ambruogio Lorenzetti, der stille Poet, hat sie gemalt, wie sie innig ihre Wangen an die des Kindes schmiegt, hat sie dargestellt, wie sie ihrem Knaben die Nahrung reicht: mütterlich und doch magdhaft, stolz und doch schüchtern.

Ein ähnlicher Fortschritt von der Starrheit zur Seelenmalerei läßt sich bei allen Stoffen verfolgen. Nicht an den Hauptfiguren allein. Denn um die psychische Wirkung zu steigern, fügt man gern Engel und Heilige bei, in deren Freude und Trauer die Stimmung des Hauptvorganges harmonisch ausklingt. Früher verlief bei der Himmelfahrt Maria alles in frostiger Steifheit. Jetzt strahlt Dankbarkeit und himmlische Sehnsucht aus Marias Augen. Engel singen und musizieren. Jubelnde Festfreude durchwogt die Bilder. Bei der Krönung Mariä wurde früher nichts anderes dargestellt, als daß Christus, steif dasitzend, der ebenso bewegungslosen Maria eine Krone aufs Haupt setzt. Jetzt kreuzt sie demütig schwärmerisch die Arme, und der Heiland segnet sie. Heilige und musizierende Engel folgen in freudigem Erstaunen dem Vorgang. Wird die Verkündigung dargestellt, so bemüht man sich, die schüchterne Befangenheit Marias, den kindlichen Eifer des Gottesboten auszudrücken. Selbst die Krucifixe, früher Schreckbilder mit ihren plumpen, schwarzen Konturen und dem ungeschlachten, grünlich gefärbten Leib, bekommen eine weihevolle, still wehmütige Stimmung. Stumme Ergebung spricht aus den Augen des Erlösers. Klagend oder in melancholischem Sinnen stehen die Freunde da. Einer preßt die Hände an die Brust, ein anderer hebt sie in staunender Verehrung. Ein dritter bedeckt sein Gesicht und weint heiße Thränen. –

Die gleiche Entwicklung erfolgte im 14. Jahrhundert in Deutschland. Ja, die Ideale der Mystiker fanden hier vielleicht die reinste Verkörperung, weil träumerische Empfindungsseligkeit noch mehr im deutschen Gemüt als im Charakter des Italieners liegt.

Auch in Deutschland waren vorher – namentlich in Westfalen – nur Altarwerke von starr musivischem Stil entstanden. Die Haltung ist steif, der Ausdruck leblos. Eine streng stilisierte Zeichnung begrenzt die Formen. Die Augen, die Nasen, die Bärte, die Gewandfalten, die Flügel der Engel – alles macht, obwohl mit dem Pinsel gezeichnet, mehr den Eindruck, als sei es aus Steinwürfeln zusammengesetzt.

Darüber kam auch die Prager und Nürnberger Schule nicht weit hinaus. In Prag, das durch Karl IV. ein künstlerischer Mittelpunkt geworden war, arbeitete ein Meister Theodorich, der den specifisch mittelalterlichen Stil zu höchster Vollendung ausprägte. Alle seine Gestalten sind von finsterer Majestät und ernster Erhabenheit; die Köpfe mächtig, die Augen drohend, die Gewänder feierlich nach Art des musivischen Stils geordnet. Die Nürnberger möchten wohl dem neuen Zeitgeist folgen. Ihre Werke sind weicher als die der Prager, aber hausbacken und verständig. Die ernste Großartigkeit mittelalterlichen Stiles ist verloren gegangen, und den Ideen von hingebender Gottesminne, wie sie Franziskus erschlossen, vermochte man in der fleißigen Handelsstadt doch nicht ehrlich sich hinzugeben.

*

Köln, das heilige, von der Poesie uralter Geschichte umflossene Köln, wo im Laufe des Mittelalters der größte aller Dome entstand, ward auch für die Malerei das deutsche Assisi. Hier lebten im 14. Jahrhundert die großen Mystiker Albertus Magnus, Meister Eckardt, Tauler von Straßburg und Suso, Apostel der gleichen Lehre, die in Italien Franziskus verkündete. In Suso namentlich fand der seraphische Heilige einen wahlverwandten Nachfolger. Sein ganzes Leben ist ein ewiger Minnekampf, seine Verehrung der Madonna von fast sinnlicher Liebesglut. Herzlieb nennt er sie, bittet, daß sie seine Herrin werden möchte, weil sein junges, mildes Herz ohne Liebe nicht sein könne. Nach ihr sehnt er sich nachts und grüßt sie morgens. In der Maienzeit, wenn die Burschen ihren Mädchen Lieder singen, bringt auch er der Gebenedeiten sein Lied dar. Körperlich glaubt er sie vor sich zu sehen, in langem, weißem Gewand, einen Rosenkranz im goldblonden Haar; vernimmt Gesänge, als ob Aeolsharfen klängen. Die Bilder sind in die Malerei übersetzte mystische Visionen, blumenzarte, ätherische Träume frommer, erdentrückter Schwärmer. War Maria bisher eine ernste, erhabene Königin, so erscheint sie jetzt als holdselige Jungfrau im Liebreiz der Jugend, wie eine Prinzessin von einem Hofstaat sittiger Ehrenfräulein umgeben. Kleine Idyllen von sehr viel Zartheit treten an die Stelle des hoheitvollen Monumentalstils von früher.

Als der Begründer dieser neuen Richtung wurde bis vor Kurzem Meister Wilhelm genannt. Doch geht aus den datierten Monumenten hervor, daß in den Jahren 1358 bis 1372, als Wilhelm von Herle arbeitete, sich die kölnische Malerei noch in durchaus mittelalterlichen Bahnen bewegte. Die hart gezeichneten Figuren mit den eckigen Bewegungen und den plumpen Händen ähneln in nichts den schmächtigen Wesen mit der weich geschwungenen Haltung, die so typisch für die kölnische Schule sind. Der Schöpfer dieses neuen Stils wurde erst Hermann Wynrich von Wesel, der nach Wilhelm von Herles Tod dessen Werkstatt übernahm und dann von 1390–1413 das Kölner Kunstleben beherrschte. Von ihm, nicht von Meister Wilhelm rührt der berühmte Marienaltar her, der besonders deutlich das Erwachen der neuen Anschauungen zeigt.

Die Bilder sind nicht sämtlich von einer Hand. Die derben Passionsscenen der oberen Reihe scheinen die Arbeit eines Gesellen zu sein, der in der älteren Weise arbeitete. Wynrich malte die sechs mittleren Tafeln, worin die Kindheit Jesu in entzückender Frische erzählt wird. Auch er selbst hatte, wenn er später an bewegte, leidenschaftliche Vorgänge sich wagte, wenig Erfolg. Nur wo es um stille Madonnen, um milde Weiblichkeit sich handelt, ist seine frauenhaft zarte, lyrische Kunst am Platz. Der schmale, gebrechliche Leib seiner Jungfrauen, umflossen von wallenden Gewändern, tritt gänzlich zurück vor dem Eindruck der sanften, braunen Augen, aus denen die Sehnsucht nach dem Jenseits, die Sehnsucht nach dem himmlischen Bräutigam strahlt. Sinnend neigt sich das Köpfchen zur Seite. Schmal sind die Schultern, flach ist die Brust. In feinen ätherischen weißen Händen endigen die schwachen mageren Arme. Selbst die Männer, obwohl sie Bärte tragen, haben nichts von kraftvoller Männlichkeit. Sie blicken schüchtern und demütig, träumerisch wie Kinder in die Welt. Man denkt an die Lehren der Mystiker, die in einem gesunden Körper das schwerste Hindernis auf dem Wege zur Seligkeit sahen. Man erkennt aber auch, daß aus dieser Unterordnung des Körperlichen unter das Seelische alle Vorzüge dieser Kunst sich ergeben. Nur indem Wynrich alles Körperliche so zurücktreten ließ, vermochte er den Gefühlsausdruck, nach dem er strebte, so rein und ungetrübt zu geben. Die typische Aehnlichkeit der Gestalten, das feine Oval der Köpfchen, die gebrechliche Schlankheit der Körper – es dient dazu, in eine ferne Welt zu entrücken, wo alles anmutig und schön ist, die Gefühle zart und fein, in ein Paradies, wo keine Roheit, kein Mißton die große Harmonie, die himmlische Sphärenmusik stört.

Daß selbst die Landschaft zuweilen herangezogen wird, um die Paradiesesstimmung der Bilder zu steigern, ist ebenfalls den Lehren der Mystiker zu danken. Wie in Italien Franziskus, hatte in Deutschland Suso die Natur vom Fluche der Mönchstheologie befreit. Blumen, besonders Rosen, Paradiesgärten, in denen Madonna wandelt, kommen häufig in seinen Visionen vor. Er beschreibt das Paradies als eine schöne Au, wo Lilien und Rosen, Veilchen und Maiblumen duften, wo Stieglitze und Nachtigallen Tag und Nacht in herrlichen Weisen singen. Darum liebt es auch Wynrich, die Madonna im Freien darzustellen, auf blumigem Rasen, von zarten Jungfrauen begleitet. Bald kniet neben ihr die heilige Katharina, die sich mit dem Christkind verlobt, bald Agnes, die mit dem Lämmlein spielt. Andere lesen vor aus kostbaren Büchern, musizieren, pflücken Blumen, unterweisen das Christkind im Zitherspiel. Auch Ritter, schlank wie Mädchen, gesellen sich hinzu, um mit den Fräulein sittige Unterhaltung zu pflegen. Ringsum sproßt und grünt es, duftet und blüht es. In Werken der Art fand das Mittelalter der deutschen Kunst sein Ende. Es ist der letzte Klang aus jener Welt der reinen Harmonien, die Franziskus und Suso erschlossen hatten.


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