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Die Türken vor Wien

Jetzt bauen sie in Wien eine türkische Moschee. Was würde der lustige Pater Abraham a Sancta Clara dem geantwortet haben, der ihm anno 1880 ein solches Zukunftsbild an die Wand seiner Zelle im Wiener Augustinerkloster gemalt hätte? »Auf, auf, Ihr Christen, der türkische Säbel ist vor der Tür!« rief er der geängstigten Welt damals zu, und jedes Kapitel seiner flammenden Meisterpredigt hebt mit demselben Ausruf an. Auf, auf, Ihr Christen, schlagt ihn tot, den »muhammedanischen Bluthund,« rottet es aus das »osmanische Höllziefer,« war die Losung. Und nicht Worte genug hat die deutsche Sprache, das Ungeheuerliche einer drohenden Ueberflutung Europas durch die Türken zu schildern und die Greuel aufzuzählen, die die Söhne Muhammeds in der Welt angerichtet. Schon Sultan Soliman wollte anno 1529 den Stephansdom zu einer Moschee machen, wie die Agia Sophia in Konstantinopel, und jetzt drohte der Kara Mustapha wieder mit einer gleich großen Heeresmacht. »Auf, auf, Ihr Christen, und vereinigt doch einmal Eure so berühmten Waffen! Auf, auf, Ihr Christen, und dämpfet doch einmal die blutdürstige Tyrannei des Türken!«

So schmetterte der Wiener Hofprediger seinen Ruf in die Menge, und aus seiner Türkenpredigt wurde eine Flugschrift, aus dieser ein Buch, das alle Welt las.

Und die Gefahr war groß. Als Todfeind der Christenheit erschien der Türke zweimal vor Wien, diesem Bollwerk des Glaubens und der abendländischen Kultur, dieser weltberühmten Grenzstadt zwischen Orient und Okzident. Wenn dieses Bollwerk fiel, wenn der Stephansturm mit dem Halbmond gekrönt und Wien ein türkisches Paschalik wurde, dann war der Weg offen nach dem Westen, nach Deutschland. Unabsehbar waren die Folgen für die europäische Gesittung, wenn auch der Hochsitz der deutschen Kaisermacht der türkischen Hochflut erlag.

Aber Wien fiel nicht. Weder 1529 noch 1683 wurde es bezwungen. Im Gegenteil. Seine Not lohte wie eine Fackel durch ganz Europa und rief die Retter herbei; und von Wien aus vollzog sich die Rückstauung der asiatischen Völkerwelle bis in ihr heutiges Bett. Die Länder der ungarischen Krone, die schon eine hundertfünfzigjährige Türkenherrschaft hinter sich hatten, wurden wieder frei nach dem großen Tag vor Wien. Und dann nahm Prinz Eugen Belgrad und Serbien, drang bis Serajevo vor; ganz Bosnien lag ihm zu Füßen. Dort, wo Oesterreich heute seine Grenzen hat, stand es schon vor zweihundert Jahren. Es ist nichts so Neues, nichts so Unerhörtes gewesen, daß die Donaumonarchie jene einst türkischen Provinzen dem alten Oesterreich angliederte. Aber wenn Wien jetzt freiwillig eine Moschee baut für seine ehemaligen Todfeinde, für seine neuen Bürger, so prägt sich in dieser Tatsache eine Umwertung altüberkommener Anschauungen und Vorurteile aus, die zu einer Rückschau reizt in die Jahrhunderte.

*

Was weiß das heutige Wien noch von seinen Türkenzeiten? Von 1683 sehr viel! Nichts ist so populär und so allgemein bekannt in Wien, wie die großen Ereignisse jenes Jahres. Aber die unmittelbaren Zeugnisse von 1529, der Zeit der ersten Türkenbelagerung, sind äußerst gering. Wir wissen, wie die Stadt ausgesehen hat und wie sie befestigt war, denn die ältesten Pläne und Stadtbilder reichen auf achthundert Jahre zurück; aber außer den historischen Wiener Kirchentürmen von St. Ruprecht, St. Peter, St. Stephan, St. Michael und mehreren anderen hat wohl kaum ein heute bestehender Profanbau jene Tage gesehen. Wir dürfen vielleicht nur den ältesten Teil der Wiener Hofburg, den sogenannten Schweizerhof, der noch von den Babenbergern stammt, davon ausnehmen. Alles andere entstand im XVII. und XVIII. Jahrhundert, zur Blütezeit des Barock.

Blank und unverändert steht St. Stephan da im Wiener Stadtbilde. Nur sein Turm könnte uns heute noch erzählen von dem namenlosen Entsetzen der Wiener, als sie sich anno 1529 plötzlich von einem türkischen Heer von dreihunderttausend Mann eingeschlossen sahen. Er hat manchen Steinschuß in die Flanke bekommen von dem grimmen Soliman.

Aber sein Gedächtnis in türkischen Dingen reicht noch viel weiter zurück, bis in die Zeit, da sie in Europa einfielen, die Osmanen. Noch war Konstantinopel nicht in ihrem Besitz, als an der Seitenfront der Wiener Stephanskirche schon eine Kanzel gebaut wurde für einen berühmten Prediger, der einen Kreuzzug ins Werk setzte gegen die Türken. Wer um den Stephansdom herumgeht, dessen Außenwände überreich sind an historischen Denkzeichen, Grabsteinen, Inschriften und Bildwerken, der stößt an der nordöstlichen Seitenfront plötzlich auf einen gotischen Vorbau, über dem sich das Standbild eines Mönches, den ein Heiligenschein verklärt, erhebt. Er hält eine mit dem Kreuzeszeichen geschmückte Fahne in der Rechten. Die Fahnenstange stützt sich auf den Oberleib eines besiegten und verwundeten Mannes auf, dessen eine Hand krampfhaft einen Halbmond festhält. Nach beiden Seiten schießen strahlenförmig Roßschweife, türkische Fahnen, Bogen und Pfeile empor. Der Priester mit dem Heiligenschein triumphiert über sie, und die hoch über ihm schwebenden pausbackigen Engelein singen sein Lob.

Der gotische Vorbau ist die Kanzel des Johann von Capistran und über ihr erhebt sich schon seit zwei Jahrhunderten sein Denkmal.

Barfuß kam der berühmte Franziskaner im Juni 1451 nach Wien. Aber nicht ungerufen, denn der Bischof Aeneas Sylvius, der spätere Papst, der damals als Geheimschreiber des Kaisers in Wien lebte und dem wir die beste Beschreibung des mittelalterlichen Wien verdanken, bat ihn dringlich, zu kommen und zum Volke zu sprechen. Achtundzwanzig Tage predigte der heilige Mann in Wien. Vor zwanzigtausend und dreißigtausend Personen, die den Stephansdom umlagerten, sprach er gegen die Türken, die man wieder nach Asien zurückwerfen müsse. Und er warb zahllose Männer und Jünglinge für den großen Heerführer Hunyady, dem er eine Armee von sechzigtausend christlichen Streitern aus ganz Europa zusammenpredigte. So wie alle großen Prediger und Ordensstifter jener Tage, war auch Capistran ein Krieger, ehe er Mönch wurde und den Kampf mit geistigen Waffen führte. In der Pfarrkirche von Peterwardein, dem österreichischen Gibraltar an der unteren Donau, liegt er begraben, und nicht allzu weit davon, in Semlin, Hunyady. Sie starben beide an der Pest, und von ihrem Kreuzheer sah wohl keiner mehr die Stadt Wien.

Die Kanzel des Johann von Capistran, der später heilig gesprochen wurde, steht noch aufrecht im neuen Wien, und der Strom der Großstadt braust an ihr vorüber. Kaum daß einer ihr einen Blick gönnt.

*

Achtzig Jahre später waren die Türken so weit, daß sie den Plan fassen konnten, nach Wien zu ziehen und ihre Macht in das Herz Europas vorzuschieben.

Am 9. April 1529 brach Soliman II. mit einem Heere von sechzigtausend Mann und vierhundert Geschützen von Konstantinopel auf, um nach dem Westen vorzudringen. Wien war sein Ziel. Aber die kühne Kriegsfahrt verzögerte sich, Soliman traf erst am 20. Juli auf dem alten Schlachtfelde von Mohács ein, wohin er den ungarischen Wahlkönig Zapolya befohlen hatte, um ihm den Vasalleneid abzunehmen. Dann zog er aus, um Ofen für ihn zu erobern, was am 8. September vollzogen war. Der ehrsüchtige Zapolya hatte den Türken ins Land gerufen, um sich gegen das Haus Habsburg zu behaupten, und er eiferte ihn an, seine Winterquartiere in Wien zu beziehen. Ja, er geleitete ihn selbst dahin.

Sengend und brennend wälzte sich der mächtige Heereszug die Donau aufwärts; es fielen die westungarischen Städte Gran, Raab, Preßburg, Oedenburg, und am Morgen des 20. September blies der Türmer von Sankt Stephan durch sein Sprachrohr die Schreckenskunde in die Stadt hinab, die Türken wären da, es sei kein Tor zu öffnen. Die Bevölkerung stürzte nach den Wällen, um das niegesehene Schauspiel zu genießen. Schon wurden Zelte gebaut, die Janitscharenschwärme näherten sich der Stadt. Aber man hatte doch einige Tage Zeit, erst am 26. war die Einschließung eine vollständige, und man will an jenem Tage bei dreißigtausend türkische Zelte rings um Wien gezählt haben. Boten und Kuriere waren in den letzten Stunden nach allen Seiten ausgesandt worden. Kaiser Ferdinand I. hatte nicht verabsäumt, die »eilende Reichshilfe« aufzubieten zur Rettung von Wien. Daß der Druckfehlerteufel in einer amtlichen Verlautbarung aus der eilenden Reichshilfe zum Gaudium der Wiener eine »elende« machte erzählen alte Chroniken mit Behagen. – Wien bestand allein!

Soliman, der Ofen in drei Tagen eingenommen hatte, scheint falsche Vorstellungen von dem kaiserlichen Wien gehabt zu haben, denn er hatte sein schweres Geschütz in Belgrad zurückgelassen. Aber Wien war ein fester Punkt. Und ein alter, vielerfahrener Kriegsheld, Graf Niklas Salm, befehligte die Stadt. Das wehrhafte Bürgertum ward unterstützt vom ältesten Adel Oesterreichs; die Liechtensteine, Auersperge, Trauttmansdorff, Lamberg, Schwarzenberg, Starhemberg, Zedlitz und Wolkenstein standen im Vordertreffen, sie führten das Volk. Pfalzgraf Philipp befehligte die verhältnismäßig kleine österreichische Armee von zwanzigtausend Mann Fußvolk und zweitausend Reitern. Fünf große, schwere Stürme und sechzehn kleinere, örtliche Angriffe schlugen die Belagerten siegreich ab. Gleichwohl stand es schlecht um die Stadt, die alten Mauern und Ravelins waren solch einer Heeresmacht auf die Dauer doch nicht gewachsen, und man war auch sonst nicht vorbereitet auf eine längere Belagerung. Aber Soliman wußte das nicht, und er verzweifelte am Gelingen seines Unternehmens. Ein rauher Herbst brach herein, die Oktoberstürme fegten durch das Donautal, der Sultan sah einen Winterfeldzug vor sich, in dem sein Heer kaum bestehen würde. Auch die eilende Reichshilfe näherte sich …

So ordnete er am 14. Oktober einen letzten Generalsturm an, um die Entscheidung zu erzwingen. Es war ein Donnerstag. Am Freitag wollte er seinen Selamlik im Stephansdom halten. Das sagte er seinen Truppen. Ein furchtbares Kriegsschauspiel tobte den ganzen Tag, aber als der Abend über Wien herabsank, war kein nennenswerter Punkt im Besitz des Feindes. Daß Graf Salm tödlich verwundet und auch andere Führer kampfunfähig geworden waren, ahnte Soliman nicht. Er brach die Belagerung ab, und Wien war am 20. Oktober wieder völlig frei.

»Hab'n S' kein' Türken g'sehen?« fragten die munteren Wiener einer den andern, und dieses geflügelte Wort lebt noch heute im Volke. Fort waren sie, als ob sie die Erde verschluckt hätte. Als Soliman bei Ofen sein Heer musterte, fehlten ihm vierzigtausend Mann.

Eine ungeheuere Wut hatte sich seiner bemächtigt, und er zog nur heim, um einen neuen Heereszug gegen Wien zu rüsten. Vier Jahre später war er dann wieder unterwegs. Doch die heldenmütig verteidigte Stadt Güns hielt ihn zwanzig Tage fest, und mittlerweile hatte Kaiser Ferdinand Reichshilfe erhalten. Soliman kam nicht bis Wien, er begnügte sich damit, die Steiermark zu verwüsten. Aber als Greis noch unternahm er seine dritte Kriegsfahrt gegen Wien, so tief war sein Haß, so wichtig war ihm dieses Ziel. Theodor Körner, der in den Jahren 1812 und 1813, ehe er in die Befreiungskriege zog, hier seine glücklichsten Jahre verlebte und als jugendlicher Hoftheaterdichter wirkte, hat die weltgeschichtliche Episode dramatisiert, an der Solimans Absicht auch dieses Mal scheitern sollte. Niklas Zrinyi hielt den Großherrn bei Szigeth fest mit seiner ganzen Armee. Man setzte Trotz gegen Trotz, Heldenmut gegen Heldenmut, und so ging wieder die Zeit für das ferne Ziel verloren. Großsprecherisch läßt Körner den alten Soliman deklamieren:

»Ich rufe Dich zum letzten großen Kampf, Haus Oesterreich! Jetzt rüste Deine Fahnen, Held Soliman will siegend untergehn! Auf den erstürmten Mauern Deines Wien, die alte Schmach in Deinem Blute tilgend, verkünd' ich dem Jahrhundert mein Gesetz … Die Welt soll's wissen, daß der Löwe stirbt, und Wien soll ihm als Todesfackel brennen!«

Aber der Löwe starb, und Wien brannte nicht. Es blieb einhundertvierundfünfzig Jahre von einem weiteren Einfall der Türken verschont.

*

Was lebt in dieser alten Stadt noch von jenen Tagen der ersten Türkennot? Ein paar Waffen in den Museen, ein paar Steinkugeln, stolz eingemauert, wo sie trafen, und die Kriegsfahne der bewaffneten Wiener Bürgerschaft aus dem XV. Jahrhundert, die auch 1529 gegen die Türken im Winde flatterte. Geschwärzt und zerfetzt, durch kunstvolle Nähte zusammengehalten grüßt sie uns aus einem mächtigen Glasschrank des Städtischen Museums. Ein halbes Jahrtausend sieht da auf uns nieder.

Und ein herrliches Denkmal des Grafen Niklas Salm, von Karl V. und Ferdinand I. aus Dankbarkeit errichtet, gehört heute zum künstlerisch wertvollsten Schmuck der Votivkirche in Wien. Der Held starb an den Wunden des letzten Sturmtages. Dieses Kunstwerk eines Unbekannten, hinter dem man den Eichstätter Meister Leopold Kering vermutet, hat seine Geschichte. Es wurde in der Dorotheenkirche (dem heutigen evangelischen Gotteshaus) errichtet. Kaiser Joseph II. aber hob 1783 Kirche und Kloster auf, und so wie damals viele Schätze und historische Denkwürdigkeiten verworfen und verschleudert wurden, so war auch dieses Werk in Gefahr, in irgend einer Rumpelkammer zu verschwinden. Da zog es die Familie Salm an sich und stellte es in ihrer Patronatkirche in Raitz in Mähren auf. Hundert Jahre blieb es fern von Wien, in einem tschechischen Dorfe. Erst vor der zweihundertjährigen Gedenkfeier der Türkenbelagerung von 1683 fahndete man wieder nach dem berühmten Denkzeichen von 1529. Und jetzt setzte Wien seinen Stolz darein, das Grabmal des Grafen Niklas Salm zu besitzen. In der liebenswürdig-heiteren Votivkirche wurde eine eigene Salmkapelle geschaffen für das historische Kunstwerk. Es ist aus grauweißem Marmor und hat die Tumbenform. An den vier Seitenwänden ist es mit zwölf bewegten Schlachtenbildern in erhabener Arbeit geschmückt und mit Medaillonbildnissen von Zeitgenossen des Helden. Auf dem Deckel des Sarkophags kniet Salm in Lebensgröße, in voller Rüstung, anbetend vor dem Kreuz.

*

Munterer sprudeln die Quellen über das Jahr 1683. Von den 1387 Gebäuden der heutigen inneren Stadt – und nur unter dieser verstand man damals Wien – stammen noch etwa zweihundert aus dem XVII. Jahrhundert. Sie haben alle die bösen Tage miterlebt, und manch eines trägt noch seine Narbe. Wo eine Kugel hintraf, wurde sie festgehalten. Wo eine Türken-Mine unter den Kellern rechtzeitig entdeckt wurde, bildete sich ein Sagenkranz. Besonders interessante oder bedrohte Punkte erhielten ihre Gedenktafeln. Das erste Haus an der Löwelbastei (nächst dem Burgtheater), das ein Janitschar erstieg, wurde später durch eine Statue über dem Haustor gekennzeichnet und heißt noch heute das Türkenhaus. In der Sterngasse Nr. 3 bewahrt man einen neunundsiebzig Pfund schweren Stein auf, der laut Inschrift am 20. Juli 1683 aus einem türkischen Mörser ins Haus flog. Wo das Zelt des Kara Mustapha stand, wo die christlichen Heerführer sich versammelten, wo der Stadtkommandant Graf Starhemberg sein Observatorium hatte, wo der Bürgermeister von Liebenberg wohnte, wo der treffliche Spion der Wiener, Kolschitzky, später sein erstes türkisches Kaffeehaus errichtete – überall gibts Gedenktafeln. Wer allen Spuren von 1683 im neuen Wien nachgehen wollte, käme an kein Ende. Der Weg führt ihn bis zum Schädel und Totenhemd des Kara Mustapha, bis zur Blutfahne des Propheten im Wiener Stadtmuseum. Eine unendliche Literatur hat sich über das große Wiener Ereignis ergossen; Sitten und Gebräuche, Lieder, Anekdoten, Sagen und Denkmäler verherrlichen es, viele Gassennamen und örtliche Bezeichnungen gedenken seiner, das Wiener Kipfel (ein Kaffeegebäck in Halbmondform), der Witz eines Bäckers von 1683, hat Unsterblichkeit erlangt. Und wenn bei St. Stephan die große Glocke geläutet wird, die »Bummerin,« heult das Metall von einhundertachtzig türkischen Kanonen, aus dem sie gegossen wurde, über Wien hinaus bis in die Waldberge.

Von allen geschichtlichen Ereignissen, die auf Wiener Boden sich vollzogen, übt dieses noch heute den stärksten Zauber aus. –

Es war auch nichts Kleines. Der alte Traum Solimans, Wien niederzuzwingen und den Sitz des deutschen Kaisertums in ein türkisches Paschalik zu verwandeln, wollte nicht zur Ruhe kommen. Und Muhammed IV. suchte ihn endlich zu verwirklichen. Bis gegen Preßburg herauf erstreckte sich damals das türkische Schutzgebiet; warum sollte es sich nicht weiter ausdehnen lassen? Wieder rief ein ungarischer Vasall des Sultans, Graf Tököly, den Feind herbei und empfing dafür die Fürstenwürde. Muhammed selbst blieb in Adrianopel zurück, aber er schickte seinen Großwesir Kara Mustapha mit einem Heere von dreihunderttausend Mann gegen Wien.

Das Haus Habsburg hatte sich die Gunst der deutschen Fürsten durch die Gegenreformation arg verscherzt, und der Türke, von Tököly gut unterrichtet, rechnete damit. Vielleicht gelang der Vorstoß diesmal. Kara Mustapha war schon mitten in Ungarn, als Wien die neue Gefahr erkannte. Der Kaiser rief erst jetzt die deutschen Fürsten zu Hilfe, den Papst, den Dogen von Venedig, und man warb nach schwierigen Verhandlungen und um schweres Geld C. Guglia, Geschichte der Stadt Wien den polnischen Wahlkönig Sobieski zur Hilfeleistung. Indessen zog die kaiserliche Armee unter dem Oberbefehl des Herzogs Karl von Lothringen dem Feind entgegen, um Zeit zu gewinnen. Ihn ganz aufzuhalten mit diesen dreiunddreißigtausend Mann, daran war nicht zu denken. Zum Stadtkommandanten ernannte Kaiser Leopold I. den Graf Ernst Rüdiger von Starhemberg, während er selbst seine Residenz nach Linz verlegte. Und dieser säuberte zunächst die Stadt Wien von allen furchtsamen und unzuverlässigen Elementen. Bei fünfzig bis sechzigtausend Einwohner (ein Drittel der Bevölkerung) wurden durch seine strengen Maßnahmen verscheucht. Die Bürgerschaft, die Zünfte und Studenten wurden organisiert, und der Herzog von Lothringen, der sich nach vielen Gefechten langsam gegen Wien zurückzog, gab auch zwölftausend Mann ab an die Stadt. Dann rückte er in das Marchfeld jenseits der Donau und wartete auf die Reichshilfe und den Bundesgenossen aus Polen.

Doch die hatten es nicht so eilig wie Kara Mustapha, der am 13. Juli vor Wien anlangte. Man hatte kaum Zeit gehabt, die Vorstädte niederzubrennen. In wenigen Tagen war Wien eingeschlossen, die ländliche Bevölkerung im weiten Umkreis ermordet oder zu Sklaven gemacht durch den blutdürstigen Feind. Schon am 20 Juli machten die Belagerten ihren ersten Ausfall, schon am 23. flogen die ersten Minen der Türken auf, die Bresche legen sollten in die Befestigungswerke der Stadt. Die Studenten machten auf eigene Faust einen Ausfall und erbeuteten hundert ungarische Ochsen. Wiederholt mußte der Türke Waffenstillstand erbitten zur Beerdigung seiner Toten. Seine eigene Minierarbeit, die bis in die Stadt hinreichte, aber stets entdeckt und unschädlich gemacht wurde, kostete ihn tausende Menschenleben. In Wien selbst aber herrschte der beste Geist. Der Graf Starhemberg beobachtete vom Turm zu St. Stephan alle Bewegungen des Feindes und erspähte auch die der Freunde im Marchfeld drüben. Er war überall. Der Bürgermeister von Liebenberg hatte Macht über das Volk, und sein edles Beispiel wirkte Wunder. Er fuhr selbst mit dem Karren an zur Schanzarbeit. Der Bischof Kollonitsch war der geistliche Beherrscher der Stadt. Seine Milde und Hilfsbereitschaft, seine Allgegenwart bei den Kranken und Verwundeten wurden sprichwörtlich. Von den zwei lustigen Personen der Stadt war die eine, der Hofprediger Abraham a Sancta Clara, fern, in Graz; aber die andere, »der liebe Augustin,« ein Volkssänger und Musikant, sang täglich Spottlieder auf die Türken in den beliebtesten Kellerschenken. Man nahm die Sache in den ersten Wochen nicht allzu tragisch. Aber als auch der August ins Land ging, ohne daß eine Hilfe sich zeigte, da stieg der Verdruß und die Besorgnis. Sechzehn große Stürme hatte Wien zu bestehen, vierundzwanzig erfolgreiche Ausfälle machten die Belagerten, aber ihre Reihen hatten sich bedenklich gelichtet. Die Not stieg. Das Volk hatte schon die letzten »Dachhasen« (Katzen) verzehrt, und auch der »Heurige« war den Streitern längst ausgegangen. Die Ruhr war ausgebrochen in der Stadt, in jedem Hause wimmerten Kranke und Sterbende. Der September war da – und noch keine Hilfe!

Graf Starhemberg hatte einen geriebenen, weltläufigen Burschen zur Verfügung, den Kolschitzky. Er soll ein Serbe gewesen sein, hatte Jahre unter den Türken gelebt und redete ihre Sprache; der schwindelte sich, als Türke verkleidet, durch das Lager und drang, zu den Freunden jenseits der Donau. Er erhielt tröstliche Mitteilungen. »Nur Mut, wir kommen!« schrieb ihm der Herzog von Lothringen auf einen Zettel. Nach dem fünfzigsten Tag der Belagerung aber schickte Starhemberg einen letzten Hilferuf an den Herzog. Nichts stand auf dem Zettel als die Worte: »Keine Zeit mehr verlieren, gnädiger Herr, keine Zeit mehr verlieren!«

Wenige Tage später, am 8. September, gab der Herzog ein Feuerzeichen vom Kahlenberg. Drei Raketen schossen empor, und die Wiener verstanden das Zeichen. »Wir kommen!« hieß es.

Aber die Belagerten wären wohl verzweifelt, wenn sie gewußt hätten, wie schwer es war, ihnen Hilfe zu bringen. Nach den schwierigsten Unterhandlungen mit Sobieski über den Geldpunkt mischte sich auch dessen Frau in die Angelegenheit – die Einzelheiten sind dem Werke von V. v. Renner »Wien im Jahre 1683« entnommen – und verlangte in einem Briefe an den Kaiser Leopold für ihren Gemahl den Oberbefehl über alle Kaiserlichen und über die Reichstruppen. Man schlug es ab. Der Kaiser, der den wohlerwogenen Kriegsplan des Herzogs von Lothringen längst genehmigt hatte, wollte selbst nominell den Oberbefehl führen, um niemanden zurückzusetzen. Das verbat sich Sobieski. Er wollte der erste Mann sein im Lager. Ohne jegliche Kenntnis des Geländes, des Feindes und aller Kräfteverhältnisse, pochte er auf den Oberbefehl, nur weil er der einzige König war in dem Kreise der Fürsten. Diese weigerten sich, ihm zu gehorchen. Und es gab einen Kriegsrat im Tullnerfeld, der beinahe mit einer Schlacht unter dem Entsatzheer selbst geendet hätte. Während Wien verzweifelte, stritt man noch vom 3. bis 8. September um die Ehre des Oberbefehls.

Wer waren die Fürsten und Feldherren, die sich nicht fügen wollten? Karl V. von Lothringen, der Schwager des Kaisers und dessen Oberfeldherr, Sieger in vielen Schlachten, später der Eroberer von Ungarn; Kurfürst Max Emanuel von Bayern, ein militärisches Genie, später der Eroberer von Belgrad; Markgraf Ludwig von Baden, der kühne Sieger von Slankamen, der später nur noch der »Türken-Louis« genannt wurde, so volkstümlich war sein Heldentum. Neben ihnen standen gleichwertig der Kurfürst Johann Georg von Sachsen und der Fürst von Waldeck. Als Reiteroberst aber stand auch der junge Prinz Eugen von Savoyen schon bei den Kaiserlichen. In diesem Kreise ebenbürtiger Kriegshelden erschien der tapfere Jan Sobieski gewiß als hochwillkommener Bundesgenosse. Das Vertrauen aller aber genoß nur der Lothringer, nur er konnte der Führer sein. Doch dieser bescheidene Fürst schlichtete den Streit diplomatisch. Er ließ an Sobieski durch den Kaiser einen kostbaren Feldherrenstab senden, überließ ihm den Schein des Oberbefehls und gewann den Eitlen für seinen fertigen Schlachtplan. Im übrigen behielt jeder Fürst das Kommando über seine Truppen. Und so hatten sich im Marchfeld und im Tullnerfeld allmählich versammelt: siebenundzwanzigtausend Kaiserliche, zwölftausend Sachsen, elftausend Bayern, zehntausend Schwaben, Franken und andere Deutsche. Dazu stießen sechsundzwanzigtausend Polen (sechzehntausend Reiter). Im ganzen hatte man 38 000 Mann Fußtruppen und sechsundvierzigtausend Reiter. Die Polen bildeten genau ein Drittel des Entsatzheeres; die überwiegende Mehrheit waren deutsche Truppen, die ohne jegliche Nebenabsichten, nur in Erfüllung ihrer Pflicht, herbeigekommen waren.

Wie wenig Sorgen dem König Sobieski das Oberkommando gemacht haben mag, erhellt am besten daraus, daß er unaufhörlich Briefe an seine Frau schreibt. Er war nicht nur ein Kriegsheld, sondern scheint auch ein Pantoffelheld gewesen zu sein. Und diese Briefe sind heute die eigentliche Quelle für seine richtige Einschätzung. Tapfer mit dem Schwert, prahlerisch mit der Feder, durch und durch voll weibischer Eitelkeit. Und immer auf seinen Vorteil bedacht.

Auf den 12. September war die Schlacht angesetzt. Am Abend vorher bestiegen die Führer den Kahlenberg und nächtigten im dortigen Kamaldulenserkloster. Gleich beim Anblick des türkischen Lagers in der Tiefe erkennt Sobieski dessen Schwäche und schreibt es seiner Frau Gemahlin. Daß Kara Mustapha die Höhen hinter sich nicht besetzt hatte, erschien ihm unfaßlich. Um vier Uhr morgens hörten die Fürsten die Messe, Sobieski und der Herzog von Lothringen ministrierten dem berühmten Prediger Marco d'Aviano. Dann nahmen sie die Hostie. Und so begaben sie sich zu ihren Truppen. Von Nußdorf am Fuße des Kahlenbergs bis nach Dornbach und Hütteldorf hinüber rollten sie die Schlachtlinie im Rücken des Feindes auf. Der Herzog von Lothringen hatte den linken Flügel bei Nußdorf, der Fürst von Waldeck das Zentrum oberhalb der Währinger Türkenschanze, Sobieski führte den rechten Flügel von Dornbach heran, und sein Weg sollte in das Zentrum von Mustaphas Lager treffen, das bei St. Ulrich lag. Die Belagerten aber unterstützten das Entsatzheer durch Ausfälle beim Schotten- und Burgtor.

Der 12. September war ein Sonntag. Blutigrot stieg die Sonne aus den Donaunebeln empor, und die Schlacht begann mit dem Tage. Bald griffen alle deutschen Truppen in sie ein, und die Türken merkten, daß ein Schicksalstag für sie gekommen war. Sie wehrten sich wie die Rasenden. Die Sachsen nahmen die erste Türkenschanze, die Bayern und Badenser drangen mittags im linken Flügel bis zur Stadt selbst vor, bis zum Schottentor.

Schon acht Stunden währte der mörderische Kampf, und von den Polen noch keine Spur! Endlich nach ein Uhr mittags, brachen sie bei Dornbach aus dem Wald hervor. Aber sie wurden von dem wachsamen Kara Mustapha zurückgeworfen. Auch ein zweiter Angriff mißlang, ein Ulanenregiment floh, und der Fürst von Waldeck mußte mit vier deutschen Regimentern zu Hilfe eilen und einen kräftigen Flankenstoß ausführen, um den Polen Luft zu machen und ihre Verfolgung zu verhindern. Ein großes Unheil lag in der Luft. Erst beim dritten Angriff der Polen zeigte sich Sobieski, dessen Ruf als Reitergeneral ja groß war, selbst. Und seine vordem geflohenen Scharen ritten mit ihm in das türkische Zentrum.

Von drei Seiten umfaßt, wich der Türke und wendete sich, alles vergessend, panikartig zur Flucht. Um sechs Uhr abends war die Schlacht zu Ende, ein welthistorischer Sieg erfochten.

Unermeßlich war die Beute der Sieger. Die Fürsten überließen dem König Sobieski aus Artigkeit das grandiose Zelt des Kara Mustapha, ohne zu ahnen, daß es den ganzen Kriegsschatz enthielt. Auch beglückwünschten alle Fürsten den tapferen Sobieski. Es geschah aus Etikette, war er doch der König. Er aber nahm es als Huldigung auf und schrieb noch in derselben Nacht an seine Frau, daß er Wien befreit habe.

Etwa dreißigtausend Zelte hatte das Lager, dreihundertsiebzig Geschütze blieben zurück, zehntausend Ochsen, fünftausend Kamele, hunderttausend Metzen Korn, Berge von Kaffeesäcken. Zwei Millionen in Gold fand Sobieski im Zelt des Kara Mustapha. Alle Hungrigen konnten wieder gespeist werden. Nur mit dem Kaffee wußte niemand etwas anzufangen. Den bat sich Kolschitzky aus und lehrte die Wiener alsbald das Kaffeetrinken. Er errichtete später die erste Bude, in der türkischer Kaffee ausgeschenkt wurde.

Die Fürsten traten abends zusammen, entsandten den Grafen Auersperg als reitenden Boten an den Kaiser, der schon von Krems her unterwegs war, um ihm den Sieg zu melden. Die Stadt sollte keiner der Führer betreten, ehe nicht der Kaiser hier war.

Jan Sobieski aber hielt sich daran nicht gebunden. Er legte am nächsten Morgen festliche Kleidung an, sein junger Sohn kostümierte sich, um den Wienern zu schmeicheln, deutsch; so ritten sie, wie Guglia in seiner Geschichte der Stadt Wien berichtet, gegen die Verabredung, beim Ausfallpförtchen des Schottentores allein in die befreite Stadt. Und in jener Stunde wurde die Legende geboren, daß Sobieski der Befreier von Wien wäre, der Retter der Christenheit. Denn das vielgeprüfte, halb verhungerte Volk strömte herbei, küßte dem König die Füße, geleitete ihn nach St. Stephan und sang das Tedeum.

Alle offiziellen Persönlichkeiten ließen sich verleugnen oder nahmen nur widerwillig teil an der Huldigung, denn es war ausgemacht, daß die Sieger mit dem Kaiser ihren Einzug halten sollten. Aber diese Attacke des Königs gegen den Ruhm der Mitkämpfer war beinahe besser gelungen, als die gegen die Türken. Der Pole hatte durch sein Erscheinen die Phantasie des Volkes in Schwingung gesetzt für sich und seine Tat.

Am nächsten Tag, dem 14. September, erschien Kaiser Leopold. Der feierliche Einzug erfolgte. Aber Sobieski war davongeritten, er wollte nicht dabei sein, nicht hinter dem Kaiser stehen. Hatte er doch seinen Anteil schon vorweg genommen! Seine Truppen, die im ganzen sechshundert Mann verloren hatten, standen bei Schwechat, und dort erwartete Sobieski den Kaiser, damit er ihn besuche und ihm danke. Das geschah am 15. September. Ein Denkmal, ein vierzehn Fuß hoher Obelisk, der auf vier Türkenkugeln steht, bezeichnet die Stelle. Auch diese Zusammenkunft war voller Dissonanzen. Weil der Kaiser, der an die strenge spanische Etikette gebunden war, nicht auch dem Sohn des Sobieski die Hand reichte, war der König so gekränkt, daß er den Kaiser, nachdem man ein paar lateinische Redensarten gewechselt hatte, seinen Feldherren überließ und sich in sein Zelt zurückzog! Die unbändige Ehrsucht des Polen trübte sein Bild immer mehr; die deutschen Fürsten waren tief ergrimmt über ihn. Der Kurfürst von Sachsen derart, daß er mit seinen Truppen in aller Eile, ohne Abschied, von Wien fortzog. Erst unterwegs schrieb er an den Kaiser und entschuldigte sich. Und auch in allen andern blieb ein Stachel zurück gegen den König. Willig gestanden sie Sobieski den rühmlichen Anteil zu, der ihm gebührte, nicht mehr. Daß er ihr Führer oder gar der Retter gewesen sei, belächelten sie. Aber ein unwissender Mönch schrieb die Sobieski-Legende im Kloster auf dem Kahlenberg damals auf einen Kelch, und so wurde sie auch von der Kirche adoptiert. Und in dem Kirchlein auf diesem Wiener Berge sitzt heute ein polnischer Orden als deren Hüter. An jedem 12. September findet dort ein polnischer Gottesdienst statt. Die Befreiung Wiens durch Sobieski ist zur unzerstörbaren polnischen National-Legende geworden. Und auch in deutschen Gelehrtengehirnen spukt sie noch fort.

*

Wie hat Wien seine Helden geehrt? Wie das Andenken an die großen Tage der Türkengefahren festgehalten? Hundertfältig, in allen Formen, hat es diese Ehrung vollzogen. Man findet das große Denkmal auf den Befreiungstag in der Stephanskirche. Rüdiger von Starhemberg, dessen Geschlecht in den Fürstenstand erhoben wurde, hat sein kunstvolles Grabmal in der Schottenkirche; im Wappen seines Hauses aber prangt der Stephansturm für alle Zeilen. Der Bürgermeister von Liebenberg, der neun Tage vor der Befreiung an der Ruhr starb, erhielt sein Denkmal an der Mölkerbastei. Vor dem Wiener Rathause stehen die Standbilder von Salm, Starhemberg, Kollonitsch. Auf dem Heldenplatz hinter der Hofburg ragt ein Reiterstandbild, dessen treuherzige Inschrift an ein Volkslied gemahnt: »Prinz Eugenius, der edle Ritter,« steht auf dem Sockel dieses Denkmals. In den Zeremoniensälen der Wiener Hofburg selbst aber berichten uns die herrlichsten Gobelins von dem Ruhme Karls von Lothringen, dessen sämtliche Türkensiege auf diesen Geweben von unschätzbarem Wert in leuchtenden Farben bildlich dargestellt sind. Er zog mit den Kaiserlichen und den deutschen Reichstruppen von Wien südostwärts und wurde der Wiedereroberer Ungarns. Dieser Ruhm eines Ahnherrn des Hauses Habsburg-Lothringen wird treulich gehegt und gepflegt in diesen historischen Räumen. Nicht nur erheiratet, nicht nur ererbt wurde Ungarn, nein, es ist auch erobert worden und befreit aus hundertfünfzigjähriger Sklaverei durch das Haus Habsburg …

Auch Volksgestalten aus der Türkenzeit stehen in Wien auf hohem Sockel. Die Kaffeesieder setzten dem Kolschitzky, ihrem Ahnherrn, ein Standbild. Und der liebe Augustin ging nicht leer aus – er, der täglich seinen Rausch gehabt, wurde wie zum Hohn kürzlich auf einen Brunnen gestellt. Da steht er mit seinem Dudelsack, und man meint ihn noch sein heiseres Lied krächzen zu hören, das er in den schwersten Tagen sang, als der Türkenbelagerung die Pest folgte:

»Jeder Tag war sonst ein Fest,
Jetzt aber hab'n wir die Pest!
Nur ein großes Leichennest,
Das ist der Rest!
O, Du lieber Augustin,
Leg' nur ins Grab Dich hin,
O, Du mein herzliebes Wien,
Alles ist hin.«

Der Bursche war so gefeit gegen Ansteckung, daß er, als er eines Nachts betrunken in die Pestgrube fiel, dort bei den Toten seinen Rausch ausschlief und am nächsten Morgen wieder munter weiter wanderte.

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Noch hundert Jahre dauerten die Türkenkämpfe Oesterreichs, aber Wien selbst wurde nie mehr bedroht. Das Heer des Kara Mustapha, das vor Wien aufs Haupt geschlagen wurde, sammelte sich erst in Ungarn wieder zur Heimfahrt, und der besiegte Feldherr hatte siebzigtausend Mann eingebüßt, als er wieder in Belgrad erschien. Seine gesamten Geschütze waren vor Wien geblieben, seine Lagerzelte und sein Kriegsschatz. Muhammed IV. zögerte nicht, dem unglücklichen Großwesir die Seidenschnur zuzuschicken …

Im Türkensaal des historischen Museums der Stadt Wien ist ein prunkvoller Aufbau zu sehen, der wie ein Fanfarenklang anmutet. Hier ist alles vereinigt, was dem 12. September 1683 seine letzte Weihe gab: Die Fahne des Propheten schwebt über dem triumphalen Aufbau von Waffen und Trophäen, und im Zentrum steht die Vitrine mit dem Totenschädel des Kara Mustapha. Die rote Seidenschnur ist vielfach um das Postament des Schädels gewunden, das schlank ist wie ein gedrosselter Hals. Darunter das Totenhemd, über und über bedeckt mit weisen Koransprüchen, auf jedem Säumchen eine Mahnung an die Vergänglichkeit alles Glückes.

Prinz Eugen hat diese Reliquien, nachdem er Belgrad erobert hatte, einer dortigen Moschee entnommen und sie durch Jesuitenpaters nach Wien bringen lasten. Ihre Echtheit wurde zuerst bezweifelt, ist aber dann bestätigt worden, und heute glaubt jedermann an sie.

»La il ahilla allahu Muhamed asul allahi« – Es ist kein Gott außer Gott und Muhammed ist der Gesandte Gottes – steht auf der mächtigen, weit ausgespreiteten Fahne zu lesen.

Wien hat es 1529 und 1683 abgelehnt, sich zu diesem Glauben zu bekennen, heute aber baut es freiwillig eine Moschee und duldet auch dieses Bekenntnis in seiner Mitte. Ein halbes Jahrtausend mußte vergehen, ehe dies möglich war.


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