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Donaufahrt in unsere Kulturgeschichte

Sie kommt langsam in die Mode, die goldene Wachau, sehr langsam. Aber immerhin; wer heute die Donau herabfährt gegen Wien, findet das Bild doch schon ein bißchen bewegter als vor zehn und fünfzehn Jahren. Das große Postschiff zwar ist schwach besetzt, der Fremdenstrom von Passau herab fließt dünn. In einer kleinen Gesellschaft von Ausflüglern, deren österreichischer Typus unverkennbar, wimmeln drei Engländer und ein paar reichsdeutsche Mittelschullehrer mit Familie herum, die den Nibelungenstrom doch auch einmal befahren haben wollen und die ohne Unterlaß Vergleiche mit dem Rhein anstellen. Die Engländer mit dem rotgebundenen Baedeker, die Deutschen mit dem braunen Meyer in Händen, die Oesterreicher größtenteils ohne Behelfe. Sie tun, als ob sie auf der Donau zu Hause und der Belehrung nicht bedürftig wären. Und es ist auch nicht zu leugnen, daß die Donausagen und die Geschichte des Donautales heute zu den geläufigsten Kenntnissen weiter Volkskreise zählen. Dafür ist schon viel geschehen. Die unvergleichliche Romantik der Donaulandschaften namentlich ihres Mittelpunktes, der Wachau, hat redlich mitgeholfen, die Phantasie der Menschen zu beschäftigen und ihren historischen Sinn zu wecken, und jeder halbwegs gebildete Oesterreicher kann dem Fremden auf den Donauschiffen heute den Führer machen. Und er tut es auch. Ich habe auf dem Linzer Postschiffe einen Geistlichen gesehen, der jeden Fremden aufspürte, sich vorstellte und ihm die Reize der Landschaft erklärte. Daß sich die anderen Oesterreicher nicht sehr bemühten, kam nur daher, weil zu wenig Fremde anwesend waren und der muntere Geistliche sie alle allein zu beschäftigen wußte. Leider stieg er in Krems ans Land.

Ein lebhafterer Verkehr ist auf den Lokalschiffen, die teils von Grein herabkommen, hauptsächlich aber von Melk bis Krems verkehren. Solch ein zuerst ganz spärlich besetztes Schiff füllt sich und wechselt seine Fahrgäste von Haltestelle zu Haltestelle und die Mehrzahl derselben sind Touristen. Der Verkehr zwischen den seßhaften Wachauern ist gering, er beschränkt sich auf den Sonntag; lebendiger ist derjenige von Sommerfrische zu Sommerfrische, von den Tälern des rechten Ufers nach denen des linken und umgekehrt. Und überall mischen sich in dieses hellfarbige Sommerbild der bunten Toiletten die sehnigen Gestalten der Bergsteiger, Fußwanderer und Radfahrer, die zumeist in Lodenjoppen und Wadenstrümpfen auftreten, nicht selten mit dem Rucksack angetan. Man fährt nicht mehr teilnahmslos die Donau herab und glaubt alles gesehen zu haben, was diese herrliche Landschaft bietet, nein, man spürt heute ihren besonderen Reizen nach und erschließt sich auch die einzelnen Täler. Daß hinter diesen Donaubergen auch noch Leute wohnen, hat man ja lange nicht glauben wollen; alles schweifte in die Ferne und übersah den ungehobenen Schatz in der Heimat, in der engsten, niederösterreichischen Heimat.

Sollte sich das nun ändern? Man wagt beinahe, es zu hoffen, wenn man in diesen schönen Sommertagen ein paar Donaufahrten macht. Allzu kühn darf man diese Hoffnungen freilich nicht stimmen und an das Leben auf anderen deutschen Strömen darf man auch nicht denken. Denn die Tatsache, daß die Donau ein Bergstrom ist, wird sich durch nichts überwinden lassen. Es gleitet sich schön dahin auf der Talfahrt im Donaubette, vorbei an den hochragenden Denkmalen ferner Zeiten, umweht von den Erinnerungen von zwei Jahrtausenden. Und wenn man sich den historischen Leitgedanken dieser Fahrt im Vorhinein eingeprägt hat und weiß, daß am rechten Ufer der Donau das römische Reich seine äußersten nördlichen Vorwerke aufgeführt hatte gegen die germanischen »Barbaren,« die auf dem linken Ufer hausten und lange vergeblich hinüber strebten, erhält diese Fahrt ihren eigenen geistigen Reiz. Ein perspektivisches Bild aller menschlichen Kulturkämpfe rollt sich vor uns auf, wie auf einer riesigen Wandeldekoration, und wer nur ein bißchen Phantasie hat, der sieht im Geiste die römischen Flottillen von Arelape (Pöchlarn), Namare (Melk) und Mutara (Mautern) am Werke, er sieht die Nibelungen, die Kreuzfahrer und die deutsche Kaufmannswelt des Mittelalters diesen Weg nach dem Osten ziehen, bedroht von beiden Ufern, ausgeplündert von den trotzigen Raubrittern, die das Erbe einer alten hohen Kultur in den Staub getreten hatten. Ungehemmt arbeitet die Phantasie bei der raschen Talfahrt und die Wandelbilder schwinden dahin wie ein schöner Traum. Lähmend aber ist die Bergfahrt und man meidet sie. Zehn Stunden von Wien bis Melk, das ist ein bißchen viel. Diese Bergfahrt hat aber doch auch ihre besonderen Reize. Wer ein paar Tage gar nichts auf der Welt zu tun hat und sich so recht ausfaullenzen will in herrlicher, staubfreier, stellenweise schneidiger Luft; oder wer seine Freude an der Besiegung von Hindernissen, an dem Kampfe mit dem gewaltigsten Element hat, der mache ein paar Bergfahrten auf der Donau, wenn sie hochgeht, und er wird reich belohnt sein. Er ist mit Küche und Keller in guter Hut, hat die größte Bewegungsfreiheit und kann landen, wo es ihm am besten gefällt, um erst mit einem nächsten Schiffe weiter zu fahren.

Wenige Menschen schwingen sich dazu auf. Und auch im engeren Verkehr der Wachau fehlt ein reizvolles Bild anderer Ströme: das Begegnen mit Schiffen, das Begrüßen und Tücherschwenken wohlgemuter Reisender oder Ausflügler. Ein klein wenig wird es freilich schon ersetzt durch den Lokalverkehr der Wachauer Dampfer und die Aufmerksamkeit, die die Sommerfrischler an den beiden Ufern den Schiffen zuwenden. Von ferne schon leuchten die bunten Sonnenschirme und die hellen Kleider der Damen, die sich am Landungsplatze versammeln, wenn das Schiff kommt, und es ist eine vortreffliche Idee der Gemeinden und Verschönerungsvereine, schöne schattige Plätzchen mit Ruhebänken in der Nähe der Landungsstege einzurichten. In Weißenkirchen, in Aggsbach und Spitz, in Dürnstein und Rossatz war das Ufer belebt von schönen Sommerfrischlerinnen und namentlich in Spitz ist in reichstem Maße gesorgt für die Entwicklung und die Freuden des Strandverkehrs. Eine ganze Reihe von Bänken, mit dem Ausblicke auf den Strom, steht dort im Uferschatten. Noch waren nicht alle Bänke besetzt, denn die Saison war noch nicht auf der Höhe, aber es schien doch recht munter zuzugehen. Und so wie hier sieht man überall den Ansatz zu einer kleinen Lästerallee an den Landungsplätzen. Da und dort flatterte eine schöne Wienerin auch schon in der kleidsamen Tracht der Wachauerinnen einher, die im Volke selbst leider nur von den älteren Generationen getragen wird. Es stand ihnen reizend zu Gesicht. Und sie kommt am Ende doch noch in die Mode, die Wachau! Wenn die Wienerinnen einmal anfangen, sich in ihre Farben zu kleiden, wird es vielleicht rascher gehen, als man glaubt.

Wer den Reiz der Donaulandschaften genießen will, darf den Strom mit keinem anderen vergleichen. Seine Kultur ist so alt wie die irgend einer Wasserader der Welt, aber sie ist anders und sie hat sich langsamer entwickelt. Die Donau machte es den Menschen nie leicht, sie wollte immer erobert sein. Sie zieht keine bequemen Wege, sie bietet an ihren Ufern keinen Raum für die breite Entfaltung von Wohnstätten, und gerade dort, wo das Bild am schönsten ist, in der Wachau, schieben sich die Uferberge derart ineinander, daß die einfache Fahrstraße ihnen abgetrotzt werden mußte. Nur wo die schmalen Seitentäler in die Hauptader münden, konnten sich die Menschen ansiedeln. Und auch dort klebten sie ihre Kirchen und Schlösser hoch an die Wände der Berge, um sie vor den unberechenbaren Launen des Stromes zu schützen. Und was die Menschen diesen felsigen Berglehnen an Kultur abringen konnten, das haben sie redlich getan. Ueberall staffeln sich die Weinrieden an den Wänden empor, und über ihnen, auf den Gipfeln, rauscht der Hochwald. In den windstillen Buchten aber reift köstliches Obst, und neben dem Weinhandel nährt die Holzbearbeitung und der Steinbruch seine Leute. Aus den vielen Seitentälern heraus atmet das Leben, es stellt sich nicht an den Ufern zur Schau. Denn diese Uferwände sind eine einzige große Festung, die bisher die Opfer, die ihre Einnahme erfordern würde, nicht wert schienen.

Unter den Fremden an Bord war ein Oberlehrer aus Sachsen gegen den sich in mir schon seit Melk ein stiller Groll zu regen begann. Und als jetzt Göttweih sichtbar wurde, reizte er mich neuerlich. Sowohl über Melk als über Göttweih las er seiner Familie aus dem Reisebuch vor. Und er erklärte ihnen, daß da in diesen Gegenden die »Schwarzen« die Herren waren. Ich mischte mich ungefragt in sein Gespräch und bemühte mich durch zwei Stunden, sein Reisebuch zu ergänzen. Als wir uns Klosterneuburg näherten, bat ich ihn, er möge doch einmal nachschauen, was über dieses Stift in seinem Buche stünde. »Was soll da stehen,« sagte er und las die Stelle über die Schiffsstation Korneuburg laut vor. »Im Vorblick, rechts, der Leopoldsberg und an dessen Fuß das berühmte Augustiner-Chorherrenstift Klosterneuburg, dessen Kuppeln herüberglänzen.« »Und aus!« fügte er hinzu, indem er mich fragend ansah.

»Dann werfen Sie dieses Reisebuch sogleich in die Donau,« sagte ich, »und sehen Sie die Welt mit eigenen Augen an.« Ich erzählte ihnen, daß Melk die erste Burg der Babenberger in der Ostmark war und daß sie zur Durchführung ihrer Kulturarbeit Benediktiner beriefen, denen sie, als sie weiter vordrangen, dann ihre Burg überlassen haben. »Sehen Sie dort den alten Bau auf dem Gipfel des Kahlenberges?«

»Erlauben Sie, da steht Leopoldsberg,« warf mein Partner mißtrauisch ein.

»Ja, so heißt dieser eine Gipfel heute, aber es ist der alte Kahlenberg und auf ihm stand die zweite Burg der Babenberger. Hier saßen sie über hundert Jahre, ehe sie hinabstiegen nach Wien und sich dort die dritte bauten. Und hinter sich siedelten sie Augustiner-Chorherren an in Klosterneuburg. Schauen Sie nur, was dort »herüberglänzt,« wie Ihr Reisebuch so schön sagt. Auf der einen Kuppel sehen Sie die Krone Karls des Großen, auf der andern den Herzogshut von Oesterreich. Das kann doch kein zufälliger Aufputz sein. Dafür müssen doch tiefere Gründe sprechen, nicht? Diese Abzeichen erzählen, daß dieses Stift teil hat an der Befestigung der Macht des deutschen Kaisertums in der Ostmark, die ja ein Werk Karls des Großen war, und daß es mithalf, die Markgrafen zu Herzogen der Ostmark zu machen …«

»So?«

»Ja, das meinen wir. Und als die Babenberger endlich nach Wien hinabstiegen und diesen uralten Sitz der Kelten und Römer zu ihrer Residenz erhoben, da beriefen sie schottische Benediktiner vor ihre Tore und bauten ihnen ein Kloster mit einer weitausgedehnten Wirtschaftsanlage, in der sie alle damals bekannten Gewerbe betreiben konnten zur Belehrung und Erziehung des Volkes. Und nach den Benediktinern und Augustinern riefen die Babenberger die Zisterzienser ins Land und setzten sie in Heiligenkreuz mitten in den Wiener Wald. Glauben Sie, daß das Frömmelei war? In ihren Klöstern liegen die Babenberger begraben. Der letzte in Heiligenkreuz und einen von ihnen hat die Kirche heilig gesprochen. Nicht weil er fromm war, sondern weil er ein großer Staatsmann war. Ihre alten Stifte aber sind uns Etappen der Weltgeschichte. Sie sind die ältesten Bollwerke deutscher Kultur in diesem Lande. Und ich rate Ihnen, sie zu besuchen.«

Als ich in Nußdorf ans Land ging, hatte ich den Bruder aus Sachsen so weit, daß er sich ein wenig zu interessieren begann für unsere Geschichte. Es ging ihm eine Ahnung davon auf, daß sie nicht loszulösen sei von der des deutschen Kaisertums und der deutschen Gesamtkultur.

Daheim fand ich das Abendblatt mit der Meldung, daß die Abiturienten von Kremsmünster soeben einen Rosegger-Baustein von zweitausend Kronen für den Deutschen Schulverein gestiftet haben. Und am nächsten Morgen las ich, daß die Abiturienten des heurigen Jahres bei den Schotten einen namhaften Betrag an die »Südmark« übermittelt haben. Hätte ich ihn doch da gehabt, den Herrn Oberlehrer aus Sachsen! Ich würde ihm noch manches haben sagen können über die »Schwarzen« unserer altehrwürdigen Stifte. Er machte einen so biederen, verständigen Eindruck; nur mit dem tieferen Interesse für die großdeutsche Geschichte, da hapert es bei ihm. Und wohl auch bei manchem andern.

Was war denn am Beginn unsrer Zeitrechnung da, wo heute eine blühende Welt sich ausdehnt, von Passau bis hinab an die Mündung der Donau? Die Legionen Roms waren vorgedrungen bis an die Donau, und so wie sie floß, so gingen die nördlichsten Grenzen ihres Reiches. Drüben war unbekanntes Barbarenland. Und als die Völkerwanderung anhub und Rom von hier weichen mußte, brach das Chaos herein für ein halbes Jahrtausend. Das heutige Mittelafrika ist bekannter als unsre Heimat damals den germanischen Stämmen war. Sie hatten schon ein römisch-deutsches Kaisertum, und hier tummelten sich noch die Heerhaufen der Hunnen, hier herrschten noch die Avaren.

Wie ein Märchentraum ragt aus dieser Zeit das Stift St. Florian in Oberösterreich zu uns herüber. Die Sage bringt seine Gründung mit dem heiligen Severinus in Zusammenhang, geschichtlich aber glaubt man als verbürgt annehmen zu dürfen, daß es um das Jahr 555 schon bestand. Wer seinen heutigen künstlerischen Prachtbau bewundert, der wie ein Fürstensitz der Barockzeit anmutet, kann es kaum glauben, daß da anderthalb Jahrtausende zu ihm sprechen. Und doch ist es so. Die Bischöfe von Salzburg und Passau haben immer wieder Missionäre in das Avarenland ausgesendet, und St. Florian war ein fester Stützpunkt derselben. Ein zweiter wurde um 777 Kremsmünster, ein dritter die Ruprechtskirche in dem fernen, unbekannten Wienne. Der Herzog Thassilo von Bayern, der Kremsmünster stiftete, kam in einen schweren Widerstreit mit dem Reich, er wollte sich nicht beugen vor der Macht Karls des Großen und rief die Avaren zu Hilfe. Das büßte er mit dem Verlust seines Thrones und Karl der Große faßte den Plan, die Avaren für immer zurückzuwerfen und dem Reich an der Donau eine Ostmark zu schaffen. Ein Heer von Mönchen begleitete ihn auf diesem Kriegszuge, er setzte sie überall hin und baute ihnen Kirchen auf dem Wege von Passau bis Petronell. Seine adeligen Mitstreiter, die er hier zurückließ, bauten sich Burgen. Mit dem Kreuz und mit dem Schwert wurde dieses hunnisch-avarische Mitteleuropa dem Deutschen Reich erobert. Aber es ging immer wieder verloren. Zweihundert Jahre nach Karl dem Großen schickte ein andrer deutscher Kaiser die Babenberger hieher, und sie sicherten die Ostmark für alle Zeiten. Aber sie machten es wie Karl, sie kamen mit Kreuz und Schwert. Sie stifteten Melk. Die Bischöfe von Passau und Salzburg standen ihnen zur Seite und begründeten Lambach (1032) und Göttweih (1072). Es entstanden St. Paul in Kärnten (1032), Gurk (1042) und Garsten (1082). Es erhob sich Herzogenburg (1112), Klosterneuburg (1114), Heiligenkreuz (1135), das Schottenkloster (1158), Lilienfeld (1200). Und neben dem Herrschergeschlecht suchten andre mächtige Familien ebenfalls Kulturwerke zu schaffen. So gründeten die berüchtigten Kuenringe zur Buße für manche Tat das Stift Zwettl (1138).

Als die Habsburger das Erbe der Babenberger antraten, fanden sie eine große geistliche Organisation vor, und es oblag ihnen bloß, dieselbe zu beschützen und weiter auszugestalten. Selbst die Wiener Michaeler und Minoriten waren schon von den Babenbergern vor der Hofburg angesiedelt worden, und die Habsburger haben von den ganz alten Klöstern eigentlich nur das der Augustiner (1349) und die von Kaiser Josef wieder aufgehobene Karthause Mauerbach (1313) gegründet. Die späteren Klostergründungen fallen fast sämtlich in die Zeit der Reformation und Gegenreformation, und sie sind unter ganz andern Gesichtspunkten anzusehen. Während unsre alten Stifte und Klöster volkstümliche Kulturanstalten geworden waren, die im Boden der Heimat wurzelten und sich nur aus ihm ergänzten, sind jene zahllosen neuen Klöster, von denen Kaiser Josef dann mehr als sechshundert aufhob, ein durchaus internationales Element gewesen, das unter der geistigen Führung des Jesuitenordens die von Rom abtrünnige Welt wieder katholisch zu machen hatte. Das waren die »schwarzen Streiter«.

Von diesem Geist ist nie eine Spur in unsern fürstlichen alten Stiften gewesen. Sie leben in Schönheit. Sie sind Musensitze. Ihre großen land- und forstwirtschaftlichen Betriebe, ihre Weinkulturen, ihre Volks- und Mittelschulen, ihre Riesenbüchereien und ihre fast tausendjährigen Archive bilden eine Einheit. Ihre Aebte haben mit Recht Sitz und Stimme im Herrenhaus, denn sie verkörpern die ältesten Ueberlieferungen dieses Staatswesens. Und »Römlinge« wie unsere Freunde aus dem Reich meinen, waren sie nie. Was in dem klösterlichen Gymnasium von Kremsmünster für den Deutschen Schulverein und am Schottengymnasium gestern für dir Südmark geschah, kann morgen in Melk, in Herzogenburg, in St. Paul und in Zwettl, in Lilienfeld, in Klosterneuburg oder in St. Florian geschehen. All diese Stifte sind Mittelpunkte deutschen Geisteslebens geblieben, wenn sie auch selten in die Politik des Tages eingreifen. Daß ein Abt von Melk zur deutschen Verfassungspartei gehörte, ist unvergessen. Daß der frühere Abt von Klosterneuburg in seinem Stift weltliche Kunstausstellungen veranstaltet und der jetzige sich als Wagnerianer betätigt, daß das Schottenstift das freisinnigste Gymnasium von Wien sein eigen nennt, das sind nur ganz kleine Züge zu dem Gesamtbild. Sie könnten hundertfach verstärkt werden.

Aber, wo ist mein Oberlehrer, der bis Belgrad fahren wollte? Sein famoses Reisebuch wird ihm namentlich in Ungarn wenig nützen; wenn er keine anderen Quellen hat, wird unsere Kulturgeschichte ihm verschlossen bleiben auf dieser weiten Fahrt. Schafft neue Reisebücher, die den tausendjährigen Spuren deutschen Lebens, das sich nach Südost ergossen hat, besser folgen!


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