Theodor Mügge
Der Vogt von Sylt
Theodor Mügge

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Achtzehntes Kapitel.

Endlich war das Jahr vergangen und das Gefängnis in Rendsburg that sich auf und ließ einen hageren, bleichen Mann in das warme Sonnenlicht des Frühlings hinaustreten. – Am Morgen des Befreiungstages hatten sich Freunde aus Kiel und Schleswig vereinigt, um Lornsen ein Fest zu veranstalten, das trotz der Gegenwirkung der Gutgesinnten größeren Anklang fand, als man vermutet hatte. Lornsen ließ es geschehen, weil er es nicht hindern mochte.

Ein bedeutender Teil der Bevölkerung der Stadt nahm teil an diesen Ehrenbezeigungen. Ein Volkshaufe erwartete den Befreiten; Kränze und Blumen wurden ihm gebracht. Man rief dem tapferen, edlen Lornsen, dem Wohlthäter und mutigen Vorkämpfer seines Volkes freudige Lebehochs zu, aber über sein blasses Gesicht lief erst dann der rote Schein der Freude, als die Reihen sich öffneten und der alte Pfarrer Lorenz Leve ihm die gewaltigen Hände entgegenstreckte. Hinter ihm standen Hanna und Hilgen samt manchen anderen Freunden aus Sylt, und plötzlich hörte Lornsen mitten aus dem Gewühl den Schrei einer halb erstickten Stimme, und ehe er es dachte, war er in den Armen seiner Mutter.

Von jetzt an wurde der kurze Weg zu dem geschmückten Festhause ein Triumphzug. Viele drängten sich herbei, Lornsen zu umringen, ihm die Hände zu schütteln, ihm ihre Freude und neuen Hoffnungen zuzurufen. Thränen flossen, die Herzen wurden warm und weich, und als drinnen im Hause kein Platz mehr war, füllte sich die Straße den ganzen Tag über mit Menschen, die alle den Lornsen sehen, und ihm ihre Teilnahme und Dankbarkeit bezeigen wollten.

Endlich am Abend verließ die Familie Rendsburg und führte den Sohn und Freund mit sich fort nach Sylt zurück. Lornsen hatte sich nicht bewegen lassen, den Bitten anderer Männer nachzugeben, sie nach Kiel zu begleiten. Er schüttelte den Kopf zu ihren Plänen und sagte mit Entschiedenheit: »Meine Entschlüsse stehen fest. Eine kurze Zeit nur will ich in Sylt bleiben, um meine alten Eltern auf eine lange Trennung vorzubereiten.«

»Jetzt willst du aus dem Lande gehen!« fragte der Pfarrer, der dabei stand. »Bist ein echter Friese, Jens. Fragst nicht nach dem Jammer der Mutter, nicht nach den Thränen der Verlassenen, mußt hinaus in die Fremde, aus der so mancher schon nicht wiedergekehrt ist.«

»Bleib bei uns,« fiel ein bewährter Freund aus Kiel ein, »es wird besser werden. Schon hat sich die Stimmung geändert. Die Vertrauensmänner in Kopenhagen haben nichts zustande gebracht; überall sieht man ein, daß uns die Dänen abermals betrogen haben, und selbst ein Teil der Ritterschaft ist auf dem Wege, sich zu bekehren.«

»Rechnet doch nicht darauf, Mohren weiß zu waschen,« sagte Lornsen. »Die Privilegierten werden nie aufrichtig mit dem Volke gehen, nie vergessen, daß Sie einst dessen Herren waren.«

»Wenn es wahr ist,« meinte ein anderer, »und es ist wahr, ich weiß es gewiß, daß man wenigstens schon im nächsten Jahre Provinzialstände einführen will, dann, Lornsen, ist der Anfang gemacht und niemals darf ein Mann wie du im Ständesaale fehlen. Sie haben den Vogt von Sylt abgesetzt, wir setzen ihn als Abgeordneten wieder ein. Dann öffnet sich dir eine neue Laufbahn. Dort auf der Rednerbühne ist deine Stelle, dort ist der Kampfplatz, auf dem du Genugthuung und Vergeltung finden wirst.«

»Um abermals verlassen in den Kerker zu wandern und von Richtern zu unser aller Schande verurteilt zu werden,« sprach Lornsen mit Bitterkeit. »Nein,« fuhr er fort, »ich müßte ein müßiger Zuschauer bleiben und kann es nicht, darum will ich gehen und an anderen Völkern lernen, ob sie besser sind als wir. Meine Gesundheit haben Kerkerluft und Kummer untergraben. Ich habe wohl bemerkt, wie manches schöne Auge mitleidig um mein krankes Gesicht geweint hat,« sagte er lächelnd. »Ärzte raten mir einen Aufenthalt in der Tropenzone an, eine weite Seereise nach Teneriffa oder dem südlichen Amerika, und ich bin müde, müde wie ein Jagdhund, der Tag und Nacht gehetzt wurde; müde, das Walten langer Verknechtung hier mit eigenen Augen zu sehen; müde an Geduld; gesättigt von dem, was ich erlebte. Ein brennendes Feuer ist in meinen Eingeweiden und nirgends ein Quell, der mir Labung böte.«

»Und es ist dir kein Trost,« war die Antwort, »daß die Regierung gezwungen wurde, wenigstens beratende Stände zu versprechen? Hast du sie nicht dazu bewegt? Liegt in der Wut, mit der sie dich verfolgte, nicht eine Anerkennung deines Wertes, und ist die Dankbarkeit, welche sich heute deiner freut, nicht ein Zeichen, daß es besser werden wird?«

»Es ist möglich,« erwiderte Lornsen düster, »daß du recht hast, aber ich habe die Hoffnung verloren. Politisch gebildet ist dies Volk nicht, es wird viele traurige Tage brauchen, ehe es zu der Kraft heranreift, gegen seine Unterdrücker aufzustehen. Ich glaubte es fähig durch das moralische Bewußtsein seines Rechts, sich einig und kräftig zu erheben, ich habe mich getäuscht. Laßt mich gehen, Freunde, ich passe nicht mehr zu euch. Tretet ihr jetzt an meine Stelle. Belebt den Volksgeist, ich habe die Bahn dazu gebrochen; kämpft im Ständesaal, kämpft durch Schrift und Wort, wie ihr es vermöget, gegen Unrecht und Gewaltthat. Es ist ein langsamer, mühevoller Weg und am Ende bleibt es dennoch wahr, was Hammersteen mir so oft wiederholt hat: Euer Recht, wenn auch sonnenklar, ist keinen Schilling wert, wenn ihr nicht mit den Waffen in der Hand es beweisen könnt. Macht das Volk waffenfähig, schafft seiner Freiheit starke Arme und mutige Herzen, treibt ihm das Phlegma aus, das seiner Väter Erbteil ist. Ich sage euch, ihr werdet von diesen Dänen und dem ideenlosen Absolutismus nichts gewinnen durch den Streit mit Worten, nur auf der Spitze des Schwertes ist Recht von ihnen zu erhalten.«

»Du siehst zu schwarz in die Zukunft,« sagte einer, während die anderen bedächtige Blicke auf Lornsen warfen.

»Seht ihr wohl,« sprach dieser, »daß es nichts mit uns ist. Mit Gewalt habt ihr nichts zu schaffen, das Wort schon macht euch bange und ohne Gewalt könnt ihr nichts erreichen; weil ich das erkannt habe, darum will ich fort. Ich möchte mich nicht zum zweitenmal einsperren lassen, auch wenn man mir dafür doppelt so viele Kränze brächte wie heute. Ihr werdet den Tag abwarten, bis der Tag kommt, wo man euch alle zu Dänen machen wird. Ich habe diesen Tag nicht kommen lassen wollen. Man wird euch langsam darauf vorbereiten, wird Schleswig von Holstein trennen, wird tausend Mittel und Ränke ersinnen, um euch zu kirren und zu betrügen, endlich aber wird man doch mit Gewalt zufassen, und euer sonnenklares Recht, auf welches ihr pocht, wird Hohngelächter erregen.«

»Wir werden uns auf Deutschland stützen,« antwortete ein anderer, »auf den deutschen Bund.«

»Stützt euch auf das deutsche Volk,« gab Lornsen zur Antwort, »das allein kann euch helfen und wird euch helfen, das heißt,« fügte er mit finsterem Ausdruck hinzu, »wenn es jemals dahin kommt, daß es ein deutsches Volk auf Erden giebt. Die Fürsten werden es nicht dazu kommen lassen, und so lange Diplomaten über die Schicksale der Völker entscheiden, habt ihr nichts von Deutschland zu hoffen. Mit dem deutschen Volke aber müßt ihr gehen, euch als Deutsche fühlen und empfinden, und so lange ihr keine Dänen sein wollt, wird all ihr Drohen und Wüten euch nicht dazu machen können,«

»Du sprichst wie einer, der nicht mehr zu uns gehört,« sagte ein betrübter Freund.

»Ob ich zu euch gehöre!« rief Lornsen mit Heftigkeit. »Bis an meinen letzten Tag werde ich nie aufhören ein Deutscher und ein Friese zu sein; bis zu meiner letzten Stunde werde ich Recht und Ehre heilig halten, mein letzter Seufzer wird mein Vaterland segnen. – Aber,« sprach er dann, den Kopf schüttelnd, »aushalten kann ich es nicht mehr hier im Lande. Wenn es Zeit ist, ruft mich. Wenn die Gleichgültigkeit, die deutsche Geduld, die knechtische deutsche Demut aus den Herzen gewichen sind, wenn der deutsche Name nicht mehr geschändet wird, und das deutsche Volk nicht mehr das Hohngelächter der Völker erregt, wenn ihr den fratzenhaft eitlen und übermütigen Dänen endlich zeigen wollt, daß ihr Männer seid, die den Tod weniger fürchten, als Schande und Schmach, dann werde ich bei euch sein. Es könnte aber sein,« setzte er leise hinzu, indem er die Hand auf seine Brust legte, »daß, wenn die Zeit da ist, ich tief im Grabe ruhe. Dann, Freunde, beschwört meinen Schatten aus seiner Gruft; dann sagt und erzählt es allem Volk, daß es einst einen Mann gegeben hat, Jens Lornsen geheißen, der zuerst ein Märtyrer war für seine heiligen Rechte. Schreibt meinen Namen auf eure Fahnen und tragt ihn voran, wenn es gilt, für Deutschlands und euer Recht zu streiten. Ein deutscher Mann war ich und bin ich; für meines Volkes uralt deutsches Recht hab' ich gestritten; kein Däne und kein Knecht will ich sein! Darauf laßt uns leben und sterben.«

Es war ein banger Abschied, den Lornsen nahm, tiefbewegt und gerührt schieden die Freunde. Am nächsten Tage erreichte er Sylt und wurde auch hier von vielen mit Achtung und Ehrenbezeigungen empfangen. An den meisten Orten, welche die Gesellschaft auf der kleinen Reise berührte, war es ebenso gewesen. Die Hofbesitzer aus den Marschen kamen von weit her, und überall ermahnte sie Lornsen, standhaft festzuhalten bei ihrem Recht; nicht zu dulden, daß der dänische Absolutismus sie länger unterdrücke; am wenigsten zu dulden, daß er sie dänisch mache und von Deutschland losreiße, möge er ihnen noch so lockende Dinge verheißen. »Haltet fest am Vaterlande,« war seine Abschiedslehre. »Euer Vaterland ist Deutschland, das große, mächtige Land, das Herz Europas, das Herz der ganzen Welt. Es liegt im Staube jetzt, zerrissen und verhöhnt, wie ihr es seid; aber einst wird es sich erheben und mit ihm werdet auch ihr auferstehen. Nicht bei den schmutzigen Jüten, die ihr verachtet, nicht bei den Inseldänen, auf ihren Erdbrocken im Meere ist euer Platz. Ihr gehört zu dem großen Volke, das einst die Welt beherrschte, und seinen Platz wieder einnehmen wird, wenn es frei und einig zu sein gelernt hat. Leidet mit Deutschland, ihr seid seine Kinder; duldet und hofft, aber hofft, wie Männer hoffen. Seid wach und gerüstet und scheut keine Opfer. Laßt mein Beispiel euch eine Lehre sein, daß es besser werden muß mit euch.«

Einige Wochen lang lebte Lornsen still in Sylt im Hause seiner Eltern, und wie er seine Zeit zwischen Besuchen und Arbeiten teilte, thätig in freier Luft war und größere Ruhe und freudigere Stimmung auf seine Gesundheit wohlthätig einzuwirken begannen, gaben seine Freunde sich der Hoffnung hin, er werde den Gedanken, das Land zu verlassen, aufgeben und sich in den engen Kreis seiner Häuslichkeit einleben.

Nach einiger Zeit aber kehrten die melancholischen Tage zurück, die den kranken Mann plagten. Er konnte lange Stunden bei Hanna Hilgen sitzen, ihren Knaben auf seinen Knien halten und dem Gespräch und Geplauder zuhören, obwohl es gewiß war, daß er keinen Anteil daran nahm. Oft fand man ihn auch in den Dünen allein, auf einer der hohen Spitzen sitzend und in die öden Thäler des Flugsandes niederschauend, der geräuschlos vor ihm hinrieselte. Es war vergebens, daß der alte Pfarrer von Morsum dann und wann seinen neckenden Ton anschlug, der früher Lornsen immer zu Scherz und Lachen angeregt. Die Saite war zersprungen, welche ehemals dabei erklang, und die kalten, erloschenen Augen hafteten so wehmütig auf dem alten Mann, daß er nicht weiter konnte.

»Armer Jens!« rief er klagend, »es ist aus mit uns beiden. Mich werden sie bald hinausbringen an einen sicheren Ort, wo es mir ganz einerlei sein kann, ob die Freiheitslieder, mit denen sie mich begleiten, deutsch, dänisch oder friesisch klingen; nur die einzige Besorgnis bleibt übrig, ob nicht irgend eine Sturmflut mich wieder ausgräbt und von neuem auf den Tummelplatz aller Unfreiheit wirft. Aber was wird aus dir, Jens, wenn du so fortfährst? Du trocknest aus, wirst ein Skelett, und zuletzt führen sie dich wohl gar ins Museum zu Kopenhagen und zeigen dich mit der Unterschrift: Das ist der Vogt von Sylt, Jens Lornsen, einstmals der kühnste und stärkste deutsche Mann. So weit hat ihn Dänemark heruntergebracht. Ein prächtiges Beispiel für alle Verräter.«

»Du hast recht!« sagte Lornsen lächelnd. »Ich bin als Beispiel zu gebrauchen, und muß mich vor dem Museum zu sichern suchen.«

Nach einigen Tagen trat Hilgen in Lornsens Haus; Hanna war mit ihm, Hilgen sah erhitzt und betrübt aus. Lornsen saß und schrieb; er hat seit einiger Zeit viel gearbeitet. Der alte Kapitän in dem großen Sorgenstuhle beobachtete das Meer und rauchte seine Pfeife in mächtigen Zügen.

»Was ist es, was euch herführt?« fragte Frau Lornsen, die ihre Gäste begrüßte. »Es ist eine ungewohnte Zeit. Rede doch, Hanna.«

»Ich wollte Jens noch einmal sehen,« erwiderte die junge Frau mit fester Stimme, »und war nicht gewiß, ob er zu uns kommen würde.«

»Jens sehen?« rief die Mutter. »Will er denn fort? – Mein Gott! Jens, ist es denn wahr?«

»Hier ist ein Brief, Jens,« sagte Hilgen. »Es liegt ein großes Schiff in der Lystertiefe, ein Amerikaner.«

»Trägt Kreuzrahen und gekorbte Masten,« fiel der Kapitän ein. »Habe den Burschen heute früh durch mein Glas gesehen; luvte auf Sylt zu und fiel dann ab, um in die Tiefe zu kommen. Scheint ein handlich Fahrzeug zu sein.«

»Ja, Mutter,« sagte Jens aufstehend, nachdem er den Brief gelesen hatte. »Es ist Kapitän Cornelsen, der mich erwartet.«

»O Jens, lieber Jens!« sprach die alte Frau weinend, »soll ich dich von mir lassen, um nie wieder in dein Gesicht zu sehen?«

»Mutter,« erwiderte Lornsen gefaßt, »sieh in mein Gesicht, es ist das eines lebendig Begrabenen. Krank, wie ich bin, wird mich der Süden heilen; alle Ärzte sagen, daß er es allein vermag.«

»O! bitte du ihn, Hanna,« rief die alte Frau. »Bitte ihn, daß er bei uns bleibt. Nie, ach nie wird er wiederkehren.«

»Laßt Jens hinaus,« sagte Hanna, »laßt ihn seinen Weg gehen. Ich hab's wohl anders gehofft und geglaubt, aber es muß so sein. Vielleicht hilft Gott und macht ihn gesund; hier fällt die schwarze Hand nie mehr von seinem Herzen.«

Der kummervolle Ton ihrer letzten Worte und das leise Zittern ihrer Stimme war unendlich rührend. Sie wischte die Thränen aus ihren Augen fort und reichte Jens die Hand hin, welche er begehrte. »Geh, lieber Jens,« sagte sie, »ich will deine Mutter trösten und deinen Vater, und wenn wir einsam sitzen und deiner gedenken, dann sei uns nahe und gieb uns ein Zeichen, wie ein Mensch es kann, der innig mit seiner Seele Macht bei denen ist, die er liebt.«

»Mußt du fort, Jens?« fragte der Kapitän, indem er aufstand und vor seinen Sohn trat.

»Ja. Vater, ich muß. Ich gehe nach Rio, um dort zu leben, bis ich wiederkommen darf.«

Der alte Mann legte beide Hände auf seines Sohnes Schultern. Er blickte ihm in das kranke Gesicht, seine harten Züge verloren die gewohnte Fassung. Segnend berührte er seine Stirn; Jens drückte den Kopf mit einem tiefen Seufzer in die väterlichen Arme, laut weinend hielt die Mutter sich an ihm fest.


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