Theodor Mügge
Der Vogt von Sylt
Theodor Mügge

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Sechzehntes Kapitel.

Einige Wochen später fuhr der neue Vogt von Sylt am Abend eines schönen Tages vom Lande herüber nach der Insel. Er war ganz unbemerkt gekommen und brachte, ehe es jemand wußte, seine Ernennung selbst mit. Als er in der kleinen Bucht ans Land sprang, überkam ihn das Gefühl der tiefmenschlichen Freude und Rührung, welche die lang entbehrte Heimat in allen Herzen aufweckt. »Da bin ich wieder!« rief er aus, »wie ein Vogel, der nach dem alten Neste sucht, suche ich nach Erinnerungen aus alten guten Tagen.« Er blickte nach jedem Baume, den er kannte, nach jedem Gegenstände in Ferne und Nähe, der ihn willkommen zu heißen schien. Sehnsucht beflügelte die Schritte, mit welchen er dem Hause seines Vaters zueilte. Da lag es vor ihm zwischen den Linden. Da ragte der rote Giebel über dem breiten Dache hervor und die Abendsonne glühte aus dem Kreuzbau der stattlichen Warft.

Leicht sprang er über den Graben und ging an dem Hügel hinauf, den er so oft als Knabe schon auf schmalem verbotenen Pfade erstiegen hatte. Durch eine Öffnung der Hecke schlüpfte er in den Garten und dicht vor ihm lag nun die breitblättrige Laube, aus der soeben seine Mutter trat.

Ein einziger Freudenruf drang durch die Luft, dann lag er an dem mütterlichen Herzen. »Mein Jens! mein Jens!« rief die arme Frau, und die Thränen tropften auf seine Stirn. Sie nahm die Hand, strich sein Haar zurück und betrachtete ihn mit banger Aufmerksamkeit und siegender Gewißheit des Glückes. »Ja, du bist es,« rief sie, »o, kommt doch alle, hier ist Jens! Er ist wieder da.«

»Mein Vater. Wie geht es ihm?« fragte der Sohn.

»Da sitzt er ja, bei Lorenz Leve,« rief die Mutter, in das Innere der Laube deutend. »Und hier ist Peter Petersen, und Heinrich Hilgen und da, da –« sie hielt einen Augenblick inne – »da kommt Frau Hilgen, deine alte Freundin.«

Sie hatte währenddessen Jens in die Laube gezogen, eben als die junge Frau, ein Kind auf dem Arme und ein zweites an der Hand, um die Biegung des Hauses trat. Nur einen Blick warf Lornsen auf Hanna, die ihn fremd und ungewiß anschaute, dann eilte er seinem Vater entgegen, der aufgestanden war und ihm beide Arme entgegenstreckte.

»Woher, Jens?« rief der alte Kapitän.

»Gerade aus Kopenhagen, Vater,« erwiderte der Sohn, ihn umarmend.

»Heda, Jens!« fiel der Pfarrer ein, aber er machte sogleich eine Verbeugung und sagte in seiner alten, neckenden Weise: »Der Herr Kanzleirat hat eine Luftveränderung nötig gehabt. Hilf Gott! wie ist er blaß und mager geworden. Nun, er erinnerte sich zur rechten Zeit, daß in Sylt die Luft gesund ist.«

»Ach, mein alter Freund!« antwortete Lornsen, »gönnt es mir immer, daß ich diese Luft atme und in Eure alten guten Augen sehe, die, mögen sie's anstellen wie sie wollen, doch mit Liebe und Güte mich anblicken.«

Der greise, große Mann legte seine beiden gewaltigen Hände auf Lornsens Schultern und nickte ihm zu. »Es ist wirklich noch unser alter Jens,« rief er, »aber o weh! was bringt er aus dem Dänenlande zurück? Ein Gesicht voll dunkler Schatten, eine tiefe Falte auf der Stirn, und dünn gewordene Haare.«

»Aber den alten Mut und die alte Treue,« sagte Jens, »und meine alte Verehrung für den ehrwürdigen Herrn Lorenz Leve.«

Er drückte Petersen und Hilgen die Hände und nahm ihre Glückwünsche in Empfang. »Komm doch her, Hanna,« rief der alte Petersen. »Du wirst Jens Lornsen kaum wiedererkennen. Der Pfarrer hat recht. Ihr seid in Kopenhagen alt geworden vor der Zeit, Jens. Ist aber Mode so bei den Dänen! blaß und hungrig sehen sie alle aus.«

Die junge Frau näherte sich auf den Ruf ihres Vaters. Ihr lächelndes, blühendes Gesicht drückte so viele Teilnahme aus, als diesen straffen und gesunden Zügen möglich war. Ihre blauen, großen Augen ruhten auf Lornsen, der nicht ohne innere Bewegung sie betrachtete.

»Willkommen im Lande, lieber Jens,« sprach sie mit ihrer klaren Stimme, »sei herzlich willkommen bei deinen Freunden.«

»Und das sind deine Kinder, Hanna?«

»Meine beiden Kinder,« erwiderte sie. »Der Bube heißt nach dir, Jens, das kleine Mädchen haben wir Lina genannt.«

Sie hielt ihm das Kind hin und ihr schalkhaftes Lachen deutete auf ein Einverständnis, aber Lornsen wandte sich kalt zu seinem Freunde Hilgen, ohne die kleine Lina weiter zu beachten. »Du siehst froh und glücklich aus, Heinrich,« sagte er, »und mußt es sein; denn du gedeihst sichtlich. Dein Haus wächst, alles, was ein Leben behaglich und zuträglich machen kann, umringt dich, der du wie ein starker Baum stehst, an welchem sich liebliche Blumen ranken.«

Der vollwangige kräftige Mann, der nicht im entferntesten mehr dem mageren, blassen und verzweifelnden Hilgen glich, den Lornsen einst aus den Watten trug, nickte beifällig zu diesen Worten: »Ich danke dir für dein Gleichnis, lieber Jens,« sprach er, und indem er das Kind von der Erde aufhob und den anderen Arm um Hannas Schulter legte, sagte er: »Will's Gott, daß dir ein gleiches geschieht, Jens. Die Jahre sind mir vergangen, wie kurze Freudentage. Hanna und ich, wir scheinen nicht älter zu werden, es ist uns immer noch so wie in den ersten Wochen. Mache es uns nach so schnell du kannst, oder bist du etwa gar herüber gekommen, um zur Hochzeit einzuladen?«

Lornsens ernste Blicke sahen nicht hochzeitlich aus, aber ohne ein sichtliches Zeichen von Unmut erwiderte er: »Wir wollen es später überlegen, Heinrich, denn ich werde Zeit dazu haben. Sobald denke ich nicht wieder fortzugehen.«

»Wahrhaftig,« rief Hilgen, »du kannst uns keine größere Freude machen. Wir wohnen in Petersens Haus. Er hat es uns eingeräumt, denn es ist groß genug für uns alle und für dich, Jens, so oft du kommen willst.«

»Du mußt oft kommen,« fügte Hanna hinzu, »und uns viel erzählen.«

»Will's thun,« sagte Lornsen, »vorderhand aber wird es für den neuen Vogt von Sylt wohl vielerlei zu schaffen geben.«

Ein allgemeiner Freudenruf war die Antwort, »O, liebster Jens,« rief die Mutter, »so ist es denn wahr? Du bist Vogt und wirst im Amtshause wohnen?«

»Im Amtshause ganz allein,« erwiderte Lornsen. »Ja, Mutter, ich habe deinen Wunsch erfüllt, habe den dänischen Staub von meinen Füßen geschüttelt, um wieder ganz ein Friese zu sein.«

»Sagte ich es nicht,« sprach der alte Lorenz. »Es ist zu gutes Blut in seinen Adern, um es da drüben auszuhalten. Aber wie steht es denn mit den stolzen Träumen des Herrn Advokaten von Ruhm und Ehren? Vom Kanzleirat der deutschen Kanzlei Vogt von Sylt zu werden, heißt die Treppe hinunterfallen. Armer Jens! laß deinen Kopf anfassen. Ich glaube, er hat ein Loch bekommen, das in Kopenhagen nicht geheilt werden konnte.«

Als das Lachen vorüber war, das der Pastor erregt hatte, gab Lornsen mit wenigen Worten nähere Nachrichten über seine Verhältnisse. »Die Sache ist einfach die,« sagte er, »daß ich selbst und mit vollem Bewußtsein mir die Löcher schlug, die Herr Leve suchte. Ich konnte es in Kopenhagen nicht länger aushalten unter den jetzigen Verhältnissen. Meine Gesinnung stieß dagegen an. Dänisch denken und handeln kann ich nimmermehr; was man von mir forderte, konnte und wollte ich nicht erfüllen. So nahm ich den Ausweg, den ich nehmen mußte. Ich glaube meinem Vaterlande hier nützlicher zu sein, als es mir dort möglich wäre. Die besten und wahrsten Männer haben sich enger aneinander geschlossen und die Zeit ist danach, daß wir mehr als sonst sehen müssen, wo wir bleiben.«

»Wohl,« sagte Hilgen, »wir haben davon gehört, daß in Kiel Versammlungen gehalten wurden, auch eine Anzahl Hufner sind dabei gewesen; aber für den Bauer ist solch Wesen nicht und die adligen Herren wollen nichts davon wissen. Die meisten haben erklärt, daß man die Regierung nicht drängen solle; manche sind sogar nach Kopenhagen gereist, um ihre Ergebenheit zu bezeigen, und wenn es etwa Unruhen gäbe und dänische Soldaten ins Land kämen, würden wir unsere Not doppelt schwer und zu unserem Schaden empfinden.«

»Hat denn die Revolution in Frankreich und was sonst in der Welt geschehen ist, euch die Schlafmützen gar nicht von den Ohren ziehen können?« fragte Lornsen ärgerlich.

»Sprich nicht so scharf, Jens,« erwiderte Hilgen freundlich. »Wir stillen Leute auf unseren Höfen fragen nicht viel danach, wie es in der großen Welt kopfüber hergeht. Wir haben es freilich gehört, uns auch gefreut, daß die Völker aufstehen gegen Gewalt und Unrecht; aber zum Ärgsten ist es bei uns noch nicht gekommen, und was können wir überhaupt thun?«

»Ja, was können wir thun?« erwiderte Lornsen lächelnd, »das ist die Sache, die wir zu bedenken haben.«

»He,« sprach der alte Pfarrer, »sehet den neuen Vogt von Sylt, der wird ein anderes Regiment einführen. Bis jetzt hieß es hier, ehret Gott und liebet den König, das heißt: zahlt eure Abgaben und räsonniert nicht, wenn die hohe Obrigkeit befiehlt. Jetzt wird der Vogt uns lehren, wie wir's machen müssen, um selig zu werden schon auf Erden. Er wird uns lehren, wie man ungehorsam sein muß, wie man lesen muß, was geschrieben steht, und was man alles mit Gesetzen machen kann, die gegeben sind, damit sie nicht gehalten werden. Das wird ein lustiges Leben werden. Statt zu arbeiten, werden wir die Landesrechte studieren, und statt Fische zu fangen, halten wir ihnen Reden über ihr Recht, sich nicht fangen zu lassen. Setze dich hierher, Jens, zu deinem Vater, nimm dein Glas und stoß an auf den Untergang alles Unrechts in der Welt, das der neue Vogt von Sylt ausrotten wird.«

»Wenigstens wird er's versuchen, ein wenig mehr Recht und Licht in die Köpfe zu bringen,« sagte Lornsen.

»Ah, liebes Kind,« rief Lorenz Leve, ihn bedauerlich betrachtend, »hast Geschichte studiert und weißt noch nicht, wie es denen ging, die den Blinden die Augen öffnen wollten. Kommst frisch aus Kopenhagen, hast unter den Dänen gelebt und wie ich denke, allerlei hübsche Erfahrungen gemacht, und bist noch immer nicht bekehrt? Bleib still in deinem Winkel und sieh dir die Menschen erst an, deren Evangelist du sein willst. Morgen ist auch noch ein Tag, das Jahr ist lang, und viele tausend Jahre sind doch noch nicht genug gewesen, um Steine in Brot zu verwandeln.«

»Eine Minute thut oft, was ein Jahrhundert nicht vermochte,« sagte Lornsen.

»Wir wollen sehen,« sprach der Pastor lachend, »ob wir das Wunder nicht an dir vollbringen können. Jetzt gehörst du uns, und Sylt ist ein glücklicher Winkel, der Vogt von Sylt ein glücklicher Mensch, wenn er es sein will. Sieh deine Mutter dort im Hause, wie sie alles in Bewegung setzt, damit es dir hier gefalle. Tausend Gedanken um Frieden. Freude und Glück deiner Zukunft laufen dabei durch ihren Kopf und jetzt, Hanna, setze dich zu uns, wir wollen ihm von alten Zeiten erzählen und von denen, die kommen werden. Wenn der Vogt im Amtshause wohnen wird, will's Gott! er kann in dem großen Hause doch nicht allein bleiben.«

Lornsen war gern bereit, dem scherzenden Gespräche zuzuhören, das über seine Zukunft gepflogen wurde. Manch guter Rat wurde ihm gegeben und seine freundliche Teilnahme erwärmt durch die Liebe, welche ihn umringte. Bis spät in die Nacht saß er mit seinen Eltern und Freunden zusammen, die unerschöpflich in Ausmalung ihrer Wünsche und Hoffnungen waren; als er sich endlich aber allein in dem kleinen Zimmer befand, sagte er düster niederblickend: »Ist das das Glück, das meiner wartet? – Nein, so kann, so will ich nicht enden!«

Lornsen wurde in sein neues Amt eingeführt und von allen Bewohnern der Insel mit Freude und Vertrauen empfangen. Sein Name, sein Charakter, sein offenes, Vertrauen erweckendes Wort, alles gab Bürgschaft für eine heilsame Zukunft. Der rasche, ernsthafte Mann, an dessen treuem Willen niemand zweifelte, war überall willkommen.

Bald sah man ihn auch in voller Thätigkeit um allerlei Verbesserungen des Gemeindewesens bemüht, und wenn es Lornsens Absicht war, festen Fuß zu fassen bei seinen Mitbürgern, konnte er keinen besseren Weg wählen. Seine strenge Gerechtigkeit half in verschiedenen Fällen den Bedrängten, meist aber schlichtete er Streit durch gütliches Vorstellen des Unrechts, und bald war sein Ansehen wohl begründet, als man sah, daß er um jedes Wohl sich mühte und in der Hütte des Armen wie im Hause des Reichen derselbe Mann blieb.

In dieser Thätigkeit schien Lornsen ein neues Leben zu gewinnen. Er arbeitete viel, und wenn alle Fenster dunkel wurden, blieben die seinen oft bis spät in die Nacht hell. Doch an gastlichen Tagen, oder in Kreisen junger Leute, bei Spielen und Festen, hatten die Bewohner von Sylt Gelegenheit, zu sehen, daß ihr Vogt noch immer der alte Jens Lornsen war, von dessen Riesenstärke und Behendigkeit man allerlei Wunder erzählte. Unter einfachen Naturmenschen giebt nichts so sehr Übergewicht, als Überlegenheit in körperlichen Vorzügen, und noch immer war Lornsen ein Vorbild an Kraft und Männlichkeit, noch immer sein Nacken ungebeugt, sein Schritt stolz und leicht, sein Auge durchdringend und feurig. Er war der beste Schütz, der kühnste Reiter; seine Hand am Steuer ein Trost auf der wilden See.

Auffallend war es den Leuten, die ihn umgaben, seinen Schreibern und Untergebenen, wie viele Briefe der Kanzleirat aus verschiedenen Landesteilen erhielt, und wie er seine weitläufige Korrespondenz immer selbst besorgte. Er besaß viele Freunde aus vergangener Zeit, und mit allen hatte er seit seiner Rückkunft schriftlichen Verkehr neu angeknüpft: dazu erzählten die Zeitungen, daß er in Kiel gewesen sei und in einer öffentlichen Versammlung für die Landesrechte und gegen die dänische absolute Herrschaft gesprochen habe. Ehe man es dachte, war der Vogt wieder verreist. Bald war er in Eiderstadt bei den Friesen, bald bei den Dithmarschen, dann wieder in Schleswig und in Flensburg und immer berichteten die Zeitungen von Reden, die er gehalten, von Petitionen, die er angeregt, von seiner glänzenden Beredsamkeit, die jeden ergreife und wie er der wackerste und tüchtigste Mann im Lande sei.

Die jungen Leute in Sylt hörten auch gern zu, wenn Lornsen zu ihnen sprach und ihre Gemüter mit kräftigen Worten anzuregen suchte. Ohne Umhüllung sprach er aus, was er dachte: nicht selten klangen seine Worte dabei herbe genug, und seine Darstellung der Verhältnisse war so derb und scharf, wie sie sein mußte, um bei Bauern Eingang zu finden. Aber es gab auch manche, die im stillen davor erschraken, und wie überall in der Welt fanden sich kluge Leute, die nicht begreifen konnten, wie der Vogt so unbesonnen handeln mochte.

Eines Abends war Lornsen zu Petersens Haus hinübergeritten, wo er Hanna allein fand, die mit ihren Kindern ihn freundlich empfing.

»Wo ist Heinrich?« fragte Lornsen, als er ihr die Hand reichte.

»Hinüber nach Husum,« erwiderte die junge Frau. »Du mußt wissen, lieber Jens, daß Hilgen jetzt einen ausgedehnten Handel treibt und vornehme Bekanntschaften hat.«

»Er selbst ist ein vornehmer Mann geworden,« sagte Jens lachend.

»Wie du willst,« gab sie zur Antwort. »Er ist redlich und brav, aber er sucht seine Vorteile. Die vornehmen Herren auf ihren Gütern verkaufen ihm gern ihr Vieh, ihre Butter und ihr Korn. Er reist bis nach Jütland hinein und hat eben auf dem Markt von Husum eine ganze Herde junger Stiere, die er den Grasbauern an der Eider und bis nach Dithmarschen verhandelt. So ist er häufig wochenlang von Sylt entfernt und überläßt es mir und dem Vater, nach Hof und Leuten zu sehen.«

»Heinrich war immer klug und bedächtig,« sagte Lornsen. »Er ist ein kluger Kaufmann, der seine Leute kennt.«

»Aber wohlgeachtet und gern gesehen,« fiel Hanna ein, »und das ist er, wie ich hoffe, auch jetzt überall, wo man ihn kennt, das heißt im ganzen Lande.«

Lornsen nahm den Knaben, der seinen Namen trug, auf den Schoß und spielte mit ihm, während er mit der jungen Frau weiter sprach und die Fragen des Kindes beantwortete. Bald hatte er sich ihm ganz hingegeben. Die naiven Äußerungen des kleinen Jens machten ihm Freude, die Händchen des Knaben schlangen sich um seinen Hals und schmeichelten seine Stirn, das blonde Köpfchen drückte sich an seine Brust, und mit inniger Liebe und Bewegung blickte Lornsen in das unschuldige, trotzige Gesicht, das so viel Sehnsucht und Schmerzen zu erregen wußte.

»Du bist glücklich, Hanna,« sagte er endlich, den Knaben niedersetzend, »mir ist es nicht so wohl geworden.«

»Du wirst es werden,« erwiderte sie. »Deine Freunde erwarten, daß der Vogt von Sylt, nun er heimgekehrt ist, daran denken wird, daß er im Frieden seines Hauses Ruhe finde.«

»Ich sage meinen Freunden herzlichen Dank, aber, wenn es das wäre, was mir je gefehlt hätte, liebe, Hanna, so könnte der Bube da, der dir aus den Augen geschnitten ist, ja auch wohl –« er brach lächelnd ab, aber er strich dem Knaben über die Stirn und küßte ihn, während er der Mutter die Hand gab. »Das ist es nicht,« fuhr er fort. »Auf meiner Schwelle wird kein Kind spielen, und doch hoffe ich, soll Zufriedenheit im Hause walten.«

»Zufrieden kann man nur sein, Jens, wenn man sein Glück nicht weit von sich sucht, in Unruhen und eitlen Träumen,« erwiderte Hanna, die ihn strafend anblickte. »Wirf nicht fort, was du hast; halte fest, was dein ist, und laß uns nicht fürchten, daß du willst, was du nicht kannst, oder was dir des Strebens unwert scheint.«

»Gute Hanna,« erwiderte Lornsen, »wenn es eine Mahnung sein soll, die du prophetisch aussprichst, so sei ruhig; ich weiß, was ich kann, und will nichts, als das Rechte, was ich muß. Du weißt nicht, was ich aufgegeben habe von meinem Glück und wie wenig mir übrig geblieben ist, wovon ich weiter leben soll.«

»Wenn es wahr ist,« sagte die junge Frau, »was die Leute sich erzählen, daß ein falsches dänisches Mädchen dich betrogen und verraten hat, so betrachte es als eine Prüfung und suche Liebe und Treue, die dich aussöhnen mit dir selbst und die schwarze Hand von deinem Herzen nehmen. Gott reinigt die Seelen der Menschen durch Mißgeschick. Hast du nichts gethan, was gesühnt werden müßte?«

»Nichts, was ich zu bereuen habe,« erwiderte Lornsen, sie fest anblickend. »Du allein könntest mir einen Irrtum deines Herzens verzeihen, den du längst gut gemacht und vergessen hast. Aber du bist meine Freundin und Heinrich Hilgen, dein glücklicher Gatte, mein Freund.«

Ein Wagen fuhr auf dem Deichwege von Morsum herauf. und Hannas scharfes Auge erkannte sogleich, wer darin saß. »Hilgen kommt, wie zur Bekräftigung deiner Worte,« sagte sie. »Er ist dein Freund, lieber Jens, aber er ist besorgt um dich, wie ich es bin. Er findet manches nicht recht gethan, was du thust.«

»Er macht Partei gegen mich,« gab Jens lachend zur Antwort, »und hat meinen Vater sogar bewegt, mir den alten Lorenz Leve auf den Hals zu schicken.«

»Du weißt nicht, Jens,« sagte Hanna, »wie vielen Dank du ihm schuldig bist. Er verteidigt dich, wo er kann, denn man ist nicht überall mit dir zufrieden. Auch mein Vater tadelt dich, viele klagen dich an,«

»Was wird nicht angeklagt!« erwiderte Jens.

»Du bringst Unruhe und Unzufriedenheit in die Köpfe, sprechen die Bedächtigen,« fuhr die junge Frau fort. »Man hat es nie gehört, daß ein Vogt, der Beamter der Regierung ist, die Regierung so hart angreift. Peter Petersen, der doch den Dänen nicht eben wohl will, schüttelt den Kopf darüber. Du sprachst neulich davon, daß Steuern und Abgaben unrechtmäßig verteilt seien, das Land ausgesogen werde von den Dänen, die unser Geld für ihren Staat verbrauchten, noch mehr aber leide es, weil die Armen zumeist geplagt würden und ihnen das schwerste Kreuz auferlegt sei. Das hat vielen wenig behagt.«

»Die Wahrheit behagt selten denjenigen, welche sie trifft.«

»Auch die Wahrheit hat Klugheit nötig,« gab Hanna zur Antwort. »Du bist ein herber, stolzer Streiter, der die Menschen nach sich selbst abmißt; aber, lieber Jens, es steht in der heiligen Schrift geschrieben: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, ehe ein Reicher ins Himmelreich komme. Sie haben gegen dein Himmelreich vieles einzuwenden, darum sieh dich vor, denn viele Augen blicken auf dich.«

»Mögen sie sehen, Hanna,« sagte der Vogt, »ich thue nichts, was nicht alle sehen mögen. Ich verwalte mein Amt treu und ohne Furcht. Es ist keiner, der da sagen könnte, es geschehe ihm Unrechtes, und wenn du mir erzählst, daß manche den Kopf schütteln, so giebt es gewiß auch nicht wenige, die mir danken und mich segnen. Sieh,« fuhr er fort, indem er die Hand auf den Kopf des Knaben legte, »für diese da arbeite ich. In ihre Herzen will ich Mut und Rechtsgefühl bringen, damit sie wackere Männer werden und bessere Tage erleben. Was mir übrig geblieben ist an Glauben und Liebe, das ist meinem Volke gewidmet. Zweifle nicht an der Macht der Wahrheit, Hanna!«

»Und was haben Wahrheit und Recht dir bis jetzt eingebracht?« fragte die Frau. »Wisse, daß Kundschafter dich beobachten. Du machst Reisen nach Schleswig hinüber, du erhältst viele Briefe, du hast Versammlungen gehalten und eifrig gesprochen. Die Bauern hast du zusammengebracht und ihnen von ihren Rechten erzählt. Das alles ist längst getreulich nach Kopenhagen berichtet worden.«

»Mögen sie doch,« rief Jens lachend. »Ich bin in Sylt und thue, was ich darf, ich stehe auf gesetzlichem Boden. Aber wer hat dir das alles erzählt, Hanna, und dich so ängstlich gemacht?«

»Frage nicht danach,« erwiderte sie, »aber glaube, daß es wahr ist. Da kommt Hilgen, er wird sich freuen, dich hier zu finden. Wie sind wir alle doch so froh, dich auf Sylt zu wissen und wie glücklich könntest du uns machen, wenn du wie in alter Zeit dein Leben mit uns teilen wolltest.«

Hilgen wurde an dem Gartenthor von dem jauchzenden Knaben empfangen, der ihm entgegensprang. Der braune, kräftige Mann drückte die junge Frau in seine Arme und rief in voller Freude der Heimkehr: »Gedankt sei Gott! daß ich dich wieder habe, liebste Hanna. In Sehnsucht sind mir Tage und Stunden vergangen.«

»Alles ist wohl und gut,« sprach sie, »und dort ist Jens Lornsen, der uns besucht.«

Ein Anflug von Unmut schien über Hilgens Gesicht zu fliegen, als er Lornsen erblickte, der still an der Laube stand. Im nächsten Augenblick aber wurde er wieder froh und ihm die Hand schüttelnd, sagte er: »Sei willkommen, lieber Jens; es ist mir wahrlich lieb, daß du eben jetzt bei uns bist.«

»Du kommst aus Husum zurück?« fragte der Vogt,

»Ich bin noch weiter gewesen,« gab Hilgen zur Antwort. »Ich hatte Geschäfte in der Propstei, fuhr nach Hamburg, um einen Fleischhandel abzuschließen und ging dann nach Kiel, von wo ich nun nach Hause kehre,«

»Und was giebt es Neues?«

»Neues, allerlei,« rief Hilgen, »es ist ein absonderlicher Geist in die Leute gefahren. Sie stecken die Köpfe zusammen und führen Reden, wie man sie nie gehört hat. Die einen fürchten sich, die anderen schütteln sich. Die meisten wissen nicht, was sie wollen, aber sie schreien über Unrecht und Gewalt, und wenn man sich nicht kennte, sollte man meinen, Mord und Totschlag seien an der Thür.«

Er lachte spöttisch, indem er seinen Hut um den Kopf drehte und sich die Stirn wischte. »Ist warmes Wetter,« fuhr er fort, »aber zum ordentlichen Gewitter doch nicht geeignet. Solltest einmal sehen, Jens, was die Herren auf ihren Rittersitzen für Gesichter schneiden. Die Geschichte in Frankreich hat sie kreideweiß gemacht, fürchten sich davor wie die Kinder. Mehr als einer sieht unsere ehrlichen, langsam bedächtigen Bauern, die ihr Lebtag nichts von Revolution und Verfassung gehört haben, schon in hellen Haufen anrücken und die Schlösser niederbrennen.«

»Es sind von jeher Narren gewesen, die edlen Ritter,« sagte Lornsen lachend. »So lange sie auf ihre Privilegien pochen können, weiß ihr Hochmut kein Ende zu finden; sobald aber ein Schlag darauf geschieht, ist's mit dem Mut wie mit der Einsicht vorbei.«

»Hast recht,« rief Hilgen, »es sind Narren, auch ich hab's ihnen gesagt. Was soll wohl geschehen hier im Lande, wo bisher alles so friedlich und still war, daß man in Kopenhagen die Mäuse hören konnte, die auf unseren Kornböden umherliefen. Es konnte nichts geschehen, auch wenn Adel und Geistlichkeit mit nach Verfassung schrien, und die Hälfte von Schleswig nicht von Leuten bewohnt wäre, die dänisch sprechen und dänisch denken,«

»Da bist du im Irrtum, Freund Hilgen,« erwiderte der Vogt, »du weißt nicht, wie es in Kopenhagen aussieht. Der Absolutismus ist eingeschüchtert; eine kühne Forderung kann dort seine Niederlage bewirken und dem schwankenden alten Könige die Augen öffnen.«

»Ich glaub's nicht,« rief Hilgen, »und einer vom hohen Adel, den ich gesprochen, redete ganz anders davon. In Kopenhagen haben sie ein scharf Regiment eingeführt, und so wie sich hier etwas rührt, werden sie da sein und die Hand an den Hals desjenigen legen, der am lautesten schreit. Nun schreien sie in Kiel zumeist, denn dort ist das Nest der Aufwiegler, wie die Dänischgesinnten sagen. Eben als ich da war, ist eine kleine Schrift herausgekommen, die den Lärm noch viel größer macht. Es sollen in einem Tage zehntausend Exemplare übers ganze Land verschickt werden, damit das Büchlein nicht etwa verboten wird, und ich glaub's gern, daß man Eile hat, denn der Teufel wird los sein, wenn sie es in Kopenhagen erfahren.«

»Man muß auch den Teufel nicht fürchten,« sagte Lornsen. »Der Doktor Luther hat es auch nicht gethan,«

»Hier ist die Schrift,« sprach Hilgen, indem er ein dünnes, kleines Heft aus der Tasche zog: »Über das Verfassungswerk in Schleswig-Holstein heißt sie, und wer ist der Mann, der sie geschrieben hat?«

»Ich,« sprach Lornsen; »ich habe es nicht verheimlicht.«

»Nein, da steht's groß und breit,« erwiderte Hilgen. – »Aber wahr' dich, Jens, wahr' dich! Ich habe es nicht glauben wollen, meinte, es habe einer deinen Namen mißbraucht, habe dich für klüger gehalten.«

»Schweig!« rief Lornsen mit seiner Donnerstimme, »Männer wie du sind es, die wir zumeist zu fürchten haben.«

Lornsen schied unmutig von Hilgen, der, von der Heftigkeit des Vogts beleidigt, seine Mißbilligung über das Benehmen desselben nicht länger zurückhielt.

»Du hältst mich für feige und schwach,« sagte er beim Abschiede, »aber ich bin nur vorsichtig und will mein bescheidenes Glück nicht einem Brett anvertrauen, mit dem ich zu Grunde gehen muß. Höre auf meinen Rat, Lornsen, es ist der Rat eines schlichten Mannes, der dein Freund ist. Ich kenne die Leute besser als du. Sie lassen dich sitzen und über dein Haupt bricht das ganze Ungewitter zusammen. Keine Hand wird sich für dich rühren, und alle, die jetzt dich loben und preisen, werden ruhig zusehen, wenn sie dich zu Gericht führen.«

»Laß es gut sein, Hilgen,« erwiderte Lornsen mild. »Du bist ein Mann des Friedens und der Ruhe und kannst nicht aus deiner Haut. Ihr alle seid zu lange an Demut und unterthänigen Gehorsam gewöhnt, um wie Männer zu eurem Recht stehen und dem Unrecht und der Gewalt kühn die Stirn zu zeigen. In dem kleinen Buche da, das dir ein heilloses Verbrechen scheint, steht kein Wort, das der strengste Richter verurteilen möchte. Es ist nichts als eine ruhige, wahrhafte wohlerwogene Betrachtung der Verhältnisse, eine Aufzählung der Dinge, wie sie eben sind; einfache Wahrheiten, die in wenigen Jahren jedes Kind wissen und sich nicht darüber wundern wird. Jetzt sind sie neu und ihre Wirkung ist groß. Es ist ein elektrischer Schlag, der bis in die Hütte dringt und in den Palästen wohl Ärger und Zorn aufwecken kann, aber davor darf man sich nicht fürchten. Ein Mann, der seinem Volke dienen will, muß darauf gefaßt sein, angefeindet, geschmäht, verkannt, verketzert und verfolgt zu werden.«

»Aber, Jens,« fiel Hilgen ein, »wenn du das alles weißt, so mußt du auch wissen, daß die Mächtigen immer willige Hände finden, die auf ihren Wink den Schwachen zerdrücken,«

»Damit sie dies ferner nicht können, damit sie Rechte achten lernen, und Furcht bekommen vor Männern, die ihren Winken nicht dienen und ihre Lockungen verachten, muß man ihnen beweisen, daß ihre Macht ein Ziel hat und ein Ende erreichen kann.«

»Ich habe es wohl gesagt,« sprach Hilgen kopfschüttelnd, »du kannst nicht ruhen, nicht rasten und bist dazu bestimmt, deinen Freunden Leid um dich zu machen. Deine Mutter hatte so schöne Hoffnungen, wir alle glaubten deine Zukunft jetzt wohl begründet, du aber zerstörst deinen Frieden selbst, ohne zu bedenken, daß ein Halm sich im Sturm beugt, wenn die Eiche gebrochen wird,«

»Dann, Hilgen, ist es immer besser als Eiche zu fallen wie als Halm fortzuleben,« rief Lornsen, »Du siehst, wir werden uns nicht verständigen können, aber beruhige dich. Ich weiß, daß man langsam gehen muß, um sicher zu gehen. Beruhige meine Freunde, ich habe nichts zu fürchten. Wir wollen nichts als den Sinn des Volkes wecken, wir wollen es aus seiner jetzigen Verdumpfung reißen, es mit seinen Rechten bekannt machen, darum habe ich diese Schrift geschrieben und werde andere schreiben.«

»Ja, das Schreiben und die Schreiber, das sind die Aufwiegler, die zumeist gehaßt werden,« fiel Hilgen ein.

»Nun, hassen mögen sie mich so viel sie Lust haben,« lachte der Vogt, »aber übel müßte es mit Richtern und Gesetzen aussehen, übel mit allem Recht auf Erden, wenn es ihnen möglich wäre mir ein Haar zu krümmen. Laß es gut sein, Heinrich, so schlecht wie dein Glaube ist der meine doch nicht.«

Im Laufe einer Woche war Lornsens Buch durch die Herzogtümer verbreitet und seine Wirkung groß und allgemein. Überall wurden Versammlungen gehalten und Lornsen war in fortgesetzter Bewegung, um da und dort zu erscheinen, den Beratungen seiner Freunde beizuwohnen, Petitionen entwerfen zu helfen und den Beschlüssen Fassung zu geben. Von allen Seiten wollte man Vorstellungen an den König richten, er möge den Herzogtümern eine Verfassung verleihen, und nach Lornsens Darstellung der Landesrechte verlangte man, auf Grund der ewigen Verbindung Schleswigs und Holsteins, gemeinsame Landstände, eine wahrhafte Volksvertretung, freie Wahlen und Anerkennung der alten Landesprivilegien.

Die Bewegung war so allgemein, daß man darüber vergaß, wie der Adel, bis auf sehr wenige patriotische Männer, sich ganz zurückhielt. Lornsen kam mit stolzen Hoffnungen nach Sylt zurück, er war seit langer Zeit nicht so froh gewesen.

Auf dem Wege nach dem Hause seines Vaters traf er den Pfarrer von Morsum, der ihm schon in der Ferne von seinem Klepper herab tiefe Verbeugungen machte und seinen breitkrämpigen Hut im weiten Bogen schwenkte. »Ich grüße den großmächtigen Vogt von Sylt,« sagte er, »und bitte den gestrengen Herrn in Untertänigkeit, dem armen alten Lorenz Leve immerdar gnädig zu sein.«

»Was habt Ihr wieder an Schwänken im Vorrat, alter Freund,« erwiderte Lornsen lachend, »Schießt los und gebt heraus, was es ist.«

»Nun,« sagte der Pastor, »noch ist es im Kirchengebete nicht angeordnet, aber ich sehe dem Befehle alle Tage entgegen, für das lange Leben und die zeitliche und die ewige Wohlfahrt des Regenten in Schleswig und Holstein zu bitten. Haben die freien Bürger in Belgien soeben einen Seidenhändler zu ihrem Regenten gemacht, warum sollen die freien Bürger in Holstein, die edlen und freien Friesen, Angeln und Sachsen nicht den tapferen und standhaften Vogt von Sylt dazu erheben?«

»Ich sehe allerdings keinen triftigen Grund dagegen, wenn es nötig sein sollte,« erwiderte Jens, »es sei denn, daß man es vorzöge, den ehrwürdigen Lorenz Leve zu wählen.«

»Ehre dem Ehre gebührt!« rief der Pfarrer. »Ich habe niemals Anlagen gehabt, ein Volkstribun zu werden, und unter allen Greueln, die je in der Welt geschahen, ist mir nichts greulicher als die Geschichte der Gracchen, des Cola Rienzi und ähnlicher Volksverführer und Bösewichte, die denn auch endeten, wie es die Gerechtigkeit verlangte. Ihre kurze Herrlichkeit schloß damit, daß man sie ins Gefängnis warf, verbannte, mordete oder, wie es sich gebührte, von Henkershand abthun ließ, und dazu spürte ich nie die geringste Lust, weiß auch nicht, wie ein vernünftiger Mensch überhaupt dazu Lust haben könnte, – Willst du deinen Vater besuchen, Jens Lornsen.«

»Ja, alter Freund.«

»Wirst große Freude haben,« fuhr Lorenz Leve fort, »Es war ein Glück gestern im Hause, als die Kieler Wochen-Zeitung kam und die großmächtige Rede darin stand, welche du in Friedrichstadt gehalten. Wir hoffen, du wirst alles sammeln und drucken lassen: wird eine noch prächtigere Wirkung machen als das berühmte Werk über die Verfassung.«

»Was ich nächstens drucken lasse,« lachte Jens, »werde ich meinem lieben Freunde Lorenz Leve widmen, der eine Vorrede dazu schreiben soll,«

»Pest und Kreuz!« schrie der Alte, »ja ich will eine Vorrede schreiben, die sich sehen lassen kann. Wie steht es aber mit den Hoffnungen auf Rebellion und Revolution? Mußt gute Geschäfte gemacht haben, Jens, gut gearbeitet haben im Weinberge des Herrn; denn deine Augen leuchten so hell und stolz, als wären alle Holsten und Dithmarschen schon auf den Beinen, um sämtliche Dänen zu ersäufen und niederzuschießen.«

So ging das Gespräch fort, bis die beiden Männer das Haus des alten Kapitäns erreicht hatten.

»He, Peter Lornsen,« sagte der Pfarrer, »hier bringe ich Euch Euren Erstgeborenen mit Lorbeerkränzen geschmückt; seht zu, daß keine Dornenkrone daraus wird, wie es sich schon oft ereignet hat.«

»Ei,« erwiderte der alte Mann lächelnd, »Ihr müßt nicht vergessen, Lorenz Leve, daß der Erlöser auch eine Dornenkrone trug.« Er wandte sich zu seinen» Sohne, sah ihm ernsthaft in die Augen und sprach dann: »Denke, du weißt, was du thust, Jens.«

»Ja, Vater, denke, daß ich es weiß,« erwiderte dieser.

»Bist ein Mann, der im Sturme das Steuer festhält. Weißt auch, daß der Sturm nahe ist?«

»Möglich, daß er kommt, ehe man es denkt, Vater, aber für jetzt ist Wind und Wetter gut und alles in Ordnung.«

»Und dein Schiff, ist es so dicht und klar, daß es den Nordwest aushalten kann?«

»Ich glaube es,« sagte Lornsen. »Es ist nichts Unrechtes an Bord. Was geschehen ist und geschieht, verheißt eine gute Fahrt, und wo der ernste Wille ist, Vater, für Pflicht und Ehre einzustehen wie ein Mann, kann man ruhig abwarten, was kommen wird.«

»Recht, Jens,« sprach der Kapitän; »so fahre deinen Kurs und halte aus, wie du denkst, daß es sein muß. Bist im Amtshause gewesen?«

»Nein, Vater,«

»Hat jemand nach dir hier gefragt. Ein paar Fremde sind hierher gekommen, weiß aber nicht, ob es die sind, die in einer Schlupp vor einigen Stunden ans Land gestiegen sind.«

»Wo sind sie denn?« fragte der Vogt.

Der Kapitän hob den Finger auf und deutete auf die Thür des Hauses. Lornsen sah sich um und eine jähe Röte bedeckte sein Gesicht. Eine Dame im dunklen Mantel, den blanken Taffethut hoch aufgeschlagen, stand auf der Schwelle neben seiner Mutter.

»Was soll das?« rief er zweifelnd. »Fräulein von Hammersteen! Wie ist es möglich?!«

»Daß ich hier bin,« sagte Lina, indem sie zu ihm hintrat. »Ich suche dich, Jens. Dort liegt die Schlupp in der Bucht, welche mich herübergebracht hat. Branden hat sie gekauft; wir sind auf einer Reise nach Helgoland begriffen und wollen dich mitnehmen.«

»Mich mitnehmen?« fragte Lornsen erstaunt, »Ich bedauere es abschlagen zu müssen.«

»Und was könnte dich abhalten?« fuhr Lina fort, »Deine Pflicht? Ich glaube, es wird deine nächste und erste Pflicht sein, nicht so unwillige Blicke auf mich zu werfen, sondern zu hören, was ich dir zu sagen habe. Willst du mich durch den Garten begleiten?«

»Hier ist mein Vater, meine Mutter und ein alter bewährter Freund,« erwiderte Lornsen. »Was ich zu hören habe, kann ich in ihrer Gegenwart hören.«

»Wie unartig, wie eigensinnig!« erwiderte das Fräulein lächelnd, »aber wie du willst, ich habe Nachrichten aus Kopenhagen erhalten, die mich bestimmten, dich aufzusuchen; es freut mich, daß ich nicht zu spät komme.«

»Nicht zu spät?« sprach Lornsen leise und schwer.

In diesem Augenblick trat der Kammerherr eilig um die Ecke des Hauses, Er hatte sich seemännisch in eine weite blaue Joppe gesteckt und einen mächtigen Hut aufgestülpt. Die Hände hielt er in den Taschen, und in sein eines Auge hatte er sein Glas geklemmt. Er sah erhitzt und etwas ängstlich, aber ebenso seltsam wie lächerlich aus, »Da ist er ja,« rief er, »unser teurer Freund Lornsen. Ich grüße Sie, lieber Kanzleirat, Sie sehen prächtig aus, Sylt muß durchaus gesund sein; ich meine jedoch, wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn wir Ihre Gesundheit aufrecht erhalten wollen.«

»Kommen sie, Branden?« fragte Lina.

»Ich glaube, sie sind es,« erwiderte der Baron. »Ich sehe ein paar Männer zu Pferde und ein halbes Dutzend Kerle hinter ihnen, die höchst verdächtig in der Sonne blitzen.«

»Nun, Lornsen,« sagte das Fräulein, »ich denke, du weißt, worum es sich handelt. – Sieh dort hin, sie nähern sich rasch; in wenigen Minuten dürfte es zu spät sein.«

Lornsen warf einen langen, festen Blick auf die Reiter, welche den Weg von Morsum heraufkamen. – »Ich sehe drei Männer,« erwiderte er, »deren einen ich sehr gut kenne. Es ist der Strandvogt und Polizeimeister.«

»Die beiden anderen,« fügte Lina hinzu, »sind ein Offizier der Landgendarmerie und ein Rat der Regierung. Sie haben den Befehl, dich zu verhaften, wo sie dich finden.«

»Mich zu verhaften?« sagte Lornsen stolz und ungläubig sich aufrichtend. »Unmöglich!«

»Ehe diese würdigen Männer hier anlangen, können wir an Bord sein und vom Lande abhalten,« fuhr Lina fort. »Es springt eine Brise auf, die uns erlaubt, sie in aller Ruhe zu betrachten. Man hat in Kopenhagen beschlossen, dich zu vernichten, glaubst du, daß man es nicht kann? Laß dich nicht in ihre Kerker stecken, hoffe nicht auf die Gerechtigkeitsliebe ihrer feilen Schergen. Fliehe, Lornsen, fliehe mit mir. Wenn du in Sicherheit bist, dann entscheide, was du weiter thun willst.«

»Es ist unmöglich!« rief Jens zurücktretend, »und wenn es so wäre, wie du sagst, es ist dennoch unmöglich! Keinen Fuß breit will ich weichen: nichts könnte den Feinden meines Vaterlands willkommener sein. Sie sollen sich verrechnet haben, sowohl an mir wie an dem Rechtsgefühl derer, die sich selbst zu Richtern einsetzten. Es giebt kein Gericht auf Erden, das mich verurteilen könnte, wenn die Ehre noch eine Wohnstätte hat unter den Menschen.«

»O, Jens,« rief die bange Mutter, den Sohn bittend anfassend, »verbirg dich, fliehe, bis die Gefahr vorüber ist.«

»So leicht geht sie nicht vorüber,« sagte Lornsen, »Mögen sie es wagen, der Same ist ausgestreut, sie werden die Früchte ernten.«

»Baust du auf diese demütigen, zu allem bereiten Deutschen«« fiel Lina ein. »Du stehst, wie geschäftig sie sind, die Häscher zu machen für den dänischen König, den sie nicht anerkennen, und für seine Minister, von denen sie geschmäht, beraubt und beleidigt wurden. Keine Hand wird sich regen, meine Hand allein regt sich für dich. Noch ist der Weg frei, ich führe dich.«

»Mein Weg,« sprach Lornsen, »geht dorthin; er hat nichts mit deinen Wegen zu schaffen.«

Rasch verließ er den Platz und ging den Reitern entgegen, die soeben die Hecken der Umzäunung erreicht hatten.

»Da ist der Kanzleirat!« rief der Polizeimeister.

»Was wünschen Sie von mir?« fragte Lornsen.

Der erste der Herren trat auf ihn zu und sagte mit lauter, harter Stimme: »Es thut mir leid, ein so schlimmer Besuch zu sein; aber ich erfülle meine Pflicht. Vogt von Sylt, ich verhafte Sie im Namen des Königs!«


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