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Bald genug konnte er sich an der Verwunderung Hvalands und an dem erstaunten Lächeln des jungen Mädchens weiden, die beide sichtlich überrascht von den prächtigen Einrichtungen schienen. Der Landrichter konnte sich nicht genug daran tun, Mary immer wieder neue Herrlichkeiten zu zeigen, die alle ihr Eigentum sein sollten; alle diese Teppiche, diese glänzenden Spielereien, diese Spiegel und Bronzen sollten ihr gehören. In dem ihr zugedachten Zimmer stand ein großer Flügel, der ganz anders klang als das bescheidene kleine Instrument, das ihr Vater aus Bergen mitgebracht hatte. Auf Sturesons Bitten setzte sie sich auf einen gestickten Sessel und versuchte einige Läufe, deren Ton sie entzückte. Dann ließen die Männer sie allein, Hvaland wollte das ganze Haus sehen und Stureson ihm alle Veränderungen zeigen. Mary schmiegte sich in die Ecke eines weichen Damastlehnstuhls und überließ sich ihren Gedanken, während ihre Blicke fast teilnahmslos über die vielen schönen Gegenstände glitten, die sich im Raum befanden.

Der Kaufmann fand alles mächtig teuer und kostbar, aber er hatte auch seine Freude daran, denn sein Stolz fand sich geschmeichelt, einen solchen Schwiegersohn zu haben. Was ihm unverantwortliche Verschwendung geschienen hätte, wenn er für sich es hätte kaufen sollen, das war ihm angenehm, hier zu finden. In dem neu errichteten Saal war schon eine lange Tafel gedeckt, alles vollauf an feinem Tischzeug, Porzellan und Kristall. Darüber schwebte ein großer Kronleuchter, und an der Wandseite stand ein Tisch mit Weinen und Gläsern.

»Hier wollen wir fröhlich sein«, sagte Stureson, »heute, morgen und die nächsten Tage; aber nicht diesmal allein, sondern noch oft und immer, denn wenn Mary erst hier häuslich waltet, wird der Papa, so denk ich, uns aufsuchen, sobald es ihm zu einsam wird am Senjenöesund.«

»Ei ja«, rief Christie Hvaland, »sollt mich bei Euch haben, sooft es angeht! Werde Sehnsucht genug nach meiner Mary Augen empfinden. Aber was hilft es? Muß sie missen, ist Gesetz und Ordnung des Lebens, also von Gott eingesetzt.«

»Und bald sollt Ihr sie missen, bald!« fiel Stureson ein, indem er Mary lächelnd festhielt, die sich soeben wieder zu ihnen gesellt hatte.

»Haben es noch nicht festgemacht«, sagte Hvaland scherzend, »können bis zum Frühjahr damit warten.«

»Längstens noch vier Wochen, Schwiegervater!« rief der Landrichter. »Bitte, meine süße Mary, bitte mit mir, daß wir in nächster Woche uns vor dem Pfarrer in Talvige einstellen!«

Mary blieb stumm, der Landrichter jedoch schien dies für eine Zustimmung zu halten, denn ohne sie zu Wort kommen zu lassen, fuhr er fort, auf den Kaufmann einzureden, und nach einer ganzen Reihe von Scherzen und Einwendungen gab Hvaland endlich zu, daß, sobald der Markt am Malanger Fjord vorbei und die Rechnungen abgeschlossen sein würden, das Aufgebot von der Kanzel erfolgen könne, worauf alsdann am Michaelistage die Trauung stattfinden sollte.

Nachdem er dies versprochen, lief er hinaus und ließ die beiden Verlobten zurück, denn er sah durchs Fenster um die Spitze des Vorgebirges seine drei schwer beladenen Boote segeln und eilte, um zugegen zu sein, wenn sie Anker werfen würden, den Platz auszusuchen, wo er seine Bude errichten wollte, und mit allerlei Leuten zu sprechen, deren Dienste er nötig hatte.

Stureson öffnete inzwischen die Tür, welche aus dem Saal in den Garten führte. Hier war die schönste Aussicht auf Gebirge und Meer. Das ganze reizende Panorama, die umgletscherten Felsen der hohen Jauren, welche am Himmel zu schweben schienen, und das bunte Menschentreiben auf den grünen Ufern des Fjords, alles bot sich den Augen des Paares.

»Bist du es denn zufrieden, meine liebe Mary«, sagte Stureson im zärtlichsten Tone, »daß der Priester deine Hand in die meinige legt?«

»Ich bin es zufrieden«, erwiderte Mary ernsthaft, »und bitte meinen Schöpfer, daß er mir die Kraft verleiht, dich recht gut und glücklich zu machen.«

»Ei, das klingt recht fromm«, sagte Stureson lächelnd, »und Propst Stockfleth könnte nicht besser die Pflichten einer treuen und ergebenen Gattin schildern. Aber ich verlange mehr von dir, meine Mary! Du sollst mich lieben, mich verstehen, mir unlöslich anhängen, und ich will dich dafür so hoch erheben, wie ich immer vermag!«

Ihre tiefen braunen Augen sahen furchtsam, aber doch bestimmt zu ihm auf. »Ich denke«, sagte sie, »alles zu sein, was du von mir forderst, und verlange nichts dafür als das, was ein Mann seiner Frau immer geben soll.«

»Ach, deine Rätsel«, fiel Stureson ein. »So sage mir, was du verlangst, was dein genügsames Herz begehrt!«

»Mein Herz«, erwiderte sie lächelnd, »will, daß du es achtest und gütig mit ihm umgehst. Du hast in der großen Welt gelebt, viel erfahren und viele weit schönere und klügere Frauen kennengelernt. Ich habe nichts als mein natürliches Empfinden für das Rechte und Gute wie für das Ungerechte und Harte. Du willst, daß ich dich liebe und verstehe. Ich will mich bemühen. Aber zeige du mir den Weg, daß ich dich verstehen und lieben lerne, durch deine Handlungen, deine Güte, durch die Achtung, die alle guten Menschen dir zollen.«

»Du gutes Kind«, sagte Stureson, und seine Stimme drückte ein Gemisch von Spott, Mitleid und Teilnahme aus, »du hast ja recht. Wahre Liebe ist immer auf Achtung begründet, alles andere ist Täuschung, ein flüchtiger Rausch der Sinne, und man kann nur achten, was sich über das Gewöhnliche erhebt. Und dies gedenke ich ohnehin zu tun.«

»Ich wünschte mir«, antwortete sie, eingeschüchtert vom Klang seiner Stimme, »Gutes zu tun und durch dich Gutes zu fördern. Du bist angesehen in deinem Amt und kannst für Leidende und Unterdrückte viel tun. Holmböe hat manches bewirkt. Dies Haus, in welchem wir wohnen, besitzt ein gesegnetes Andenken. Aber Holmböe war zu arm, er konnte nicht ausführen, was er begonnen. Du wirst reich sein, meines Vaters großes Vermögen wird dich in den Stand setzen, viel Glück und Freude um dich zu verbreiten.«

»Wenn ich dich recht verstehe«, erwiderte der Landrichter, »so meinst du, daß ich mein Leben so gemeinnützlich anwenden soll wie mein Vorgänger? Daß ich Lappen zähme, den Boden bebauen, Kolonien errichten, Versuche machen soll, was hier gedeiht und wächst, und ähnliche Experimente?«

»So schön und reich und noch reicher möge dein Leben sein«, sagte Mary mit leuchtenden Blicken, »dann will ich getreulich alles mit dir teilen.«

Stureson lachte laut auf. »Ich will Hals und Kragen wetten«, rief er, »wenn nicht alles, was du mir gesagt hast, aus Stockfleths Kopf in dein weiches Köpfchen übergeströmt ist! Das sind seine Lehren – ich höre seine Grundsätze! Aber glaube mir, teure Mary, die Welt ist anders, als diese phantastischen Tugendbolde sie ausmalen. – O wende dich nicht ab und zürne mir nicht«, fuhr er fort, »wir wollen ja Gutes tun, soviel wir können, und ich will dich nicht hindern, deinem schönen Mitleid zu folgen. Aber wenn du meinst, ich müsse mein Leben hier zubringen, um Holmböes Narrheiten weiterzuführen oder Stockfleths Schüler und Bewunderer zu werden, so muß ich dir widersprechen.«

Er schlang den Arm um sie und deutete auf das bunte Gewühl am Fjord. »Laß doch diese Leute hier alle ihr Leben führen, wie sie es gewohnt sind; laß sie bei ihren Kabeljauen, ihren Tranfässern, ihren Rentieren, ihren Hütten und Booten leben, wie es Gott bestimmt hat. Wir werden mit aller unserer Mühe, mit allen unseren Opfern nichts daran ändern können. Was hat denn Stockfleth bewirkt, der seit zwanzig Jahren durch die Wüsten läuft? Was hat Holmböe bewirkt und vor ihm manche wackeren Männer, die alle bessern und bekehren wollten? Sieh diese zottige, gierige Masse an, sie ist so roh und schlecht, wie sie immer war. – Nein, so gemein soll unser Dasein nicht verkommen. Vertraue mir, glaube nur, daß ich weiß, was zu unserem Glück gehört, und du wirst sehen, ich streife deine Einfachheit, deine nachlässige Erziehung, deine Unkenntnis des Lebens bald von dir ab und mache, daß Grafen und Fürsten von deiner Schönheit, deiner Klugheit und deinem ganzen Wesen bezaubert sind!«

Diese Aussichten konnten Mary jedoch nicht erheitern. Sie schwieg, betrübt über den geringen Erfolg ihres Gespräches, sie fühlte sich verletzt und in ihren Erwartungen getäuscht, ihre Furcht vor dem gewalttätigen Wesen dieses Mannes erwachte erneut, und auch der Gedanke an die großen Aufgaben, die sie, nach des Propstes Meinung, an seiner Seite würde erfüllen können, vermochte ihre Bedrücktheit nicht zu mildern. Stureson seinerseits hatte genug gehört darüber, was dieses junge Mädchen dachte und was sie sich von ihrem Ratgeber hatte einreden lassen, um zunächst weitere Erörterungen zu vermeiden.

Um sie abzulenken, zeigte er ihr, was er in seinen Schränken an Silber und anderen wertvollen Gegenständen verwahrte, machte ihr einige hübsche Schmucksachen zum Geschenk, scherzte und gab sich froh und unbefangen. Sie jedoch konnte die spöttischen Blicke nicht vergessen, mit denen er sie betrachtet hatte, als sie von den Wünschen für ihr gemeinsames Leben sprach. Eine bittere Kälte füllte ihr Herz, und nur mit aller Gewalt vermochte sie die Tränen zu unterdrücken, welche das dumpfe Weh in ihre Augen drängte.

Nach einiger Zeit kehrte ihr Vater vom Markt zurück, und mit Hvaland kamen mehrere Kaufleute samt Frauen und Töchtern, darunter manche Freundinnen Marys oder was man gewöhnlich so nennt. Sie hatten ihre Zelte und Buden aufgeschlagen, ihre Wagenvorräte ausgeschifft, geordnet und unter Aufsicht gestellt und folgten nun Christies Aufforderung, mit ihm seinen Schwiegersohn zu besuchen.

Es waren die reichsten und geachtetsten Leute, welche hier zusammenkamen und ihre Glückwünsche über das junge Paar ausschütteten. In Sturesons prächtigem Haus verwandelte sich die Bewunderung der jungen Mädchen bald in Neid. Welche von ihnen hätte den stattlichen Mann nicht genommen, der so reiche herrliche Sachen, solchen Geschmack und solch einträgliches Amt besaß! Keine verfehlte, Mary zu sagen, wie glücklich sie sei, hier wohnen zu können und alle diese Herrlichkeiten zu genießen.

Der Nachmittag vermehrte die Gäste des Sorenskrivers, denn die rege Lebendigkeit am Fjord wuchs mit jeder Stunde. Stureson ließ sein schönes Lustboot zu einer Fahrt auf dem Fjord an das Bollwerk legen, und bald flog das flinke Schiffchen mit weißen vollen Segeln durch die leichten Wellen. Er selbst führte das Steuer und zeigte seine Geschicklichkeit als guter Seemann durch schnelle Wendungen und wie er sein Fahrzeug mitten durch die anderen führte oder Bord an Bord vorüberflog. Am äußersten Ende des großen Marktplatzes landete die Gesellschaft, um die verschiedenen Hütten und Zelte zu betrachten, wo viele in der Nacht ihr Unterkommen fanden, und als man endlich auf allerlei Umwegen unter Scherzen und Lachen in das gastliche Haus zurückkehrte, geschah es nur, um von neuem zu trinken, zu schmausen, gesellige Spiele zu spielen und zuletzt bis in die Nacht hinein zu tanzen.

Der Landrichter hatte für alles gesorgt, was seinen Gästen Vergnügen gewähren konnte, sein Lob war in jedem Munde. Alle versicherten, nie einen Mann gesehen zu haben, der so wisse, was Lebensart sei und wie man seine Tür offenhalte, daß Freunde gern hereinkommen mögen. Wein und starke Getränke aller Art waren in Hülle und Fülle vorhanden, leere Flaschen und leere Gläser konnte er nicht dulden. An kleinen Tischen saßen die Älteren bei Boston und Whist unter den mächtigen Dampfwolken ihrer Tabakpfeifen, für das junge Volk schallte Musik ohne Aufhören, und Stureson selbst war unermüdlich und überall. Es war kein Tanz, den er nicht mitgemacht hätte, sein Stolz war heute ganz in Freudigkeit und Scherz verschwunden, und als er mit Mary den nordischen Fandango auf und ab flog, klatschten alle Hände Beifall, und die alten dicken Kaufleute, Vögte und Lehnsmänner an den Tischen trommelten furchtbar mit den Füßen, daß Lichter und Gläser umstürzten, zur Ehre des mächtig wackeren Brautpaars.

So gingen die Stunden vorüber, bis es den meisten gut dünkte, ihre nächtlichen Ruhestätten auf den Jachten, in den Booten oder in den verschiedenen Herbergen aufzusuchen. Manche Bevorzugte fanden in Sturesons Gebäuden ihr behagliches Unterkommen, als aber seine Zimmer leer waren und das Haus still wurde, ging er lange noch in seinem Schlafgemach auf und nieder, um seinen Gedanken nachzuhängen.

Die dickbesohlten Stiefel der nordländischen Aristokratie hatten seine Dielen zerstampft und ihre Kraftsprüche aus rauhen Kehlen seine Ohren zerschnitten. Während er sich langsam entkleidete, begleitete er seine Selbstgespräche mit verächtlichen und spöttischen Randbemerkungen. Er war hierher gekommen, einzig, weil er Geld nötig hatte und ihm kein weiterer Ausweg geblieben war. Jetzt, wo viel Geld ihm gewiß schien, war nicht mehr der geringste Grund vorhanden, länger hier zu bleiben, als er mußte.

»Morgen«, sagte er, »will ich nach Christiania und Stockholm schreiben und meine Vorbereitungen beginnen. Ich suche ein ehrenvolles Amt, gleichviel, was es einbringt; für unsere standesgemäße Erhaltung wird Hvaland mit Freuden Sorge tragen. Fort will ich«, murmelte er dann erregter, »wäre es auch nur, um allen diesen Lappen und Böelappen, Missionaren und langweiligen Geschichten aus dem Wege zu gehen! – Sonderbar, daß mir der blasse schwarzhaarige Schelm immer wieder einfällt, daß mir die Augen immer wieder einfallen, mit denen er mich ansah, als ich ihn über den Rand der Klippe stürzte.«

Er hatte sich auf sein Bett gesetzt und starrte ernsthaft vor sich hin, endlich aber sah er zur Decke empor, denn über ihm schlief Mary, und leise streckte er die Hand aus und flüsterte spöttisch: »Warte, mein Goldfischchen, warte! Alle diese Sorgen und Plagen sollst du mir bezahlen! Ich will dich an einen Ort bringen, wo du ganz mein eigen sein sollst, will dafür sorgen, daß dir die tugendhaften Grillen vergehen, und alle Erinnerungen an deine Verirrungen will ich dir austreiben!«

Im selben Augenblick, als er diese Worte sprach, drang ein Ton in sein Ohr, der jähes Entsetzen über ihn brachte. Es war derselbe Ton, der ihn einst aufgeweckt hatte, als er in dem Felsspalt eingeschlafen war. Leise, süß und klagend zitterte er durch die Nacht. Stureson meinte den gespenstischen Geiger vor sich zu erblicken, wie er ihn damals gesehen hatte, das Haupt tief auf sein unförmiges Instrument geneigt, sein schwarzes Haar darüber ausgeschüttet und Mondlicht blaß darüber rieselnd. – Mit glühenden Augen sprang er auf, sein mächtiger Körper zitterte. Er blickte nach allen Seiten hin und sah nichts als das verglimmende Licht der kleinen Lampe in der Ecke. Aber der Ton war noch in seinen Ohren, als umschwebe er ihn wie der Geist eines Erschlagenen, der mit seinen Seufzern den Mörder aufweckt und verfolgt. Er wußte nicht, woher der Ton kam. Er hörte ihn, ohne zu wissen, ob es Wahrheit oder erregte Einbildung sei. Mit Heftigkeit stieß er den Laden auf und öffnete das Fenster. Alles war dunkel und still, der kalte Wind schüttelte die schwarzen Bäume, die Wellen des Fjords rauschten, phosphorisches Leuchten zuckte darüber hin. Die düsteren Schatten des Gebirges und schweres Gewölk schmolzen zusammen zu einer mächtigen undurchdringlichen Masse.

Schaudernd zog Stureson den Kopf zurück. Seine große Uhr schlug eins.

 

Am nächsten Morgen begann der Markt, und vom ersten Tagesschein an scholl der Lärm vieler hundert Menschen von allen Seiten her. Noch lag der blaue Dunst der Nacht in düsteren Spalten und engen Klüften, Nebel ringten und ballten auf dem Fjord in wunderlichen Spielen, bald aber wurde alles durchsichtiger und heller, und endlich lief ein blitzendes Leuchten über die Mitte des breiten Wassers. Der erste Sonnenstrahl spaltete die dicke Luft und fuhr über den Wiesengrund, auf welchem der Markt stattfand.

Früh war auch jeder im Hause erwacht. Hvaland war längst auf den Beinen, hatte seinen Kaffee getrunken, mit einem Messer lange Späne von einer zähen, holzartigen rötlichen Masse abgeschnitten und nach gewaltiger Arbeit zwischen seinen Zähnen glücklich verschluckt, wobei er alle Zeichen gab, daß es ihm vortrefflich schmecke. Diese Masse war eine Lieblingsspeise des echten Nordländers, der Überrest eines geräucherten Hammelschinkens, herrliches Spegekjiöd, dessen beste Teile schon gestern den Weg allen Fleisches gegangen waren.

Nebenher sprach er mit Mary, die mit gefalteten Händen bei ihm saß und still über etwas nachzudenken schien. Ihr sanftes Gesicht war von einem Lächeln erfüllt, ihre Augen blickten durch die Fenster auf den sonnenhellen Fjord, aber ihre Ohren schienen wenig von dem zu hören, was ihr Vater sprach, obwohl es sie betraf.

»Heut«, sagte Hvaland, »wird es wild genug hergehen. Sind viele Lappen gekommen, mehr als ich lange Zeit hier gesehen habe. Werden die Rentiere wohlfeil sein, die Felle im Preise sinken, Schneehühner und Vögel billig fortgehen, mancher ein leckeres Mahl halten und für wenig Geld sich Wintervorräte kaufen können. Denk auch meinen Handel zu machen, wie es sich schickt«, fuhr er vergnügt schmunzelnd fort, »habe meinen alten guten Platz in der Mitte des Marktes, und was Stureson betrifft, so wird er, ehe zwei Tage vergehen, eintausend harte Spezies einwechseln können. Streit vollauf ist zu schlichten; kommen von allen Seiten, um das Recht anzurufen, wird alle Hände voll zu tun haben.«

Er sah Mary von der Seite an und neigte sich dann zu ihr hin. »Will dir sagen«, flüsterte er, »was er mir vertraut hat. Alles Geld, was er heut einnimmt, soll zum Hochzeitsgeschenk für dich verwandt werden. Kannst wählen, was du haben willst. Einen Goldschmuck, wie ihn die Frau des Amtsmanns in Bodöe hat, Atlas und Spitzen aus Frankreich oder Ringe und Ketten und eine Uhr daran. Er ist ein Verschwender, Mary, aber die Weiber wollen es so haben, und nimm's immerhin, Christie Hvaland wird's schon gutmachen, wenn es fehlt.«

»Ich will nichts nehmen, Vater«, erwiderte sie, den Kopf schüttelnd.

»Willst nichts, willst sparen?« lachte Christie. »Ei ja, besser ist's, sein Geld behalten. Aber du sollst haben, was keine hat, du sollst die Erste sein im Lande, weil du seine Frau bist.«

»Muß ich's denn sein?« fragte Mary mit sonderbarem scharfem Ton, indem sie ihren Vater anblickte.

»Ob du es sein mußt?« rief dieser erstaunt. »Schläfst doch nicht mehr«, fuhr er lachend fort, »sieh dort, da ist Malanger Fjord und hier sitzen wir in Sturesons Haus, wo du wohnen wirst mit ihm.«

»Nimm mich mit dir«, sagte sie, mit beiden Händen seinen Arm umklammernd. »Ich will wohnen, wo du wohnst, ich will bei dir bleiben, Vater, will mich niemals von dir trennen!«

»Bist ein Narr!« schrie Christie mit rauher Stimme auf. Dann aber suchte er sich sanfter loszumachen und sagte beruhigend: »Sei kein Kind, Mary, was fällt dir ein? Stureson hat um dich geworben und bist ihm entgegengekommen mehr, wie ich es dir zugetraut hätte. Gleich am zweiten Abend hast ihn angenommen, wenn es andere wüßten, würden sie Nachrede machen, die keinem lieb wäre.«

»Mir ist so bang, Vater, so schwer und bang im Herzen«, flüsterte das Mädchen.

»Kann's mir denken«, lachte er, »ist ein stolzer fester Mann. Aber er liebt dich ja, tut alles nach deinen Wünschen.«

»Laß ihn warten bis das Frühjahr kommt, guter lieber Vater«, sagte sie leise bittend. »Ich habe einen Traum gehabt, einen schweren, gefährlichen Traum. Nur jetzt laß mich nicht von dir, nicht so bald. Wir müssen Stureson besser kennenlernen, ehe du ihm dein Kind anvertraust.«

»Mädchen!« rief Hvaland, indem er die harte Faust ballte und auf den Tisch schlug, »höre auf mit dem unsinnigen Gewinsel. Wenn das dein Wille war, wenn du warten wolltest, warum sagtest du es nicht? Noch gestern wäre es Zeit gewesen, als ich mein Wort gab, am Michaelistage solle die Hochzeit sein. Du hast nichts eingewendet, hast genickt und endlich ja gesagt. Zwischen gestern und heut hat eine kurze Nacht gelegen, welcher Kobold ist dir im Traum erschienen?«

Mary antwortete nicht, ihr Vater schüttelte grämlich den Kopf und sprach dann weiter: »Gesagt ist gesagt, und mein Wort ist mein Wort. Will mich nicht auslachen lassen deiner Launen halber. Wissen es alle, die hier sind, wann die Hochzeit sein soll, habe am Michaelistage ein Fest versprochen, wie es noch nicht gesehen wurde am Senjenöesund, und will, so wahr ich Hvaland heiße, kein Lügner werden. Mach kein Gesicht, Mary«, rief er, indem er aufstand, »als solltest du Eis holen aus den Schubsäcken der Hexenkinder, die da oben in den Tanasjauren wohnen! Gleich laß deine Augen klar werden, ich höre Sturesons Stimme draußen. Was soll er denken, wenn er dich so findet, wie keine Braut sein soll? Ist ein Mann, der seine Hand ausstrecken mag nach Nord und Süd, wohin er will, und die Besten greifen nach Ring und Finger. Wirst beneidet, Mädchen. Denk an den Schmuck, sieh hin, was dein ist, sieh hin, wie sein Haus blitzt!« Er stieß ein helles Gelächter aus und drückte Marys Kopf an seine Lederjacke, während er ihr Haar streichelte und doch dabei so grimmige Blicke auf sie richtete, daß sie keinen weiteren Widerspruch wagte.

Stureson öffnete die Tür und blickte Mary forschend an.

»Sie hat nicht gut geschlafen«, sagte Hvaland, »hat Kopfschmerzen, ist nicht eingerichtet für den Spektakel bis tief in die Nacht.«

»Ist deine Ruhe gestört worden?« fragte der Landrichter teilnehmend seine Braut, indem er ihre Hände faßte.

»Durch nichts«, erwiderte sie, »ich habe unruhig geträumt.«

»So erhole dich jetzt am frischen Morgen«, antwortete er, »es ist mir nicht viel besser ergangen. Meine Zeit ist fürs erste beschränkt, mein Platz in der Gerichtsstube. Aber draußen sind deine Freundinnen, liebe Mary, unterhalte sie, zeige ihnen dein Haus, besieh den Markt und seine Schätze. Sobald ich kann, suche ich dich auf.«

Nun ging Hvaland, wohin ihn seine Geschäfte riefen, der Landrichter begleitete ihn und eröffnete sein Gericht, vor welchem viele Kläger und Beklagte erschienen, um Mary aber sammelte sich nach und nach eine ganze Schar junger Mädchen, die mit ihr plauderten, unendlich viele unbedeutende Dinge zu erzählen hatten, ihre Hoffnungen und Neuigkeiten auskramten, über ein Nichts lachten und sich belustigten, auf Geschenke rechneten, die ihre Väter, Verwandten und Anbeter ihnen verehren sollten, und im voraus neugierig rieten, was wohl Stureson seiner Braut anbinden werde. So vergingen lange Stunden, bis endlich alle übereinkamen, es sei jetzt Zeit, den Markt zu besuchen und sich umzuschauen, wie Handel und Wandel ständen.

Der Weg führte am Ufer des Fjords hin, nach einer Viertelstunde waren die Mädchen mitten in dem Gewühl, das lustig genug anzuschauen war. Der größte Teil der schreienden, schwatzenden und wild lärmenden Menge bestand aus Lappen, die mit Weibern und Kindern aus den Gebirgen gekommen waren. Greise mit seltsamen breitgequetschten Nasen, alte Weiber von entsetzlicher Häßlichkeit, schmutzige gelbe Gesichter, die unaufhörlich lachten und ihre vom Skorbut hart mitgenommenen Zähne zeigten, ballten sich in Haufen um die Buden der beliebtesten Kaufleute zusammen und führten ein betäubendes Geschnatter auf. Sie handelten und feilschten um ihre Tauschwaren, um Rentierschinken, Felle und Hörner, um ihre lebendigen Schlachttiere, um Vögel mannigfacher Art, welche sie zu Dutzenden gespießt trugen, und um bunt gesteppte Röcke, die ihre jungen Dirnen sehr sauber rot auszunähen verstehen, um die weichen bequemen Halbstiefel von Rentierhaut, welche in den Gammen mit Rentiersehnen genäht werden, um Bären- und Wolfspelze, Fuchs- und Otterfelle, den Räubern abgezogen, die sie auf der Jagd erlegten, um Säcke mit Federn aus der Brust der glänzend weißen großen Möwen, Eiderenten und anderer Strandvögel; und für alle diese Handelsprodukte begehrten sie Pulver und Blei, eiserne Töpfe und Kessel, Mehl für ihre kräftigen Blut- und Fleischsuppen, grobes Segeltuch für ihre Zelte und endlich blanke harte Spezies von Silber, um sie bei den übrigen zu vergraben.

Die Kaufleute trieben den Tauschhandel ebenso schlau wie einträglich, aber aus den Armen und Buchten des großen Malanger Fjords und von den Inseln herüber, die in unzähligen Brocken auf dem Meer zwischen Senjenöe und nördlich hinauf ausgestreut sind, waren auch viele Fischer und Kolonisten gekommen, um sich mit Winterfleisch, Vögeln, Komagern und Pelzdecken zu versehen. Riesenhafte Männer aus dem Geschlecht der eingewanderten Finnen handelten unter wilden Flüchen mit den kleinen boshaft grinsenden Lappen, die von ihren Preisen nicht ablassen wollten. Die Kugeln von Kautabak rollten dabei von einer Backe in die andere und brachten seltsam schiefe Gesichter hervor. Ihre Frauen hockten zusammen, rauchten die Pfeifen der Männer und mischten sich zuweilen mit gellendem Geschrei in den Handel. Da wurden Rentiere betastet, ihr Gewicht untersucht, der geforderte Preis mit Hohngelächter aufgenommen oder der Verkäufer mit der Branntweinflasche zur Einsicht gebracht.

Von Zeit zu Zeit aber erschienen unter diesen Haufen von Fischern in dunklen Zwillich- und abgeschabten Lederjacken, mitten unter den Glanzhüten der Quäner und Kolonisten und den braunen schmutzigen Baumwollhemden und hochstehenden Mützen der Rentierhirten einige ganz artige und wohlgefällige junge Burschen und junge Mädchen, die offenbar den begüterten Lappenfamilien angehörten. In ihren blauen Jacken und weiten Röcken, welche mit roten Litzen besetzt und bestickt waren, den weißen Häubchen, weißen faltigen Schürzen und schön mit Arabesken von gelben, blauen und roten Fäden besetzten Komagern trippelten die Mädchen durch das Gedränge, und obwohl die kleinen lappischen Schönheiten von den stolzen Töchtern der Kaufleute mit spöttischen Blicken betrachtet wurden, so waren sie nichtsdestoweniger hübscher und zierlicher als viele, die ihnen nachhöhnten. Auch unter den in ihre Nationaltracht gekleideten jungen Männern mit breiten gestickten Jagdgürteln über den braunen Jagdhemden, gestickten Komagern an den Füßen und glänzenden Federn an den Mützen, die ihre schwarzen Locken fliegen ließen, fanden sich hübsche und gewandte Gestalten. Mehrere von ihnen brachten Gegenstände zum Verkauf, vielleicht die einzigen Kunstprodukte, welche hier zu haben waren, nämlich kleinere und größere Taschen, allerliebste Körbchen, Kragen und Überwürfe, verfertigt von den feinsten Daunen verschiedenartigster Vögel, die mit wundervoll glänzender Farbenpracht und in Schattierungen, welche ein Künstler nicht schöner zusammenstellen konnte, das Auge entzückten.

Die Töchter der Kaufleute suchten nach einiger Zeit Mary auf, welche sich von ihnen getrennt hatte und bei ihres Vaters großem Kramladen geblieben war, wo es bunt und geschäftig herging, denn Hvaland hatte alle Hände voll zu tun; um seine Vorräte drängte sich das dichteste Gewühl der Käufer, und der schlaue alte Handelsmann war so froh gelaunt wie selten, denn solchen Markt hatte er kaum je erlebt.

»Werde alles los heut«, rief er seiner Tochter zu, »ist ein Reißen darum, habe reinen Tisch gemacht, ehe drei Stunden vergehen!« Er streichelte ihr vergnügt die Stirn und fuhr fröhlich fort: »Na, Mary, denke, deine Grillen sind vorbei. Siehst besser aus um die Augen. Handel ist Handel – bist eine Ware, die losgeschlagen ist, aber der Käufer soll nicht sagen, daß er betrogen wurde! – Hast nichts gefunden auf dem ganzen Markt, was dir gefällt, Mädchen? Kaufe dir das Beste, was da ist, ich«, er verbesserte sich, »oder Stureson – er wird es bezahlen.«

Jetzt erschienen die jungen Mädchen und riefen Mary wie aus einem Munde zu: »Wundervolles kannst du kaufen, Mary! Ein Lappe ist hier, der das schönste Mäntelchen von Federn hat, das je von eines Menschen Hand gemacht wurde!« Sie beschrieben das Meisterwerk mit Worten höchster Bewunderung. Weiß sei der Grund, blaue, braune und brennend rote Federn bildeten Figuren darauf, die ineinanderlaufend sich verschlängen, und innen sei es mit feinstem Pelzwerk gefüttert.

»Was ist der Preis?« fragte Hvaland.

»Ei, teuer ist er damit«, erwiderte eines der Mädchen, »achtzig Spezies fordert er dafür.«

Hvaland riß die Augen auf. Er wußte freilich, daß die Federarbeiten hoch bezahlt wurden, aber diese Summe schien ihm doch der Gipfel höchster Unverschämtheit. »Ist der Narr toll?« schrie er. »Wo ist er? – Oho, da kommt der Sorenskriver. Ist er es nicht? Aber was zum Henker gibt es da? Streit und Prügel, so wahr ich lebe. Sie werfen ihn in die Luft, den Burschen! Will's Gott, er muß gute Knochen haben, wenn er sie nicht brechen sollte!«

Der Lärm übertönte seine Stimme, die Mädchen drängten sich ängstlich unter seinen Schutz, und Hvaland war sehr ärgerlich über die Störung, welche viele Käufer veranlaßte, hinzulaufen, um zu sehen, was es gäbe.

»Es ist nichts als ein erbärmlicher betrunkener oder verrückter Böelappe«, sagte ein Mann, der zurückkam. »Er hat sich unterstanden, dem Sorenskriver in den Weg zu treten, ihm mit der Faust zu drohen und von ihm zu fordern, er solle ihn zum Schulmeister machen, oder er wolle ihn an den Galgen bringen.«

Ein allgemeines Gelächter entstand. »Das lappische Tier«, fuhr der Erzähler fort, »ist aber übel fortgekommen. Der Sorenskriver meinte es gut mit ihm, wollte ihn fortbringen, aber er schrie und schimpfte wie ein Besessener. Da nahmen sich ein Dutzend wackere Jungen vom Lyngen-Fjord seiner an. Jetzt liegt er mit zerschlagenem Kopf auf den Steinen und wird fürs erste genug haben. Der Sorenskriver hat die Gerichtsdiener kommen lassen, er wird ihn kurieren, wie es sein muß!«

Das Gelächter dauerte noch fort, als Stureson herbeikam, der über den Vorfall genau ebenso zu denken schien.

»Das alberne Tier«, sagte er verächtlich, »hat beinahe eine zu starke Lehre bekommen über die Kunst, sich sittlich und anständig zu benehmen. Vorläufig mag er nüchtern werden, morgen wollen wir weitersehen, wie er zu bessern sein mag.«

»Wie heißt er?« fragte Hvaland.

»Henrik Jansen soll er heißen«, erwiderte der Landrichter, »und ganz in Eurer Nähe wohnen.«

»Ist es der aufgeblasene Schuft?« schrie der Kaufmann. »Dacht ich doch, daß er es sein müßte. Wiegelt seit einiger Zeit mir die Leute auf, grinst mich an, wenn er mich sieht, und hat sonderbare Reden geführt, daß er bald an meinem Tische sitzen wollte, und ich müßte ihn bedienen.«

»Er scheint ein Trunkenbold und ein Narr zu sein«, sagte Stureson.

»Straft ihn, daß er zur Vernunft kommt!« rief der Kaufmann.

»Sorgt nicht«, lächelte der Landrichter, »ich will ihn mürbe machen. Aber meine liebe Mary sieht ängstlich und ernst aus«, fuhr er fort. »Mein Geschäft für den Vormittag ist beendet, was übriggeblieben, mögen meine Schreiber abtun. Was gibt es nun, womit ich dich erfreuen kann? Hast du nichts gefunden auf dem Markt, das du dir wünschen würdest?«

Die Braut schüttelte den Kopf, aber ihre Freundinnen konnten sich nicht so bescheiden zurückhalten.

»Es ist etwas da, Herr Sorenskriver«, sagte die Keckste, »das niemand kaufen kann außer der Herr Sorenskriver!«

»Was ist es?«

»Ein Federmantel, den eine Königin tragen könnte!«

»Dann muß ihn Mary besitzen«, rief der Landrichter, »wo ist er?«

»Ein Lappe hat ihn zu verkaufen, ein sonderbares, häßliches Geschöpf. Er muß die Lepra haben, sein ganzes Gesicht ist bepflastert und steckt samt dem Hals in dichten Binden.«

»Mag er haben, was er will«, sagte Stureson, »er mag es behalten, aber den Mantel soll er uns lassen.«

»Laßt ihm den auch«, fiel Hvaland ein. »Es ist ein unverschämter Bursche, achtzig Spezies hat er gefordert!«

»Und wären es hundert«, rief Stureson, »wenn er Mary gefällt, ist er mir nicht zu teuer!«

Die jungen Mädchen richteten beifällige und bewundernde Blicke auf den Bräutigam. Wie war Mary zu beneiden um diese Liebe!

»Wo finden wir den Wundermantel?« fragte Stureson. »Er wird doch nicht schon verkauft sein?«

»Seid ohne Sorge«, sagte Hvaland lachend, »so leicht wird der gaunerische Landstreicher ihn nicht los. Die ihn etwa haben möchten, warten bis Abend, bis auf den letzten Glockenschlag, und bieten dann zwanzig bis fünfundzwanzig Taler, wofür er ihn gern losschlägt, um nicht ohne Geld nach Haus zu kommen. Rat Euch, daß Ihr es ebenso macht.«

Aber Stureson wollte davon nichts wissen. »Komm«, sagte er zu Mary, »laß den Vater die Reste seiner Vorräte verkaufen. Der Handel geht gut, wie ich sehe, und an solchen Tagen tut eine Handvoll Spezies mehr oder weniger keinen Schaden.«

Hvaland schmunzelte dazu und machte sein pfiffiges Gesicht. »Nun meinetwegen«, rief er den Davoneilenden nach, »gebt dem Schelm, was er haben will, und meinen Segen obenein, wenn er ihn gebrauchen kann!«

Der Sorenskriver durchstrich den Markt nach allen Seiten und tat mancherlei Fragen an bekannte Leute nach dem Lappen mit dem schönen Federkragen. Viele erinnerten sich, ihn da und dort gesehen zu haben, aber nirgends war er zu finden. Es war inzwischen später geworden, und die befriedigten Käufer überließen sich den Genüssen, die in manchen Buden und an vielen Feuerstellen ihnen dargeboten wurden.

Die jungen Mädchen waren inzwischen mit Mary weitergegangen, während Stureson, von einigen Kaufleuten und Lehnsmännern aufgehalten, Antwort auf ein paar Streit- und Rechtsfragen geben sollte. Als er sich losmachte, sah er Marys weißes Gewand ganz am Ende des Marktes und niemanden bei ihr.

»Wo sind deine Freundinnen?« fragte er, als er sie erreichte.

»Sie haben sich zerstreut, um an anderen Stellen nach dem Mann zu suchen, der sich nicht finden läßt.«

»So laß uns umkehren«, sagte Stureson. »Wonach siehst du, Mary?«

Er folgte ihren Blicken, welche sich auf die Schlucht richteten, aus der die Malself hervorbrach, weiß schäumend und über große Felsenblöcke sprudelnd, welche ihren Lauf hemmten. Wald zog von beiden Seiten an den hohen Fjellen hinunter in das enge Tal des Stromes, die jähen Wände sahen wie das offene Tor einer Felsenburg aus.

»Da ist er!« schrie Mary auf.

»Wo?« sagte Stureson. »Wer?«

Sie riß sich von seiner Hand los, und ohne auf seinen Ruf zu achten, lief sie mit flüchtiger Schnelle über den Moosboden den Steinen zu.

»Bist du rasend?« rief er ihr nach. »Halt, Mary, halt ein! Es ist sumpfig und naß! Zurück da, zurück zu mir! – Aber was ist das? – Bei Gott – da ist er –«

Dieser letzte Ausruf galt einem Lappen, der auf einem der hohen Felsentrümmer am Ufer der Malself saß und jetzt erst, als er sich aufrichtete, dem Sorenskriver sichtbar wurde.

Es war eine schlanke jugendliche Gestalt. Die Mütze mit einem grünen Zweig saß tief ins Gesicht gedrückt, das obenein von einer Binde bedeckt war. Sein Gürtel war mit Silber beschlagen, sein Hemd bunt bestickt, und auf seinem Stock mit der langen Stachelspitze hielt er den prächtigen Federmantel, der in der Sonne funkelte und glänzte.

Stureson sah, wie Mary den Felsblock emporklomm, wie der Lappe ihr die Hand reichte, vor ihr niederfiel und sogleich wieder aufsprang, um den schönen Schmuck um ihre Schultern zu werfen. Der Landrichter konnte nur langsam vorwärtskommen, denn unter dem schweren Mann schwankte der Sumpfboden. Er mußte seine Augen vorsichtig auf die dichten Grasbüschel richten, welche wie Inseln den festen Grund bildeten. Sprung auf Sprung war zu machen, wenn er trocken bleiben wollte.

»Was tut der Narr!« rief er endlich, als er in die Nähe gekommen war und die beiden Gestalten noch immer dicht beisammen sah. Aber im nächsten Augenblick stieß er einen wilden Fluch aus und stierte im höchsten Entsetzen den Lappen an.

Mary hielt diesen umschlungen; er hatte den linken Arm um sie gelegt, mit der Rechten Mütze und Binde vom Kopf gerissen. Kein Zweifel: es war Olaf.

Stureson begriff mit Blitzesschnelle alles. »Du bist es also«, schrie er, »der mein Haus umschlichen hat! Du bist der Musikant, der uns den Schlaf vertreibt!«

»Ja, ich bin es!« rief Olaf Helmböe. »Sieh mich an, Mörder, der du bist, deine Hand hat mein Blut nicht vergießen können!«

»Prahle nicht, Lappe!« rief Stureson in wütendem Zorn. »Flieh in deine Gamme zurück zu dem falschen Priester, der dich dort verborgen wußte, während er mir vorlog, dich vergebens zu suchen!«

»Du selbst lügst, falscher Mann«, sagte Olaf, »der Propst weiß nichts von mir, selbst meine nächsten Freunde wissen erst seit gestern, daß ich deinem Anschlag entkommen und durch Glück gerettet worden bin!«

»Reize mich nicht«, schrie Stureson. »Fort mit dir, ich höre Stimmen, es kommen Leute. Laß die Hand los, Schurke, laß die Jungfer los, lappisches Tier! – Mary! – Laß sie los, sage ich, du siehst, ich habe die Mittel, dich diesmal besser zu treffen!«

Er riß aus der Brusttasche seines Rockes ein Terzerol, das er dort verborgen trug, und streckte es gegen Olaf aus.

»Sage, was du haben willst«, rief er wut- und angsterfüllt, »fordere Geld, ich will es dir geben, aber betritt nie mehr diesen Ort. Höre, du Hund! – Um Gotteswillen, Mary! Dein Vater – dort kommt er! – Komm herab komm – komm! In meine Arme, Mary, ehe dich jemand so sieht! Komm zurück!«

»Nein!« rief das Mädchen mit Abscheu und größter Heftigkeit, »niemals zu dir, du Mörder! – Ich will nicht! – Ich hasse, ich verachte dich!«

Stureson sprang auf den Felsblock los und drückte das Terzerol ab, indem er wie ein Rasender das Geröll erklomm.

In dem Augenblick aber, wo er einen schwachen Schrei von Mary vernahm und diese an Olaf niedergleiten sah, wo er nur wenige Schritte noch zu tun hatte, um seine Hand nach dem verwegenen Lappen auszustrecken, wo seine Faust sich ballte, um ihn niederzuschlagen, und seine Augen vor wilder Begier funkelten, folgte einem starken Blitzen der Donner eines Schusses, und Sturesons mächtiger Körper richtete sich steil auf. Er stolperte, versuchte, sich zu halten, und stürzte rückwärts in den Sumpfboden des Tales.

Olaf hielt sein rauchendes Gewehr noch in der Faust, als Hvaland und mit ihm ein paar andere Männer laut schreiend an der Biegung der Felsen sichtbar wurden. Aber sie waren unsicher, wer die Gestalt gewesen sei, welche sich schnell in dem Gesträuch verbarg und nicht wieder sichtbar wurde.

Nach einigen Minuten standen sie jammernd um den blutbedeckten Körper des Landrichters, der seine krampfhaft zusammengepreßten Arme über die tödliche Wunde deckte.

Ein Greis kniete an seiner Seite nieder und suchte ihm seine Lage zu erleichtern; es war der Missionar, der mit Hvaland gekommen war, in äußerster Bestürzung Sturesons Kleider entfernte und einige Rettungsversuche machte. An der anderen Seite kniete Hvaland, die harten Hände um Stureson schlagend.

»Wer hat es getan?« schrie der alte Mann. »Um Gottes Barmherzigkeit, redet, Sorenskriver! Nur ein einziges Mal öffnet den Mund! – Ein Lappe muß es gewesen sein«, rief er mit zitternden Lippen, indem er auf die Wunde deutete, »nur eines Lappen Kugel kann solch weites Loch reißen!«

»Ruft Gottes Gnade an, Sorenskriver«, sagte der Propst, »fleht zu ihm, unglücklicher Mann, daß er sich Euer erbarme.«

»Und Mary? Wo ist Mary?« rief Hvaland, entsetzt aufspringend.

Bei diesem Namen öffnete Stureson noch einmal seine Augen. Er versuchte, sich mit dem Arm zu stützen. »Haltet sie! – Da! – fort –«, röchelte er, und einen letzten drohenden Blick voll Haß auf den Missionar richtend, stieß er dessen helfende Hand zurück und fiel tot nieder.

Auf der Höhe zwischen den Büschen war das Gras blutigrot, und diese Spur ließ sich bis an die Schlucht der Malself verfolgen, sonst war nichts zu entdecken. Sturesons Terzerol lag zwischen den Steinen, vielleicht hatte er den Angreifer verwundet. Rasche Männer, die nach einigen Stunden in die Schlucht drangen und den Verbrecher verfolgten, fanden an verschiedenen Stellen die Fußtritte mehrerer Rentiere von jener stärksten Art, wie sie zum Lasttragen gebraucht werden. An Baumzweigen hingen ein paar Fetzen von Marys Kleid und ein zerrissener schöner Mantel von seltenen Federn.

Man trug Sturesons Leiche in das geschmückte Haus, und statt des Festes, das hier gefeiert werden sollte, herrschten Verwirrung, Trauer und Kummer.

Alle Mittel wurden aufgeboten, um den Mörder zu finden, aber keines führte zu seiner Entdeckung. Die Aussagen, welche Henrik Jansen machte, verwirrten und verdunkelten diese Angelegenheit noch mehr. Sie warfen einen schrecklichen Verdacht auf Stureson, brachten Hohn und Spott über die verschwundene Tochter des reichen Kaufmanns, obwohl die meisten an ihre schandbare Verirrung nicht glauben wollten. Hvaland bot große Summen dem, der ihm über ihr Schicksal Nachricht brächte, aber obwohl viele sein Geld verdienen wollten, hat er doch niemals zu zahlen nötig gehabt. Man forschte nach Olafs Brüdern. Auch sie waren mit ihren Herden verschwunden, nie hat man sie wieder an der Küste gesehen.

Es hat sich aber bis heute die Meinung erhalten, daß Olaf es gewesen sei, dessen Kugel die Brust seines stolzen Feindes durchbohrte, und daß er nun mit Mary tief in der unermeßlichen Wüste in einem der kleinen verborgenen Täler wohne, welche zuweilen so zauberisch die Schrecken der eisigen Wildnis unterbrechen. Dort sollen seine Tiere weiden, dort soll Mary vergessen, daß ihre Liebe verdammt und verachtet wurde.

Hvaland ist nach mehreren Jahren gestorben. Auch als er tot war, meldete sich die Erbin nicht. Alles, was er gierig zusammenscharrte, ist in fremde Hand gefallen.


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