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Der Landrichter kehrte nach drei Tagen erst an den Malanger Fjord zurück, um sein Haus mit allerlei neuen Einrichtungen zu versehen, die ihn mehrere Wochen lang beschäftigten. Er ließ ein paar Zimmer einrichten, welche seine junge Frau bewohnen sollte, machte aus zwei anderen, die er schon glänzend hergestellt hatte, einen Saal und kümmerte sich nicht darum, daß manches, was kaum fertig geworden war, dabei wieder zugrunde ging. Um neues Material zu beschaffen, fuhr er nach Tromsöe, wo er bei den Kaufleuten Decken, Geräte und Tapeten auswählte, so kostbar und schön er sie erhalten konnte.

Überall im Lande war inzwischen seine Verlobung bekannt geworden, wohin er kam, wurde er mit Glückwünschen empfangen und noch viel tiefer als früher gegrüßt, denn jedermann wußte, daß der reiche Hvaland nur die eine Tochter hatte. Der hochfahrende Mann nahm alle diese Huldigungen als einen schuldigen Tribut auf, den er herablassend bei den Vornehmsten und Ersten durch eine Einladung an den Malanger Fjord vergalt. Viele Gerüchte waren über die Pracht verbreitet, mit welcher Stureson sich umgeben hatte. Die Arbeiter erzählten von Kronen aus Glas und Gold, von goldenen Leisten, die um Türen und Wände liefen, von glänzenden Möbeln aus ganz dunklem Holze, von großen Uhren unter Glasglocken und wunderbaren Stühlen und Tischen mit geschnörkelten und geschnitzten Beinen. Die Neugier auf diese Herrlichkeiten war um so größer, da Stureson nicht der Mann war, sie zu befriedigen. Er hielt sein Haus verschlossen. Die in Geschäften zu ihm kamen, wurden in seiner Amtsstube empfangen und konnten höchstens bis in sein Wohnzimmer gelangen, wo es freundlich und bequem, aber doch nicht übermäßig prächtig aussah. Weiter zeigte er nichts, und sein stolzes Wesen schnitt jede lästige Zudringlichkeit ab.

Endlich war er fertig mit dem letzten Pinselstriche, und nun sollte Mary sich daran ergötzen und erstaunen. Von Zeit zu Zeit hatte Stureson sein Pferd satteln lassen und war über die Halbinsel zu Hvaland geritten, der ihn immer sehnsüchtig erwartete und glücklich war, wenn sein stattlicher Schwiegersohn kam. Im Hause wurde fleißig genäht, und große, glänzend beschlagene Kisten von braungefärbtem und mit Blumengirlanden bemaltem Holz standen in Reihen auf der Diele. Sie enthielten den Leinen – und Bettenschatz, Kleider und Schmuck, welchen Hvalands Tochter ihrem Ehegemahl zubrachte. Daß für sein Haus nicht weiter gesorgt werde, hatte Stureson dringend gebeten.

»Ich denke«, hatte er gesagt, indem er Mary lächelnd umarmte und küßte, »sie ist von bescheidenem Sinne und wird mit meiner einfachen Häuslichkeit zufrieden sein. Ich selbst will nichts als sie allein, und wäre es nicht eine alte Sitte, ehrwürdig aus der Vorväter Zeit, daß jede Braut in den großen bunten Kästen, mit Messing beschlagen, ihr Hochzeitsgut in die Ehe bringt, so würde ich es gänzlich ausschlagen.«

Der kluge Sorenskriver hatte gut reden. Er wußte genau, welche Ehrensache es für Braut und Eltern ist, die größten und meisten Kisten vollgefüllt mit Stoffen und Betten in das Haus des Mannes mitzunehmen. Wenn aber Hvaland auch geizig war, so war er es doch gewiß nicht dort, wo es darauf ankam, sich als einer der Reichsten im Lande zu erweisen. Marys Mutter und Großmutter hatten für sie schon ganze Berge feiner Wäsche, Tischzeug und Leinen gesammelt, und keine Bergenfahrt hatte Hvaland gemacht, wo er nicht ein Stück holländisch oder deutsches Leinen, Damast oder sonst ähnliches mitgebracht hatte.

Stureson erstaunte, als er die Masse dieser Vorräte sah, von denen das meiste ganz unberührt in seiner ersten Verpackung aufbewahrt worden war. Aber es war ihm noch viel lieber, als sein Schwiegervater ihm erklärte, er möge ein stolzer Mann sein, wie er wolle, das aber müsse er gestatten, daß Mary ihm jährlich eine Zubuße zur Wirtschaft von zweitausend Spezies zubringe.

»Macht keine Umstände«, rief er, als Stureson Einwände erhob, »wie lange wird es dauern, und alles, was ich besitze, gehört Euch. Ich kann's tun, und mehr tun, wenn Ihr es nötig habt, denke aber, ist genug für jetzt, und will zulegen, wenn Enkel auf meinen Knien sitzen. Will's zusammenhalten für die. Wenn ich es aber nicht erleben sollte, so tut Ihr es für mich. Werdet mehr finden, als Ihr meint.«

Mit dieser frohen Gewißheit war Stureson das letzte Mal heimgekehrt, und als er jetzt über die Berge ritt, gefolgt von einem Diener, der ein schönes nordisches Bergpony an der Leine führte, überdachte er spöttisch lachend die zarten Rücksichten des Fischhändlers und sagte zu sich selbst: »Zu einem Dinge in der Welt ist jeder Dummkopf gut. Dieser würdige alte Hvaland hat sein ganzes Leben über in dem einsamen Gaard gesessen, hat Lappen, Quäner und Normänner jahrelang mit seinem dicken Rechenbuche, seinen schlechten Waren und enormen Preisen betrogen, ist jährlich in Sturm und Schneewehen nach den Lofoten gefahren, um in bitterlicher Kälte und allerlei Qual Kabeljaue zu fangen, die er samt Tranfässern und Eiderdaunen dann nach Bergen schaffte, um mit Geldsäcken auf seine Klippe zurückzukehren. Und alles das hat der Tor getan und wird es weiter tun, damit ich das Ganze einstreiche! Das ist seine Bestimmung auf Erden, Geld zu erwerben, welches ich auf würdige, menschliche und zweckmäßige Weise anwenden werde! Der Himmel ist gerecht, er gibt jedem sein Glück! O wäre erst die Stunde da, wo ich diese elende Wüste auf immer verlassen hätte!«

Er half seinem strauchelnden und klimmenden Pferd auf, das über Rollsteine und Getrümmer die Höhe des Fjeldes zu erreichen strebte, das durch die Mitte der Halbinsel hinzog. Wie alle diese seltsamen Gebirge bildete es keine Spitzen, sondern dehnte sich oben zu einer Ebene aus, deren dichter Moosteppich reich von dem rötlichen Schimmer der nahrhaften Moltebeere durchzogen war. Sumpfige Quellen machten den Boden weich und tief, zuweilen bog sich dieser unter den leichten Hufen der Pferde, zwischen den Felsen wucherten Felder von blauem und rotem Fingerhut, und duftige Enzianbüsche standen in Büscheln dicht beisammen.

Der Sorenskriver ritt langsam über die Fjeldhöhe hin, die in Schluchten abschüssig nach beiden Seiten niederfiel. Bäche donnerten darin nieder, Birkenwald füllte sie aus, zu seiner Rechten lagen die gewundenen Meeresarme und Inseln, zu seiner Linken schaute er in das tiefe Tal des Berdo-Elf hinab, und jenseits lagen die wilden, unermeßlichen Wüsten der lappischen Alpen schwarz und nackt mit einzelnen hohen zackigen Felsenköpfen, zwischen denen mächtige Eislager niemals schmelzen wollten.

Mitten in seinen stummen Betrachtungen hielt Stureson plötzlich sein Pferd an und deutete auf eine nahe Schlucht, an deren Ende Rauch aufstieg.

»Was gibt es da?« fragte er, nach seinem Diener gewandt.

»Lappen, Herr«, erwiderte der Mann, »die hier ihr Lager aufgeschlagen haben, um übermorgen den Markt am Malanger Fjord zu besuchen.«

Stureson nickte beistimmend. Am 24. August war der große Lappenmarkt, der hier an der Grenze der Lappmarken gehalten wurde. Eben dieser Markt und einige andere brachten ihm bedeutende Einnahmen, und Mary sollte dabeisein. Festliche Gelage in seinem Hause sollten die Vorfeier seiner Hochzeit bilden.

Der Landrichter lenkte sein Pferd von der Mitte des Fjeldes ab der Schlucht zu, sein Diener folgte ihm nach, obwohl er den Kopf schüttelte und vor sich hin brummte. Er konnte nicht begreifen, was sein Herr bei einer Bande ekelhafter Lappen wollte, die er aufs tiefste verachtete, und machte, als er jetzt die spitzen Zelte sah, das Bellen der Hunde hörte und die gehörnte Herde erblickte, welche flüchtig zusammenlief und die Nasen in den Wind streckte, seinem Unwillen in einem derben Fluche Luft.

»Du scheinst kein Freund von Rentieren und Lappen zu sein, Niels?« fragte Stureson.

»Das lauernde schlechte Gesindel kommt einem nur zu oft in den Weg«, erwiderte der Mann.

»Fürchtest dich?« fragte der Landrichter lachend.

Der kräftige Bursche spie verächtlich aus. »Fürchte mich nicht«, sagte er mürrisch, »möchte aber doch nicht mit ihnen zusammentreffen.«

»Und mit solchem jämmerlichen Geschöpfe hat sie sich eingelassen«, murmelte Stureson vor sich hin, »und sage einer, was er wolle, sie denkt noch jetzt an ihn, wenn sie sich manchmal so plötzlich von mir wendet und die Augen niederschlägt – nun, ich weiß mich zu entschädigen –«

Hier wurde der Landrichter in seinen Überlegungen unterbrochen, denn zu seinem größten Erstaunen hörte er seinen Namen laut rufen.

Auf der grünen, mit Birken und Gras bewachsenen Stelle, der sie sich genähert hatten, standen drei hohe Zelte, vor denen wohl fünf- bis sechshundert Rentiere sich zusammendrängten. Ein halbes Dutzend Männer, mehrere Weiber und Kinder hockten um das mittelste und größte Zelt, dessen grober Vorhang von Segeltuch halb zurückgeschlagen war und innen ein qualmiges Feuer sehen ließ, über welchem ein Kessel an eiserner Kette hing. Eine alte Frau mit tief niederhängenden Haaren rührte in dem Kessel herum, aus welchem ein scharfgewürzter Duft aufstieg. Vor dem Zelt aber erblickte Stureson den Missionar Propst Stockfleth, der ein Buch in der Hand hielt und dieser Gesellschaft offensichtlich eben eine geistliche Erbauungsstunde gehalten hatte. Er hatte Stureson erkannt und angerufen.

Nach wenigen Augenblicken hatten sich beide verständigt, und der Landrichter nahm neben Stockfleth Platz. »Ich habe«, sagte der Missionar, als die üblichen Begrüßungen ausgetauscht waren, »eine sehr weite Wanderung gemacht, um irgendeine Nachricht über meinen armen Freund Olaf zu erhalten, der, wie Sie wissen, seine Stelle verlassen hat, ohne daß jemand wüßte, wohin er gegangen ist.«

»Und auch Sie haben nichts entdeckt?« fragte Stureson.

»Nichts«, erwiderte der Propst seufzend. »Diese Kinder der Wüste sind gewöhnt, am kleinsten Zeichen eines Menschen Spur aufzufinden, doch alle Mühe ist verloren gewesen.«

»So muß er verunglückt sein«, sagte Stureson.

»Leider wohl«, antwortete der Missionar. »Hier ist die ganze Familie meines unglücklichen Schützlings. Seinen Brüdern gehört diese Herde, ihre Frauen und Kinder helfen bei dem harten Hirtenleben, und die alte Mutter hält patriarchalisch Ordnung und Einigkeit aufrecht. Es sind gutgeartete Wesen«, fügte er hinzu, als er den verächtlichen Blick bemerkte, mit welchem Stureson den Kreis der Männer, Frauen und Kinder musterte, der sich um sein Roß gesammelt hatte, »alle sind gläubige und fromme Christen, redliche Freunde, arbeitsam und, was selten ist, mäßig und getreuen Sinnes.«

Stureson hörte aufmerksam zu, was der Missionar zum Lobe dieser Lappen sagte, und einen eigentümlichen Reiz konnte er dem wilden und freien Nomadenleben nicht absprechen. Die Männer waren sämtlich unter Mittelgröße, breitschultrig und schwachbeinig mit flachen gedrückten Gesichtern und rötlich entzündeten Augen, die Weiber meist alle häßlich, die Kinder gelb und hager, dennoch aber hatten sie etwas Verständiges, Ernstes und Bescheidenes, was für sie einnehmen konnte. Mit dem Widerwillen des echten Normannes betrachtete Stureson jedoch ihre wetterharten Gesichter und schwieligen Hände, ihre braunen Baumwollhemden, die breiten Ledergürtel, an denen das Messer hing, und die Mützen, unter denen ihre schlauen beweglichen Augen blitzten. Es kam ihm vor, als träfen ihn die Blicke des älteren Mannes, welcher das Haupt dieser Familie war, ganz eigentümlich lauernd und tückisch, und eine geheime Furcht wandelte ihn an, denn plötzlich fiel es ihm ein, daß dies Olafs Brüder seien, die Blutrache üben könnten.

Es war dies jedoch nur ein Blitz, der durch seinen Kopf zuckte und wieder verschwand. Er richtete Fragen an den Lappen und erhielt bescheidene und verständige Antworten, dann erzählte er dem Missionar, daß er auf dem Wege zu Hvaland sei und Mary ihn längst erwarten werde.

»Sie wissen es doch, Propst Stockfleth«, fuhr er fort, »Jungfer Mary ist meine Verlobte, in vier Wochen wird sie meine Frau sein.«

»Ich habe es denken können, Herr Stureson«, erwiderte der Geistliche sanft.

»Und Sie wünschen mir Glück, nicht wahr?« rief der Landrichter, ihn triumphierend anschauend, indem er ihm die Hand bot.

»Wie sollte ich nicht, da ich zugleich damit dem guten Kinde Glück wünsche, die alles Glück auf Erden verdient.«

»Sie liebt mich«, fiel Stureson stolz ein, »und an Glück und Freuden wird es ihr nicht fehlen. Morgen wird sie mit ihrem Vater mich an den Malanger Fjord begleiten, um mein Haus zu sehen, wo sie wohnen wird. Ich denke, Propst, Sie werden auch auf dem Markt sein und Ihre Pflegekinder nicht verlassen. So lade ich Sie ein, gastlich an meinem Herde zu sitzen und Mary Ihren Segen zu erteilen.«

»Ich werde kommen«, erwiderte der Missionar, »Mary zu sehen wird mir ein Trost sein.«

Der übermütige und spöttelnde Ton in Sturesons Fragen und die ruhigen und milden Antworten des Priesters bildeten eigentümliche Gegensätze. Der Sorenskriver fühlte recht gut, daß dieser greise Schwärmer sein Freund nicht sei, aber er hielt es für nötig, nicht ganz mit ihm zu brechen. Er änderte daher seine Redeweise, sagte dem Propst schmeichelhafte Dinge, ließ sich belehren und umherführen und machte endlich, wie er sich selbst sagte, der Hexenmutter in des Teufels Garküche seihe Aufwartung, die sich bis jetzt nicht um ihn gekümmert hatte, sondern fortgesetzt mit ihrem Kessel und dem Gericht darin beschäftigt war.

Es war eine knochige Frau, größer und stärker als ihre ganze Nachkommenschaft. Die Pocken hatten furchtbare Verheerungen in ihrem Gesicht angerichtet, trotz der Runzeln und Falten sah man noch die tiefen Narben, welche es überall kreuzten, und doch war sie in ihrer Häßlichkeit bei weitem nicht so grauenhaft zurückschreckend wie die Greisinnen dieses unglücklichen Volkes oft sind. Ihr langes ergrautes Haar fiel in Zöpfen unter ihrer Mütze hervor und bedeckte ihre Stirn, unter der ein Paar helle glänzende Augen hervorsahen. Sie grüßte den Gast mit Freundlichkeit und richtete einige Worte in lappischer Sprache an ihn, welche Stockfleth übersetzte und die ganz poetisch klangen.

»Sei gegrüßt, fremder Mann«, sagte sie, »und sei willkommen bei den Kindern Herna Jubas. Wenn du ihnen Gutes bringst, so segne Gott deine Schritte, wenn du Böses ihnen getan hast, so möge er dir vergeben. Setze dich zu uns und nimm von unserer Speise. Wir teilen gern mit dir, was wir haben. Ein Platz ist leer an unserem Herd, er gehörte unserem Liebling. Setze dich, wo er gesessen hat, damit wir denken, du seist es, und damit wir dich segnen.«

Während sie sprach, brachten mehrere Mitglieder der Familie eilig weiche Decken, und der Propst sagte bedauernd: »Sie denkt an Olaf, die arme alte Frau. Er war das jüngste ihrer Kinder, auch hat sie oft vergebens ihn zu bestimmen gesucht, zu seinem Stamme zurückzukehren, denn Sie wissen wohl, Herr Stureson, es gibt nicht viele unter ihnen, die um alle Schätze und alles Wohlleben, was die Welt bieten kann, ihr freies Leben in diesem unermeßlichen Lande vertauschen möchten.«

»Und warum hat der Narr den Willen seiner Mutter nicht erfüllt?« rief der Landrichter mit unmutiger und heftiger Stimme, indem er trotzig den Sitz einnahm, der ihm angeboten wurde. »Er wäre hier besser aufgehoben gewesen als in dem engen Balkenhause!«

Er wich dem Blick des Missionars aus und sah in die grüne Schlucht hinab, auf die grasende Herde der Tiere, von denen manche Glocken trugen, welche aus der Tiefe melodisch heraufklangen. Die langen Linien der Alpen stiegen in bläulicher und rötlicher Färbung in weiter Ferne terrassenartig zum Horizont auf. Sonnenschein und Himmelsbläue verschmolzen zum weichen Schimmer. Die hellen Birken mit ihrem kühlen Schatten, der blitzende und rauschende Bach, welcher über Moos und Getrümmer abwärts schoß, und diese einsamen Menschen, deren Reich so unermeßlich und deren Welt doch so klein war, konnten mancherlei Gedanken und Empfindungen aufwecken.

Stureson fand die Szenerie wild und groß und ließ sich von den Brüdern Olafs, die unvollkommen genug norwegisch zu sprechen versuchten, allerlei erzählen. Er betrachtete sie dabei, und es fiel ihm ein, daß dies die Männer gewesen sein mußten, welche er einst aus Olafs Hütte kommen sah. Sie sahen sich alle ähnlich, und sonderbarerweise empfand er immer wieder ein unheimliches Gefühl, wenn ihre Augen sich fragend an ihm festklammerten.

»Ihr wollt also morgen an den Malanger Fjord hinabziehen und den Markt besuchen?« fragte er.

»Wir wollen vierzig oder fünfzig unserer ältesten und fettesten Tiere auf den Markt bringen«, erwiderte das Familienhaupt, »wollen Felle verkaufen und Mehl samt anderen Waren einhandeln, die für den Winter uns nötig sind.«

»Und dann mit Schätzen beladen unter dem Schnee liegen, bis die Sonne wiederkehrt«, sagte Stureson lachend.

»Glauben Sie das nicht«, erwiderte der Missionar. »Diese Hirten haben auch im Winter mancherlei Geschäfte zu verrichten und gleichen nicht den faulen Fischern und Kolonisten an der Küste, die tage- und wochenlang schlafen, wenn sie nicht essen. Sie haben ihre Herden zu bewachen, ihre Tiere zu pflegen, für ihre Familie zu sorgen und nebenher zu jagen und zu fischen an solchen Orten, wo reißende Strömungen das Zufrieren verhindern. In der Gamme, die mit Pelzen dicht ausgelegt ist, wo das Feuer stets brennt, fühlt man keine Kälte, und leicht vergehen dort die Tage unter Arbeit mannigfacher Art, unter Gebet, Belehrung und mancher Freude; denn das ist ein Vorzug, welchen Gott diesen armen Kindern gegeben hat: sie sind heiteren Gemüts, geneigt zum Scherz und aufgeweckten Geistes.«

Der Landrichter konnte sich des lauten Lachens nicht enthalten. »Sie sind ein wackerer und getreuer Freund Ihrer Freunde«, rief er. »Man könnte Lust bekommen, das idyllische Dasein in der Gamme zu versuchen.«

»Und wäre es denn ein übergroßes Opfer für den, der Ruhe, Frieden und ein einfaches Naturleben sucht und sich damit begnügt?« antwortete Stockfleth. »Es gibt in diesen Gebirgen versteckte Täler, die selbst im Winter grün sind, wo Quellen fließen, welche den Schnee schmelzen, und deren geschützte Lage sie so mild macht, daß man glauben möchte, Gottes segnende Hand liege sichtlich darauf. Freilich, man kann dort nicht zwischen Tapetenwänden wohnen«, fügte er mild lächelnd hinzu, »nicht die langen Nächte über Toddy trinken und Karten spielen, aber was sind schon alle diese Herrlichkeiten unserer reichen Herren gegen andere Herrlichkeiten der Welt! – Würden Sie, Herr Stureson, nicht gern diese schwarzen Felsenküsten verlassen, Ihr schön geputztes Haus am Malanger Fjord, das aller Leute Neid erregt, gerne aufgeben, wenn Sie dafür im Süden wohnen könnten oder in einer großen Stadt, die allen Luxus der Zivilisation besitzt?«

»Ja, bei Gott«, rief Stureson, »ich würde mich wenig besinnen!«

»Jeder nach seinem Wesen also«, sagte der Missionar, »und glauben Sie, daß die meisten der hier Geborenen ganz anders darüber denken als Sie.«

»Ei wohl«, lachte der Landrichter, »Mary selbst hängt ja mit großer Liebe an diesen lieblichen Felsenlabyrinthen!«

»Und niemals wird sie Ihre Wünsche teilen.«

»Possen!« rief Stureson. »Sie ist wie alle Weiber, sie liebt den Putz und den Glanz. Kommen Sie morgen zu uns, Stockfleth, und Sie werden sehen, wie ihr meine Spiegel, Polster und Teppiche behagen. Aber seien Sie unser Freund und prägen Sie ihr zeitig das verständige Gotteswort ein, daß die Frau dem Manne gehorchen und folgen soll, wohin er sie führen möge. Ich führe sie nicht in eines dieser paradiesischen Täler der Lappengebirge, sondern, sobald es mir glückt, in eine reiche bunte Welt, wo Freuden und Genüsse ihrer warten!«

»Und wo sie um so einsamer und verlassener sein wird«, erwiderte der Missionar seufzend, »einsamer, als lebte sie im tiefsten Schoß der Wüste.«

»Lassen Sie das meine Sorge sein, teurer Freund«, sagte Stureson spottend. »Wie man die feinen Gerichte der Kochkunst genießen lernen muß, ehe man sie vortrefflich findet, so ist es auch mit den Genüssen der Zivilisation. Ihren wackeren Beichtkindern würde eine Fasanenpastete nicht schmecken, sie würden das scheußliche Gemengsel, das unsere gute Wirtin soeben aus dem Kessel schöpft, gewiß bei weitem vorziehen.«

»Zuweilen aber sind diese rohen Speisen doch auch für den verwöhnten Geschmack nicht ganz übel«, antwortete der Missionar lächelnd. »Versuchen Sie nur, ob ich nicht recht habe.«

Die alte Frau reichte auf einem Holzteller dem Gast unter Höflichkeitsbezeigungen seinen Anteil an dem blutigschwarz gefärbten Gericht. Es roch kräftig und würzig, und Stureson faßte nach einigem Bedenken mutig den Blechlöffel, der ihm angeboten wurde, und machte um so eher den Versuch, es zu kosten, als er sah, daß sein Diener, der so viel Ekel vor allem hatte, was Lappe hieß, doch mit großer Begier davon aß. Es schmeckte vortrefflich, Stureson mußte es eingestehen. »Sehen Sie wohl«, lachte der Propst, »diese elenden Gebirgshirten verstehen sich doch so übel nicht auf eine Kochkunst, die selbst Ihrem Gaumen behagt. Und dies ist ihr Nationalgericht. Sie leben überhaupt nur von der Milch und dem Fleisch ihrer Rentiere und ihrer Jagdbeute. Was Sie da essen, ist ein Gemisch von Fleisch, Blut, Herz und Leber eines frisch geschlachteten Tieres samt fetter Milch und Mehl und wird so leicht von niemandem verschmäht werden.«

Der Landrichter ließ sich noch eine Portion reichen, trank von der eben gemolkenen Rentiermilch und gab lachend zu, daß die Tafel dieser Hirten mehr Freuden böte, als er geglaubt habe. Er beschenkte die Kinder der Familie mit Silberstücken, drückte den übrigen seinen Dank aus und wandte sich endlich nochmals an das Oberhaupt der Familie.

»Ich will dir wohl«, sagte er, »du scheinst ein verständiger und erfahrener Mann zu sein. Ziehe hinunter an den Malanger Fjord, ich will dich zum Kolonisten machen, dir Ackerstücke und ein Haus geben und für dein Fortkommen Sorge tragen.«

Der Lappe sah ihn starr an, seine kleinen Augen funkelten. Er schüttelte heftig und schnell den Kopf.

»Du willst nicht?« fragte Stureson. »Warum willst du nicht? Wenn ich dem Manne dort, meinem Diener Niels, eine solche Stelle anböte, er würde vor Freuden in die Luft springen.«

»So gib sie ihm«, sagte der Lappe ernsthaft.

»Du hörst, daß ich dir und deiner Familie gern etwas Gutes tun möchte«, entgegnete der Landrichter ungeduldig. »Deine Mutter hat mir Segen versprochen. Ich möchte ihn erwerben, wenn ich ihr ein Haus, einen Herd, Holz und Speise für ihr Alter zusichere. Ich möchte dir Gutes tun«, wiederholte er nochmals mit größerer Lebhaftigkeit, »darum schlage es nicht aus, du könntest es bereuen!«

»Mag dein Haus nicht, Herr, danke dir«, sprach der Lappe, und indem er mit mehr Stolz und Würde den Kopf aufhob, als ihm zuzutrauen war, fügte er hinzu: »Will frei sein wie meine Väter, frei leben und frei sterben. – Armer Bruder Olaf! Wie das wilde Rentier, mutig und leicht, würde er über die Berge springen wenn er kein Knecht geworden wäre! – Danke dir, Herr, danke dir; Herna Jubas Kinder brauchen deine Wohltaten nicht.«

Stureson fand sich beleidigt von dieser stolzen Ablehnung, aber Stockfleth sagte begütigend: »Sie dürfen es nicht übel deuten, Herr Stureson, Sie würden von allen Herdenbesitzern eine ähnliche Antwort erhalten haben. Wenn eine Familie noch mehrere hundert Rentiere ihr eigen nennt, so wird sie um keinen Preis ihr freies Bergleben aufgeben, und nur die äußerste Not kann sie dazu treiben. Herna Juba aber ist ein reicher Mann. Er weidet hier, wie Sie sehen, gegen siebenhundert Tiere und hat mehr als noch einmal soviel an den Quellen des Berdo-Elf zurückgelassen.«

»Nun wohl«, erwiderte der Sorenskriver, stolz lachend, »so mag denn jeder von uns seinen Aufenthalt suchen, wo es ihm beliebt. Sie haben mir schon früher einmal von dem Dünkel dieser noblen Familien erzählt, ich hätte dieser gern einen Ersatz geboten.«

»Ersatz? Wofür?« fragte der Missionar.

»Ei nun«, sagte Stureson, und seine Augen forschten scharf in Stockfleths Gesicht, »der Bursch, der verlorengegangen ist, lebte wohl noch, wenn ich nicht in Hvalands Haus gekommen wäre.«

»Herr Stureson!« rief der Propst erstaunt.

»Still, Herr Propst«, fuhr Stureson fort. »Sie haben darum gewußt, daß eine lächerliche und törichte Leidenschaft sich seiner bemächtigt hatte; Sie hatten Kenntnis davon, daß Mary aus Mitleid sich dazu hinreißen ließ, heimliche Gespräche mit ihm zu halten. Sie sehen, ich weiß alles. Sie haben ihn bewegen wollen, Missionar zu werden, um seine Narrheit durch ein christlich frommes Leben loszuwerden. Er hat es vorgezogen, dies Leben überhaupt zu enden.«

»Woher wissen Sie das?« fragte der Geistliche.

»Sonderbare Frage. Sein Ende liegt nahe, es kann nicht anders sein. Auch Mary glaubt es, der Gedanke erfüllt sie mit Schmerz, und alles, was ich aufbieten mag, kann ihre schwermütigen Grillen nicht ganz verscheuchen. So bitte ich Sie denn, Freund, reden Sie mit ihr, Sie sind ihr Vertrauter. Stellen Sie ihr vor, daß ihr und mein Lebensglück daran hängt, daß sie mich liebe, mir angehöre, ein Wesen vergesse, das nur durch eine Verirrung, die den Augen der Welt auf immer verborgen bleiben muß, in ein Verhältnis zu ihr geraten konnte. Schmach und Schande, Wohl und Ehre hängen daran! – Meine Ehre, Herr Stockfleth, Marys Ehre und Ihr eigenes Wohl, Herr Propst!«

»Mein Wohl, Herr Stureson?« fragte der Geistliche erstaunt.

»Ihr Wohl«, wiederholte der Landrichter. »Wenn man erführe, daß Sie um dies Verhältnis gewußt und es dem Vater verschwiegen haben, würde die öffentliche Meinung hart genug über Sie richten! – Sprechen Sie mit Mary, reißen Sie die letzten Wurzeln eines Andenkens aus ihrem Sinn, das diesen verdüstert. Machen Sie, daß ihre Wangen wieder blühen und ihr Auge wieder glänzt, daß eine liebende glückliche Braut mit mir zum Altar geht, und seien Sie meiner ewigen Dankbarkeit gewiß.«

Er war mit Stockfleth während dieses Gesprächs bis zu den äußersten Büschen gegangen, wo seine Pferde warteten. Jetzt schwang er sich in den Sattel, ohne die Antwort abzuwarten, und mit einem raschen Gruß eilte er über die schwellende Moosdecke des Fjelds fort. Ohne zurückzublicken, trieb er sein Roß an, und nach einer Stunde hielt er vor Hvalands Haus.

Mary empfing ihn scheu und befangen wie immer, weder das schöne Bergpony, das er ihr schenkte, noch alle seine Bitten und Überredungskünste konnten den Schatten von ihrem Herzen bringen.

Am nächsten Morgen traten sie gemeinsam die Rückreise an, aber ganz ersichtlich war eine Veränderung mit der Braut vorgegangen, deren sich Stureson heimlich freute.

Am Abend vorher hatte er wohl bemerkt, daß Mary von einer ihrer Mägde einen Zettel empfangen hatte, der sie in Unruhe versetzte, und nach einiger Zeit sah er sie den Pfad hinaufsteigen, der in das Tal führte, wo Olafs Hütte stand. Er glaubte zu wissen, was dieser Spaziergang zu bedeuten habe, und hielt es für passend, den Erfolg abzuwarten.

Er ging am Ufer der Bucht hinauf, denn Hvaland hatte ihn allein gelassen. Der Kaufmann war beschäftigt, mehrere große Boote mit Waren aller Art zu füllen, die auf den Markt an den Malanger Fjord gehen und schon während der Nacht durch Senjenöes Sund nach Lenvig hinaufschwimmen sollten. Der große lappische Herbstmarkt bot zu viele Vorteile, um nicht in Hvalands Kopf jetzt den ersten Platz einzunehmen und sein ganzes Denken darauf zu richten, wie und wodurch er am besten seinen Konkurrenten im Handel den Vorsprung abgewinnen könne. Alles, was Lappen, Fischer und die Quäner in den tiefsten abgeschiedensten Fjordarmen für den Winter zumeist gebrauchten, wurde in die Boote gepackt. Große Massen Scheren, Messer, Beile, Hacken und Eisenwaren aller Art, kupferne und eiserne Lappenkessel, Ketten, Nägel und Hämmer lagerten neben Mehlballen und Hülsenfrüchten, Zwirnbündeln und Nähnadeln. Das alles zu ordnen, zu verpacken, mit ölgetränkten Tüchern zu decken und Vorsichtsmaßregeln zu treffen, damit kein Schade geschehe, erforderte Arbeit und Aufmerksamkeit.

Stureson sah seinen Schwiegervater mitten unter der Schar seiner Bootsleute und Gehilfen sich abmühen wie der beste Packknecht, und er wandte sich lachend fort und sagte belustigt: »Er springt umher wie ein junger Bursch und läßt sich die Ströme Schweiß nicht verdrießen. Das ist sehr brav und rechtschaffen gehandelt! Wesen dieser Art würden sich unglücklich fühlen, wenn sie nicht büffeln und gaunern könnten!«

Unter vergnüglichen Betrachtungen setzte er seinen Weg fort, und gerade da, wo er in Olafs Tal hinabsehen konnte, fand er hinter großen Steinen seinen Freund, den Kolonisten, lang ausgestreckt, der auf der Lauer zu liegen schien.

Als Henrik die Schritte hörte, sah er sich erschrocken um, aber er beruhigte sich augenblicklich und winkte mit seinem vertraulichsten Grinsen den Landrichter herbei.

»Nun«, sagte Stureson, »was gibt es, Henrik? Du siehst so liebenswürdig pfiffig aus, als wärst du einem großen Geheimnisse auf der Spur.«

Der Böelappe schielte ihn boshaft an. »Ei, Sorenskriver«, entgegnete er, »du kommst zur rechten Zeit. Weißt nicht, wer da unten im Hause sitzt?«

»Etwa Olaf?« erwiderte Stureson. »Ist er wiedergekommen?«

Henrik lachte herzlich, schien aber dann doch plötzlich von einem Grauen ergriffen zu werden und ließ seine Blicke scheu über den furchtbaren Nachbarn gleiten. »Mußt nicht so sprechen, Herr«, sagte er, »du weißt zu gut, daß er nicht wiederkehren kann, der Sohn von einem Hunde. Aber weißt du nicht, Sorenskriver, daß die Toten aufwachen, wenn die Stimme ihren Namen ruft, die sie zuletzt gehört haben?«

»Dann nimm dich in acht, du Narr«, lachte Stureson, »daß er dir nicht erscheint!«

Der Böelappe richtete sich zornig auf, er konnte eine Verletzung seines Ansehens nicht ertragen, aber der Landrichter sah ihn mit überlegenem Hohn an, und während Henrik die Zähne fletschte, auf seltsame Weise nickte, den Arm in die Seite stemmte, seinen Glanzhut rundum drehte und seine breite Nase aufblies, lachte Stureson noch viel übermütiger den wunderlichen kleinen Kerl aus, der ihm mit seinem Ärger und Hochmut Spaß machte.

»Hast mit dem Vogt gesprochen?« fragte der Kolonist.

»Ei ja, lieber Henrik«, sagte Stureson, noch immer lachend, »allein ich kann dir wenig Hoffnung geben. Der Vogt meint, du seist ein Trunkenbold, ein Narr, ein ganz unwissendes und bösartiges Geschöpf, das unmöglich den guten ehrlichen und rechtlichen Olaf ersetzen könnte, der unglücklicherweise uns verlassen hat!«

»Sagt er das?« schrie der Kolonist wütend. »Aber ich will die Stelle haben, du mußt sie mir schaffen. Übermorgen komme ich an den Malanger Fjord, da sprich mit ihm!«

»Sei vernünftig und bleib zu Haus«, erwiderte der Landrichter.

»Will kommen«, sagte der Lappe, ihn angrinsend, »will an deinem Tische sitzen und dich mahnen vor aller Augen!«

»Komm immerhin, mein lieber Freund«, erwiderte Stureson sehr belustigt, »du sollst empfangen werden, wie du es verdienst. Aber höre, Henrik Jansen«, fuhr er fort, indem er den Ton änderte, »merke nochmals genau, was ich dir neulich schon sagte: Ich bin der Landrichter hier im Bezirk, du bist ein elendes, bösartiges, verworfenes Geschöpf. Wenn du es wagen solltest, gegen mich irgendeine lächerliche und nichtswürdige Verleumdung auszusprechen, die niemand dir glauben wird, so will ich dich strafen lassen, du Hund, bis du genug hast! Und nun packe dich fort und komm nicht wieder in meine Nähe, oder ich will es dir verleiden.«

Er stieß mit dem Fuß nach dem Kolonisten, der, ein paar Ellen fortgeschleudert, zu Boden stürzte, aufsprang und mit einer Eile entfloh, die seinem Entsetzen gleichkam.

»Das fehlte noch«, sagte Stureson, nachdem er genug gelacht hatte, »daß solch hochmütig verkehrtes Gewürm mich plagen und pressen könnte, und dies ist die einzig richtige Art, um mit ihm umzugehen. Ja, wenn es einer unserer hartköpfigen Bauern aus dem Süden wäre, die sich in ihrem Freiheitsdünkel so hoch stellen wie die Ersten und Mächtigsten – aber glücklicherweise handelt es sich hier nur um ein vertiertes lappisches Geschöpf.«

Er duckte sich hinter den Steinen und beobachtete das Haus im Grund, dessen Tür sich eben öffnete, und deutlich sah er Mary, die an Stockfleths Hand durch das öde Gartenland ging, WO jetzt Unkraut wild aufwucherte. Der Geistliche begleitete das junge Mädchen bis an den Bach, dort blieben sie beide stehen, um Abschied zu nehmen. Stockfleth legte die Hände auf Marys Haupt und küßte ihre Stirn. Dann drückte er sie an seine Brust und deutete zum Himmel hinauf. Von sanften, liebreichen Worten mußten seine Lippen überströmen, denn ihre Blicke hingen an ihm fest. Stureson meinte mit seinen scharfen Augen den Trost in ihren freundlichen Zügen entdecken zu können. Endlich schien der Propst ihr noch einmal ein Versprechen abzunehmen, das sie in seine Hände niederlegte – so schieden sie.

Mary flog leichten Fußes die Höhe hinan, der Missionar blieb einige Minuten stehen, bis er umkehrte, noch einmal den wüsten Garten und das kleine Haus betrachtete, traurig den Kopf schüttelte und nun in der Schlucht aufwärts stieg, welche auf die Höhe des Fjelds führte.

»Er kehrt zu den Rentieren und dem süß duftenden Kessel der alten Hexe zurück«, sagte Stureson, »und wohl bekomm es ihm! Aber welche Macht hat der Heiligenschein und der schwarze Rock auf Erden! Was alle meine Zärtlichkeit, meine Aufmerksamkeit, mein Schmachten und Bitten nicht vermochten, das vollbringt dieser graubärtige Priester in einer Stunde. – Glück auf denn, Lars, sie wird dich lieben, weil er es ihr als Pflicht befohlen hat. Ich habe oft gesagt«, fuhr er spottend fort, indem er an der Bucht hinabging, »daß Priester nur in der Welt sind, damit Dummheit und Aberglauben nicht aussterben, jetzt kann ich Abbitte leisten. Sie sind auch dazu da, nicht allein die Geister, sondern auch die Herzen der Menschen zu unterjochen und alles, was ihnen nützt, wofür man sie gewinnt, als geistliches Gebot auszurufen.«

Unter solchen Gedanken kehrte er zu Hvalands Haus zurück. Den ganzen Abend war Mary sehr still und geschäftig, aber er bemerkte sehr wohl, daß ihre Blicke mild und prüfend ihn betrachteten und ihre Antworten freundlicher und teilnehmender klangen, als es sonst der Fall gewesen war.

Am Morgen hob Stureson seine Braut auf den mutigen Zelter, und jetzt zum ersten Male fühlte er etwas, das sein Herz lebhaft berührte. Das junge Mädchen sah wirklich schön und stattlich aus. Es kam ihm vor, als sei sie über Nacht frisch aufgeblüht, wie eine Blume, der es an Wasser gemangelt, oder als sei er blind gewesen und habe nicht bemerkt, welche Reize sie besaß. Ihr sanftes Gesicht war heute von frischer Röte überzogen, die tiefbraunen Augen schimmerten klar unter langen Wimpern und schienen ihm etwas sagen zu wollen, die braunen Locken quollen reichlich und glänzend unter dem kleinen Hut mit dem grünen Schleier hervor, ihre Füße waren schmal, ihre Hände klein und rund – es war Stureson, als sähe er sie zum ersten Male, und er stellte befriedigt fest, daß sie in allen Salons würde erscheinen können und dort mit Hilfe von Putz und Moden sogar Aufsehen erregen würde.

Das feurige Pony selbst, welches das hübsche Mädchen trug, schien stolzer unter der leichten Last. Es war von echter Rasse, isabellfarbig, mit schwarzem Streif vom Maul bis zur Schwanzspitze. Sein schwarzer Kamm, borstig und kurzgeschoren, stand steil auf dem schön gebogenen Hals, seine zierlichen schwarzen Füße und Hufe waren spiegelblank, und wie der Schaum um die roten Zügel flockte, die mit weißen Schlangenmuscheln besetzt waren, wie die Sonne auf dem Juchtensattel glänzte, der seine gelben funkelnden Nägelreihen zeigte, und das Tier auf der moosigen Ebene des Fjelds leicht dahinflog, ließ sich kaum etwas Schöneres denken. Stureson folgte der Reiterin mit gierigen Blicken und Gedanken, und hinter ihnen trabte Hvaland auf einem schwereren Klepper, vergnügt lachend über die Munterkeit seiner Kinder.

Erst auf der höchsten Erhebung des Fjelds hielt Mary das mutige Tier an und erwartete Stureson. Dies war der Punkt, wo er selbst gestern gehalten und das Meer und die tiefen Schluchten des Gebirges betrachtet hatte. Er bemerkte, daß Marys Augen sich forschend auf die Birken richteten, wo die Zelte der Kinder Herna Jubas gestanden, und er zweifelte nicht, daß Stockfleth ihr davon erzählt hatte. Aber es war nichts mehr davon zu sehen. Kein Rauch stieg auf, kein Rentier streckte sein gehörntes Haupt hervor, kein gelber Zottelhund ließ sein heiseres Bellen hören. Die Familie war weitergezogen, irgendein Versteck barg während des Marktes ihre Tiere, und Stureson hatte keine Lust, Marys Erinnerungen aufzufrischen.

»Wie schön ist es hier!« rief sie ihm entgegen, »wie herrlich und wunderbar ist mein Vaterland selbst in diesen wilden und unbewohnten Gebirgen!«

»Aber viel schöner noch ist es da, wo Menschen wohnen«, sagte Stureson. »Ich werde bald andere Berge mit dir besteigen, meine liebe Mary, von denen du auf andere Fjorde hinabsehen sollst, wo Wälder von Kirschen und Nußbäumen stehen, wo süße Birnen und Äpfel reifen und wo alles dein sein soll, was dein Herz begehrt.«

»Mein Herz«, erwiderte sie, die Augen zu ihm aufschlagend und ihn forschend betrachtend, »ist genügsam, und dennoch verlangt es mehr als andere. Auch meine Wünsche sind bescheiden, obwohl sie dir unbescheiden dünken könnten.«

»Erkläre mir deine Rätsel, Mary«, entgegnete Stureson, der sich von ihren Blicken eigentümlich betroffen fühlte.

»Jetzt nicht«, wehrte sie ab, »mein Vater kommt. Laß uns bis an die Schlucht ihm entgegenreiten; ich denke, es muß schön sein, dort hinabzusehen.«

Sie trieb ihr Pferd dahin, wo der Bach von Felsen zu Felsen in den Spalt sprang und seinen kühlen Staub vom Luftzug zurücktragen ließ. Schlanke Bergtannen und Birken hielten die Seiten der Tiefe dicht besetzt, die so grün und lieblich aussah und so sonnig beglänzt, und dann wieder von schweren Schatten umnachtet wurde, daß jedes Auge mit Wohlgefallen hinabblicken mußte. Geheimnisvoll umhüllte der dichte Wald die schroffen Wände, aber Stureson meinte irgendein Wesen zu entdecken, das mit großer Geschwindigkeit sich zwischen den Büschen fortbewegte und unter den schwarzen Tannen verschwand. War es ein Mensch oder ein Tier? Er wußte es nicht. Auch Mary hatte den flüchtigen Schatten bemerkt, und beide teilten sich ihre Vermutungen mit.

»Ein Bär«, sagte Stureson, »würde sich nach seiner Gewohnheit eher aufgerichtet und uns erwartet haben. Ich meine weit eher, daß es ein Lappe war, deren viele sich seit einigen Tagen schon von allen Seiten dem Malanger Fjord nähern, um ihre Klagen anzubringen und ihre Käufe und Verkäufe zu machen.«

»Und darum«, rief Hvaland, der inzwischen näher gekommen war, »laßt uns nicht länger hier nach dem Ungeziefer umhersehen, früh genug wird es uns in den Weg kommen! Lappen haben nie Gutes im Sinn, und wenn sie sich verkriechen, ist ihnen am wenigsten zu trauen.«

Stureson lachte. »Sie denken zu übel von den armen Leuten«, sagte er, indem er die Wirkung seiner Worte auf Mary beobachtete, »die doch auch ihre guten Eigenschaften haben. Ich bin zufällig neulich mit einer wandernden Familie zusammengetroffen, habe bei ihr gesessen und ihr Mahl geteilt. Sie waren alle freundlich und gefällig und sprachen verständig über ihre Lage. Die Schwärmerei des Propstes Stockfleth rechtfertige ich freilich nicht, aber wie roh und unwissend sie ihr wanderndes Hirtenleben auch macht, wir, die wir besser und gesitteter sein wollen, müssen als Christen uns ihrer annehmen und ihr Menschenrecht an ihnen achten.«

Hvaland widersprach dem in seiner Weise, aber der kluge Landrichter merkte wohl, welchen Eindruck seine Worte auf Mary gemacht hatten. Sie sah ihn dankbar an, und wenn es auch schien, als fiele es ihr schwer, der Aufrichtigkeit seiner Worte nicht zu mißtrauen, so überwand sie dieses Gefühl offensichtlich und reichte ihm mit einem frohen Blick ihre Hand hinüber, die er, erfreut über so viel Entgegenkommen, nahm und an sein Herz drückte. Verwirrt trieb Mary ihr Pferd weiter, und bald senkte sich das Fjeld, und vor den Reitern lag der prächtige breite Fjord.

Rasch ging es zu ihm hinunter, und heute war er sehr belebt. Große Boote und Jachten schwammen und ruderten über ihn hin, Geschrei, Lärm und Jauchzen schallten herauf. Aus den Booten wurden Tücher geschwenkt, frohe Stimmen riefen sich Grüße zu. Andere schon gelandete Marktleute standen am Ufer und bewillkommneten nahende Freunde, zahlreiche Fahrzeuge aller Größen lagen in langen Reihen, und ihre Mannschaften waren mit Ausladen beschäftigt. Viele Gruppen füllten den weiten Wiesengrund, der zwischen zwei hohen Fjellen sich lang ausdehnte, und mitten durch dies frohe Gewühl zog Stureson mit seinen Gästen seinem Hause zu, das im Sonnenglanz ihn erwartete.

 


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