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Am nächsten Morgen trat der Sorenskriver seine Reise an, und niemand wäre imstande gewesen, ein Zeichen über die Vorgänge dieser Nacht an ihm zu entdecken. Er war heiterer als je zuvor und ließ es an Scherz und Lustigkeit nicht fehlen, als er mit Hvaland beim Frühstück saß.

Der Kaufmann schien seinerseits in nicht geringerer guter Laune zu sein, und bis das Boot bereit lag, das den werten Gast nach Lenvig bringen sollte, wurde das Freundschaftsverhältnis der beiden Männer durch manchen guten Trunk, nochmals besiegelt.

Mary ließ sich nicht blicken. Eine der Mägde des Hauses sagte, daß die Jungfer an Kopfweh und Hitze leide und deswegen nicht aufgestanden sei.

Christie Hvaland rieb sich dabei nach seiner Gewohnheit die Nase und lächelte schlau nach dem Landrichter hinüber. »Bah«, rief er, »werdet sie wohlauf finden, wenn Ihr wiederkommt, Stureson! Mädchen haben ihre Launen! Mag sein, daß Mary zu spät spazierenging und von zu starker Erhitzung eine Erkältung davontrug oder, wenn es nicht wahr ist, daß sie wenigstens so sagt.«

Stureson blickte ihn prüfend an, der Kaufmann nickte ihm schelmisch zu. »Na, laßt es gut sein«, sagte er zu dem Landrichter, »Mädchen sind Mädchen, jede will ihre Zeit haben. Kommt, sobald Ihr könnt, und wir wollen weiterreden.« Damit nahmen sie Abschied.

Das Boot schwamm den langen Sund hinab, der nach Lenvig führt, und zum letzten Male fiel Sturesons Blick auf die hohe Klippe in der Tiefe der Bucht, den Schauplatz seiner raschen Tat. Er starrte eine Minute lang darauf hin, dann wandte er sich ab und sah ins Wasser. »Der Narr«, murmelte er vor sich hin, »der lächerliche Narr, er ist selbst schuld an seinem Unglück. Aber gut, daß der heilige Stockfleth mich nicht mehr belästigte, er wird seinen frommen Schüler lange suchen können!« Damit war für den Landrichter alles abgetan. Er streckte sich auf das Lager von frischen Birkenreisern aus, das am hinteren Ende des Bootes nach der Sitte als Ruheplatz für ihn bereitet war, und rauchte, behaglich mit den Schiffsleuten plaudernd, bis die Kirche von Lenvig erreicht war.

Hier am Auslade- und Kaufplatz waren mehrere angesehene Männer aus der Umgegend versammelt. Der Vogt von Lenvig lud ihn in sein Haus, und nach den üblichen Höflichkeiten und Bewirtungen warteten ein paar Pferde, welche auf ihren Packsätteln die Reisekoffer des Sorenskrivers trugen, um sie über die felsige Halbinsel am Malanger Fjord zu tragen. Ein anderes Pferd trug Stureson, das Boot aber ging mit den größeren Kisten weiter, der Jacht nach, die, wie der Sorenskriver zu seiner Zufriedenheit erfuhr, in letzter Nacht mit seiner Habe beladen durch den Sund gefahren war und vor seinem Hause Anker geworfen hatte.

Nach einem zweistündigen Ritt über hohe Felsen und durch enge Felsentäler lag der Malanger Fjord vor Stureson. In der Tiefe einer nach Osten laufenden Bucht wurde ihm das lange rötliche Haus gezeigt, unter dessen Dache er wohnen sollte. Die Küste war grün und flachte sich lieblich ab. Ein ganzer Waldstreif von hohen Bäumen lief wie ein Gürtel an den Fjellen hin und zeigte, daß Holz in Fülle vorhanden sei und daß es Schutz vor den rauhen Winden habe. Ein paar schöne Bäche durchquerten dies Waldrevier und funkelten darin wie glänzende Schlangen, bis sie in donnernden Sätzen und Fällen von der letzten steilen Höhe sprangen und nun sanft dem großen Meerbusen zuströmten. Zwischen diesen Bächen lag die Wohnung des Landrichters; zu beiden Seiten lagen bebaute Felder, Kolonistenhäuser und Fischerhütten, aufsteigender Rauch aus entfernteren größeren Wohnungen und Pfahlwerke in verschiedenen Buchten, aus denen die Masten mehrerer Jachten ragten, kündigten Handelsstellen und Kaufleute an. Der mächtige Fjord mit seinen zahlreichen, tief ins Gebirge dringenden Armen breitete sonnenblitzend sich bis in weite Ferne aus, und wer dies schöne Panorama von Wald, Fels und Meer sah, diese klaren blauen Wasser und diese grünen saftigen Flächen, der hätte schwer glauben mögen, daß dies alles meist acht Monate lang unter Schnee und Eis begraben liegt.

Stureson selbst fand sich überrascht, und je mehr er sich der Küste näherte, um so mehr erheiterte sich sein Gesicht. Da sah er Gärten, die sein Haus umgaben, da sah er Blumen blühen und Bäume stehen, da entdeckte er eine Art Glashaus, das sein fleißiger Vorgänger angelegt und mit Mühe und Kosten erhalten hatte. Kleine bebaute Felder schlossen sich dem Gartenraum an. In einem eingehegten Plätzchen blühten Erbsen, in einem anderen war der Roggen hoch aufgeschossen, hohe Brombeer- und Himbeerhecken mischten sich mit Stachel- und Johannisbeerbüschen, und vor dem Hause sah er schon einen Teil seiner Habe aus der Jacht, die dicht am Bollwerk lag, herausgeschafft und ihn erwartend.

Den ganzen Tag über und die folgenden hatte er vollauf zu tun, um die ersten Einrichtungen zu treffen. Er fand das Haus, wie Hvaland es ihm beschrieben, sehr geräumig und wohnlich. Die doppelten Balkenwände waren fest und in bester Ordnung, und bald kamen aus Lenvig und Tromsöe einige Arbeiter, welche nach Sturesons Anordnungen änderten und besserten, was er wünschte. Er hatte Tapeten mitgebracht und ließ die besten Gemächer damit neu bekleben, und als er mit bunten Decken die Fußböden belegte, Bilder in Goldrahmen an die Wände hing, seine neuen Möbel, Spiegel, Sofas und weiche Armstühle aufstellte, waren die Leute überzeugt, der König in Stockholm könne nicht schöner und stolzer wohnen als ihr Sorenskriver am Malanger Fjord.

Sturesons rasche Tatkraft zeigte sich auch bald in der Art, wie er seine Geschäfte ergriff. Ein Landrichter in diesem wenig bewohnten ausgedehnten Lande kann nicht stillsitzen und warten, bis die Rechtsuchenden zu ihm kommen. Er muß reisen, bald dahin, bald dorthin, bald über wilde Gebirge, bald über wildes Meer. Der Sorenskriver am Malanger Fjord hatte auf zwanzig Meilen Gericht zu halten und Recht zu sprechen, und dies tat er mit überraschender Geschwindigkeit. In wenigen Tagen besaß er Pferde und Boote, hatte er Ruderer und Diener, Hausleute und Mägde gemietet. Er knickerte nicht am Lohn, aber er befahl kurz und streng und verlangte schnellen pünktlichen Gehorsam.

Nun fuhr er zwei Wochen lang nach allen seinen Gerichtsstellen, und überall hinterließ er den Ruf, daß er ein Mann sei, dem der Hut fest auf dem Kopfe sitze und der auf seinen Beinen zu stehen wisse. Alle Geschäfte wurden schnell abgemacht, was liegengeblieben war, aufgeräumt. Der große kraftvolle Mann mit stolzem ernstem Blick und gewaltiger Stimme war ganz geschaffen, um Furcht vor seiner Weisheit zu erwecken und einen Salomo darzustellen.

Die reichen Kaufleute und Landbesitzer fanden jedoch den Sorenskriver ebenfalls meist nach ihrem Sinne, denn in ihren Häusern und bei ihren Festen war er ein munterer Gesellschafter, der mit Verstand von allen Dingen zu sprechen und viel zu erzählen wußte. Daß er aus alter Familie war, Verwandte hatte, die im Storthing saßen und im Staatsrat mitsprachen, vermehrte sein Ansehen, und Stureson selbst besaß etwas in seinem Wesen, das nicht leicht eine derbe und dreiste Gleichstellung aufkommen ließ. Mit wem er auch trinken und scherzen mochte, er hielt eine Kluft offen und vergab seinem Ansehen und seinen Ansprüchen so leicht nichts.

Bei seinen Reisen war er mehrmals auch in der Nähe von Hvalands Besitzung gewesen, aber er war vorübergefahren, ohne einen Besuch zu machen, der seinen Berechnungen nach noch nicht an der Zeit war. Er hatte gehört, daß der Missionar noch immer dort verweile, und fühlte eine innere Scheu, mit Stockfleth zusammenzutreffen; auch wollte er Mary Zeit lassen, in Einsamkeit Trost und Beruhigung zu finden. Endlich aber war er gewiß, daß, je länger er zögerte und je mehr der Kaufmann von seiner eifrigen Amtsführung höre, um so höher auch seine Zuneigung steigen werde.

Inzwischen sammelte er bei seinen neuen Bekanntschaften Nachrichten über Christie Hvalands Umstände, und was er vernahm, war lockend genug. Daß Christie einer der schlauesten sei, die je mit den Herren in Bergen und mit Lappen und Quänen gehandelt, wurde ihm ebensowohl gesagt, wie daß er seine Taschen voll habe. Männer, denen Glauben zu schenken war, schätzten sein Vermögen wenigstens auf zweihunderttausend Spezies, und Stureson fand es höchst lächerlich und abgeschmackt, daß so viel Geld auf einer öden Klippe von einem schmutzigen, nach Tran stinkenden Krämer aufgehäuft werde, der auf dem goldenen Segen brüte, ohne ihn je wie ein Mann von nur einigem Geist und Geschmack zu genießen. Um Stockfisch, Hering und Rentierfleisch zu verzehren und mit jämmerlichem Punsch oder Grog hinunterzuspülen, brauchte er nicht Hunderttausende zu besitzen. Der Sorenskriver lag in mancher Nacht und bei seinen Reisen in mancher stillen Stunde und dachte darüber nach, was er beginnen würde, wenn das alles sein wäre.

Endlich schien es ihm an der Zeit zu sein, seinen Freund am Senjenöe-Sund aufzusuchen, und eines Morgens trug sein mutiges Gebirgspferd ihn vom Malanger Fjord quer durch die Felsenkämme nach vier harten Stunden vor Hvalands Haus. Christie war voll Freude, als er ihn sah, und beantwortete seine Entschuldigungen ganz so, wie Stureson es erwartet hatte.

»Habe von Euch vernommen, Sorenskriver«, sagte er, »seid ein Mann, wie er sein muß. Erst die Arbeit, dann die Freude. Hab's ebenso gehalten all meine Tage und bin gut dabei gefahren. Sind des Lobes voll, die Euch kennen, denn Ihr gehört zu denen, die nach allen Seiten ausschlagen und jeden in Respekt halten. Jetzt aber seid willkommen an meinem Herde, es wird eine Freude sein für Mary, wenn sie Euch braun und froh wiedersieht!«

»Wo ist die Jungfer?« fragte Stureson.

»Werdet sie ein wenig blaß finden«, lachte der Kaufmann. »Weiß nicht, was ihr fehlt, aber seit Ihr fort seid, ist eine Veränderung mit ihr vorgegangen. Es schmeckt ihr nichts, sie sitzt und sinnt und seufzt und weint.« Er lachte laut auf und machte sein pfiffiges Gesicht, indem er Stureson spöttisch und vertraulich anblinzelte.

»Wir müssen es versuchen, ihr die roten frischen Wangen wiederzugeben«, sagte dieser.

»Tut's im Namen Gottes!« rief Christie, »und denkt, es soll Segen dabeisein! – Ei ja, wir sind seit einiger Zeit allein«, fuhr er dann fort, »der Schulmeister Olaf Holmböe ist von dem Tag an fort, als Ihr uns verließet.«

»Es wird ihm doch kein Unglück zugestoßen sein?« forschte der Landrichter.

»Unglück«, lachte Hvaland, »was soll ein Mensch für Unglück haben, der nichts besitzt als eine alte Geige, ein altes Gewehr und ein halbes Schock alte Bücher! Die Geige hat er mitgenommen, die Flinte dazu. So läuft er wohl jetzt in Felsen und Sümpfen umher und spielt den Rentieren seine Lieder vor. Schade aber doch, daß er nicht hier ist und uns Schnepfen, Tios, Schnee- oder Birkhühner schießt. Ist jetzt eine gute Zeit dazu.«

»Und wo ist der Propst?« fragte Stureson.

»Der hat den Jungen gesucht eine ganze Woche lang und hat Wanderungen gemacht und hat Boten ausgeschickt, bis zu den Lappen, die ihre Tiere am Altenstrom und am Karesjok weiden. Endlich ist er selbst voll Sorge an den Lyngenfjord gereist, und irgendwo wird er ihn endlich wohl auffinden.«

»Wer weiß es«, murmelte der Landrichter.

»So mag das Unsal laufen wie Saltens Vogt, bis ans Ende der Welt!« rief Hvaland. »Aber hier, nehmt Euer Glas, Stureson, und da kommt Mary vom Wasser her. Es gibt nicht weit von hier eine Klippe mit einer Art Bank von Stein; dort sitzt sie oft, seit Ihr nicht hier seid. Ich meine, Ihr kennt die Bank, Sorenskriver, und habt schon einmal dort gesessen!« Mit herzlichem Gelächter streckte er seine Hand über den Tisch, und Stureson schlug ein. Er zweifelte nicht daran, was Christie wußte und meinte.

Nach einiger Zeit kam Mary, und Stureson fand sie wirklich verändert. Ihre Gesundheit schien angegriffen zu sein, ihr Gesicht war schmaler und magerer geworden. Beim Anblick des Landrichters bedeckte freilich glühende Röte ihre Stirn und Wangen, und plötzlich schien sie eine Frage tun zu wollen, die ihr auf den Lippen wieder zerrann. Stureson sprach lange und teilnehmend mit ihr. Er war so mild und freundlich und der Ton seiner Stimme so einschmeichelnd, als habe sich sein ganzes stolzes Wesen umgekehrt. Mary mußte seine Klagen hören, wie er täglich an sie gedacht, ohne zu ihr eilen zu können, und wie gern er gekommen sein würde, wenn Pflicht nicht stärker wäre als Wille. Dann erzählte er von seinem Hause, von seinen Einrichtungen und Verbesserungen, und mit der Wahrheit mischten sich geschickt seine Prahlereien und seine Einladungen und Bitten.

Den ganzen Tag über war Stureson unermüdet in seiner Aufmerksamkeit, und Mary mußte es ihm hoch anrechnen, daß er mit keiner Silbe sie an jene nächtliche Szene erinnerte, die ihre Seele mit Grauen und Scham füllte. Sie selbst wagte es nicht, Olafs Namen auszusprechen. Er hatte sie verlassen, sie wußte am besten, warum. Er hatte es ihr ja selbst gesagt, daß er hoffnungslos und verzweifelnd fliehen müsse, ohne Stockfleths Vorschläge anzunehmen, aber schmerzhaft krampften sich ihre Nerven zusammen, wenn Stureson ihre Hand nahm, und ihre Augen wandten sich scheu ab, wenn seine feurigen Blicke auf ihr ruhten. Immer fiel ihr ein, was Olaf von diesem Wolfe gesagt hatte, der zum Lamme geworden war. Ein ohnmächtiges Gefühl überkam sie, wenn sie seine Stimme hörte und ihr Vater sein pfiffiges Gesicht machte.

Am nächsten Morgen aber kam es nun zur vollen Erklärung zwischen Stureson und Hvaland. Der Landrichter hielt um Mary an, der Kaufmann sagte sie ihm mit Freudigkeit zu.

»Sollt sie haben«, rief er, »hat die gesegnete Stunde mir lange schon vorgeschwebt, und vom ersten Tage an, wo ich Euch sah, Stureson, kam der Gedanke in meinen Kopf, Ihr müßtet mein Schwiegersohn werden! – Komm her, Mary, komm her, mein Kind«, fuhr er dann fort, als seine Tochter hereintrat, »weiß jetzt das rechte Mittel, dich gesund zu machen. Wirst Lars Sturesons Frau werden und in Holmböes Haus am Malanger Fjord wohnen, wo es dir immer so gut gefallen hat!«

»Nein, Vater, nein!« rief Mary zitternd, als er sie festhielt und Stureson zuführte. Mit heftiger Anstrengung wand sie ihre Hand los.

»Nicht?« schrie Christie, »nicht, Mädchen? Hör auf mit deinem Gezier; als ob ich's nicht wüßte, wie es unter dem Tuche da aussähe!«

»Du weißt nichts, Vater, nichts«, erwiderte sie, ihr Gesicht senkend.

»Potz Speer und Kreuz«, lachte Hvaland, »ich weiß nichts, meinst du? Weiß aber mehr als zuviel! Hätte mit dir einen Gang gemacht, Mädchen, der dir wenig gefallen täte, wenn es ein anderer gewesen wäre als Lars Stureson, als du mit ihm am Morgen heimkamst. Sollst es wissen, Mary, daß ich damals am Fenster stand. War aufgewacht, als ob es einer mir ins Ohr gesagt hätte: Sieh hin, Christie, wie's deine Tochter treibt! Ei, närrisches Kind«, fuhr er fort, als Mary schamvoll ihre Hände aufhob, »habe ja nichts dagegen und ist auch keine übermäßige Sünde dabei, mit dem Manne, den man ins Herz geschlossen, eine Sommernachtstunde einsam zu verplaudern. Aber was in der Finsternis geschehen ist, soll nicht länger geleugnet werden beim Sonnenschein. – Gottes Segen auf dein Haupt, meine Mary! Deines alten Vaters Segen über dich! Machst ihn glücklich, Mädchen, froh und glücklich, daß er dich in solchen Armen sieht.«

Stureson war nahe herangetreten und hatte Mary an seine Brust gezogen. Er sprach kein Wort zu ihr, er küßte ihre Hände, ihre Stirn, ihre Lippen, und seine Augen blickten mild und bittend in ihr verstörtes Gesicht.

»Vertraue mir, teure Mary«, sagte er dann, »ich will dich heiß und zärtlich lieben und dein Leben so schön machen, wie ich es vermag. Nicht allein in meinem Hause, in meinem Herzen sollst du als Herrin schalten, mein Glück und meine Freude auf Erden will ich allein bei dir suchen.«

Hvaland war entzückt von diesen Beteuerungen, er umfaßte sie beide, drückte und küßte sie und hatte keinen Sinn dafür, daß Mary leidend ertrug, was zu ändern sie keine Kraft besaß.

In wenigen Minuten hatte Christie sein ganzes Hausgesinde herbeigerufen und ihm mitgeteilt, daß Jungfer Mary Sorenskriver Sturesons Braut geworden sei. In einer Viertelstunde wußte es der ganze Gaard und alle seine Anwohner. Viele kamen, um Glück zu wünschen, der eine drängte den anderen; Hvaland hatte genug zu tun, die Gläser zu füllen und die guten Wünsche zu erwidern, welche auf das Heil des Brautpaars reichlich dargebracht wurden.

So gingen die ersten Stunden geräuschvoll vorüber, und Stureson ließ Mary keine Zeit, sich zu besinnen. Es war zu spät – das fühlte sie mit jeder Minute mehr, und was hätte sie auch sagen können! Sie war in der Gewalt des Mannes, der, wenn sie ihn zurückwies, Dinge erzählen konnte, die ihres Vaters jährzornigste Wut aufwecken mußten. Sein ganzer Ehrgeiz hing an dieser Verbindung, sein ganzer Stolz war verwachsen mit dem Gedanken, Stureson seinen Schwiegersohn zu nennen, der den Neid von Tromsöe bis Bodöe rege machte und dessen vornehme Sippschaft ihm heimlich ebensowohl zusagte wie der stolze gewaltige Landrichter selbst.

Stureson wandte alle seine Sanftmut und alle Überredungskünste an, um Mary heiter zu stimmen und die Furcht zu zerstreuen, welche sie so sichtlich beherrschte. Es gelang ihm im Laufe des Tages wenigstens insoweit, daß sie, in Unvermeidliches sich ergebend, geduldig anhörte, was er versprach und bat, seine frohen Blicke mit einem schwachen Lächeln erwiderte und sich anstrengte, ihr inneres Widerstreben zu überwinden und den Zukunftsträumen zu folgen, welche Stureson ihr mit heiteren Farben ausmalte. Der Malanger Fjord mit seinen wilden Bergen verschwand vor den Schilderungen der Reisen, die er mit ihr machen wollte. Sie sollte Deutschland sehen, Frankreich, Paris, in Italien selbst Orangen pflücken, und wenn sie dann auch zurückkehrte, so war von Zeit zu Zeit immer wieder eine Reise nach dem Süden in Aussicht gestellt.

Stureson ließ die Absicht durchscheinen, daß er überhaupt nicht willens sei, sein Leben in diesen Einöden zu beschließen. Er sprach von seinem väterlichen Gute in Mandals-Amt und beschrieb die alten Eichen und Buchen, welche sich über dessen Dach neigten, und die Reize des alten Sitzes seiner Familie mit verlockendem Feuer. Dazwischen mischten sich ehrgeizige Entwürfe. Es würde ihm nicht schwer sein, meinte er, ein Storthingmann zu werden, er sei aus dem Holze, woraus Staatsmänner und Führer gemacht würden, und seine mächtigen Freunde bildeten eine Partei, auf welche er rechnen könnte.

Hvaland begriff das besser als seine Tochter, und während er in Gedanken rechnete, was besser sei, ein Schwiegersohn als Richter am Malanger Fjord oder als Staatsrat in Christiania oder wohl gar als Minister in Stockholm, hörte Mary nicht ohne Teilnahme zu, was ihr Bräutigam von den gesellschaftlichen Kreisen der Hauptstadt erzählte und wie bald man in wenigen Tagen dahin gelangen würde, wenn die Dampfbootverbindung eingerichtet sei, zu der er aus allen Kräften helfen werde.

Alles, was Stureson sprach und als gewiß darstellte, mußte angenehme Gefühle erregen, und wer Mary am Arme des stolzen Mannes gehen sah, konnte nicht umhin, sie glücklich zu preisen.

Am Nachmittag kam, wer irgend in der Nähe zu haben war. An Vogt und Pfarrer hatte Christie Boten gesandt, und abends bei Tische fand eine feierliche Proklamation der Verlobung statt, zu welcher auch die Fischer, Gaardleute und Kolonisten sich einfanden, denn Hvaland ließ schmausen und trinken, wer kommen und nehmen wollte.

Es war im August, die Sonne machte höhere Kreise und tauchte tiefer schon ins Meer hinab, um später wieder aufzustehen. Erhitzt vom Wein und seinen Gedanken, ging Stureson, als die Dämmerung anbrach, an den Fjord hinaus. Er wollte allein sein, um einige Minuten lang sich selbst zu gehören. Er hatte alles erreicht, was er wollte, Mary und ihr Geld waren sein, aber Hohn und Verachtung kämpften in seinen Zügen, als er die Felsen hinaufstieg und zurückdachte. Die Gesellschaft, aus der er entkommen war, ekelte ihn an, und selbst das Mädchen, der er Liebe und Ergebenheit heuchelte, war ihm zuwider.

»Ich muß es alles ertragen«, murmelte er vor sich hin, »aber ich werde sie abschütteln wie der Bär die Bienen, wenn er ihren Honig geraubt hat, und mich wälzen, um sie zu zerdrücken, sobald es nötig ist. Große Ehre für mich«, fuhr er in seinem Selbstgespräch bitter auflachend fort, »dies alberne Ding, die einem Lappen sich hingegeben, als meine Frau heimzuführen, mich in Artigkeiten und Schmeicheleien abzuquälen, um ihren zuckenden Finger zu erhalten, ihr Ohr zu betäuben, während ihr Herz kalt ist wie das Eis da oben. – Und dieser Schwiegervater in den speckglänzenden Lederhosen – welch ein Anblick für meine lustigen Freunde und edlen Verwandten in Christiania! Aber, Geduld, Lars, Geduld, mein guter Junge! Hat er die Taschen erst aufgeknöpft, und bin ich da, wo ich sein will, soll er einen anderen Ton hören! He, Henrik Jansen!« rief Stureson, sich selbst unterbrechend, als er, um einen mächtigen Stein biegend, den Kolonisten gerade wie damals am Strande bei seinen Netzen sah.

Der Böelappe schwenkte seinen Glanzhut, grinste hinauf, machte seine Kapriolen und winkte ihn zu sich herunter.

»Was soll's?« fragte der Landrichter belustigt. »Mein teurer Freund, komm herauf, wenn es dir beliebt!«

»Habe Euch etwas zu sagen, wohledler Sorenskriver!« rief der Kolonist leise herauf.

»Und warum bist du nicht bei deinen Genossen auf Hvalands Hausplatz?« fragte Stureson, über das Geröll steigend, »ißt von seinem Roggenbrot und Hammelfleisch und trinkst seinen Whiskypunsch zu meiner Ehre?«

»Weil ich nicht will«, erwiderte Henrik, seine verkehrten Augen umdrehend, indem er den Arm in die Seite stemmte. »Bin ein Mann, der auf seinen eigenen Füßen steht, wohne auf meinem Erbe und denke nicht daran, in Christie Hvalands Vorflur mit schmutzigem Volke zusammen zu sitzen.«

Stureson fand den Hochmut des kleinen Lappen sehr belustigend. »Das heißt, mein guter Freund Henrik Jansen«, sagte er, »du meinst, ein Platz neben Pfarrer und Sorenskriver würde besser für dich passen.«

»Und warum denn nicht?« fragte der Kolonist. »Ich will es nicht gerade heut von Euch fordern, Sorenskriver, aber künftig müßt Ihr mich einladen!« Er grinste ihn boshaft an, während Stureson ihn verächtlich betrachtete, drehte seinen Glanzhut herum und schlug mit der Hand auf den Deckel. »Ihr werdet es tun, denk ich, hochedler Sorenskriver«, fuhr er fort, »denn Ihr wißt, daß ich es fordern kann.«

»Du bist ein Narr, Henrik«, sagte Stureson ruhig. »Aber warum hast du mich gerufen?«

»Weil ich Euch fragen wollte«, erwiderte der Böelappe mürrisch, »ob Ihr meine Sache bei dem Vogt betrieben habt?«

»Welche Sache?« fragte der Landrichter.

»Welche Sache?« wiederholte Henrik. »Habt ein kurzes Gedächtnis. Ich meine meine Anstellung als Schulmeister, nachdem der Tagedieb fort ist und niemals wiederkommen wird.« Er brach in ein leises heiseres Gelächter aus und steckte seine Finger in den Mund.

»Was geht mich die Schulmeisterei an«, antwortete Stureson. »Sprich selbst mit dem Vogt! Aber es ist Wahrheit, Henrik Jansen: bist ein Mann, der zum Lehren so wenig taugt wie zum Lernen. Bleib bei deinen Ackerstücken und Netzen, steh auf deinen Füßen, so breit du willst, und laß mich in Frieden!«

»Hehe!« schrie der Böelappe, als er nach einem starren Augenblick bemerkte, daß sich der Landrichter entfernen wollte, »besinnt Euch wohl, Sorenskriver, ob's recht getan ist. Ich will Schulmeister werden! Habe geschwiegen und werde schweigen, aber ich sage es Euch ins Gesicht, ich will reden, wenn Ihr Euer Wort nicht haltet!«

»Was willst du reden, du armseliges Geschöpf!« rief Stureson, sich verächtlich umwendend. »Jungfer Mary ist meine Braut. Beleidige sie mit einem Worte, und ich will dir zeigen, wie Verleumder deiner Art bestraft werden!«

»Will reden«, erwiderte Henrik, boshaft lachend, »werde reden!« Und indem er die Hand nach der Klippe ausstreckte, auf deren Vorsprung der letzte Strahl des roten Sonnenlichtes fiel, fügte er mit wildem Grinsen hinzu: »Seht hin, Sorenskriver, ob Ihr dort nichts seht! Sieht aus wie Blut!« Er ließ sein heiseres Lachen hören und schielte zu Stureson hin, aus dessen Gesicht alles Leben gewichen war.

Eine jähe Furcht schien den Böelappen zu ergreifen, als der Landrichter ihn mit durchbohrenden Blicken betrachtete. Er sprang, so schnell er konnte, zurück und ergriff die Flucht. Aber er erholte sich von seinem Schrecken, als Stureson ihn plötzlich lachend mit freundlicher Stimme zurückrief.

»Ich sage es dir noch einmal, Henrik, du bist ein Narr, wenn du aus einem freien Kolonisten ein Schulmeister werden willst, dem Pfarrer, Vogt und Aufseher Verweise erteilen und ihn fortjagen können, wenn es sich zeigt, daß er seine Sache vernachlässigt oder ihr nicht gewachsen ist.«

»Ich will's aber sein«, erwiderte der Kleine halsstarrig.

»Nun gut, so will ich dir beistehen«, sagte der Landrichter, »verlaß dich darauf, du sollst es werden, wenn es angeht.«

»Und will mit Pfarrer und Sorenskriver und Vogt an einem Tische sitzen!« rief Henrik trotzig.

»Sollst an einem Tische mit ihnen sitzen«, sagte Stureson. »Aber was sprachst du von der Klippe dort? Was, meinst du, sähe wie Blut aus?«

»Nichts, nichts«, sagte der Lappe mit einem häßlichen Grinsen. »Habe einen Traum gehabt von dem Hundesohn Olaf, der verflucht sein soll. Träumte mir, er sei da hinuntergestürzt und liege tief unten bei den Grundhaien.«

»Hüte dich, Henrik Jansen, vor solchen Träumen, wenigstens vertraue sie niemandem«, sprach der Landrichter drohend. »Du bist sein Feind gewesen, jedermann weiß das. Leicht könnte der Glaube entstehen, deine Hand hätte ihn hinabgestoßen.« Er stieg rasch die Uferhöhe hinauf und ließ den boshaften Lappen erschrocken stehen.

Nach einigen Minuten war er wieder bei der Gesellschaft, welche sich inzwischen durch Frauen und Töchter der Nachbarn und Freunde Hvalands vermehrt hatte. Stureson war liebenswürdiger und herablassender, als er je gewesen. Das Fest gewann an Fröhlichkeit und Laune mit jeder Stunde, Scherz und Gelächter schallten durch die Nacht, und endlich wurde zum Tanz aufgespielt, der erst endete, als die Morgenröte am Himmel erschien.

 


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