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Als Kriminalkommissar Frank von der Fahrt mit Wanda in seine bescheidene Behausung zurückgekehrt war, machte er sich unverzüglich an die Sachen, die er von Ehrenfels mitgebracht hatte.

Ein winziges Knäuel Barthaare von der dunkelbraunen Farbe, wie sie, nach Frau Wandas Beschreibung zu deren Gatten Haar passen mußte, legte Frank nach eingehender Besichtigung behutsam in sein Taschenbuch zurück.

Dann griff er zu den Schminkstiften – es waren nur ganz kurze Stümpfchen, die man nur noch schwer zwischen den Fingern zu halten vermochte – zeichnete damit einige Probestriche auf der Rückseite seiner linken Hand, nickte befriedigt, rieb die Striche wieder ab und verwahrte auch diesen Fund; er wickelte ihn in sauberes Papier.

Zuletzt machte er sich an die Lektüre der mitgenommenen Briefe. Es waren deren drei.

Der eine, ziemlich abgegriffene, augenscheinlich öfters gelesene auf leise vergilbtem Papier geschrieben, lautete:

 

»Wenn diese Zeilen vor Deine Augen kommen, bin ich nicht mehr. Ich suche den Tod, weil ich zu büßen habe. Verzeihe einer tief Bereuenden.

Ich bin zu feige, mich vor Deinen Zorn zu stellen, meine Augen bittend auf Deine zuckenden Lippen zu richten und auszurufen: hier steht die Schuldigste der Menschen: richte über mich.

Und wenn ich den Mut fände, zu Dir zu gehen, wenn Du großmütig und liebevoll genug wärest, mich aufzunehmen, könnte ich noch leben?

Das Kainsmal auf meiner Stirn, bin ich dem Tode geweiht.

Ich weiß, ich bin zum Schimpf geworden – doch glaube mir um Gottes willen: nur ein Schimpf Boshafter. Ein gerechter Mensch wird mich nicht zu hart verdammen, er wird mich nicht verachten.

Sei auch Du milde!

Ich will es versuchen, Dir mein Leben mit seinen Enttäuschungen und Einflüssen wie in einem Spiegel vorzuführen, ich will es versuchen, meine Handlungen zu verteidigen, wenngleich ich niemals erfahren werde, ob es mir gelang, Dich von der Wahrheit zu überzeugen.

Das Schicksal hat meine Jugend mit Zufall und Willkür heimgesucht und mich an Dir zur Verbrecherin gemacht.

Was bin ich für ein Geschöpf? Was bin ich? Ein ureigenes Selbst?

Nein! Was ich bin, bin ich von meinen Eltern. Nichts von mir – nichts aus mir.

Alle Leidenschaften – Tugenden und Laster – stammen von meinen Eltern, die den Keim zu allem in mir gepflanzt; ich bin nicht ich selbst, als Ich geboren, sondern als eine Abhängige zweier Fertigen, die jeder für sich ihr Mal an der Stirn trugen. Mein Vater trank – meine Mutter siechte im Wahnsinn hin.

Meine Erziehung feilte wenig Ecken ab; sie stutzte nicht einmal das Reis, das von Anfang an ein knorriger, wild- und wüstgebogener Sprößling war.

Ich lebte auf dem Lande – im Walde – und durfte dort die Tage nehmen, wie ich sie fand. Fast ohne Aufsicht wuchs ich mit den Jahren und mein praktisches Wissen von der Welt ging nicht viel über meine Phantasie hinaus.

Was meine Seele mich lehrte, hielt mich in mäßigen Schranken. Die freie Gottesnatur war meine Welt, die Sonne meine Weggenossin, die Blume meiner Eitelkeit Gespielin und die Vögel die Prediger meiner freiheitlichen Bestrebungen.

Dann starben meine Eltern. Der eine am Trunk im Delirium, der andere am Ausgang eines Tobsuchtsanfalls. Ich stand allein und wurde in die Stadt gebracht.

Waisenhaus nannte die Unterkunftsanstalt das fürsorgliche Stadtväterkollegium; ich hatte einen anderen Ausdruck für diesen Aufenthaltsort hergelaufenen, zusammengewürfelten Gesindels.

Was mein raschauffassender Verstand hier alles lernte! Was er in wenig Jahren einstopfen mußte an Ordinärem! Das, glaube mir, wissen manche Greise unter der Hefe des Volks noch nicht an ihrem Lebensabend.

Als man mich mit der Weisheit, die man mir beizubringen für nötig hielt, aufgesäugt hatte, entließ man mich als lebensreif.

Ein sogenanntes vornehmes Haus nahm mich als Bonne, so eine Art Kindergärtnerin, an. Der Kammerdiener vergaffte sich in mich und wurde so aufdringlich, daß ich die Stelle floh.

In einem soliden Bürgerhause ging es mir besser. Ich beaufsichtigte das jüngste Kind. Aber es waren außer diesem noch ältere da. Unter ihnen auch ein Student und der erzwang sich meine Verehrung Er gestand mir seine Neigung und wir wurden heimlich ein Brautpaar.

Ein Brautpaar in Ehren! Das schwöre ich Dir.

Leider wurde unser Verlöbnis verraten. Die Eltern des Studenten bekamen durch irgend einen spionierenden Dienstboten Wind von der Sache, schickten ihren Sohn kurzerhand in eine ferngelegene Universitätsstadt zur Beendigung seiner Studien und mich nach Ablauf eines Kündigungsquartals ohne Sang und Klang aus dem Hause.

Wen hatte ich nun auf der Welt? Keinen, als den Studenten. Was war natürlicher als das, daß ich ihm folgte?

Ich reiste mit meinem Ersparten in die Universitätsstadt, wo er sich aufhielt.

Mit hellem Jubel schloß er mich in seine Arme. Wir blieben beisammen – bis die Eltern wiederum davon erfuhren.

Zornschnaubend eilte der Vater herbei und suchte uns zu trennen. Aber Fritz, so hieß mein Bräutigam, verteidigte mich und seine Liebe.

Da wollte der Vater mit erhobener Faust an mich – Fritz trat dazwischen – die Erregung des alten Herrn war so groß, daß er einem Gehirnschlage erlag.

Fritz mußte seines Vaters Leiche nach Hause geleiten und – kam nicht wieder.

Ich harrte vergebens auf ihn; ein Brief klärte mich auf, daß er seiner Mutter am Grabe des Vaters hatte geloben müssen, bei ihr zu bleiben und für sie und ihre Geschwister zu sorgen.

Er sagte mir Lebewohl und bat mich, ihm nicht zu folgen. Ich sollte auf eine Fügung des Geschicks hoffen und ihm treu bleiben. Vielleicht fügte es das Leben, daß wir doch noch einmal zusammenkämen.

In der Zeit habe ich ein Leid durchgemacht, das tiefer nicht zu schürfen ist.

Hilflos machte ich mich nach der Residenz auf, um Vergessenheit in irgend einer Stellung zu finden.

Man sagte mir, daß ich eine gute Stimme habe und hieß mich zu einem Gesanglehrer gehen. Ich tat es und lernte etwas.

Aber das Leben in der Residenz ekelte mich an. Ich fand dort nichts, was des Lebens wert schien. Mit steigendem Grauen ging ich durch die wirrbelebten Gassen, mit Abscheu erwehrte ich mich all der Zudringlichkeiten, die mir wurden, das Elend brachte mich zur Verachtung dieses Daseins.

Eines Tages entfloh ich meinem Gesanglehrer und wählte eine Bahn, die mich irgendwohin bringen sollte. Mir war der Ort höchst gleichgültig.

Der Zufall trieb mich nach Bremen. Hier trat ich als Liedersängerin in Singspielhallen auf, um mein Leben zu fristen.

Obgleich ich gefiel, widerte mich dies Leben an. Langsam reifte der Entschluß in mir, allem ein Ende zu machen – da lernte ich Dich kennen. Dich, den nachsichtigsten, besten Menschen auf der Welt.

Dein kluges Auge erkannte mein Wesen, und Deine weiche Hand leitete mich zur Lebenslust zurück.

Du gabst mir alles: Liebe, Vermögen, Selbständigkeit. Ich ward Dein Weib und wagte vor Scheu nicht, Dich zu berühren.

Der Himmel ist mein Zeuge, daß ich Dich achtete wie keinen sonst auf der Erde. Ob ich Dich auch liebte?

Du mochtest es vielleicht glauben – ich leugnete es mir. Heute weiß ich, daß ich Deine weiche Hand hätte halten, hätte küssen müssen in heiliger, flammender, ewiger Dankbarkeit. Ich hätte Dich lieben müssen.

Warst Du nicht zu nachsichtig mit mir? Und ließest Du mir nicht zu viel Freiheit?

Ich blieb zu oft mir selbst überlassen und das zeugt Blasen auf der glatten Fläche des ruhig fließenden Wassers. Freilich, Du hattest Deine Anstellung und mußtest Deine Bureaustunden einhalten.

Dein Beruf an der Bank, die Dich besoldete, forderte es. Und das brachte Dir das Verderben, das ich Dir bereiten mußte.

Du wirst Dich lebhaft genug an den Tag erinnern, an dem Du mich von einem Ausgang vergebens zurückerwartet hast. Der Tag ist unauslöschbar!

Ich begegnete auf meinem Spaziergange ihm, dem Manne, dem ich zuerst mein Herz geschenkt. Fritz war's. Er hatte seit langem eine ausgedehnte juristische Praxis in der Provinz. Er liebte mich noch, und ich –? Kann ich Dir's noch verschweigen?

Ich ward von neuem sein – folgte ihm – ihm – ihm – – verließ Dich, betrog Dich und genoß das Leben – eine kurze Zeit! – nun in meinem Sinne.

Verdamme mich nicht – verachte mich nicht! Als Du mich aufnahmst, wußtest Du nicht, wen Du an Deinen Herd geführt. Hätte ich Dir damals klaren Wein eingeschenkt, Du hättest Dich vielleicht besonnen, mir die Hand zu reichen.

Aber des einen sei versichert: schlecht bin ich nicht gewesen, nicht schlecht im moralischen Sinne.

Wirst Du meinen Versicherungen glauben? Dann verzeihe, o verzeihe mir!

Der Mann, mit dem ich bis zu dieser Stunde zusammengelebt, hat sein Leben und seine Zukunft verpfuscht – er hat nach dem Tode seiner Mutter locker gewirtschaftet, hat unterschlagen und seine Klienten betrogen.

Noch an diesem Nachmittage will er sich aus dem Leben stehlen, um nicht ins Gefängnis oder Zuchthaus wandern zu müssen. Ich habe ihm zugesagt, mit ihm zu gehen. Denn wo sollte ich wohl bleiben?

Zu Dir kann ich nicht zurück; der Weg ist mir für immer verrammelt. Noch einmal den Kampf mit dem Dasein aufnehmen? Dazu fühle ich weder die physische noch die moralische Kraft.

Für mich ist dies Leben vorbei und die nächste Stunde wird bald vorüber sein. Kannst Du, so vergib mir! Sei noch einmal großmütig und nachsichtig mit mir!

Und nun leb wohl! Lebe wohl! Und laß Dir den letzten Gruß gefallen von Deiner reuigen

Maria.«

 

Frank faltete das Schreiben zusammen und hielt es eine Weile gedankenvoll in der Hand Dann legte er es beiseite und griff nach dem zweiten Briefe. Dieser hatte folgenden Inhalt:

 

»Als alleiniger Erbe meines Oheims Bruno Ehrenfels habe ich das Verfügungs- und Veräußerungsrecht über das meinem Verwandten gehörige Besitztum.

Ich erwarte, falls Sie darauf reflektieren, Sie am 12. d. Mts zu einer näheren Besprechung, eventuell Kaufabschluß, im Hotel ›Zum Schwan‹, wo ich bis 14. logiere.

Hochachtungsvoll

Rudolf Oertzen.«

 

Das dritte und letzte Schreiben war wieder, wie das erste, von einer Frau abgefaßt. Darin hieß es:

 

»Ich werde zu der angegebenen Stunde am bezeichneten Ort sein. Was hast Du Außergewöhnliches vor?

Mir ist angst und bange. Bist Du in Nöten? Wie soll ich Dir helfen?

Ich begreife nicht, daß ich das könnte. Doch ich bin gehorsam und folge Deinem Wunsch. Stets die Deinige.«

 

Eine Unterschrift fehlte, wie bei allen drei Schreiben Adresse und Daten.

Der Detektiv schloß die Papiere in sein Etui, steckte es zu sich und schritt eine Weile überlegend auf und nieder.

»Hm!« machte er endlich. »Talbach muß sofort nach Nizza und Monaco und die Spur dieses Ehrenfels aufnehmen. Ich habe vorläufig Wichtigeres festzustellen. Ist dieses besorgt, löse ich Talbach ab und entlarve Ehrenfels.«

Sofort nahm er seinen Hut und verließ eiligen Schrittes die Wohnung, um sich zu seinem Chef zu begeben und mit diesem seine Anordnungen zu treffen.

Inspektor Riechert gab ihm auch hierfür unbeschränkte Vollmacht.

* * *

 


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