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Von der Eisenbahnstation Neuhof schritt Ingenieur Willy Bock dem Gute Ehrenfels zu, dessen Lage er sich vom Bahnbeamten hatte angeben lassen. Es waren fünfzehn Kilometer Landweg zurückzulegen, doch da Bock ein guter Fußgänger war, auch mit Vorliebe derartige Touren unternahm, so galt es ihm ein Vergnügen, diesen Sport auszuüben. Bot er ihm doch noch den Vorteil, daß er mit seinen Gedanken allein sein und ihnen ungestört nachhängen konnte.

Mit gemischten Gefühlen schritt er vorwärts – an langgestreckten Sumpfflächen und hügelansteigenden Wiesen vorüber. Ein silberhelles, nur selten befahrenes Flüßchen, dessen Grund durch das klare Wasser hervorschimmerte, kam bisweilen ganz nahe an den Weg heran, machte dann eine plötzliche Windung und entfloh den Blicken, um nach kurzer Zeit wieder zum Vorschein zu kommen.

Nur wenigen Hütten begegnete der Ingenieur, auf dem weiten Wege nicht einem Menschen. Am Ende der Landstraße ging es einige hundert Schritte durch einen Hain, dann wieder an sumpfiger Wiese vorbei und schließlich tauchte ein Haus auf, das halb versteckt in einem verwahrlosten Garten lag.

So sehr den einsamen Wanderer auch seine Mission erfüllte, Ehrenfels und Wanda zu trennen, so verdrängte doch das vor ihm aufgetauchte Bild im Augenblick alles für das Zwiegespräch mit Ehrenfels Ueberlegte.

Mit einem schreckhaften Ausdruck sah er sich um. Hatte er sich in der Richtung getäuscht? Hatte er einen falschen Weg eingeschlagen? Nach der Beschreibung des Bahnbeamten war das nicht möglich. Plötzlich besann er sich, daß der Gefragte nach dem »Gut« so eigenartig gelächelt hatte.

Der Garten lag frei und offen da; überall trat dem Ingenieur augenfällige Verwahrlosung entgegen, das untrüglichste Zeichen wirtschaftlichen Ruins. Bock ging weiter, über einen schmalen, grasbewachsenen Pfad, der unter verschlungenen Aesten einer mehrfachen Reihe von Buchen, Erlen und Fliederbäumen hinführte. Spuren von Anlagen erstreckten sich nach allen Richtungen und senkten sich auf der Rückseite des Gartens allmählich bis zum Ufer des silberhellen Flüßchens hinab. Verwilderte grüne Sträucher und Grasbündel unterbrochen den Pfad; längere Zeit hatte hier keine ordnende Hand das Unkraut entfernt.

Jetzt stand Willy vor einem einstöckigen Gebäude, zu dessen Eingang drei ausgetretene Steinstufen führten. Der Kalk war stellenweise von den Wänden gefallen, so daß die rohen Ziegel zu sehen waren und die Tür, an der alle Farbe abgegriffen war, sah aus, als ob man sie seit Monaten nicht geöffnet hatte. Die gardinenlosen Fenster waren von Staub und Spinnweben überzogen; einzelne zerbrochene Scheiben teilweise mit Papier beklebt. Das Gebäude schien leer zu sein, nicht eine Spur der geringsten Benutzung war zu finden.

Diese dem Verfall geopferte Baracke sollte das mit so schillernden Farben gemalte Gutsschloß sein, in das dessen Besitzer seine junge Frau einzuführen gedachte? Bock faßte sich an die Stirn. »Es ist unzweifelhaft eine verlassene Instkate – das Gut wird weiter fort liegen. Doch will ich sehen, ob jemand da ist, der mir Auskunft geben kann.«

Er entschloß sich, die Stufen hinanzusteigen und drückte auf den schweren Eisengriff der Tür. Sie war verschlossen. Mit hartem Finger pochte er. Es ließ sich nicht ein Laut im Hause vernehmen. Noch einmal klopfte er kräftig.

Da näherten sich vorsichtige Schritte auf der Diele des Hauses, und nach kurzem Zögern öffnete sich eine Spalte der Tür. »Was wünschen Sie?« klang es dem Ingenieur von einer männlichen Stimme entgegen.

»Verzeihung! Können Sie mir vielleicht den richtigen Weg nach dein Besitztum Ehrenfels weisen?« fragte Willy höflich.

»Sie stehen auf dessen Grund und Boden. Ihr Begehr?«

Bock mußte sich zusammennehmen, daß er nicht die Stufen hinabtaumelte, daß er nicht seine Selbstbeherrschung verlor. Dieses war wirklich Gut Ehrenfels?

Es entstand eine Pause, in der sich der Ingenieur Mühe gab, seine vollständige Fassung wiederzugewinnen ehe er die Frage beantwortete. »Eine Herrn Ehrenfels interessierende Zwiesprache veranlaßt mich zu der Bitte um Einlaß.« Mit schnellem Griff drängte er die Tür weiter auf und setzte den Fuß über die Schwelle.

»Welcher Art?« hörte er die männliche Stimme im dunklen Flur.

Aber schon stand der Ingenieur dem Frager gegenüber. »Wollen Sie mich zu Herrn Ehrenfels führen. Ich lasse um eine Unterredung bitten. Mein Name ist Bock, Ingenieur.«

Der andere mochte wohl einsehen, daß er den Eindringling nicht mehr hinausweisen konnte: er öffnete daher eine Tür, die nach rechts in ein helles Zimmer führte und hieß den Besucher, nachdem er den Hauseingang geschlossen, näher treten.

Es war ein großer, dreifensteriger Raum, in dem sich Willy befand. Ein wackliges, mit ausgezogenem grünen Stoff bekleidetes Sofa, ein Tisch, ein Schrank und eine Kommode waren nebst zwei Stühlen die ganze Ausstattung. An dieses Zimmer schloß sich ein schmales, einfensteriges Gemach, das nichts als ein Bett enthielt. Das kleine Fenster war vergittert und mit schmalen Scheiben versehen; die einzige Tür zu diesem Raum war aus dauerhaften Eichenbrettern.

Auf diesem einsam gelegenen »Gut« hatte Jahrzehnte der Vorbesitzer gehaust, ein Sonderling und furchtsamer Herr, der sich, in steter Angst vor Einbrechern und Mördern, das sichere einfenstrige, vergitterte Gemach hatte herstellen lassen, um hier die Nächte und am Tage Stunden eingebildeter Gefahr zuzubringen – eingebildeter Gefahr darum, weil sich in diese verlassene Sumpfgegend höchst selten, fast nie ein Mensch verlor. Nach dem Tode dieses Sonderlings erwarb das geringwertige Besitztum, zu dem nur einige Stücke Wiesenland gehörten, die verstreut zwischen Sumpfstrecken lagen und niemals verwertet wurden, Ehrenfels für einen Spottpreis, den er noch nicht einmal voll auszahlte, sondern den Kaufgelderrest auf die letzte Hypothek eintragen ließ.

»Mein Name ist Ehrenfels,« stellte sich der Mann, der dem Ingenieur geöffnet hatte, vor.

»Sie selbst –?«

«Zu dienen,« gab dieser zur Antwort. Sein beim Eindringen des Ingenieurs erblaßtes Gesicht nahm eine undurchdringliche Miene an, die die Unruhe nicht sehen lassen wollte, die sich seiner bemächtigt hatte.

Bock warf einen orientierenden Blick durch den Raum und heftete dann fragend seine Augen auf das Antlitz des vor ihm Stehenden »Täusche ich mich wirklich nicht? Es ist keine Halluzination? Dies ist das Gutsgebäude, das in den nächsten Wochen eine junge Frau, Ihre Braut aufnehmen soll?«

»Kommen Sie als Abgesandter meiner Braut?« fragte Ehrenfels mit unsicherer Stimme, durch eine einladende Bewegung dem Besucher einen Platz auf dem wackligen Sofa anweisend.

»Ich kam zunächst als mein eigener Anwalt,« erwiderte Bock, ohne sich zu setzen, grad auf sein Ziel lossteuernd, »und hatte die Absicht, mit Ihnen ein ernstes Wort als Mann und Jugendgespiele Wandas zu sprechen. Nach dem Einblick, den ich soeben in – Ihre Verhältnisse getan habe, bin ich anderen Sinnes geworden. Sie haben Wanda Lorenz ein Besitztum geschildert, das einem Edelmann Ehre gemacht hätte – ich finde hier ein elendes Nest, das mit einem Eulenschlage große Aehnlichkeit hat – eine stallartige Ruine. Wie erklären Sie das, Herr Ehrenfels?«

»Sofern Sie nicht in der Lage sind, mir eine Vollmacht meiner Braut vorzuweisen, in deren Austrag Sie Erkundigungen einzuziehen berechtigt sind, verweigere ich Ihnen jeden Aufschluß,« antwortete Ehrenfeld trotzig, doch gelassen.

Es blitzte zornig in Bocks Antlitz auf. »Eine wohlfeile Ausflucht, die der nächsten Begegnung mit Wanda Lorenz nicht standhalten dürfte,« sagte er in vibrierendem Tone. »Wissen Sie, mein Herr, was diese Vorspiegelung zu bedeuten hat?«

Ehrenfels zuckte die Achsel und antwortete nicht.

»Bereits an diesem Dienstag wollen Sie mit Wanda den Bund der Ehe schließen – ich verlange, daß Sie sofort – noch heute! – vor Ihre Braut treten und ihr ein offenes Geständnis ablegen.«

Der Gegner maß ihn mit einem langen Blick. »Das – wollen Sie mir überlassen,« stieß er zwischen den Zähnen heraus.

»Herr,« fuhr der Ingenieur mit merklich zitternder Stimme auf Ehrenfels ein, »Sie wollen ein Mädchen an sich fesseln, das vertrauensselig ihre ganze Zukunft, ihr Leben in Ihre Hände legen will, und Sie beschwindeln dieses Mädchen mit Vorspiegelung falscher Tatsachen? Sie haben es offenbar nur auf ihr Vermögen abgesehen, um Ihre Verhältnisse zu heben. Wenn das der Fall, erbeben Sie vor dem Gedanken, Ihre Braut aufzuklären? Schweigen Sie, so ist das beabsichtigter Betrug.«

Ehrenfels wich einen Schritt zurück. Er biß sich voll Ingrimms und innerer Unruhe, um sie niederzuzwingen, die Unterlippe. »Wer sagt Ihnen, daß meine Vermögensverhältnisse Anlaß zu einem Monitum geben können?«

Der Ingenieur warf einen bezeichnenden Blick in die Runde. »Sprechen hier nicht Tatsachen?«

»Sie sehen hier den ursprünglichen Grund und Boden, den Altbesitz, das verlassenste Stück meines Gutes vor sich. Mein Neubesitz liegt weiter hinaus – ich will Ihnen diesen zeigen,« sagte Ehrenfels mit verstecktem Haß hinter der glühenden Stirn.

»Dies ist nicht der künftige Herrensitz Ihrer Braut?«

»Nein,« erklärte der Mann fest. »Sie sollen den Herrensitz sehen. Doch eine Frage: Steckt hinter diesem Vorgeschobenen Jugendgefährten nichts – Intimeres?«

Willy stand unschlüssig, ob er diesem Manne, dem er eben unrecht getan zu haben schien, seine Gefühle preisgeben sollte. Er war mit der Absicht hergekommen, wie ein Ritter mit dem Nebenbuhler um Wandas Besitz zu ringen – jetzt zauderte er, sich diesem Manne, der ihm im höchsten Grade unsympathisch war, zu offenbaren. »Wanda Lorenz ist mir eine Freundin,« erwiderte er vorsichtig, »eine teure Freundin, deren Glück mir nahe geht. Ob sie mit Ihnen dieses Glück findet – müßte allein die Zeit lehren.«

»Die Zeit wird auf meiner Seite sein.«

»Sie hoffen von der – Zukunft?«

»Wanda liebt mich.«

»Sie irren,« fuhr Bock unbedacht heraus. »Wanda geht mit Zittern und Zagen in diese Ehe, mit einem verzweifelten Verzicht auf die Ideale ihrer Mädchenträume, ohne Hoffnung auf Zufriedenheit.«

»Das ist mir neu.«

»Aber wahr!«

»Das soll ich glauben?« lächelte Ehrenfels zynisch.

»Sie werden es glauben müssen.«

»Hat Wanda Sie beauftragt, mich das wissen zu lassen, Herr Ingenieur?«

Bock wandte sich verlegen ab. »Ich habe keine Aufträge auszuführen. Ich bemerkte eingangs schon, daß ich als mein eigener Anwalt komme.« Er hob die flammenden Augen und sah seinem Gegenüber fest und herausfordernd ins Gesicht. »Wenn Sie, wie es nach unserer augenblicklichen Umgebung den Anschein hat, kein Abenteurer sind –«

»Herr Ingenieur!« fuhr Ehrenfels wutschnaubend auf und hob die Faust. »Kein Wort weiter! Oder –!«

Sie standen sich eine Minute gegenüber, Aug in Auge.

»Antworten Sie mir – ehrlich! – ob Sie Wanda aus dem tiefsten Grunde Ihres Herzens lieben?«

»Ich hätte dann nicht um sie geworben,« erwiderte Ehrenfels kühl.

»Die Antwort genügt mir nicht.«

»Das bedaure ich.«

»Ich bitte Sie –«

»Herr Ingenieur, mit welchem Rechte dringen Sie in mich? Mit dem des Verliebten?« brauste Ehrenfels auf.

»Mit dem Recht eines offenen Mannescharakters, der nicht nach Geld die Hand ausstreckt. Wo liegt Ihr Prachtbau? Ihr Schloß? Ihr Part? Wo? Zeigen Sie ihn mir.«

»Wenn Sie sich bemühen wollen,« sagte Ehrenfels hämisch »Von diesem Fenster aus können Sie ihn sehen.« Er stieß die schwere Eichentür zum schmalen Nebenraum auf und ließ dem Ingenieur den Vortritt. Kaum hatte dieser mißtrauisch die Schwelle überschritten, so schlug Ehrenfels die Tür hinter ihm ins Schloß, drehte den Schlüssel ab und steckte ihn zu sich.

»So, Herr Ingenieur – nun will ich Ihren unfreiwilligen, zweifellos sehr langen Aufenthalt in diesem ausbruchssicheren Zimmer benutzen, um die Braut heimzuführen, sie mit ihrem Vermögen an mich zu binden und auf die Hochzeitsreise zu gehen. Sie werden mich schwerlich daran hindern. Ich hoffe auf gutes Gelingen und Nichtwiedersehen!«

Boshaft lachend griff er nach seinem Hut, ordnete Kleidung und Haar und ging aus dem Hause, dessen Tür er ebenfalls verschloß. Das Rütteln des Ingenieurs an den schweren, undurchdringlichen Eichenbrettern war außerhalb des Gebäudes nicht hörbar. Rufe durch das vergitterte Fenster fruchteten ebenfalls nichts. »Es hat vorläufig nicht die geringste Gefahr,« grinste Ehrenfels schadenfroh »Oder es müßte der Zufall einen Menschen hierherführen. Ah bah – das geschieht wohl in Monaten nicht. Nur Vertrauen auf mein Glück!«

* * *

 


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