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Zweites Gesicht

Hans hinüber, Gans herüber

Dienstags (Deutschtags, Tuitsch-tags von Tuisco, Tuisto und sein Sohn Mannus sind nach Tacitus Germania cap. 2 die Stammväter der Germanen. wie Montag von Mannus) sobald der Tag anbrach, und ich mit dem Alten schon im Hofe spazieren ging, erscholl ein Geschrei, es wäre Marcus Tullius Cicero, nachdem er freien Paß erhalten, aus dem ewigen Fegefeuer, wo sich für ihn Atticus Atticus (geb. 109 v. Chr.) ein überaus ehrenwerther, hochgelehrter Römer und intimster Freund des Cicero: er stirbt hochgeachtet im Alter von 77 Jahren. solange verbürgt habe, auf der Post angelangt und habe sich um gnädige Audienz anmelden lassen, habe dieselbe auch bei König Ariovist und bei der Helden Räthen erhalten; – König Saro begab sich wegen seines Alters an diesem Tage nicht aus seinem Gemach. »Auf der Post? fragte Expertus Robertus: das muß ein seltsames Reiten gewesen sein; ich hätte ihn wohl zu Pferde sehen mögen. Da mir dies aber sehr fremd und unergründlich vorkommt, so erweckt es umsovielmehr Verdacht, daß irgend einer von den Feinden durchgewischt ist um Kundschaften einzunehmen.« Er befahl deswegen den Postreiter anzuhalten und scharf zu fragen. Der aber sagte, er wäre seiner Hantirung nach ein Kolender. Gutrund, dem dies zu verrichten anbefohlen war, sprach: »Du magst mir wohl etwas anderes sein; was bedarf ich hier deines Prahlens, man wird dich bald anders schwatzen machen! Bist du nicht ein Postreiter?« »Ja, antwortete er: die Postreiter sind die allerehrlichsten Leute, die man auf Erden finden mag.« »Warum nennst du dich einen Kolender?« fragte Gutrund. »Darum, antwortete er, weil Postreiter und Kolender ein und dasselbe ist in meinem Lande: denn wenn man dem Kolender will einen andern Namen geben, so nennt man ihn Postreiter; also kann ein Postreiter auch Kolender genannt werden.« Gutrund fragte ihn, welchen Weg er geritten wäre? Er antwortete: »Den guten Weg.« Ob er denn gar keinen bösen geritten wäre, da doch bekanntlich viel Morast unterwegs sei? »Nein, sprach er: denn den guten Weg bin ich geritten, nur damit ich lange auf dem guten Wege bleiben könnte; aber den bösen Weg bin ich gelaufen, damit ich bald daraus käme, und damit auch das Pferd desto weniger beladen wäre, habe ich das Felleisen auf meine Schultern geladen.« »Du wirst ein Spottvogel sein!« sprach Gutrund und ließ ihm das Felleisen abnehmen und durchsuchen. Er hatte verschiedene Packete von Briefen, bei deren Besichtigung man Wunderdinge darin fand; unter anderen aber zwei ganz gleichlautende betrügerische Schreiben, die von ein und derselben Schlacht handelten. Nämlich das eine an den Divitiacus, der auf Cäsars Seite war: er solle sich frisch halten, denn Ariovist wäre bis auf's Haupt geschlagen; das andere an Ambiorix desselben Inhalts: er solle sich frisch halten, denn Cäsar sei im Heddau bis auf's Haupt geschlagen.

Als er nun gefragt wurde, was er mit diesen beiden widersinnigen Schreiben, die doch von einem Dinge, von einer Schlacht, handelten, meinte, wollte er lange Zeit nicht antworten; zuletzt aber, als er mit dem Schraubstock gezwungen wurde, bekannte er: es wäre nicht ohne Grund, daß Cäsar die Schlacht gegen den Ariovist gewonnen hätte. Daß aber auch das Gegenstück an Ambiorix, Cäsars Feind, geschrieben, wäre zu dem Zwecke geschehen, daß er durch diese angenehme Zeitung (obgleich sie nicht wahr, sondern von ihm erdichtet wäre) ein treffliches Trinkgeld zu erlangen hoffte. – Aus diesem Grunde und weil dem Gutrund däuchte, es möchten noch mehr Sachen von dem Kolender zu erforschen sein, führte er ihn zu Hans Thurnmeier, um sich von dem Bescheid zu holen. Da aber hätte man sehen sollen, wie der Postmeister, sobald er merkte, daß er die Sporen gebrauchen konnte, zustach, daß dem Pferde die Fetzen unterwegs an einer Hecke hängen blieben. Nun wurde Cicero eingelassen. Sobald er über den Hof in den Eingang zum Saal, wo ich neben dem Alten auch stand, gekommen war, hob er sein quo me vertam? quos implorem, patres conscripti? »Wohin soll ich mich wenden? Wen soll ich bitten und anflehen, Senatoren?« Stehende Formeln in Cicero's Verteidigungsreden, womit er an das Mitleid der Richter zu appelliren pflegt. an. Es wurde ihm aber Stillschweigen geboten und gesagt, er sollte entweder selbst in deutscher Sprache reden, oder aber seine Sache durch einen Anwalt vorbringen lassen; und das wäre nicht ohne Ursach: denn ihm sei wohl bewußt, was für Tyrannei vormals an allen Ausländischen zu Rom verübt worden ist, woselbst keiner hat zu Gehör kommen können, der nicht in ihrer Sprache oder durch einen Dolmetscher geredet hat.

Cicero, der mich vielleicht für einen andern hielt, kam auf mich zu und bat, daß ich seine Sache auf deutsch vorzutragen gegen eine Belohnung mir wollte belieben lassen; ich gab ihm aber kurz zur Antwort, daß ich kraft meines geleisteten Versprechens und weil es mir auch sonst in meinen Handlungen hinderlich sein würde, ohne besonderen Befehl und Erlaubnis der Obrigkeit keine andere als meine angeborene Muttersprache reden dürfte noch wollte. Als er nun weiter mit bewegten Worten bei mir anhielt, ich ihm aber keinen andern Bescheid gab, sondern mäuschenstill schwieg, da sprach der Alte: »Ich kann bald gar nicht mehr aus dir klug werden; was antwortest und redest du nicht? Es ist eine Schande, daß du so dastehst, und niemand weiß, ob du witzig oder närrisch seist!« Ganz recht, sprach ich: wenn ich nur das erreiche durch mein Stillschweigen, so habe ich schon genug erreicht; denn eben durch solch Stillschweigen erlangt so mancher, daß man ihn für einen gescheidten Mann hält, während er würde für einen Narren gehalten werden, wenn er redete. »Davon spreche ich nicht, erwiderte Expertus Robertus; sondern daß du so verzagt und kleinmüthig in deinem Thun bist, und ob du schon einmal meines Wissens gute gerechte Sache hast, doch dieselbe willst leichtsinnig verscherzen; du bist ja zu anderen Zeiten nicht so geartet gewesen: wie kommt es denn, daß du dich jetzt in kurzer Zeit so wunderlich verändert hast?«

Mein Herr! sprach ich, ich kann es keinem recht machen, darum schweige ich lieber still. Gestern hat man gesagt, ich soll vor hohen Leuten nicht viel Aufschneidens und Geschwätzes machen: jetzt heißt es, ich soll reden; ich weiß nicht, wo ich den Mann finden werde, dem ich in allem gefallen kann. Es geht mir eben so wunderlich, daß ich lieber möchte an der Welt Ende sein als leben; ich glaube, wenn es manchem so gehen würde wie mir, er würde gar zu Boden sinken, und man müßte ihn mit dem Besen zusammen fegen. Bin ich verzagt und bedachtsam in meinem Thun und Reden, man schreibe es meinem Unglück zu. Was gilt's! Helfe er, daß es mir besser gehe, dann wird er auch bald einen andern Mann an mir haben. Gleichwie das Eisen im Feuerofen erweicht, in der Kühle erhärtet: also erliegt der Mensch, wenn es ihm übel geht; wenn es ihm wohlgeht, dann kriegt er wieder Muth und Herz. –

Cicero, der nicht wußte, was wir miteinander zu reden hatten, meinte, daß es sich um seine Sache handelte; als ich ihm aber seine Bitte wiederum abgeschlagen hatte, wandte er sich an den Alten und ließ durch diesen seine Sache also vortragen:

»Allergnädigste Herren, edle deutsche Helden und Richter! Dieweil mir, dem Cicero und Bürgermeister zu Rom, durch einen meiner lieben Getreuen und Geschworenen glaubwürdig hinterbracht worden ist, daß auf den deutschen hohen und andern Schulen meine Bücher und Schriften, die ich mit so großem Fleiß und vieler Arbeit und zu unsterblichem Ruhm den Nachlebenden hinterlassen habe, so sehr in Verachtung und Rückgang gerathen sind, daß, wenn es möglich wäre, mein Name und mein Gedächtnis von der Erde ganz vertilgt werden sollte: so habe ich zur Rettung meiner Ehre und meines unsterblichen Lobes nicht weniger thun können, als Ew. Gnaden diese meine Sache in bester Form klagend vortragen zu lassen.

Es ist Ew. Gnaden und aller Welt bekannt, daß ich in allen meinen Schriften dahin gearbeitet habe, daß ich den Nachlebenden, Deutschen sowohl wie Römern, schöne, kluge, scharfsinnige Sprüche und Reden, zierliche Worte und vortreffliche Lehren hinterlassen möchte. Meine Feinde selbst müssen mir Zeugnis geben, daß ich nicht eine Nacht habe vorübergehen lassen, in der ich mir selbst nicht die beste Zeit meiner Ruhe abgestohlen und mit Ueberlesung und Verbesserung meiner Bücher zugebracht habe, wie ihr sie noch heut zu Tage habt und lesen könnt. Es weiß ganz Rom und Italien davon zu sagen, wie manchen Tag ich während der Abfassung meiner Bücher ›über die Pflichten‹ ohne Essen und Trinken gesessen, wie oft ich in die Finger gehaucht und geblasen habe, um sie, die gleichsam erstarrt und erstorben waren, in der Winterkälte zu erwärmen: und das aus keiner andern Ursache, als weil ich hoffte, dermaleinst sowohl bei den Deutschen als auch bei den Römern dessen Dank und Ehre zu haben und das höchste Gut eines unsterblichen Namens zu erwerben. Aber ich hatte mich darin sehr betrogen und die Rechnung gemacht ohne den Wirth und am Ende befunden, daß ich meine Arbeit unnütz angelegt und an recht undankbare Leute verwendet hatte. Und doch würde mancher das Hungertuch nagen müssen und nicht wissen, wo er das tägliche Brot hernehmen sollte, wenn er dies nicht vermittelst meiner herrlichen Episteln erringen würde. Bin ich nicht derjenige, der ich durch meine Kunst und Wohlredenheit das Regiment bei gutem Stande erhalten habe? Wie ist man doch so treuvergessen an mir, daß man meine Arbeit nicht besser in Ehren hat und respectirt! Sollte mir nicht das Herz zerspringen, wenn ich sehen muß, daß der leichtfertige Eulenspiegel, das Rollwagenbüchlein, die Gartengesellschaft und andere jugendverführende Scharteken unter großem Zulauf verkauft werden: hingegen meine herrlichen Bücher dazu dienen müssen, stinkenden Käse und Butter darein zu wickeln und zu packen? Ist denn gar niemand, der sich meiner Noth annehmen und den Wurzelkrämern verbieten will, ihre Düten aus meinen Büchern zu machen: ja daß die Herren Studenten selbst durch ihre Stubenheizer mich alle Morgen im Ofen zurichten lassen, ärger als den Portugiesen und Ketzern in der Inquisition und im Feuer immer geschehen mag?«

König Ariovist, dem des Cicero Gespräch nicht am besten gefiel, sprach: »Wie Cicero? wenn du nicht wüßtest, daß deutsche Treue und Redlichkeit über alles ginge, ich glaube, du würdest Bedenken getragen haben, dich auf den übersandten Paßzettel hierher zu wagen, weil dir nicht unbekannt sein wird, wie ich und dein Bruder Quintus Tullius S. II. Theil, erstes Gesicht, Seite 12 Anm. 4. miteinander stehen, da er der vornehmsten Rädelsführer einer ist, die sich gegen mich und mein Reich haben gebrauchen lassen. Es ist nicht mehr um die Zeit, wo Cäsar die Welt mit dem Schwert bezwang und du mit der Zunge. Was habt ihr Herren zu Rom euch eingebildet, daß ihr niemand hören wolltet auch außer eurem Reich, der nicht in eurer Sprache mit euch redete? Es ist nicht mehr um die Zeit. Wer hat Schuld als du, daß meine Deutschen sich soweit vernarrt haben und schier keinen Spruch hersagen können, wo nicht ein lateinisches Wort und Ciceronianische Phrasen mit unterlaufen? Nur um meine herrliche uralte Sprache damit zu verketzern, zu verderben und zu beschimpfen, und es wäre den Deutschen besser, sie hätten dich nie gesehen noch deine Schriften gelesen. Denn du bist ohne das den Deutschen nimmer recht hold gewesen und hast sie mit groben Titeln, wie Cäsar auch, beschmutzt, wie du nur immer konntest, hast uns als ein rechter Federspitzer an vielen Orten angezapft, höhnisch durchgezogen und keine Scheu getragen uns mit Schimpfworten zu beladen. Wenn niemand da wäre als euer Sallust, Sallustius Crispus (85-35 v. Chr.) berühmter römischer Geschichtsschreiber. der dir deinen Hochmuth vor die Nase gestoßen hat, so müßtest du dich doch zu Tode schämen und dich wohl bedacht haben, vor uns hierher zu kommen. Meinst du, solche Dinge sind uns entfallen? Hat Cäsar mit seiner Ungerechtigkeit und Tyrannei unsere Lande eingenommen und sie uns entzogen – du hast mit deiner Feder uns nicht minder geschadet. Ist einer unsrer Deutschlinge gewesen, der es mit dir gehalten: den hast du gelobt. Ist einer dir allein zuwider gewesen: so hat er das ganze römische Reich gleich müssen erzürnt haben. So hast du also deine eigenen Händel unter dem Schein des gemeinen Nutzens durchgeführt.

O Cicero! Cicero! deine Bücher sind eines großen Theiles Ursache unseres Unheils. Ich wollte, daß dieselben noch ärger behandelt und bald gar keine mehr gefunden würden. Ich wollte ja meines Theils das Unglück gern ausgestanden haben, wenn nur andere nach mir dieser Plage überhoben sein möchten. Meinst du denn, du habest allein das Latein gefressen? Es habe sonst keiner mehr Latein reden können als du allein? Muß denn auch Tacitus Cornelius Tacitus, geboren etwa 54 n. Chr., Verfasser einer römischen Kaisergeschichte und der Germania, der wichtigsten Quelle für die deutsche Altertumswissenschaft. für einen Tölpel gehalten werden gegen dich, weil er die Deutschen gelobt hat? Sollen denn Livius Titus Livius (geb. 58 v. Chr., gest. 19 n. Chr.) Verfasser einer Geschichte Roms. und andere, weil sie eben nicht reden wie du, nichts gelten auf Erden? Meinst du, was deine leibeigenen Sklaven Manutius und Bembus von dir halten, das müsse durch die ganze Welt gehen? O über die albernen Leute, die das so fest glauben, daß sie sich darum auch tödten ließen! Und wenn wir auch nicht läugnen wollen, daß alles, was du geschrieben hast, gutes Latein sei: so ist doch auch gewiß, daß darum alles Latein nicht in deinen Schriften allein steht, sondern bei andern auch zu finden ist. Ich verstehe es ebensogut wie du, obschon ich ein geborner Deutscher und dir und deinem Rath und deiner Sprache todtfeind bin; ich bin nicht so grob und wild, wie dein Cäsar aufgeschnitten hat, ich weiß auch noch, was die Glocke geschlagen hat, so gut als die Römer. Meinst du, daß Barclaius, Lipsius, Heinsius Sind drei berühmte Gelehrte des 16. u. 17. Jahrhunderts; ersterer ein Engländer, die beiden andern Holländer. Lipsius, der Professor in Jena und Leyden war, verfaßte philosophische Schriften in stoischem Geiste, wie de constantia u. a. und andere darum zu verwerfen sind, weil sie nicht schreiben wie du? Sollten unsere Gelehrten, die wir in unserm Hoch- und Niederdeutschland haben, darum nicht gut lateinisch schreiben können, weil sie deine Feder nicht mehr haben? Das bilde dir nicht ein; du könntest wohl bei ihnen heute in die Schule gehen. Denn wisse, Cicero! man muß schreiben, wie es die Zeiten haben wollen; die Sprache muß dem Gebrauch und der Zeit nachgehen: vor Zeiten hat man so und so geredet, jetzt redet man anders. Du hast nicht in unseren Zeiten geschrieben, und wir können auch nicht in deinen Zeiten schreiben. Deine Bücher waren, als du sie schriebest: und wir sollten uns befleißigen thörichterweise zu schreiben wie du, dessen Bücher und Sprache jetzt alt sind? Wer neue Bücher schreiben will, der muß sie schreiben, daß sie neu sind, er muß schreiben, wie es heute im Brauch ist, und wie es die Leute lesen und haben wollen.« –

Es wurde dem Cicero befohlen abzutreten und ihm durch einen Schreiber angezeigt, daß er für diesmal weiter kein Gehör in seiner Sache haben könnte, er sollte sich gedulden, bis man darüber mit unsern Gelehrten sich unterredet haben würde. Damit mußte er sich beruhigen.

Indem sahen wir einen Kerl über den Hof gehen, über den Expertus Robertus lachte. Da er mir aber von Person und Wesen unbekannt war, fragte ich, wer er wäre? Expertus Robertus hieß mich ihm folgen und sagte mir, daß dieser ein alter abgelegter Akademiker wäre. – Bald gingen einige junge Burschen mit ihm quer über den Hof zur Burg hinaus in eine Herberge, die hinter dem Garten am Wege stand und ließen sich auftragen. Sobald er uns sah und uns auf deutsch begrüßt hatte, begann er: »Bei Gott und Menschen! ich habe eine harte Reise gethan; aber kraft der hochfeinen Gelehrsamkeit habe ich mich unterwegs in bester Form in mir selbst neu gestärkt. Was ist wohl über einen Mann, der so fein studirt hat! Was wollte sich ein sterblicher Mensch sonst für Unsterblichkeit auf Erden wünschen!«

Als der Gasthalter einen Halben auf Verlangen herbeikommen ließ, fing Herr Lälius, denn das war sein Name, an, diesen trefflichen Vers seinen Gesellen vorzusagen:

»Nicht durch der Liebe,
nicht durch des Weines Macht
laß dich bemeistern.«

Der Alte, welcher neben mir stand, sprach zu mir: »Dieser Lälius meint wunder wie er's getroffen habe; er ist sonst ein rechter Schorist. Aber komme heran, Philander! wir wollen uns an ihn machen und ihm die alte Narrheit herauslocken, damit wir heute unsere Kurzweil haben.« Lälius, welcher merkte, daß wir von ihm redeten, wollte uns mit beiden Armen umfangen, doch zog er wieder zurück und sprach: »Habt ihr den Vers gelesen, den ich da drüben auf die Wand geschrieben habe? Kann man etwas schöneres schaffen?« Freilich! antwortete ich: aber der Herr bringe mir eins; alsdann wollen wir eine Weile in den Garten spazieren, bis das Mahl zugerüstet wird, denn ich habe solange nicht die Ehre gehabt mit einem rechtschaffenen Akademiker zu sprechen. »Gefällt es Ew. Hoheit mir eins vorzutrinken, sprach Herr Lälius zu Hans Thurnmeier, der das Glas in der Hand hatte: ich würde ihr danken und diesem Herrn eins zubringen, während das Mahl bereitet wird; aber in den Garten zu spazieren, wüßte ich nicht warum. Wahrhaftig! das ist meiner Anlage ganz zuwider: daher kann die türkische Sitte nicht genug gelobt werden, welche dergleichen Spaziergänge ohne vorangegangene Berathung für unpassend erachtet.«

In alle Antworten und Bescheide warf er allemal soviel lateinische Sprüche und Wörter mit unter, daß uns ekelte. Ich sah mich um, ob nicht Cicero bei uns herum stand, um zu hören, was der dazu sagen würde. Aber der Alte sagte mir, sobald Cicero den Herrn Lälius erblickte, sei er vor Leid aus dem Hofe gegangen: er ist auch bisher im Wasgau nicht mehr gesehen worden. – Ich kann nicht so lange hier stehen, bis das Essen fertig wird, sagte ich zum Alten: Lälius würde mich mit seinem Latein zu Tode reden oder mit Sprüchen ersticken, wenn ich nicht in die Luft käme; laßt uns in den Garten gehen, ich mag ihn nicht länger hören. Wenn er doch nur eine Sprache reden möchte oder könnte, die entweder ganz lateinisch oder ganz deutsch ist, und da ich sehe, daß er keine Kenntnis der welschen Sprache hat, dieselbe entweder ganz unterwegs ließe oder sie besser lernen möchte. Aber daß er einen Spruch halb lateinisch und halb deutsch, oder die welschen Wörter auf deutsch, die deutschen auf welsche Weise aussprechen will, das halte ich für närrisch und so närrisch, daß man meines Erachtens solche Verketzerer unter ehrliebenden Gesellschaften nicht leiden sollte.

»Laß ihn reden, sprach der Alte: was sollten wir sonst zu lachen haben, wenn Lälius nicht wäre; es muß ja immer einer sein, der den Leuten die Zeit vertreibe.« Ja, sprach ich, wenn er es nur zum Spaß thäte, so ließ ich's gelten: weil er sich aber einbildet, was Wunder für Dinge er thue, wenn er ein solches Wort aussagt, so verdrießt mich seine stolze Narrheit von Herzen.

Wir gingen also miteinander in den Garten und ließen ihn da stehen, wo er denn mit seinen Gesellen schwatzte und philosophirte, die ihm aber nicht mit ja Herr, ja gnädiger Herr wie zuvor antworteten, sondern nachdem sie einen Schoppen getrunken hatten, etwas herzhafter erwiderten und ihn Monsieur Lälius titulirten, was er aber nicht leiden wollte. – Nachdem wir in dem Garten einigemale auf- und abgegangen waren, hörten wir ein Geschrei im Hause und sahen auch bald Monsieur Lälius auf uns zulaufen ohne Kragen, das Gesicht ein wenig zerkratzt, daß es blutete: der bat uns bei den gemeinsamen Pflichten der menschlichen Gesellschaft ihm beizustehen, damit er Genugthuung erlangen könnte wider einen seiner Kameraden, der ihm zu höchster Beleidigung ohngeachtet des Hofanstandes einige Streiche versetzt hätte. »Warum, warum, Herr Lälius?« sprach Hans Thurnmeier. »Alle alten und auch mehrere neue Philosophen sind für mich und geben mir recht, antwortete Herr Lälius: und dieser Monsieur da, den ich wie meinen Sohn geherzt und geliebt, den ich auch werth gehalten und geachtet wie meinen Sohn, den ich gelehrt und unterwiesen wie meinen Sohn, dem das höchste sittliche Gut, das ist die Tugend, wie meinem leiblichen Sohn zu verschaffen ich bemüht war, – er hat noch nicht studirt, gelernt oder gefaßt, was Porphyrius Porphyrius (geb. 233, gest. 304 n. Chr.) einer der gelehrtesten Platoniker, Schüler des Philosophen Plotinus. schreibt und lehrt, der da spricht: ›O wie schwierig ist es, mit dem Dummen zu verhandeln!‹ Ich meine, die heutige Erfahrung hat mir diesen herrlichen Satz bewiesen und wahr gemacht, der soll mir gewiß nimmermehr aus meinem Gedächtnis ausschwitzen noch aus dem Schatzkämmerchen meiner Wohlbedachtsamkeit herausgenommen werden.«

»Was ist denn aber der Streit?« fragte der Alte.

»Dieser Monsieur, antwortete er, hat wollen mit Gewalt behaupten und erzwingen: daß der Geruch am Apfel nicht zufällig sei.« Wozu nützet aber solche Frage? sprach ich. Was ist Gott dadurch geehrt? Ist dem Vaterlande damit geholfen? Ist der Christenheit damit gedient? denn dahin soll unsrer Handlungen Zweck gehen. Was hilft's, wenn wir wissen, ob es ein Zufälliges oder ein Wesentliches sei. »Soviel, sprach Herr Lälius, weil es mir beweist, daß der Weise entweder unwissend ist oder der Mensch ein Thier.« Dann sind, sprach ich, viel herrliche Thiere in der Welt. – Wir mußten über seine Beweisführung lachen. Weiter aber wußte er nichts zu reden.

Wir führten ihn wieder hinein in die Stube, wo der Wirth und seine Leute große Arbeit hatten den andern zu halten, der über alle Maßen erzürnt war, weil ihn Lälius hatte einen Lügner geheißen, was er durchaus nicht leiden wollte. Er war ein frischer junger Bursch, und ein paar Trünke, die er in der Eile gethan hatte, neben einem Bissen Brot, das er mit Salz und Kümmel gegessen, hatten ihm den Muth so kommen lassen, wie der Hafer einem abgerittenen Gaul. Wir hatten daher Mühe sie zu bereden, uns die Sache zu übergeben und darin handeln zu lassen; stellten ihm daher vor, daß er immer bedenken sollte, mit wem er zu thun hätte, nämlich mit einem Erzschoristen und Akademiker, und wenn er auch die Sache mit Fäusten wider ihn gewinnen sollte, doch schlechtes Lob erjagen würde. Wir wollten aber Lälius dahin bringen, daß er ebenfalls verzeihen sollte, besonders was das anlangte, daß er ihn hätte einen Lügner genannt. Lälius läugnete, das gethan zu haben und schwur bei dem erhabenen Phöbus (er konnte vor Zorn und Zittern fast nicht ein Wort ungestammelt hervorbringen, sondern fletschte die Zähne wie ein bissiger Hund und spie seinen Geifer um sich, daß wir uns über seine viehische Weise nicht genug verwundern und genugsam daraus allein sehen konnten, ein wie hirnloser Esel er sein müßte): er wolle den Musen und Charitinnen den Schimpf nicht nachsagen lassen, daß einer ihrer Jünger, deren niedrigster und geringster, aber treuster und eifrigster er wäre, so gar nicht wissen sollte, was der Anstand auf sich hätte. Er wisse durch Gottes Gnade sehr wohl, wie er mit seinem Pflegesohne reden müsse; er habe nur gesagt, daß der Geruch am Apfel etwas anderes als ein Zufälliges sei. Und das wäre so wahr und gewiß, daß er dafür sein Leben auf's Spiel setzen und zur Ehre der Musen sich eine Ader nach der andern mit vier Pferden wolle aus dem Leibe reißen lassen: ja, man solle in Wahrheit erfahren, daß er dieser Behauptung zu Liebe mehr thun wolle, als Johannes Huß je gethan habe um des christlichen evangelischen Glaubens willen. Es mußte daher in den Vergleichungspunkten gesagt werden, daß der Monsieur dem Herrn Lälius gestehen sollte: er hätte recht in dieser Sache. Das that er denn auf unser Vermahnen mit dem Zusatz: er meine nicht, daß seiner Ehre und Reputation, die er auch höher hielte als sein Leben, dadurch ein Abbruch geschehe, wenn er auch einem so hirnlosen Esel und albernen Tropf nachgebe, bei dem man es doch in einem Hui verdorben hätte, sobald man nur in dem geringsten Wörtlein und Komma fehlte; der einen Eid darauf geschworen, man müsse darum studiren, daß man gelehrt werde und viel wisse, und daß die Praktiker gegen die Theoretiker und Spekulirer nur elende Esel seien. Daher kommt es, daß er jedermann auslacht und von jedermann ausgelacht wird und uns andern allein darin überlegen ist, daß er reicher ist als wir: denn wir haben nur einen Narren an ihm; er aber hält alle, die außer seinem Stande sind, für Narren und die lateinische Sprache so hoch, daß er einstmals darum allein sich vermessen hat nicht den Himmel zu begehren, wenn man nicht lateinisch darin reden sollte. Sein ganzes Leben, sagt er, wäre ein Paradoxon: seine einzige Erquickung und Luftschöpfung kämen von den Winden, die vom Niedergang blasen. Als er zum ersten Mal die Bibel gelesen, hat er angefangen zu zweifeln, ob dieses Buch von einem vernünftigen Menschen gemacht worden sei, und zugleich über das Elend desselben zu weinen, weil er der hohen Geheimnisse der Vernunft, nämlich des heiligen Aristoteles syllogistischen Kunst, nicht theilhaftig gewesen, sondern unvernünftig ohne Vernunft und Verstand hingeschrieben habe.

Durch diese sehr verweisenden schimpflichen Worte wäre der Handel leicht wiederum verdorben, wenn wir nicht von allen Seiten mit Händen und Füßen abgewehrt hätten. Denn den Lälius stießen insonderheit die Worte ›hirnloser Esel und alberner Tropf‹ heftig vor den Kopf; er stampfte auf den Boden, schlug mit den Händen auf den Tisch und rief: »Ich will dir zeigen, daß die Philosophen keine Narren noch hirnverbrannte Esel sind; denn die Hirnwuth ist eine Störung des Verstandes und eine Raserei des der Vernunft beraubten Geistes; das Streben der Philosophen aber zielt hauptsächlich auf die Ausbildung der Vernunft. Daher schließe ich also: was sich beschäftigt mit der Ausbildung der Vernunft, das ...« Da fielen wir ihm in die Rede und geboten ihm beim Stab, allerseits Frieden zu halten und wegen des Lügenstrafens Widerruf zu thun; hingegen der Monsieur (ich meinte, es wäre dies des Kerls Name) sollte um der Gesellschaft willen zugeben und zugestehen, daß der Geruch am Apfel ein Zufälliges sei: worauf sie denn einander wieder in die Arme nahmen und einer dem andern eins aus dem Glase zubrachte. Der Monsieur aber, an den es zuletzt kam, that ihm Bescheid, und damit alles vergessen, todt und ab wäre, biß er ein Stück aus dem Glase und schmetterte es zu Boden – wie es Sitte ist unter den Lälien.

Das Mahl war unterdessen bereitet, und wir wurden in den Saal geführt, in welchem an einem besonderen Tische schon einige Schweizer saßen und einige Franzosen auch besonders; die Schweizer saßen auf der rechten, die Franzosen auf der linken Seite, wir in der Mitte zwischen beiden, jeder Theil an einem besonderen Tische ungefähr vier Gänge von einander. Bevor aufgetragen wurde, stand Lälius von unserm Tische auf und ging hinüber zu den Schweizern, und dummdreist und vorwitzig wie er war, sah er sie ohne weiteres einen nach dem andern an, betrachtete ihre Kleidung, lächelte dabei und strich sich ein- oder dreimal über seinen Maikäfer-Knebelbart und drillte ihn, wünschte ihnen einen guten Morgen und nickte mit dem Haupt wohl ein- oder zweimal, ohne es zu entblößen; endlich sprach er: »Soviel ich aus den Zügen und der Kleidung schließen kann, seid ihr Fremdlinge und zwar Schweizer!« Die guten Herren, ihrer Natur nach, machten nicht viel Wesens, sondern ohngeachtet der Anrede des Fremden blieben sie kaltsinnig an ihrem Ort sitzen und aßen vor sich hin. »Kennen die Herrschaften auch, fuhr er fort, den Herrn Werder und Schugi in Bern, die hochverdienten Heroen der Kunst und Wissenschaft, die Corcula Corculum war der Beiname des P. Corn. Scipio Nasika, wegen seines Verstandes und Scharfsinnes. der Grazien, die, wenn ich so sagen darf, einzigen Sonnen der Gelehrsamkeit?« Aber nicht ein Wort wurde ihm geantwortet; daher glaubte er, sie wollten es vielleicht nicht auf sich verstehen, und that darum noch einen Streich: »Vor kurzem seid ihr, wenn ich mich nicht irre, an unserer Küste gelandet, denn ihr tragt noch unsere Landeskleider.« Auf diese Worte sahen sie einer nach dem andern ihre Kleider an, redeten heimlich unter sich und warfen, ohne ein Wort zu sprechen, unserm Herrn Lälius einen Blick zu, aus dem er leicht entnehmen konnte, daß sie nicht seines Krams waren; darum begab er sich etwas unlustig und entfärbt wegen des Schimpfes auf die andere Seite zu den Franzosen. Als er diese nacheinander beschaute und den Mund noch nicht recht aufgethan hatte sie anzusprechen, da standen sie schon auf und nöthigten ihn mit zierlichem Bücken und Knicken, daß er sich zu ihnen setzen und einen Trunk mit ihnen thun mußte. »Guter Gott! schrie Lälius überlaut zu uns herüber: wie verschieden ist doch das Wesen der Menschen! Soviel Köpfe soviel Sinne, soviel Völker soviel Sitten, soviel Staaten soviel Rechte!« »Monsieur, Monsieur, sprachen sie zu ihm: wir sprechen kein Latein, aber wir lieben alles, was dem deutschen Volke angehört; wenn es Ew. Würden gefällt sich mit uns zu unterhalten, so wird es uns sehr angenehm sein.«

Lälius, der aus dem Latein das Französische zur Noth verstehen konnte, sprach: »Meine hohen Herren! Sie sind viel höflicher als die da drüben, aber Sie essen doch nicht so anständig wie die Narren dort: wie können Sie den Salat vor Mittag essen? Das Gemüse ist nach dem Thau zu frisch und kalt; man muß es erst nach dem Mittag zur Suppe auf die Tafel bringen, die Sonnenstrahlen müssen es erst austrocknen.« »Monsieur, antworteten sie, es soll uns nur Appetit machen: denn wir hatten gestern eine Sauferei, und der Kopf thut uns noch ein wenig weh davon.« »Sehr gut! rief Lälius, Gift muß durch Gegengift gelähmt werden.« Und als er dies gesagt, kam er wieder herüber zu uns, denn wir hatten auch schon mit der Suppe begonnen, wie die Deutschen pflegen.

Ich ließ mir ein Glas halbvoll einschenken und brachte dem Lälius eins auf seines Gegenparts Gesundheit. »Ich thue dir von Herzen Bescheid!« erwiderte er und forderte ein großes Glas von drei Schoppen, das er bis oben voll schenken ließ, sodaß die Mücken darauf schwimmen konnten; das trank er aus in einem Juch. Die Schweizer drüben, als sie sahen, was Lälius für ein Mann war und daß er so offenen Herzens durchging, verdroß es, daß sie ihn anfangs nicht hatten zu sich sitzen heißen, und hätten ihm gern mit freundlichen Winken zu verstehen gegeben, daß sie es gern sehen würden, wenn er zu ihnen hinüber käme und Bekanntschaft machte. Einer von ihnen, das Glas in der Hand haltend, saß eine gute Viertelstunde, wie eine Katze, die auf einen Vogel paßt, ohne ein Auge von Lälius zu wenden, damit, wenn er ihn ansehen würde, er ihm sogleich einen Wink geben könnte. Da es sich aber nicht schicken wollte, so hustete er etliche Male und räusperte sich, so daß sich Lälius endlich umwandte; Jener aber stand auf und brachte ihm eins zu auf Bekanntschaft. Lälius, dem leicht zu pfeifen war, wenn er tanzen wollte, da ihm die Sprünge von selbst in die Füße kamen, segnete ihm den Trunk mit einem Proficiat und Prosit Herr! und nahm es zu Dank gern an, und wollte uns drei, Expertus Robertus, Hans Thurnmeier und mich, überreden, die Tische zusammen zu setzen und eine Zechgesellschaft zu bilden: denn Lälius konnte rechtschaffen mitsaufen, wenn es ihm nichts kostete. Aber Expertus Robertus rieth davon ab; zudem konnte Hans Thurnmeier den Wein nicht gut vertragen: sobald er über einen Rastatter Schoppen im Leibe hatte, so war ihm der Kopf schon gefangen und er mußte Händel haben, wiewohl er sonst ein vortrefflicher Mann war, wie bekannt ist; aber sein böses Weib zu Hause ist Ursache, daß ihm das Hirn so verkehrt wurde. Ich ließ es eben so sein, denn ich hatte weder Lust noch Mißfallen an der Gesellschaft; und wiewohl ich den Wein besser vertragen konnte, so war mir doch, wie noch jetzt, mit dem Zutrinken, insonderheit mit dem unsinnigen Nöthigen und Zwingen, wie die Erznarren bei uns thun, nicht geholfen. In den hitzigen rasenden jungen Jahren haben die versoffenen Burschen (die andern ungetadelt) so viel Regeln, so viel Ceremonien, so viel Spiele und Gesänge (aber die Franzosen noch viel tausendmal mehr), die alle zum Trinken erdacht sind und dahin gehen, wie man trunken werde, so daß es einestheils zu belachen ist wegen der großen Thorheit, anderestheils aber zu beweinen wegen der unbesonnenen Leichtfertigkeit. Lälius fing an auf Ermahnen seiner Gesellschaft, zu der er sich gesetzt hatte, das Glas in der Hand haltend also zu singen:

Günstiger Herr und Freund, habt mir vorübel nicht;
Das Gläslein ich euch bringen will, soviel darinnen ist.

Ihm folgten die redlichen Schweizer, die der Wein nun muthig gemacht hatte, so traurig wie sie vorher waren, bald nach und stimmten die volle Messe an.

»Können wir nicht einmal zu trinken kriegen?
Haben wir nicht, so woll'n wir lassen holen.
        Heb' hoch,
        Trink' aus,
        Laß sehen!

Seht wie fein und lieblich 's ist, wenn Bundesgenossen friedlich beisammen wohnen!«

Einer von den jungen Burschen, ein frisch wacker Kerlchen, hob mit des Herrn Lälius Erlaubnis ein anderes an. also:

»Alle Welt schreit: Zu den Waffen!
Ich schrei': Juch, zum Wein!
Mars hat mit mir nichts zu schaffen
Noch Frau Venus' Pein:
Bacchus aber will ich loben;
Mars will allenthalben toben,
Wer wollt' um ihn sein!

Sollt' ich nach Stößen ziehen,
Dann wäre ich ein Gauch;
Puff! triff! drauf! dran! will ich fliehen:
Trinken ist mein Brauch.
Kraut und Loth Pulver und Blei. ist mir zuwider.
Ein Maß Wein erquickt die Glieder
Und erwärmt den Bauch.

Eh' ich Nachts Schildwache stehen,
Heraus Corporal!
Rufen wollt' und Ronden gehen
Ueber Schanz' und Wall:
Eh' wollt' ich im Falkenkeller,
Wenn ich schon wüßt' keinen Heller,
Lustig sein einmal.

Sollt' ich dort auf freier Straßen
Im Feld oder Streit
Mein jung edles Leben lassen.
Eh' es wäre Zeit?
Nein, ich will mich baß bedenken,
Schüssel, Kann' und Gläser schwenken –
Das ist meine Freud'!

Drum, daß keiner mehr von kriegen
Noch von tödten sag':
Laßt uns vor dem Zapfen liegen.
Bis zum lichten Tag!
Wer die Schlacht recht will gewinnen.
Der sauf' und weich' nicht von hinnen.
Bis man ihn wegtrag'!

Wer nicht kann, der lerne trinken,
Sonst wird er kein Fürst,
Seh' auf mich, geb' Acht auf's Trinken,
Wem die Leber dürst':
Wer mich will zum Trinken laden,
Der soll haben Käs' und Fladen,
Schinken und Bratwürst'.« –

Ich mußte über die Schweizer lachen, wie sie sich mit dem Schinken und kalten Kuhfüßen Kuhfuß ist ein Trinkausdruck der Schlemmer und bedeutet ein bestimmtes Quantum, das man vorkam. herum bissen und so redlich Bescheid thaten; sie meinten es auf gut deutsch von Herzen ganz ohne Falsch, wie ihre Art ist.

Darauf antworteten die Franzosen in ihrer Sprache, denen damit ein Anstoß gegeben war, weil sie ja ohne Singen nicht trinken und ohne Tabakrauchen nicht leben können:

Alle zu den Waffen laufen.
Ich nur hin zum Wein
Fürchte nicht des muth'gen Haufen
Wildes Kriegsgeschrei:
Denn der Wein hat soviel Freuden,
Und die bravsten Krieger meiden
Müssen ihren Wein.

Wenn ich wollte Mauern stürmen,
Thöricht wär's fürwahr.
Und die Festungswälle schirmen,
Fänd' den Tod ich gar:
Mein Weg in die Küche gehet,
Wo kein Feind mir widerstehet.
Daß ich Schüsseln leer'.

Nicht will ich im Felde schwitzen
Bei dem Bataillon,
Oder wo Kanonen blitzen
Auf der Bastion.
Schießen, das ist mir zuwider:
Doch es leben frohe Lieder,
Es leb' der Salat!

Weg mit Wällen und Gehegen,
Weg mit Sturm und Schlacht,
Denn zu trotzen scharfen Degen
Ist zuviel gewagt.
Lieber sitz' ich in der Schänke
Recht behaglich da und denke,
Wie ich Tonnen leer'.

Sprecht von Kriegen nicht und Schlachten,
Sonst werd' ich ganz krank,
Sprecht von Humpen und von Trachten
Und vom Becherklang.
Ha, das ist ein wack'res Schlagen,
Durch den weiten Schlund zu jagen
Edles Naß von Ham.

Kaum hatte dieser geendet, so folgten seine Kameraden. Lälius saß da, sperrte das Maul auf und hüpfte bisweilen mit dem Gesäß auf dem Stuhle umher wie eine Elster, die legen will, vor lauter Freude, daß er das herrliche Zungenspiel so tapfer klingen hörte. Es stimmten aber die drei Franzosen, um sich nach ihrer Art hören zu lassen, trefflich zusammen an:

Ich lob das Wasser schlecht und recht,
Da es geduldig wie ein Knecht
Das Schiff, bepackt mit Bacchussaft,
Auf seinem Rücken weiterschafft;
Das Element ist fromm und gut,
Das seinem Feinde lohnt so gut.

Das Wasser schmeckt wohl gut und fein,
Wenn ein Gemisch man thut hinein
Von Apfelsinensaft und Salz.
Setz'st du den Eimer an den Hals,
Trinkst ungemischt und mit Begier, –
Du gleichst dem unvernünft'gen Thier.

Drum trinket, Freunde, fröhlich fort;
Denn Bacchus gab sein festes Wort,
Zu brechen jede Sorg' und Pein.
Es soll das unser Wahlspruch sein:
Der Wein für uns; das Wasser sei
Für Schiffe und für Fische frei.

Nachdem diese geendet hatten, hetzten die Schweizer
den Lälius an ihnen beizustimmen; dieser aber, da ihm
der Gesang ungewohnt war, sah den andern nur auf's
Maul, wie sie den Schnabel spitzten, um es ihnen nachzumachen;
jedoch im Aushalten der Endungen hatte er
eine Stimme, wie die Posaune eines ungarischen Ochsen
oder eines italienischen Postkleppers. –

So lang' ich leb', lob' ich den Wein,
Denn er vertreibet Furcht und Pein,
Verjagt Melancholie und Schmerzen;
Das Wasser bringet Traurigkeit,
Macht weh im Magen und im Herzen,
Darum so flieh ich's allezeit.

Der Wein ist mir von Herzen lieb,
Das Wasser hass' ich wie die Dieb';
Wie mancher ist darin ersoffen!
Das Wasser ist ganz ungesund.
Beim Wein ist Lust und Lieb zu hoffen,
Der Wein erfrischet Mund und Schlund.

Das Wasser hat 'nen faul'n Geschmack,
Gleich wie ein Dreck in einem Sack:
Der Wein wie Nägelein und Rosen;
Drum wenn mir eins wird zugebracht
Aus Ham und Hambach Sind vorzügliche Moselweine. auserkosen –,
Mein Herz in mir vor Freuden lacht.

Wer den veracht't, der ist ein Gauch;
Das Wasser macht ein'n großen Bauch,
Im Wein besteht des Menschen Leben.
Ich hass' das Wasser und furcht' das Bier,
Das Wasser ist der Knecht der Reben,
Ins Wasser drecken Fisch und Thier.

Obschon die, so das Podagram
Haben, dem Wein sind worden gram.
Wissen sie nicht, warum sie streiten.
Kommt schon das Podagra vom Wein:
Doch wenn's einkehrt bei reichen Leuten,
So muß es ja verständig sein!

Wo kein Wein ist, da ist kein' Freud':
Im Wein vergißt man alles Leid,
Ohn' Wein ein Mensch ist halb erstorben,
Der Wein bringt Freud' und Brüderschaft,
Der Wein hat manchen Freund erworben,
Das Wasser manchen abgeschafft.

Hat einer vielleicht einen Streit
Und wäre gern des Handels queit (quitt),
Der trink' 'nen Rausch und greif' zum Degen:
Ein Rausch aus allen Wehren sich ficht,
Ein Rausch fragt nichts nach Streich und Schlägen,
Ein Rausch fürcht't sich vor'm Teufel nicht.

Wer aber lieber Frieden macht.
Der wiss, der Wein hat diese Kraft:
Wenn sich zwei um die Haut geschlagen,
So ziehen sie hin zu dem Wein,
Thun ihre Sach' allda vertragen;
Wie könnt' ein bessrer Schiedsmann sein!

Der Wein macht um und um beherzt.
Wer da gern mit der Liebsten scherzt,
Der thu' zuvor ein Räuschlein trinken:
In einem Hui wird er haben Platz,
Sie wird mit Hand und Fuß ihm winken;
Beim Wein bekommt man bald 'nen Schatz.

Man spricht: in vino veritas,
Das heißt, gieb mir ein großes Glas;
Die kleinen Gläschen woll' mir dehnen:
Denn wer sich scheut ein'n Rausch zu han,
Der will nicht, daß man ihn soll kennen
Und ist gewiß kein Biedermann.

Das Wasser hat zwar seinen Nutz,
Doch aber bietet der Wein ihm Trutz;
Man seh' an, wo man will, 'nen Orden:
Wenn sie in stiller Zelle da
In allen Ehren trunken worden,
So singen sie Halleluja!

Zuletzt gab es ein wunderliches Geheul untereinander, daß uns die Ohren weh thaten. »Lustig ihr Herren allesammt! Courage! sprach Herr Lälius: wohl gesoffen ist halb geschloffen! So nüchtern geh' ich nicht mehr schlafen wie gestern, wo ich nur acht Maß Wein trank und mir vom Teufel träumte!« »Bei solchen Thorheiten, sprach Expertus Robertus, ist kehrab! das rechte Maß; aber es ist ein allgemeines angeborenes Elend auch bei frommen, großen, rechtschaffenen Leuten, die es untereinander am besten und redlichsten meinen: wenn man einmal bei Tisch recht erwärmt und die Wirkung des Weines im Hirn spürt, so fängt der Muth und die Lust unter dem Gespräch an zu steigen. Wie sehr man sich auch vorgenommen hat inne zu halten, so vergißt man es doch im Trinken, und ein jeder trachtet danach, wie er seinem Gesellen möchte ein Räuschlein anbinden. Das geschieht, sage ich, oft in den besten christlichen Gesellschaften: denn bei unbekannten Leuten, und wo man auf einen Höheren zu sehen hat, da kann ein Verständiger auch wohl etwas pausiren.« »Es ist doch besser fröhlich sein, wenn es nur ohne Händel hergeht, als sitzen und das Maul hängen, als ob einem darauf geschlagen wäre,« sprach Hans Thurnmeier. »Zuviel bricht den Sack, sagte Expertus Robertus: Wein ein, Witz aus; bisweilen ein Räuschchen ist so ungesund nicht; allzeit voll, macht endlich toll.« Hans Thurnmeier hingegen sprach: »Darf ein Doctor sich des Monats ein Räuschchen trinken zur Verhütung einer Krankheit, so kann es uns andern auch nicht schaden zur Erhaltung der Gesundheit.« Vollsaufen aber, sagte ich, das ist schon eine Krankheit an sich selbst, und eine solche Krankheit, die sehr zu fliehen ist, deswegen weil die Vernunft dadurch krank liegt; und meines Erachtens thut derjenige, der sich gesund saufen will, grade so wie derjenige, der sich ein Weib durch Zauberei will zu Wege bringen. »Ich sehe schier nicht, wie mir ist, sprach Hans Thurnmeier; denn:

Trink' ich Wasser, so häng' ich's Maul,
Trink' ich Bier, so werd' ich faul,
Trink' ich Wein, so werd' ich voll:
Ich weiß nicht, was ich trinken soll.«

»Das größte Elend ist, meinte Expertus Robertus, wenn man einen wider seinen Willen auch zu trinken nöthigt und zwingt. Denn vielmals geschieht es, daß ein nüchterner züchtiger Mann da ist, dem solch Saufen nicht wohl thut; über den schlagen sie alle den Geil, der taugt nichts, der darf nicht unter die Herren, muß ein Weib sein, ein Saug'-den-Zipfel, ein Küss'-den-Pfennig: kurz, wer nicht mitmacht, der ist ein Schelm, ein Bauer, Unflat, Esel und keines guten Gesellen werth, zu keinen Ehren tauglich. Dazu ist es gekommen, daß Schande zu Ehren befördert!«

Solche Zechbrüder alle, sprach ich, die mit Trinken wollen Ehre einlegen, sollten sich bei den Brasilianern um Bestallung anmelden, wenn sie ihr Caouin trinken; denn wer sich da nicht zeigen kann, der muß gewiß dahinten stehn. Sie trinken zwar gern lau und sind darin anders gesinnt als wir, die wir nur kühlen Wein haben wollen: wie man denn auch mehr vom kühlen Wein singt als vom warmen; aber wenn sie anfangen, so muß es schon drei Tage und drei Nächte hintereinander getrunken sein; und wenn sie auch schon voll und toll sind, daß sie nicht mehr können, dennoch machen sie sich wieder darüber; denn wer da sagen muß: Wein mein Herr! den hält man für einen faulen Schlingel, der nirgends tauge. Diese Brasilianer, Tupin Ickin und Imbas genannt, essen nichts unter dem Trinken, trinken auch nichts unter dem Essen. – »Es ist ein Wunderding um den Brauch, sprach Thurnmeier: da ist es, sehe ich, eine Ehre, und bei uns wird es für ein Laster gehalten.« Das ist allenthalben, erwiderte ich: wo Gottes Gebote nicht gelten, da werden Laster für Tugenden angesehen. Aber bei den Christen ist's mit keiner Gewohnheit oder Ehrenursache zu entschuldigen. –

Die Zeit wurde uns unter dem Getöse, das nun ohne Ordnung daher ging, sehr lang, und wir mußten frische Luft suchen, denn dem Thurnmeier wollte übel werden. Darum ließen wir unsern Monsieur Lälius bei seiner Gesellschaft sitzen und standen vom Tische auf, hinaus an das Ufer der Saar zu spazieren, um zu sehen, ob wir nicht irgend etwas neues von unserer besten Freunde einem, Herrn Fried Wolf erfahren könnten, da eben erst ein Schiff unten vor der Burg gelandet war. Im Fortgehen sahen wir zwei Kerls quer über's Feld auf uns zugerannt kommen, und als wir dem vordersten zuriefen, er sollte stillhalten und uns antworten (denn sein Pferd lief aus allen vier Kräften), da schrie der gute Tropf: »Ach, ihr Herren! ich kann nicht halten, ich glaube der Teufel ist in meinem Pferd: ich steche es, so sehr ich immer kann, doch es will nicht still halten.« Und wirklich ging er durch dick und dünn, durch Stauden und Hecken durch.

Indessen kam der zweite auch herbei, und wir riefen ihm zu: Wohin Kerl? Wohin? Wo geht die Reise hin? »Das weiß Gott und mein Gaul, antwortete er; ich weiß, bei meinem Eid, nicht, wo es hingeht!« Denn er konnte sein Pferd ebensowenig zwingen wie der erste. Wir mußten über diese Gesellen recht lachen: da der eine vermeinte, das Pferd mit den Sporen zu halten, der andere aber das Pferd ganz ohne Regierung mußte laufen lassen, wohin es selbst wollte.

Nun fuhren wir in einem Nachen über das Wasser. Da ließ uns der Alte nahe bei einem Birnbaum an dem Hügel gradeüber vom Schlosse unten am Steinsaal, wo Fried Wolfs Vater wohnte, ein Echo hören, wie wir unser Lebtag nicht vernommen, obwohl wir derselben viele hier und da gehört hatten. Wir konnten noch so leise reden, so hörten und verstanden wir alle Worte und Silben so klar und unterschiedlich und besser, als wir sie selbst geredet hatten. Wir sangen ein Stück in drei Stimmen, dessen Töne uns das Echo viel lieblicher wieder zurück gab, daß wir uns höchlichst verwundern mußten. Es war aber der liebe Gesang dieser:

Wolfram, du bist wohl fromm!
Unrecht kannst du nicht leiden,
Drum mußt dich lassen neiden;
Ein Heuchler bist du nicht,
Der Treu' und Glauben bricht,
Der aus 'nem falschen Herzen
Schafft seinem Nächsten Schmerzen;
Du bist fromm überall,
Drum sag' ich noch einmal:
Wolfram, du bist wohl fromm!

Allhier hielten wir uns auf bis gegen drei Uhr. Unser getreuer Freund war herunter gekommen und hatte uns ein Abendessen bringen lassen, wenig und gut: denn sein Gespräch und Bericht, wie es ihm auf der Reise ergangen, war uns viel mehr und höher zu achten als alle Gerichte. Auch war ich ihm von etlichen Jahren her wegen seiner mir und Esther Ackermann Es ist die erste Frau des Moscherosch. S. Einleitung. in der äußersten Noth erwiesenen Freundestreue (deren man bei wenigen noch findet, auch unter denen nicht, die es doch wegen empfangener Wohlthaten schuldig wären) so hoch verbunden und verpflichtet, daß ich, wenn es nicht meine Schuldigkeit gewesen wäre, gegen Nacht mit meinen Gefährten in die Burg zurückzukehren, nimmermehr weder in Noth noch Tod von ihm gewichen wäre. Aber Gott bat ich von Herzen, und thue es noch, daß er uns an einem ruhigen sicheren Ort wiederum zusammen helfen und nach so vielem ausgestandenen Leid anderwärts erfreuen wolle, damit ich dermalen nach menschlicher Möglichkeit ihm alle erwiesene Treue wiederzahlen kann.

»Es ist eine große Gnade Gottes einen treuen Freund zu haben, sprach Hans Thurnmeier: denn das ist selten und geräth unter Tausenden kaum einem.« Darum ist es auch schwer einen treuen Freund zu finden, sagte ich. »Das macht, versetzte Expertus Robertus, daß die Menschen nicht achten auf das, worauf sie achten sollen, auch die rechten Freunde nicht suchen an dem Ort, wo sie zu finden sind: denn wer eine Freundschaft sucht um des Nutzens, um weltlicher Lust und Freude willen, nicht um Ehre und Tugend allein, dem fehlt es allezeit. Denn die Güter des Leibes und des Glückes sind unbeständig und weichen, wenn man ihrer am besten bedarf, wie stark man auch daran halte; aber Ehre und Tugend die bleibt mit Gott allezeit.« Ja, sprach ich: wo sind aber solche Freunde zu finden? Wenn schon manchmal aller Fleiß wird angewandt, so will es doch nicht gedeihen. »Das macht, antwortete der Alte, daß ihr nicht am rechten Brunnen schöpft; menschlicher Verstand und Arbeit ist umsonst, wo Gottes Segen, an dem alles gelegen, nicht wird angerufen. Sirach lehrt, wie man gute Freunde erwerben soll und kann; er sagt: Halte dich stets zu gottesfürchtigen Leuten, da du weißt, daß sie Gottes Gebote halten, die gesinnt sind, wie du bist, die Mitleiden mit dir haben, wo du strauchelst und bleibe bei derselben Rath.« Wahrhaftig! sprach ich, einen solchen Freund hab' ich an Fried Wolfram gefunden; und gewiß ist's, Freunde, die einem allezeit Liebes reden, die halten nicht Stand, sie weichen zurück, wenn es an den Bundriemen geht. Was für ein großes Wort:

Freund in der Noth,
Freund im Tod,
Freund hinterm Rücken –
Das sind drei starke Brücken!

Aber wie mancher gott-, treu- und ehrlose Vogel untersteht sich, da Schaden zu thun und treue Freunde in Mißverständnis und Haß zu bringen. Den wird aber Gott richten nach seinen losen Werken: denn

Wer zwischen Stein' und Freund' sich legt
Und viel Leut' auf der Zunge trägt,
Dem widerfährt bald Schad' und Leid.

»Ja gewiß müssen das verdammte Leute sein, sprach Thurnmeier, die allerhand lose listige Ränke und Trug gebrauchen, um unter Freunden Uneinigkeit zu erwecken; denn:

Wo wohl zu liegen ist, da ist ein ewig Streiten,
Und wo viel Streiten ist, da ist kein' Ruh bei Leuten:
Darum wo Vögel sind, da sieht man stetig Fliegen,
Und wo ein Flegel ist, da hört man allzeit lügen.« –

Indem wir also im Gespräch gegenüber der Burg beisammen saßen, kam einer über das Wasser hergefahren, der das Land hinunter reisen wollte, der sagte uns, daß ein ehrbarer Mann in der Herberge bei der Burg ihm eins auf unsere Gesundheit zugebracht und ihm einen Zettel uns zu überbringen gegeben hätte. Nachdem es mir der Alte zur Hand gestellt hatte, dachte ich, es würde darum zu thun sein, daß ich es lesen sollte. Es war halb Latein halb Deutsch, wie des Lälius Gespräch und Schriften und lautete also:

Meinen Gruß zuvor! Nun bin ich von den würdigen Herren ganz verlassen; o mein trauriges Schicksal! ich bin auf das gefahrvollste Meer hinausgesegelt und bitte daher meine würdigen Herren, sie wollen Gott für mich bitten, daß er meiner Seele gnädiger sein möge; denn es scheint mir, daß wir allesammt werden verloren sein. Schon sind alle Kleider und Waaren über Bord geworfen, und kaum vermag das Schiff uns noch zu tragen. Lebt wohl!

Gleich dachte ich daran, in welchem Zustande wir ihn drüben gelassen hatten und fragte daher den Briefträger, wie es ihm ginge. Derselbe sagte unverhohlen heraus, daß ihrer sechs oder sieben zusammen beim Trunk gesessen, und indem sie von Meerfahren und von den Holländern gesprochen hätten, darüber vom Wein so eingenommen und dümmelich geworden wären, daß sie auf dem Boden eingeschlafen wären und ganz und gar gemeint hätten, sie führen auf dem Meere in einem großen Ungestüm. Lälius aber wäre einmal aufgewacht und hätte um Hilfe gerufen: er müßte ertrinken, er läge im Meer; davon wären die andern blindvoll auch erwacht, hätten um sich getastet, und als sie nichts sahen und nichts um sich fühlten als Wasser (denn sie lagen auf dem Boden im Unflat, den sie unten und oben ohne Scham von sich gegeben hatten) und sicher glaubten, daß sie im Meere wären und Schiffbruch leiden müßten: da hätten sie zur Verhütung des Unterganges alles, was sie um sich erwischten, zum Fenster hinausgeworfen, auch zum Theil ihre Kleider selbst, als ob es Kaufmannsgüter und Tonnen gewesen wären, und hätten das Schiff dadurch erleichtern wollen.

Indessen hätten sie aber nicht unterlassen, zuweilen ein Glas zu fassen und einander eins zuzubringen, einander zu herzen und zu segnen, auch aufeinander und aneinander zu beschmutzen wie die Säue und Hunde. Einer von diesen Kumpanen, der etwas verständiger sein wollte, wäre hinausgekollert und hätte sich, um den Wein auszuschlafen, in die obere Kammer verkrochen. Als er aber den Tumult in der Stube gehört und halb burzelnd sehen wollte, was es wäre, fiel er, ohne mehr zu wissen, daß er eine Stiege vor den Füßen hatte, dieselbe herunter, und es war ein Wunder, daß er nicht den Hals gebrochen hatte. Sind ihrer noch mehr oben, die nachkommen? fragte er; und als ihm gesagt ward nein, da sprach er: Ei, ei, was eilt er denn so? worüber die Umstehenden gelacht und gesagt hätten: Ja freilich muß es wahr sein, daß Gott der Thoren, der Vollen und der Kinder Vormund ist, sonst würden sie so manchen unbedachtsamen harten Puff nicht aushalten können.

So erzählte uns dieser, wie es wirklich zugegangen war. Gegen vier Uhr mußten wir uns wieder in die Burg hinüber begeben. Ich trug Verlangen zu wissen, wie es mit unserm Herrn Lälius Pampelius stände, und ging in die Herberge und in den Saal hinein um zu sehen. Aber ich fand sie schlafend einer mit der Nase auf dem Aermel, den andern rücklings auf der Bank klebend, den Lälius aber lang auf dem Boden, alle Viere von sich streckend wie ein Frosch: Schüssel, Teller, Messer, Hüte und Mäntel, eins hier das andere da im Saal, vor den Fenstern, auf dem Boden, die Fenster zerschmissen; dem einen bluteten die Hände, dem andern die Nase; die Augen waren erstorben wie bei einem erstochenen Kalb; der Bart und Mund hing voller Brocken, daß einem ekelte, wenn er's sah. Fast ein Ohm Wein floß auf dem Boden um den Tisch herum; sie schnarchten in vier Stimmen; es stank nach Tabak, daß einem der Kopf schwindelte; auf dem Tisch brannten zwei Lichter am hellen Tag, als ob man die Todten bewachen wollte; kurz, es war alles in solcher Unordnung, daß wir zweifelten, ob wir bei Deutschen oder Franzosen, bei Christen oder Heiden wären.

»Behüte Gott! sprach Expertus Robertus, es ist freilich wahr, was unser Prophet dort sagt: Der Wein geht zum ersten glatt und süß ein; sonderlich wenn der Trunkenbold trotzig ist und wegen seines Saufens als ein Bierheld oder Weinritter will gerühmt sein, so läßt sich der Wein getrost saufen, und der Säufer will den Preis erjagen mit Saufen. Aber zuletzt wird der gesoffene Wein Herr im Kopf und wirft den Sauritter unter die Bank, daß er ein Saukoch wird, speit und unflatet, daß Haus und Hof stinkt. Da liegt dann der stolze Mann und feine Held, wie ein stummes unvernünftiges Thier, wie eine Sau liegt, daß nichts menschliches mehr an ihm ist als das äußerliche Ansehen; da liegt er wie ein Klotz: wenngleich er zuvor der grausamste Hektor und Achilles gewesen ist, so ist er doch alsdann der Kinder Spott und Gesang, die mit Fingern auf ihn zeigen, lachen und ihn äffen mit Spottworten, wie sie wollen. Behüte Gott! Behüte Gott! Ach der elende Mensch, der seiner Seele so gar unachtsam pflegt und sie freiwillig in so muthwillige Gefahr begiebt!« – In diesem Unflat ließen wir sie aber liegen und begaben uns wieder nach der Burg.

Als ich eben den Fuß zur Thür hinaussetzte, kamen vier durstige Kerls und baten um eine Gabe; als ich fragte, wer und was sie wären? sagten sie: »Ach mein Herr, wir sind elende Sänger und Musikanten und bitten um ein Zehrgeld, weil wir heute noch nichts gegessen haben.« Daher ließen, um eine bessere Musik zu hören, der Alte und Hans Thurnmeier ihnen in einem Stübchen beiseits auftragen. Wie sie nun tapfer gezehrt und sich trefflich voll gepropft hatten, da forderte sie Hans Thurnmeier auf eins herzusingen; aber da standen sie an und baten um Verzeihung, sie hätten es nicht gelernt. Als er ihnen aber verweisend vorhielt, wie sie sich denn so freventlich für Musikanten ausgeben dürften, sprach der eine: »Ja mein Herr, wir haben ja gesagt, daß wir elende Sänger sind; das seht ihr nun in der That, denn wir können nichts.« Hans Thurnmeier wollte zornig werden; aber der Alte lachte dieses Schwanks von Herzen, weil die guten Schlucker den Handel so trefflich angesponnen hatten.

Als wir nun an der Burgpforte fragten, ob nicht Franzosen da vorüber gezogen wären, sagte man uns: ja, sie hätten sich bei Hofe angemeldet, es wäre ihnen aber der Bescheid geworden, bis zur Ankunft Hans Thurnmeiers zu warten. Wir trafen sie im Hof beim Keller an, wo sie sich fast zu Tode gewartet hatten auf uns; sie spieen ohne Unterlaß auf den Boden, so daß man sah, die Leber müßte ihnen heftig angelaufen sein, und sie müßten noch großen Durst haben. Sie hatten sich mächtig gerüstet und vorgesehen auf einen künftigen Hunger, weil sie gesehen hatten, wie es dem jungen Monsieur mit seinem Herrn Lälius ergangen war: einer trug einen langen Spieß mit einem Hammelschlägel, Kalbsbraten und etlichen Feldhühnern; der andere hatte sich mit Brat- und Knackwürsten umgürtet, wie P. M. zu E., und betheuerte, dieselben durch Kaufhandel von Danzig und Königsberg bekommen zu haben; der dritte trug etliche gute Schinken, die er aus Westphalen über Mainz bekommen hatte. Ein jeder hatte einen großen breiten Käse wie einen Mühlstein an sich hängen, welche ihnen der Melker von Parma sollte zugeschickt haben. Sobald sie unsrer ansichtig wurden, denn sie kannten uns noch von dem Mittagsmahl her, wandten sie sich an Hans Thurnmeier und sprachen, so gut sie vermochten, auf halb deutsch, dessen Sinn ungefähr war: sie wären darum nach Deutschland gekommen, weil sie gehört hätten, die Deutschen könnten nicht mehr rechtschaffen trinken; daher wollten sie mit gnädigster Erlaubnis des Königs eine Trinkschule einrichten. – Aber das Deutsch konnten sie wegen der harten Buchstaben ohne zu trinken nicht vorbringen.

»Ihr Herren, sprach Thurnmeier: wenn ich nicht aus eurem Wesen und aus eurer heutigen Mahlzeit entnehmen könnte, daß ihr es so meint, wie ihr redet, ihr würdet als Kundschafter schwerlich von hier ohne Abstrafung zurückkommen. Fragt den Philander hier, was ihm des bloßen Argwohns wegen begegnet ist. Gleichwohl verwundere ich mich nicht wenig, daß ihr einen so langen Weg hergezogen seid, euch im Trinken zu üben oder die Deutschen trinken zu lehren. Unsere Deutschen, die bei euch gereist sind, wissen gar wohl, daß bei euch das Saufen nicht unbekannt ist und ihr uns in dem Stück weit voraus und überlegen seid; ihr könnt aber wieder ruhig in eure Heimat zurückkehren, wenn ihr nichts anderes an diesen Orten zu verrichten habt. Denn es ist uns nicht unbekannt, was eure Kunst allhier ist: nämlich daß ihr ebensogut in floribus In dem bekannten Jus potandi heißt es: Floricos trinken heißt es, wenn man die Lippen ganz um des Glases Mundloch herumzerrt und auf einen Satz den ganzen Trunk in die Gurgel geußt, durch welches ungebärdiges Beginnen das Glas mit weißen Gischtblasen, die man flores nennt, gefüllt wird. saufen könnt wie ein Ochs: ebensowohl drei Maß in einem Zug Bescheid thun könnt wie ein Esel: ebensowohl einen Zuber ausziehen wie eine Kuh: ebensowohl aus Schüsseln und Krügen trinken wie eine Sau: ebensowohl aus einem Kessel fressen wie ein Mohr; und wir haben in diesem Lande wohl erfahren, daß eurer etliche sind, die soviel saufen können, daß ein ganzes Dorf darüber erarmen und zu Grunde gehen muß. Allein die da Mäßigkeit und Tugend lieben, will ich deswegen nicht gescholten haben: denn bei denen, welche über dem gemeinen Volke stehen, ist eine schöne liebliche Ordnung in Essen und Trinken zu sehen.«

Da fiel von den guten Gesellen, denen der Durst bis an die Seele gegangen war, und die nicht länger bleiben konnten, indem sie wieder hinaus in die Herberge gewiesen wurden, einer nieder wie ein Block, als ob er kein Leben in sich hätte, so daß man ihn für todt aufhob. Ich lief hurtig zum Brunnen, holte mit einem Wischtuch geschwind ein wenig Wasser und goß es dem elenden Menschen ins Angesicht, damit er möge zu sich kommen. Aber soviel Tropfen als ich auf ihn spritzte, sovielmal schrie er zu Hilfe, zu Hilfe, o Gott! und verkehrte das Gesicht wie ein Mensch, der besessen ist. Und gewiß: einige der Umstehenden hielten dafür, daß es nicht anders wäre, darum schickte man nach einem Druiden ( Druiedae sind alte deutsche, fränkische Priester), der auch alsbald ankam. Als der arme Gesell seiner ansichtig wurde, stieß er einen tiefen Seufzer aus und sprach: »Lieber Vater, bittet gefälligst Gott für mich und helft mir, daß ich sterbe; denn ich fühle, daß meine Stunde gekommen ist, und daß ich dem Tod seinen Tribut zahlen muß. Ich spüre wohl (sprach er auf welsch, denn das Deutsche konnte ihm wegen seiner trockenen Zunge nicht mehr heraus), daß ich nicht mehr werde genesen können, sondern diese Stunde sterben muß.« Der Priester vermahnte ihn, vor allem an Gott und sein Gewissen zu gedenken, hernach seinen Feinden zu vergeben, wenn er wollte, daß ihm Gott auch vergeben sollte. Darauf begehrte er zu trinken. Expertus Robertus hieß ihm einen Trunk Wein zu reichen; aber er wollte denselben nicht riechen, sondern ließ sich ein großes Glas mit Wasser geben. »Ihr Herren! sprach er auf französisch: es ist nicht mehr Zeit mit seinen Feinden zu zürnen, denn wenn es mit einem Menschen soweit gekommen ist, so soll er den Haß und die Rache bei Seite setzen und deren vergessen. So lange ich auf Erden gelebt, habe ich das edle Element des Wassers so gehaßt, daß ich aus Abscheu vor ihm keine andere Suppe mehr essen wollte als solche, die mit Wein angemacht war; auch wenn ich Speisen essen sollte, die in Wasser gekocht waren, ließ ich sie wieder in Wein kochen, damit sie den Geschmack des Wassers ja verlören. Nimmer habe ich den Wein so gern getrunken, der zu Schiffe angekommen, als denjenigen, der auf der Achse herbeigefahren war: nicht allein darum weil ich wußte, wie betrüglich es auf Schiffen mit dem Wein zugeht, und daß derselbe am Krahn nimmermehr so rein zu finden sei als auf dem Barfüßerplatz, sondern und vornehmlich darum, weil er auf dem Wasser, als bei meinem Feinde, so manche Nacht geschlafen und also mit ihm Gemeinschaft gemacht habe. Ihr werdet euch also nun weniger verwundern, daß ich mich nach dem Wasser, womit ihr mich besprengtet, wie ein Besessener verstellt habe: denn ich kann in Wahrheit bezeugen, daß nimmermehr der Teufel das Kreuz so sehr als ich das Wasser gefürchtet und gehaßt habe. Auch war das mein liebster Spruch, den ich je gelernt hatte:

Vina bibant homines, animalia cetera fontes deutsch : Wein mögen die Menschen trinken, die übrigen Thiere Wasser.

Ein Mann, der gern will stinken,
An allen Vieren hinken,
Verschmachten und versinken –
Der soll nur Wasser trinken.

Aber nun ist mir dies alles von Herzen leid und reuet mich, und zur Bezeugung meiner festen gewissen Versöhnung mit ihm, will ich dieses Glas voll zu mir nehmen.« Er setzte das Glas mit Wasser an den Mund und hatte kaum davon getrunken, da gab er seinen Geist auf und starb. Wo die andern beiden hingekommen sind, habe ich nicht erfahren können. Allein ihrer Landsleute habe ich viele kennen gelernt und einen guten Theil meines Gutes bei ihren Kneipereien zusetzen müssen.

Freymund, dem königlichen Siegelbewahrer, wurde anbefohlen die Grabschrift zu machen; dieselbe lautete also:

Hier liegt nackt und bloß
Leichtsinn, ein Franzos.
Weißt du, was er that?
War ein guter Prasser,
Starb doch letzt am Wasser:
Ist doch immer schad'!

Als Hans Thurnmeier dies las, konnte er das Lachen nicht lassen und sagte, es käme ihm vor, wie eine andere dieser ähnliche Grabschrift, welche er vormals in Pommern gelesen habe:

Hier liegt begraben Herr Melcher,
Ein Pfarrer gewesen welcher:
Er hat gelebt in Tugend und Zucht,
Ist gestorben an der Wassersucht.
Schau doch lieber Leser frei,
Ist das nicht schad'? Ei, ei.

»Und mich, sprach Expertus Robertus, gemahnt es an dasjenige, was ich zu Köln gesehen habe:

Hier liegt Meister Peter im grünen Gras,
Der so gern Sauerkraut aß
Und trank gern guten rheinischen Wein;
Gott woll' seiner Seelen gnädig sein.«

»Und ich, sprach Gutrund, der von ohngefähr herbei kam, habe eine andere gleiches Inhalts gehört:

Hier liegt der selige, sehr ehrbare Aussauf
Von Branntwein und Bitterbier
Und ist also entschlafen hier.«

Ich habe eine andere gesehen, die ein einfältiger Tropf ihm zu errichten befohlen hatte:

Hier lieg' ich Hans Schilkebrod
Und bitte dich, lieber Herre Gott,
Das ew'ge Leben wollst geben mir:
Wie ich wollt' haben gegeben dir,
Wenn du wärest Hans Schilkebrod,
Und ich wäre lieber Herre Gott.

»Das ist etwas zu grob, sagte Expertus Robertus; es muß nicht nur ein einfältiger Tropf, sondern gewiß auch ein Spaßvogel gewesen sein, der dies ihm zu schreiben befohlen hat.«

»Das ist nicht übel, sprach Freymund: die Alten haben viel dergleichen und zwar nicht in böser Absicht gemacht, was man heutiges Tages nicht nur verlachen sondern gar verbieten würde, weil mit dergleichen Sachen, die von Leib und Seele handeln, nicht zu scherzen ist. Aber die Grabschrift von einem Junker und seinem Knecht, welche einander treu waren und sich bis ans Ende beständig geliebt hatten, läßt sich besser hören:

Gott ist wahrhaftig und gerecht:
Hier liegt der Herr und auch sein Knecht.
Nun ihr Weltweisen kommt herbei.
Sagt, wer Knecht oder Herr da sei.«

»Das ist gewiß, sagte Hans Thurnmeier: der Tod macht alles gleich und ist bei ihm kein Unterschied der Person; stark oder schwach, es muß ihm alles nach.«

Es ist seltsam, sprach ich, daß bei den Alten sich alles hat reimen müssen, es habe sich geschickt oder nicht; was sich nicht hat reimen wollen, ist auch nicht gut gewesen, wie des großen Christopherus Grabschrift bezeugt:

Hier liegst du, o Christopherus:
Du trügest Jesus Christus
Ins rothe Meer hinein
Und brachst dabei kein Bein,
Was uns gar nicht wundern kann,
Denn du warst ein starker Mann.

Und eine andere, die zu Mailand im Dom steht:

Da Hefe und Mist, da Dreck du bist.
Darfst stolz nicht sein, Tod tritt bald ein:
Denn in diesem Haus, schläft jeder aus. –

Wir ließen den guten Kerl unterscharren und wollten uns nach unserer Kammer begeben, denn es fing an Nacht zu werden; aber wir wurden aufgehalten von einem Kerl, welcher, wie er sagte, auf der Post ankam, auch bald wieder auf der Post abreisen wollte: deswegen auch auf der Post mußte abgefertigt werden. Er hatte einen langen Degen mit einem großen Maulkorb, worin ein Paar Hühner hätten nisten können, an der Seite. Da aber auch vortreffliche Helden ohne Einwilligung des Heldenraths den Degen in der Burg nicht tragen dürfen laut des Saalbuchs: ›Es soll kein junger Gesell eine Wehr anhängen, er habe denn ein Zeugnis von seinem Nachbar, daß er redlich, männlich und tauglich zur Wehr sei‹, und man ihm denselben abgürtete, entschuldigte er sich, daß er denselben nicht umgegürtet habe, um einen Menschen damit zu verletzen, sondern nur zur Zierde; was bei der Besichtigung auch für wahr befunden wurde: da Klinge, Griff, Scheide und Leder ein einziges und mit Rost zusammengeklebtes Ding waren und der Degen gewiß seit seiner Geburt nicht mehr aus der Scheide gekommen war.

Des Kerls Anliegen war: dieweil innerhalb vierzehn Tagen eine fürstliche Botschaft nach Persien gehen würde, so möchte er zugelassen werden, die Secretariatsstelle bei derselben zu bekleiden, da er vor andern dazu fähig und erfahren sei. – König Ariovist, dem man die Sache anzeigen mußte, weil sie ihrer Wichtigkeit wegen ohne sein Vorwissen nicht konnte entschieden werden, befahl dem Expertus Robertus, Hans Thurnmeier und Freymund, sich den Kerl vorzunehmen, ihn zu befragen und zu prüfen, ob er zu solch hohem Amt tüchtig wäre: da ja bei Fürsten und Herren an dergleichen Personen soviel gelegen ist als an irgend etwas anderem.

Hans Thurnmeier hob das Examen an und fragte erstlich nach seinem Namen. Er antwortete nach vielem Knicken und Bücken und nach Hersagung etlicher lateinischgeketzerter Titel also: »Ich bin der einzige Sohn meines Herrn Vaters und werde benamset Mutius Jungfisch, bis Dato gewesener und nunmehr emeritirter ... –« »Nun, nun, sprach Hans Thurnmeier, das hören wir gern! Wo habt ihr geschrannet? antwortet!« »Nein, Gott Lob, ich brauche mich nicht zu schämen.« »Ich spreche nicht von schämen, versetzte Hans Thurnmeier, ich frage, wo er studirt hat? Ich meine, er wird gar zuviel studirt haben, was ihm sehr hinderlich sein könnte, alldieweil einer, der zusehr geschickt ist, an solchen Ort nicht taugt.« »O weh, nein, ich habe nicht viel studirt,« antwortete er. Fragte Hans Thurumeier: »Hat er denn den Aventinus deutsch gelesen? Denn es soll kein Deutscher sein, der nicht seines Vaterlandes Geschichte vor den Fremden wisse.« »Ja, war die Antwort, den Avenarius, den lese ich alle Tage zweimal.« Die Herren Examinatoren konnten aus dem Kerl nicht klug werden. Da sie aber merkten, daß er Mutius hieß und was an ihm war, so hielt ihm Expertus Robertus diese kurzen Fragen vor, woraus das andere leicht zu errathen sein könne:

Ob er seines Amtes wäre entsetzt worden?

Ob er nicht den Priscianus Priscianus ist ein lateinischer Grammatiker, der um 520 n. Chr. lebte, dessen Werk die Grundlage des grammatischen Unterrichts wurde, und eine durch Rabanus Maurus, den gelehrten Abt des Klosters Fulda, gefertigte Bearbeitung desselben diente das ganze Mittelalter hindurch als Schulbuch. gelesen habe?

Ob er nicht noch einen Milchzahn von M. T. Cicero habe?

Ob er nicht dessen Reden bis auf die Nagelprobe recitiren könne?

Ob er nicht den Hut abziehe, wenn man den nach Gott allerheiligsten Mann Aristoteles nenne?

Ob er auch den Schimpf und Ernst und den Rollwagen gelesen?

Ob er nicht alle Morgen sein Gebet zu den neun Musen und dem Apollo verrichte?

Ob er nicht könne schöne liebliche Lieder dichten?

Ob er nicht gelernt habe die Federn zierlich schneiden und dieselben mit dem Messerbein seines scharfen Verstandes künstlich spitzen?

Ob er das Epistelbüchlein Sauers und Sattlers nicht stets bei sich im Brotsack trage?

Ob er nicht das Ehebüchlein auswendig gelernt habe und wisse bei Hochzeiten und Leichenbegängnissen abzudanken?

Ob er nicht von Geburt ein immatriculirter Notarius sei, wie sonst einer?

Ob er ein Lineal brauche zum Linien ziehen, oder solches aus freier Faust könne?

Ob er nicht darum einen Degen mit einem großen Kreuz oder Maulkorb trage, damit die Faust gegen Stoß und Hieb verwahrt sei? –

Diese Fragen gingen alle so geschwind aufeinander, daß er sie nicht anders beantworten konnte als mit ja, ja, so ist's, allerdings; deswegen fragte ihn der Alte etwas sittsamer:

Wie studeo, studui, studere im Supinum habe?

Stultum, antwortete er.

»Recht so, sprach der Alte, wir haben den Mann: Wo habt ihr studirt?« »In Paris auf der hohen Schule.« »Will der Herr nicht auch promoviren?« »Jawohl.« »In welcher Facultät?« »In der deutschen.« Ferner. Da die Dichterlinge fähiger sind als andere: ob er nicht ein Jünger der Dichtkunst sei und gut und zierlich reimen könne, insonderheit auf französisch, worin er sonder Zweifel stattliche Erfolge gehabt habe? Er möge deswegen den großen Thraso, des Rodomont Sind Namen prahlerischer Helden bei Ariost. Enkel, mit wenigen Worten beschreiben. Das that er denn nach kurzem Nachdenken also:

Der Rasende erbebte, das Herz so mitleidsvoll
Und schwang in starker Faust die mächt'ge Lanze wohl:
Doch als er eil'gen Schritts zur Dame kam darauf,
Da hob er stolz den Fuß, blies wie ein Frosch sich auf.

Dieser Reime wurde trefflich gelacht.

Ob er auch lateinische Poeten gelesen und gehört habe? »Ja wohl, den berühmten Professor Fichtelmann.« Zum Zeugnis dessen zog er einen Zettel, von des Herren eigener Hand geschrieben, aus dem Pappdeckel, den er unter dem Arm trug, hervor, welcher also lautete:

Ich Fichtelmann werd' lesen die Kunst der Poesie,
Und wer mich hören will, sei morgen glücklich hier,
Daneben mancherlei, was ihr euch könnt notiren;
Was ich nicht sage, mögt ihr selber meditiren.
In sechs bis sieben Tagen werd' ich es absolviren,
Und ihr sollt meinen Fleiß gewißlich dabei spüren.

Daraus war unwidersprechlich zu erweisen, daß er des Herren Fichtelmann Zuhörer gewesen sein müsse.

Ferner. Weil er ohne Zweifel in alten Geschichten und Antiquitäten erfahren sei: woher denn das Wort Benjamin eigentlich seinen Ursprung habe? Antwort: von volo. – Wie so? – Die Vorsilbe ben fällt weg, ia wird zu vo und min zu lo: giebt also volo.

Als aber den verordneten Herren auf alle diese Fragen meist lächerlicher Bescheid wurde, da ermahnten sie ihn bei seinem Gewissen und durch Handschlag an Eides Statt – weil er auf vorige Punkte etwas zweifelhaft und verzagt geantwortet habe, an diesem Orte aber die lautere helle Wahrheit auszusagen sei – daß er nichts verschweigen solle.

Also: Ob er nicht während seiner Probejahre einst bei dem alleingelehrten blinden Poeten den Wunder- und wunderbaren Vers gelesen habe:

Viele Städte erblickt' er und vieler Menschen Gebräuche,

vermittelst dessen der fuchslistige Ulysses vor Jahren wie auf einer Leiter in den vierten Himmel der Ehre und des Ruhmes gestiegen sei?

Ob er nicht auch den lateinischen Poeten Virgilius gelesen und bei ihm gefunden habe, was er von seinem Aeneas sagt:

Der durch viele Länder und Meere getrieben?

»Ja, ja,« antwortete er. – Das verdroß aber die Herren sehr und sie sagten ihm: es wäre nicht um die Worte zu thun, die er gehört habe; ein Esel könnte solche Verse auch gehört und ein Narr auch gelesen haben; sondern er sollte sagen, ob er auch die Bedeutung der Worte und den Zweck, wohin der Poet ziele, begreife. – Aber der arme Tropf konnte wegen seines großen Schreckens weder in dem Wörterbuch seines Hirns noch in dem Notizbuch seines Verstandes finden, was sie mit diesen Fragen anders wollten. Darum sprach man ihn auf meine Fürbitte mit klareren und verständlicheren Worten an:

Ob er es leiden könne, wenn ihn seine Oberen mit Worten straften, oder ob er es nicht leiden könne? Ob er Kreuz und Elend erfahren und gelernt habe Hunger, Hitze, Frost, Durst und anderes Ungemach zu leiden, Gefahr, Noth und Jammer auszustehen, in Anbetracht dessen daß

Zu solchen Diensten taugt ein Mann, der viel gelesen.
Der viel gesehen hab', weit in der Welt gewesen,
Der viel erfahren hab', gelitten Kreuz und Noth,
Der, wenn Gefahr da ist, nicht weiche vor dem Tod,
Der, wenn die Herrschaft spricht, vernünftig könne schweigen.
Der herrschen könn' und doch gehorsam sich erzeigen,
Ein Mann, der hab' Muth und Herz,
Wisse Maß in Ernst und Scherz?

Er antwortete: ja, er habe das alles gethan; wisse, verstehe und könne es auch alles.

Ob er in der Welt auch gereist wäre? – Ja, sagte er, er wäre an der Welt Ende gewesen. – Wo denn der Welt Ende sei? – Er sprach: sechs Meilen oberhalb Straßburg, da läge die letzte Stadt (Schlettstadt): allda habe er gesehen den Himmel auf den Bergen liegen und die Sonne plötzlich verschluckt werden.

Ob er denn noch mehr Städte gesehen habe außer der letzten Stadt und derjenigen, in der er geboren wäre? – Darauf antwortete er: ja, ja, er hatte unzählig viel andere Städte und Länder gesehen, wie Paris, Florenz, Rom, Neapel, Venedig, Genua, Calais, London, Mailand, Kairo, Aden, Aleppo, Ouisai, Astrachan, Krakau, Constantinopel, Toledo, Madrid, Sevilla, Lissabon, Goa, Pernambuco, Panama, Cuzco, auch Jerusalem, wie es zur Zeit des Heilandes aller Welt gestanden habe.

»Das sind, sprach Hans Thurnmeier, herrliche Städte und Länder, wie kommt es aber, daß ihr von Deutschland nichts meldet? Seid ihr ein geborner Deutscher und solltet Deutschland nicht zu allererst durchzogen haben? Es ist ja thöricht und unverantwortlich für einen Deutschen, daß er in fremde Lande mit großen Kosten und oftmals ins Verderben zieht und sein eigen Vaterland und seine Muttersprache hintenan setzt, als ob man sich deren schämen müßte. Das sollte bei keinem Deutschen sein: sondern vor allen Dingen soll er die deutsche Sprache lernen, wissen und hoch erheben und die deutschen Lande durchzogen haben, ehe er sich in fremde Lande begiebt; und wenn er sich je in fremde Lande begeben will, soll er seine Bildung soweit gebracht haben, daß er vollkommen sei und seiner selbst so sehr mächtig, daß die ausländischen Schmeicheleien ihn nicht mehr von dem Studiren abhalten oder gar abfallen machen können: was vielen geschehen ist, die in fremde Lande geflogen sind, ehe ihnen die Federn recht gewachsen waren und hernach als junge Vögel, die noch nicht flügge waren, zu Boden gefallen und da in den Lastern liegen geblieben und verdorben sind. Es sollen auch diejenigen, welche in fremde Lande reisen, zusehen, daß sie einen redlichen Namen, vor allen Dingen aber beständige Treue und Liebe dem Vaterlande erhalten.«

»O ja, meine verehrten Herren! so meine ich es auch. Ich habe Deutschland mit seinen Städten auch gesehen: Straßburg, Nürnberg, Ulm, Regensburg, Stettin, Lübeck, Danzig, Amsterdam, Altorf und mehrere andere, die ich nicht weiß, und wie ich gesagt habe, ich war bis an der Welt Ende.«

Die Herren sahen sich untereinander an; und da der gute Gesell den Bart nicht danach hatte und viel zu jung war, daß er diese Orte alle sollte durchstrichen haben, fragte Freymund: »Wo habt ihr diese schönen Länder und Städte und zu welcher Zeit habt ihr sie gesehen?« »Ich bin, sagte er, vergangene Ostermesse eines Nachmittags zu Frankfurt in der Büchergasse spazieren gegangen, da habe ich diese Städte alle an einer langen Schnur der Reihe nach hängen sehen nebst vielen andern so über alle Maßen schön, daß ich nicht glaube, ein Kerl auf der Welt habe dergleichen sonstwo gesehen wie ich.« – – Da hätte man hören sollen, wie etliches Gesindel, das von ferne stand und horchte, sich zerlachte, daß sie sich die Hosen mit beiden Händen halten mußten, was der arme unschuldige Mutius Jungfisch gleichfalls bemerkte, und er erschrak wie einer der verrückt ist.

Doch da er bei uns den Anschein erweckt hatte, daß er vielmehr aus Einfalt als aus Bosheit geantwortet hätte, so wurde ihm erlaubt, weil ihm däuchte, man wäre ihm viel zu genau auf der Haube, daß er sein Begehren schriftlich und in lateinischer Sprache einreichen dürfe, woraus man denn seine Beanlagung leichter verspüren könne. Er durfte demnach auf besondere Vergünstigung ein wenig bei Seite gehen, wo er die folgende Schrift (die er zuvor schon auf dem Kornspeicher seiner Ungeschicklichkeit im Vorrath aufgeschüttet hatte) Hans Thurnmeier übergab und daneben etliche Thaler heimlich mit unterstecken wollte, auf daß er einen gnädigen Herren finden möchte. Das nahm der Alte wahr und mit Lachen sprach er zu uns: »Der gute Gesell meint, es gehe hier mit Geschenken zu, wie es bei einigen auf der Welt zu sein pflegt. Diese Geschichte kommt mir vor wie jene, die neulich geschehen ist: Zwei Priester wollten eine Pfarre haben, von denen der erste wohlgelehrt, der andere aber ein Tölpel war. Als es nun zum Examen kam, wurde der erste gefragt, ob er die Schrift verstehe? Er glaube, etwas, sagte er. Wer denn Melchisedeks Vater gewesen sei? Antwort: er wüßte es nicht. Da mußte er abziehen, wie geschickt er auch sonst war. Der andere, ebenfalls gefragt, ob er die Schrift verstünde? antwortete frisch und unverschämt hinein wie einer, der das Unentbehrliche in der Faust hatte: freilich, gar wohl. Wer ist denn Melchisedeks Vater gewesen? Bei dieser Frage steckte der Herr Pfarrer dem Herrn Abt eine Hand voll Thaler zu und sagte ihm heimlich etwas ins Ohr. Ja, ja, sprach der Herr Abt, er weiß es, wer Melchisedeks Vater gewesen ist und thut sehr weise, daß er es mir in ein Ohr sagt, damit es andere nicht verstehen sollen.« »Ja, sprach Freymund, so geht es auf Erden: ein Armer redet weise und wird doch weder gehört noch angesehen; ein stolzer Esel wird herangezogen, geehrt, gehört und gelobt, weil er Geld hat.« Hans Thurnmeier und wir mußten alle darüber lachen. Nun aber wurde die überreichte Schrift genommen, die lautete also: Erlauchte, hochachtbare, edle Herren!

Möchte ich alle eure Titel kennen! Ich bitte euch mir zu gewähren, um was ich bitte. Denn ich bekenne euch, daß ich niemals in Padua studirt habe, daher verstehe ich auch nicht alle Regeln der Ceremonie; wenn ich euch ›hochgelehrte Herren‹ tituliren würde, so glaube ich, würde es das beste Mittel sein, euch meine Ergebenheit zu beweisen. Denn wenn ich mich nicht täusche, so sehe ich unter dieser edlen Versammlung einen von unsrer edlen und alten Universität Paris. Ich nenne euch also ›hochgelehrte, hochachtbare, aus dem gesammten Gelehrtenstande auserlesene Herren‹ und möchte euch vieles vortragen, was in niederländischer Sprache nicht genügend kann ausgedrückt werden, sondern nur in lateinischer. Denn wir, die wir vor allem auf der gefeierten Universität Paris studirten und mehr verstehen als das Volk, haben manches Geheimnis, das minder Gelehrte nicht begreifen können. Allein damit ihr wißt, was mein Schreiben will: ihr habt die Aufgabe einen Secretär zu wählen nach eurem Belieben, er muß nur ein Gelehrter und ein Deutscher sein. Nehmt daher mich: denn, behaupte ich, unter den Franzosen giebt es solche nicht, auch nicht unter den Oberdeutschen, denn diese sind große Ketzer, von denen unser Papst Urban VIII. sagt: sie werden zur Hölle verdammt sein und ihre Seele wird zum Lohn den Teufeln übergeben. Ich bin ein Flandrer, gebürtig aus Weinochsberg und wahrhaftiger Vetter des erlauchten Herrn Desponterius, der die ganze Welt mit seiner heiligen Grammatik erfüllt hat, und niemals werde ich mein Vaterland oder meine Vetterschaft verläugnen. Aber wenn die Wahl auf mich fiele, wahrlich, es wäre für mich und die Meinigen ein Glück; und ich bitte euch mir eure Stimmen zu geben. Ich kann Tod, Hunger, Feuer, Verluste ertragen; nichts angenehmeres und dankbareres könnt ihr meinem Volke erweisen.

Ich hatte mich vorbereitet euch viel schönes zu sagen, aber ich werde gezwungen, das Schwert meiner Latinität in die Scheide zu stecken, das ich zücken wollte gegen die, welche über mich ich weiß nicht was unter das Volk ausstreuen: was ich weder selbst glaube noch euch rathe zu glauben. Denn wahrhaftig! ich fürchte weder Donner noch Blitz und Regen, weder Winter, Kälte noch Hitze, weder Schlachten noch Heere. Aber ich will davon schweigen, da ich niemals zuweit voraussehe und vorausdenke. Ich erinnere mich indessen, daß ich zur Zeit, als ich in Paris war, ich weiß nicht unter welchem Rector, vor der Versammlung fünf Proteste oder Probleme zur Disputation aufgestellt habe, die alle Bezug hatten auf die hochachtbare Commission zur Erwählung der Secretäre; und ich habe alles gethan, was ich konnte und will es in Ewigkeit thun, auch wenn ich müßte meine Seele dem Teufel übergeben. Lebt wohl!

Euer Gnaden
        unterthänigster Diener
                Mutius Jungfisch.

Und auf dem Umschlag standen diese Worte:

                Bittschrift
des Mutius Jungfisch, Niederländers, gebürtig aus Weinochsberg.

Als Hans Thurnmeier das Schreiben von dem Herrn Mutius empfangen hatte und aus zwei Zeilen vermerkte, was es enthielt, steckte er es in den Sack, damit dem Kerl abgeholfen würde.

Er wurde nun weiter befragt, da er in Paris gewesen wäre: wie es jetzt daselbst beschaffen sei, was für Gelehrte er gehört, wie das Collegium bestellt sei, ob er die in aller Welt gelehrtesten Grotius, Rigaltius, Bertius, Salmasius, Pacius, Merillus, Gotofredus auch angesprochen habe? – Er antwortete: er hätte sie alle gesehen, aber keinen gehört, sie auch angesprochen und allemal, wenn sie ihm begegnet wären, mit Hutabziehen begrüßt; hätte es ihnen angesehen, es müßten geschickte Leute sein, wie ihm andere gesagt hätten; er wollte nicht eine große Summe dafür nehmen, daß er sie nicht gesehen, sie hätten sich auch in sein Stammbuch geschrieben, und er könnte eines jeden Haus auch blindlings finden. Die Akademie habe er auch gesehen, aber nicht darin gehört, doch sie stehe sicher auf festem Lande, habe am Eingange ein schönes großes Thor, darüber stehe mit goldenen Buchstaben › huc boni‹, was er sein Lebelang nicht vergessen werde, denn es fasse viel in sich. Die Disputirenden sitzen nicht wie anderswo, sie reden auch das Latein anders und sprechen ein g und j wie sch.

Freymund fragte: ob er denn nichts anderes, was dem Vaterlande nützen könnte, gelernt und gemerkt hätte? »Ja freilich, antwortete Mutius: ich habe die allerschönsten Nesteln machen sehen von allerhand prächtigen Farben, daß es eine Lust ist zu sehen; man trägt jetzt nicht viel Taffetnesteln mehr, sondern Atlasbänder von allerhand bunten Farben so artig gemacht, daß es eine Lust ist. Auch tragen die Deutschen daselbst sehr lange Degen, welche an schuhbreiten langen ledernen Gehängen auf dem Boden nachrasseln und so dem Feind eine rechte Furcht einjagen, daß mancher davor schon flieht und entläuft. Man macht die Ceremonien jetzt gar artig und zieht den Hut überzwerch ab mit sonderlicher Zierde wie die Kappen. Man trägt mächtig breite Stiefel, auch wenn man nicht reitet; das geschieht deshalb, daß man lerne die Schenkel fein von einander setzen und nicht hineintrete wie die zimperlichen Jungfrauen. Zu Paris baden Mann und Weib in dem öffentlichen Wasser zur Sommerzeit beieinander, und der Junggesell darf kein Badekleid vorthun. Ich habe auch gesehen, daß einer Tabak mit Wein eingesogen und lange hernach den Dampf zur Nase wieder ausgelassen hat. Ich habe einen sehen hängen, aber an einem sehr langen Strick, nicht so kurz wie in Deutschland; man tanzt herum und sie heben sich dabei mit den Händen, Mann und Weib, in einer Reihe u. s. w. u. s. w.«

»Daß es Gott erbarm! sprach der Alte: wie wird das deutsche Geld so übel angelegt! Wonach sieht doch die elende Jugend! Warum schickt man sie denn so roh hinaus, da sie doch die Ursache und den Zweck ihres Reisens nicht verstehen!« Freymund fragte ihn weiter: ob er nicht über die Kunst des Zechens habe disputiren hören? »Ja, sprach er, nach dem Rath der Mediciner habe ich gelernt das beste Wirthshaus zu besuchen: aus dem Grunde, weil es besser sei, das Geld in gutem Wein zu vertrinken als es dem Doctor zu geben und noch dazu hinken oder gar zu Bett liegen zu müssen. Denn es heißt übel gespart, wenn man an seinem Leibe kargt, und hernach dem Arzt muß in den Säckel bohnen.«

Er hatte auch als besondere Rarität ein Wirthshausverzeichnis schriftlich bekommen, das er uns vorwies; das wollte er nicht um viel Geld zurücklassen. Da waren:

Der Tannenzapfen. Guter Wein. Schönes Mädchen.

Der kleine Teufel. Guter Wein.

Der Dickkopf. Gut.

Der Spierlingsbaum. Gut, gut: daran ist mein Herr gestorben.

Zu den drei Schlägeln. Gut. Das wohlverdiente Wirthshaus benannt. Donna Olympia. Gut.

Der Königsadler in der Vorstadt St. Germain. Gut.

Der heilige Martin. Gut.

Zum Thaler.

Zum eisernen Kreuz. Guter Wein. Schönes Mädchen.

Zur Stadt La Rochelle. Sehr höflich.

Zur Galeere.

Zum tapfern Roland. Gut.

Zu den guten Gesellen. Guter Wein.

Zum heiligen Antonius. Gut.

Zu den Fackeln.

Zum Friedhof. Gut.

Zu den drei Trichtern. Guter Wein.

Expertus Robertus wollte ihn, weil er sah, was zu dem Kerl war, noch mehr anregen und fragte ihn deshalb, was für Weine er denn nach Rath der Herren Aerzte getrunken habe? – Er sprach: Wein von Orleans, von Aix, von Rueil, von Burgund, von Beaune. »Aber alle Weine, welche in Spanien für herrlich gehalten werden: vino de Malaga, Ripadavia, vino Torrente, vino de Schivias Tinto vino de la mãcha, vino de vino u. a. sind nichts gegen den andern und nur Sackträger-Weine (wiewohl die Sackträger nicht gern den schlechtesten, sondern allzeit den besten trinken: denn was den Buckel juckt, billig das die Gurgel wieder verschluckt): auch die italienischen Weine gleichen dem nicht; es ist Narrenwerk, daß Rom seinen süßen Albaner, Lacrimä Christi, Chiarello, Belvedèrer und Genzaner rühmt; es ist nichts als geringe Sorte, wovon der Schoppen acht Pfennige kostet, wenn man ihn gegen den Wein von Beaune hält – der Muskateller de Monte Feascon, der aus Orvieta, der Montcaler von Piemont, der Malvasier von Creta, der Muskat aus Frontignau und Rivesaltes, der Grave aus Gascogne ist alles nichts gegen den Wein von Beaune. Von den Weinen in Deutschland aber, die ich vor eurer Hochgelahrtheit nicht verachten will, sind der Klingenberger, der Neckarwein, Veltliner, Rheinfall, Reichenweirer, Barrer, Reichsfelder, Hambacher, Türkheimer, Wachenheimer, Herrheimer, Diedesheimer, Wickerer, Hochheimer, Ringgauer, Rüdesheimer, Laubenheimer, Jakobsberger, Bacharacher und Dreckshäuser sehr gut; aber doch so gut nicht wie der Wein von Ham, der hämische Wein an der Mosel, so daß man nicht unbillig sagt: die Leute sind unsterblich, solange sie Moselwein trinken.«

Obwohl nun dieses Gespräch verdächtig und seiner Stellenbewerbung hinderlich war, weil man daraus sah, daß er vielmehr die Weinhäuser, als gelehrte Leute und Collegien besucht hatte, so hat man es dennoch passiren lassen, weil es nicht schadet viel zu wissen, wenn man's nur nicht mißbraucht, und noch das dazu lernt, was zu lernen nöthig ist.

Da er nun betreffs des Weines, betreffs der Tugend nichts wußte, so fragte Hans Thurnmeier zum Beschluß, ob er auch doctorirt habe? – Er hatte schon die Antwort, ehe er gefragt war, fertig auf der Zunge und das erste Wort zwischen den Lippen, das er würde ausgesprochen haben, wenn ihm Freymund nicht einen unfreundlichen Blick zugeworfen hätte, worüber er so erschrak, daß ihm die Seele schwitzte, ihm dunkel vor den Augen wurde und alle Sinne schwanden, auch in Sorgen stand, er möchte todt zu Boden niedersinken, wie der Franzose vorhin, weswegen ich mich schon auf eine Grabschrift bedacht hatte; er konnte sich auch schwerlich wieder erholen. Expertus Robertus zog einen welschen Zettel unter dem Rock hervor und gab ihn dem Herrn Mutius, damit er diesmal mit demselben nach Hause ziehe, und wenn er ihn verstehen gelernt habe, wieder komme und sich um das begehrte Amt, mit welchem es so große Eile noch nicht hätte, anmelde. Auf dem Zettel aber standen folgende Worte:

Chemische Mittel, um die Krankheiten des Dünkels zu heilen.

Ein Fürst muß vor allen andern drei Personen wählen:

1) Einen Hohenpriester, um durch ihn alle Tage den Mund des Herren fragen zu lassen, auf daß er nichts gegen seine Gebote thue. Eines solchen Mannes bedienen sich heute weder der Grieche, noch Jude, noch Römer; dennoch aber sollte man wissen, ob er ein glühendes Verlangen im Herzen trage, das Reich Christi fortschreiten zu sehen.

2) Sodann bedarf er eines Rathes, eines Staatsmannes, gleich groß an Klugheit und Voraussicht, welcher mehr Geschichte als Philosophie versteht. Denn wisse, daß nie ein Pedant geeignet ist zu dem Amt die Geister und die Staatsgeschäfte zu lenken; aber der Kluge und Weise unterscheidet zwischen der Zeit der Ruhe und der Zeit der Arbeit: erräth durch seinen weiten und tiefen Blick die Pläne der Feinde und sieht kraft seiner Erfahrung das Ende seiner Unternehmungen voraus.

3) Bedarf er eines Kriegsmannes, der sowohl Soldat als Feldherr ist: der Feldherr allein ist da um zu befehlen, ohne sich selbst gehorchen zu müssen; der Soldat hat starke Arme, aber keinen Kopf.

4) Der unfehlbarste Staatsstreich eines Fürsten besteht darin: heranzuziehen alles, was er gutes in seinem Volke finden kann, alle Männer von Wissen und Gewissen, und sie anzuhalten, ihren Charakter und ihre Dienste dem öffentlichen Wohl zu widmen zur Erhaltung des Vaterlandes.

Mit diesem Zettel ging er zur Burg hinaus in das nächste Dorf, wo er seine Stiefel wieder auszog (die er daselbst vorhin, ohne ein Pferd bestiegen zu haben, nur des Cavalier- und akademischen Anstandes wegen angezogen hatte) und zu Fuß in seiner Mutter Haus zurückstampfte. »Das heißt, sprach Expertus Robertus, so recht den Esel waschen, wenn man den Mutius solche Dinge fragen wollte, der sein Lebtag keinen höheren Thurm gesehen hat, als den, worin er getauft worden und dessen weiteste Reise, die er gethan hat, diejenige ist, als er aus seiner Mutter Leib ging. Ist das nicht zu erbarmen! sprach er nochmals. Mein Gott und Herr, wie elende Menschen sind wir doch! Wie unachtsam gehen wir dahin, eben als ob weder Gott noch Himmel, weder Hölle noch Teufel wäre; und wie die sichern Weltkinder in der Reise und Pilgerfahrt ihres Lebens die meiste Zeit, die besten Jahre, die herrlichsten Gelegenheiten nur mit Tand hinbringen, mit Eitelkeit verzehren und hinbringen zu ihrem zeitlichen und ewigen Verderben: ebenso macht es unsere unbedachtsame Jugend meist auf ihren welschen Reisen, die sie mit Tand, mit unnützen Dingen und Possen hinbringen, welche hier zu erzählen ich mich schämen würde; z. B. eine weiße Mauer abreißen, ein schönes Thor beschauen, allerhand Farben von Nesteln, Formen von Schuhen, von Barten, Mänteln, Hosen, Wämmsern, von Geberden, Gestalt und Wesen. Den rechten Nutzen aber, den sie und das Vaterland zu gewärtigen haben sollten, bringen sie nicht nach Hause, ja denken nicht einmal an denselben.

Gott wolle deutsche Helden erwecken, die dem unmäßigen Reisen in fremde Lande ihre Zeit und ihr Maß setzen, damit das Vaterland sich der Jugend künftig besser zu erfreuen und zu getrösten habe! Ja, die verordnen, daß die redlichen deutschen Jünglinge die fremden Sprachen im Vaterland lernen und hernach ihre Reise, als wenn sie durch das Feuer laufen müßten, eilig fortsetzen, damit sie von den welschen Lastern, insonderheit von der heidnischen Abgötterei, ich meine den welschen Atheismus, nicht angesteckt werden.


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