Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Stanway-Kamee.

Es ist eine ganze Reihe von Jahren her, seit der Verlust der berühmten Stanway-Kamee großes Aufsehen erregte, und der einzige, der ein Interesse daran hatte, die wahren Tatsachen geheimzuhalten, ist vor längerer Zeit gestorben, ohne Nachkommen oder Vertraute zu hinterlassen. Es wird daher niemand schaden, wenn der innere Zusammenhang der Geschichte allgemein bekannt gemacht wird, es bietet sich nun im Gegenteil eine willkommene Gelegenheit, Hewitts Ruf als Detektiv zu rechtfertigen, da er damals in den Verdacht geriet, es sei ihm nicht gelungen, den Schleier des Geheimnisses, der den Fall umgab, zu lüften. Jetzt noch hört man häufig, wie die Kenner von Antiken sich darüber erregen, ob die wunderbare Kamee – die so plötzlich entdeckt und so schnell gestohlen wurde – wohl je wieder ans Tageslicht kommen wird. Es braucht diese Frage nicht mehr gestellt zu werden.

Wie man sich noch aus den vielen damals veröffentlichten Beschreibungen erinnert, war die Kamee die schönste, die man je gesehen hatte. Es war ein Sardonyx, der aus drei Schichten bestand, und so war dem Künstler die selten gelöste Aufgabe gelungen, drei verschiedene Farben durch die drei übereinander liegenden Schichten hervorzubringen. Die unterste Schicht war als Untergrund benützt, auf dem sich die zweite als Basrelief und die dritte als Hochrelief erhob. Auch die Größe war für eine Kamee erstaunlich – sie war 10 Zentimeter hoch und 12½ Zentimeter breit. Das dargestellte Sujet war dem der berühmten Gonzaga-Kamee sehr ähnlich, die jetzt im Besitz des Zaren ist – es war ein männlicher und ein weiblicher Kopf mit kaiserlichen Abzeichen, und man nahm an, daß die Köpfe Tiberius Claudius und Messalina darstellten. Kenner hielten sie für eine Arbeit des Athenion, eines berühmten Steinschneiders des ersten Jahrhunderts nach Christus, dessen beste jetzt noch vorhandene Arbeit eine kleinere Kamee mit einem mythologischen Sujet ist, die sich in den Sammlungen des Vatikans in Rom befindet.

Die Stanway-Kamee war von einem jener reisenden Agenten, die ganz Europa nach Antiquitäten und Kunstwerken durchjagen, in einem ganz kleinen, unbekannten italienischen Dörfchen entdeckt worden. Er hatte sich sofort nach London begeben und dort seinen Fund an Herrn Claridge, einen hervorragenden Kunst- und Antiquitätenhändler, verkauft.

Herr Claridge, der die Bedeutung und den Wert der Sache sogleich erkannte, nahm jede Gelegenheit wahr, die Nachricht von der Existenz der Kamee zu verbreiten, und bald war die Claudius-Kamee, wie sie damals genannt wurde, bekannter als irgend eine andere. Viele Kenner besichtigten sie und machten hohe Angebote. Schließlich kaufte sie Lord Stanway für 100 000 Mark mit der Absicht, sie dem Britischen Museum zu schenken. Der Lord behielt die Kamee einige Tage bei sich zu Hause, um sie seinen Freunden zu zeigen, und gab sie dann Herrn Claridge, der sie vor der Uebergabe an das Museum gründlich reinigen sollte. Zwei Tage später wurde bei Claridge Einbruch verübt und die Kamee wurde gestohlen.

Das war im großen ganzen die bekannte Geschichte der Stanway-Kamee. Die genaueren Umstände des Einbruches waren die folgenden: Claridge hatte das Geschäft als letzter um acht Uhr abends verlassen und die Tür wie immer verschlossen. Sein Gehilfe, Herr Cutler, war schon eine Stunde früher gegangen. Als Herr Claridge ging, war alles in Ordnung, ein Schutzmann stand wie immer vor dem Hause; er hatte die ganze Nacht nichts Verdächtiges gesehen, seine Ablösung auch nicht.

Als aber Herr Cutler, der Gehilfe, morgens etwas nach neun als erster ins Geschäft kam, bemerkte er sogleich, daß etwas vorgefallen war. Die Ladentür, von der er einen Schlüssel hatte, war noch geschlossen und unberührt, aber in dem Zimmer hinter dem Laden fand er Herrn Claridges Sekretär erbrochen und seinen Inhalt auf dem Boden zerstreut. Die Tür, die von dort ins Treppenhaus führte, war ebenfalls aufgesprengt. Oben auf der Treppe sah Herr Cutler eine andere Tür offen, die in eine Bodenkammer führte; diese war einfach durch Abschrauben des Schlosses, das sich auf der Innenseite befand, geöffnet worden. In der Decke dieser Bodenkammer war eine Falltür; diese stand acht oder zehn Zentimeter weit offen, wobei die eine Seite sich auf den halb losgerissenen Riegel stützte, der gesprengt worden war, als die Tür von außen aufgebrochen wurde.

Dies war also augenscheinlich der Weg des – oder der Diebe. Sie waren durch die Falltür eingedrungen, hatten die andern beiden Türen erbrochen und dann den Sekretär geplündert. Herr Cutler sagte später, daß er im Augenblick noch nicht gewußt hätte, was gestohlen worden, da ihm unbekannt war, wo die Kamee sich befunden hatte. Herr Claridge hatte das Reinigen selbst übernommen und war noch daran, als sein Gehilfe am vorhergehenden Abend fortging.

Als aber Herr Claridge um zehn kam, war kein Zweifel mehr möglich – die Kamee war fort. Herr Claridge, außer sich über den Verlust, und seine Achtlosigkeit und seinen Leichtsinn verwünschend, erklärte in unzusammenhängenden Worten, daß er das kostbare Ding nur in seinen Sekretär eingeschlossen habe, weil er am vorhergehenden Abend sehr müde gewesen sei und sich nicht die Mühe hätte nehmen mögen, den Geldschrank, der in einem anderen Teil des Hauses war, noch einmal aufzuschließen.

Natürlich wurde sofort nach der Polizei geschickt, und Herr Claridge setzte eine Belohnung von zehntausend Mark aus. Der Fall stand in allen Abendzeitungen ausführlich beschrieben, und nach einigen Stunden war die ganze Welt von dem Verlust der Stanway-Kamee unterrichtet, jedermann regte sich über den frechen Diebstahl auf, und viele Leute, die sicher nur sehr unbestimmte Ideen davon hatten, was eine Sardonyxkamee eigentlich ist, besprachen die Möglichkeiten, wie die Kamee wieder zu erlangen sei.

Am Nachmittag desselben Tages kam Lord Stanway zu Martin Hewitt. Der Lord war ein großer, schlanker Mann mit raschen Bewegungen, als Mitglied wissenschaftlicher Gesellschaften und Protektor der Künste allgemein bekannt. Er eilte in Hewitts Zimmer fast gleichzeitig mit dem anmeldenden Diener und kam nach einer kurzen Begrüßung sofort auf seine Sache zu sprechen.

Wahrscheinlich wissen Sie schon, was ich von Ihnen will, Herr Hewitt. Sie haben doch wohl die Abendzeitung schon gelesen? Gut, dann brauche ich Ihnen nichts weiter zu sagen. Meine Kamee ist fort und ich möchte sie um jeden Preis wieder haben. Natürlich ist die Polizei bei der Arbeit, aber ich bin nicht sehr befriedigt. Ich war zwei oder drei Stunden mit im Geschäft von Claridge und sehe nicht, daß die Leute mehr davon verstehen als ich selbst, und dann ist es für die Polizei – was für ihren Standpunkt ja natürlich und selbstverständlich ist – die Hauptsache, den Verbrecher zu finden, und die Bemühung, mein Eigentum wieder zu erlangen, kommt für sie erst in zweiter Reihe. Aber von meinem Standpunkt aus bleibt mein Eigentum die Hauptsache. Natürlich möchte ich, daß der Dieb, wenn irgend möglich, gefunden und bestraft wird; aber meine Kamee ist mir bedeutend wichtiger.

Natürlich, das ist ein großer Verlust, 100 000 Mark!

Bitte, mißverstehen Sie mich nicht. Es ist mir nicht um den Geldwert zu tun. Dafür bin ich sogar schon schadlos gehalten. Claridge hat sich überaus ehrenwert – mehr als ehrenwert benommen. Es war wahrhaftig die erste Mitteilung von dem Verlust, daß er mir einen Scheck über 100 000 Mark sendete und mir schrieb, die Rückgabe des Geldes sei das wenigste, was er tun könne, um die Folgen seines unverzeihlichen Leichtsinns wieder gutzumachen. Gesetzlich könnte ich doch wohl kaum etwas verlangen, wenn ich nicht beweisen könnte, daß er seine Pflicht, das Ding vor Diebstahl zu schützen, gröblich vernachlässigt hätte.

Dann nehme ich also an, Lord Stanway, sagte Hewitt, daß Sie die Kamee dem Geld bei weitem vorziehen?

Sicherlich; sonst hätte ich doch nie das Geld dafür bezahlt. Es war ja ein enormer Preis, weit höher als der Marktwert selbst für solch kostbares Objekt ist; aber es lag mir ganz besonders viel daran, daß es nicht aus dem Lande käme. Unsere öffentlichen Sammlungen sind in dieser Art Arbeit nicht sehr gut versehen. Kurz, ich wollte nun einmal die Kamee haben und bin in der glücklichen Lage, zwanzigtausend Mark mehr in solchem Falle als kein Hindernis ansehen zu müssen. Also Sie sehen, es ist mir nicht um den Wert der Sache zu tun, sondern um die Sache selbst. Ich finde eigentlich sogar, daß ich das Geld, das Claridge mir geschickt hat, nicht behalten kann – die Angelegenheit ist doch mehr sein Unglück als sein Fehler. Aber ich will vorläufig noch nichts von Rückgabe sagen; vielleicht hat es den Erfolg, daß energischer gesucht wird.

Ja, gewiß. Sie wünschen wohl, daß ich den Fall unabhängig, in Ihrem Auftrag, prüfe?

Das ist mein Wunsch. Ich möchte, daß Sie sich, wenn möglich, ganz auf meinen Standpunkt stellten und es einzig und allein zu Ihrem Zweck machten, die Kamee zu finden. Wenn es Ihnen gleichzeitig gelingt, den Dieb zu entdecken, so ist es natürlich um so besser. Vielleicht ist es übrigens ganz dasselbe, nach welchem von beiden man auch sucht.

Nicht immer, aber natürlich meistens – selbst wenn sie nicht mehr zusammen sind, waren sie es doch einmal, und wenn man eines hat, ist man dem anderen ein gutes Stück näher. Also, um anzufangen, steht irgend jemand unter Verdacht?

Die Polizei ist sehr reserviert; ich persönlich glaube allerdings, sie hat nichts zu sagen. Claridge gibt nicht zu, daß er jemand verdächtigt, obgleich er annimmt, daß der Dieb ihn gestern durch das Hinterfenster beobachtet haben muß und gesehen hat, wie er die Kamee in den Sekretär schloß; denn der Dieb scheint direkt auf den Sekretär losgegangen zu sein. Ich glaube aber, daß er im innersten Herzen einen oder zwei im Verdacht hat. Sehen Sie, ein Diebstahl dieser Art ist doch etwas Besonderes. Ich kann mir nicht denken, daß die Kamee gestohlen wurde, um wieder verkauft zu werden – dazu ist sie viel zu berühmt. Man könnte ja ebensogut den Tower zum Verkauf anbieten. Kein Händler würde die Kamee nehmen; er könnte sie ja nie zeigen, wie viel weniger also verkaufen, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Es ist also viel wahrscheinlicher, daß sie jemand genommen hat, der sie aus Liebhaberei besitzen will – also ein Sammler, der sie im Geheimen zu Hause aufbewahren müßte und sie nie einer Seele zeigen könnte, und der wohl weiß, daß bei seinem Tode der Diebstahl bekannt werden muß. Oder es kann nur ein ganz gewöhnlicher Einbrecher gewesen sein, der die Kamee genommen hat, ohne ihren Wert zu kennen.

Das ist nicht wahrscheinlich, antwortete Hewitt. Ein gewöhnlicher Einbrecher wäre nicht direkt auf die Kamee losgegangen und hätte sie nicht den anderen, anscheinend kostbareren Dingen vorgezogen, die in einem Geschäft wie dem Claridges leicht zu finden gewesen wären.

Das ist wahr; ich glaube. Sie haben recht, obgleich die Polizei zu denken scheint, daß bei Einbruch ganz sichtlich von einem Verbrecher ausgeführt sei … Sie sehen es an den Spuren des Brecheisens und so weiter.

Hm. Aber wer sind die beiden, die Herr Claridge im Verdacht hat?

Gott, ich kann natürlich nicht sagen, daß er sie verdächtigt – ich habe mir das nur auf seinen Tonfall hin eingebildet; er selbst versichert, daß er gerechterweise niemand verdächtigen kann. Einer von beiden ist Hahn, der Agent, der ihm die Kamee verkaufte. Sein Charakter scheint nicht ganz einwandfrei zu sein – kein Händler traut ihm über den Weg. Natürlich sagt Claridge nicht, was er ihm für die Kamee bezahlt hat – diese Händler verheimlichen ihren Verdienst stets – ich glaube, er beträgt oft fünfhundert Prozent.

Aber dieser Hahn – fuhr Lord Stanway fort – hatte sich anscheinend noch einen Extraanteil ausbedungen, dessen Höhe sich nach der Verkaufssumme des Sardonyx richtet. Laut Verabredung sollte er heute früh bei Claridge vorsprechen, aber er ist nicht gekommen, und niemand weiß, wo er ist.

Schön; und die andere Persönlichkeit?

Ja, es ist mir eigentlich sehr peinlich, sie zu nennen, denn es ist sicher ein Gentleman und im alltäglichen Leben ganz unfähig, etwas auch nur im kleinsten Grade Unrechtes zu tun; aber man sagt nun mal, ein Sammler habe, sobald sein Steckenpferd in Frage kommt, kein Gewissen! Woollett ist wahrhaftig ein Sammler, wie er im Buche steht. Er hat in der nächsten Querstraße von dem Haus Claridges eine Junggesellenwohnung und kann Claridge ins Hinterzimmer sehen, wann er will. Er besichtigte die Kamee mehrere Male, ehe ich sie erstand, und machte einige hohe Angebote darauf – kurz, er schien wirklich sehr geneigt, sie zu kaufen. Nachdem ich sie genommen hatte, machte er, wie ich hörte, ein paar sehr abfällige Bemerkungen über »Leute, die durch extravagante Preise den Markt verderben« und war sehr verdrießlich, daß ihm das Stück entgangen war. Lord Stanway hielt einen Augenblick inne, ehe er fortfuhr: Es erscheint mir sehr unrecht, Herrn Woolletts Namen in diesem Zusammenhang zu erwähnen, denn ich persönlich bin überzeugt, daß er ebenso unfähig wäre, einen Diebstahl auszuführen, wie ich selbst; aber ich möchte Ihnen alles sagen, was ich selbst weiß.

Ganz recht. In solchem Fall kann ich nie genug wissen; selbst wenn ich dabei über fünfzig unschuldige Leute unterrichtet werde, so schadet das ja nichts. Nun, sagten Sie nicht, daß sich Herrn Woolletts Wohnung in der Nähe von Herrn Claridges Geschäft befindet? Besteht vielleicht zwischen den Dächern irgendwelche Verbindung?

Ja, man sagt mir, daß es sehr gut möglich sei, die Dächer entlang von einem Haus zum anderen zu gehen.

Ausgezeichnet! Wenn Sie nun keine weiteren Informationen für mich haben, Lord Stanway, so möchte ich hingehen und mir den Schauplatz ansehen.

Ja bitte, tun Sie das nur. Ich werde mit Ihnen gehen. Es ist komisch, ich möchte nicht müßig in dieser Sache sein, obgleich ich überzeugt bin, daß ich nicht viel tun kann. Und weitere Informationen? Ich kann Ihnen keine geben.

Was wissen Sie von Claridges Gehilfen?

Nur, daß er immer einen sehr anständigen Eindruck machte. Sicher ehrlich – sonst wäre er nicht schon so lange bei Claridge, es liegen da zuviel Kostbarkeiten herum. Außerdem hat er selbst Schlüssel zum Geschäft, hätte also nicht nötig, übers Dach zu kommen, wenn er stehlen wollte.

Also, sagte Hewitt, haben wir außer Ihnen selbst, Mylord, drei Leute, die in direktem Zusammenhang mit der Kamee stehen: Herrn Claridge, den Händler, Herrn Cutter, den Gehilfen, und Herrn Woollett, der Angebote auf die Kamee machte. Das sind alle?

Alle, von denen ich wüßte. Natürlich wurden wohl mehr Angebote gemacht, aber ich weiß nicht, von wem.

Wir wollen die Leute mal der Reihe nach ansehen. Claridge steht außer Frage, als Händler, der seinen Ruf zu wahren hat; dies würde auch der Fall sein, wenn er Ihnen nicht sofort die hunderttausend Mark geschickt hätte. Der Gehilfe ist ein gut beleumundeter Mann, der nicht einzubrechen brauchte, der sein Geschäft genau genug kennen muß, um zu wissen, daß er nie wagen dürfte, den Stein zu verkaufen, ohne sofort entdeckt zu werden. Hahn ist ein dunkler Ehrenmann, wahrscheinlich schlau genug, um zu wissen, wo er seinen Raub loswerden könnte – wenn das überhaupt im Bereich der Möglichkeit liegt; außerdem war er heute nicht bei Claridge, obgleich er Geld dort erheben sollte. Endlich ist Herr Woollett, ein Mann von bestem Ruf, aber ein rabiater Sammler, der alle Anstrengungen gemacht hat, die Kamee zu erlangen, ehe Sie sie kauften, der außerdem Herrn Claridge in seinem Arbeitszimmer beobachten konnte und einen sehr leichten Zutritt zu Claridges Dach hat. Wenn wir herausfinden, daß es keiner von diesen war, so müssen wir uns von den anderen Umständen leiten lassen.

Bei Claridge herrschte ungeheure Verwirrung, als Hewitt und sein Klient eintrafen. Das Geschäft lag in einem einförmigen alten Gebäude; neun von zehn Leuten wären an dem Hause achtlos vorübergegangen, aber der zehnte hätte wohl gewußt, daß dies ein weltberühmter Ort sei, wegen der Zahl und des Wertes der Kunstgegenstände, die dort schon beherbergt worden waren.

An diesem Tage standen ein paar Tagediebe neugierig davor. Drinnen sprach Herr Claridge, ein lebhafter, starker kleiner Herr, ernsthaft mit einem dicken Polizei-Inspektor in Uniform, und Herr Cuttler, der die Gelegenheit ergriffen hatte, sich zum dilettierenden Geheimpolizisten zu machen, suchte auf der Erde zwischen altem Porzellan und Waffenstücken herum, in der vergeblichen Hoffnung, einen Schlüssel zum Verbleib der Kamee zu finden.

Herr Claridge kam eifrig auf uns zu:

Das Lederetui ist gefunden worden, Lord Stanway, denken Sie nur!

Leer – natürlich?

Ja, leider. Augenscheinlich hatte es der Dieb zwei oder drei Dächer weit fortgeworfen, und dort hat es die Polizei gefunden. Dies ist natürlich ein Fingerzeig.

So? Dann möchte ich die Meinung dieses Herrn darüber hören, sagte Lord Stanway, sich an Hewitt wendend. Herr Claridge, erlauben Sie, daß ich Sie mit Herrn Martin Hewitt bekannt mache, der so freundlich war, mir sofort zu folgen. Mit der Polizei zur einen und Herrn Hewitt zur anderen Hand werden wir die Kamee sicher wieder bekommen – wenn dies überhaupt möglich ist.

Herr Claridge verbeugte sich und sah Hewitt durch die Brillengläser an. Ich freue mich sehr, daß Herr Hewitt gekommen ist, sagte er. Wenn die Polizei bis morgen nichts gefunden hätte, wollte ich mich auch schon an Sie wenden.

Hewitt verbeugte sich seinerseits und fragte dann: Wollen Sie mich die Einbruchstellen sehen lassen? Ich hoffe, es ist alles unberührt geblieben.

Ja, es ist noch alles, wie es war. Tun Sie ganz, was Ihnen richtig erscheint – ich brauche wohl kaum zu sagen, daß Ihnen alles hier völlig zur Verfügung steht. Sie kennen die näheren Umstände, nicht wahr?

Ja, im allgemeinen. Kann ich den erbrochenen Schubkasten im Sekretär sehen?

Herr Claridge führte ihn in das Zimmer hinter dem Laden. Der Sekretär war eigentlich eine Art Arbeitstisch, dessen Platte sich hochheben ließ, wenn man ihn aufschloß. Die Platte war mit einem Instrumente aufgebrochen worden, das man zwischen Platte und Tisch gestemmt hatte, und der Schnapper des Schlosses war herausgerissen. Hewitt besichtigte die zerstörten Teile und die Spuren des Hebels genau und sah dann aus dem Hinterfenster hinaus.

Es gibt hier mehr Fenster, von denen aus man dies Zimmer übersehen kann, bemerkte er. Kennen Sie die Leute, die die Zimmer innehaben?

Ich kenne zwei oder drei, antwortete Claridge. Aber zwei von den Fenstern gehören zu einem Zimmer, das zu vermieten ist; da kann ein Fremder hereinkommen und zusehen.

Stehen die Dächer über den Fenstern in irgend einer Weise in Verbindung mit Ihrem Dache? fragte Hewitt.

Keins von denen, die gegenüberliegen. Nur die links; dahin kann man den ganzen Weg auf den Dächern gehen.

Und wessen Fenster sind das?

Herr Claridge zögerte. Sie gehören Herrn Woollett, sagte er; er ist ein ausgezeichneter Kunde von mir. Aber er ist ein ehrenwerter Mann – es wäre wirklich absurd, ihn zu verdächtigen.

In solchem Fall, antwortete Hewitt, muß man nichts als das Unmögliche außer acht lassen. Jemand – Herr Woollett oder ein anderer – könnte möglicherweise von dort in dies Zimmer gesehen haben und es auch von dort aus erreichen. Darum müssen wir Herrn Woollett in Betracht ziehen. Ist heute nacht bei einem Ihrer Nachbarn eingebrochen worden? Ich meine, daß Fremde, die an Ihre Falltür gelangen wollten, wahrscheinlich damit anfangen würden, in ein Haus in der Nähe einzubrechen, um auf Ihr Dach zu gelangen.

Nein, antwortete Claridge; nichts dieserart ist passiert. Dessen versicherte sich die Polizei zu allererst.

Hewitt nahm die erbrochene Tür in Augenschein, ging dann, gefolgt von den andern, die Treppe hinauf und untersuchte, oben angelangt, das abgeschraubte Schloß der Bodenkammertür, was nur wenig Zeit beanspruchte. In der Kammer unter der Falltür stand ein staubiger Tisch mit einem Stuhl darauf, und an der untern Seite des Tisches saß Inspektor Plummer von der Geheimpolizei, den Hewitt sehr gut kannte; er wünschte Hewitt »Guten Tag« und fuhr dann fort, sich Notizen zu machen.

Ich nehme an, daß Stuhl und Tisch so gefunden wurden, wie sie jetzt stehen? fragte Hewitt.

Ja, sagte Herr Claridge; ich denke mir, die Diebe ließen sich durch die Falltür hinunter, nachdem sie sie aufgebrochen hatten, und mußten den Stuhl dorthin stellen, um wieder heraufklettern zu können.

Hewitt kroch durch die Falltür und besichtigte die Sache von oben. Die Tür hing in langen, außen angebrachten Angeln und war in ähnlicher Weise wie der Sekretär aufgebrochen worden. Zwischen dem Türrahmen und der Tür in der Nähe des Innenriegels war ein Brecheisen angesetzt worden, mit dem man die Tür aufbrach und den Riegel dabei aus den Schrauben riß.

Jetzt kam Inspektor Plummer, der seine Aufzeichnungen beendigt hatte, Hewitt aufs Dach nach, und die beiden gingen zusammen bis zu dem Fleck am Schornstein, wo das Etui gefunden worden war. Plummer zeigte Hewitt das Etui, das er in seiner Rocktasche hatte, zur Untersuchung.

Ich kann nichts daran entdecken; Sie vielleicht? fragte er. Aber es zeigt uns, in welcher Richtung die Diebe sich entfernten, da wir es gerade hier fanden.

Ja, gewiß, sagte Hewitt. Wenn wir in dieser Richtung weitergingen, kämen wir zum Hause von Herrn Woollett und zu seiner Falltür, nicht wahr?

Der Polizei-Inspektor verzog den Mund, lächelte und zuckte die Achseln. Ja, gewiß, das haben wir auch schon herausgefunden, sagte er.

Na, natürlich. Und wie Sie sagten, ich glaube auch nicht, daß das Etui viel Aufschluß gibt. Es ist so gut wie neu, und es sind gar keine Spuren darauf. Damit gab Hewitt das Etui zurück.

Na, sagte Plummer, das Etui wieder in die Tasche steckend, was ist Ihre Meinung?

Es ist ein eigentümlicher Fall.

Das ist es sicher. Ganz unter uns, ich habe ein wachsames Auge auf den da drüben – Plummer nickte nach der Richtung von Herrn Woolletts Wohnung –, weil der Diebstahl ein so ungewöhnlicher ist. Es gibt nur zwei Motive dafür – den Verkauf der Kamee oder ihren Besitz. Der Verkauf steht, wie Sie wissen, außer Frage, denn es ist nur möglich, sie an solche Leute zu verkaufen, die den Dieb sogleich beim Kragen nehmen würden und die die Kamee jetzt nicht um die Welt besitzen möchten. Also muß sie gestohlen worden sein von jemand, der sie behalten wollte – und so was würden nur solche rabiate Sammler tun – solche Leute wie … Und der Inspektor nickte wieder zu Herrn Woolletts Behausung hinüber. Wenn wir das mit den anderen Umständen in Zusammenhang bringen, fügte er hinzu, so werden Sie zugeben, denke ich, daß es kein Zeitverlust ist, diese Spur zu verfolgen. Allerdings sieht einiges – das Abnehmen des Schlosses u. s. w. – gerade so aus, als wäre ein regelrechter Einbrecher dabei im Spiel; aber es ist doch möglich, daß jemand, der durchaus die Kamee haben wollte, sich einen mietete, der die Arbeit versteht.

Ja, das ist sehr möglich.

Wissen Sie irgend etwas über Hahn, den Agenten? fragte Plummer einen Augenblick darauf.

Nein; haben Sie ihn noch nicht gefunden?

Ich habe ihn noch nicht, aber ich bin ihm auf der Spur. Ich weiß, daß er gestern oder vorgestern im Hauptbahnhof ein Billett für das Festland löste. Das und die Tatsache, daß er sich heute nicht hat sehen lassen, wirft auch ein Licht auf ihn. Er ist nicht der Mann, der ohne Grund sein Geld nicht abholt.

Sie gingen ins Zimmer zurück. Nun, sagte Lord Stanway, was ist der Erfolg der Besichtigung? Wir haben hier ganz geduldig gewartet, während Sie zwei Weise die Angelegenheit auf dem Dache besprachen.

An der Wand, gerade bei der Falltür, hing ein ganz verstaubter alter Hut an einem Haken. Hewitt nahm ihn herunter und betrachtete ihn ganz genau, wobei er seine Finger mit dem Staub der Innenseite beschmutzte. Ist dies eine Ihrer wertvollen Antiken? fragte er Herrn Claridge lächelnd.

Das ist nur ein alter Hut, den ich für schlechtes Wetter hier hängen habe. Ich habe ihn aber wohl über ein Jahr nicht aufgehabt, antwortete Herr Claridge verwundert.

O, dann kann er nicht von Ihrem nächtlichen Besuch hier gelassen worden sein, sagte Hewitt, und hängte den Hut achtlos wieder an den Haken. Sie sind gestern abend um acht hier fortgegangen, nicht wahr?

Gerade um acht, höchstens fünf Minuten später.

Schön. Ich möchte mir noch das andere Zimmer ansehen, wenn Sie es erlauben.

Gewiß, gern, meinte Claridge, aber es hat nicht viel Zweck, sie waren nicht darin; es ist alles, wie es war, es ist nur so eine Art Rumpelkammer, wie Sie sehen, und damit öffnete er die Tür.

Eine Anzahl alter leerer Kisten stand unter vielem anderen Gerümpel in diesem Raum. Hewitt hob den Deckel der am neuesten aussehenden auf und sah die Adresse an. Dann wendete er sich zu einer rostigen, alten eisernen Truhe, die an der Wand stand. Ich möchte gern dahinter sehen, sagte er, mit den Händen daran ziehend. Ist nicht ein kleines Brecheisen oder etwas Derartiges im Hause?

Herr Claridge schüttelte den Kopf. So was habe ich nicht, sagte er.

Es tut nichts, sagte Hewitt; ich kann die alte Truhe ein anderesmal fortrücken, und am Ende hat es überhaupt wenig Zweck. Ich will nur mal zum Polizeirevier gehen und mit den Leuten reden, die gestern Dienst hatten. Ich denke, Lord Stanway, ich habe hier alles Nötige gesehen.

Ich nehme an, fragte Claridge, daß Sie sich noch keine bestimmte Ansicht über die Sache gebildet haben?

Nein, noch nicht, sagte Hewitt. Vielleicht kann ich Sie in ein bis zwei Stunden damit erfreuen; ich will aber nichts versprechen. Uebrigens, fragte er plötzlich, war Ihre Falltür bestimmt gestern verriegelt?

Sicher, lächelte Herr Claridge. Wie hätte der Riegel sonst brechen können? Ich glaube sogar, die Falltür wurde monatelang gar nicht aufgemacht. Herr Cutler, erinnern Sie sich, wann die Tür das letztemal auf war?

Herr Cutler schüttelte den Kopf. Es ist gewiß ein halbes Jahr her, sagte er.

Sehr gut; es ist nicht so wichtig, antwortete Hewitt.

Als sie in den Laden kamen, stießen sie auf einen zornigen alten Herrn, der über einen Regenschirm, der in der Ecke stand, stolperte, und ihn drei Meter weit mit dem Fuß wegstieß.

Was zum Teufel fällt Ihnen ein, fuhr er Herrn Claridge an, mir die Polizei auf den Hals zu schicken, daß sie mir in den Zimmern rumstöbert und meine Dienerschaft ausfragt! Was ist das für eine Art, mich als Dieb zu behandeln? Kann ein anständiger Mensch sich nicht etwas ansehen, ohne in Verdacht zu kommen, gestohlen zu haben, wenn die Sache nachher durch Ihre verdammte Faulheit abhanden kommt? Ich werde meinen Rechtsanwalt fragen, mein Herr, ob ich mir das gefallen lassen muß. Und wenn ich noch einen von Ihren Spionen bei mir finde, sei es auf dem Dach oder in der Wohnung, dann – dann schieße ich ihn nieder!

Wirklich, Herr Woollett? begann Herr Claridge etwas verschüchtert, aber der ärgerliche alte Herr wollte nichts hören.

Sprechen Sie nicht zu mir, mein Herr; sprechen Sie mit meinem Anwalt! Und soll ich wirklich glauben, Mylord, wandte er sich an Lord Stanway, daß alle diese Dinge mit Ihrer Einwilligung geschehen?

Was auch getan wird, antwortete Lord Stanway, geschieht von der Polizei auf ihre eigene Verantwortung und ganz ohne mein oder Herrn Claridges Zutun. Ich glaube, daß Herr Claridge jeden Verdacht, der auf Sie fällt, als Lächerlichkeit empfindet, und von mir kann ich Ihnen das Gleiche versichern. Und wenn Sie nur die Sache ruhig betrachten wollten …

Ruhig betrachten? Stellen Sie sich einmal vor, daß Sie eine solche Angelegenheit ruhig betrachten sollten. Ich will – will es nicht haben! Und wenn ich noch einen Mann aus meinem Dach finde, so schieße ich ihn herunter. Und Herr Woollett stürzte wieder zur Tür hinaus.

Herr Woollett ist ärgerlich, bemerkte Hewitt lächelnd. Ich fürchte, Plummer hat irgend einen ungeschickten Angestellten.

Claridge sagte nichts, sah aber verstimmt aus. Denn Herr Woollett war ein ausgezeichneter Kunde.

Lord Stanway und Hewitt gingen langsam auf die Straße hinunter, und Hewitt starrte gedankenvoll auf das Pflaster. Ein paarmal sah ihn Lord Stanway forschend an, aber er wollte ihn nicht stören. – Dann sagte er: Sie scheinen endlich eine Spur gefunden zu haben, Herr Hewitt?

Hewitt fuhr aus seinen Gedanken auf. Eine Spur? sagte er. Der Fall wimmelt von Spuren. Das Merkwürdige ist nur, daß Plummer, sonst solch ein schneidiger Kerl, gar keine zu sehen scheint. Er muß ganz aus dem Häuschen sein. Aber sicherlich ist der Fall sehr bemerkenswert.

Inwiefern bemerkenswert?

In Bezug auf den Beweggrund. Es sieht eigentlich so aus, wie Plummer eben zu mir sagte, als ob nur zwei Motive für einen solchen Diebstahl möglich wären. Entweder hätte der Mann, der sich all die Mühe machte, sie gut verkaufen wollen, oder er würde sie gern besitzen, weil er Liebhaber solcher Sachen ist. Aber nichts von beiden ist hier der wirkliche Beweggrund gewesen.

Vielleicht denkt der Dieb, er könne eine gute Einlösungssumme von mir erpressen?

Nein, das ist es nicht. Es ist auch nicht Eifersucht, Rache oder irgend etwas der Art. Ich glaube, ich weiß das Motiv – aber ich wünschte, wir hätten Hahn hier. Ich werde mich jetzt eine halbe Stunde einschließen und mir den Fall überlegen.

Inzwischen möchte ich aber gern wissen, ob Sie die Kamee zurückschaffen können?

Ich glaube leider nicht, daß ich das tun kann, sagte Hewitt, an der Straßenecke stehen bleibend. Ich fürchte, weder ich noch irgend ein anderer wird das imstande sein. Aber ich bin beinahe sicher, den Dieb zu wissen.

Das wird Sie aber doch auf die Spur der Kamee führen?

Natürlich ist das möglich; aber vielleicht werden Sie sie heute abend gar nicht mehr zurückhaben wollen.

Lord Stanway starrte ihn fassungslos an. Nicht zurückhaben wollen! rief er aus. Natürlich werde ich sie zurückhaben wollen. Ich verstehe Sie gar nicht. Sie sprechen in Rätseln. Wer ist der Dieb, von dem Sie sagen?

Darüber will ich lieber nicht reden, sagte Hewitt, ehe ich ganz sicher bin; ich könnte mich ja irren. Der Fall ist ein ganz eigentümlicher, ganz was anderes, als ich erwartet hätte, und ich muß mich in acht nehmen. Ich bin meiner Sache aber ziemlich sicher und hoffe, Ihnen in einigen Stunden die gewünschte Aufklärung bringen zu können. Ich muß nur erst mit den Schutzleuten sprechen.

Kommen Sie, wann es Ihnen paßt. Aber was wollen Sie noch von den Schutzleuten? Diese haben mit Bestimmtheit versichert, daß sie während der ganzen Nacht nichts Verdächtiges bemerkt haben.

Ich will sie auch nichts Derartiges fragen, antwortete Hewitt. Ich will mich nur ein bißchen mit ihnen unterhalten – über das Wetter. Und mit einem Lächeln verbeugte sich Hewitt und ging davon, während Lord Stanway ihm mit einem Gesichtsausdruck nachsah, der verriet, daß ihm der Verdacht aufstieg, sein eigener Privatdetektiv hielte ihn zum Narren.

In etwas mehr als einer Stunde war Hewitt wieder im Laden von Herrn Claridge. Herr Claridge, sagte er, ich möchte Sie einen Augenblick allein sprechen. Können wir in Ihr Zimmer gehen?

Sie gingen sogleich hinein, Hewitt zog einen Stuhl ans Fenster und setzte sich mit dem Rücken gegen das Licht. Der Händler schloß die Tür und setzte sich ihm gegenüber, so daß das Licht ihm voll aufs Gesicht fiel.

Herr Claridge, fing Hewitt langsam an, dabei jedes Wort betonend, wann haben Sie zuerst bemerkt, daß Lord Stanways Kamee eine Fälschung ist?

Claridge fuhr von seinem Stuhl in die Höhe. Er wurde blaß, aber stammelte so gefaßt wie möglich:

Was, was! Was soll das heißen? Fälschung? Wollen Sie damit sagen, daß ich Fälschungen verkaufe?! Eine Fälschung! Es war keine Fälschung!

Dann fuhr Hewitt in demselben ruhigen Ton fort, indem er das Gesicht des andern ruhig beobachtete: Wenn es keine Fälschung war, warum haben Sie die Kamee zerstört und Ihre eigene Falltür und den Schreibtisch erbrochen, um einen Einbruch zu imitieren?

Der Schweiß stand dick auf dem Gesicht des Händlers, der nach Fassung rang. Aber es gelang ihm doch, hervorzustoßen: Zerstören! Was! Ich habe sie nicht zerstört!

Na, dann haben Sie sie ins Wasser geworfen, lassen Sie nur solche Nebensachen ruhig aus dem Spiel.

Nein, nein – es ist eine Lüge! Wer sagt das? Lassen Sie mich in Frieden, Sie beleidigen mich! Claridge schrie beinahe.

Ruhig Blut, Herr Claridge, sagte Hewitt friedlich, denn er hatte das Spiel gewonnen; regen Sie sich nicht auf und versuchen Sie nicht, mich zu betrügen – Sie können es ja doch nicht. Ich weiß alles, was Sie gestern abend hier getan haben – alles.

In Claridges Gesicht arbeitete es. Ein- oder zweimal schien er eine entrüstete Antwort geben zu wollen, aber er zögerte und brach schließlich ganz zusammen.

Bitte, veröffentlichen Sie es nicht, Herr Hewitt, flehte er; ich bitte Sie, veröffentlichen Sie es nicht! Ich habe niemand geschadet als mir selbst. Ich habe Lord Stanway alles zurückgezahlt, jeden Pfennig, und ich wußte nicht, daß es eine Fälschung war, ehe ich sie reinigte. Ich bin ein alter Mann, Herr Hewitt, und mein geschäftlicher Ruf ist fleckenlos geblieben – bis jetzt. Ich bitte Sie, veröffentlichen Sie es nicht.

Hewitts Stimme besänftigte sich. Regen Sie sich nicht unnötig auf, sagte er. Ich sehe da drüben etwas Kognak stehen, trinken Sie einen. Sehen Sie einmal, es ist ja wirklich kein Verbrechen, wenn jemand in seiner eigenen Wohnung einbricht. Was das betrifft, können Sie also ganz ruhig sein. Natürlich handle ich in diesem Falle in Lord Stanways Namen und muß ihm ohne Rückhalt Bericht erstatten. Aber Lord Stanway ist ein Ehrenmann, und ich bin sicher, er wird nicht rücksichtslos gegen Sie sein, wenn Sie offen gegen ihn sind. Wir wollen die Angelegenheit einmal besprechen; erzählen Sie mir den Tatbestand.

Der Schwindler Hahn betrog mich von Anfang an, begann Claridge. Ich habe mich noch nie in einer Kamee getäuscht und hätte nie gedacht, daß solch gute Imitation möglich wäre. Ich hatte sie sorgfältig geprüft und war ganz befriedigt, und viele Kenner sahen sie nach mir an und wurden gleicherweise getäuscht. Ich hatte das sichere Gefühl, eine der schönsten Kameen, wenn nicht die schönste, die es überhaupt gibt, gekauft zu haben. Erst als ich sie von Lord Stanway zurückbekam und sie vorgestern reinigte, bemerkte ich, daß das Ding eine unglaublich gute Fälschung sei. Es war aus drei Lagen gewölbten Glases gemacht, weiter nichts. Aber das Glas war in einer Art behandelt, wie ich es noch nie gesehen habe, und die Oberfläche war sorgfältig bearbeitet worden, so daß jede einfache Prüfung ohne Erfolg bleiben mußte. Einige von den Glasimitationen des vorigen Jahrhunderts werden, wie ich Ihnen versichern kann, als gute Kunstwerke angesehen und erzielen sehr gute Preise, aber diese Nachahmung steht über allen jenen.

Ich war verblüfft und erschreckt. Ich legte das Ding fort und ging nach Hause. Die ganze Nacht lag ich in Verwirrung wach, ganz unfähig, zu entscheiden, was ich tun sollte. Es war unmöglich für mich, die Kamee zu verkaufen. Früher oder später würde die Fälschung doch entdeckt worden sein, und dann wäre es um meinen Ruf – den besten, den man haben kann – geschehen gewesen; und diesen Ruf hatte ich mir durch jahrelange Arbeit und sicheres Urteil erworben. Ich hatte außerdem Lord Stanway 100 000 Mark für ein bloßes Stück Glas genommen, und dieses Geld mußte ich doch auf irgendeine Weise wieder zurückgeben. Aber wie? Der Name der Stanway-Kamee war allbekannt geworden, und wenn ich beichtete, daß die ganze Sache ein Betrug sei, wäre mein Ruf fort gewesen und damit auch alles Vertrauen, das man bis jetzt in mein Geschäft gesetzt hatte. So oder so – ich wäre ruiniert gewesen. Selbst wenn ich es Lord Stanway privatim mitgeteilt, ihm das Geld zurückgegeben und die Kamee zerstört hätte, was dann? Das plötzliche Verschwinden eines so berühmten Stückes hätte sofort Aufsehen erregt. Es war dem Britischen Museum geschenkt worden, und wenn es nie in der Sammlung zum Vorschein gekommen wäre, hätte man sofort die Wahrheit erraten. Wenn ich bekanntgemacht hätte, daß ich betrogen worden sei, so hätte das gar nichts an der Sache geändert. Es ist nun mal mein Geschäft, mich nicht betrügen zu lassen, und bekanntzumachen, daß meine teuersten Stücke Fälschungen sein könnten, würde gleicherweise meinen Ruin bedeuten, ob ich sie nun als schlauer Betrüger oder als unwissender Narr verkaufte. Und wirklich, mein Kennerruf steht meinem Herzen nahe, und es wäre mir eine unaussprechliche Demütigung, wenn es bekannt würde, daß ich mich so betrügen ließ. Was sollte ich tun? Jedes Auskunftsmittel schien unmöglich – außer einem. Und zu diesem einen griff ich. Es war nicht ehrlich, das gebe ich zu. Aber, Herr Hewitt, bedenken Sie die Versuchung und erinnern sie sich, daß ich niemand damit schadete. Wer auch verdächtigt werden möchte, ich wußte, daß er nie schuldig befunden werden konnte. Den ganzen nächsten Tag – gestern – überlegte ich mir die Sache, plante den Trick – wie Sie es wohl leider nennen werden –, den Sie durch Ihre außerordentliche Fähigkeit durchschaut haben. Es schien die einzige Möglichkeit – was für eine andere gab es? Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, Sie wissen es. Ich will Sie nur noch bitten, Ihren Einfluß auf Lord Stanway dahin auszunützen, mich vor öffentlicher Bloßstellung zu bewahren. Ich will alles tun – alles bezahlen – alles – nur keine Bloßstellung in meinem Alter und in meiner Stellung!

Ja, sehen Sie, antwortete Hewitt nachdenklich, ich zweifle nicht, daß Lord Stanway mit aller Rücksicht vorgehen wird, und ich werde sicher meinerseits alles tun, was ich tun kann; aber Sie müssen sich erinnern, daß Sie doch etwas Schaden angerichtet haben – auf wenigstens einen ehrlichen Mann ist Verdacht gefallen. Und was den guten Namen betrifft – so habe auch ich meinen professionellen Ruf. Wenn ich dazu beitrage, Ihren professionellen Fehlschlag zu vertuschen, dann wird es so aussehen, als hätte ich einen erlitten.

Aber die Fälle liegen verschieden, Herr Hewitt. Bedenken Sie nur – von Ihnen kann man nicht das Unmögliche erwarten, daß Sie immer Erfolg haben, und ein oder zwei Leute wissen überhaupt nur, daß Sie zu Rate gezogen worden sind. Und dann Ihre anderen auffallenden Erfolge! …

Na, wir wollen 'mal sehen. Eines aber weiß ich nicht – sind Sie durch das Fenster gestiegen, um die Falltür zu erbrechen, oder sind Sie durch die Falltür selbst hinausgeklettert und haben den Riegel mit einem Bindfaden zugezogen?

Durchs Fenster ging es nicht – ich nahm den Bindfaden, wie Sie sagen. Meine armselige Schlauheit scheint für Sie sehr durchsichtig zu sein. Ich habe Stunden über diese Fragen gegrübelt und dachte, ich hätte alles über jeden Verdacht erhaben ausgeführt. Wie Sie den Plan durchschauten, ist mir ein Rätsel. Vor allen Dingen, woher konnten Sie nur wissen, daß die Kamee eine Fälschung ist? Haben Sie sie je gesehen?

Nie. Und wenn ich sie gesehen hätte, so wäre ich auch nicht imstande gewesen, eine Meinung darüber abzugeben; ich bin kein Kenner. Tatsächlich wußte ich auch nicht als erstes, daß die Kamee eine Nachahmung war; was ich als erstes wußte, war, daß Sie den Einbruch verübt hatten. Von da aus kam ich zu der Schlußfolgerung – nach einem gewissen Maß von Nachdenken natürlich –, daß die Kamee eine Imitation sein müsse. Gewinnsucht stand außer Frage, Sie hätten weniger als irgend jemand anders die Kamee je wieder verkaufen können, und außerdem hatten Sie Lord Stanways Geld zurückbezahlt. Ich kannte Ihren Ruf genügend, um zu wissen, daß Sie nie den Skandal, den ein großer Diebstahl verursacht, selbst hervorgerufen hätten, um die Kamee zu behalten, die Ihnen ja von Anfang an, ohne Einbruch und Geheimnisse, zu Gebote gestanden hätte. Also suchte ich nach einem anderen Motiv, und es schien zuerst ganz unmöglich, ein anderes zu finden. Warum nur sollten Sie sich all diese Mühe machen, um hunderttausend Mark einzubüßen? Sie hatten nichts zu gewinnen; aber vielleicht hatten Sie etwas zu retten, zum Beispiel Ihren Geschäftsruf. Wenn man es von dieser Seite ansah, war es klar, daß Sie die Kamee zurückhielten, unterschlugen – einmal auf diese Art verschwunden, konnte sie nie wieder ans Tageslicht kommen. Das gab auch sofort die Lösung des Rätsels: Sie hatten nach dem Verkauf entdeckt, daß die Kamee nicht echt sei.

Ja, ja –, das sehe ich ein; aber Sie sagen, daß Sie zuerst wußten, daß ich hier eingebrochen hatte. Woher wußten Sie das? Ich kann mir nicht vorstellen, wo ich eine Spur …

Mein lieber Herr Claridge, Sie ließen ja überall Spuren. Zuerst fiel es mir auf, daß Sie Lord Stanway den Scheck über die hunderttausend Mark schon eine Stunde nach Entdeckung des Diebstahls gesendet hatten – es sah so aus, als ob Sie sicher wären, daß die Kamee nicht wieder zum Vorschein kommen würde und Sie jeden Verdacht von sich ablenken wollten. Natürlich nahm ich es auch nur für einen vollen Beweis Ihrer Unschuld, aber – der Punkt war des Erinnerns wert, und ich erinnerte mich seiner. Als ich dann herkam, sah ich nach vielen Richtungen hin Verdächtiges, aber das beste Beweismaterial gab mir der alte Hut, der dort unter der Falltür hängt.

Aber ich habe ihn ja gar nicht berührt! Ich versichere Sie, Herr Hewitt, ich habe den Hut nicht angerührt, seit Monaten nicht!

Natürlich nicht. Wenn Sie ihn berührt hätten, würde er mir nie des Rätsels Lösung in die Hand gegeben haben. Aber wir kommen gleich zu dem Hut; die Falltür erregte zuerst meine Aufmerksamkeit. Bedenken Sie, es war eine Falltür, die außen in Angeln hing, der Einbrecher hatte einen Schraubenzieher bei sich, denn er nahm unten das Türschloß damit heraus. Warum hob er denn dann die Tür nicht aus den Angeln, anstatt Lärm zu machen und mit dem Aufbrechen des Riegels Zeit zu verlieren? Und wenn er ein Fremder war, wie vermochte er dann das Brecheisen außen gerade da anzusetzen, wo von innen der Riegel vorlag? Es war nur eine Bruchstelle am Türrahmen zu sehen, und zwar genau am richtigen Platz. Darauf sah ich das Lederetui. Man hatte es nicht weggeworfen, sonst wären irgendwelche Zeichen des Falles daran zu sehen gewesen, nein, es wurde sorgfältig dahin gelegt, wo man es später fand. Doch all dies hatte im Vergleich zum Hut keine besondere Bedeutung; Sie wissen, daß er dick mit Staub bedeckt war – die Anhäufung von Monaten. Aber an der der Falltür zugewandten Oberseite des Hutes fanden sich einige Spuren von Regentropfen. Das war alles. Es mußten frische Spuren sein, denn es lag kein Staub darauf; sie hatten nur Zeit gehabt, zu trocknen und den Staub, auf den sie gefallen waren, zusammenzubacken. Nun hat es aber seit einem tüchtigen Guß gerade nach 7 Uhr gestern abend gar nicht mehr geregnet. Zu der Zeit waren Sie, Ihrer eigenen Behauptung nach, hier. Sie sind um acht hier fortgegangen, und schon ein Viertel nach sieben hatte der Regen ganz aufgehört. Auch sagten Sie mir, daß die Falltür seit Monaten nicht offen gewesen sei. Sie oder jemand, der während Ihrer Anwesenheit hier war, hatte also die Tür während dieses Gusses oder vorher geöffnet. Ich sagte nicht viel, ging aber direkt von hier aufs Polizeirevier. Dort erlangte ich völlige Sicherheit darüber, daß während der Nacht kein Regen weiter gefallen sei, denn die Schutzleute waren die ganze Zeit auf der Wache und wußten es genau. Ich verstand nun alles.

Das andere Beweismaterial wies auf denselben Punkt hin. Das Lederetui zeigte keine Regenspuren; man hatte es also später mit Ueberlegung auf das Dach gelegt, als es nicht mehr regnete. Das war nebenbei gesagt ein sehr armseliger Trick, denn kein Dieb würde das nützliche Etui wegwerfen, das ihm dazu dienen könnte, seine Beute zu verbergen und vor dem Zerbrechen zu schützen, und noch weniger würde er es gerade so hinwerfen, daß man eine Spur des eingeschlagenen Weges dadurch finden könnte. Ich sah auch in der Rumpelkammer eine Anzahl Kisten – eine war erst vor zwei Tagen angekommen –, die mit einem Brecheisen aufgebrochen waren; und doch sagten Sie, als ich mir eine Gelegenheit machte, um nach einem Brecheisen zu fragen. Sie hätten keines. Schlußfolgerung: Sie wollten nicht, daß ich die Spuren davon mit den Spuren auf dem Sekretär und an der Tür vergleiche. Das ist alles, glaube ich.

Herr Claridge sah betrübt auf die Erde. Ich fürchte, ich hatte mir eine schlechte Rolle ausgesucht, als ich versuchte, Leute wie Sie zu betrügen. Ich dachte, es sei kein Angriffspunkt in meiner Verteidigung, aber Sie schlagen mich in jedem Punkt. Warum dachte ich nur nicht an diese Regentropfen!

Aber, Herr Claridge, das klingt nicht sehr reuig. Ich gehe jetzt zu Lord Stanway. An Ihrer Stelle würde ich mich übrigens bei Herrn Woollett entschuldigen.

 

Lord Stanway, der in den ein bis zwei Stunden, die seit seiner Trennung von Hewitt verflossen waren, die Ueberzeugung erlangt hatte, daß Hewitt zeitweise geistesgestört sein müsse, hörte Hewitts Erzählung mit berechtigtem Staunen an. Zuerst wollte er eine öffentliche Erklärung über den Tatbestand von Claridge verlangen, wurde aber endlich dazu überredet, die Angelegenheit fallen zu lassen, wozu die Versicherung Herrn Woolletts, daß er die Entschuldigung Claridges ohne Vorbehalt annehme, in nicht geringem Maße beitrug.

Claridge war durch Geldverlust und Bloßstellung eigentlich schon genug bestraft. Aber den schwersten Schlag erlitt er doch, als der ungenierte Hahn einen oder zwei Tage später auftrat, um sich die Prämie abzuholen, die er sich noch extra als Anteil an der Verkaufssumme ausbedungen hatte. Er war am verabredeten Tage abberufen worden und meinte, daß seine Verspätung nichts ausgemacht hätte. Was den Diebstahl betreffe, so tue es ihm natürlich sehr leid, aber Geschäft sei Geschäft, und er erbitte einen Scheck über die vereinbarte Summe. Und der arme Claridge mußte zahlen, obgleich er wußte, daß der Mann ihn beschwindelt hatte, und war obendrein dazu verurteilt, den Mund zu halten.

Die Belohnung von 10 000 Mark blieb lange ausgesetzt, und verschiedene kluge Zeitungsschreiber ließen sich darüber aus, daß ein ganz gewöhnlicher Einbrecher über die vielgerühmte Klugheit des Herrn Martin Hewitt triumphiert habe.

*


 << zurück