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1826.

Den 1. Januar. Ich ging mit Adolf zu Bettina, die besonders guter Laune war, interessant und bedeutend wie gewöhnlich. Sie ist merkwürdig! Ihre Töchterchen Maxe und Armgardt liebe, schöne Kinder, nur sehr dunkel. Bettina wirkt überaus wohltätig auf mich durch ihre Lebendigkeit und den hohen Standpunkt, von dem aus sie alles betrachtet und beurteilt – oft verstehe ich sie wohl nicht so ganz, aber die Bemühung, zu verstehen, tut mir gut, entwickelt die Gedanken und erfrischt das Gemüt. Am Abend begann ich bei Helvigs den ersten Teil meiner »Familienerinnerungen« vorzulesen. Helvig, ganz besonders daran interessiert, hörte mit Vergnügen und Anteilnahme zu, Amalie ebenfalls. Es war köstlich – so, als hätte ich das Verflossene wiedergefunden. Die teueren Gestalten der Eltern und Geschwister standen wieder mit greifbarer Deutlichkeit vor mir! Meine Gedanken, so lange an einen Gegenstand gefesselt, beginnen wieder ihre Schwingen zu regen. Schade, daß sie diese Freiheit nicht schon früher auf der Reise hatten!

 

Den 2. Mit Adolf und Maja-Lisa ausgegangen, um eine Menagerie anzusehen: drei zahme, sanfte Löwen, prächtige Tiere, eine greuliche Hyäne, ein Kasuarius, Meerkatzen und Papageien. Ein Wolf, ein Fuchs und ein Hund im selben Käfig, lagen aufeinander, der Hund zu oberst, sie scheinen sich gut zu vertragen. Ein weißer Hirsch mit grauschwarzen Hörnern und einer süßen, rosafarbenen Schnauze, das schönste Tier, das ich je gesehen.

Ich war dann mit Adolf in der Oper, um »Don Juan« zu sehen. Langes, ärgerliches Warten im Gedränge, doch belohnt durch besonders gute Sperrsitzplätze! Ich glaubte, das merkwürdige Stück zum ersten Male zu sehen und zu hören, um so viel besser fand ich es hier dargestellt als in Stockholm. Nach Don Juans (Blums) Champagnerarie wurde applaudiert und Dakapo gerufen. Da sang der Sänger andere Worte dazu, zu Mozarts Ehren. Dies machte lebhaften und schönen Effekt. Prächtig!

 

Den 3. Bei Helvigs waren am Abend Lachmann und Brandel. Zu Hause fand ich Adolf vergnügt und aufgeräumt. Zelter, Felix Mendelssohn und Klingemann waren sehr herzlich und freundschaftlich gegen ihn gewesen.

 

Den 4. Gegen Abend gingen wir in das Panorama und sahen da schöne Ansichten von Meißen und Dresden, auch mehrere von Petersburg. Die Überschwemmung vom 19. November 1824 – schrecklich in ihrer Naturwahrheit! Die Wellen und die schweren Regenwolken sind bewunderungswürdig gut gemalt – man vermeint in einer leibhaftigen Sintflut zu sein. Dann Dresden und Meißen mit ihrer schönen Umgebung, der Rheinfall, der jedoch nicht so imposant aussieht wie Trollhättan. Den Abend dann bei Helvigs. Nachrichten aus Rußland über den Aufruhr der Garde und Kaiser Nikolaus' tapferes, männliches Betragen.

 

Den 7. Mit Amalie nachmittags bei Frau Groeben, die mit Interesse von Lindblad sprach. Ganz unvermutet kam er zu meiner großen Freude hin. Traulicher Abend. Hauptmann Hoffmann las einige geistliche Gedichte von Albertini vor, doch mit gezwungenem, zu starkem Ausdruck.

 

Den 8. In der Domkirche, hörte Strauß predigen. Sein Text war: »Wir sollen hier wandeln im Glauben, nicht im Schauen.« Gut ausgeführt, aber seine scharfe Aussprache ist der größte Kontrast zu dem milden Ton, der in seinem schönen »Glockentöne« herrscht. Er spricht so heftig, so schroff. Las dann Äschylus »Die Eumeniden« und weiter in den Kronenwächtern von Arnim. Der Stil ist prägnant und energisch, der Vorwurf ungewöhnlich und interessant, die Personen wahr und gut gezeichnet. Schade, daß nur der erste Teil erschienen ist und der geistvolle Verfasser das Buch nicht fortsetzen will, weil die strenge Zensur ihm nicht die Freiheit gelassen hat, zu sagen, was er beabsichtigt und was der Stoff verlangt. Es gehört zur Geschichte der letzten Hohenstaufen.

»Die Eumeniden«, vom Grafen Friedrich Leopold Stolberg übersetzt, erhaben und groß. Bei Helvigs kalt und unbehaglich, aber Amalie gütig und liebreizend. Wir waren abends im Schauspielhaus in der Direktionsloge und sahen den »Barbier von Sevilla« mit Paesiellos Musik, die artig ist, aber, an Rossinis lebendigeren Tönen gemessen, leer und schwerfällig erscheint.

 

Den 9. Bei Helvigs und abends mit den Frauen Bardeleben und Arnim im Schauspiel. Sah »Armida«, göttliche Musik! Adolf war nicht befriedigt – Disput und Heftigkeit.

 

Den 10. Bei Helvigs Zurüstungen zum Abendbesuch: Frau von Rethel mit zwei Töchtern, die Damen Bardeleben, Groeben und Frau von Altenstein mit einer recht hübschen, aber etwas plumpen Tochter, verlobt mit Herrn von Stein, Amaliens Vetters, Fritz von Steins, ältestem Sohn, einem langen, mageren, ältlich aussehenden Jüngling; die Generalin Knesebeck mit zwei lieblichen Töchtern, die Fräuleins Lange und Burislawsky und der Bruder der letzteren; der Engländer Chilver, der angenehme Geheimrat Streckfuß, Lindblad und Berger. Ich war froh, den Tee servieren zu können, denn bei der bloßen Unterhaltung in dieser mir unbekannten Gesellschaft wäre mir die Zeit lang geworden. Streckfuß las dann aus seiner Übersetzung des Ariost den fünften Gesang des »Orlando Furioso« vor – genußreich! Nach dem Souper wurde von Berger, Lindblad und Fräulein Altenstein musiziert.

 

Den 11. Kalt bei Helvigs. Da man hier kein Doppelfenster hat, läßt man, wenn die Fenster gefroren sind, die Rollgardinen herab, wodurch es dunkel und höchst unbehaglich wird. Das Feuer in dem Kachelofen verbreitet auch kein Licht, und erst nach und nach Wärme. Den Abend mit Helvigs bei Mendelssohns. Da war ein junges Paar, steinreich, sie erzählten von ihren Weihnachtsgeschenken: eine Equipage, ein Billard, ein türkischer Teppich usw.! Adolf war auch da, heiter und liebenswürdig.

 

Den 14. Ein angenehmer Abend bei der Generalin Exzellenz Knesebeck mit der lieben Frau Bardeleben, Amalie und Frau von Brause, deren Mann Gouverneur des Kadettenkorps ist. Wir fünf Frauenzimmer saßen beisammen und arbeiteten und schwatzten – recht munter. Frau v. Bardeleben erzählte von einem hervorragenden Arzte, Doktor Coreff, den sie gekannt hatte. Er war zu Napoleons Kaiserzeit in Paris gewesen und wurde von ihm zu Hortense geschickt, die, kurz nachdem ihr Mann, Louis Bonaparte, als König von Holland abgesetzt worden war, erkrankte. Auf die Erkundigung des Kaisers, wie er sie gefunden, antwortete er: » Elle souffre beaucoup, et je crois, que sa msladie vient d'une couronne rentrée.« Napoleon schickte ihm eine goldene Dose. In Paris hatte ein junger Mann mit besonderer Liebe und Sorgfalt Coreff die Behandlung einer alten achtzigjährigen Dame ans Herz gelegt und ihn zu ihr geführt, ohne ihm ihren Namen zu sagen. Die Alte erschien Coreff überaus anziehend, und alles an ihr kam ihm so bekannt und interessant vor, obgleich er nicht wußte, mit wem er es zu tun hatte. Es war Madame d'Houdetot, Rousseaus letzte und inbrünstigste Liebe, sie, an die er dachte, als er Julie schrieb. Amalie sprach auch von dem liebenswürdigen Franzosen Narbonne, Madame de Staëls Herzensfreund, der in Amaliens Jugend in Weimar war und damals neugierig das junge Hoffräulein examinierte, die schon als Dichterin bekannt war, ihm aber ungekünstelt und einfach Rede und Antwort stand, » Ah, je comprends, mademoiselle, vous faites des vers, comme le rosier porte des roses.«

 

Den 17. Las Adolf Ségur vor, indes er Noten abschrieb, heimelig! Ich lese Ségur mit großem Vergnügen, Napoleon finde ich da mit Freude wieder, wenn auch in seinem Niedergang. Zu Helvigs kamen abends die Frauen Groeben und Bardeleben, Varnhagens und Kalckreuth. Ich war froh, Adolf bei Mendelssohns zu wissen, ich selbst hatte es nicht besonders angenehm. Er kam später noch hin und langweilte sich mit Anstand. Das Gespräch belebte sich nicht – Frau Varnhagen spricht immer gut, aber war an diesem Abend überaus schweigsam.

 

Den 20. Ging vormittags zu »Selma«, Gräfin Goeben, die ich häuslich mit ihren Kindern beschäftigt fand, ein inniges und interessantes Wesen. Sie werden der »Frömmelei« beschuldigt, aber wenn es nur von Herzen kommt, muß doch jeder nach seinem Glauben leben. Sie macht keine Besuche, wozu sollen auch all die unnötigen Visiten gut sein, wenn man daheim wichtigere Pflichten hat? Später bei Helvigs, ich zeichnete, was mir Spaß machte, und las ihnen abends meine Erinnerungen vor, die mit mehr Vergnügen angehört werden, als ich zu hoffen wagte. Amalie sagte heute abend sogar, daß Goethe diese Aufzeichnungen mit besonderem Interesse hören würde – ist denn wirklich etwas daran?!

 

Den 21. Fräulein Altenstein kam und lernte bei Amalia Schwedisch. Später erschien Adolf und sang mit Fräulein Altenstein – es macht mich so froh, wenn er Anklang findet. Graf Goeben kam, sehr freundlich und angenehm, auch Arnim, überaus lebhaftes Gespräch, er erweist mir Aufmerksamkeit, das habe ich vermutlich Bettina zu danken. Frau Bardeleben las uns dann ein kleines Theaterstück von Arnim vor, das bei Savignys gespielt werden soll. Es ist nicht sehr unterhaltend, aber ich finde es unrecht, sich so darüber auszulassen! Wenn sie ihm in der Familie ein kleines Vergnügen machen wollen, so soll man sie doch in Frieden gewähren lassen, ohne so viele Kritiken, Ratschläge und Urteile. Ein Funke jener Kleinlichkeit, die alles tadelt, woran man selbst keinen Teil hat, ist auch bei im übrigen verständigen Menschen schwer zu ersticken.

 

Den 23. Abends mit Adolf in der Oper, wir sahen »Nourmakal«, ein prächtiges Schauspiel! Orientalische Pracht der Kostüme und der Szenerie, schöne Musik von Spontini.

 

Den 24. Ging mit Adolf zu den Zelten, prächtiges Winterwetter, angenehme Promenade durch den schönen Wald. Adolf lief dann Schlittschuh auf der Spree, die jetzt gefroren daliegt und schob mich auf einem kleinen Fauteuil, der auf Kufen steht, das ist hier gebräuchlich und sehr angenehm.

Bei Helvigs – las Raumer. Frau Bardeleben, Rudolf, Arnim, Bettina und Lindblad kamen abends hin. Adolf sah traurig aus – und ich wurde es dadurch auch. Ach, hätte er doch andere Freunde als mich, die ihn verstünden und die Natur hätten, ihn aufzuheitern!

 

Den 25. Amalie erzählte viel von Goethe, von seinem kalten, unkonsequenten Betragen gegen Fritz Stein und seine Mutter. Nachdem er zwölf Jahre lang ihr intimster Freund gewesen und jeden freien Abend bei ihr verbracht hatte, der erste Freund und Führer ihres jüngsten Sohnes gewesen war und den Knaben lange Zeit bei sich wohnen gehabt hatte, brach er allen Verkehr mit ihnen ab und hat nach dem Tode der Mutter Fritz Stein keinerlei Wohlwollen bezeigt.

Mit dem Herzog von Weimar führte er in der Jugend ein ausschweifendes, sittenloses Leben, und in späteren Jahren störte er das Einvernehmen zwischen dem Herzog und seiner Gemahlin, der edlen Herzogin Louise, indem er dem Herzog auf sein Schloß die schöne, ausgezeichnete Schauspielerin Demoiselle Jagemann zuführte und so einer Intrige, die bisher recht verborgen gewesen war, Publizität gab.

Amalie war damals ganz jung, eben erst Hoffräulein geworden, sie hörte diesen Eklat heftig mißbilligen, sah ihre Herzogin stumm darunter leiden, war selbst in den strengsten Grundsätzen erzogen, und ihre tiefe Bewunderung und Verehrung für den großen Mann Goethe wurde auf das Empfindlichste verletzt. Eine ganze Nacht lag sie da und weinte, und als sie gegen Morgen einschlummerte, träumte sie, daß alle Glocken der Stadt zur Verkündung einer großen Feierlichkeit läuteten. Sie fragte, was das zu bedeuten habe und hörte von allen Seiten rufen: Goethe hat der Religion und der Tugend für die ganze Welt entsagt.

Einmal war Goethe in Nürnberg gewesen und war da von dem Kastellan der Burg und seiner Frau, einem wackeren, alten Paare, wie eine Gottheit empfangen und gefeiert worden. Sie wußten sich gar nicht genug zu tun. Fräulein Knebel, die Schwester von Goethes Freund und Gouvernante bei Prinzeß Caroline, der einzigen Tochter des Herzogs von Weimar (späterhin mit dem Herzog von Mecklenburg-Schwerin vermählt), war eine Verwandte des Kastellans und bei ihnen zu Gaste. Sie wunderte sich über die kalte, stolze Art, in der Goethe die gutgemeinte Huldigung der Alten aufnahm, was diese auch sehr grämte. Die alte Frau hatte schließlich in ihrer Enttäuschung gesagt: »Ach, ich habe doch die Heuchler gar so gern.«

Ferner erzählte Amalie, daß Schiller sie so zartfühlend und väterlich beschützt und daß Wilhelm Humboldts Frau Amaliens gutes Verhältnis zu Goethe getrübt hatte, indem sie ihm das Vergnügen verdarb, das er sich davon versprochen, dem herzoglichen Paare und Amalie sein damals eben vollendetes Gedicht »Der neue Pausias und sein Blumenmädchen« vorzulesen.

 

Den 26. Bei Helvigs, las Amalie Atterboms Gedenkworte für Kernell vor. Fräulein Jacobs aus Halle, Übersetzerin der Serbischen Lieder, kam auch hin, überaus angenehm. Später mit Adolf im Schauspielhaus, sah »Der Prinz von Pisa«, ein unterhaltendes und gutes Stück von Willibald Alexis.

 

Den 27. Mit Adolf in der Oper – sah »Jessonda«, eine schöne Oper.

 

Den 28. Zu Mittag bei Brandel mit Helvigs, Lindblad, Ulff und seiner Gattin. Carlstag – das Wohl des Königs wurde getrunken, von mir mit den innigsten Wünschen für sein Wohlergehen. Abends bei Savignys, wo »Niemand und Jemand« von Arnim gespielt wurde. Bettina sprach zuerst einen Prolog, von ihr selbst verfaßt und ihr ganz ähnlich, voll von Bildern und innerem Leben. Bettina als »Niemand« war wunderlich, aber gut kostümiert, wie auch alle anderen. Ihre Büste und Arme schienen aus einer großen Lotusblume herauszukommen, deren Blätter aus vergoldetem Papier ihre Mitte umgaben. Der Rock war unten goldfarben und dunkelrot gestreift, der obere Teil rot und weiß. Sie war vortrefflich, geradezu magisch. Es machte mir auch viel Freude, ihre Söhne zu sehen, von denen die drei größeren bildschöne Jungens sind, der älteste etwa 15 Jahre alt. Diese schönen Kinder zu besitzen, ist ein Glück, das zu genießen sie nicht viel Zeit zu haben scheint. Das Stück war stellenweise witzig und unterhaltend, aber im ganzen recht unverständlich. Beim Souper unterhielt ich mich trefflich, ich saß an einem Tische mit Gneisenau, Amalie, den Damen Savigny und Arnim. Es wurde herzlich gelacht. Ich sprach mit Gneisenau von Ségurs Werk über den Kriegszug 1812.

Unter den kleinen, amüsanten Anekdoten, die der große Mann erzählte, war auch die, wie auf einer Jagd, die er kürzlich für den Kronprinzen veranstaltete, Graf Brühl einen Hasen anschoß, den er nur ganz leicht blessierte und der seine Zuflucht in den Hinterhof eines Bauernhauses nahm. Brühl verfolgte den Hasen und fragte einen Jäger eifrig: »Wo ist er, wo ist er?« »Da sitzt er auf der Commodité,« antwortete dieser, und da saß der arme Meister Lampe, und da wurde er erschossen.

Dieser Abend zerstreute meine traurigen Gedanken und tat mir im ganzen gut.

 

Den 29. Ich suchte Bettina auf, traf sie nicht, wohl aber ihre Schwester, Frau Savigny, mit der ich unter den Linden spazieren ging, wo ich auch Bettina traf. Gneisenau begleitete uns ein Stückchen Wegs. Ich ging dann allein in den Tiergarten. Unter Gottes freiem Himmel war es mir wohl – erfrischt und zufrieden fühlte ich mich, frei von den nagenden, kleinen Sorgen, die mich im Hause drücken und bekümmern. Mitten im Winter kann doch das Herz ebenso warm in der gesunden Brust schlagen, warum sollte die Kälte anderer es vereisen? Nein, du warmes, getreues Herz, liebe, hoffe, wirke, solange du es vermagst! Du bist allein, wo du auch sein magst – aber vaterlos bist auch du nicht!

Bei Helvigs recht lebhaft. Adolf ging mit mir ins Schauspielhaus, wo »Maria Stuart« gegeben wurde. Ach, welche herrliche Tragödie! Ich vergaß alles andere, um mich ganz dem Genuß hinzugeben! Daheim Gespräch mit Adolf, der verstimmt und niedergeschlagen ist, armer Freund! Aber ich hoffe das Beste – er muß das durchmachen – das ist das Leben!

 

Den 30. Erwachte ohne Lust zu erwachen – leer und zwecklos verstreichen die Tage – töricht! Promenade zu den Zelten mit Helvigs und Adolf, der da auf Schlittschuhen Amalie, Dora und mich im Handschlitten spazieren führte, recht vergnüglich – aber ich war zuvor gegen Adolf heftig gewesen und warf mir nun vor, unrecht zu haben, zu aufbrausend und zu leicht verletzt zu sein. Dieser Eindruck verschwand jedoch allmählich – Gottlob!

Auf dem Heimweg begegneten wir Prinz Wilhelm, dem Bruder des Königs – ein schöner Mensch! Er blieb stehen und sprach mit Amalie und auch mit mir, fragte, wie mir Berlin gefiele, ob ich Heimweh habe wie alle Älpler usw. Dann begegneten wir noch de la Motte Fouqué, der nicht genialisch aussieht, ich würde ihn gerne einmal sprechen hören. War abends in der Oper und sah »Olympia« mit Spontinis Musik, eine öde Oper, lang und ohne jegliches Interesse.

 

Dem 31. Zurüstungen zu Adolfs morgigem Geburtstag. Vergnügte mich damit, all die Kleinigkeiten, Sendungen schwedischer Freunde, zusammenzustellen – was mir vielleicht mehr Spaß machte, als ihm, sie zu bekommen. Wir lasen bei Helvigs »Serbische Lieder«, von Fräulein Jacobs übersetzt. Amalie gut und vertraulich – wir sprachen über Rousseau und Goethe. Amalie erzählte, daß, als jemand Rousseau seiner »Confessions« wegen tadelte, ein anderer erwidert habe:

S'il est jamais un Téméraire
Capale d'un effort si beau,
Il sera ou moins sincère
Ou plus coupable que Rousseau.

 

Den 1. Februar. Adolfs Geburtstag, 25 Jahre. Mein kleines Angebinde erfreute ihn – traulich und gut. Bei Helvigs ziemlich unbeschäftigter Nachmittag. Dora feierte ihren 8. Geburtstag. Kindergesellschaft. Anwesend die Damen Knesebeck und Rethel, Demoiselle Mägel und Gerard, der Musiker Marx und der Maler Professor Schadow, der besonders interessant aussah. Ich versuchte, die Mädchen den norwegischen Tanz Molinask zu lehren, wozu ich die Musik mithatte – das belebte mich.

 

Den 2. Vormittag daheim. Adolf spielte mir die Ouvertüren zu »Fidelio« und »Iphigenie« vor. Abends bei Frau Bardeleben mit Amalie, Frau und Fräulein Savigny, Chilvers und Mr. Hughes, einem besonders angenehmen Engländer. Adolf kam spät von Mendelssohns, wo Ball gewesen war. Ich wünschte, er wäre noch länger dort geblieben, da er sich unterhalten hat und in gute Stimmung gekommen ist.

 

Den 3. Adolf ging zu Zelter und ich zeitig zu Helvings. Las da zwei Novellen, »Die Fingerzeige der Vorsehung« und »Die Paulistin«, sowie eine allerliebste Anekdote »Les Roses de Mr. de Lamoignon-Malesherbes«. Graf Kalckreuth kam hin. Das Gespräch zwischen ihm und Amalie über Theater interessierte mich sehr.

 

Den 5. Mit Adolf in der Komödie. Sah da »Der schönste Tag des Lebens« – woran eine hübsche Gavotte das Beste war – und »Die Wiener in Berlin«, eine Posse, recht artig, witzig und unterhaltend, Madame Seidler charmant. Am nächsten Tage waren wir in der Oper und sahen »Die Nachtwandlerin« und »Aline«, eine Ballettpantomime, in der Frau Désarguès-Lemière ganz exzellent war.

 

Den 7. Zeitig am Nachmittag kam Frau Bardeleben, und ich ging bei dem schönen Frühlingswetter mit ihr spazieren. Wir sprachen auch bei Bettina vor, die mich jetzt negligiert. Gestern hatte sie bei sich eine musikalische Soiree, zu der sie versprochen hatte, Adolf und mich einzuladen. Er war am Vormittag bei ihr gewesen. Vielleicht habe ich zu aufrichtig ausgesprochen, was ich für recht und wahr halte? Sie war recht übler Laune, sprach aber mit Begeisterung von ihrer Freundschaft für den Architekten Professor Schinkel. Mir kommt es wunderlich vor, daß die Gattin eines so ausgezeichneten Mannes wie Arnim, Mutter von sechs Kindern, in ihrem Herzen überdies noch Raum für eine so exaltierte Freundschaft hat. Absonderlich! – aber ich fange an, mich an das Wunderliche zu gewöhnen und mich hineinzufinden. Den Abend bei Helvigs, lebhaftes Gespräch mit ihnen. Ganz gegen meine Vermutung kam Adolf hin, er sah krank und traurig aus. Er kam von Dieffenbach, der gestern bei ihm gewesen war und ihn mit seinen Noten in seinem Zimmer eingesperrt gefunden hatte, bei herabgelassenen Rouleaus, die Mütze auf dem Kopf. Der Arzt hatte daraus geschlossen, daß er nervenkrank und hypochondrisch sei und ihm dies auch weisgemacht – ganz niedergeschlagen und mutlos hatte er zu nichts Lust! Er sprach sich doch darüber mit Amalie und mir aus und erleichterte so sein Herz. Amalie riet ihm wieder an, doch zu versuchen, Logiers Unterrichtsmethode in der Musik zu erlernen, dies als bestimmte Beschäftigung zu ergreifen und daran festzuhalten.

 

Den 8. Mein Geburtstag. Erwachte ohne Gedanken. Dora und Bror Helvig kamen zu mir und brachten Verse von Amalie, Blumen und eine Lithographie von Memlings Christophorus aus der schönen Boisseréeschen Sammlung. Von Helvig erhielt ich eine schöne kleine Brieftasche und ein sehr gutes Opernglas, das, wie ich fürchte, kostspielig ist, er wünschte auch, daß ich nicht erwähne, von wem ich es bekommen habe. Ungerne nahm ich es an, aber konnte es nicht zurückweisen, ohne ihn zu verletzen. Wollte Gott, daß er ein besserer Gatte und Vater wäre, so daß ich ihn wirklich hochschätzen könnte!

Gespräch mit Amalie über die fortgesetzten Versuche des Papstes und der Katholiken, ihre einstige Übermacht wiederzuerlangen und die Welt zur katholischen Religion zurückzuführen. Der Herzog von Anhalt-Köthen ist mit seiner Gemahlin, welche eine Halbschwester des gegenwärtigen Königs von Preußen ist, zum großen Verdruß des Königs zur katholischen Religion übergetreten, wie man supponiert, infolge von Geldnöten, da der Papst ihm dafür eine große Summe geboten hat. Ein junges Fräulein am Hofe von Anhalt-Köthen hatte allein aller Persuasion widerstanden, den Protestantismus abzuschwören. Ein junger Franzose, der an den Hof kam, faßte eine Neigung für das anmutige Mädchen und gewann ihre Liebe. Er schrieb an seine Eltern, um ihre Einwilligung zu seiner Heirat einzuholen, erhielt jedoch den Bescheid, sie würden es nie zugeben, daß er sich mit einer » hérétique« vermähle. Nach vielen Tränen und Bitten entschloß sich das betörte Mädchen, dem Flehen ihres Liebsten Gehör zu schenken und wurde Katholikin. Er fuhr nun nach Hause, um alles für ihr neues Heim zu ordnen und sollte zur Hochzeit wiederkommen – aber anstatt dessen erhielt die Braut einen Brief, der ihr sagte, daß er ein Diener der Kirche sei und nicht heiraten könne, aber er danke Gott, ein Werkzeug gewesen zu sein, sie der alleinseligmachenden Kirche wieder zuzuführen. Das arme Kind wurde tiefsinnig.

Gegen Abend kamen Frau Bardeleben, Fräulein Jacobs und der interessante Arnim zu Helvigs. Lebhaftes, angeregtes Gespräch. Es wurden allerhand Anekdoten und Histörchen erzählt, u. a. über Demoiselle Jagemann, die schöne, ausgezeichnete Schauspielerin, deren Liaison mit dem Herzog Goethe protegiert hat. Sie wollte durchaus, daß »Der Pudel«, ein Theaterstück von Aubry, in Weimar gegeben werde. Goethe, der Direktor des dortigen Theaters war, fand es gegen alle ästhetischen Regeln, ein Schauspiel aufzuführen, in dem ein Hund als Hauptperson auftreten sollte, und wollte es nicht zulassen. Aber Demoiselle Jagemann erwirkte einen schriftlichen Befehl des Herzogs, daß »Der Pudel« gegeben werden solle, was auch geschah. Goethe verlangte und erhielt nun seinen Abschied als Theaterdirektor, und die Weimaraner Bühne ist seither mehr und mehr verfallen. Ein anderes Tier, ein sogenanntes Nachtigalläffchen, so geheißen wegen seines seinen, schrillen Stimmchens, rächte später einmal Goethe, so wie der Pudel ihn für sein Verhalten in der Affäre Jagemann bestraft hatte. Eine Frau v. Quanten reiste durch Weimar, aber hielt sich nur eine Nacht daselbst auf. Am selben Abend trat Demoiselle Jagemann nach längerem Aufenthalt in Paris zum ersten Male in der Rolle der Preciosa auf. Frau v. Quanten hatte ein schönes, kleines Nachtigallenäffchen mitgebracht, das sie ganz besonders liebte und ihrer Kammerjungfer anvertraute, während sie selbst sich ins Schauspiel begab. Nachdem ihre Herrin schon hingefahren war, wurde auch die Kammerjungfer von einem alten Bekannten eingeladen, ins Schattspiel zu gehen, das einzige Hindernis war das kleine Äffchen. Um es nicht unbeaufsichtigt zu Hause zu lassen, nahm sie es in einem Ridikül mit. Als nun die ausgezeichnete Schauspielerin nach langer Abwesenheit die Bühne betrat, erhob sich ein allgemeiner starker Applaus, doch gleichzeitig hörte man ein starkes, schrilles Pfeifen, das sich wiederholte, ohne daß man entdecken konnte, wo es herkam, und es ließ nicht ab, so daß schließlich die Vorstellung abgebrochen werden mußte. Trotz aller Nachforschungen konnte nicht entdeckt werden, von wem das ärgerniserregende Pfeifen ausgegangen war. Demoiselle Jagemann geriet ganz außer sich, sie verfiel in Paroxysmen und wollte lange Zeit nicht mehr auftreten.

Die arme Kammerzofe, die ihr kleines, vordringliches Äffchen nicht hatte zum Schweigen bringen können, war in der größten Angst, entdeckt zu werden und wagte kein Wort über den Vorfall laut werden zu lassen, erst viel später erzählte sie ihn.

Johanna Schopenhauer und ihre Romane werden hier gar zu streng beurteilt. »Gabriele« wird nicht gebilligt, und noch weniger »Die Tante«, die mir so gut gefällt, und die Schriftstellerin selbst und ihre Tochter lacht man aus. Sie sollen doch recht gut angeschrieben bei Goethe sein. Sie wohnen in Weimar und sind täglich bei dem weltberühmten Dichter, der eine gewisse Schwäche für Lob und Schmeichelei haben und gerne Weihrauch atmen soll. Ganz spaßhaft, all diese verschiedenen Beurteilungen zu hören. Arnim namentlich höre ich gerne, mich dünkt, er ist ein ungewöhnlich tüchtiger und prächtiger Mensch.

 

Den 9. Den Abend bei Helvigs. Dahin kamen noch Frau Stegemann, eine angenehme ältere Dame, Frau von Bardeleben, die Fräuleins Lange und Burislawsky mit ihrem Bruder, Hughes, Chilvers und Frau und Fräulein Savigny. Hughes las mehrere Stellen aus »Macbeth« vor, Lady Macbeths Rolle, und verglich Mrs. Siddons Art, sie zu geben, mit der von Madame Stich hier – ein unermeßlicher Unterschied zugunsten ersterer, sehr interessant. Im übrigen redet man hier so viel von Sprache und der Art, zu sprechen, daß einem schier die Lust zum Reden wie zum Hören vergeht. Adolf war im Schauspiel gewesen und hatte ein Stück von Moreto, »Donna Diana«, und den armen Poeten von Kotzebue gesehen, von Devrient vortrefflich gegeben. Am Nachmittag war er bei Klingemann und hatte da Felix Mendelssohn getroffen, dem seine Komposition von Balders Tod ganz ausnehmend gefällt. Sie ist auch herrlich! Aber dann kamen wir auf Rechnungen, Geld zu sprechen! Ich sehe die Unmöglichkeit voraus, so zu helfen, wie ich möchte, und haderte mit meinem Schicksal.

 

Den 11. Ungeduldig und heftig, reizbar und traurig. Um jeden Preis möchte ich dieser Pein entrinnen – aber ich habe nur die Wahl zwischen gänzlichem Verzicht und stets erneuter Unruhe und Qual! Augenblicklich scheint es mir erträglicher, mich still zu verhalten, in Sehnsucht und Entbehrung! Es würde schon besser werden, wenn ich nur geduldiger sein könnte.

Nachmittags bei Savignys in großer Gesellschaft – vornehm, Gräfin Reventlow, geborene Schlippenbach, schön und anmutig, kannte meine Verwandten, d'Albedynus und Palmstierna, wodurch wir ins Gespräch kamen, die Gräfin Gneisenau, alt und taub, sieht älter aus als ihr Mann, der Feldmarschall, dieser wie immer prächtig und ehrwürdig, zwei schöne Töchter. Sehnte mich fort, ich fühle mich so fremd, und Bettinas Abfall tut mir weh. Sie ist jetzt sehr in Atem gehalten von Major Wildermuth, der gut und sympathisch aussieht.

 

Den 12. Besseren Mutes. Guter Wille – schwache Kräfte – Unvermögen – Unverstand! Dies ist meine Geschichte. Bei Helvigs fand ich Amalie bettlägerig, unpäßlich. Mr. Hughes kam hin, um mir James Montgomerys Poesien vorzulesen – Amalie fühlte sich abends besser und kam auch herein, um zuzuhören. Dann interessante Gespräche. Es war schön!

 

Den 13. Ich holte Fräulein Jacobs im Wagen ab und fuhr mit ihr zum Maler Wach, um Bilder anzusehen. Darunter viele schöne, eine Danae, Petrus und Paulus, ein schlafender Räuber, von seiner Geliebten bewacht. Ihre gespannte Unruhe und aufmerksame Zärtlichkeit kontrastiert mit dem schweren Schlummer, in den der ermattete Mann versunken scheint; eine in der Wüste von Beduinen überfallene Karawane, einige schöne Porträts von Wach, darunter eines der Prinzessin Luise von Preußen, vermählt mit dem Prinzen der Niederlande. Am allerbesten gefiel mir eine herrliche Landschaft von Schinkel, beinahe in Claude Lorrains Manier. Eine griechische Stadt aus Griechenlands Blütezeit im Hintergrunde; im Vordergrunde wird ein schöner Tempel erbaut. Es ist für die neuvermählte Prinzessin Luise, die jüngste Tochter des Königs, bestimmt, der die Stadt Berlin einige Gemälde ihrer größten Meister schenkt. Dieses Bild muß ein Meisterwerk sein.

Wach war recht artig, zeigte uns alles und führte uns dann zu dem Bildhauer Professor Tieck, wo wir auch schöne Dinge sahen, vor allem die prächtigen Basreliefs zu dem Piedestal der Blücherstatue, die nun bald auf dem Opernplatz aufgestellt werden wird. Tieck war überaus zuvorkommend und zeigte uns schließlich die kolossale Bronzestatue, an der noch gearbeitet wird.

Fräulein Jacobs ist recht angenehm und sicherlich sehr verständig. Sie sprach mit inniger Liebe von ihren guten Eltern und einem kleinen Neffen, den sie erzieht. Seine Mutter, ihre Schwester, starb vor drei Jahren gleich nach seiner Geburt. Die Trauer um diese ihre beste Freundin trieb sie dazu, sich einer bestimmten Beschäftigung zuzuwenden, und so entstand ihre ganz ausgezeichnete Übersetzung der Serbischen Lieder. Das Interesse, das Goethe dafür geäußert, war ihr eine große Ermutigung gewesen. »Später,« sagte sie, »scheint es erkaltet zu sein,« dies scheint ihr wehe zu tun, aber es ist ein Schicksal, das sie mit den meisten teilt, die sich einmal Goethes Teilnahme und Wohlwollens erfreuen durften. Fräulein Jacobs ist in Petersburg aufgewachsen, doch seit sieben Jahren wohnen sie in Halle. Sie verläßt jetzt bald Berlin, mit Bedauern schied ich von diesem angenehmen Mädchen, das ich wahrscheinlich nie wiedersehen werde. Abends waren wir in Moesers Konzert. Beethovens schöne Symphonie in C-Moll gefiel mir am allermeisten, aber Adolf war mit der Ausführung unzufrieden. Demoiselle Sonntag sang eine Arie von Mercadante sehr schön.

 

Den 14. beendigte ich Ségurs » Histoire de la campagne 1812«. Malla weinte und las und las und weinte und folgte der Retraite der großen Armee nahezu mit demselben Enthusiasmus, mit dem sie einst in dem Unglücksjahre 1808 das Schicksal ihrer Landsleute, der tapferen, treuen Finnen verfolgt hatte – doch nein! Sie gehörten Schweden, dem teueren, geliebten Vaterlande!

Der Feldmarschall Gneisenau, der oft über Ségurs Werk sprach, sagte einmal: » C'est un véritable poème épique, et l'armée française malheureuse, mais toujours brave, faisant son devoir, mérite bien un tel monument. Si jamais l'armée prussienne devrait succomber, je ne pourrais souhaiter à mes camerades une plus glorieuse défaite.« C'est une belle note à l'œuvre de Ségur que ce suffrage d'un grand homme d'une nation ennemie!

Ney verdiente es, von einem Homer besungen zu werden. Mit Tränen, bitteren und süßen, habe ich dies Buch gelesen, das mir einen unvergeßlichen Eindruck hinterlassen hat. Am Abend war ich mit Dora und Adolf in der Oper, in Gesellschaft von Frau Bardeleben, Hughes und Chilvers, und sah »Die Vestalin« mit Spontinis Musik, schöne Komposition, einfache und schöne Idee! Die königliche Familie sah ich an diesem Abend sehr gut. Der Kronprinz sieht wacker und klug aus, ohne jedoch etwas Edles und Ungewöhnliches an sich zu haben, die Kronprinzessin ist schön, aber sieht ein wenig mißvergnügt drein.

 

Den 15. Ging bei kaltem, aber klarem sonnigen Winterwetter aus, machte Besuch bei der guten, lieben Frau Ulff und Frau von Rethel, die ich mit ihren zwei liebenswürdigen Töchtern Anna und Helene, vierzehn und zwölf Jahre alt, gemütlich beisammen sitzend und arbeitend fand. Ich ging dann zu Frau Herz, wo ich Mr. Hughes und einen anderen Herrn traf. Sie ist recht gefällig und angenehm, aber gar zu lernbegierig für ihr Alter – immerhin wendet sie das, was sie kann und lernt, recht schön an, denn sie unterrichtet junge Mädchen umsonst. Aber diese Manie, alle Menschen in Kontribution zu setzen, um von ihnen alles, was möglich ist, zu lernen, dürfte recht beschwerlich für die Herren sein, und erfordert eine Kühnheit, die ich nicht verstehe.

Bei Helvigs lasen wir dann die Biographie des Poeten James Montgomery und spielten mit Dora Lotto. Daheim fand ich Adolf frisch und munter, aber er wurde ungeduldig über meine Haushaltungsratschläge. Möchte ich es doch lernen, sie zu unterlassen!

 

Den 16. Ging mit Bror zu Frau v. Bardeleben, wo wir den Abend mit Frau Groeben, Bettina, Savigny, Hughes und Chilvers verbrachten. Meiner Meinung nach recht langweilig. Hughes ist doch ganz angenehm; er erzählte heute abend eine merkwürdige Geschichte von Lord Lyttelton, dem Sohne des berühmten Schriftstellers, der ein vortrefflicher Mann gewesen sein soll. Der Sohn hingegen war schlecht und leichtfertig, wenn auch ein kluger Kopf. Eines Nachts erwachte er und vermeinte, einen Vogel im Zimmer herumflattern zu hören. Er schlägt die Bettgardine zurück und sieht eine Frauengestalt mit einem Vogel auf der Hand und erkennt eine seiner früheren Geliebten, deren Unglück und Tod er verschuldet hat. Sie spricht ihn an, sagt ihm einen gewissen Tag, an dem er sterben soll, und verschwindet. Sehr erschrocken über diese Erscheinung, erzählt er sie am nächsten Tage seinen Kameraden und Zechbrüdern. Diese lachen und suchen ihn mit allen Mitteln zu überzeugen, wie töricht es sei, so etwas Bedeutung beizumessen, alles sei ein Traum gewesen, eine kleine Unpäßlichkeit im Schlafe. Aber die Gewißheit, daß es eine wirkliche Erscheinung gewesen, wollte ihn nicht verlassen, obgleich er sonst ein ausgesprochener Freigeist war. Dies wurde bei ihm so sehr zur fixen Idee, daß man befürchtete, er würde darüber wahnsinnig werden. Sein Vater war schon tot, aber seine alte Mutter war in großer Unruhe, und als der bezeichnete Tag herankam, lud sie seine lustigsten Kumpane ein und bat sie, ihn guten Mutes zu erhalten und bei ihm zu bleiben, bis der Tag um war. Um dies zu beschleunigen und seiner Einbildung nicht noch in letzter Stunde Nahrung zu geben, schob man die Uhren vor, und als nun der Zwölfschlag den Anbruch des nächsten Tages verkündet hatte, trank man auf das Wohl der Prophezeiung und des Geistes und vieler anderer. Lyttelton war frisch und munter, und die Gesellschaft trennte sich. Als der Lord in sein Schlafzimmer kam, spürte er Magenkrämpfe, wie er sie schon oft gehabt hatte. Sein Kammerdiener wollte ihm das dagegen gebräuchliche Medikament geben, aber es fand sich nicht im Zimmer vor, sondern war unbegreiflicherweise im unteren Stockwerk geblieben, dahin eilte nun der Kammerdiener, um es zu holen. Als er auf der Treppe war, hörte er die Turmuhr zwölf schlagen, und als er einen Augenblick später zu seinem Herrn hereinkam, lag dieser entseelt auf seinem Bette. Dies soll ganz authentisch wahr sein.

 

Den 17. Abends bei Helvigs. Die Frauen Groeben und Bardeleben kamen und erzählten von der alten Frau v. Sydow, geborenen Montbar, einer Französin, welche ihnen höchst interessante Briefe von Jean Paul Richter vorgelesen hat, der ihr intimer Freund war. Es wurde auch viel von Blue stockings gesprochen, wie gelehrte oder schöngeistige Frauenzimmer seit Milady Montagues Zeit in England genannt werden. – Heute ist der Duke of Wellington nach Berlin gekommen.

 

Den 18. Früh auf den Beinen, um eine große militärische Parade zu Ehren Wellingtons zu sehen. Wir gingen zum Zeughaus, wo Helvig versprochen hatte, uns, Frau Bardeleben, Dora und mir, Plätze zu verschaffen. Aber wir kamen etwas spät, und General Helvigs Ansehen erwirkte nichts, wir wurden ganz zurückgedrängt, schließlich gelang es uns aber doch, zu einem Fenster zu kommen, wo wir zwar die Truppen sahen, aber von Wellington keine Spur. Dann bei Helvigs. Marx kam und sprach sich sehr lobend über Lindblads Balders Tod aus, auch Felix Mendelssohn, Goethes Liebling, das junge, musikalische Genie, ist ganz entzückt davon. Sehr erfreulich – und froh bin ich auch, daß Amalie es erfuhr. Wir sahen dann Tischbeins Werke an, Kupfer zu der Odyssee und antike Vasen und Gravüren nach Statuen, die in Potsdam zu sehen sind, unter anderem Achilles auf Scyros, von besonderem Interesse durch das von Marx komponierte Ballett »Achilles auf Scyros«.

Nachher Gespräch mit Helvig und Amalie. Wir sind so verschieden. Ich bin eine arme Natur, die viel von außen braucht, darum hänge ich so fest an denen, die ich liebe. Sie schöpft alles aus sich selbst und bedarf anderer nur wenig.

 

Den 19. Ich machte Besuch bei den jungen Alexander Mendelssohns, ein angenehmes, liebenswürdiges Paar. Nur erschien mir die junge Frau sehr lau, als ich mich nach dem schönen jungen Ehepaar Bennicke erkundigte, das ich um die Weihnachtszeit bei ihr gesehen und das damals so froh und lebenslustig von seinen prächtigen Weihnachtsgeschenken erzählt hatte. Nun sagte sie mir, daß sie ruiniert und in Konkurs seien, alles sollte verauktioniert werden, und die junge Frau wohnte mit ihrem Kindchen drei Treppen hoch in ihrer einstigen Bedientenkammer. Frau Mendelssohn war nicht bei ihr gewesen, weil sie es nicht übers Herz brachte, diesen Umschwung mitanzusehen. Und sie gebärdeten sich doch, als wären sie gute Freunde – seltsame Menschen! Dann bei Helvigs. Adolf kam mir herzlich und vergnügt mit Briefen von meiner Schwester Gustavs und Geijer entgegen. Glückliche, freudige Stunde. Ging heim in Gedanken an meine Briefe und voll Freude über das Ansehen und das Glück, dessen Geijer sich im Heimatlande erfreut. Ach! Möchte ich doch einmal dieselbe Freude an meinem lieben Adolf erleben, wenn auch in anderem Genre. Möchte er doch als Musikus ein ausgezeichneter Meister werden! – An meinem dahingegangenen Freunde Kernell erlebe ich diese Genugtuung in vollstem Maß – das, was er war, wird anerkannt und meine Trauer um ihn von vielen geteilt.

 

Den 21. Fuhr mit Amalie, Brandt und Rosenblad zu dem Bildhauer Rauch, um die Blücherstatue in seinem Atelier zu sehen – schön! Sie soll gerade gegenüber der Wache auf dem Opernplatz aufgestellt werden.

Professor Lachmann war ein paar Stunden bei Amalie. Ein außerordentlich angenehmer Mann, klug, freimütig und fein.

Amalie lehrte ihre Kinder das Quaken der Frösche so nachahmen: einer sagt » le roi va«, ein zweiter » où va-t-il?«, ein dritter » à Cognac«, dies wird viele Male repetiert. Adolf kam vergnügt von Mendelssohns nach Hause, wo er einen heiteren Abend verbracht hatte.

 

Den 23. Las im Kunstblatt Aufsätze von Amalie über Professor Vogels Bilder in Pillnitz und sein Porträt Papst Pius VII. Abends bei Frau Herz mit Amalie, Frau v. Bardeleben, einem Fräulein Solmar, die sehr gut singen soll, einem anderen blonden Mädchen, Adelheid Kund, und unseren Engländern Hughes und Chilvers, denen sich noch ein neuer, Spry, zugesellte, der mir fast noch besser gefiel als die anderen.

 

Den 25. In der Komödie mit Adolf, sah »Die Zerstreuten«, Posse von Kotzebue, gut gegeben von Devrient und Rüthling, und »Die drei Gefangenen«, aus dem Französischen des Dupaty, ein Intrigenstück.

 

Den 26. Den Abend mit Amalie in Demoiselle Mägels Pension, wo die Mädchen ein kleines Stück von Madame Campan spielten, » La nouvelle Lucile«, und Dora recht artig eine kleine Gavotte tanzte. Die interessante Angelika ist allerliebst. Nachher wurden » Charades en action« aufgeführt.

Theaterzettel des Stückes:
La nouvelle Lucile, Comédie en deux actes.
Noms des personnages. Noms des actrices.
Mme. de Valmont Agnès de Erxleben
Mélite, amie de Mme. de Valmont servant d'institutrice à ses enfants Adelaide de Wildowski
Mélanie de Valmont Adelaide de Bismarck
Lucie de Valmont Angélique de Kuratowska
Aglaé de Valmont Hedwig de Bismarck
Rose, fille d'un fermier de Mme. de Valmont Frida de Erxleben
La scène est à Paris, dans l'hôtel de Mme. de Valmont attenant au Boulevard.

Heimgekommen, fand ich Adolf traurig. Meine Wünsche gehen nicht in Erfüllung! Aber kann ich wissen, was das Beste wäre? Bisweilen träume ich, daß er ein großer Komponist geworden ist, und ich sitze mit seiner Sophie in einer Avant-scène-Loge des lieben Opernhauses in Stockholm und höre eine seiner Opern aufführen – stürmischer Beifall der Komponist wird hervorgerufen – Adolf Lindblad – und dann, dann kommt er bewegt und glücklich zu seiner Frau und seiner alten Freundin, die den Meister mit Begeisterung umarmen – so träume ich – aber das ist ja alles Eitelkeit, Menschenlob, Menschengunst! Möchte er, mein Liebling, nur als redlicher Mann auf Gottes Wegen wandeln und Frieden und Erlösung in seiner schuldlosen Brust finden!

 

Den 27. Um 6 Uhr fuhren Amalie und ich zum königlichen Schloß, das nicht gerade schöne Treppenaufgänge hat, zum mindesten die, welche ich sah; Löcher von Vorsälen und abscheuliche Türen, die eher aussahen, als führten sie in unterirdische Gewölbe, anstatt in Schloßgemächer. Zwei Treppen hinauf kamen wir durch etliche häßliche, stockfinstere Gänge und geradeswegs aus einem solchen in die Zimmer des Hoffräuleins Kalb, wo sie mit ihrer alten blinden Mutter wohnt, einer geistvollen, klugen Frau, die mit allen Koryphäen Weimars, Wieland, Herder, Goethe, Schiller, Jean Paul usw. bekannt und befreundet war und Amalie in ihren Jugendtagen viel chaperoniert hat. Seit ist Frau v. Kalbs ganze Familie durch Unglücksfälle, vielleicht auch Unvorsichtigkeiten, ganz ruiniert worden. Ihr Mann und auch ein Sohn erschossen sich aus Verzweiflung darüber, nicht allen Verpflichtungen gerecht werden zu können. Da saß nun die stattliche, blinde, alte Dame mit offenen Augen, die gar nicht blind aussehen, sondern einen Ausdruck haben, als sähen sie, in einem großen, zweifenstrigen Zimmer mit spärlichem und nichts weniger als elegantem Mobiliar. Dieses Unglück flößte mir Ehrfurcht und ein ganz besonderes Interesse ein. Die Alte spricht gut, man merkt, daß sie sich in der allerbesten Gesellschaft bewegt hat. Ihre Tochter war nur ganz kurz bei uns, sie sollte den Abend bei Kronprinzens zubringen, wo Professor Ritter zweimal in der Woche historische Arbeiten vorliest.

Frau v. Kalb erzählte von einem Feste, das der König kürzlich seiner zweiten Tochter, Prinzessin Alexandrine, vermählt mit dem Großherzog Paul von Mecklenburg-Schwerin, gegeben, und bei dem Maler, Architekten, Poeten und Musizi beordert waren, lebende Bilder mit Musik und Versen auszudenken und zu arrangieren, die en suitè ein Taschenbuch vorstellen sollten. Diese Prinzessin, die kürzlich mit ihrem Gemahl auf dem Wege von Petersburg hier gewesen war, hatte da von ihrer Schwester Alexandra die prächtigsten Geschenke bekommen, Schals im Werte von 6000 Talern, Schmuck, Perlen usw.

Ich durfte den Tee bereiten und mich bei der guten alten Dame häuslich einrichten, was mir großes Vergnügen gewährte. Das Gespräch war lebhaft und wurde es noch mehr, als die angenehme Frau v. Varnhagen kam. Ihr Mann ist sehr krank gewesen. Mit Gefühl und Innigkeit sprach sie davon, und gefiel mir noch mehr als gewöhnlich, obwohl sie mir ja immer gefallen hat. Sie spricht so gut, so maßvoll. Kürzlich hatte sie den siebenten Teil von Mme. Genlis' Memoiren gelesen und erwähnte, daß sie immer eine Vorliebe für diese Schriftstellerin gehabt habe, deren Romane » Les voeux téméraires«, » Mademoiselle de Clermont« und » Les mères rivales« ihr sehr gefallen. Als sie ihre persönliche Bekanntschaft machte, war sie erstaunt, eine eher häßliche als schöne, keineswegs elegante alte Frau zu finden, die mehr die Tournure einer alten Haushälterin hatte als der zierlichen edlen » Comtesse de Genlis«. Aimabel und amüsant war sie jedoch, wenn auch ihre Kleidung und Wohnung einen recht negligierten Eindruck machten. Schöne Augen und eine feine, gerade Nase bezeugten, daß sie einmal schön gewesen. Ihre Memoiren machen ihr insoferne keine Ehre, als sie sich darin undankbar und nicht ganz ehrlich über Personen ausspricht, die ihr Höflichkeit und Wohlwollen bezeigt haben. Ein Vergleich zwischen Frau de Genlis und Frau v. Staël war dann der Gegenstand des Gesprächs. Frau v. Varnhagen und ich wollten die erstere verteidigen, aber Frau Staël behielt doch die Palme. Amalie erzählte, wie diese, als sie im Jahre 1804 in Weimar war, bei einem großen Diner beim Herzog zufällig zwischen einem älteren Herrn – einem enragierten Feind schöngeistiger Frauenzimmer – und einer äußerst prüden, um ihren Ruf besorgten Witwe placiert worden war, die fürchtete, mit der in mehr als einer Hinsicht berühmten Schriftstellerin liiert zu erscheinen. Diese ihre Nachbarn sprachen nur mit ihren anderen Tischnachbarn, und als das Mittagsessen endlich vorüber war, eilte Frau Staël auf Frau Helvig zu und stürzte ihr fast in die Arme, indem sie ausrief: » Ah mon Dieu, quel ennui! Ci cela eût duré plus longtemps, j'aurais jetté de hauts cris! «

Fräulein von Kalb kam zu dem kleinen Souper zurück, welches bewies, daß die alte Frau gerne traktieren würde, wenn sie die Mittel dazu hätte. Sie war so zufrieden mit diesem Abend, daß sie vorschlug, man möge doch bei ihr ein Picknick-Mittagsessen veranstalten, wozu ein jeder ein Gericht mitbringen sollte. Für mich war es einer der angenehmsten Abende, die ich noch hier gehabt habe.

 

Den 28. Bei Helvigs. Bettina kam auf ein Weilchen und forderte uns auf, am Donnerstag bei ihr Kassandras Weissagung mit Marcellos Musik singen zu hören. Sie plauderte mit mir, aber ist meiner überdrüssig geworden, was mich nicht wundernimmt. Sie hat durch mich nichts zu gewinnen, weder an Ruhm, noch an Vergnügen, und das ist alles, was sie sucht.

Später kam Lachmann, Frithjof wurde gelesen, aber durch Frau v. Berg, die Obersthofmeisterin der Herzogin von Cumberland (ihr Gemahl wurde später König Ernst von Hannover) unterbrochen. Eine gescheite Frau, Mutter der Gräfin Vaß, einer guten Freundin von Frau v. Bardeleben. Dann erschien noch der Maler Gesseller, ein Schüler von Cornelius, ein hübscher kleiner Mann, der gut zu sprechen weiß. Lindblad kam auch und Herr Chamisso, ein Franzose, in der Champagne geboren, als Kind mit seinen Eltern emigriert, die beim ersten Ausbruch der Revolution alles verloren, seit mehreren Jahren hier angesiedelt, ein großer Botanikus, der die Welt durchzogen und viele fremde Länder gesehen hat. Er blieb den ganzen Abend, und das Gespräch war höchst interessant: über die Lage Frankreichs, das Theater, Talma, Mlle. Mars, Sprache, Literatur usw. Helvig beteiligte sich ausnahmsweise den ganzen Abend daran. Es war schön.

 

Den 1. März. Bettina kam, um sich mit Amalie über die Einladung des Feldmarschalls Gneisenau zu beraten, und Amalie bestärkte sie darin, es selbst zu tun. Abends in großer Gesellschaft bei Frau von Stegemann. Ihr Gatte ist Finanzminister, ein ausnehmend kluger und liberaler Mann. Varnhagens waren auch da, Brandel und Rosenblad.

 

Den 2. Ich schrieb mir Kassandras Weissagung ab, um dem Gesang besser folgen zu können. Dann bei Arnims. Bettina sang uns vor, akkompagniert von Demoiselle Betty Pistor, Reichardts Enkelin und Frau Stephens' Nichte. Es war schön, und ich hatte viel Freude an dieser Musik. Der Abend war überhaupt recht munter. Bettina, geschmeidig wie eine Katze, spazierte auf dem Rande der Sofakissen herum und setzte sich auf den Kolonnen-Kachelofen in der Ecke, »um die Gesellschaft zu überblicken«, wie sie sagte. Ein Grieche, Cleauthes, aus Mazedonien interessierte mich. Major Wildermuth ist ein ungewöhnlich angenehmer Mann aber Bettina scheint ihm gar zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Arnim erschien mir an diesem Abend trocken und herb, Frau Savigny unhöflich, doch ihre Tochter, »die graugrüne Bettina«, wie Amalie sie nennt, ist recht artig.

Am nächsten Tage kam Bettina und saß den ganzen Vormittag bei mir – wie es ihre Gewohnheit ist – die Füße oben auf dem Sofa, den Rücken nach außen, das Gesicht gegen die Wand. Sie schwätzte mir die Ohren voll Worte und den Kopf voll durcheinandergewürfelter, blitzender Ideen. Es schmeichelt wir, wenn sie mich so zu ihrer Vertrauten wählt – doch ich habe keine rechte Achtung mehr vor ihr, sie ist so unsicher. Aber sie fesselt mich.

Dann abends bei Helvigs. Lachmann kam, nun wurde die Prüfung von Amaliens Frithjofübersetzung beendet, und er machte kein Hehl daraus, daß er sie nicht ganz treu, nicht ganz gut finde. Wunderlich, da er sie doch zuvor Wort für Wort geprüft und gutgeheißen hatte. Dies brachte mich so auf, daß es mir schwer fiel, dazu zu schweigen. Nein, ich möchte keine Schriftstellerin sein! Das ist ein zu teuer erkauftes Vergnügen. Eine einzige Art von Seligkeit und Ruhm gibt es für die Frau. Kann sie die nicht erreichen, oder ist es auf Erden für sie damit vorbei, dann muß sie geduldig der Befreiung harren und alle Anlagen unterdrücken, die hienieden keine Nahrung oder Entwicklung gefunden!

Dies Schreiben für eine Allgemeinheit, für Beifall, Ruhm bedingt seine eigenen, vorher unbekannten Versuchungen und Leiden. Selten dürste man sich davon ganz frei machen können.

Amalie zeigte mir ihre Verse »An die Zaudernden«, geschrieben im Jahre 1821, veranlaßt durch das Zögern der politischen Mächte in der griechischen Befreiungsfrage.

Zeitig nach Hause. Wie süß ist doch Freiheit und Einsamkeit. Vorsatz, gut und froh zu sein und dadurch gut zu tun, mich selbst zu vergessen, für andere zu leben.

 

Den 4. Schwach und krank – spasmodischer Ausbruch. Erschreckt eilte Adolf zu Diefenbach. Ach, was vermag der Arzt gegen ein Übel, das in der Seele wurzelt! Amalie kam auf ein kleines Weilchen. Ist das Freundschaft? Dann ist die meine Liebe!

 

Den 6. Wieder bei Helvigs – leer und öde! Amalie, kalte Freundin – was tue ich hier? Mir scheint, ich bin ihr nichts.

(Später geschrieben): Malla hatte sehr unrecht, die warme, gute, edle Amalie so zu beurteilen. Aber selbst von einem Gegenstande ausgefüllt: der Sorge um ihren jungen Freund Adolf, war Malla außerstande, etwas für Amalie zu sein, die vielleicht gerade deshalb eine Abneigung gegen Adolf empfand und Malla hiedurch noch mehr entfernte.

Als ich vor dem Mittagsessen zu Helvigs kam, war de la Motte Fouqué da. Freute mich, die Bekanntschaft dieses Mannes zu machen, dessen »Zauberring« und »Undine« mir so viel Vergnügen bereitet hatten. Er sprach interessant und gut über die »lebenden Gemälde«, die er im Theater gesehen, und mit geschmeichelter Eigenliebe von der Übersetzung von Lalla Rookh, die die Kaiserin Alexandra ihm aufgetragen. – Adolf hatte einen vergnügten, guten Tag bei Mendelssohns gehabt und war heiter und lebensmutig.

 

Den 7. Amalie malte, und ich zeichnete. Las dann vor: »Über das Immergrün unserer Gefühle« von Jean Paul, charmant! Adolf kam später, um mich abzuholen, wir gingen in das Schauspielhaus und sahen da als Benefizvorstellung eine lustige Posse, aus der der Schauspieler Rüthling durch sein meisterliches Spiel unendlich viel macht. Dann »Alexis und Susette«, eine schöne Ballettpantomime, in der Mme. Désargues-Lemière ganz allerliebst ist. Schinkels waren meine unmittelbaren Nachbarn, und ich fand die Frau überaus angenehm. Ein unbekannter Herr sprach mich auf französisch an und sagte, er habe gleich gemerkt, daß ich eine Französin sei, und als ich ihm versicherte, er habe sich getäuscht, sagte er: Mais vous-êtes donc Espagnole? Und da er erfuhr, daß ich aus dem hohen Norden sei, konnte er sich hierüber nicht genug wundern. Daheim trauliches Gespräch. Adolf war sehr erfreut über Felix Mendelssohn, der bei ihm gewesen war. Ach, wird mein Wunsch in Erfüllung gehen, werde ich sehen, wie mein Adolf seine Anlagen entwickelt, ein ausgezeichneter Komponist wird?! Oh Gott, vergib der Vermessenen, die zu wünschen wagt – strafe mich nicht durch jene, die ich liebe!

 

Den 8. Mit Amalie, Dora und Frau v. Bardeleben im Schauspielhaus, sah »Lebende Bilder«. Es war unbeschreiblich schön und machte mir großes Vergnügen. »Joseph vor Pharao« (Devrient d. J.) war ganz wie Kernell. »Raffael und seine Geliebte«, das Reizendste, wollüstig Anmutigste, was ich je gesehen! Von einer schönen italienischen Landschaft umgeben, sitzt der holde Raffael unter einem Baume, ein Bild haltend, sie steht hinter ihm und betrachtet das Bild, sie ist so schön und sieht so lebensfreudig und glücklich aus, und er blickt zu ihr empor – bezaubernd! Und dazu wurde das mir so angenehme » O, pescator dell' onde« so schön gesungen. Schade, daß der reizende Eindruck dieser wohlgelungenen Vorstellungen durch die lustige Komödie »Laß die Toten ruhn«, gestört wurde, sie ist ja an sich unterhaltend, paßte aber gar nicht dazu.

 

Den 9. Mit Helvigs beim Maler Schmidt, der eine neue Methode hat, Zeichnen zu lehren. Sehr interessant, die raschen, sicheren Fortschritte seiner Jünger zu sehen. Es erweckte in mir die Lust, doch noch zu versuchen, etwas zu lernen – bekämpft von dem Gedanken, daß ich für andere sparen sollte. Aber Helvigs, die wohl bemerkt haben, daß ich irgendeine feste Tätigkeit brauche, persuadierten mich, hinzugehen.

Abends bei Helvigs mit Bettina, Fouqué, Frau Herz u. a. Mit Fouqé hatte ich ein langes und interessantes Gespräch über seine Arbeiten über Friedrich II. und Schmettow, über die Oper »Undine«, zu der Hoffmann eine schöne, wohlangepaßte Musik geschrieben hat, deren ganze Partitur aber nebst allen Dekorationen und Kostümen mit dem Theater verbrannte, ich glaube 1818. Auch über sein schönes Stück »Eginhard und Emma«, das er mir dann schickte. Es war recht interessant. Schade nur, daß der Mann vernarrt in seine fixe Idee ist, ein Kriegsheld zu sein, ein Chevalier, und um die Leute in diesem Glauben zu bestärken, nimmt er es mit seinen Angaben nicht immer ganz genau. Man sagt, daß sein Roman »Sängerliebe«, der Prinzessin Marianne, der Gemahlin Prinz Wilhelms von Preußen zugeeignet, auch von einer romantischen Liebe zu ihr inspiriert ist. – Ich möchte Lindblad mit Fouqé bekannt machen und denke dabei an meinen Lieblingsplan, meinem Freunde einen anregenden Operntext zu verschaffen.

 

Den 10. Den Abend bei Frau von Rethel, unbekannte Gesellschaft, Polen, es wurde französisch gesprochen. Eine Frau Bürde, Schwester der Sängerin, Frau Milder, sang und spielte gut, und war recht anmutig, vielleicht ein wenig zu dezidiert in ihrem Auftreten. Man sagte mir, das sei Wiener Tournure – sie ist da geboren und erzogen.

 

Den 11. Amalie schickte mir diesen Morgen ihren Brief an den Theaterintendanten Grafen Brühl über die »lebenden Gemälde«, die wir gesehen hatten, sehr gut und interessant. Sie billigt dieses Schauspiel nicht, das sich nur an die äußeren Sinne wendet.

Bei schönstem Wetter ging ich zu Schmidt, um nach seiner Methode zeichnen zu lernen, glaubte wieder jung zu sein und hatte es gut! Fand Adolf zu Hause, wohl, aber wieder niedergeschlagen ? er muß wohl durch dieses Fegefeuer hindurch. Möchte es ihm für die Zukunft Besserung, Mut und Hoffnung bringen!

 

Den 12. In der Kirche, hörte Schleiermacher über den Text predigen: »Was ist Wahrheit?«

Dann bei Helvigs. Amalie malte charmant an ihrem Christophorus, den sie nach der Lithographie, die sie mir gegeben, gezeichnet hat. Sie legt die Farben nach der Erinnerung an das Original in der Boisserséechen Sammlung an.

Bror Helvig erzählte mir eine im Jahre 1814 hier passierte wahre Begebenheit. Als das preußische Ulanenregiment vom Feldzuge zurückkam und zu Pferde in Berlin einzog, wurden ihnen aus den Fenstern Blumen und Kränze zugeworfen. Einer der Soldaten fing mit seiner langen Lanze einen Zypressenkranz auf und warf ihn einem anderen zu, der ihn wieder mit seiner Lanze erhaschte und ihn einem dritten zuwarf. Auf diese Weise spielten sie eine Zeitlang, immer vorwärts marschierend, als schließlich der Kranz dem Ulanen, der ihn zuletzt im Fluge aufgefangen, über die ganze Lanze rutschte und an seinem Handgelenk hängen blieb. Ein Offizier ritt gerade vorbei und sagte: »Paß einmal auf, das bedeutet etwas Seltsames!« Der Mann lachte und dachte nicht weiter daran. Er wurde mit mehreren Kameraden bei einem Schlächter am Hallischen Tor einquartiert; neben dem Hause war ein großer Garten mit einer langen Allee, auf die der Ulan aus dem Zimmer, das er bewohnen sollte, die Aussicht hatte. Als er sein Pferd über den Hof führte, kam ihm ein großer Fleischerhund freundlich wedelnd entgegen, er sprang an ihm hinauf und leckte ihm die Hand wie einem alten Bekannten. Als er sein Pferd versorgt hatte und durch den Hof zurückging, begegnete er einer Dienstmagd, die ausrief: »Welche Ähnlichkeit!« In seinem Zimmer angelangt, findet er Essen aufgetischt und setzt sich dazu. Da bemerkt er in den braunen Holztisch eingeschnittene Buchstaben, und als er sie näher betrachtet, sieht er, daß es seines Bruders Name ist. Dieser Bruder war vor mehreren Jahren verschwunden, und man wußte nicht das geringste von ihm. Der Ulan nahm sich vor, nachzufragen, ob jemand im Hause seinen Bruder gekannt habe. Doch nun war es spät abends, und er legte sich zur Ruhe, als es an der Türe kratzt und ein Hund draußen winselt. Der Ulan schließt auf, und der große Hund kommt freundlich und zutunlich herein, und er läßt ihn im Zimmer. Gegen 12 Uhr nachts hebt der Hund an zu bellen, der Ulan erwacht und setzt sich im Bette auf. Es ist eine helle Sommernacht, und er vermeint in der Allee am Ende des Gartens eine langsam gehende Gestalt zu sehen. Der Hund richtet sich winselnd auf und stemmt die Vorderpfoten ans Fenster. Am nächsten Tage fragt der Ulan die Hausleute nach seinem Bruder und erfährt, daß er wirklich als Fleischerbursche da gedient hat, aber eines Tages plötzlich verschwunden ist. In der darauffolgenden Nacht begibt sich das gleiche, nur mit dem Unterschied, daß es ihm dünkt, daß die durch die Allee gehende Gestalt ihm winkt. In der dritten Nacht legte er sich ermüdet früh zu Bette, schlief schwer und träumte, sein Bruder käme zu ihm herein und führte ihn durch die Allee zu einem links verborgenen Seitenweg und durch diesen in einen Eiskeller, wo er ein Brett aus dem Boden hebt und ihm ein Beil gibt – im selben Augenblick beginnt der Hund, der im Zimmer ist, laut zu bellen, der Ulan erwacht und setzt sich auf, die Uhr schlägt zwölf, und er sieht die Gestalt im Garten deutlich winken. Am nächsten Morgen rapportiert er alles seinem Offizier und erbittet sich die Erlaubnis, den Keller zu untersuchen. Er nimmt einige Kameraden mit, geht, wie es ihm im Traume angewiesen wurde, bricht ein Brett aus, steckt die Hand hinein und sieh da! Er zieht ein Beil hervor, in das die Initialen seines Bruders eingegraben sind. Sie zeigen das Beil dem Schlächter, der entsetzt ausruft: »Das ist Gottesgericht!« und gesteht, daß er mit diesem Beile den Bruder ermordet und die Leiche im Keller vergraben hat. Der große Hund hatte dem ermordeten Schlächtergesellen gehört, und die Dienstmagd war seine Braut gewesen. Bror Helvig, der in der Nähe zur Schule gegangen ist, ist in diesem selbigen Keller gewesen und hat die Begebenheit sechs Jahre nachdem sie geschehen ist, erzählen gehört.

Amalie las mir mehrere ihrer Gedichte vor, über Byron bei der Kunde von seinem Tode – vortrefflich, in Beskows und Kautzows Stammbücher über Weimar und eine Rosenhecke daselbst ? allerliebst.

 

Den 13. Abends war ich mit Amalie und Frau Bardeleben bei Gneisenau. Schöne trauliche Räume. Wir gingen durch zwei ungeheizte Stuben, um dann den ganzen Abend in einem dritten Zimmer zu verbleiben, wo auch das Souper serviert wurde. Die Gräfin, eine schöne alte Frau, aber schweigsam und taub. Die reizenden Töchter Ottilie, Hedwig, Emilie auch einsilbig, die Jüngste am wenigsten. Hedwig war lieblich wie eine Rosenknospe. Das Gespräch mühsam und schwerfällig, bis der Feldmarschall hereinkam. Seine kleinen Enkelchen, zwei Knaben und ein Mädchen, spielten im Zimmer. Ihre Mutter, Agnes Gneisenau-Scharnhorst, die älteste Tochter, der Liebling des Vaters, starb vor drei Jahren, 25 Jahre alt. Scharnhorst kam ebenfalls – ein angenehmer Mann, ungefähr 36 Jahre. Ich glaubte zu merken, daß Emilie seine Lieblingsschwägerin ist. Die Unterhaltung wurde dann munter und lebhaft, über Magnetismus u. a. Deliziöses, kleines Souper. Ich saß zwischen dem Feldmarschall und Scharnhorst, der viel über Schweden, das er gerne einmal sehen möchte, sprach, und mit Hochschätzung über unseren König. Als Frau Helvig nach dem Souper Abschied nahm und wir fortgingen, bot der Feldmarschall ihr den Arm und führte sie die Treppe hinunter bis zum Wagen. Eine solche Höflichkeit zu erweisen, wäre einer schwedischen Exzellenz wohl nie in den Sinn gekommen! Als ich heim kam, fand ich Adolf sehr freudig gestimmt durch interessante Briefe aus der Heimat.

 

Den 14. Zu Hause. Hörte Adolf sein Abschiedslied an Sophie singen: »Fahr wohl, du gutes Kind«. Er begleitete mich dann zu Helvigs. Dort spielte er, und Fräulein Altenstein sang sein »Ingeborgs Klage« – lieb und schön.

 

Den 16. Gespräch mit Adolf über Logier. Ich versprach, die Kosten seines Kursus zu bezahlen. Kann ich es? Doch, ich werde mein ganzes Leben an mir selber sparen. Dann bei Helvigs. Bettina kam hin und plauderte mir die Ohren voll und verlangte mein Urteil über ihren Brief an den mir Unbekannten. Arme Bettina! Sie sprach von ihrem Verhältnis zu Arnim, sie läßt ihm Gerechtigkeit widerfahren, aber er ist ein kalter Freund. Warum werden doch alle Ehemänner so gegen ihre Frauen? Sie führen sie dadurch in Versuchung, bei anderen zu finden, woran sie sie doch selbst gewöhnt haben: Liebe und Teilnahme. Müßten sie die Schwächeren, die sich ihrem Schutze anvertraut haben, nicht lieben und leiten? Wunderliche Widersprüche! Ach, Bettina hat recht: Vertrauen, Liebe, Freundschaft sind nicht mehr zeitgemäß, ein kalter Egoismus ist an ihre Stelle getreten! Doch nein – das Gute ist schon da, wenn wir es nur zu suchen verstehen. Mit einem achtungswerten, ausgezeichneten, redlichen Gatten und sechs gesunden Kindern, meine ich, daß man eigentlich für sein Fühlen und Denken genug haben könnte! Und dennoch sucht Bettina etwas außerhalb dieses Kreises! Das muß unrecht sein! Las dann Helvigs die Fortsetzung meiner Erinnerungen vor, für die sie sich immer mehr interessieren.

 

Den 17. Bei Helvigs fand ich Amalie recht unpäßlich. Frau Bardeleben kam, ich las ihnen aus dem Morgenblatt »Gräber der Könige« von Amalie vor, es handelt von den Gräbern in der Riddarholmskirche in Stockholm. Amalie schien mir matt und reizbar.

 

Den 20. Adolf kam, und wir gingen zusammen in das Schauspielhaus, wo wir »Die Schuld« sahen.

 

Den 21. Ich kaufte Blumen und Früchte für Frau Groeben, die prächtige alte Frau, deren Geburtstag war. Abends mit Frau v. Bardeleben bei ihr. Da waren auch Frau v. Knobelsdorfs, Frau Kund mit ihren Töchtern, Dieffenbachs, Professor Tieck, der Bildhauer, und Agnes Tieck, die den Namen des Dichters trägt, aber, wie es heißt, nicht seine Tochter sein soll, Frau Zimmermann, die anmutig und schön sang – sie sieht gewinnend aus, obgleich beinahe häßlich zu nennen.

 

Den 22. Adolf bei Logier, er beginnt diesen Kurs ernsthaft mitzumachen. Am Abend waren wir bei »Feldmarschalls«, wie man hier allgemein sagt. Da ist alles prächtig, mit Geschmack und Maß. Späterhin kamen auch Frau Savigny mit Tochter und Mann, Bettina, Baron von Rumohr, ein Hamburger, großer Kunstkenner, der kürzlich ein gelehrtes Kochbuch herausgegeben hat, das, wie ich glaube, »Philosophie der Kochkunst« heißt.

Der älteste Sohn Gneisenaus und ein junger Prinz Radziwill, ein wenig unserem schwedischen Kronprinzen ähnlich, und sein Vater, Fürst Radziwill, der gewöhnlich in Posen als Gouverneur residiert, waren auch da. Die Fräuleins sangen. Am schönsten war ein deutsches Lied »Gute Nacht«. Bettina zurückhaltender als gewöhnlich. Fürst Radziwill zeigte uns ein Bild, das er auf einem seiner Güter in Litauen gefunden, vermutlich um 1480 herum von Hugo van der Goes gemalt, Maria Verkündigung. Der Engel mit dem Palmenzweig grüßt Maria. Gerührt und bestürzt über den hohen Gruß scheint sie, eine Hand an der Brust, zu wanken, zwei Englein stützen sie, Tauben schweben über ihrem Haupte, hinter ihr steht ein großes, rotes Himmelbett mit reichen Draperien, wie gewöhnlich auf den deutschen Bildern; neben ihr ein kleines Schränkchen mit einem aufgeschlagenen Buch, auf das sie die andere Hand stützt, daneben steht ein Lilienstengel und auf einem anderen Tischchen ein Leuchter mit einer brennenden Kerze, einer Karaffe und einem Wachsstock. Ein schönes Bild!

Zu meiner Verwunderung, nachdem ich den ganzen Abend ziemlich stumm gewesen – außer als Bettina mir das befriedigende Resultat des Briefes, den sie mir mitgeteilt hatte, erzählte –, führte mich der Feldmarschall zu Tische. Es war in einem Saal gedeckt, zu dem man durch zwei Salons gelangte. Da wurde mir die Ehre zuteil, zwischen ihm und dem Fürsten Radziwill zu sitzen, der die Dame des Hauses geführt hatte.

Fürst Radziwill sieht prächtig aus und soll ein ausgezeichneter Mann sein. Ich war einigermaßen in Verlegenheit, wie ich ihn ansprechen sollte. Mit königlichen Hoheiten habe ich wohl schon zuweilen gesprochen, aber wie ich diese Art Hoheit anreden sollte, wußte ich nicht recht. Ich faßte doch Mut und nannte ihn Votre Altesse, da er mich französisch anredete. Er soll ein tüchtiger Musikus sein und hat, wie man sagt, eine schöne Musik zu Goethes Faust komponiert, er sprach nun darüber und sagte, daß er nach dem so leicht keinen Stoff finden könne. Bettina erzählte ihm von ihrem Lied der Kassandra, er hörte mit großem Interesse zu, und sie intonierte auch etwas daraus mit ihrer scharfen, schrillen Stimme.

 

Den 23. Zu Mittag bei Helvigs. Die Kinder, die bei Dora versammelt waren, spielten mit Eiern – Verstecken und Suchen – dies ist hier Gründonnerstag Brauch. Dann las ich in meinen Erinnerungen.

 

Am Charfreitag ging ich in die katholische Kirche. Ein schöner Bau, von außen nach dem Muster des römischen Pantheon erbaut, eine Rotunde mit schönem Portikus. Ich bekam einen guten Platz, wo ich stehend Christi Grablegung gut sah, d. h. ein Kruzifix mit dem Bilde des Heilands wird in eine Art Sarkophag gelegt. Dann zog eine Prozession mit mächtigen, brennenden Wachskerzen rings um die Kirche, über dem Bischof wurde ein Himmel getragen. Anstatt die Glocken zu läuten, schlägt man nur mit Holzklöppeln darauf, alles ist dumpf und wehmütig, alles mit Trauerfloren verhangen. Schöner Gesang.

Heimgekehrt, kam bald nach mir Bettina. Lebhaftes Gespräch, sie wollte mich auf »den Unbekannten« neugierig machen, der, wie sie behauptet, ein besonderes Interesse für mich hat. Ich wurde es auch, aber nur für kurze Zeit. Sie soll nicht Macht über mich bekommen! Unter anderem sagte sie auch, sie hätte nie eine Frau getroffen, die ihr so viel Vertrauen eingeflößt habe wie ich – und im selben Atem gestand sie, gegen Amalie und Frau Bardeleben perfid gewesen zu sein!

Es schmeichelt, als eine Ausnahme angesehen zu werden, aber ich verlasse mich nicht auf sie. Sie ist pikiert, weil ich nie mehr sage, als daß sie mich unterhält – sie möchte interessieren – aber ich glaube nicht an sie. Ein eigenes Verhältnis – nicht so übel!

Mit Adolf ging ich dann ins Opernhaus und hörte in dem schönen Konzertsaal Grauns Kantate »Der Tod Jesu«, prächtig ausgeführt und von Zelter dirigiert. Madame Schulz und Stümer sangen schlechthin vortrefflich, letzterer nur allzu wenig. Ich wünschte, Geiser wäre dabei gewesen! – Dann nach Hause. Adolf irritabel, wollte mich reizen, indem er meine »vornehme« Art gegen die Dienstleute tadelte. Ich ärgerte mich jedoch nicht, sondern will versuchen, mich zu bessern, denn er hat vielleicht zum Teil recht.

 

Den 25. März. Ich habe Walter Scotts » The Lady of the Lake« zu Ende gelesen, charmant! Ein Hauch des Hochlands durchweht und belebt diese ganze Dichtung, die ebenso edel wie schön ist. Als ich den letzten Vers beendigt hatte, drehte ich das Buch nur um und fing wieder von vorne an.

Ging mit Maja-Lisa in die katholische Kirche und sah das Auferstehungsfest, schöne Musik, aber keine Prozession. Von da zu Helvigs. Frau Bardeleben und Hughes waren da, letzterer las uns einen recht interessanten Brief einer Mrs. Adamson vor, die in der Nähe von London mit ihrer Familie, die er als besonders liebenswürdig schilderte, » in a delicious cottage« wohnt.

 

Den 26. Adolf bei Mendelssohns. Ich bei Helvigs, las ihnen zu Ende vor, was ich von meinen Erinnerungen aufgeschrieben habe. Eine große Ermunterung, sie fortzusetzen, ist das warme Interesse, das Helvigs dafür bezeigt haben, Sie haben mir auch ans Herz gelegt, diese Schreiberei, die für mich mehr ein Vergnügen, als eine Arbeit ist, ja nicht aufzugeben.

 

Den 27. Adolf arbeitete fleißig. Das ist mir eine Freude, die meinem von der Teilnahme für ihn gefesselten Gemüt gleichsam Befreiung, Mut und frische Lebensluft bringt.

Amalie erholt sich mit jedem Tage. Sie ist seit einiger Zeit sanfter und herzlicher, und er freundlicher gegen Frau und Sohn. Dora ist und bleibt sein Liebling.

Abends begleitete Bror mich ins Schauspielhaus, wo wir »Der Jude« sahen, von Devrient vortrefflich gegeben, von den anderen weniger gut. Dann wurde »Die gefährliche Nachbarschaft« von Kotzebue gespielt, worin Devrient als der in sein Mündel verliebte Schneider Fips wieder köstlich war.

 

Den 26. März. Frau Bardeleben kam, bekümmert über ihre unverbesserliche alte Mutter. Unbegreiflich, daß man bei so vielen Sorgen, wie Frau v. Bardeleben sie erfahren hat, sich eine so muntere Laune erhalten kann! Ist es Stärke oder Schwäche?

Oh Gott, ich danke dir für meinen wiedergewonnenen Frieden! Möchte ich ihn mir bewahren können! Fähigkeiten und Kräfte, die erstickt oder gefesselt werden, wenn nur eine Neigung herrschend ist. wenn man bereit ist, alles für eines aufzuopfern, erwachen dann wieder. Törichte Hingabe, die kein irdischer Gegenstand je verdienen oder belohnen kann! Möchte ich doch für immerdar über diese Torheiten hinaus sein und die Erinnerung an dich, du edler, reiner, dahingegangener Freund, geheiligt und geläutert, das liebebedürftige Herz erfüllen ? dann habe ich nicht vergeblich gekämpft, so teuer auch die Ruhe erkauft sein mag.

 

Den 30. Bettina interessant. Aber es ist mir eine rechte Anstrengung, ihren himmelstürmenden Ideen zu folgen, ich fühle mich zu beschränkt dazu. Es bemächtigt sich meiner eine unbeschreibliche Müdigkeit. Sie bemerkte es heute, wunderte sich darüber nicht und versprach mir ein andermal mehr – jetzt wollte sie mich ruhen lassen.

Am Abend mit Adolf im Schauspielhaus, wo wir »Phädra«, in Schillers Übersetzung, sahen, prächtig gegeben von Frau Stich, schön kostümiert. Rabenstein-Theseus war gut, Lemm-Theramenes vortrefflich! Krusemann-Hippolytos so gut, als sein garstiges Gesicht es zuläßt, seine Gestalt ist ja schön. Vorher wurden »Die Rosen des Herrn von Malesherbes« gegeben, eine allerliebste Anekdote bildet die Fabel dieses ebenso anmutigen Stückes.

 

Den 2. April. Bei Helvigs, wohin auch der Maler Schlesinger kam, um sein Votum über Amaliens Christophorus abzugeben. Frau Savigny war auch für ein Weilchen da. Sie ist auf den ersten Blick anziehend, aber wird es nie in erhöhtem Maße, eine oberflächliche, untätige Natur. Rosenblad und Lindblad kamen ebenfalls, und das Gespräch drehte sich um historische und literarische Gegenstände, interessant. Lindblad erzählte von dem französischen General Rapp, dessen Bekanntschaft er 1817 in Kolmar gemacht und der mit so tiefer Hingebung an Napoleon hing. Über Tegnèr, den Lundblad enthusiastisch liebt und bewundert, wurde auch viel gesprochen, und Lundblad las uns mehrere seiner ungedruckten Gedichte so recht con amore vor.

Von Luise Imhoff Vermählt mit Baron Klock. erhielt ich einen herzlichen, freundschaftlichen Brief, in dem sie mich sehr warm nach Schlesien einlädt. Gerne möchte ich ihr zuliebe die 40 Meilen reisen – aber Geld, Zeit, Adolf? Ich will und will nicht! Peinliche Unschlüssigkeit! Ach, seit langer Zeit habe ich nicht so gute Tage gehabt, wie in diesen letzten Monaten, wo mütterliche Fürsorge mein Herz erfüllte, wo alles gut zu werden verspricht, wo ich mit froher Hoffnung einschlummere und das letzte, was ich höre, Adolfs Fortepiano aus dem Nebenzimmer ist, und das erste, wenn ich erwache, dieselben schönen Töne, dieselbe Freude! Schwer, einen Entschluß zu fassen – aber es bietet sich wohl sonst nie mehr Gelegenheit, die gute liebe Luise wiederzusehen.

 

Den 4. April wußte ich, daß Bettinas Geburtstag war. Ich schickte ihr anonym einige Zeilen, die sich auf einen Vers bezogen, welchen sie mir zu Weihnachten zeigte, aus ein rubinfarbnes Kristallglas geschrieben, als Weihnachtsgabe für den mir unbekannten Freund, von dem ich sie so viel sprechen höre. Mein Brief war von einer kleinen Kragennadel zusammengehalten, in der Form eines unauflöslichen Knotens, mit der Inschrift: » je pique, mais j'attache«. Die beigelegten Zeilen lauteten:

Mystère de l'âme.

Sublime flamme!
Remonte au ciel
Dont tu émanes!
Eclaire la terre
Sans l'embraser
il ne s'y trouve
Pas d'aliment
Digne de toi!

» Mystère de l'âme« ist ein Ausdruck der exzentrischen Bettina.

Frau Bardeleben holte mich zu Savignys ab, Bettina hatte sich ausgebeten, daß wir dorthin eingeladen würden, um ihren Geburtstag zu feiern, und mir versprochen, mir dort den Unbekannten zu zeigen, den ich allerdings schon gesehen haben soll, ohne zu wissen, daß er es ist. Im Wagen erzählte Frau Bardeleben, sie sei des Morgens bei Frau Arnim gewesen, als ein Brief ankam, der sie ungeheuer intrigierte. Mein kleiner Plan war also vollkommen geglückt.

Als wir zu Savignys kamen, fand ich Bettina sehr inquiète und sehr neugierig. Sie wußte nicht, was sie glauben sollte – gerne hätte sie gewollt, daß mein Brief von dem Unbekannten herrühre, das hätte nämlich ein Präsent erklärt und ergänzt, das sie von ihm bekommen und das an sich allzu unbedeutend war, eine schlecht gearbeitete bronzierte Sphinx auf einem Porphyrfuße als Briefbeschwerer. Häßlich und alt sah das Ding aus und war nur lose in Papier gewickelt an Savignys Adresse gesandt, der Baronin Arnim zu übergeben. »Das häßliche Tier«, nannte Bettina ihre Sphinx und sagte: »Er ist doch ein Esel, wenn nicht auch das kleine goldene Knötchen und die Zeilen dort von ihm kommen!«

Dies wiederholte sie und sah mich dabei so unruhig forschend an, daß ich mich verpflichtet fühlte, zu gestehen, daß ich ihr »das goldene Knötchen« gegeben. Ein absonderlicher Zufall hatte dies nun recht lächerlich gefügt, aber es tat mir weh, der armen Bettina ganz unabsichtlich eine Enttäuschung bereitet zu haben.

Merkwürdig, wie die einfältige Treue und Ehrlichkeit doch auf die Länge den Sieg behauptet! Ich bin nun ausgesprochen diejenige, zu der sie am meisten Vertrauen hat! Und sie soll sich nicht in mir täuschen! Seltsam wäre es, wenn ich ihr in irgendeiner Weise förderlich sein könnte.

Ihre vier schönen Söhne kamen unerwartet vom Lande, wo sie ein paar Wochen beim Vater gewesen waren. Aber da Bettina in diesen Tagen ihre Wohnung in Berlin wechseln soll, kamen sie jetzt recht ungelegen! Ich glaube nicht, daß sie einen solchen Umzug mit sechs Kindern mit Ordnung und Leichtigkeit bewältigen kann. Arme Bettina! Bei all ihrer Überlegenheit gebricht es ihr vielleicht doch an den Eigenschaften einer Mutter und Gattin. Wenn ich dies zuweilen aussprach: dann erwiderte sie: »Ich weiß doch nicht – wenige Mütter haben vier solche Knaben aufzuweisen wie meine und zwei so schöne artige kleine Mädchen! Ich habe sie selbst von ihrer Geburt an gestillt und gepflegt, die Erziehung der Knaben bestreitet Arnim, für meine Töchterchen trage ich selbst Sorge.«

Bei alledem kann ich manchmal nicht umhin, die schonen kleinen Mädchen mit ihren bis zu den Schultern bloßen Armen zu bedauern, wenn sie so erfroren und blau aussehen und wenn ich höre, daß es bei Frau Arnim nur selten ordentliche Speisestunden gibt. Sie hat mir selbst gesagt, wenn sie hungrig ist, dann schlägt sie ein Ei auf und trinkt es roh.

Der Abend war nicht sehr vergnüglich. Die Herren Klingemann, de Groote, Strumpff, Poninsky, Rudolf und Graf Waldenburg, Sohn des Prinzen August, waren da. Major Wildermuth, Bettinas Freund, fehlte. Savigny selbst, der so prächtig aussieht, nimmt nie an Gesellschaften teil.

 

Den 5. Abends mit Amalie in der Direktionsloge des Schauspielhauses, sah »Lebende Bilder« mit großem Vergnügen und darauf »Alanghu«, ein Effektstück von Raupach, in dem Madame Stich bezaubernd ist.

Daheim fand ich Adolf bei guter Laune. Wie ich schon an seine Braut schrieb: er braucht mich gar nicht mehr, und ich kann mich darüber freuen!

 

Den 6. Adolf bei Logier, Zelter und Berger. Er kam sehr befriedigt von dem prächtigen alten Zelter zurück, der gegen ihn überaus freundlich und gütig ist. Bei Helvigs war Se. Exzellenz übler Laune. Kurioser Mensch! Die geringste Unannehmlichkeit bringt ihn auf. Adolf kam und wir gingen ins Schauspielhaus, wo wir »Die Fürstin Chawansky«, Trauerspiel von Raupach, sahen. Viel Effekt, ein bis zuletzt künstlich geschürtes Interesse hilft dem Stücke auf, das doch große Fehler zu haben scheint. Madame Brede aus Stuttgart gab die Zarin Sophie als Gastrolle mit viel Studium und gut deklamierten Versen. Sie ist hübsch, aber zu dick, sie hat keine schöne Stimme und in ihrem Spiel keine Natur.

 

Den 7. Amalie und ich holten Frau v. Varnhagen ab und fuhren mit ihr zu Frau v. Kalb, wo wir den Abend sehr angenehm verbrachten. Das Gespräch war lebhaft und interessant. Frau v. Kalb sprach von den Unglücksfällen ihrer Familie, als wären sie in einer anderen Welt geschehen. Frau v. Varnhagen, die kränklich und nervenschwach ist, erzählte einen Traum, der sie in der verflossenen Nacht furchtbar erregt hatte. Sie glaubte Friedrich II., Preußens Helden, in seiner gewöhnlichen Tracht, aber aus Marmor, in einem Bette liegen zu sehen. Diese Statue hob die Brust wie in den letzten Zügen, aber konnte nicht sterben. Sie und ihr Mann standen neben dem Bette, das so breit war, daß noch eine Person neben dem Sterbenden liegen konnte. Varnhagen bedeutete ihr, sie solle sich hinlegen. In größter Angst sagte sie, daß sie das nicht tun wolle. Aber er stellte ihr vor, daß es unvermeidlich sei, daß sie sich hinlegen müsse und daß es bei dem Tode königlicher Personen gebräuchlich sei, daß jemand gleichsam ihre Todesangst teile. Sie wollte jedoch nicht, und ihr Mann wurde böse. Der Todeskampf der Statue dauerte fort. Sie und Varnhagen sagten zu wiederholten Malen: »Beten Sie doch, beten Sie, Gott wird Ihnen helfen!« Nachdem sie mehrmals so gerufen, erhob sich die königliche Statue, ging starr durch die Räume und die Treppen hinunter in den Hof. Sie sah ihn so durch das offene Fenster gehen und rief beständig: »Beten Sie, um Gottes willen, beten Sie!« Da wandte sich die Statue um, erhob drohend den Arm gegen sie – und sie erwachte voll Angst und Schrecken.

Amalie erzählte, daß sie in der Zeit, als sie häufig mit dem talentvollen, geistreichen Gentz zusammentraf, der ihr ergeben war und dem sie nahe daran war, ihr Herz zu schenken, nur zurückgeschreckt durch seinen nicht sehr guten Ruf als sittenlos und leichtfertig, sie eines Nachts träumte, daß sie mit ihm durch lange Bogengänge ging, wo es sehr unrein war. Sie war ganz weißgekleidet mit einer langen Schleppe, wie es damals Sitte war. Mehrere Leute sahen sie staunend an, wie sie so Arm in Arm in vertrautem Gespräch mit Gentz ging. Sie merkte, daß aller Kleider beschmutzt waren, da sah sie an ihrem weißen Kleide herab – es war ganz rein geblieben, und unbefleckt durchschritt sie den Bogengang.

 

Den 8. April. Abends sahen wir eine Anzahl von Montfaucons » Antiquités expliquées« durch. Amalie beschrieb ein paar schöne Marmorkandelaber, die die Offiziere der preußischen Armee im Jahre 1815 Madame La Roche-Jacquelin verehrt hatten, der Witwe des berühmten Chefs der Vendée, der im Kriege für die Bourbons fiel. Diese Kandelaber waren von Rauch und Tieck verfertigt, der eine die Attribute der Trauer, der andere die des Sieges darstellend. Sie sollen in jedem Betracht Meisterwerke sein.

 

Den 9. In der Kirche, hörte Schleiermacher predigen, gut, aber zu abstrakt, zu wenig anwendbar, will es mir scheinen. Göttliches Wetter. Mit Frau Bardeleben ging ich Helvigs neue Wohnung besichtigen, die sie im Frühling beziehen sollen, sie ist schön und freundlich. Fuhr dann in den Tiergarten. Bettina war für ein Weilchen da. Auch Frau Varnhagen kam, las einen Artikel von Chateaubriand aus dem » Constitutionnel« vor und sprach mit Verstand darüber.

 

Den 10. Bei Helvigs warm Matthisson und Streckfuß zum Mittagsessen da. Interessant! Das »Elysium« von Matthisson, das ich seit meiner frühesten Jugend auswendig kann, wollte er durchaus von einer Schwedin hören, und es machte ihm Vergnügen, im hohen Norden so bekannt und gelesen zu sein. Matthisson ist ein zierlicher, kleiner, alter Herr mit gepudertem, dünnem Haar, schwarzen, lebhasten Augen, nicht gerade schönen Gesichtszügen, aber angenehmem, sympathischen Austreten. Nach Amaliens Ansicht jetzt mehr als früher, wo er ihrer Aussage nach etwas Pedantisches an sich hatte. Den König von Bayern – Matthisson wohnt in Bayern – rühmte er ganz ungemein. Von dem Lobe dieses Königs widerhallt ganz Deutschland, man preist seinen Verstand und seine Sparsamkeit sowie seine liberale Gesinnung.

Gespräch über die morganatische Ehe des Königs mit der Prinzessin von Liegnitz, die die Herren billigten, die Damen jedoch nicht. Ich bin doch diesmal der Ansicht der Herren. Die Geschichte dieser Ehe ist die: der König hatte diese schöne junge Dame, die Tochter eines alten polnischen Militärs aus guter, aber verarmter Familie, in einem kleinen Badeorte gesehen und gleich großes Gefallen an ihr gefunden. Ein paar Jahre hintereinander suchte der König diesen Badeort auf, und man wunderte sich sehr darüber, bis das junge Fräulein mit ihrem Vater nach Berlin zog und es bald darauf publik wurde, daß der König sich in der Kapelle zu Charlottenburg mit ihr habe trauen lassen. Seine Kinder waren anfangs ungehalten darüber, aber sie soll sich in allen Stücken so gut betragen und eine solche Freude für das Alter des Königs sein, daß sie sich aller Achtung erworben hat. Die Berliner nennet sie »die Königin der Nacht«.

Gespräch über die Lebensweise der königlichen Familie. Die Kronprinzessin hat viele Kenntnisse, ist gut, sanft und vernünftig, man redet nicht viel von ihr, was wohl gerade für sie spricht.

Eine Polin, Gräfin Jarascheffska, kam – sie ist überaus artig, aber hat etwas Steifes, Pedantisches, nicht Angenehmes. Sie ist jung und sehr kränklich.

 

Den 11. Bei Helvigs war Graf Brühl. Er sieht edel und anziehend aus. Abends waren wir in größerer Gesellschaft bei Savignys. Das Angenehmste daran war mir ein Gespräch mit der liebenswürdigen Tochter des Hauses und ihrem allerliebsten sechsjährigen Brüderchen Leo – ein süßer Junge!

 

Den 12. Adolf begleitete mich abends in die Oper, wo wir »Othello« mit Rossinis Musik sahen. Shakespeares herrliche Tragödie verliert freilich als Oper, aber sie ist auch als solche sehr schön, und die Musik dazu gefällt mir sehr – namentlich die Ouvertüre und der letzte Akt. Im allgemeinen wirkt Musik ja störend, wenn sie sich in künstlichen Passagen und Rouladen ergeht. Nur Glucks große, schlichte, edle Töne passen zur großen Oper, sowie die Webers für die Operette.

 

Den 13. Besuch bei Gräfin Jarascheffska, die eine Karte bei mir abgegeben hat. Ich traf Bettina, die von Wildermuth sprach. Er war Kadett an irgendeiner Kriegsakademie in den preußischen Ländern, verließ sie sehr jung zu Beginn der Befreiungskriege, wurde gefangen und setzte dann seine Ausbildung in Frankreich fort, wo er mehrere Jahre verweilte. Er hat sich ihrer Meinung nach so mehr Bildung und Weltkenntnis erworben, als Militärs im allgemeinen besitzen.

 

Den 16. Mit Amalie bei dem Maler Ternit, der im »Luisenstift« wohnt, einer Erziehungsanstalt für junge Mädchen, begründet von der Prinzessin Amalie, der unglücklichen Schwester Friedrichs des Zweiten, die auch dieses Haus bewohnte. Frau Mendelssohn mit ihrem Sohn und ihrer Schwägerin, die Erzieherin im Hause des Generals Sebastian gewesen ist, waren auch da. Wir sahen merkwürdige Dinge, an Ort und Stelle durchpausierte Zeichnungen pompejanischer Wandmalereien, wunderbar schön. Ternit beabsichtigt, sie in Steindruck herauszugeben. Am besten gefallen mir Achilles und Briseis, Achilles mit seinem Lehrer Chiron; Phryxus und Helle, wie sie auf dem goldenen Widder den Hellespont durchqueren – rings um sie ist Wasser, in dem Delphine spielen. Phryxus sitzt auf dem schönen, leicht dahingleitenden Widder und streckt die Hand nach seiner Schwester Helle aus, die von dem Widder herabgefallen ist, im Wasser liegt und bittend die Hand nach dem Bruder ausstreckt. Doch man sieht, wie der Widder ihn entführt, ehe er ihr helfen kann.

Eine Leichtigkeit, eine Anmut, die ich nicht beschreiben kann, zeichnet das Ganze aus. Die Wellen sehen so durchsichtig, so sonnenbeglänzt aus, daß man Helle, die von ihnen umschlossen wird, kaum beklagen kann.

Abends waren Adolf und ich im Schauspielhaus und sahen »Wallensteins Tod«, dieses Meisterwerk Schillers. Ich begreife nun, was jene meinen, welche finden, daß man diese hohen edlen Gedanken durch leichtfertige Gesellschaftslektüre profaniert. Ich in meiner Einfalt habe es immer nur genossen, ohne zu bedenken, daß das Erhabene darin so hoch über dem Alltagsleben und den Begriffen und Gefühlen der meisten Menschen steht, daß es eine wirkliche Entweihung bedeutet, sie zu einem gesellschaftlichen Vergnügen zu verwenden. Ich habe mein ganzes Leben lang in mir poetisch gelebt und die große Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit nicht empfunden – das war bei mir eine Art fortgesetzter Kindheit und Einfalt, vereint mit einer träumerischen, oft phantastischen Vorstellung vom Leben. Ich habe mich so an dem Hohen versündigt und es zu mir herabziehen wollen. In seinem Inneren soll man stumm und ehrfürchtig das Heiligste bergen und bewahren. In meine Unschuld wollte ich es mit allen teilen, zum mindesten mit meinen Freunden – aber bin strenge zurechtgewiesen worden.

Auch jede Theatervorstellung bleibt hinter dem zurück, was man verlangt und erwartet – aber Wallenstein war doch gut. Barlow aus Petersburg gab ihn als Gastrolle, er ist hochgewachsen, hat ein edles Aussehen, einen schönen Kopf und große Würde. Max-Rubenstein und Thekla-Frau Stich sind zu alt für diese Jugendideale. Frau Schröckh als Herzogin und Frau Countsch-Gräfin Terzky waren recht brav.

 

Den 17. Amalie ganz besonders herzlich und aimabel. Den Abend mit ihr bei Rethels – es war sein Geburtstag, sehr artig arrangiert, große Gesellschaft, Musik. Mlle. Richter, ein schönes Mädchen, sang vortrefflich. Dann wurde eine von Haydns Kindersymphonien aufgeführt. Das erinnerte mich an die Abende bei Sr. Königl. Hoheit (später Oscar I.) im Herbst 1819. Die Gräfin Poninsky sah ich bei Rethels wieder, sie ist eine sehr anziehende ältere Dame, die mit Bewunderung von Napoleon sprach. Der Fall des Kaisers hat auch das Unglück ihrer Familie nach sich gezogen.

 

Den 19. Besonders genußreicher Tag! Vormittags bei Bouché, ein schönes Sommerhaus mit einem Blumengarten, blühenden Mandelbäumen, hellrosa Blüten auf den zarten grünen Sträuchern. Sie erinnerten mich an die Tapeten auf Edsberg mit ihren seinen ostindischen Pflanzen und Blüten. Traute Kindheitserinnerung!

Adolf holte mich dann bei Helvigs ab, und wir gingen zusammen in das Operntheater, wo »Die Jahreszeiten« von Haydn mit großem Orchester aufgeführt wurden, dirigiert von Spontini. Die Solopartien gut gesungen von Baader, Blum, Haizinger und Frau Schultz. Zwischen der zweiten und dritten Abteilung exekutierte Hummel ein Rondo brillant eigener Komposition. Er spielt meisterlich. In der königlichen Loge sah ich außer vielen Mitgliedern der königlichen Familie Wellington und den Bayern Wrede. Auch Soult und Marmont waren da.

 

Den 20. Besuch bei Gräfin Goeben, sie lebt wohl nicht lange, dieser Engel! Amalie und ich gingen dann bei schönem Wetter unter den Linden spazieren und trafen Bettina. Sie ermüden mich mit ihrer Gescheitheit. Die Wolken über meinem Haupte jagten dem Norden zu. Wie gerne wäre ich ihnen gefolgt in mein einfaches, unverdorbenes Vaterland, zu meiner herzlieben Schwester Gustava, der meine Gedanken zuflogen. Gesegnet sei sie und ihr ärmliches, dürftiges Heim!

Den Abend im Schauspielhaus, wo wir »Kritik und Antikritik« sahen, ein witziges, lustiges Stück von Raupach, von Frau Stich, Devrient, Lebrun, Rüthling ganz vortrefflich gespielt. Es war wirklich sehr ergötzlich, ich habe noch nie solche Lachsalven gehört.

 

Den 22. Amalie zeigte mir Geijers Antwort auf ihren Brief – höchst interessantes Bild von ihm selbst. Ich sprach den Wunsch aus, daß Adolf diesen Brief zu lesen bekäme, der ihm in mehr als einem Betracht zum Trost und zur Aufmunterung gereichen könne. Sie gestattete es auch, und er verfehlte seine Wirkung nicht. Amalie las mir »Die Reise«, den ersten Teil ihrer Arbeit über Schweden, vor, die mich sehr interessiert, ebenso ihre vortrefflichen Briefe an Hamilton und Atterbom.

Dann las ich im »Morgenblatt«, indes Amalie begann Geijers Geschichte Schwedens zu übersetzen, wie sie es sich vorgenommen hat. Sie zeigte mir dann auch einen Brief des Theaterdirektors Grafen Brühl, der sie auffordert, eine Rezension über die »Lebenden Bilder« zu schreiben.

 

Den 23. war ich mit Amalie und Frau Bardeleben in der Direktionsloge und sah »Das Geständnis«, ein schlechtes Stück von Kotzebue, »Komm her« von Elfsholz und »Das letzte Mittel«, unterhaltend und gut gespielt. Beim Ausgange trafen wir Varnhagens und Rethels. Varnhagen begleitete mich nach Hause. Adolf bei seinem Lehrer Logier, zu Hummel eingeladen.

 

Den 27. Traf Bettina auf dem Spaziergang, ging mit ihr nach Hause und spielte mit ihren Töchterchen. Sie erzählte mir von der »zurückgeschickten Musik«, »dem unversiegelten Billett«, »dem Hühnerherz«, und schließlich kam die Lösung des Rätsels: Wildermuth! – wie ich schon vorher geraten hatte.

Wie gut sie spricht! Über Amalie – ja, ja, sie hat vielleicht nicht so unrecht! Ich sprach meine Meinung über das aus, was ich vom Berliner Gesellschaftsleben gesehen habe.

Sie hat ihren ganzen Roman Goethe geschickt (nämlich den Briefwechsel mit Wildermuth). Sie las mir auch Goethes Antwort vor, worin er u. a. schreibt: »Du bist der Prosa auf den Kopf getreten, aber nimm dich in acht, daß sie dich nicht in die Fersen beißt!« Und er schließt mit: »Kehre um zu deinen alten Göttern, daß wir uns wiederfinden und ich mich freuen kann über das, was du mir bist und warst in dem Leben, das man das Ewige nennt.«

Amalie, die zur Prinzessin Wilhelm befohlen worden war, hatte sich gut unterhalten. Der Kronprinz mit seiner Gemahlin war auch da und hatte Amalie gefragt, »ob ihre schwedische Freundin noch bei ihr wäre«, und ob ich, wie er gehört habe, wirklich eine so große Bewunderin von Carl Johan sei? Ganz kurios.

 

Den 28. Graf Paul Haugwitz, ein alter Freund Amaliens aus der Zeit, als sie noch in Heidelberg wohnte, kam zu ihr. Nachdem er gegangen war, erzählte sie mir von seinem Vater, dem alten Grafen Haugwitz, einem großen Diplomaten und klugen Weltmann, Epikuräer und Egoisten. Er wollte jedoch seinen beiden Söhnen eine strenge gute Erziehung angedeihen lassen und tat sie für mehrere Jahre in ein berühmtes Institut in Neuwied, der Herrnhuterstadt. Der Kontrast zwischen der strengen Sittenlehre, den eifrigen klassischen Studien dort und dem leichtfertigen Gesellschaftsleben, in das sie späterhin eingeführt wurden, hatte einen verhängnisvollen Einfluß auf ihr Gemüt und ihren Charakter. Der älteste, Paul, wurde schwermütig, der jüngere erschoß sich nach ein paar Jahren tollen Lebens. Der Vater, ganz entsetzt darüber, schloß für seinen einzigen übrig gebliebenen Sohn sogleich eine vorteilhafte Heirat ab, ohne dabei seine Neigung zu befragen. Die Braut wurde ihrerseits auch überredet und gestand sogleich nach der Hochzeit ihrem Gatten, daß sie schon längst ihr Herz einem anderen Manne geschenkt habe, den zu heiraten ihre Familie ihr nicht gestattete, aber daß sie diese ihre erste Liebe nicht verraten wolle. Nach dem Tode seines Vaters trennte er sich von dieser Frau und vermählte sich mit einer Prinzessin Carolath, einer edlen, anmutigen Dame. Amalie sprach auch von der Ehe und der Scheidung ihres Vetters Fritz v. Stein. Alles bestärkt mich in der Hoffnung, daß die Schweden, wenn sie auch nicht so gebildet sind wie diese »gescheiten Leute«, doch noch mehr Moralität und Pflichtgefühl haben.

Vorschlag, mit Fräulein Burislawsky nach Schlesien zu reisen. Luise wiederzusehen wäre mir eine große Freude, fast deucht es mir eine Pflicht.

 

Den 29. Adolf sagte mir gestern, daß er Aussicht habe, ein Zimmer bei Mendelssohns zu mieten. Das wäre gut! – Jetzt ist sie also zu Ende, diese Epoche, die mir trotz ihrer Schwierigkeiten und Kümmernisse doch durch meine innige Zuneigung lieb war. Jetzt werde ich wieder einsam sein. Erwachte mit dem Gedanken: er ist nicht mehr dort hinter jener Türe, von der ich nun ein halbes Jahr wußte, daß sie in sein Zimmer führt. Es wird schon besser werden – doch unsagbar wehmütig!

 

Den 30. Suchte Helvigs in ihrer neuen Wohnung auf, in die sie gestern eingezogen sind. Unbehaglich, da natürlich noch nichts in Ordnung sein konnte, kalt, denn die Ofen rauchen, höchst üble Laune des Hausherrn, Mangel an Anpassungsfähigkeit und Geschmeidigkeit bei der Hausfrau – recht fatal! Immerhin erträgt Amalie große wie kleine Widerwärtigkeiten mit Mut und Verstand. Sie ist bewunderungswürdig.

 

Den 1. Mai. Amalie kam und holte mich zu Knesebecks ab, wo ich zum ersten Male den Exzellenzherrn sah, einen umgänglichen, lebhaften, heiteren älteren Mann. Da war auch die liebenswürdige Generalin Brause und Paul Haugwitz, der so außerordentlich interessant aussieht, ernst, nachdenklich und doch lebhaft.

Knesebeck zeigte uns ein schönes Bild, das er in Mailand gekauft hat, das Schweißtuch der heiligen Veronika darstellend, mit einem herrlichen dornengekrönten Christuskopf. Man hält es für einen Correggio.

 

Den 2. Bettina kam. Gerne würde ich sie einmal mit jemand sprechen hören, der sie so recht verstünde und ihr zu antworten wüßte – ich höre ihr mit Vergnügen zu, aber die Anstrengung, die es mir kostet, ihren Gedanken zu folgen, ermattet mich bis zur Erschöpfung. Sie ist sicherlich ein merkwürdiges psychologisches Phänomen! Blitzende Ideen erleuchten oft den Wortstrom. Diesmal sprach sie über die »in der Handlung manifestierte Idee« und sagte, dies sei die wahre Bedeutung des Bibelwortes, das Wort wurde Fleisch, und wir seien in diesem Sinne nur Christi Nachfolger.

Auch erzählte sie von ihrer Kindheit. Im Alter von sechs Jahren verlor sie ihre Mutter Maximiliane Laroche, Tochter der Schriftstellerin Sophie Laroche. Der Vater war trostlos und zog sich fast von allem Verkehr zurück. Sie betrauerte den Hingang der Mutter nicht, aber saß stundenlang auf den Knien ihres Vaters, ohne ein Wort zu sagen und ohne zu verstehen, was er sagte. Er weinte, und das schien ihn zu beruhigen. Manchmal, wenn sie nachts erwachte, lief sie zum Vater hinein und setzte sich stumm auf sein Bett, wo er sich schlaflos und verzweifelt herumwälzte. Keines ihrer Geschwister hatte so recht den Mut, sich ihm in seinem tiefen Schmerz zu nähern.

Als sie acht oder neun Jahre alt war, wurde sie mit zwei Schwestern in ein Kloster in Hessen geschickt, um dort erzogen zu werden. Die beiden jüngeren Schwestern weinten und klagten, aber sie nahm fröhlich Abschied von ihrem Vater, der sagte: »Seht, dies ist das Kind, das gerne seines Vaters Willen tut!« und er legte ihr die Hand segnend aufs Haupt. Nie mehr sah sie ihn wieder, dies war ihre letzte Erinnerung. Er starb in ihrem elften Jahr.

Im Kloster wurde sie ganz absonderlich, sie führte ihre eigene Lebensweise und wurde beinahe für wahnsinnig angesehen. Nach dem Tode des Vaters erwachte sie eines Nachts und trat ans Fenster. Da sah sie den Mond die Kanäle und das Wasserbassin im Garten erhellen, und ihr kam der Gedanke, daß sie in diesem klaren Wasser ihres Vaters Antlitz sehen würde. Unbekleidet lief sie hinaus, durch die langen Gänge zum Wasser hinunter, da stand sie lange und war glücklich. Fortab ging sie allnächtlich hinunter und blieb stundenlang da. Man merkte es nicht oder tat, als ob man es nicht merkte.

Abends ging ich mit Adolf in die Oper und hörte eine schöne Symphonie von Beethoven, Gesang von Haizinger, Violinspiel von Ries, und schließlich sahen wir noch eine charmante Ballettpantomime »Der Zögling der Natur« mit Mme. Désarguès-Lemière.

 

Den 3. Abends waren wir bei Altensteins. Mozarts » Cosi fan tutte« wurde von den Fräuleins Altenstein, Brause und Waldenburg durchgesungen. Diese letztere Prinz Augusts Tochter mit Demoiselle Wickmann, die jetzt Gräfin Waldenburg genannt wird. Dieses Fräulein von Waldenburg ist das schönste Mädchen, das ich in Berlin gesehen, ungefähr 19 oder 20 Jahre alt, mit reichem schwarzen Haar und herrlichen Augen.

Die Grafen Waldenburg und Burislawsky sangen die männlichen Partien. Es war sehr schön und trefflich ausgeführt.

Der älteste Sohn von Amaliens Vetter, Fritz v. Stein, Luise v. Altensteins Bräutigam, sprach viel mit mir. Er hat schöne gute Augen und gewinnt bei näherer Bekanntschaft.

 

Den 4. Mai. Ging in die Kirche, um Strauß zu hören. Der König mit seiner Familie saß auf der Galerie, ganz einfach gekleidet, ganz schlicht! Ernst und bieder sieht er aus – das rührte mich. Gott segne ihn wie alle guten Fürsten, in deren Händen Millionen von Schicksalen ruhen! Ich entsann mich mit Freuden des wahrhaft schönen Briefs, den Amalie mir vorgelesen: von König Friedrich Wilhelm an seine Halbschwester, die Herzogin von Anhalt-Köthen geschrieben, aus Anlaß ihres und ihres Gemahls Übertritt zur katholischen Kirche. Seine Mißbilligung, seine wahren und richtigen Reflexionen über diesen Schritt mußten Achtung und Vertrauen einflößen.

 

Den 6. Adolf, dem Logier hatte sagen lassen, daß er heute verhindert sei, mit ihm zu arbeiten, schlug mir vor, den Vormittag in Charlottenburg zu verbringen. Bei schönstem Wetter fuhren wir mit Maja-Lisa hin. Frühlingsgrün! Fütterte die Karpfen, die kommen, wenn man eine an der Brücke befestigte Glocke läutet. Wir frühstückten in einem Wirtshaus, nachdem wir spazieren gegangen waren und die betäubende Musik von Millionen von Fröschen gehört hatten.

Nachmittag traf ich Bettina, sie weckt mich immer, wenn ich noch so dumpf bin.

 

Den 7. Bettina kam und saß, wie sie es zu tun pflegt, abgewandt mit untergeschlagenen Beinen auf dem Sofa. Sie erzählte wieder von ihrer Jugend, von ihrer Großmutter Sophie Laroche, von ihrer Mutter Maxe Laroche, die eine von Goethes Leidenschaften gewesen war. Nach längerer Abwesenheit kam er nach Frankfurt, als Bettina eben geboren war und ging zu Frau Brentano, die noch zu Bette lag. Wie Säuglinge gewöhnlich, wurde auch diese kleine Neugeborene in einem Zimmer mit herabgelassenen Gardinen gehalten. Aber Goethe, der die Augen des Kindes sehen wollte, trug sie ans Fenster, »und so«, sagte Bettina, »war der erste Lichtstrahl, der mein Auge traf, ein Geschenk Goethes!«

Die Großmutter wohnte in Offenbach am Main und die älteren Brüder Brentano in Frankfurt im elterlichen Hause, dem gemeinsamen Eigentum der Geschwister. Als Bettina und ihre zwei jüngeren Schwestern noch im Kloster waren, erhielten sie da die erste Kommunion und wurden durch längere Einsamkeit darauf vorbereitet. Bettina war vergnügt und fing in ihrem Zimmer durch das aus den Garten gehende offene Fenster Vögel. Ihre Schwester weinte und machte sich allerlei Skrupeln, beichtete täglich und hatte um alles und jedes die schrecklichsten Gewissensbisse. Kuriose Anekdoten über dieses Klosterleben! Das erstemal sah Bettina mit Bewußtsein in den Spiegel, als sie zur Vollendung ihrer Erziehung mit ihren Schwestern zur alten Großmutter kam und diese sie alle drei in die Arme schloß. Diese Gruppe im Spiegel dünkte Bettina damals sehr schön und rührend, und sie faßte eine besondere Neigung für ihr eigenes Spiegelbild, das ihr dann wie ein zweites Ich wurde, ein vertrauter Freund, der ihr immer zuzurufen schien: Unglück! Eines Tages rief eine der Schwestern, als sie sich beide in dem Spiegel sahen, betrübt: »Ach, was bin ich häßlich gegen dich.« Von diesem Augenblick an konnte Bettina keine Freude mehr an ihrem Spiegelbild haben.

In Offenbach war auch ein Kloster, wo die jungen Mädchen lange Zeit Unterricht nahmen. Da kletterte Bettina auf Mauern und Türme, und einen großen Bottich, der am Ufer des Main lag, richtete sie sich als eine Art Eremitage ein, wo sie vor aller Blicken verborgen nur den Fluß zu ihren Füßen sah, in dem sie oft badete.

Sie erzählte mir auch von ihrer geliebtesten, vertrautesten Freundin Fräulein Günderode und ihrem Selbstmord bei Winkel. Sie verwundete sich zuerst mit einem Dolch und stürzte sich dann in den Rhein, an dessen Ufer sie stand. Wunderliche Einzelheiten darüber. Bettinas Prophezeiung vorher ohne eigentliche Gedankeninspiration. Seltsam, aber interessant, fesselnd, phantastisch schön! Der Dolch – Professor Creutzer! Man glaubt, daß unerwiderte Liebe zu ihm »die Günderode« in den Tod getrieben hat.

Als Bettina gegangen war, konnte ich mich nur schwer von all den Gedanken losreißen, die ihre Erzählungen erregt hatten, um rasch zu dem Diner bei Mendelssohns Toilette zu machen.

Höfliche, artige Menschen. Bei Tische saß ich zwischen dem schwedischen Gesandten Brandel und einem Berliner, der recht angenehm war. Brandel sprach wieder von der Zeit, als wir beide in unserer Jugend in Stockholm einander gegenüber wohnten. Er scheint mehr Erinnerung und Interesse daran zu haben, als ich vermutet hätte.

Um 7 Uhr fuhren wir von dort zu Frau v. Bardeleben. Amalie kehrte nach Hause zurück. Ich blieb, um Bettina zu treffen. Witzig und unterhaltend wie immer, erzählte sie eine Geschichte von drei Blinden, die sich mit einem Arzte berieten, wie sie ihr Gesicht wieder erlangen könnten. Um sie heilen zu können, fragte er nach den Ursachen ihrer Blindheit. Der erste sagte, er habe die Sonne zu viel betrachtet; der zweite hatte die Augen eingedrückt, um in seiner Phantasie die schönsten Farben zu sehen; der dritte hatte Leichen ihres Schmuckes beraubt, wobei eine Totenhand, die er heftig berührte, ihm kalt und starr auf die Augen gefallen war und ihm das Gesicht genommen hatte. Der Arzt erklärte, dem ersten, dem kühnen Erforscher der Wahrheit und des Lichts, könne geholfen werden, dem zweiten, dem Schwärmer der Phantasie ebenfalls, aber der dritte, der Kritiker, der Büttel der Dahingegangenen, sei unheilbar. – Nachdem Bettina gegangen, schien mir alles leer.

 

Den 8. Erwachte mit dem Gedanken an die Trennung von dem, der doch mein Herzenskind ist! Jetzt zehn Monate lang meine tägliche Gesellschaft, der Gegenstand meiner zärtlichsten Besorgnis! Ach, diese liebe Stimme, die letzte, die ich »Gute Nacht, süße Mutt!« sagen höre, die erste, die »Guten Morgen, Mutt!« durch die Türe ruft. Ich werde nicht mehr von ihr geweckt werden – ach, welche Geheimnisse unendlicher Liebe liegen doch in meiner Brust verborgen! – Qualen der Unschlüssigkeit bezüglich meiner Reise nach Schlesien. Ach, wüßte ich doch, was ich tun soll – was das Rechte ist?

Die Sammlung für Griechenland wird jetzt hier mit Enthusiasmus betrieben. Alle wollen mithelfen, Bettina ist sehr tätig und eifrig.

Ich schrieb Amaliens Verse ab, die gedruckt werden sollen, angenehme Beschäftigung.

 

Den 10. Entschluß zu reisen. Ich ging zu Bettina, die freundlich und vertraulich war, mit Bedauern von meiner Abreise vernahm und mich zu Amalie begleitete, wo wir dann einen traulichen Abend verbrachten. Sehr interessant, sie miteinander sprechen zu hören, der Kontrast läßt sie so gut zur Geltung kommen. Bettina war wie gewöhnlich voll Anekdoten.

Ein blinder Jüngling hat vom hiesigen Institut für Blinde einen Preis bekommen, ich weiß nicht was, aber nichts Unbeträchtliches, und hat diese seine Belohnung den Griechen gespendet. Viel wurde über diese gesprochen, über Herder, über Scheinheiligkeit, die Bettina ein Greuel ist: »sie bohren den Kern aus und weihen die Schale Gott«, sagt sie; über Gneisenau u. a. Amalie freundlich, sanft und gut. Die Menschen mögen mich also doch leiden ich bin nicht so abscheulich und unerträglich, daß ich nicht zuweilen einiges Wohlwollen erwecke.

 

Den 11. Spaziergang im Tiergarten mit Adolf. Nach Hause, Reisevorbereitungen. Bettina kam und erzählte sehr interessante Dinge von Goethes Mutter. Als sie 17 Jahre zählte, war sie in Frankfurt a. M. bei der Krönung Karl VII. dabei. Er war ein außerordentlich stattlicher Mann, und sie war ganz hingerissen von dem schönen Kaiser, der auch das reizende junge Mädchen bemerkte und ihr Aufmerksamkeit schenkte. Als er an der kaiserlichen Tafel bei dem öffentlichen Bankett unter dem Donner der Kanonen aus dem großen Krönungsbecher trinken sollte, da stand sie unter den Zuschauern. Er bemerkte sie, und als er den Becher erhob, suchte sein Blick sie, und er trank ihr gleichsam zu. Sie wurde ohnmächtig und man mußte sie ins Freie führen. Als der Kaiser dann Frankfurt verlassen sollte, weinte sie die ganze Nacht, am Morgen erwachte sie beim Blasen des Posthorns aus ihrem ersten Schlummer. Sie sprang aus ihrem Bette und eilte zum Fenster, aber fiel und stieß sich das Knie an einem großen Brettnagel – aber sie kam doch noch zurecht, um den angebeteten Kaiser vorbeifahren zu sehen. Die Wunde am Knie wurde schlimm, und sie behielt darnach eine große Narbe. Diesen kleinen Vorfall erzählte die Siebzigjährige Bettina, als sie einmal ein Posthorn hörten. Sie sagte, sie könne es nie ohne innere Rührung vernehmen es sei ihr immer, als künde es eine Hoffnung. Sie zeigte ihr auch die Narbe auf ihrem Knie, die ganz wie ein Stern geformt war. – Einige Zeit darauf fiel die alte Frau und stieß sich die verjährte Wunde auf, es kam Wasser hinein, und das führte nach ein paar Jahren ihren Tod herbei.

Bettina erzählte auch von ihrer ersten Bekanntschaft mit Goethe, der ihr Abgott gewesen, seit sie im Alter von 14 oder 15 Jahren den Werther gelesen hatte. Damals hatte sie von ihm noch nicht als von einem berühmten Schriftsteller sprechen hören. Dieses Buch war das erste, welches sie mit ihm bekannt machte, und von diesem Augenblick an wurde er eine fixe Idee, eine Passion bei ihr, und sie konnte es nicht ertragen, ihn rühmen, ja auch nur andere von ihm sprechen zu hören, ohne die heftigste Eifersucht zu empfinden. Sie hatte keine Ruhe, bis sie nicht mit seiner Mutter, der stattlichen Frau Rat bekannt wurde. Und eigentlich wurde es ihr nur wohl, wenn sie sie von ihrem Wolfgang sprechen hörte. Fleißig besuchte sie die Frau Rat, solange sie gesund war, doch gar nicht mehr, als sie krank und bettlägerig wurde. Weit davon entfernt, dies zu mißbilligen, fand es die alte Frau verständig und richtig, von ihrer Gesellschaft zu profitieren, solange sie noch lebhaft war und gerne sprach, und sie dann in Ruhe zu lassen. Erzählungen von ihrem einzigen heißgeliebten Sohn waren immer der Gegenstand ihrer Gespräche.

Wilhelm Meisters Lehrjahre wurde bald Bettinas liebstes Buch, Mignon ihr Liebling. Eines Nachts, als es sehr kalt war, erwachte sie und erinnerte sich, daß sie das Buch auf dem Fenster liegen gelassen hatte. Gleich fiel es ihr ein, daß Mignon frieren könnte. Sie sprang auf, nahm das Buch ins Bett, um Mignon zu erwärmen und trennte sich dann nie von diesem Buche, das für sie eine wirkliche Persönlichkeit wurde.

Vier Jahre weihte Bettina Goethe diese Anbetung, ohne ihn zu sehen. Ihre Schwester Loulou, dieselbe, die (im Kloster) so skrupulös gewesen, war schon verheiratet und sollte mit ihrem Mann eine Reise nach Berlin machen. Sie schlug Bettina vor, sich ihnen anzuschließen und versprach ihr, daß sie auf dem Rückweg Weimar besuchen würden. Dies war in den Kriegszeiten 1806, so daß Loulou und Bettina es am bequemsten fanden, in Männerkleidern zu reisen, als jüngere Brüder des Gatten und Schwagers. Mehrere lustige kleine Reiseabenteuer machten Bettina großen Spaß und steigerten noch ihren Mutwillen. Ihre ganze Sehnsucht stand aber nach Weimar, das sie endlich auf dem Heimweg eines Mittags erreichten. Doch sie sollten nur bis zum nächsten Morgen da bleiben und dann die Reise nach Frankfurt fortsetzen. Schwester und Schwager machten sich über ihren Enthusiasmus lustig und hatten gar keine Lust, sie zu Goethe zu führen, den keines von ihnen persönlich kannte. Gleich nach dem Mittagsessen legten sie sich schlafen. Ängstlich, traurig und ratlos wußte das arme Mädchen nicht, was sie anfangen sollte, um das ersehnte Ziel zu erreichen: ihren Abgott zu sehen. Sie nahm all ihren Mut zusammen und ging zum alten Wieland, wurde zu ihm hineingeführt und fragte ihn, ob er sie denn nicht erkenne. Vergebens durchforschte der Alte sein Gedächtnis und bemühte sich, sich ihre Gesichtszüge in Erinnerung zu rufen. Endlich gestand sie zu, daß er sie nie gesehen habe, aber sie sei Sophie Laroches Enkelin, Maximiliane Brentanos Tochter und wolle von ihm auf einen Namen getauft sein, den sie dann gerne behalten würde. Sie bat Wieland nun um einige geschriebene Zeilen an Goethe, mit denen sie Zutritt bei ihm zu erlangen hoffte. Der Alte erklärte sich freundlich und zuvorkommend sofort dazu bereit und erwähnte auch, daß sie Sophie Brentanos Schwester sei. Diese Sophie war Bettinas älteste, verstorbene Schwester und hatte eine Zeitlang in Weimar gelebt, wo sie sehr beliebt und berühmt gewesen war, ein schönes ungewöhnliches Geschöpf.

Mit dieser Empfehlung Wielands begab sich Bettina nun zu Goethe, übergab das Billett einem Bedienten und blieb allein in einem Gemach, wo sie sich an einen Kachelofen lehnte. Nach einiger Zeit öffneten sich ein paar Flügeltüren, und der herrliche Mann, damals über 60 Jahre, trat allein ein. Sie zitterte so, daß sie sich nicht von der Stelle rühren konnte. Er merkte es und führte sie zum Sofa. Da saßen sie nun und sahen sich an. Er begann von dem Verlust der verehrten Herzogin-Witwe Amalie zu sprechen, die kürzlich verschieden war. »Nein,« rief Bettina und sprang auf, »das kann ich nicht aushalten.« Da umfaßte er sie und zog sie auf seinen Schoß, ihr Kopf sank auf seine Schulter, und sie schlummerte ein wie ein Kind. Alle Unrast, alle Sehnsucht war nun gestillt, alles war Friede und Ruhe! – So saß sie eine Weile und hörte nur sein Herz schlagen.

Er hob ihr Köpfchen: »Du hast geschlafen, mein Kind!« sagte er, und nun entspann sich ein recht vertrautes Gespräch, in dem sie ihrer Bewunderung, ihrer Liebe, ihrer Eifersucht Worte lieh. »Mignon«, nannte er sie, und sie erzählte von ihrer Liebe zu dieser seiner Schöpfung, und wie es ihr dünkte, daß diese Figur die einzige sei, die sie im Wilhelm Meister, den sie sonst nicht so recht mochte, fassen und verstehen könne. Aber Mignon sei ihr so lieb geworden, daß sie sich von dem Buche nicht trennen konnte.

Goethes Frau (er hatte sich damals kürzlich mit Demoiselle Vulpius trauen lassen) trat in die Türe. Er winkte mit der Hand und bat sie, ihn bei seinen Gästen zu entschuldigen, er könne nicht zu ihnen zurückkommen, weil er selbst unvermutet den Besuch einer alten Bekannten bekommen habe. Er sagte zu Bettina: »Du bist deiner Mutter sehr ähnlich, aber du bist geistreicher; dein Vater hatte so einen Kopf!« – Von 4 Uhr bis 10 Uhr abends waren sie beisammen, dann mußte sie gehen. Er zog sie herzlich in seine Arme und hielt sie lange an seinem Herzen. Fünfundsiebzig Schläge zählte sie, sprach es aus, riß sich los und lies hinaus. »Wunderliches Mädchen! Du rufst die Jugend in meine Brust zurück!« rief er ihr nach. Sie verschwand und reiste am nächstfolgenden Tage ab. Dann korrespondierten sie mehrere Jahre hindurch häufig.

Zehn Jahre, nachdem der Briefwechsel zwischen ihnen aufgehört hatte, war sie einmal bei ihm in Weimar. Da zog er eine Lade aus seinem Schreibtisch und zeigte ihr ihre Briefe, die darin lagen. »Oft«, sagte er, »lese ich darin, du hast mich mehr geliebt, als irgendein Mensch geliebt hat!«

Einmal klagte Bettina Goethe, sie habe mit der größten Eifersucht einen Ring gesehen, den er einem gegeben hatte, der sich dessen rühmte. Da zog Goethe einen Ring vom Finger, steckte ihn ihr an und sagte: »Wenn einer sagt, er habe einen Ring von mir, so sage du, Goethe erinnert sich an keinen wie an diesen!«

Bettina wäre gern den ganzen Tag dageblieben und hätte erzählt, glaube ich, und ich hätte gerne zugehört, aber nun mußten wir abbrechen. Sie war mir heute höchst interessant! Sie ist mir zugetan, weil ich gut zuhöre und das, was sie sagt, lebhaft erfasse, wenn ich auch nichts erwidern kann.

Nachmittags war ich dann bei Amalie. Hughes auch da, Abschied von ihm. Er gab mir Gays Poesien, » as a feeble memory«, sagte er, ein guter, herzlicher Mensch. Abschied von Amalie.

 

Den 12. Mai stand ich um 4 Uhr morgens auf, sagte meinem Herzenskind Lebewohl und reiste mit Fräulein Burislawsky und Maja-Lisa in einer großen viersitzigen Kalesche mit Mietkutscher nach Breslau ab. Das Fräulein war unpäßlich, sie saß die meiste Zeit still da und schlummerte. Göttliche Jahreszeit. Schläfrig, aber guter Dinge. Zu Mittag in Müncheberg, die Nacht in Frankfurt a. O., das sehr schön liegt. Das Wirtshaus, in dem wir logierten, war höchst angenehm. Gegen Abend ging ich mit Maja-Lisa aus und besah mir ein Monument des Prinzen Leopold von Braunschweig, der hier bei einer Überschwemmung im Jahre 1785 bei dem Versuche, andere zu retten, ertrank. Es gelang ihm, viele in Sicherheit zu bringen, er aber fand schließlich den Tod in den Wellen.

 

Den 13. Fortsetzung der Reise. Der Weg folgt der Oder, die so hoch angeschwollen ist, daß sie alle Wiesen überflutet. Und die frischbelaubten lichtgrünen Bäume stehen da und spiegeln ihre junge Schönheit in dem klaren Wasser. Das Fräulein schlief zumeist. Um 7 Uhr kamen wir nach Grüneberg, wo wir nun in dem Wirtshaus »Die drei Berge« eingekehrt sind.

 

Den 14. Pfingsttag. Ich erwachte durch Musik, wußte nicht, wo ich mich befand, tausend Gedanken erwachten auf einmal, ich rief A–, aber hielt inne und sagte –dolf ganz leise zu mir selbst. Es war Musik vom Kirchturm, man läutete das Pfingstfest ein. Bei trübem Wetter reisten wir ab – recht öde. In Klopschen sollte Fräulein B. ein eigener Wagen abholen. Wir kamen um 2 Uhr hin. Da erwartete sie auch ihre Mutter, sie weinten vor Freude, sich wiederzusehen, seit acht Monaten waren sie getrennt gewesen! Wenn ich mich nicht täusche, hat die Tochter irgendeinen Kummer, für den sie bei ihrer guten Mutter Teilnahme und Trost suchen will. Möchte sie ihn doch finden! Glücklich die Menschen, die jemand haben, dem sie ihre Sorgen anvertrauen und von dem sie Mitleid erhoffen können! Ich habe niemand!

Wir aßen zusammen in der Posthalterei. Dann setzte ich allein meine Reise durch das grüne Schlesien fort, durch eine Allee blühender Obstbäume.

 

Den 15. Erwachte in Lüben mit dem Gedanken, ehe dieser Tag zu Ende geht, sehe ich Luise Imhoff wieder. Um 5 Uhr morgens reisten wir bei schlechtem Wetter von Lüben ab. Frühstückten in Parchwitz, wo ich einen Herrn traf, der Baron von Klock auf Massel sehr rühmte. In Breslau keine Nachricht von Luise, die versprochen hatte, mich hier zu erwarten. Die ganze Stadt ist voll Wolle. Es ist gerade Messe, alle Zimmer besetzt, so daß ich ein ganz elendes Logis habe, wo das Ungeziefer reihenweise an den Wänden herumspaziert. Ich habe mir das Sofa mitten ins Zimmer gerückt, aber es ist mir höchst unbehaglich zumute. Um mich in meiner Not zu trösten, las ich, nachdem ich an Professor Steffens geschrieben, eine Bekannte aus Upsala wünsche ihn zu sprechen. Mein Bote traf ihn jedoch nicht zu Hause an. Abends kam zu meiner großen Freude der treffliche Mann, sehr herzlich, gut und freundlich, tröstend und aufmunternd. Er versprach, mir bei meinen Reisekalamitäten behilflich zu sein. Er sprach von Atterbom, von unserem Kronprinzen und von Berzelius, den Steffens zu seinem Verdruß von mehreren Leuten ins Lächerliche hatte ziehen hören, darunter auch von Wahlenberg. Steffens sagte, daß von den jetzt lebenden schwedischen Gelehrten zwei Namen im Auslande bekannt und geschätzt seien, nämlich Wahlenberg und Berzelius, und darum habe es ihn sehr befremdet, daß der eine dem anderen nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen wolle!

 

Den 16. Erwachte nach einer schlimmen Nacht, und fand alles rings um mich unerfreulich und unbehaglich. Abreise aus Breslau. Nur Steffens leuchtet wie ein Stern durch das dunkle Erinnerungsbild, das ich von dieser Stadt habe, wo alle Straßen voll Wollsäcke waren, und alle Häuser, scheint mir, auch.

Um 12 Uhr kam ich nach Massel – ein Steinhaus mit einem vorgebauten Vordergiebel, zu dem eine ziemlich steile Steintreppe hinaufführt. Verschlossen und ungastlich sah dieses Haus aus, weit und breit kein Mensch zu sehen. Ich ging die hohe Treppe hinauf und hatte Mühe, das verschlossene Tor zu öffnen, vor das ein schwerer Querbalken geschoben war. Aus dem großen dunklen Hausflur schlug mir eine muffige, ungesunde Luft entgegen, und noch immer kein Mensch!

Unschlüssig öffnete ich eine Tür, da saß ein Herr an einem Tisch und schrieb. Er war Klocks Porträt nicht unähnlich, aber schien mir zu jung. Ich schloß daher die Türe wieder und ging durch den Flur auf die gegenüberliegende zu, um dort weiter zu suchen, als der Herr, den ich am Schreibtisch gesehen hatte, herauskam, mich bat, einzutreten, mich erstaunt ansah und endlich sagte: » Ah c'est assurement madame Malla! Welche Freude!« Er ließ mich einen Augenblick allein und bat Luise, hereinzukommen, ohne ihr ein Wort von meiner Ankunft zu sagen. Eine andere Tür öffnete sich, und Luise kam. Sofort rief sie: »Oh Gott, Malla!« Das war himmlisch – und wog alle Beschwerlichkeiten der Reise auf.

Klock kam wieder herein und machte mir einen recht freundlichen und angenehmen Eindruck. Auch die Kinder kamen: Otto, der älteste, hat reiches rotbraunes Haar, braune Gesichtsfarbe und seltsam unregelmäßige Züge – er sieht nicht kräftig aus, aber seine Physiognomie hat etwas so Wechselvolles, so Pikantes. Die tiefen Grübchen in den Wangen, wenn er lacht, kleiden ihn allerliebst. Er ist acht Jahre alt. Ferdinand ist schön und wohlgebildet, hat prächtiges blondgelocktes Haar, braune Augen und eine hohe offene Stirn. Jettchen ein süßes kleines fünfjähriges Ding mit großen blauen Augen, die den tiefen, zärtlichen Blick ihrer Mutter haben. Der dreijährige Eduard rot und weiß wie eine Rose, ein reizender quecksilberner Junge, seines Vaters Liebling.

Um 1 Uhr wurde ein gutes einfaches Mittagsbrot aufgetischt. Guido von Stein, der jüngste Sohn von Luises Vetter, Fritz von Stein, der jetzt in Breslau wohnt, war auch da, ein langer 19jähriger Bengel.

Klock genießt großes Vertrauen und wird, wie Steffens mir sagte, im ganzen Orte hochgeachtet. Er beteiligt sich jetzt an einer neuen Organisation und Verteilung von Schlesiens Grund und Boden, eine Arbeit, welche seine Zeit sehr in Anspruch nimmt.

Luise ist herzlich und gut, seelenvoll und klar wie ehedem. Wir waren gleich wieder auf demselben Punkte miteinander angelangt, wie vor zehn Jahren. Sie erinnert sich an alles und vertraut mir unbedingt – das ist Treue! Der Brief, der meine Ankunft annoncieren sollte, kam eine Stunde später als ich selbst.

Luise ist mit häuslichen Obliegenheiten und der Pflege der Kinder überbürdet, sie ist voll guten Willens, ihren Beruf zu erfüllen. Aber es mangelt ihr an praktischen Fähigkeiten, und so muß sie alles entbehren, woran sie gewöhnt und wozu sie erzogen ist. Die Zimmer sind unaufgeräumt und nicht recht sauber – lange nicht so nett und ordentlich wie in Schweden. Der Stall mit seinem Misthaufen gerade vor den Fenstern.

Schöne lauschige Bäume und ein kleines Wässerchen, das eine Mühle treibt, geben dem Orte Reiz, aber alles sieht negligiert aus. Ich glaube kaum, daß ich in Schweden je ein Landhaus gesehen habe, wo es so sehr an allem und jedem fehlt. Es sieht aus, als verstünden die Deutschen es nicht recht, ihre Vorteile auszunützen und als wäre die Ästhetik bei ihnen mehr theoretisch als praktisch.

Luise ist doch ein Engel! Sie hat nicht die Zeit oder die Kraft, mit nur drei Mägden und einem Bedienten mehr zu leisten.

Klock ist sympathisch, er lebt für eine gute, edle Idee und ist bestrebt, sein Ideal zu verwirklichen, aber er vergreift sich in den Mitteln. Viel Poesie liegt in seiner Natur, die er par force zu Prosa reduzieren will, er wirkt dadurch unharmonisch und unbeständig.

 

Den 19. Luise war heute damit beschäftigt, Raffaels schöne » Madonna del Sesto« nach einer guten Gravüre abzuzeichnen. Sie will sie malen und dann verlosen lassen, um sich so Geld für die Sammlung für die Griechen zu verschaffen. Ihr Mann hat ihr darum diese Zeitvergeudung und Abweichung von den täglichen häuslichen Obliegenheiten gestattet, die sonst ihren ganzen Tag in Anspruch nehmen. Die süße, engelhafte Luise! Sie geht den rechten Weg. Mit unendlicher Aufopferung, Geduld und Selbstverleugnung hat sie sich durch tausend Schwierigkeiten durchgekämpft und die ganze Achtung und Liebe eines strengen, anspruchsvollen Mannes erworben. Alles, was in ihrer Macht steht, tut sie freudig und unverdrossen. Sie will nun auch von mir wissen, alles über die zehn Jahre erfahren, die wir getrennt waren – ich erzählte von den Jahren 1816 und 1817.

Klock ist sehr zufrieden mit mir, und Luise sagt, daß sie sich nie so glücklich gefühlt hat. Dies ist mir eine sehr süße und köstliche Botschaft, und ich möchte für immerdar hier bleiben. Wo man guten Einfluß nehmen kann, da soll man sein! Aber andere sind mir vielleicht auch zugetan und bedürfen meiner. Vielleicht? Daß diesen hier meine Gegenwart wohl tut, fühle ich – ich bin hier so zu Hause, als wenn ich seit Jahren da gewesen wäre. Luise hat das Hinzutreten anderer gebraucht, um von ihrem Manne richtiger beurteilt zu werden.

Wir machten einen langen schönen Spaziergang durch eine Kirschbaumallee und zwischen Erlenhecken, in denen Nachtigallen sangen, nach Buchenwalde, einem Dorfe, das zu Massel gehört. Als wir nach Hause kamen, schwammen 1000 Schafe in dem großen schönen Mühlteich. Morgen sollen sie mit hausgemachter Seife in einem dafür eingerichteten Holzreservoir gewaschen werden, durch welches das Wasser aus der Mühle fließt. Es war ganz ergötzlich, zu sehen, wie diese Unmasse wolliger Tiere, von Hirten und Hunden gejagt, sich in das klare Wasser stürzten und zu einer schönen grünen Wiese hinüberschwammen, wo sie trocknen sollten. Zweimal mußten sie durch das Wasser. Ich sah 2000 Schafe so hintereinander baden.

Bei Sonnenuntergang ging ich dann mit Klock auf das Dach des Hauses, wo er mir in weiter Ferne im Nordwesten Schloß Trachenberg, von den letzten Strahlen der Sonne beleuchtet, zeigte. Da hatte anno 1813 der Kronprinz von Schweden eine Zusammenkunst mit den Kaisern von Rußland und Österreich, dem König von Preußen und anderen Fürsten und wurde von ihnen als Befreier gefeiert – – sie haben es späterhin vergessen – oder zum mindesten scheinen ihre Untertanen nichts davon zu wissen.

Ein schöner Tag, dieser 19. Mai! Die Zeitung brachte auch die Nachricht, daß die Kronprinzessin von Schweden am 3. dieses Monats von einem Sohn entbunden ist, der den Namen Carl Ludvig Eugen, Herzog von Schoonen führen wird. In meiner Freude ging ich in den Buchenwald, um mit Tränen Gottes Segen auf das geliebte Kind herabzuflehen.

 

Den 21. Zu Mittag kamen aus Breslau Baron Friedrich von Stein, Steffens und Hauptmann Scheele, ein Schwede in preußischen Diensten. Heitere, muntere und verständige Gesellschaft. Scheele war sehr erfreut, eine Schwedin zu treffen, die ihm ein wenig von der Heimat erzählen konnte und von seinen Schwestern Charlotte und Fredrika, beide mit zwei Herren Hahr verheiratet.

Luise hatte mir vormittags in ihrem Glashaus einen blühenden Lorbeer gezeigt, den sie als Zeichen deutet, daß Amalie in diesem Sommer wieder herkommen wird, denn er hat voriges Jahr bei ihrer Ankunft zum erstenmal geblüht. »Für wen sonst sollte hier der Lorbeer wohl blühen?« sagte sie.

 

Den 26. Traurige Gedanken an meine lange einsame Reise, bis ich mein einsames Heim erreiche.

Behaglicher Vormittag mit Luise, die ihre Kinder für mich abzeichnete. Wir teilten einander Briefe und geschriebene Aufsätze mit, worunter ein Brief von Geijer im Gasthofe Kumla am Mittsommertage des Jahres 1816 an Luise von Imhoff geschrieben, mich am allermeisten interessierte.

Nach dem Mittagsessen fuhren wir nach Groß-Soger, einem Grafen Blücher gehörigen Schloß, dem Sohn des Helden der Kriege von 1814 und 15. Die Gräfin war allein zu Hause. Sie ist sehr schön, aber furchtbar krank, sie hat oft Konvulsionen, und wenn, wie dies häufig vorkommt, ihr Mann fort ist, dann ist sie ganz allein mit ihren Krämpfen, ihren Pfauen, ihren schönen Blumen und all ihrem Überfluß. Sie ist von gefälligen, vornehmen Formen und zeigte uns auf einer Aténienne eine Menge kleine Kostbarkeiten, darunter eine Tabakspfeife, die ihrem Schwiegervater gehört hat und in deren Kopf die Schlacht bei Katz in das Hirschhorn, aus dem sie gemacht ist, eingeschnitten ist; Figuren, Pferde, Kanonen, weiß auf dem braunen Grunde, ein wirkliches Meisterwerk!

Gegen Abend fuhren wir auf einem anderen Wege von dort fort. Das Wetter war göttlich und die Gegend idyllisch schön mit ihren Feldern, den prächtigen Buchen-, Eichen- und Pappelgruppen und den Birken- und Nadelhainen, in denen große frischgeschorene Schafherden weideten. Die Hirten saßen daneben und spannen, strickten oder flochten Körbe, während die Hunde die Herde bewachten. Ich war ganz entzückt. In der Ferne erblickt man das Riesengebirge graublau am Horizont. Oft sieht man Hasen über den Weg laufen oder Rebhühner, Paar um Paar, durch die Felder spazieren. Hundert Schritte weit von uns wurde heute abend, als wir vorüberfuhren, ein Rehbock geschossen.

Als wir nach Hause kamen, fanden wir Klock schon etwas ausgeruht. Er hatte eine Gutsteilung hinter sich, die ihm viel Arbeit gekostet hatte. Beim Abendbrot sagte Luise, wie schön es wäre, wenn Klock und ich uns schon länger kennen würden und gute Freunde wären. Ich sagte, daß ich ihm so recht schwesterlich gewogen wäre und bat ihn, mich so anzusehen. Er sprang vom Tische auf, fiel vor mir auf die Knie und umarmte mich brüderlich. Ich war ganz verblüfft, aber traue »Bruder« Ferdinand nur das Beste zu. Es ist nun ausgemacht, daß Luise mich nach Breslau begleitet.

 

Den 28. Abschied von Massel. Wir, Luise, ihr Mann und ich, fuhren in einem Wagen durch Buchenwälder. In der »grünen Stube«, einem tiefen grünen Tal, verweilten wir lange. Herrlich! Klock wahrhaft liebenswürdig! Mit Tränen nahm ich hier Abschied von ihm, und Luise begleitete mich nach Breslau, wo wir jetzt zusammen im »Weißen Adler« logieren, einem recht guten Gasthof. Steffens kam abends zu uns, auch eine Frau von Redtiger, eine Bekannte Luisens.

 

Den 29. Besuch bei Frau v. Redtiger, die alle schwedischen Freunde Luisens kennt, und als ich sagte, ich fände, sie gleiche meiner Schwester ein wenig, sofort fragte: »Das ist ja Gustava?«

Von dort begaben wir uns zu Steffens, der heute etwas »verstimmt« aussah. Seine Frau ist stattlich, ausnehmend wohl gebaut und war sicherlich einmal recht schön. Aber sie hat ein paar vorstehende Zähne, die sie entstellen und zu ihrem etwas beißenden Wesen passen. Sie ist eine geborene Reichardt, eine Tochter des Komponisten, sehr gebildet, aber mißfiel mir durch ihre dezidiert geäußerte Abneigung gegen den Vorschlag ihres Mannes, an irgendeinem anderen Ort der Welt zu wohnen als Breslau oder Berlin. Die Gattin eines solchen Mannes sollte nichts anderes wünschen und wollen, als die besten Gelegenheiten für ihn, seine großen Gaben zu entwickeln und seinen edlen Beruf zu erfüllen.

Steffens ist hier in Breslau Professor der Physik und Mineralogie, aber liest auch über Philosophie. Ihr einziges Kind Klärchen ist nicht so schön wie die Mutter, aber hat ein paar schöne ausdrucksvolle braune Augen, prächtige Zähne und reiches blondes Haar. Ihr unschuldiger, zärtlicher Ausdruck ist wahrhaft gewinnend.

Nachmittag führte Steffens uns in seine Zimmer, die voll Bücher, mineralogischer Sammlungen und physikalischer Instrumente waren. Das sogenannte »Unsichtbare Mädchen« stand da, und er zeigte uns das Geheimnis. Eine große blanke Messingkugel hängt in einem Rahmenwerk von seinen Mahagonistangen. Von der Kugel gehen vier Trichter oder Trompetenenden aus, in die man seine Frage flüstert und Antwort erhält. Auch ein Licht kann so ausgeblasen werden. Es dünkt einem ganz unbegreiflich!

Das Wetter klärte sich auf, und wir gingen mit Steffens in die Kreuzkirche, eine von den vielen katholischen Kirchen Breslaus. Sie ist sehr groß und schön. Da liegt Heinrich der Zweite, Fürst v. Liegnitz, begraben. Er war ein Kriegsheld und dabei einer von Deutschlands hervorragendsten Minnesängern. Das Grabmal steht im Chor, der Sarg auf dem Boden in einem Sarkophag, auf dem er in voller Rüstung abgebildet ist mit einem sehr jungen und interessanten Antlitz. Diese Plastik ist aus Ton und sehr gut erhalten. Rings um den Sarkophag sind Bildsäulen placiert, von denen namentlich die einzelnen Figuren rechts vom Altar merkwürdig gut gearbeitet sind. Steffens zeigte uns dies » con amore« und behauptete, es sei das Interessanteste, was man in Breslau sehen könne, wo er im allgemeinen den Kunstgenuß und den Umgang, dessen er bedürfte, entbehren muß.

Dann führte er uns in den schönen Anlagen auf den einstigen Stadtwällen herum. Er sprach dabei sehr unterhaltend und erzählte, daß er jetzt an einem Zyklus von größtenteils norwegischen Novellen arbeitet, die heuer fertig werden sollen. Darauf freue ich mich.

Er brauchte den Verkehr mit Männern seines Schlages, mit denen er Ideen und Gedanken austauschen könnte – sonst ist es möglich, daß er vertrocknet und kleinlich wird. Er ist witzig und blendend, wenn er sich gehen läßt und sich ganz unbefangen gibt. Ungemein gütig, freundlich und vertraulich war er zu mir, und dieser lange schöne Spaziergang mit ihm gehört zu meinen besten Erinnerungen.

Zum ersten Male sah ich junge Schwäne. Ein schöner Schwan mit seinen elf kleinen grauen Jungen schwamm majestätisch über den Fluß.

Abends waren wir mit Steffens zu Scheeles eingeladen, die in einer der Vorstädte ungewöhnlich schön wohnen. Der Hausherr schien so erfreut darüber, eine Kompatriotin bei sich zu sehen, daß ich ausgesprochen Hahn im Korbe war. Es wurde wiederholt auf mein Wohl getrunken, und ich war ganz verlegen über so viel Artigkeit. Ein Konsistorialrat Gartz scherzte über die Vaterlandsliebe der Schweden, die Scheele zu sehr zum Ausdruck brachte. Er erzählte, Abraham a Santa Clara, ein berühmter, bizarrer, aber ganz ausgezeichneter Prediger in Wien, sei mit dem schwedischen Gesandten daselbst unzufrieden gewesen. Und einmal, als Pater Abraham wußte, daß er in der Kirche war, predigte er über die Versuchung Christi, wie der Teufel ihm alle Länder zeigt und sie ihm verspricht: das schöne Italien, das reiche fruchtbare Spanien, das fröhliche Frankreich, die rebengeschmückten Gelände des Rheins usw. Christus fragt schließlich, ob auch das Land, das er in weiter Ferne nebelgrau sähe, sein werden würde. Nein, antwortete Satan, das ist meiner Großmutter Witwensitz, das kann ich dir nicht geben! Das war unser Ultima Thule. Ich hatte schon auf der Zunge, zu sagen: wer weiß, wie es gekommen wäre, wenn dies Land in die Versuchung inbegriffen gewesen sein würde – aber ich schämte mich und sagte nur, es sei nicht großmütig von den Reichen und Begabten, die weniger günstig Gestellten an ihre Armut zu erinnern.

Steffens sprach viel und mit Interesse von Atterbom, und sowohl er wie seine Frau sagten, am Johannistag, seinem zukünftigen Hochzeitstag, wollten sie auf sein Wohl trinken. Nach dem Abendessen mußte geschieden sein. Steffens war ganz gerührt, er umarmte und küßte mich zu meiner großen Verwunderung – aufrichtig geschmeichelt fühlte ich mich durch diesen Ausdruck seines Wohlgefallens und Wohlwollens.

 

Den 30. Noch halb im Schlaf sagte Luise: »Ach, Malla, heute!!« Ja, heute sollen wir uns trennen! Seit langer Zeit habe ich mich nicht so geliebt gefühlt wie von ihr, der guten, vortrefflichen Luise! Sie mußte nun zu den Ihren zurück. Eine Stunde später saß ich mit Maja-Lisa in der Mietkutsche und verließ das schöne behagliche Breslau, wo diese beiden letzten Tage mich reichlich für die Unannehmlichkeiten der Ankunft entschädigt hatten. Diese vierzehn Tage sind überhaupt die gleichmäßigsten, ruhigsten, die ich seit zwei Jahren erlebt habe, und gehören zu den liebsten, die ich je genossen. Sei bedankt dafür, du guter Engel!

 

Den 2. Juni. Kam zeitig nachmittags nach Berlin. Am Tor von Röligks Haus, Ecke der Friedrichstraße und Rosmaringasse, stand Adolf, um mich zu erwarten. Freude, den guten Freund wiederzusehen. Ich ging zu Amalie, freundlicher, warmer Empfang. Dann wieder nach Hause, um meine acht Briefe zu lesen, die Gutes und Schlimmes enthielten – leider mehr letzteres! Ach, ich fühle mich so einsam und verlassen, ohne Schutz und Stütze, preisgegeben allen Urteilen – allen Forderungen. Das Urteil der Menschen! Möchte ich es doch lernen, mich davon unabhängig zu machen!

Adolf kam für ein Weilchen – er wohnt jetzt nicht mehr hinter dieser verschlossenen Türe! Den Abend bei Helvigs, viele Menschen – aber leer, leer!

 

Den 4. Adolf kam und half mir ein Paket an Luise expedieren. Er sprach von seinem Verhältnis zu Mendelssohns und dem reich begabten Felix, der so recht brüderlich gegen ihn ist. Guten Muts und fleißig ist er, und ich bin glücklich darüber. Wie oft hat er mich schon getröstet und aufgemuntert!

Ich fuhr mit Amalie in den jetzt vollbelaubten schattigen Tiergarten und machte Visite bei Savignys, aber traf im Garten nur Fräulein Bettina, die mir sagte, ihre Mutter sei bei Freymund von Arnim, der, nachdem seine Mutter aufs Land zu ihrem Manne gefahren ist, bedenklich erkrankt sei. Das beunruhigt mich sehr, denn Bettina interessiert mich – aber mit Verwunderung sah ich ihre schönen kleinen Mädchen im Garten herumlaufen, warum sie sie nicht mitgenommen hat, ist mir ganz unbegreiflich. Mir tun die armen kleinen Würmchen leid, sie sehen so verlassen aus!

Abends bei Helvigs. Frau und Frl. Savigny kamen auch hin, überaus artig. Es war, als wollte die Mutter ihre Unhöflichkeit gegen mich wieder gut machen, so ganz besonders zuvorkommend war sie nun.

 

Den 5. Ging zu Frau Ulff und mit ihr in die Porzellanfabrik, kehrte dann zu Ulffs zurück, wo Adolf war und ich ihn nach so vielen Wochen wieder singen und spielen hörte – das war köstlich für mich. Ging dann mit ihm und Frau Ulff in den schönen Garten der Familie Mendelssohn, wo ich zum ersten Male blühende Akazien sah. Wir sahen uns auch seine schöne große Stube im Erdgeschoß an. Alles ist jetzt gut für Adolf eingerichtet und Felixens Nähe ein großes Glück für ihn!

 

Den 6. Amalie bekam heute abend ein Paket, sie öffnete es – »Frithjoff«! Sie glaubte, es sei ihre bei Cotta gedruckte Übertragung, die sie erwartete, und jubelte auf. Aber sieh da! Es war eine andere Übersetzung von Schley, der ihr nun aus Gothenburg ein Exemplar übersandte. Jetzt erscheint dieser Frithjof vor dem ihren – eine große Enttäuschung! Arme Amalie! Sie scheint mir so vereinsamt, sie wird gewiß ein trauriges Alter haben, wenn sie sich nicht mehr unaufhörlich beschäftigen kann! Gerne würde ich mich Amalie widmen, wenn die Umstände uns nicht trennen und jeder von uns einen verschiedenen Pflichtenkreis anweisen würden. Lachmann kam zu Helvigs, erfreulich, den angenehmen Mann wiederzusehen.

 

Den 8. Ich war bei Savignys, besser als gewöhnlich dort, aber doch steif und förmlich. Er ist kränklich – daher mag es wohl kommen. Er las Stücke aus den ungedruckten Arbeiten seines Schwagers Clemens Brentano vor: unter anderem ein unvollendetes Gedicht »Die Romanzen vom Rosenkranz«. Es sind gewiß schöne Gedanken und Genie darin, aber es ist doch nicht ganz klar und verständlich. Mir fehlt Bettina!

 

Den 9. Amalie hatte es nötig, ihr Herz auszuschütten. Sie fühlt sich immer mehr und mehr isoliert – einsam ist sie in allen häuslichen Sorgen, in allen Geschäften, einsam bei der Erziehung der Kinder. Bror beunruhigt sie, er scheint keinerlei Neigung zu einem Beruf zu verspüren, die Zeit verstreicht ungenützt. Meine arme Freundin! Sie hat ein schweres Kreuz zu tragen. Wir gingen im Universitätsgarten auf und ab, und ich zürne mir selbst, daß ich kein Wort fand, das sie beleben konnte. Traurige Teilnahme, wenn man die Bürde nicht zu lindern vermag!

 

Den 11. Lindblad kam, von Mendelssohns, Felixens Eltern, beauftragt, mich zu einer musikalischen Matinee in ihrem Gartensalon einzuladen. Sie pflegen solche musikalische Unterhaltungen nach Anbruch der schönen Jahreszeit jeden Sonntagvormittag zu veranstalten.

Ich war recht neugierig, einmal Felix zu hören und diese Menschen zu sehen, mit denen Lindblad jetzt täglich zusammenlebt, aber gerne mache ich doch jetzt in den letzten Tagen diese neuen Bekanntschaften nicht.

Ich fuhr mit Frau Alexander Mendelssohn hin und fand außer Felix eigentlich niemand, der mir von Ansehen wohl gefiel. Die jüngste Tochter Rebekka ist doch schön. Brandel war auch da und spielte Violine. Zuerst wurde eine Ouvertüre von Felix aufgeführt. Ich saß zu nahe – neben Spontini, der abscheulich aussieht – so daß es für mich zu geräuschvoll war. Ich wechselte dann Platz und kam neben Sophie Reichardt, Frau Steffens' Schwester, zu sitzen. Sie hat ein edles, schönes Antlitz und ist recht angenehm, nur sieht sie kränklich aus. Von dem Prediger Liseo sprach sie sehr rühmend.

Ein Konzert von Beethoven wurde von Felixens ältester Schwester Fanny auf dem Fortepiano gespielt, sehr schön. Hierauf eine Piece von Sebastian Bach, die mir am allerbesten gefiel, und schließlich noch einmal Felixens Ouvertüre, ich glaube zum Sommernachtstraum. Ich freute mich darüber, denn ich hatte sie das erste Mal gar nicht recht erfaßt – nun fand ich sie schön. Schließlich wurde eine Ouvertüre zu einer Oper »Die Hochzeit des Camacho« (Stoff aus dem Don Quixote) gespielt, die Felix komponiert hat. Sie ist lustig und brillant, aber nach meinem Geschmack nicht so schön wie die andere.

Lindblad war enchantiert von der Musik, aber keineswegs von den Menschen (bei näherer Bekanntschaft änderte sich dies allerdings), und ich ebenfalls nicht. Wenn man nur Felix Mendelssohns Kopf sieht, wenn er steht und die Musik so lebendig und aufmerksam dirigiert, ist er wahrhaft schön und sieht aus, als gehörte er zu etwas weit Höherem als der übrigen Familie, aber die Gestalt ist jüdisch und ein wenig kommun, der Kopf sitzt zu tief zwischen den Schultern.

Infolge einer Konfusion mit den Wagen, mußte ich, als die anderen fort waren, noch überzählig sitzen bleiben, ich fürchtete, lästig zu fallen, was mir recht peinlich war.

Abends ging ich mit Adolf in die Oper, nachdem wir noch vorher im Universitätsgarten herumgeschlendert waren und er sich über die vormittägige Musik ausgesprochen hatte. Es ist für mich so schön und beglückend, wenn er ab und zu einmal seine musikalischen Gedanken und Urteile mir Unwürdigen mitteilt, der die Natur das Organ für diese schöne Kunst versagt hat.

Wir hörten »Joseph in Ägypten« mit Méhuls Musik. Das ist nach meiner Meinung eine schöne und rührende Oper, eine der schönsten, die ich gehört habe. Innigkeit und Herzlichkeit sehe ich in Berlin nur auf dem Theater und in meinem Kämmerlein! Joseph-Wilde sang göttlich. Jakob-Devrient, der Jüngere, war ein prächtiger Patriarch. Diese Oper ist kurz, nur zwei Akte, und so wurde nachher noch »Der Wasserträger« mit Cherubinis schöner Musik gegeben. Raumer, der neben mir saß, sprach mit mir und rühmte Palmblads geographische Schriften, namentlich sein Palästina.

 

Den 13. Juni. Amalie, Dora, Adolf und ich gingen durch den Tiergarten in den » Cirque olympique«, wo der Kunstreiter Blondin die Künste seiner Gesellschaft und seiner Pferde zeigt. Helvig traf uns dort. Schöne Pferde und Menschen, die Schlußevolutionen mit zehn Pferden waren von großem Effekt. Als wir fortgingen, begann es zu donnern und zu regnen. Wir retteten uns zu Savignys. Da war große Gesellschaft – ich merkte niemand anders als Bettina, die nun vom Lande zurückgekehrt ist, ihr Sohn ist wieder gesund. Strauß war auch da, unter Donner und Blitz machte ich nun seine Bekanntschaft. Sein ganzes Gehaben gefiel mir sehr.

 

Den 15. Mit Amalie fuhr ich nachmittags zu Welly Sparre. Auch Adolf, Konsul Lundblad und Leutnant Silfversköld kamen hin. Wir gingen allesamt in einen Blumengarten am Potsdamer Tor, wo wir einen cactus grandiflora mit vier prächtigen, ganz entfalteten Blüten sahen, mit gelben Blättern, die wie die feinste Vanille duften. Form und Größe sind fast wie die der Sonnenblume. Sie blüht nur vierundzwanzig Stunden und wird darum »Die Königin der Nacht« genannt.

Nachricht, daß Carl Maria Weber gestorben ist – sanft in London entschlafen!

 

Den 16. Bettina kam zu Helvigs und sang improvisierte eigene Kompositionen zu Amaliens »Griechischen Liedern« – »Weihe an Hellas« sehr schön. Sie wünscht, daß ich länger bliebe, ich bin ihr gut, der kleinen Hexe – sie ist doch so viel!! Verlockung zu bleiben! – Heute ist Atterboms Hochzeitstag. Vermißte Adolf. Er kam doch noch, der gute Freund, den ich noch nie vergebens erwartet habe. Amalie gut und freundlich zu ihm, mehr denn je. In Champagner tranken wir auf Atterboms und seiner Ebba Wohl. Bettina kam noch einmal zurück und stieß auch mit uns an. Sie war heute abend wehmütig gestimmt.

 

Den 17. Wir gingen zu Bettina und verbrachten da ein gutes vertrauliches Stündchen, ich sprach meine Gedanken mehr als sonst aus. Es ist, als hätte ich jetzt mehr Mut, dies zu tun, weil ich so bald fortreise, um nie wiederzukommen. Wir gingen zusammen Unter den Linden, die Luft war frisch und erquickend, die Wolken jagten sich scharenweise in dem klaren, blauen Äther, ich' dachte an Schweden, und das Herz schwoll mir in der Brust. Amalie und Bettina! Euch werde ich doch immerdar vermissen!

 

Den 18. Ging mit Adolf und besah Blüchers Statue, die heute nacht ohne weitere Zeremonien enthüllt worden ist. Heute ist der elfte Jahrestag der Schlacht bei Waterloo.

Nachmittags Abschiedsvisiten. Wäre ich doch schon glücklich fort!! Aber acht Tage vergehen schon, wenngleich die Abschiedsstimmung jeden Tag verlängert und an mir zehrt.

 

Den 20. Den Abend bei Varnhagens. Dahin kam auch Madame Brede, eine ausgezeichnete Schauspielerin aus München. Amalie und Frau v. Varnhagen sprachen von den Kriegsereignissen des Jahres 1806.

 

Den 21. Sah mit Bror Helvig »Die arme Molly«, ein allerliebstes kleines Stück, in dem Frau Neumann aus Karlsruhe als Gast auftrat.

Sie spielt charmant und ist überaus schön und anmutig, die anmutigste Schauspielerin, die ich je gesehen habe. Wenn sie ihrem blinden Pflegevater, als er sie fragt, ob sie wirklich so schön, so lieblich, so zärtlich ist usw., wie die Leute sagen, »ich glaube ja« antwortet, ganz verschieden ausgesprochen, bald schamhaft verlegen, bald ein bißchen wehmütig, dann wieder freudig, ist sie zum Küssen.

Dann wurde »Preciosa« gegeben, die sie ebenfalls verschönerte. Ich dachte dabei an den nun dahingegangenen Weber, den ich vor einigen Monaten hier seine »Euryanthe« dirigieren sah.

Zum Schluß regnete es Blumen auf Frau Neumann, heftige nicht enden wollende Applaussalven ertönten, noch nie hatte ich ein solches Treiben gesehen – es war ganz wild und beängstigend. Verse wurden auf die Bühne geworfen, ich bekam ein gedrucktes Blatt zu lesen, das einen Auftrag von Gott-Vater an einen seiner Erzengel enthielt, hundert Jahre unter dem Namen von Amalie Neumann auf Erden zu weilen, und daran schloß sich die Aufforderung an alle Bewohner der Erde, den himmlischen Gast mit Ehrerbietung und Liebe zu empfangen und zu behandeln. Schließlich kam noch eine komplette Beschreibung ihres Aussehens, alles in den schmeichelhaftesten, enthusiastischsten Ausdrücken abgefaßt!!

 

Den 22. Wir machten Visite bei Gneisenau, der nicht ganz munter ist. Die Ärzte haben ihm eine spanische Fliege auf den linken Arm verordnet, aber er will sich nicht fügen. Die Gräfin ist nach Schlesien gefahren, er und seine Töchter reisen morgen in die Magdeburger Gegend, wo er auch begütert ist. Die Mädchen sind schön, aber einsilbig und unzugänglich. Der schöne herrliche Mann sieht wie ein Held aus! Freundlich nahm er Abschied von mir, ich dachte mit Trauer daran, daß ich ihn nie wiedersehen werde.

Wir gingen dann zu Jacobi und wählten Gravüren für Atterbom, und von dort zu Savignys – wo es behaglicher als gewöhnlich war. Frau Bardeleben bat mich, ihr behilflich zu sein, Gneisenau zu überreden, uns die spanische Fliege applizieren zu lassen, die, wie Dieffenbach sagte, gegen seinen immer wiederkehrenden Schwindel von größter Wichtigkeit sei. Sie bereitete sie mit der Bandage und allem Nötigen, und wir wollten uns eben damit zum Feldmarschall verfügen, als er zu Savignys kam, »um uns noch ein Weilchen zu sehen«, wie er sagte. Und so genossen wir der Ehre, sie unter Lachen und Scherzen auf dem Arm des großen Mannes aufzulegen. Er sagte, er könne sich vor einer nordischen Dame nicht so feig zeigen, sich um des kleinen Schmerzes willen zu weigern, unseren Wunsch zu erfüllen, dessen Wohlmeinung er anerkannte, wenn er das Heilmittel auch für überflüssig erachtete. Aber er versprach, die Fliege liegen und ihre Wirkung tun zu lassen. Die Narbe würde ihm ein Andenken an unsere freundliche Gesinnung sein. Dies war mein Abschied vom Feldmarschall Gneisenau.

Eine Exzellenz Brockhausen kam zu Savignys. Seine Tochter hatte gestern hier Hochzeit mit einem Engländer, Konsul in Barcelona, wohin sie am selben Abend abreisten – und heute abend ist sein Sohn aus Schweden hiehergekommen. Dieses Reisen und Fahren von Norden nach Süden, von Süden nach Norden erscheint mir wie eine unruhige Hetzjagd.

Major Wildermuth kam auch, er reist nun bald nach Rußland, um der Krönung Kaiser Nikolaus' und seiner Gemahlin beizuwohnen, und dann von dort vielleicht seine Muhme, Fräulein von Wildermuth, mitzubringen, die die Erzieherin der Kaiserin war, als sie noch Prinzessin Charlotte von Preußen hieß. Sie folgte ihrer hohen Schülerin, als sie sich als Großfürstin nach Rußland begab und hat sie nun wieder dort besucht. Wildermuth ist schön und einnehmend – ihn sehe ich wohl nie mehr!

Schließlich kam auch Bettina, die überaus herzlich war und mich zwang, zu erzählen, was ich ihr früher einmal von meinem Vater und Großvater und der Überfahrt von Finnland nach Schweden in meiner allerfrühesten Kindheit gesagt. Es erweckte mehr Interesse, als ich vermuten konnte.

 

Den 23. Bettina kam am Nachmittag zu Helvigs. Szene zwischen ihr und Amalie, die ihr meiner Ansicht nach zu plump ihre Meinung sagte. Arme Bettina! Sie tut mir leid! Ich fühle, daß ich ihr ein Stück Wegs helfen könnte – aber auf die Dauer hielte ich wohl doch nicht stand. Amalie schrieb dann an Bettina und explizierte sich. Besuch bei Mendelssohns und Promenade in ihrem schönen Garten.

 

Den 24. Juni. Der Johannistag wird hier nicht als Feiertag begangen.

Erwartete Bettina, die auch kam und mir eine Bleistiftzeichnung von sich zeigte, mit unglaublichem Genie, Geduld und Geschicklichkeit komponiert und ausgeführt, namentlich wenn man bedenkt, daß sie sich fast nie in durchgeführter Arbeit geübt hat. Der Gegenstand ist eigentlich Fausts Traum von Goethe. Eine Menge Figuren, Zierate, Laubwerk macht das Bild unbeschreiblich reich und wirklich meisterlich. Schade, daß dieses genialische Wesen kein bestimmtes Ziel hat. Viel von ihrem Reichtum geht verloren, weil sie nicht recht damit hauszuhalten weiß.

Ihre Schwester, Frau Savigny, kam auch, sie sah mißgestimmt aus wie so oft, aber war doch artig. Sie schien ihre Schwester abkanzeln zu wollen, die sich nur an mich hielt.

Bettina sprach – sprach von Plato. Das war so schön! Schleiermacher soll von ihr sagen, daß ihre Ideen ganz die Platos sind. Sie sagt mir immer, daß ich sie vermissen werde, daß ich nie wieder ihresgleichen treffe! Das glaube ich gerne. Aber der Fehler ist, daß ihr ganzes Herz im Kopfe sitzt, in der Phantasie. Jetzt ist sie mir gut, weil ich ihr mit Interesse lausche und sie zu erfassen trachte. Sie interessiert mich sehr und erregt mein Mitleid, denn sie verwundet sich selbst im Spiele mit gefährlichen Waffen. Es schmeichelt mir, daß diese außerordentliche Frau sich mit Vertrauen und Liebe an mich anschließt – aber sie wird mich bald vergessen haben.

Savigny und seine Tochter sollen diesen Sommer eine Reise nach Italien machen. Seine Frau, die nie dort war, möchte gerne mit, aber wagt es nicht, weil sie sich vor Räubern fürchtet! Und das sagte sie selbst! Sie läßt Mann und Tochter, die sie doch liebt, reisen und wagt es nicht, die Gefahren zu teilen, denen diese sich aussetzen!

Dann bei Helvigs. Wir plauderten viel – hauptsächlich über Bettina. Amalie ist streng – sie hat recht, aber ich mußte an Racines Dispute mit Boileau denken. Dieser letztere hatte recht, aber bewies es so lange und so schulmeisterlich, daß Racine schließlich ausrief: » Eh bien oui! J'ai tort, je l'avoue, mais j'aime mieux avoir tort que orgueilleusement raison!«

 

Den 25. Abschiedsvisite bei Dieffenbachs und den Damen Bardeleben, Kund, Herz und Varnhagen. Alle noch freundlicher als gewöhnlich, es ist ja auch am leichtesten, es gegen jemand zu sein, der für immer scheidet! Man will einen angenehmen Eindruck hinterlassen und riskiert nicht, daß der Fortziehende einem noch lästig fällt und das einfordert, was man im letzten Augenblick gleichsam noch anbietet.

Adolf und ich gingen zusammen in die Oper, und sahen »Alcidore« mit Spontinis Musik, ein außerordentlich prachtvolles Schauspiel, die Musik beinahe betäubend, aber an manchen Stellen schön. Diese Oper erfreut sich keiner großen Beliebtheit, man nennt sie »Allzu toll«.

 

Den 26. Abends in dem schönen kleinen Musentempelchen in Charlottenburg, wo jetzt im Sommer eine französische Truppe spielt, die aus Warschau kommt. Ich sah » Le sécrétaire et le cuisinier«. Amüsantes Stück, jenes eigene Pikante der französischen Komödie, das so prickelnd ist. Dann wurde » Le confident par hazard« gegeben und zuletzt » Angelina ou la champenoise«. Heim in der lauen Sommernacht bei göttlichem Wetter durch den »wunderschönen Tiergarten«. Zum letztenmal mit meiner lieben guten Amalie!

 

Den 28. Letzte Reisevorbereitungen – unterbrochen von Rosenblad, der kam, um mir zu sagen, daß Lundblad, mein Reisegenosse, gestern aus Posen hier eingetroffen sei und schon heute abend um 6 Uhr von hier nach Stralsund fahren wolle.

Ich mußte mich also rasch fertig machen – Eile und Kopfzerbrechens.

Bettina, die bei mir war, wurde traurig und ging.

Um ½2 Uhr hatte ich alles reisefertig und begab mich zu Helvigs, wo ich zur Erinnerung an unsere gemeinsamen Mahlzeiten vier silberne Serviettenringe zurückließ. Auf dem Helvigs stand: »Alte Freundschaft rostet nicht«, auf Amaliens: »Dankbarkeit für geistige und körperliche Nahrung«, auf Brors: »Andenken«, und auf Doras (die Kleine ist recht wählerisch und ißt gerne Näschereien): »Du sollst keine Gottesgabe verschmähen«. Den Kindern band ich, so innig ich konnte, auf die Seele, ihrer Eltern, ihrer Mutter Freude zu verbleiben. Helvig war sehr gerührt, er sagte, falls wir uns nicht mehr sehen sollten, würde mir nach seinem Tode ein Teil seines Tagebuchs geschickt werden, ich würde daraus sehen, wie viel er mir zu danken habe.

Amalie begleitete mich nach Hause. Bettina kam wieder und gab mir eine Kopie ihrer schönen Zeichnung (Fausts Traum), die ich so unbeschreiblich liebe. Sie war sehr bewegt und sagte: Wir scheiden nicht mit Schmerzen, keinen Augenblick des Verdrusses oder Unbehagens hat die Bekanntschaft mit dir mir je bereitet, nur süße und liebe Erinnerungen hinterlassest du mir! Niemand hat mich so milde verstanden und behandelt. Mag dies mein letztes Abschiedswort sein: » Point de larmes, mais bien des charmes«, wiederholte sie mehrere Male. Ich sehe sie wohl nie wieder. »Wir werden uns schreiben,« sagte sie – aber das glaube ich nicht.

Endlich, um halb sieben Uhr, setzte ich mich in die Kutsche neben Konsul Lundblad, Maja-Lisa gegenüber, und fort ging es.

Fahr wohl, Berlin! Ohne eigentliches Bedauern scheide ich – ich möchte nicht länger bleiben. Aber viel Liebes und Gutes habe ich hier genossen, vermischt mit viel Schwerem und Aufregendem.

Neue Epoche! Alles vorbei, was dieses Jahr mir gebracht! Gerade heut vor einem Jahr kam ich nach Linköping und traf Adolf da. Ein ganzes Jahr sind wir nun tagtäglich beisammen gewesen. Meine Gedanken und Wünsche bleiben bei ihm.

 

Den 29. Die Nacht in der Oranienburger Mühle. Schöner Morgen! Mein Reisekamerad hat sich den Fuß verletzt, und wir müssen ihn Pflegen, denn er scheint sich nicht darauf zu verstehen.

 

Den 30. kamen wir in Neustrelitz an. Ziemlich lebhafte Unterhaltung mit Lundblad, der sich nur belebt, wenn er von Tegnèr spricht, den er vergöttert. Er führt ein ganzes Buch voll Abschriften seiner ungedruckten Arbeiten mit sich, interessant darin zu lesen.

 

Den 1. Juli. Endlich nach starker Hitze, unerträglichem Staub und Qualm kamen wir um 3 Uhr nachmittags so weit, daß wir die Türme von Stralsund sahen. Es wurde kühler, Meerluft wehte uns entgegen und erfrischte meine betäubten Sinne. Bald sah ich zwischen Stralsund und Rügen die blaue Ostsee. Um 5 Uhr langten wir in Stralsund an, Lundblad stieg bei seiner Behausung ab und überließ mir in recht konfuser Weise alles. Ich fuhr in ein Wirtshaus, wo ich gutes Quartier und freundliche, gefällige Leute fand.

 

Den 2. Reiste mit demselben Mietkutscher, der uns von Berlin hiehergefahren hatte, nach Duwitz, wo ich zwischen 11 und 12 Uhr vormittags anlangte.

Meine liebe Cousine, Jacquette Essen, Baronin Krassow und ihr Sohn Karl Reinhold bewillkommneten mich aufs herzlichste, Jacquette war ganz gerührt. Ihr Mann auf seine Weise freundlich und angenehm. Jacquette und ich waren bald bei all dem, was uns gemeinsam interessiert. Es war ein so trauliches Gefühl, wieder im Schoße der Familie zu weilen. Die Ruhe mundete mir köstlich – wie lieblich ist doch der ländliche Friede. Im Hofe ist eine schöne Hirschkuh und auch sonst allerlei Getier.

 

Den 4. Duwitz ist nicht gerade schön, aber hat prächtige große Gärten mit vielen schattigen Bäumen. Ein Kanal umgibt die Besitzung, die dadurch wie auf einer Insel liegt. Auf der einen Seite fließt ein Flüßchen, die Bardt, die das sonst stillstehende Wasser verschönert. Gar traulich ist es hier drinnen wie draußen.

Nach dem Mittagsessen fuhr Krassow nach Stralsund, und ich las Jacquette die Erinnerungen unserer Großeltern vor, die sie mit aufrichtigem, lebhaften Interesse anhörte.

 

Den 11. Schrieb an Adolf, Amalie und Bettina. Welcher Kontrast zwischen diesen Menschen und jenen, bei denen ich jetzt weile! Aber die gute stille Jacquette wirkt so wohltuend wie ein milder Sommerabend nach des Tages Sturm und Hitze.

 

Den 13. Jacquette tagsüber leidend. Abends sang sie mir, sich auf ihrer Harfe akkompagnierend, viele alte Lieder vor, die das Verflossene zurückriefen, ein »es war einmal«, das nun unwiderruflich dahin ist – Edsberg, die Jugendzeit – ein anderes »es war einmal« ist dann gefolgt und verschwunden – wird es irgendeinen Zusammenhang mit der mir noch bevorstehenden Zukunft haben?

 

Den 21. Brief von Adolf – er ist gestern nach Paris gereist! Gott leite und segne ihn, meinen guten Jungen! Ich habe die Trennung bisher nicht so empfunden wie nun.

 

Den 25. Fuhr mit Jacquette nach Stralsund. Abschied von den deutschen Landen. Ach, mein armes Vaterland, alle Erinnerungen an den Siegeszug deines großen Gustav Adolf hast du verloren!

 

Den 27. Jacquette und ihr Mann geleiteten mich an Bord und waren mir sehr freundlich bei allem behilflich. Es stürmte tüchtig, doch ich war guten Muts. Solange ich konnte, blieb ich stehen und sah ihnen nach, die am Ufer standen und winkten, als ich plötzlich hinter mir sehr freundlich rufen hörte: Guten Abend, Frau von Silfverstolpe! Höchst erstaunt, daß jemand mich auf dem schwedischen Dampfer »Konstitution« kennen sollte, drehte ich mich hastig um und erblickte Major Wildermuth, von dem ich den ganzen Winter und Frühling so viel gehört hatte! Wie eine Verkörperung meiner Bettina-Erinnerungen stand er vor mir. Ich war ganz froh und gerührt. Lange und viel sprachen wir miteinander. Fast die ganze Nacht blieben wir auf dem Verdeck. Für Amalie hegt er Ehrfurcht und Hochschätzung – ich wollte von Bettina sprechen, aber er wich aus. Als ich sagte: » Elle a un naturel singulièrement riche,« erwiderte er: » Oui, mais c'est cette richesse qui la ruine.«

Wir sahen die Sonne unter- und wieder aufgehen. Wunderliche Nacht – vertrautes Gespräch mit einem Manne, den ich vermutlich nie wiedersehe er fährt jetzt nach Stockholm und dann über Finnland nach Petersburg ...

 

Am 28. Juli um 8 Uhr morgens kamen wir nach Ystad, wo ich auf der Brücke von freundlichen, hilfreichen Menschen empfangen wurde. Ich bestieg meinen Wagen, aber es war mir ein recht unheimliches Gefühl, so allein, nur von Maja-Lisa begleitet, meine Heimreise durch Schweden anzutreten.

Ich langte aber doch glücklich und wohlbehalten am 9. August in Stockholm an.


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