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Erste Abteilung.
Reisejournal.

Am 19. Juli um sechs Uhr morgens verließen wir Kopenhagen an Bord des Dampfschiffes »Caledonia«. Schröder begleitete uns hin und nahm Abschied von uns. Er bleibt jetzt in Kopenhagen, bis Atterbom aus Sorö zurückkommt, dann gehen sie selbander nach Schweden.

 

Am Morgen des 20., als ich gegen sieben Uhr auf das Verdeck kam, sahen wir die holsteinsche Küste vor uns. Der Wind hatte sich gelegt, und wir liefen bei schönstem Wetter in die Kieler Bucht ein. Kiels Schloß und Kirchtürme schimmern zuerst hinter einem schönen Eichen- und Buchenwald hervor und bieten einen sehr hübschen Anblick. Die Einfahrt in den Hafen ist bezaubernd. Hier betraten wir zum erstenmal deutsche Erde.

Um ½9 nahmen wir im Wirtshaus zur »Stadt Hamburg« Quartier. Ein kleines Weilchen ging ich mit Lindblad und Maja-Lisa spazieren, indes Geijer ein paar Professoren aufsuchte. Wir gingen durch das Schloß und den Schloßgarten, eine schöne Allee nach Düsternbrook, wo sich eine vortreffliche Seebadeanstalt befindet. Da badete ich deliziös. Geijer kam uns später nach, und nachdem wir alle weidlich herumgeplätschert hatten, trafen wir uns auf dem Strande und spazierten im Park herum. Wir aßen zu Mittag, und um 5 Uhr stand der Holsteiner Wagen mit zwei Pferden und der Postillon mit seinem Posthorn vor dem Tor. Wir fuhren ab, Geijer und ich auf der vorderen Bank, Lindblad und Maja-Lisa auf der anderen. Weit davon entfernt, diese Beförderungsart beschwerlich zu finden, erschien sie mir vielmehr recht vergnüglich. Das Wetter war gut, der Weg schön, wenn auch sandig und schlecht, meine Reisegefährten bei allerbester Laune – es war sehr hübsch. In Pretz, der ersten Poststation nach Kiel, kam uns der Wirt überaus zuvorkommend entgegen, erkannte uns sogleich als Schweden und führte uns in saubere, schmucke Zimmer, wo wir einen guten Abendimbiß aßen. Der Alte sagte uns, wenn die Schweden auch als Feinde im Lande gewesen wären, so hätten sie doch viele gute und freundliche Erinnerungen hinterlassen, sie seien die »besten Feinde«, die man nur haben könnte und wären in Holstein allgemein hochgeachtet – dies rührte mich zu Freudentränen. Der Alte heißt Prin, ist Botanikus und hatte eine große Sammlung von Kupferstichporträts von Naturforschern. Geijer hatte zufälligerweise eine kleine Radierung von Linné bei sich, die er dem prächtigen Alten präsentierte, der sich herzlich darüber freute. Als er erfuhr, daß ich von Olof Rudbeck abstamme, eilte er in seinen Garten und pflückte mir einen Strauß der schönsten roten und weißen Heckenrosen.

Prin erwähnte auch ein großes Fräuleinstift in Pretz, vierzig unvermählte Frauenzimmer haben da Wohnung und eine jährliche Pension, solange sie unverheiratet bleiben. Ach, hätten wir doch in Schweden solche Einrichtungen, wo die armen Mädchen Zuflucht und einen Ersatz für jene Unabhängigkeit finden könnten, die oft das einzige ist, was sie in der Ehe suchen, aber wohl nur selten erreichen! Um halb neun verließen wir Pretz und kamen um 11 Uhr halbschlafend nach Plön. Das war schade, denn die Gegend ist ungemein schön. Die beste Milch, die ich je gekostet, trank ich in Plön und legte mich dann nach der früheren fast schlaflosen Nacht auf dem Meere und dem Gerüttel im Postwagen recht müde zu Bette. Nachdem wir am nächsten Morgen Kaffee getrunken hatten, ging ich mit Lindblad – Geijer geht immer für sich allein – auf die Schloßterrasse, von wo man eine schöne Aussicht genießt. Doch schon um acht Uhr mußten wir weiter. Adolf hatte Zahnschmerzen, und wir waren alle etwas übernächtig, als wir die Fahrt fortsetzten. Geijer legte sich auf den Boden des Wagens, um zu schlafen, aber es war unmöglich. Schlechter Weg, es ist bis Hamburg so, als führe man über ein Stoppelfeld.

Wir stiegen im Gasthaus »Alte Stadt London« ab, wo wir zwei Treppen hoch wohnen. Nach einem guten Souper, bei dem wir recht herzlich über den zuerst hungrigen und dann durstigen Geijer lachten, legte ich mich um elf Uhr schlafen. Wir haben drei Zimmer, aber unsere Schlafräume sind nur durch eine Glastür getrennt, über die ich Schals als Gardinen hängen mußte. Am 22. Juli erwachte ich ausgeruht und machte mit Adolf einen kurzen Spaziergang über den Jungfernstieg, wo wir wohnen. Er hat einen schönen Blick auf die Alster und eine Doppelallee am Strande. Der Regen trieb uns wieder hinein. Die Herren gingen aus, und ich setzte mich zum Schreiben hin. Um 12 Uhr kam Adolf von seinem alten Freund Sebeck Ein Zigarrenfabrikant, bei dem Lindblad in Hamburg als 19jähriger Kontorist gewohnt hatte. wieder, der ihn, ebenso wie seine Frau und Tochter, mit großer Freude und Freundlichkeit bewillkommnet hatte. Der Sohn, der drei Jahre in Schweden gewesen, war gerade zurückgekommen, so daß eitel Freude und Jubel herrschte, und Adolf sollte zu Mittag wieder hin. Er hatte da auch erfahren, daß seine alten Freunde Hinrichs Instrumentenmacher, in dessen Stube Lindblad damals meistens seine Abende verbrachte. und Rothenburg Arzt, ein junger Verwandter des alten Hinrichs, »geschickter Klavierspieler und humanistisch gebildeter Mann«, schreibt Lindblad in seinen Erinnerungen. jetzt zusammen wohnen und sich wohl befinden. Dies erfreute auch mich herzlich. Ich entwarf mit Geijer unseren Reiseplan nach dem Projekt, das Kernell vor zwei Jahren für mich gemacht hatte, nur in umgekehrter Ordnung. Damals sollte mit Berlin begonnen werden, das jetzt das Endziel unserer Reise sein wird.

An der großen allgemeinen Tafel war es recht langweilig. Während des Mittagsessens spielte eine junge Frau zur Harfe, akkompagniert von einem kleinen siebenjährigen Knaben, der geigte. Freilich kamen mitunter falsche Töne vor, aber im ganzen spielte das Kind doch mit Sicherheit und Stärke. Adolf hatte inzwischen Brief von Sophie Sophie Kernell, Lindblads Braut. bekommen und seine hiesigen Freunde getroffen, und war zufrieden, froh und bewegt – das stimmte auch mich heiter. Ach, mir gehört ja nichts auf dem Erdenrund zu eigen! – Unbemerkt dazu beitragen zu können, anderen Hindernisse aus dem Wege zu räumen, sollte mir genug sein – und ist es auch, wenn nicht ein allzu lebhaftes und warmes Gefühl bisweilen die Qual der Entbehrung hervorruft.

Wir gingen ins Schauspielhaus. Das Gebäude ist klein, die Treppen schlecht, der Zuschauerraum recht geräumig, ohne jedoch schön zu sein. Man gab »Die Dienstpflicht«, Drama in fünf Akten von Iffland. Gute Akteure halfen einem nach meiner Meinung recht mittelmäßigen Stücke so sehr auf, daß wir dabei doch Tränen vergießen mußten. Das Werk hat ja manche schöne Szenen, aber es ist langatmig und salbungsvoll. Jacobi und Lenz spielten trefflich. Vom Schauspiel ging Adolf wieder zu seinem Freunde Rothenburg. Geijer und ich kehrten nach Hause zurück, stellten den Reiseplan fest und hörten auf dem Jungfernstieg Musik.

 

Den 23. Doktor Rothenburg kam. Es war mir eine Freude, Adolfs Freund zu sehen, der einstmals hier so viel zu seiner Entwickelung beigetragen. Rothenburg hat etwas Denkendes und Ernsthaftes in seinem ganzen Wesen und kann sicherlich dem feurigen Adolf ein guter, nützlicher Freund sein. Er ging mit uns zu den Wällen im Westen der Stadt, wo ich Altona sah, das nur einen Teil desselben Ortes zu bilden scheint. Die Elbe, die Alster und die Kanäle rings um die Wälle machen die Gegend abwechslungsreich und schön. Alle Anpflanzungen sehen neu aus, denn sie wurden erst angelegt, als die französischen Truppen anno 1812 und 13 hier alles zerstört hatten. Wir gingen auch in die Michaeliskirche, die bedeutendste in Hamburg. Das Altarbild von Tischbein stellt Christi Auferstehung dar, aber ist nicht so schön wie das von Westin in Stockholm.

 

Den 24. Um 12 Uhr verließen wir Hamburg, fuhren zum Hafen und von dort mit einem Dampfboot über die Elbe, die hier recht breit ist, nach Harburg am hannoverschen Ufer. Adolf blieb nicht in Hamburg, wie Malla geglaubt und beinahe gewünscht hatte. Kein Ziel, keinen rechten Plan verfolgt er bei seiner Reise. Malla fühlte, daß es für sie keinen wahren Frieden, keine Freiheit geben kann, ehe er nicht etwas für seine Zukunft bestimmt hat. Sie fühlte sich unvermögend, ihn dazu zu bringen und konnte doch an nichts andres denken. Sie hatte auf Geijers guten Einfluß gehofft – aber er schien ganz gleichgültig und nahm sich Adolfs in keiner Weise an.

Der ganze Flußweg nach Harburg führt zwischen fruchtbaren Ufern, aber ringsum ist alles eben und flach. Kleine schmucke Wohnhäuschen, von Bäumen und Blumen umgeben, sieht man überall. Ich fand die Überfahrt recht angenehm, und war meinesteils ganz guter Dinge, aber Adolf schien ungeduldig, und auch Geijer fand es einförmig. Um ½3 Uhr langten wir in Harburg an, aßen dort zu Mittag und fuhren dann mit der Extrapost weiter. Das war eine recht lächerliche Equipage: ein großer langer Holsteiner Wagen, zwei, drei Ellen zwischen jeder Bank, Geijer und Maja-Lisa auf der vorderen, Adolf und ich auf der zweiten, die gedeckt war, aber schmal und abscheulich, darauf zu sitzen. Der Postillon in rotem Rock, gelben Lederhosen, schwarzgelbem Gürtel und auf den Armen gelbe und schwarze Ringel, mit »Georg Rex« schwarz in Gelb. Er ritt auf einem der zwei großen Pferde vor dem Wagen, und das dritte lief so weit voraus, daß es gar nicht mehr zu dem Gespann zu gehören schien. Bei jedem Wohnhaus stieß der Postillon in sein Posthorn und machte zwei- bis dreimal auf dem Wege Rast, um sich selbst mit einem Schnaps und seine Pferde mit weichem Brot, Wasser und Heu zu erquicken – all dies ist alter Brauch, daran kann nicht gerüttelt werden.

Die Chausseen sind hier unsagbar schlecht und holprig, so daß man froh ist, wenn man daneben im Sande fahren kann. Dabei bezahlen die Reisenden Abgaben dafür, die Chaussee benützen zu dürfen! In dieser possierlichen Weise fuhren wir bis Töstedt, einer Poststation, wo wir die Nacht in ausnehmend guten Betten verbrachten.

 

Am 25. um 6 Uhr morgens wurde die Reise in der nämlichen Art fortgesetzt. Harburg ist ein hübsches Städtchen mit Zugbrücken und Wällen, die einen Ort ja stets verschönern. Von dort an wird die Gegend häßlich, Heiden und große Ebenen mit Birken und Zwergkiefern. Schöner wird es, wo das Gebiet von Bremen beginnt. Gegen fünf Uhr näherten wir uns Bremen und waren überrascht von den schönen Häusern und Promenaden auf den einstigen Wällen. Wir stiegen im »Hotel de Francfort« ab, wo wir uns nun befinden. Nachdem wir zu Mittag gespeist hatten, gingen wir aus. Wir suchten vorerst Professor Hundeicher auf, den Vorsteher der Erziehungsanstalt, wo sich meine Verwandten, die zwei jungen Wrangel, befinden, aber sowohl sie wie der Professor waren ausgegangen. Wir gingen an das Ufer der Weser hinunter, die die Stadt in die Alte und Neue Stadt teilt und machten dann die schöne Promenade über die Wälle um die Altstadt. Vier Stadttore sahen wir auf diesem Spaziergang, der ebenso schön wie interessant war. Um 8 Uhr kamen die lieben Jungens Wrangel, es war eine rechte Freude, sie zu sehen und mit ihnen schwedisch zu sprechen. Kurz darauf erschien auch ihr Professor, ein ausnehmend gebildeter, wackerer Mann.

 

Den 26. Soeben vom Spaziergang mit Hundeicher, den beiden Wrangels und einem jungen Baron Barnekow zurückgekommen. Die Domkirche ist schön, nicht so hoch wie in Upsala, aber die Wölbung ist breiter, und das nimmt sich gut aus. Um den Altar geht keine Bank, stehend empfängt man das heilige Abendmahl. In der Kirche war der Organist, Musikdirektor Riem, ein ausgezeichneter Musiker, der die Orgel wohl zu spielen wußte. Mehrere Musizi trafen in der Kirche zusammen, Grundt aus Hamburg und Beer, der in Stockholm bei der Kapelle gewesen ist. Hundeicher führte mich in den sogenannten Bleikeller hinunter, wo die Leichen nicht vermodern. Es wurden Leichen vorgezeigt, die weit über 100 Jahre waren – ein recht grausiger, unheimlicher Anblick, auf den ich gerne verzichtet hätte. Dann besahen wir verschiedene Teile der Stadt, das Rathaus, ein alter, merkwürdiger gotischer Bau, an dem ich zum erstenmal gemalte Fenster sah. Es sieht wundersam und schön aus. Unfaßbar, daß diese Fenster, die nun so manches liebe Jahr im Sonnenschein gefunkelt haben, noch so leuchtende, lebendige Farben beibehalten. Wir stiegen in den prächtigen Ratskeller hinab, sahen da die ungeheuren Fässer Rheinwein und tranken eine Flasche 1811, das berühmte Kometenjahr, in einem der kleinen Kellerstübchen, wo die Stadtbewohner ihren Wein trinken und, wie Hundeicher uns sagte, alle wichtigen Verhandlungen » sub rosa« abgeschlossen werden, weil die gewölbte Decke dieser kleinen Räume in der Mitte durch eine in Stein gehauene Rose vereinigt ist.

Bremen ist eine kleine Republik. Die Stadt hat 43 000 Einwohner und das Gebiet ringsherum ungefähr 10 000. Alle sehen sie wohlbestallt und zufrieden aus, es ist eine höchst behagliche Stadt. Geijer sagte zu Lindblad: »Wenn ich du wäre, ich glaube, ich bliebe hier, um bei Riem Lektionen im Orgelspiel zu nehmen.« Adolf erwiderte nichts, war nicht derselben Meinung und schloß sich uns weiter an.

Nachdem wir vom Professor und den Knaben Abschied genommen hatten, aßen wir an der Table d'hote, beglichen unsre Rechnung und machten uns bereit, von dem schönen Bremen abzureisen, diesmal, auf Professor Hundeichers Rat, mit einer »Mietkutsche«. Um sechs Uhr abends setzten wir uns in einen ganz guten viersitzigen gedeckten Wagen, wo auch alle unsere Sachen Platz fanden. Erfreut über diese angenehme, uns nunmehr ungewohnte Art zu fahren, waren wir alle überaus aufgeräumt. Geijer saß zeitweilig auf dem Kutschbock, um die Gegend besser zu sehen. Er hatte sich in Bremen mit Büchern versehen, die wir nacheinander lasen. Darunter war: » Mémoires sur la révolution française«, » Revelations des cartons du Comité de salut publique et de sûreté générale (inédits) de Sénart«, ein gräßliches Buch, das gruselige Einzelheiten über furchtbare Menschen enthält! »Johann van Eyck und seine Nachfolger«, von Johanna Schopenhauer, zwei Bände, recht interessant, »Memoiren der Madame de Hausset, Kammerfrau der Frau von Pompadour, als Eingang zu den Memoiren der Frau von Campan«.

Um ½12 kamen wir nach Bassow, wo wir die Nacht zubrachten. Den 27. Juli um 7 Uhr setzten wir die Reise fort. Der Weg war die ganze Zeit kläglich, sandig und schlecht, und wir kamen nicht weiter als bis Liebendorf oder Lemführe – ich erinnere mich nicht recht an den Namen. Diese Station war die schlimmste, die wir noch hatten – früher war es doch überall sauber und ordentlich gewesen. Am 28. reisten wir um 6 Uhr morgens weiter und kamen um 2 Uhr nach Osnabrück. »Wir reisen durch den Westfälischen Frieden,« sagt Geijer. Wir logieren jetzt hier im »Römischen Kaiser«. Wir hofften, nachmittags fortzukommen, aber wir können vor morgen 4 Uhr früh keinen Mietkutscher haben. Unterdessen haben wir uns den Friedenssaal angesehen, wo anno 1648 der Friede nach dem Dreißigjährigen Krieg geschlossen wurde. Da hängen die Porträts all jener, die ihn unterzeichneten. Von Schweden sind da Johan Oxenstjerna, Adler Salvius, und Schering Rosenhane. Der Weg nach Köln ist weit! Die Reise hat für mich jetzt den Charakter einer Wallfahrt angenommen – einer Bußwanderung zu einem Grab – möchte ich doch dankbar alles aufnehmen, was die Geduld auf die Probe stellt!

Um 5 Uhr kamen wir nach Münster, preußisches Gebiet. Die Stadt ist alt und hat krumme Gäßchen. Aber wo wir wohnten, »Zum König von England«, geht eine schöne breite Straße mit gewölbten Laubengängen vor allen Häusern. Wir gingen sogleich aus, um vor allem das Rathaus zu besichtigen, dessen reich verzierter Giebel ein wahres Meisterstück gotischer Baukunst ist, es entzückte mich und ist das Schönste, was ich noch auf meiner Reise gesehen habe. Dann die Domkirche, die erste katholische, die ich zu Gesicht bekomme. Die Lambertuskirche – da hängen außen am Turm noch die drei Eisenkäfige, wo die drei Rädelsführer der Wiedertäufer nach dem Tode vermodern mußten. Den Friedenssaal sahen wir auch, er ist weihevoller als der in Osnabrück mit seinen blaugestrichenen Tischen und Täfelungen.

 

Von Münster reisten wir am 30. um 7 Uhr morgens ab. Wir lasen im Wagen und konversierten zeitweise lebhaft und munter, in Hamm hielten wir drei Stunden Mittagsrast. Die Sauberkeit und Behaglichkeit, die wir in den kleinen holsteinischen Städten und Dörfern, welche wir passierten, antrafen, ist in Westfalen nicht zu finden. Misthaufen auf den Straßen, Kehrichthaufen vor den Häusern, häßliche Frauen, schmutzige Kinder sieht man so ziemlich überall. Um ½9 Uhr abends kamen wir nach Unna – vermutlich Hermann v. Unnas Vaterstadt. In Hamm war ich einen Augenblick in einer Franziskaner-Klosterkirche. Das Kloster soll aufgehoben werden – es waren nur mehr drei Mönche da.

Der Weg wird von Unna an immer schöner. Um die kleine Stadt Hagen unbeschreiblich heiter und anmutig. Es ist heute Sonntag, wir erwarteten, das Volk feiertäglich gekleidet zu den Kirchen wallen zu sehen, wie bei uns, aber keine Spur von Feiertagsleben war zu merken. Die schweren, großen, vollgepackten Fuhrwagen mit vier Paar in Pelzen steckenden Pferden mit hängenden roten und schwarzen Wolldecken und Glocken rollten ebenso langsam dahin, die Esel mit großen Obst- und Gemüsekörben beladen, gingen ihren gewöhnlichen bedächtigen Trab, die Leute ebenso unsauber, namentlich die Frauen und Kinder sehen aus, als ob sie nie baden würden! Mangel an Wasser scheinen sie auch zu haben. Als wir an Hagen vorbei waren, bekam alles ein festlicheres Aussehen, doch nicht des Sonntags wegen, sondern weil der Kronprinz von Preußen, der mit seiner Gemahlin eine Reise in die Rheinlande unternommen hat, jetzt allein (die Kronprinzessin war in Ems geblieben) aus Elberfeld kommen sollte, wo er die Nacht über gewesen war. Darum waren jetzt Triumphpforten, Kränze und Kronen am Wege aufgestellt, und der schwarze Adler wehte überall. Wir begegneten auch bald dem Prinzen, der mit dem Landrat Hagen in einer Kalesche fuhr. Acht Pferde waren vor dem Wagen und zwei Vorreiter, zwei andere Wagen folgten, und der ganze Weg war voll Menschen. Die Straße geht jetzt wie durch eine fortgesetzte Stadt, denn die ganze, drei deutsche Meilen lange Strecke wird von den Städten Schwelm, Barmen und Elberfeld in Anspruch genommen. Durch diese Städte, die hübsch, behaglich und heiter aussehen, namentlich Elberfeld, geht ein Strom zu Tal. Auf einem Marktplatz sahen wir ein schlichtes Denkmal zur Erinnerung an den Tag, wo Kaiser Alexander, König Friedrich Wilhelm und Kaiser Franz hier im Jahre 1814 einzogen. Es ist nur eine schöne junge Eiche, von einem schmucken Eisenstaket umgeben, in jeder der vier Ecken ist ein Schild mit einer Inschrift angebracht.

Geijer und Adolf hatten heute ein kurzes Gespräch über Frauenzimmer und Frau v. Staël, das ich mit Vergnügen anhörte. Wie schade, daß Geijer so karg darin ist, sich mitzuteilen und es so selten der Mühe wert findet. Man profitiert immer etwas Gutes und Lehrreiches aus dem, was er sagt. So war es auch heute. Er spricht so klar und gut aus, was ich dunkel fühle, ohne es mir recht entwirren zu können.

Morgen werde ich den Rhein sehen! Und dann die Reise nach der Anweisung meines Freundes Kernell machen und sein Grab besuchen. Seit dies das Ziel der Reise ist, hat mich ein süßer Friede umschwebt: Friede des Herzens und Gewissens.

 

Köln, den 1. August. Um sieben Uhr morgens verließen wir Elberfeld, nachdem Geijer und ich uns jedes zur Erinnerung ein kleines Tuch und sechs Servietten aus feinem Damast für 10 Berliner Taler (auf jeden fünf) gekauft hatten. In Solingen frühstückten wir. Im Nordwesten sahen wir die Türme von Düsseldorf und in der Ferne südlich einen Bergzug, den ich der Form nach als das Siebengebirge erkannte, von dem ich so viel gelesen und meine lieben Freundinnen Amalia und Louise Imhoff erzählen gehört. Ach, es war mir, als käme ich in eine Heimat. Da war also das merkwürdige Land, das zu sehen wir so weit gepilgert waren. Schön war der Anblick, nur die ungewöhnliche Hitze und erstickender Staub beeinträchtigte das Vergnügen. Wir machten mitten am Tage Rast. Es blieb fast ebenso heiß, aber wir vergaßen es, als wir in der Nähe von Mühlheim zum ersten Male jenen berühmten, viel besungenen Fluß erblickten, der sich uns zuerst unansehnlich und schmal zeigte, aber sich bald ruhig und majestätisch ausbreitete. Kölns Dom hatte schon längst unter den vielen Kirchtürmen, die diese Stadt auszeichnen, unsere Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Der Dom sieht riesenhaft groß aus, die Türme sind nicht fertig, und auf dem einen steht noch der Kran, mit dem die Steine hinaufgehißt wurden.

Um 7 Uhr abends langten wir im Gasthof »Am großen Rheinberge« am Ufer des Rheins an. Mit großer Erwartung traten wir ein, aber bekamen zwei Treppen hoch zwei Stuben mit der Aussicht auf den Hof, ziemlich unsauber und schlecht arrangiert. Höchst verdrießlich, da wir beabsichtigt hatten, gerade hier ein paar Tage auszuruhen! Heiß, müde, staubig und schmutzig, war mir überaus unbehaglich zumute, und ich wußte nicht recht, was ich anfangen sollte. Immerhin versuchte ich, es so gemütlich als möglich für uns einzurichten. Meine Herren waren recht hungrig, aber die Bewirtung war schlecht und entsprach keineswegs ihrem Appetit. Wir gingen zeitig zur Ruhe, und heute erwachte ich durch eine Militärmusik, die froh und belebend klang.

Jetzt bin ich also am linken Rheinufer, – einmal die Grenze von Napoleons Kaiserreich. Ach, sie war doch schön, die Zeit, als ich an seine Größe glaubte! Nun liegt sie im Staube – nur moralische Größe ist wahr und dauernd und der Bewunderung wert!

 

Den 3. August. Gestern saß ich auf meiner Stube und arbeitete, die Herren gingen aus und ein. Geijer war am Vormittag bei einem Buchhändler gewesen, hatte sich nach den Professoren der Stadt erkundigt und die Adresse eines Doktor Wilhelm Smets, Kaplan an der Domkirche, erhalten. Geijer suchte ihn auf und fand ihn überaus angenehm und gefällig. Er versprach, uns um 6 Uhr in den Dom und auch sonst herumzuführen. Wir gingen um ½6 fort und sahen uns einen Teil der Stadt an, wo es in den engen schmutzigen Gassen von häßlichen unsauberen Weibspersonen und Kindern wimmelte. Vor den Häusern saßen schmierige Frauen und klöppelten. Ich betrachtete ihre Arbeit und sah zu meinem Staunen feine, reine, schöne Spitzen aus diesen Händen hervorgehen. Ein altes Mütterchen sah mich genau an und sagte: »Sie sind wohl hier nicht zu Hause, das habe ich gleich gemerkt.« Und als ich ihr bedeutete, daß ich in Schweden daheim sei, da schlug sie die Hände zusammen, vor Staunen über dieses entlegene Land! Adolf und ich gingen voraus in den Dom und sahen ihn uns von außen an. Nur das Schiff ist fertig und zeigt die Idee dieses Bauwerks, das vollendet und fertig das achte Weltwunder geworden wäre. Eine solche Größe, vereint mit einer solchen Genauigkeit im Detail, eine solche Steinmasse, mit so großer Leichtigkeit zusammengefügt, so emporstrebend, kann man sich nicht vorstellen! Wie Spitzen, aus dem Stein herausgearbeitet, mit einem Fleiß, einer Liebe, ohne alle Berechnung auf prunkvollen Effekt. Die Betrachtung dieses Bauwerks erfüllt den Sinn mit tiefer Ehrfurcht vor der ernsten, mutigen Beharrlichkeit, mit der man dazumal arbeitete. Es ist über alle Beschreibung schön, aber es ist schon eine Art Ruine – Efeu und Immergrün wächst auf den unvollendeten Türmen. Wir gingen hinein und setzten uns auf eine Bank in der äußeren Kirche, deren schöne Pfeiler sich wie aus der Erde hervorgewachsen erheben, aber deren Decke aus nackten Brettern besteht, da die Kuppel nicht vollendet ist.

Geijer kam mit Smets – wir traten in die Kirche ein. Welche Höhe, welche Schönheit! Eine Art Tabernakel über dem Altar ist nicht in demselben Geschmack wie das übrige und beeinträchtigt die Wirkung des Ganzen etwas; aber der schöne schwarze Marmortisch, der Boden aus Feldern von schwarzem und weißem Marmor paßt zu dem grandiosen Stil des Ganzen. Die Steinbilder sind nicht besonders bemerkenswert. Smets führte uns hinter den Chor – da sind verschiedene Kapellen. In einer derselben hatten wir schon ein Bild bewundert, Mariä Verkündigung darstellend. Maria kniet vor einem Tisch, auf dem ein großes Buch aufgeschlagen liegt. Sie ist bleich und hat den Ausdruck der schönsten jugendlichen Unschuld und Frömmigkeit. Über ihr schwebt eine Taube, hinter ihr kniet ein Engel. Dies ist jedoch nur auf den Türen gemalt, die das innere Bild einschließen. Als diese Türen geöffnet wurden, war ich ganz geblendet von der Pracht und Schönheit, die sich meinen Augen zeigte! Nie habe ich von einem Bilde einen solchen Eindruck empfangen! Es stellt die Anbetung der heiligen drei Könige dar. Maria als Himmelskönigin ist göttlich, und noch göttlicher das Kind! Die drei Könige sind unter ihnen, und noch mehrere andere Figuren füllen das Bild aus, das das Herrlichste und Schönste ist, was ich je gesehen! Es ist auf Goldgrund gemalt, auf dem Engelsköpfe den Fond bilden. Die Jahreszahl ist 1410, aber welcher Meister dieses Bild gemalt hat, das ausschließlich »das Dombild« genannt wird, weiß man nicht mit Sicherheit. Der Name Wilhelm soll irgendwo auf dem Bilde eingezeichnet stehen, darum wird es von einigen Wilhelm von Köln genannt, von andern Kalm oder Kay. Ich konnte mich an diesem schönen Bilde nicht satt sehen, und als die Türen sich wieder darüber schlossen, da war es mir, als hätte ich einen Anblick des Himmels verloren! Gerade im selben Augenblick begann die große, ehrwürdige Domglocke zum Abendgebet zu läuten – es war herrlich! Als wir dann hinter das Dombild sahen, in das Grab der drei Könige, das immer von Wachskerzen erleuchtet wird, da war es mir, als sähe ich plötzlich in eine der prächtigen schimmernden Grotten aus Tausend und eine Nacht, so funkelte der große Sarg, in dem ihre Gebeine verwahrt liegen, von Gold und edlen Steinen. Wir gingen dann um den Dom herum und von dort in die älteste Kirche Kölns, S. Maria in Capitolio, wo einst das Capitolium der Römer gewesen ist, als die Stadt noch Colonia Agrippina hieß, nach der Tochter Germanici, die hier geboren wurde.

 

Den 3. spät abends. Um 9 Uhr morgens fanden wir uns in einem großen Saal, Aula genannt, ein, um da eine akademische Rede zu Ehren des Wiegenfestes des Königs von Preußen anzuhören. Truppen in Parade zogen mit klingendem Spiel an uns vorbei. In der Aula war es so voll, daß ich mit Adolf wieder nach Hause ging, Geijer und Smets kamen bald nach. Letzterer ging wieder mit uns fort und zeigte uns ein schönes Bild von Lebrun bei einem jungen Schriftsteller und Dichter de Groote. Dieses Bild stellte Jabach mit seiner Frau und seinen vier Kindern vor. Jabach war ein reicher, vornehmer Kölner Bürger, der zu Rubens' Bildung und Fortkommen beitrug. De Groote ist durch Erbschaft und Verwandtschaft in den Besitz dieses Bildes gelangt. Dann gingen wir und besahen uns die Apostelkirche, die Gereonskirche u. a.

Unser guter Doktor Smets blieb zum Mittagsessen bei uns, das recht heiter ausfiel, obgleich ich ermattet war und mir ganz schwindelig im Kopfe wurde von dem Moselwein und Champagner, dem besten, den ich je getrunken. Nach dem Mittagsessen besuchten wir eine schöne, reichhaltige Bildersammlung bei dem Landrat Liewersberg, mehrere Bilder von Rubens, ein van Dyck, ein Sonnenaufgang von Vernet, süperb! Und schließlich sahen wir ein »häusliches Capell«, von dem reichen, kunstliebenden Alten eingerichtet und von einem seiner Verwandten nach altdeutscher Art gemalt, vortrefflich, eigenartig, seltsam.

Meine Herren wollten dann ausgehen, um die Bekanntschaft eines Musikers Klein zu machen, und ich war es zufrieden, ein Weilchen mit meinen Vapeurs allein zu sein – aber es kam dann nicht dazu, sondern sie blieben drinnen bei mir, die ich kein rechtes Vergnügen dran haben konnte.

 

Den 4. Unser Doktor Cicerone hat Geijer ein Heft Gedichte gegeben, und Geijer hat ihm ein Exemplar von Geijers und Lindblads Liedern überreicht, die im Frühling erschienen sind. Um 4 Uhr gingen wir nach »Maria in Capitolio«, wo Karl des Großen Mutter Plectrudis begraben liegt, weil sie hier, wo einst die Römer ihr Capitolium hatten, ein Kloster baute. Ihr Bild ist in Stein außen an der Kirche angebracht, die schön und schlicht ist und namentlich schöne Glasmalereien hat. Wir sahen da ein Bild von Albrecht Dürer, die sterbende Maria, von den trauernden Aposteln umgeben. Von dort gingen wir in die St. Peterskirche, und kamen da an dem Hause vorbei, wo Maria von Medicis, Heinrichs IV. zweite Gemahlin, Mutter Ludwigs XIII., von ihrem eigenen Sohne landesverwiesen, ihre Tage beschloß. In diesem selben Hause ist Rubens geboren.

Man kann in Köln kaum durch eine Straße gehen, die nicht irgendeine alte historische Erinnerung birgt. In der Peterskirche ist Rubens getauft, und die Kapelle, wo dies stattfand, wird noch gezeigt. Er hat auch das Altarbild gemalt, aber starb, bevor es vollendet war, es wurde dann von seinem Freund und Gönner Jabach übernommen, dessen »Familiengemälde« wir bei de Groote gesehen hatten.

Wir kehrten dann zum Dom zurück, an dem man sich nie satt sehen kann. Wir erstiegen auch den Turm und sahen die ganze Stadt und das Land ringsherum und den Rhein, der sich zwischen fruchtbaren Feldern und Weinbergen hindurchschlängelt. Oben im Turm hatten viele Reisende ihren Namen auf die Mauern geschrieben. Geijer nahm seinen Bleistift, aber gerade als er zum Schreiben ansetzte, sagte er: »Nein – der Name des Baumeisters dieser schönen Kirche ist unbekannt! Mein unbedeutender Name soll nicht auf die Mauern seines Meisterwerks geschrieben werden!«

Smets ist der Sohn einer berühmten Schauspielerin in Berlin, Frau Schröder. Er kam dann und invitierte uns alle drei zu einer musikalischen Soiree bei Klein. Gerne hätte ich Musik gehört und meine Freunde Geijer und Lindblad in ihrem Element gesehen, aber ich war zu müde. Meine Herren kamen befriedigt zurück, sie hatten einen vergnügten, munteren Abend mit Smets, Klein und Renda verbracht, musiziert, getrunken und geplaudert.

 

Bonn, 5. August. Um 8 Uhr verließen wir Köln. Der Weg nach Bonn ist schön, wir hatten einen Mietskutscher genommen. Man fährt zwischen Weingärten den Ufern des Flusses entlang, das Siebengebirge sieht man in vielen verschiedenen Richtungen vor sich, nur hohe schattige Bäume fehlen. Um 12 Uhr trafen wir in Bonn ein, das viel anheimelnder aussieht als Köln. Unser Mietskutscher hatte über seinen Kleidern das blaue Hemd an, das hierzulande von allen Ständen als Überstück getragen wird, ein sauberer, vernünftiger Brauch, der die Kleider vor Staub und Schmutz schützt. Man nennt dieses Kleidungsstück Kittel.

In Bonn aßen wir um ½2 an der Table d'hote – das ist langweilig wegen des langsamen Service. In Bonn zu sein, ist für mich ein feierliches, seltsames Gefühl. Von hier habe ich Briefe von meinem unvergeßlichen Freunde Per Ulrik Kernell, hier erkrankte er vor zwei Jahren. Hier haben wir in einem Buche, in das alle, die in diesem Wirtshaus logieren, ihre Namen einschreiben, seine eigenhändige Namensunterschrift gefunden: P. U. Kernell, Studierender aus Schweden, den 6. Oktober 1823.

Geijer war nicht recht wohl und ich beunruhigt darüber. Wir gingen mit einem Wegweiser zu Arndt. Dicht vor der Stadt begegneten wir einer Gesellschaft, und unser Wegweiser sagte: »Da kommt der Professor Arndt!« Wir gingen ihm entgegen, er betrachtete uns mit Unsicherheit, aber wurde bald herzensfroh und freundlich, umarmte Geijer innig, erkannte auch mich und war unbeschreiblich liebenswürdig. Er kehrte sogleich mit uns um, um uns in sein Haus zu führen, und stellte uns seiner Frau vor, die eine geborene Schleiermacher ist, eine Schwester des berühmten Predigers in Berlin. Sie ist nicht schön, aber sieht verständig und gut aus. Sie haben vier Kinder. Wir kamen an das Staket, wo der Weg links abbiegt und zu dem Wohnhaus Arndts am Rheinufer führt. Man geht zwischen Weingärten und durch eine Allee von Birken, auf deren Verwandtschaft mit Schweden Arndt aufmerksam machte. Er erinnerte sich sehr gut an Kernell, sprach mit Interesse von seinen glänzenden, braunen Augen, den blonden Locken und den hektisch roten Wangen und fand ihn höchst liebenswürdig und gewinnend.

Die vier Kinder mit ihren blauen Kittelchen und dem braunblonden Haar sehen sehr gesund, stark und glücklich aus. Das Wohnhaus ist aus Stein, recht schmuck und geräumig, es liegt ganz dicht am Flusse und ist von Weingärten umgeben. Wir saßen den ganzen Abend auf einer Terrasse, die die schönste Aussicht hat, im Schatten des Wohnhauses. Einen solchen Abend habe ich seit langem nicht genossen. Draußen auf dem Lande mit einer liebenswürdigen Familie traulich beisammenzusitzen, war mir jetzt etwas so Neues und Liebes und tat mir so wohl! Und dazu so viel Schönes zu sehen! Im Nordwesten sieht man auf einem Hügel Bonn mit seinen Türmen und Häusern zwischen grünen Bäumen und Weinbergen. Wenn man von da den Blick nach rechts gleiten läßt, sieht man den Rhein und auf der anderen Seite ein flaches grünes Ufer mit Tränenweiden und Pappeln, die sich nun in der Abendsonne im Fluß spiegelten und zwischen denen trauliche, heitere Wohnstätten zum Vorschein kamen. Dahinter steigt der Boden an, auf einem Berg liegt die Siegburg, ehemals ein Kloster, jetzt ein Irrenhaus. Das Ufer erhebt sich so allmählich zum Siebengebirge, das sich im Südosten mit seinen sieben hohen Spitzen von den Wolken abzeichnet. Aarburg, Löwenburg, Wolkenburg und Drachenfels sind die höchsten. Auf zweien sieht man Ruinen alter Ritterburgen, auf einer eine Kapelle – ein alter Wallfahrtsort –, und auf einer steht ein Denkmal des Zugs der vereinigten Armeen über den Rhein im Jahre 1813. Am Fuße dieser Berge verliert man den Fluß aus den Augen, aber am anderen Ufer gerade gegenüber sieht man den Godesberg, einen hohen kegelförmigen Berg mit einer imposanten Ruine. Auch hier verdecken Anhöhen den Horizont, und auf einer der höchsten nahe von Bonn sieht man Kreuzberg, ehemals ein Kloster und Wallfahrtsort, jetzt nur Kirche und Wohnung für einen alten Geistlichen.

Arndt schlug uns dann eine Promenade vor. Wir gingen mit ihm nach Poppelsdorf, einst ein Lustschloß, jetzt botanischer Garten mit Sammlungen verschiedener Art. Es liegt gerade unterhalb von Kreuzberg, schöne Alleen führen hin. Ich hatte während dieses Spaziergangs viel Freude daran, Geijer mit Arndt von Schweden, Norwegen und der Lage und den Verhältnissen verschiedener Länder sprechen zu hören. Wir kamen erst bei Einbruch der Dunkelheit zu unsrer freundlichen Wirtin zurück, die inzwischen noch andere Gäste bekommen hatte, einen Justizrat Reinhard mit Frau und Schwester und einen jungen Studenten, Sohn des Buchhändlers Reinecke in Berlin, ein schöner Junge, gekleidet, wie es bei den deutschen Studenten Brauch, gescheiteltes Haar, kurzer Rock und umgeschlagener Hemdkragen – schön! Die Berliner Dame erwähnte u. a. Webers neueste Oper Euryanthe, die man, wie sie sagt, in Berlin Eunuyante nennt.

Arndt ist von ganzem Herzen Schwedenfreund und erinnert sich an alles so gut. Mit Geijer sprach er von Värmland und Ransäter Geijers Geburtsort. und von seinem alten ehrenwerten Vater, mit mir von den Schicksalen meines unglücklichen Vaters und von meiner Großmutter, deren er sich sehr wohl entsann, auch von dem Tage, den er auf Edsberg verbrachte – das rührte und beglückte mich. Seit langer, langer Zeit habe ich keinen so alten Bekannten getroffen, der sich an etwas aus meinem Jugendheim erinnert hätte! Ach, Männer sind doch glücklich! Sie leben ihr Leben lang – und wir! Wenn die Jugend vorbei ist, ist auch alles vorbei, es sei denn, daß wir in der Jugend geliebter Kinder wieder aufleben können! Arndt – über 50 Jahre – ist mit seinen grauen Jahren von fröhlicher hoffnungsvoller Kindheit umgeben!

Wir tranken an Ort und Stelle gewachsenen und gekelterten guten, wohlschmeckenden roten Wein, zwei Gänge Speisen wurden serviert, und es war behaglich und traulich. In der Dunkelheit kehrten wir in die Stadt zurück, ein Professor Welcker führte mich, ich bedauere, daß ich diesen angenehmen Mann wahrscheinlich nie mehr treffen werde.

 

Den 6. August. Ich war müde und stand spät auf, fand Geijer unpäßlich und wurde unruhig. Arndt kam, um mit Geijer zu A. W. Schlegel zu gehen, aber er war dazu nicht imstande, so gingen wir nur zusammen in die Aula der Universität. Das ganze Haus ist in Reparatur begriffen, und in diesem schönen Saal wird an Freskogemälden gearbeitet. Auf der einen Wand, die schon mehr als zur Hälfte fertig ist, ist die Theologie mit Kirchenvätern katholischer und protestantischer Gemeinden abgebildet, von allerlei Arabesken und Zieraten umrankt, auf der katholischen Seite Szenen aus dem Alten Testament, auf der protestantischen aus dem Neuen. An die Längsseite des Raums kommen zwei Fresken, die eine die Jurisprudenz, die andre die Medizin darstellend, und der Theologie gegenüber kommt die Philosophie, also die vier Fakultäten mit ihren Heroen. Dies wird von Schülern von Cornelius ausgeführt, drei jungen Malern, Hermann, Förster – den Namen des dritten habe ich vergessen. Da saßen nun die drei jungen Künstler auf ihren Gerüsten, in blauen Kitteln, mit Palette und Pinsel und sahen so frei und glücklich aus und hatten durch die hohen Fenster die herrlichste Aussicht auf den Rhein und das Siebengebirge. Hermann mit seinen prächtigen braunen Augen und dem kastanienbraunen Haar, das ihm in Locken auf den Hals fiel, gefiel mir besonders.

Adolf ist gegen all die wunderlichen abergläubischen, scheinheiligen Zusätze aufgebracht, die jedem katholischen Gottesdienst anhaften – aber es ist ja doch Gottesdienst, und fromme Herzen können mehr Bedeutung hineinlegen, als wir glauben. Freilich finde ich auch, daß das Schlichte, rein Geistige unseres lutherischen Gottesdienstes feierlicher und erhebender ist, aber viel von dem, worin die Einfalt und Frömmigkeit des Mittelalters sich noch spiegelt, z. B. die Bilder, die Wallfahrt und die Beichte, hat etwas Ehrwürdiges und Erbauliches an sich.

Geijer blieb dann den ganzen Tag daheim. Aber Adolf und ich gingen zum Mittagsessen zu Arndts. Da waren dieselben Personen wie am Abend zuvor, und der Maler Förster. Auch ein Fräulein Björnstjerna, Schwester unseres schwedischen Generals, war zugegen. Zwölf Jahre lang war sie Hoffräulein bei der Prinzessin von Thurn und Taxis gewesen und hatte in Regensburg bei ihr gewohnt. Sie bekam dann das Hofleben satt und wohnte eine Zeitlang bei ihrem Bruder, Major in preußischen Diensten. Aber da sie sich ein tätigeres Leben wünschte, hatte sie um die Oberaufsicht über das Krankenhaus in Bonn angesucht und nahm nun seit fast zwei Jahren diese Stellung ein. Sie freute sich, Schweden zu treffen, und war recht freundlich und zuvorkommend. Ihr Vater war schwedischer Chargé d'affaires in Regensburg, ihre Mutter eine Deutsche. Selbst ist sie nie in Schweden gewesen.

Bei Tische saßen wir zwei geschlagene Stunden, obgleich das Essen zwar recht gut, aber nicht überreichlich war. Sechs Flaschen Wein standen auf dem Tisch und wurden ausgetrunken. Das Gespräch war recht lebhaft, aber da ich noch nicht gewöhnt bin, mehrere Deutsche durcheinander reden zu hören, konnte ich nicht immer folgen. Erst um 4 Uhr standen wir vom Tische auf. Dann trennte sich die Gesellschaft bald. Arndts selbst sollten zu einem sogenannten Polterabend bei einer jungen Braut, die heute den 7. Hochzeit hält. Adolf und ich kehrten zu unserem Freunde Geijer zurück, der sich besser fühlte, aber noch nicht ausgehen konnte. Wir wußten nicht recht, was wir mit unserem Abend beginnen sollten. Ich ging schließlich mit Maja-Lisa in eine Badeanstalt. Adolf begleitete uns, und aus Unbeschäftigtheit zankten wir uns auf dem Wege, auf seiner Seite eigentlich aus Langweile!

 

Den 7. Arndt kam früh und blieb lange und unterhielt sich mit Geijer über Universitätsstatuten und diverse interessante Themen. Es machte mir große Freude, zuzuhören. Dann gingen sie aus, um einige Professoren zu besuchen. Ich ging zuerst in eine katholische Kirche, wo ich eine Messe hörte, schönes Orgelspiel und Gesang. Dann besuchte ich Fräulein Björnstjerna, die mich darum gebeten hatte. Sie wohnt im Krankenhaus und hat im Erdgeschoß eine große, gewölbte, untapezierte Stube mit weißgetünchten Wänden und Decke, wohnlich durch Ordnung, Sauberkeit und Bücher.

Wir aßen dann an der Table d'hote zu Mittag und gingen zum Alten Zoll, einer Art Brücke, einem schönen Platz, zu dem Arndt uns unten am Rheinufer führte.

 

Linz, den 9. Gestern hatte ich unvermutet einen besonders schönen Tag. Der Wagen ließ auf sich warten, alles war fertig, ich wurde ungeduldig und ging mit Adolf zu Arndts voraus, wo wir wie gewöhnlich von den herzensguten, wackeren Menschen herzlich aufgenommen wurden. Bald darauf kam Geijer im Wagen mit Maja-Lisa, und wir nahmen von dem prächtigen, edlen Arndt Abschied. Um 10 Uhr kamen wir nach Godesberg, wo wir zu der schönen Ruine auf dem Berge gingen, der größten und interessantesten, die ich noch gesehen. Sie ist eine Burg gewesen, wie man annimmt von den Römern zur Zeit des Kaisers Julian erbaut. Man sieht von da die ganze schöne abwechslungsreiche Gegend um Bonn bis nach Köln. Der Drachenfels ist fast gerade gegenüber am anderen Rheinufer, und viele Weingärten. Der ganze Berg ist mit jungen Eichen und Buchen bewachsen, es ist wie ein grüner Samtmantel, und an seinem Fuße sieht man viele schöne trauliche Häuschen mit hübschen Gärten und Anlagen. In einem dieser Häuser wohnt der Komponist und Pianist Ries Ferdinand Ries 1784-1838., den Geijer und Lindblad besuchten.

Wir fuhren von Bonn in einer Mietkutsche ab, die eng und unbequem war, darin setzten wir die Reise noch eine Stunde bis zum Wirtshaus in Rolandseck fort, wo wir den Wagen verließen, um im Boot über den Rhein zu fahren. Hierüber gab es Deliberationen, die mich etwas ungeduldig machten. Ich ging von den unschlüssigen Herren fort, zu der Ruine, wo einst die Burg stand, auf die Schiller seine schöne Romanze »Ritter Toggenburg« geschrieben hat. Gleich darunter im Rhein liegt die liebliche Insel Nonnenwerth, wo die Geliebte wohnte. Der Weg führt durch lauter Weinberge und Obstgärten im Zickzack um den hohen Felsen herum, aber wenn man heraufkommt, ist man für die Mühe reich belohnt, und wir mußten alle drei gestehen, daß es hier doch noch schöner ist als in Godesberg.

Von der Ruine ist nicht mehr übrig als eine einzige Mauer mit einer großen Fensteröffnung, durch die man Godesberg, Bonn und die vielen Biegungen des Rheins mit seinen Landzungen und Bergen bis nach Köln verfolgen kann. Lange verweilten wir dort oben. Als wir auf den Weg zurückkamen, tranken wir aus einer schönen, frischen Quelle, die aus einem großen Steinpfeiler kommt und in ein mächtiges Marmorbecken fällt.

Adolf ging in das Wirtshaus, um nach unseren Sachen zu sehen und kam dann mit Maja-Lisa im Boot nach Nonnenwerth nach, wo wir zu Mittag essen wollten. Geijer und ich fuhren voraus. Nonnenwerth ist eine allerliebste kleine Insel. Das ehemalige Kloster ist jetzt ein großes, lustiges, schönes Wirtshaus. Ich wünschte, es wäre seiner früheren Bestimmung erhalten geblieben und bedauere, daß die armen alten Frauen, die hier ihre Tage verbrachten, gezwungen wurden, diese Wohnstätte des Friedens zu verlassen. Neun waren es, die vor zwei Jahren, als das Kloster aufgelassen wurde, von hier fort nach Koblenz und anderen Orten ziehen mußten. Der Lärm und die Unruhe, die das Wirtshaus mit sich bringt, will nicht recht zu der Lage und Tradition passen. Hier sollte Friede und Frömmigkeit herrschen. Wir gingen durch die schattigen Spazierwege der Insel, aber mußten dann mit vielen Personen an der Table d'hote essen, die gar kein Ende nehmen wollte. Schließlich ließ ich eine Flasche Champagner kommen, und damit setzten wir uns alle vier unter einen Walnußbaum am Ufer und tranken sie lustig und vergnügt aus. Wir besahen uns die früheren Klosterräumlichkeiten und begaben uns dann wieder nach Rolandseck. Von da sollten wir mit der »Wasserdiligence« weiter nach Koblenz, aber da kam ein hübsches Landmädchen und offerierte uns ein eigenes Boot, und da das Wetter sich aufgeheitert hatte und der Abend göttlich schön zu werden versprach, fanden wir es angenehmer und bequemer, unser eigener Herr zu sein. Die »Wasserdiligence« wird stromaufwärts von vier bis sechs Pferden gezogen, die den Ufern entlang gehen.

Um ½6 Uhr verließen wir Rolandseck in einem Boot, das auch alle unsere Habseligkeiten beherbergte. Ein Mann steuerte, während zwei andere dem Ufer entlang gingen und das Boot an einem langen Tau zogen, das im Achter des Bootes befestigt war und durch einen Ring in den Mast hinaufging. Man fährt so ziemlich nahe dem Ufer, außer wenn Steinriffe oder andere Hindernisse, die diese Bootsleute genau kennen, sie zwingen, das Tau zu verlängern und das Boot weiter in den Fluß hinauszulassen. Diese Art der Fortbewegung ist wunderlich, aber geht rascher, als man glauben sollte und sagte uns ungemein zu – ich möchte so den ganzen Rhein hinunterfahren!

Der Abend wurde immer schöner, vor uns hell und klar, hinter uns dunkel, da, wo der Drachenfels mit seinen sechs Brüdern am einen Ufer, Rolandseck und Godesberg am anderen ihre stolzen Ruinen bis in die Wolken erheben und den Fluß überschatten. Auf dem Drachenfels soll eine kleine Pyramide stehen, errichtet zum Andenken an zwei Landsturmkrieger, die hier in der Gegend im Januar 1814 gefallen sind. Den Sankt Apollinarisberg erkannte ich nach Amaliens Zeichnung und Beschreibung, wie mir überhaupt die ganze Gegend durch ihre liebenswürdige Erzählung »Der Gang durch Köln«, im ersten Teil des »Taschenbuch der Sagen und Legenden«, bekannt war. Auf diesem Berg steht eine Kapelle, die ein Wallfahrtsort ist. Der Leichnam des heiligen Apollinaris sollte mit denen der drei Könige nach Köln gebracht werden. Die Nacht über rastete man am Rheinufer, und die heiligen Leichen wurden da hingestellt. Doch als sie am nächsten Morgen weitergetragen werden sollten, da war der Sarg des heiligen Apollinaris so schwer, daß er nicht von der Stelle zu bringen war, ein Zeichen, daß die Gebeine des Heiligen hier ruhen wollten. Es wurde darum eine Kapelle gebaut, wo der Sarg noch heute verwahrt wird. Eine schönere Begräbnisstätte hätte sich der heilige Apollinaris nicht wählen können. Der ganze Berg ist mit verschlungenen Weinranken bekleidet. Er gehört oder gehörte wenigstens den Brüdern Melchior und Sulpice Boisserée.

Die Stadt Remagen, die in der Nähe von St. Apollinaris liegt, sieht traulich und heiter aus. Seltsam, all dies in einem kleinen Kahn zu passieren, es ist, als rollte sich zu beiden Seiten des Flusses allmählich ein Bild vor unseren Augen auf. Es war bezaubernd. Geijer zeichnete den letzten Blick auf den Drachenfels und Rolandseck mit dem St. Apollinarisberg im Vordergrund. Es begann zu dunkeln – Adolf nahm seine Flöte und blies alte wohlbekannte Melodien, Geijer saß vornübergeneigt im Boote und hatte seine Freude dran – das sah ich. Die alten schwedischen Volksweisen klangen so schön in den stillen Abend hinaus, und bisweilen antwortete das Echo der Berge. – Unvergeßlich!

Es war fast finster, als wir in der Stadt Linz landeten, wo wir die Nacht in einem sauberen ordentlichen Gasthof verbrachten. Zwischen 7 und 8 Uhr verließen wir Linz und setzten die Reise auf dieselbe Art mit unseren drei wackeren Rolandsecker Ruder- oder Zugknechten fort, wie man nun sagen will. So wie gestern sahen wir im Vorübergleiten Berge und Täler, Dörfer und Städtchen. Über die anderen ragt Rheineck mit seinem alten Turm und seiner Kapelle.

Wir fuhren bis Andernach, einer sehr alten Stadt, die recht unwirtlich aussieht. Sie hat eine alte »Pfalz« (Palais) und römische Denkmäler. Da steht auch ein Monument des Generals Hoche, errichtet von » I'armée de Sambre et Meuse«, am weißen Turm in der Nähe von Koblenz. Als wir von unserem Mittagsbrot in Andernach zu unserem lieben kleinen Boot zurückkehrten, installierten wir uns so bequem als möglich, um ein Mittagsschläfchen zu halten, indes wir auf unsere Bootsleute warteten. Es war köstlich, im Schatten, beim Plätschern der Wellen, zu ruhen. Wir fuhren dann ab und segelten ein Weilchen bei gutem Wind, aber das Boot schlingerte ziemlich stark, es stürmte und regnete rings um uns, doch nur ganz wenig auf uns. Bald kamen wir zu der heiteren, schönen, in modernem Stil erbauten Stadt Neuwied mit ihrer prächtigen Pappelallee, die aus der Ferne wie ein ganzer Wald aussieht. Am »weißen Turm« fährt man am linken Ufer vorbei. Man glaubt, daß Cäsar hier zum erstenmal aus Gallien den Rhein überschritten hat. Es trübte sich und begann zu regnen, und wir sahen nichts sonderlich Bemerkenswertes, bis wir urplötzlich bei einer Biegung des Flusses die prächtige Festung Ehrenbreitstein nahezu lotrecht auf dem rechten Ufer aufragen sahen, und links die Mosel, die hier in den Rhein mündet, und das schöne Koblenz, das in dem aus den beiden Flüssen gebildeten Dreieck liegt. Wir passierten eine große Flotte ungeheurer Baumstämme, Bretter und Holzstangen, die aus der Schweiz auf dem Flußwege nach Holland gebracht werden. Es sind ungeheure Mengen zusammengefügt und darauf kleine Häuschen errichtet, in denen es die Mannschaft bequem hat.

Allgemach klärte es sich wieder auf, die Sonne ging schimmernd unter und spiegelte sich in der Mosel, in die wir jetzt einbogen, um zu einem Wirtshaus in Koblenz zu gelangen. Eine prächtige Steinbrücke mit vielen Bogen geht über den Fluß, da machten wir halt. Die letzten Strahlen der Sonne beleuchteten den hohen, steilen Felsen, auf dem Ehrenbreitstein allen Angriffen trotzt, alle Fenster waren von ihrem Glänze vergoldet, sowohl in der Festung wie im Osten in Koblenz.

Im Wirtshaus »Kölnischer Hof«, wohnen wir gut, wir haben Tee getrunken, geplaudert und gescherzt. Die Herren sind zur Ruhe gegangen, und ich tue nun das gleiche.

 

Koblenz, den 10. August. Wir sind heute morgen über die Moselbrücke zu den großen prächtigen Festungswerken »Kaiser Franz« gegangen und haben schöne Ausblicke über die ganze herrliche Gegend genossen. Auch General Marceaus Grabdenkmal haben wir gesehen, er fiel hier (1796) 26 Jahre alt, im Krieg der französischen Republik und war einer ihrer tapfersten, edelsten Generale.

 

Mainz, den 12. August. Bei strömendem Regen verließen wir den 10. dss. um die Mittagszeit das schöne heitere Koblenz. Mit Schwierigkeit schifften wir uns bei dieser Nässe in die »Wasserdiligence« ein und hatten es da in einer kleinen unwirtlichen Kajüte mit vielen Menschen, Kindern, Tabaksrauch enge und gedrückt. Das war das erstemal, daß wir auf der Reise zu leiden hatten! Die größte Entbehrung war es mir, des Regens halber eingeschlossen dasitzen zu müssen und den Fluß und seine schöne Umgebung nicht sehen zu können. Bald jedoch ließ der Regen nach, und ich schlich mich auf das Verdeck. Das war aber schlecht eingerichtet, kein Raum zum Sitzen und auch schwer zu stehen, denn es war holprig und schlüpfrig. Aber ich blieb doch oben, denn es war entzückend schön! Hinter uns Koblenz und Ehrenbreitstein, vor uns Anhöhen, Ruinen, und dem Fluß zunächst lächelndes grünes Gelände mit lauschigen Walnuß- und anderen Obstbäumen.

Bald kamen wir zur Mündung der Lahn in den Rhein, die heiterste Landschaft, die ich je gesehen! Die Lahn! Daran liegt Ems, wo Per Ulrik Kernell im Jahre 1823 weilte – nicht weit von hier! Die gegenüberliegenden Ruinen Lahneck und Stolzenfels verschönern die ganze Gegend. Die letztere ist die imposanteste all dieser alten Schloßruinen. Der Himmel wechselvoll wie die Gegend, bald Regen, bald Sonnenschein, warf schöne Lichter auf die Landschaft und machte ihre Reize noch offenkundiger.

Rheinburg, Marxberg, dies der Name verfallener Burgen, die wie Vogelnester auf den hohen Felsen kleben. Alles hat alte Erinnerungen und Überlieferungen. Auf zwei, durch ein tiefes Tal getrennten Felsen liegen die beiden Schloßruinen Liebenstein und Sternberg, die sogenannten Brüder. Hier haben einstmals zwei Brüder gehaust, sie liebten dasselbe in ihrem Elternhaus aufgewachsene Mädchen, und sie wählte den jüngeren. Er zog dann in den Kreuzzug und brachte eine Griechin nach Hause, über der er seine Eheliebste vergessen hatte. Sie ging in ein Kloster und starb dort vor Kummer. Ihr älterer Anbeter vermählte sich nicht, sondern hauste weiter auf seinem einsamen Schloß. Das Schloß Thurmberg sieht dunkel und düster aus, ebenso Katzenellenbogen, Rheinfels und Rheineck, lauter alte Ruinen von wunderlicher, phantastischer Gestalt.

Um 8 Uhr abends, bei völliger Dunkelheit, kamen wir in das Städtchen St. Goar, wo wir übernachten sollten. Aber im Gasthause war es so voll, daß wir nicht mehr als ein Zimmer mit drei Betten bekommen konnten. Meine Herren wurden darüber mißmutig, namentlich Lindblad, dem diese Art zu reisen schon den ganzen Tag eine Qual gewesen war. Ich tröstete sie, und sagte, für einige Stunden würde es schon gehen, da wir ja doch um 3 Uhr morgens mit der »Wasserdiligence« weiter mußten. Während die Herren an der Table d'hote aßen, legte ich mich mit Maja-Lisa angekleidet in das breite Bett und überließ ihnen die beiden anderen. So schliefen wir recht gut bis um ½3, wo man uns weckte und wir uns wieder an Bord der unangenehmen Diligence begeben mußten.

Die Fahrt auf dem Flusse kam mir jetzt fast einförmig vor, er war von bergigen, hohen Ufern ganz eingeschlossen. Ein hoher kreisförmiger Fels heißt Loreley und soll ein schönes, vielfaches Echo geben, und mitten im Fluß, auf einer flachen Felsplatte erbaut, liegt ein seltsames Gebäude, Pfalz oder Pfalzgrafenstein genannt, wo einst nach einer alten Überlieferung die Pfalzgräfinnen immer ihre Niederkunft erwarteten, um gerade dort der Welt die künftigen Pfalzgrafen zu schenken. Später ist es Staatsgefängnis geworden und scheint sich hierzu auch am besten zu eignen.

Lindblad, dem diese Art zu fahren ein Greuel war und der auch seiner Reisegesellschaft müde geworden zu sein schien, stieg in der Stadt Bacharach ans Land und ging dann zu Fuß dem linken Rheinufer entlang. Es war mir eine Freude, in dem zunehmenden Morgenlicht seine Gestalt zwischen Bäumen und Gesträuch hervorschimmern zu sehen – aber glücklich kann ich nicht sein! Ich sehe, ich fühle, daß er meiner müde geworden ist, daß ich eintönig, langweilig bin. Ich vermisse seine einst so lebendige Anteilnahme, doch ohne alle Bitterkeit. Sein unausgeglichenes, unruhiges Naturell ermüdet mich auch mitunter – ich wünschte ihm ein Ziel für seine Gedanken und eine rechte Tätigkeit, und ich glaube, eine Trennung wäre gut für uns – aber wie leer dann! Ach, ich möchte wie eine zärtliche Mutter für ihn sein, aber wenn er meiner Sorge müde wird, sie zurückweist, das tut weh. In vielen Fällen beeinträchtigt dies wohl mein Vergnügen an der Reise – aber vielleicht auch, daß meine innige Liebe dem Ganzen einen magischen, wenn auch oft melancholischen Ton leiht, der das Interesse daran noch erhöht und vertieft. Ach, wäre Geijer doch mitteilsamer, offener, freundlicher, welche Wohltat könnte das nicht für Adolf und mich sein! Jetzt müssen wir beständig aus unserem eigenen Vorrat schöpfen, und oft gebricht es uns an Nahrung und Lebensluft.

Diese Gedanken beschäftigten mich den ganzen 11. August zwischen den Ablenkungen, die die wechselnden Bilder, die die Ufer zeigten, meinem Auge boten, eine Schloßruine nach der anderen, so daß Geijer sie schließlich gründlich satt bekam. Am linken Ufer liegt die Stadt Bingen mit dem Mäuseturm, wo ein Erzbischof Hatto sich in der Fehde mit dem Kaiser eingeschlossen hatte und von den Ratten aufgefressen worden war. Nächst Bingen kann die Stromfahrt gefährlich sein, wenn der Rhein hoch und der Wellengang stark ist, denn da sind Klippen und Tiefen, darum heißt dieser Teil auch Binger Loch. Nun stand das Wasser tief, die Klippen ragten über den Wassersaum, und die Strudel waren nicht heftig.

In Rüdesheim legte die »Wasserdiligence« an, und wir nahmen um 11 Uhr ein Frühstück oder Mittagsessen. Adolf kam mit dem Boot aus Bingen zu uns herüber, er war zu Fuß ebenso geschwind hingekommen wie wir mit der Diligence. In Rüdesheim tranken wir den besten Wein, den ich je gekostet, aus der Lese 1822. Er duftete ganz köstlich, und wir kauften ein paar Flaschen, aber er war sehr teuer! Es war hier ausnehmend behaglich, und gerne wäre ich länger verweilt und hätte einen der angeschirrten Esel bestiegen, die bereit standen, falls man einen Ritt ins Gebirge machen wollte.

Aber Geijers Zeit ist genau berechnet, wir mußten also mit der Diligence weiter, aus der viele Passagiere ausgestiegen waren, so daß wir nun vollauf Raum hatten. In Rheingau wird der Strom breiter. An dem rechten Ufer sieht man auf einer Anhöhe das durch seinen köstlichen Wein so berühmte Schloß Johannisberg, dem großen Diplomaten Grafen Metternich gehörig; auf dem linken Ingelheim, Karls des Großen Lieblingswohnsitz.

Eine Stadt, ein Dorf nach dem anderen wurde passiert, und wir kamen schließlich nach Mainz. Wir hatten nun alle die unbehagliche »Wasserdiligence« satt und gingen gerne ans Land. Man hatte uns gesagt, daß Schwedens ehemaliger König, Gustav Adolf, sich hier aufhält und abends gewöhnlich an dem Hafen promeniert, wo wir landeten. Wir sahen uns die Augen nach ihm aus, aber er war nicht da. Er soll mit keinem Menschen verkehren, sondern lebt ganz einsam in einem Wirtshaus, Kastell, in einem Teil der Stadt, der am rechten Rheinufer gelegen und durch eine lange Brücke mit Mainz verbunden ist. Wir sind im Wirtshaus » Le cheval blanc« gut untergebracht und hörten gestern abends Musik vor unseren Fenstern von ein paar Mädchen, die Harfe und Violine spielten.

Ich bin nun am Morgen ausgeruht, aber fühle mich recht unglücklich. Allzusehr habe ich meine Zuneigung auf einen Gegenstand gerichtet und werde nun für meine Torheit bestraft. Manchmal findet Adolf mich kalt und teilnahmslos, dann wieder weist er meine Aufmerksamkeit und Fürsorge mit Unmut zurück.

 

Heidelberg, den 14. August. Vorgestern in Mainz ging Adolf allein aus, und Geijer und ich miteinander etwas später. Wir gingen über die Rheinbrücke und bewunderten den schönen Blick, sahen das Haus, in dem unser ehemaliger König wohnt und gingen dann durch die vornehmste Straße der Stadt, »Die große Bleiche«, an dem Hause vorbei, wo Napoleon wohnte, als er da war. Geijer verschaffte uns die Erlaubnis, die Festung zu besuchen, und wir stiegen da über eine dunkle schmale Wendeltreppe in den Drususturm, ein römisches Denkmal. Von dem Altan dort oben sahen wir die Stadt und die Umgegend, die unbeschreiblich schön ist, von dem breiten, herrlichen Rhein und dem schmäleren Main durchströmt. Darmstadt sahen wir aus der Ferne – dahin geht die Bergstraße, die ich so gerne gefahren wäre. Aber Geijer wünscht Oppenheim und Worms zu sehen, und da er die Hauptperson ist, richte ich mich darnach.

Ehe wir um die Mittagszeit aus Mainz abreisten, sprach ich mit Adolf der es zu wünschen schien und freundlich und vertraulich war. Aber das konnte doch den schmerzlichen Eindruck nicht verwischen, der mir allzu tief ins Herz geschnitten hatte.

Wir fuhren in einer guten, geräumigen, offenen Kutsche ab, einen schönen breiten Weg, dem Rhein entlang durch Alleen von Walnuß- und anderen Obstbäumen, jetzt voll von zumeist reifen Äpfeln, Birnen und Pflaumen, dazwischen Weingärten. In Nierenstein tranken wir von dem im Kometenjahr 1811, da gewachsenen Wein – wir fanden ihn doch nicht so lecker wie den Rüdesheimer. In der kleinen Stadt Oppenheim glaubte Geijer die Statue zu sehen, die zur Erinnerung an den Zug unseres Gustav Adolf, des Großen, über den Rhein errichtet ist, aber sie soll am rechten Ufer stehen. Um 7 Uhr kamen wir in das alte Worms der Nibelungen. Auf dem Wege hatte Geijer uns die Sage erzählt und dann mit ungewöhnlicher Gesprächigkeit mit Adolf über musikalische Dinge geredet; und dieser, der so oft unter Geijers gleichgültiger Schweigsamkeit leidet und sich dadurch verletzt fühlt, wurde ganz vergnügt und aufgeräumt. Aber ich, die ich noch den Stachel des gestrigen Schmerzes spürte, verdarb alles dadurch, daß ich ihn bat, doch zu versuchen, gleichmäßiger gegen mich zu sein, wenn er mich nicht an Leib und Seele krank machen wolle.

Von Worms reisten wir um 10 Uhr vormittags ab. Der Weg blieb ebenso schön bis Mannheim, wo wir zum letzten Male über den Rhein fuhren. Mannheim ist eine nicht große, aber regelmäßig und gut angelegte Stadt, sehr anziehend. Wir gingen in das Wirtshaus »Am pfalzischen Hof«, aßen da einen guten Mittagsimbiß mit schönen Früchten und gingen dann das Schloß ansehen, von dem Geijer meinte, daß es schöne Gipsabgüsse nach der Antike haben würde, aber sie waren nicht anders, als wir sie schon früher gesehen hatten. Wir besichtigten die Gemächer der Großherzogin-Witwe Stephanie, die ganz charmant sind. Von dem sogenannten Ballsaal geht ein Altan auf den Park, mit schönem Blick auf den Rhein. Diese Räume sind im linken Flügel des großen Schlosses. Der jetzige Großherzog, vermählt mit Sofia von Schweden, der ältesten Tochter unseres früheren Königs Gustav Adolf, hat seine Gemächer im rechten Flügel. Wir kamen dann an dem Hause vorbei, wo Kotzebue wohnte, als er (1819) von Sand ermordet wurde, und sahen den Stein davor, auf dem dieser Phantast sich tötete, nachdem er noch auf den Knien Gott dafür gedankt hatte, daß sein Vorhaben gelungen war.

Von Mannheim reisten wir um 4 Uhr ab und schlugen den Weg nach Schwetzingen ein. Die Stadt ist häßlich, das Schloß altmodisch, aber der Garten in seiner Art der größte und schönste, den ich je gesehen. Er erinnert an Lilar in Jean Pauls blendendem Roman »Titan«. Springbrunnen zwischen den hohen, dichtbelaubten Bäumen erfreuen Auge und Ohr und verbreiten Kühlung. Wir gingen ohne Wegweiser, um uns nicht des Vergnügens zu berauben, selbst Entdeckungen zu machen. Wir kamen zu einer türkischen Moschee, die schön ist und etwas Eigenes, Geheimnisvolles hat, das Adolf und mich entzückte; aber Geijer fand sie geistlos und dachte nur daran, welch schwere Lasten die Kaprize eines Fürsten um solch eines närrischen Bauwerks willen seinen Untertanen auferlegt. Wir gingen dann von dem Brausen eines Wassers geleitet, nach einer anderen Richtung. Am Eingange eines dichten Bosketts erblickten wir auf einer kleinen Anhöhe einen schönen Tempel mit einer Apollostatue. Oberhalb des Tempels stürzte kristallklares Wasser die Höhe hinab in ein Bassin, ein unbeschreiblich schöner Anblick. Zu beiden Seiten führen schöne Stufen durch gewölbte Gänge zum Tempel empor. Die halbe Treppe nimmt das gleichmäßig fließende Wasser ein, auf der anderen Hälfte geht man trockenen Fußes daneben einher. Das Badehaus ist ganz nahe dem Apollotempel und der starken Quellader, die all dies Wasser spendet. Dieses Badehaus ist ein Bijou. In einem großen schönen Marmorbecken sind vier Hähne mit warmem und kaltem Wasser, und anstoßend daran Schlafzimmer, Toilettekabinett – charmant. Auf einem Altan des Badehauses ist ein Perspektivegemälde, das ganz so aussieht wie ein Blick auf den Rhein und die Berge, eine Art Diorama, das eine vollständige Illusion hervorruft! Dieser ganze Garten erschien mir bezaubernd!

Wir setzten dann die Reise nach Heidelberg fort. Soll ich wirklich heute Abend hinkommen? Das war mein beständiger Gedanke. Diese schöne Stadt, die ich so poetisch, so entzückend von meinen reich begabten Freundinnen Amalie und Luise von Imhoff beschreiben gehört! Unterdessen war ich jedoch in angenehmster Weise damit beschäftigt, Geijer und Adolf miteinander sprechen zu hören. Ach, welche Freude macht es mir doch, zu lauschen! Geijer denkt zu wenig daran oder weiß vielleicht gar nicht, wie erfreulich und förderlich für andere es ist, ihn seine Gedanken aussprechen zu hören. Er ist nicht gerade ein nützlicher Reisekamerad für Adolf, denn er bestärkt und befestigt ihn in seinen Erbsünden, als da sind Nachlässigkeit und Unbedachtsamkeit. Darin sind sie sich gleich wie ein Ei dem andern.

Der Weg ging durch Alleen von Walnuß- und anderen Obstbäumen gerade den hohen Bergen zu, die wir vor uns sahen. Endlich am Fuße eines Berges wendeten wir uns plötzlich nach links und befanden uns in Heidelberg, ehe wir noch irgendein Anzeichen einer Stadt gesehen hatten. Wir wohnen nun im Gasthof »Prinz Carl«, und heute, den 14. August, regnet es so, daß ich zu meinem Verdruß bis 10 Uhr vormittags daheim sitzen mußte. Geijer ist Visiten machen gegangen. Hofrat Nägele besuchte mich mit einem Brief von Amalie – so lebendig, so freundschaftlich, so warm! Nur Frauen können so lieben, so alles für ihre Freunde ausdenken! Das Gefühl, nicht allein in der Welt ein warmes Freundesherz zu haben, tat mir wohl. Geijer kam nach Hause und wir gingen mit dem wackeren, trefflichen Nägele aus, über die Neckarbrücke und sahen die schöne Schloßruine auf dem Jettenbühel, einem Berg, der sich hoch über die Ruine erhebt, bewachsen mit echten Kastanienbäumen, Platanen, Zypressen und Myrtensträuchern, so groß wie unsre Fliederbüsche.

Geijer war von Professor Schlosser zu Mittag eingeladen. Adolf und ich waren allein. Indes er sein Mittagschläfchen hielt, hatte ich die Freude, ein ziemlich gutes Fortepiano in das Zimmer, in dem ich wohnte, schaffen lassen zu können. Meine armen musikalischen Herren hatten bisher auf der Reise auf alle musikalische Betätigung verzichten müssen, und auch mir war es eine große Entbehrung, nichts zu hören, eine Entbehrung, der ich jedoch keine Worte zu leihen wagte. Als Adolf erwachte und zu mir hereinkam, setzte er sich gleich höchst erfreut an das Instrument. Geijer kam zurück, sehr angenehm überrascht über den Flügel, aber klagte über Kopfschmerzen. Ich fürchte, die Rheinweine bekommen ihm nicht gut. Tegnèr warnte ihn auch in einem Briefe »vor jenem Essig, der sich Rheinwein nennt«.

Wir gingen zusammen zu Nägele, der uns invitiert hatte. Wir sahen da ein Porträt von Amalie, gemalt von ihrer Schwester Louise. Der wackere, gute Nägele führte uns zu der herrlichen Schloßruine. Die Aussicht von diesen großen prächtigen Ruinen ist unvergleichlich schön. Wir gingen da, solange es licht war, herum, besahen und erstiegen auch das berühmte Heidelberger Faß, das größte der Welt, und hörten die Geschichte seiner Entstehung. Der Pfalzgraf, der die Professoren an der hiesigen Universität mit Wein entlohnte, ließ, als darüber Klage geführt wurde, daß der eine besseren Wein bekäme als der andere, dieses Faß bauen, damit alle aus derselben Quelle erhielten.

Als wir dann abends heimkamen, traktierten mich meine Herren abwechselnd mit Musik, ohne zu wissen, wie wohl sie mir damit taten und wie froh ich in meinem Inneren war, ihnen und mir diesen Genuß verschafft zu haben. Ach, wer doch stets so unbemerkt und unbedankt anderen Gutes tun könnte!

 

Stuttgart, den 16. August. Endlich heute bekamen wir Amaliens nach Köln adressierten Brief an Geijer. Schade, daß wir ihn nicht früher erhalten haben, in Anbetracht der vielen guten Fingerzeige für die Reise, deren wir so verlustig gegangen sind. Nägele, unser freundlicher Wegweiser, der so überaus gut und herzlich gegen mich gewesen und mich »liebes Kind« und »mein Engel« tituliert hatte, was Geijer höchst spaßhaft gefunden, kam und nahm herzlichsten Abschied von uns. Dann ging ich noch einmal mit Maja-Lisa zur Schloßruine. Die Myrte wächst da hoch und üppig, auch die pyramidenförmigen Zypressen, und ganz einsam steht da seit 300 Jahren eine vom Libanon mitgebrachte Zeder, über all die anderen Bäume erhebt sie ihren stolzen Stamm.

Wir tranken zu unserem letzten Mittagsessen eine Flasche Champagner zu Ehren der Schwestern Imhoff und reisten dann ab. Geijer, der in den letzten Tagen an Kopfschmerzen gelitten hatte, fühlte sich am Nachmittag besser. Durch das göttlich schöne Neckartal dem Fluß entlang zu Füßen der schönsten, bewaldeten Anhöhen führt nun der Weg. Zeitweise lebhaft konversierend, dann wieder schlafend, verbrachten wir den ganzen Nachmittag und Abend in unserem Wagen installiert. Es war schon ganz finster, als wir um 10 Uhr nach Heilbronn kamen, wo wir übernachteten. Und um 9 Uhr morgens reisten wir wieder bei Regen und Nässe nach Stuttgart weiter. Geijer, der den ganzen Tag von Schmerzen in der einen Kopfhälfte gequält war, obschon er sich in Heidelberg auf Nägeles Anraten einen Senfteig auf den Rücken gelegt hatte, ging sogleich aus, um einen Arzt aufzusuchen, den er jedoch nicht zu Hause traf. Am 17. morgens kam Doktor Becker. Er empfahl einen Aderlaß und versprach Nachmittag wiederzukommen, um ihn vorzunehmen. Nachdem er gegangen war, begaben wir uns in das Schloß, worauf wir das Haus aufsuchten, wo die Brüder Boisserée wohnen. Man wies uns zwei Treppen hinauf, wo uns Melchior selbst empfing. Sulpice, der ältere, ist in Wiesbaden.

Es interessierte mich unbeschreiblich, diesen Melchior, von dem ich so viel erzählen gehört, zu sehen und zu sprechen. Amalie von Imhoffs Name machte uns bald bekannt, und es war sehr interessant, Geijer mit ihm über Malerei und Kunst sprechen zu hören. Ein junger Maler, Herr Lauter, kam dann und sagte, daß die Gesellschaft versammelt sei. Wir gingen eine Treppe hinunter und fanden eine große Assemblee in mehreren Zimmern, die voll alter deutscher Bilder hingen, teils auf Goldgrund gemalt, teils wie gewöhnlich mit Luftperspektive. Man führte uns in ein kleineres Gemach mit ganz grünen Wänden. Da waren Stühle aufgestellt, und man öffnete uns Schorels schönes Bild »Die sterbende Maria«, von den Aposteln umgeben. Der Legende nach erschien Christus Maria einige Tage vor ihrem Tode, um ihn ihr zu verkünden. Voll Freuden harrte sie ihrer Befreiung und schmückte ihre Kammer wie zum Fest. Und in den letzten Augenblicken erhielt sie ihr jugendliches Aussehen wieder, dies zeigt das Bild. Maria liegt in einem Bette mit roten Draperien, von einem schönen blauen Mantel umhüllt, sie ist sterbend, aber himmlisch verklärt. Alles an diesem schönen Gemälde ist vollkommen. Von da wurden wir in ein andres Zimmer geleitet, wo wir Johann van Eycks »Die drei Könige beten das himmlische Kind an«, sahen. In einem dritten Gemach zeigte man uns von demselben Meister, Maria mit dem Kinde an der Brust und der Apostel Lukas sie abzeichnend. Dann sahen wir Hans Memlings Christophorus, das dreijährige Jesuskind über den Fluß tragend, – göttlich schönes Bild! Schließlich wurde uns ein herrlicher Christuskopf von Memling gezeigt.

In der Gesellschaft befand sich ein Frauenzimmer, das überaus angenehm aussah. Sie schien beiläufig in meinem Alter zu sein (so um vierzig herum) oder vielleicht etwas jünger. Bei unseren vielen Wanderungen aus einem Zimmer ins andere trachtete sie immer, neben mir zu sitzen, begann schließlich ein Gespräch und sagte: »Ich fühle mich von Ihnen angezogen.« Noch ungewohnt, deutsch zu sprechen, konnte ich ihre Freundlichkeit nicht recht erwidern und war darüber etwas verlegen. Lebhaft fragte sie: »Ach, Sie haben gewiß Max von Seckendorff gekannt?« Höchlich verwundert erwiderte ich, daß ich als Fremde den, den sie nannte, nie gesehen habe, aber mich erinnerte, seinen Namen in irgendeinem poetischen Taschenbuch bemerkt zu haben. Sie schien darüber betrübt und sagte nochmals, sie habe so sicher geglaubt, daß ich ihn gekannt hätte. Warum, das erfuhr ich nie.

Nachdem alle sich entfernt hatten, kam Melchior Boisserée wieder auf uns zu. Er war sehr liebenswürdig und bat uns, noch ein wenig zu verweilen, dann wolle er uns ein seltnes Bild sehen lassen, das er nicht aller Welt zeige. Es ist von Hans Memling und soll ein Meisterwerk sein. Es ist die ganze Geschichte von der Geburt und dem Leben des Heilands, alles mit der größten Genauigkeit und Vollkommenheit ausgeführt, und man hätte mehrere Tage gebraucht, um dieses Bild recht zu betrachten. Mit mehr Interesse betrachtete und sprach ich Melchior Boisserée und bedauerte nur, Bertram nicht sehen zu können. Ich hätte gar zu gern das Original des Junker Johannes im Amaliens Novelle »Helena von Tournon« kennen gelernt.

Morgen um 11 Uhr soll Geijer zur Ader gelassen werden. Wir gingen um 6 Uhr ins Schauspiel und sahen da »Die Schweizer Familie«, nach meinem Dafürhalten eine allerliebste kleine Oper. Doch Geijer war nicht imstande, sitzen zu bleiben, und Adolf, der sich so viel Vergnügen davon versprochen hatte, Musik zu hören, fand sich von dieser nicht befriedigt.

 

Den 18. Der Aderlaß wurde um 11 Uhr vorgenommen, und wir blieben dann alle bis um 6 Uhr zu Hause. Da fühlte Geijer sich besser und wollte ausgehen. Wir gingen also miteinander in das Atelier des Bildhauers Dannecker, wo wir eine vollständige Gipsgruppe von Niobe und ihren Kindern sahen, zusammen 14 Statuen. Wir hatten diese schöne antike Gruppe noch nie im ganzen gesehen. Es ist etwas so Herrliches und Vollendetes, daß es alles übersteigt, was ich darüber sagen könnte. Auch eine Psyche und eine Ariadne sind unbeschreiblich schön. Aber eine kolossale Büste Schillers war doch dasjenige, was meine Aufmerksamkeit am meisten fesselte – eine tragische und edle Physiognomie.

Geijer fühlte sich ein wenig ermüdet und ging nach Hause, während wir unserm Spaziergang in den Schloßgarten fortsetzten. Von dort zurückgekehrt, fanden wir Geijer viel wohler und schreibend. Wenn Geijer gut schläft und sich andauernd besser fühlt, fahren wir morgen weiter nördlich, dies war der südlichste Punkt unsres Reiseplans.

 

Feuchtwangen, den 20. August. Um ein Uhr verließen wir Stuttgart. Der Weg bis Kannstatt führt durch eine Pappelallee, dann fährt man durch Alleen von Obstbäumen, aus der Ferne sieht man viele große Schlösser, auch verfallene Burgen und Klöster.

Wir hatten nun wieder schönes Wetter. Adolf saß auf dem Kutschbock. Um neun Uhr abends kamen wir nach Gmünd, wo übernachtet wurde. Am Morgen des 20. kam Geijer zu mir herein und sagte, Adolf sei krank, aber wünsche doch, daß wir reisen. Adolf blieb auch weiter unpäßlich, aber ich verfiel darauf, die Herren durch Gespenstergeschichten zu divertieren, die ich teils in der Erinnerung hatte, teils mir im Augenblick ausdachte, und nachdem sie ihr Scherflein an Aufmerksamkeit gefunden, gestand ich den Betrug. Dann wurden gute Nüsse geknackt, die ich in Gmünd gekauft hatte. Am Tage vorher hatte Adolf vom Kutschbock aus Obst von den Bäumen gepflückt, an denen wir vorüberkamen. Nachmittag setzte Geijer sich auf den Bock, damit Adolf bequem im Wagen sitzen konnte, und nachdem er eine geraume Weile gut geschlafen hatte, erwachte er frischer und war sehr munter, so daß wir alle aus vollem Halse lachten.

 

Nürnberg, den 22. August. Gestern morgens verließen wir Feuchtwangen. Adolf befand sich besser, und Geijer so gut, daß er die ganze Zeit auf dem Kutschbock saß. In Heilbronn, wo die Pferde gefüttert wurden, besahen wir die Kirche, wo sich das Denkmal Friedrich des Dritten, Burggrafen von Nürnberg, Stammvater des jetzt regierenden preußischen Königshauses und seiner beiden Zeitgenossen und Freunde, Kaiser Rudolf von Habsburg und Ludwig des Zweiten von Bayern, befindet. Dieses Monument ist von einem ungarischen Magnaten, Stephaneo, errichtet, der, als er im Jahre 1823 durchreiste und das Grab des Burggrafen ohne jeglichen Schmuck und Inschrift fand, dieses Denkmal aus schönem Marmor mit zahlreichen Inschriften herstellen ließ und einen Fonds zu seiner Erhaltung stiftete. Am 14. August, dem Todestag des Burggrafen, sollen alljährlich drei junge Mägdlein und drei Knaben den Grabstein mit Blumen bestreuen, und sie erhalten dann durch Stephaneos Stiftung neue Kleider.

Gegen sechs Uhr erblickten wir das alte Nürnberg auf einer großen, fruchtbaren, schönen Ebene, umkränzt von hohen, fernen, blauen Bergen. Die Anhöhe, auf der Wallenstein sein uneinnehmbares Lager hatte, ist die einzige, die aus der Nähe zu sehen ist. Ich begann mich unpäßlich zu fühlen, und Adolf hatte den Ärger, ein großes Paket Musikalien zu vermissen, das vermutlich in der »Wasserdiligence« oder auch in Mainz vergessen worden ist. All dies trübte unsre gute Laune, und der Abend gestaltete sich nicht so angenehm, als er dadurch hätte sein können, daß Geijer sehr lebhaft über Genie sprach. Die Nacht im Gasthof »Zum roten Roß«, demselben, wo Gustav Adolf der Große und später Axel Oxenstierna gewohnt haben, war für mich recht qualvoll. Die Herren waren dann den ganzen Vormittag aus, um sich umzusehen. Ich fühlte mich zu allem unfähig! Am Nachmittag kam Amalias Vetter, Baron von Haller, zu uns. Er verschaffte mir sogleich durch einen Arzt passende Medikamente, worauf die Schmerzen nachließen.

Adolf ist schon am Abend nach Erlangen vorausgefahren. Er wollte lieber zuerst allein hinkommen. Ich habe dasselbe Gefühl, und doch fiel es mir schwer, ihn ziehen zu lassen! – Da ich mich besser fühlte, kam Baron von Haller in einer Kalesche und holte mich und Geijer ab, um uns die Stadt zu zeigen. Wir fuhren zur alten Festung, der »alten Burg«, die schön auf einer Höhe liegt und die Stadt beherrscht, welche sich von dort gut ausnimmt, altehrwürdig und dabei fröhlich! Über eine schlechte alte Holzbrücke, die über den breiten, tiefen, jetzt mit großen Laubbäumen bestandenen Burggraben führt, gelangten wir in die Burg, die jetzt eine Bildergalerie und Malschule ist. Im Kaisersaal sind die vier Apostel, Markus, Paulus, Petrus und Johannes von Albrecht Dürer, schöne Gestalten, auch das Porträt des Malers, eine Kopie des Selbstporträts in München. Ein großes Bild von Landrart stellt die große Mahlzeit dar, zu der alle Fürsten und Gesandten beim Exekutionsrezeß im Jahre 1650 versammelt waren. Es sollen lauter Porträts sein. Wir sahen noch viele andere Bilder älterer und jüngerer Meister. Von Lukas Cranach zwei, die seine Geliebte vorstellen. Er hat mit ihren Reizen nicht gegeizt, sie ist ganz ohne Feigenblatt. Ein Bildnis unseres großen Gustav Adolf betrachteten wir eingehend. Es ist gelegentlich seines Aufenthalts hier in Nürnberg gemalt, und der es uns zeigte, wußte zu erzählen, daß Bernadotte, als er Anno 1806 mit der französischen Armee dagewesen war, es mit besonderem Wohlgefallen betrachtet habe. Und hätte er nicht so rasch mit der Armee aufbrechen müssen, so hätte er es wahrscheinlich kopieren lassen. Oberhalb dieses Porträts hängt das Wallensteins.

Von der alten Feste fuhren wir bei schönstem Wetter in der Stadt herum, besahen von außen einige Kirchen und verschiedene Brunnen und Fontänen, worunter eine aus Sandstein wie ein in Elfenbein geschnitztes Kunstwerk ist, so schön und fein und leicht. Baron Haller begleitete uns nach Hause und blieb dann lange und unterhielt sich mit Geijer über Sprachen – interessant zuzuhören. Er sprach auch von Kernell, den er mehrmals gesehen und der ihn sehr gefesselt hatte.

 

Den 23. August. Als ich heute morgens aufstand, fühlte ich mich erheblich besser. Geijer war schon um 5 Uhr früh nach Fürth gefahren, um Wallensteins altes Lager zu besichtigen. Als er zurückkam, gingen wir aus, um Kirchen anzusehen. Ein Archivar, an dessen Namen ich mich nicht erinnere, kam und führte uns zuerst ins Rathaus, wo wir einen Archivsekretär trafen, der für uns in unserer Eigenschaft als Schweden besonderes Interesse faßte. Diese Herren waren überaus artig und machten mir Komplimente über meine Art, deutsch zu sprechen, und mein Kunstverständnis, unverdientes Lob, welches mich bloß überzeugte, daß das einfältige Aussehen dieser guten Herren kein leerer Schein gewesen war.

Ich ging dann mit einem Lohnbedienten in die San Lorenzokirche und sah da die schönsten gemalten Fenster, die ich noch je gesehen. Ein großes Buch, in einem Kloster geschrieben und prächtig auf Pergament ausgemalt, wurde mir gezeigt, auch ein Sakramentstabernakel, von Adam Krafft verfertigt und der Lorenzokirche von einem Imhoff dediziert. Das Imhoffsche Wappen, »das niedliche kleine Ungeheuer«, fand ich an vielen Stellen in der Kirche vor. Auf dem St. Egydieplatz vor der Sankt Egydiekirche sah ich das ehemalige Imhoffsche Haus, in dem Gustav Adolf zuerst wohnte, als er im Jahre 1630 nach Nürnberg kam. Des berühmten Schuhmachers und Poeten Hans Sachsens Wohnhaus sah ich auch, als meine Herren zurückgekommen waren. Sie gingen mit mir in das kleine Kämmerchen, wo er bald Schuhe machte, bald Verse schrieb. Auch Albrecht Dürers Wohnung wurde mir gezeigt. Die Straßen heißen noch nach diesen beiden großen Männern Nürnbergs, die mit Peter Bischer, Künstler und Schmied, und dem Bildhauer Adam Krafft den Stolz der Stadt bilden.

Müde und erhitzt zu Hause angelangt, erschienen Haller und die Archivherren, um von uns Abschied zu nehmen, ganz unbeschreiblich artig, mich dünkt, wir stehen noch immer da und dienern und knixen.

Zwischen 4 und 5 Uhr stand der Wagen bereit, der uns nach Erlangen bringen sollte. Während Geijer den Gastwirt bezahlte, trat ich in einen Saal neben dem Eingangstor. Da lag eine Zeitung aus Erlangen vom 23. August 1825, und ich sah darin diese Worte in gesperrtem Druck auf der ersten Seite, wie eine Notiz:

»Der gerechte Gestorbene verdammt die gottlosen Lebendigen.«

Diese Worte aus dem Orte, wo ich nun meines Freundes Grab besuchen wollte, berührten mich wie ein strafender Gruß! Verdiente ich es, sie so anzusehen? Während diese Gedanken noch in mir stürmten, setzte ich mich in den Wagen. Geijer schlummerte bald ein, und ich versuchte, mein Gewissen zu erforschen und vor seinem Richterstuhl zu beichten. Doch ich fand Trost und Aufrichtung in dem Bewußtsein eines wahrhaften und reinen Wohlwollens und in der Hoffnung, durch das, was in meiner Liebe übertrieben gewesen sein mag, nur mir selbst geschadet zu haben. So beruhigte ich meine erregten Gefühle und kam, wie mich dünkte, mit reinem Gewissen am 23. August um 7 Uhr abends nach Erlangen, gerade drei Jahre nach jenen unvergeßlichen Tagen 1822, wo Kernell Stockholm verließ.

Als wir ankamen, erwartete uns Adolf im Tor des Wirtshauses »Der Walfisch«, führte mich rasch die Treppe hinauf und durch einen Korridor in ein Zimmer, umarmte mich und sagte unter Tränen: »Hier, in diesem Zimmer, starb Per Ulrik Kernell!« Seltsame Fügung! Ich glaubte, er sei in den Räumen gestorben, die er bei einer Professorswitwe bewohnte. Von dort hatte er seinen letzten Brief geschrieben. Aber er war im Januar hierher gezogen, und gerade in diesem Zimmer wohne ich jetzt und schreibe dieses! Hier hauchte er seine reine unbefleckte Seele aus. Ach, du Edler, Frommer – bin ich würdig, dich zu beweinen – zu glauben, daß du noch mit der Teilnahme des Mitleids auf mich herniederblickst!

 

Erlangen, 24. August. Graf August von Platen, über den Kernell so viel schrieb und der ihn in seiner letzten Krankheit so treu gepflegt hat, kam gestern abend zu uns. Ein kleiner junger Mann, der nicht so genialisch aussieht, als er ist. Er war sehr still und sprach nur von unserem verblichenen Freunde, den er innig liebt und betrauert, und zeigte uns mehrere Dinge, die an ihn erinnerten, so den Kachelofen, an dem er abends seine Äpfel briet, usw. Kernell wohnte zuerst in der Stube, wo Adolf jetzt logiert, aber übersiedelte in diese, die nach der Sonnenseite liegt, um es wärmer zu haben auf dieser Schwelle strauchelte und fiel er, was er als ein böses Omen ansah!

Ich habe, müde und erschöpft, wie ich war, geschlafen, aber bin oft mit dem Gedanken an den Dahingegangenen erwacht. Ich habe nicht gefürchtet, daß er mir hier erscheinen würde, aber ich konnte es auch nicht hoffen – ich wäre dessen nicht würdig. Der Mond schien durch die Gardine und beleuchtete einen Fleck an der Wand gegenüber meinem Bette; einmal, als ich erwachte, kam er mir wie ein verklärtes Antlitz vor. Später hörte ich, daß gerade da sein Bett gestanden hatte. Zeitig früh ging ich mit Adolf fort, der mich zum Friedhof geleitete. Ich trat allein ein und suchte sein Grab, auf dem seine hiesigen Freunde einen schönen weißen Stein haben errichten lassen, den ich für seine Mutter abzeichnete. Süße, friedevolle Augenblicke verbrachte ich allein an dieser Gruft in Gebeten und Tränen. Ich pflückte eine Handvoll Gras von dem Hügel, der seine Gebeine bedeckt, um es seiner Mutter und Schwester zu schicken. Als ich nach Hause kam, waren meine Herren ausgegangen, um 12 Uhr kehrten sie mit Platen und einem anderen gelehrten Manne, Schubert, von Professor Engelhard zurück. Schelling und seine Frau sind leider nicht hier, was eine große Enttäuschung für Geijer war, der die Bekanntschaft mit Schelling als eines der Hauptziele seiner Reise ansah. Schelling trinkt in Karlsbad den Brunnen, und es ist nun entschieden, daß wir, um ihn zu treffen, hinfahren, bevor wir nach Dresden gehen. Das ist ganz schön, aber es schiebt unser Zusammentreffen mit Frau Helvig auf, die uns in diesen Tagen in Dresden erwartet.

Graf Platen brachte mich zu Fräulein Gotter, Schellings Schwägerin, die ihm jetzt das Haus führt und seine vier Kinder in Abwesenheit der Eltern betreut. Ich fand sie überaus angenehm, und die drei Kinder, die ich sah, reizend schön und dabei doch dem nicht schönen, aber ausdrucksvollen Porträt ihres Vaters ähnlich, das ich dort sah.

Platen aß mit uns zu Mittag und wurde immer vertrauter und herzlicher. Er gab mir drei Büchlein mit seinen Poesien. Am Nachmittag kam die Kellnerin, die Kernell in seinen letzten Tagen gepflegt hatte und erzählte ausführlich darüber – u. a. auch, daß er verlangt habe, ein kleines schmales Goldringlein mit blauem Stein und ein schwedisches Psalmbuch solle ihm ins Grab gelegt werden.

Auch Professor Engelhard kam, ein außerordentlich angenehmer Mann.

Viel habe ich heute geweint, aber ohne bitteren Schmerz – vor drei Jahren waren diese Tage viel unruhiger! Alles verändert sich, alles verschwindet, doch Glaube, Hoffnung und Liebe besteht!

Schubert, Professor und Bergrat, ein ungewöhnlich liebenswürdiger älterer Mann, heiter und leicht zugänglich, kam, um Geijer zu besuchen. Auch Platen und Engelhard kamen, und wir machten zusammen einen allerliebsten, interessanten und schönen Spaziergang zum Altstädterberg, nordöstlich von der Stadt. Wir gingen auch weiter auf den Ratsberg, so benannt, weil man sich erzählt, Karl der Große habe einmal hier gerastet und mit seinen Begleitern beratschlagt, ob er oben im Gasthof Bier oder Rheinwein trinken solle. Wir gingen zumeist in drei Partien: Geijer und Schubert, Engelhard und Adolf, Platen und ich. Mein Begleiter hatte Tegnèrs »Frithjof« in schwedischer Sprache mit, er las den ganzen Weg daraus vor und wünschte, daß ich seine Aussprache berichtige und ihm die Worte sage, die er nicht verstand. Er ist sehr interessant. Als wir endlich den Gipfel des Berges erreichten, bat er mich, die übrige Gesellschaft zu verlassen und führte mich auf eine Anhöhe, von der man eine weite Aussicht hat, die Kernell besonders liebte und so schwedisch fand. Wir rasteten ein Weilchen dort oben.

Schubert traktierte mich mit guter Milch und die Herren mit Bier und Bratwurst. Es interessierte mich unbeschreiblich, diese genialischen Männer über Kunst und Literatur sprechen zu hören. Aber Platen wollte durchaus, daß ich mich ausschließlich damit befaßte, ihm zu helfen, Frithjof zu lesen und zu verstehen, das war für mich etwas ermüdend! Matt war ich ohnehin, da ich erst kürzlich krank gewesen, und überdies innig und tief bewegt. Gegen Abend wurde es kühl, und ich mußte die Gesellschaft verlassen, um keine Unpäßlichkeit zu riskieren. Die Herren unterhielten sich gut und blieben gerne noch, aber Platen war so gütig, mich zu begleiten. Es war mir recht peinlich, ihn so von den anderen zu trennen, ich wollte bloß einen Kellner aus dem Gasthof mitnehmen, aber es war unmöglich, Graf Platens Liebenswürdigkeit auszuschlagen, und so gingen wir allein bei schönstem Mondschein den romantischsten Weg.

Höchst wunderlich war es mir, so durch den Wald mit einem Menschen zu gehen, den ich nie zuvor gesehen hatte und wahrscheinlich nie wiedersehen werde, ihn so vertraulich von Kernell sprechen zu hören, davon, wie oft er mit ihm diesen selbigen Pfad gegangen. Ich wandelte wie im Traume und wurde immer müder und matter, so daß Platen mich fast in meine Wohnung schleppte, jenes Zimmer, wo Kernell gestorben ist. Nun nahm ich Abschied von dem freundlichen Platen, den ich wohl nie wiedersehe, und ging sogleich zur Ruhe, um meine wunderlichen Träume fortzusetzen.

Platen gab mir beim Abschied ein kleines abgegriffenes Exemplar von Shakespeares »Romeo und Julia«, das Kernell gehört hat und seine letzte und liebste Lektüre war. Platen hatte es als ein teures Andenken bewahrt, aber wollte nun, daß ich es als mein Eigentum annehme! Es gibt Augenblicke der Glückseligkeit im Leben, die für Monate der Qual entschädigen – Platens innige Freundlichkeit gegen mich, der Wert, den er mir als Kernells Freundin zuschrieb, sind mir eine unvergeßliche, trostreiche Erinnerung.

 

Den 25. August 1825. Um 5 Uhr morgens verließen wir das liebe trauliche Erlangen, wo ich gerne geblieben wäre. Für immer nahm ich Abschied von diesem Raume, es war mir nun nach drei Jahren fast wie ein erneuter Abschied von meinem Freunde, den ich am 25. August 1822 zum letzten Male sah!

Wir reisten weiter – der Weg war hügelig und schön. In Streitberg ruhten wir aus und aßen zu Mittag. Es liegt in einem tiefen Tal zwischen hohen Felsen mit zwei alten Burgruinen, ein schönes Flüßchen strömt durch das Tal – seltsam und ungewöhnlich schön. Abends bei Mondschein passierten wir die »Fantaisie«, ein Lustschloß in der Nähe von Baireuth, es sah bezaubernd aus. Der lustige Schubert hatte mir durch Geijer eine Bratwurst geschickt, da ich den Abend vorher auf dem Ratsberg keine bekommen hatte. Die ließen wir uns im Wagen trefflich munden. Das gute Bier, das es hier gab, schmeckte meinen Herren vorzüglich, und auch noch in anderer Weise trug Schubert den ganzen Tag über zu unserem Vergnügen bei. Er hatte Geijer ein kleines Büchlein mitgegeben, die Beschreibung einer Fußreise, die er mit seiner Frau durch die Schweiz und Oberitalien gemacht hat. Geijer las Adolf und mir die hübschsten, naivsten Erzählungen daraus vor, und wir lachten herzlich darüber. Im allgemeinen haben wir es jetzt, finde ich, viel vergnüglicher als auf dem ersten Teil der Reise. Das monotone Westfalen war fatal, aber seit Köln ist es mit den Annehmlichkeiten immer crescendo gegangen. Und seit Adolf sich nicht mehr langweilt, zankt er auch nicht mehr mit mir.

 

Karlsbad, den 28. August. Den 25. spät abends kamen wir in Baireuth an. Ich sandte sogleich Amalias Rekommandationsbrief an die Baronin von Imhoff, die Witwe ihres Oheims, die hier mit ihrer einzigen Tochter, Fräulein Louise von Imhoff, wohnt. Die Mutter ist eine geborene Thümmel, eine Schwester des Schriftstellers.

Ich erhielt ein sehr artiges Billett mit dem Vorschlag, am Vormittag des 26. mit den Damen zur Eremitage, einem Lustschloß, zu fahren. Ich ging sogleich zu ihnen und wurde von der charmanten Alten und der liebenswürdigen Tochter wie eine alte Bekannte und Freundin aufgenommen. Aber die gute alte Dame fühlte sich nicht wohl und wagte es darum nicht, die Spazierfahrt mitzumachen, was ich sehr bedauerte – ich mag liebenswürdige alte Damen so gerne leiden.

Unser sehnlichster Wunsch war es jedoch, Jean Paul Richter zu sehen, und das sagte ich der Baronin und Baronesse Imhoff, die ihn und seine Familie sehr gut kennen. Sie erzählten mir – was ich schon durch Graf August v. Platen, der in Richters Familie wie das Kind im Hause ist, gehört hatte –, daß Jean Paul, seit er vor einem Jahre seinen einzigen geliebten Sohn durch den Tod verloren hat, nicht mehr derselbe sei, er sei durch den Schmerz plötzlich gealtert. Der Star hat seine Augen so angegriffen, daß er nahezu blind ist, er soll operiert werden, wenn es nur seine im übrigen schwache Gesundheit zuläßt.

Fräulein Imhoff schickte trotzalledem hin und ließ fragen, ob drei durchreisende Schweden die Ehre haben könnten, Herrn von Richter zu besuchen, und es kam sogleich der Bescheid, daß wir um halb eins willkommen sein würden. Das schloß sich sehr schön an die Ausfahrt, die um zehn unternommen wurde. Eine angenehme Frau Reizensteyn kam mit uns, die gemeinsame Bewunderung und Freundschaft für Amalie machte die Bekanntschaft leicht und vertraulich. Fräulein Imhoff ließ uns im Parke in der lieblichen, reizenden Eremitage ein Frühstück servieren, Geijer war außergewöhnlich aimabel und mitteilsam, und ich glaube, daß unsere freundlichen, zuvorkommenden Gastgeberinnen fast ebenso zufrieden mit uns waren wie wir mit ihnen.

In der Kalesche, in der wir gekommen waren, kehrten wir auf einem anderen Wege durch schöne Pappelalleen nach Baireuth zurück und waren zur festgesetzten Stunde bei dem großen Schriftsteller.

Frau Richter empfing uns, sie ist jedenfalls schön gewesen, sieht sehr einnehmend aus und soll in allen Stücken eine ganz ausgezeichnete, gute und verständige Frau sein. Die älteste Tochter, ein schönes achtzehnjähriges Mädchen, erschien auch bald. Sie und die Mutter sind jetzt die Sekretärinnen des Alten, was keine leichte Aufgabe sein soll, da er meistens selbst mit undeutlicher Hand auf kleine lose Zettel kritzelt, die sie dann entziffern und ordnen müssen. Während wir auf ihn warteten, betrachteten wir sein Porträt. – Doch bald kam er selbst herein, schwankend, einen grünen Schirm vor den Augen und starke Lorgnettengläser, mit denen er zu sehen glaubt. Er war sehr freundlich und zuvorkommend und sagte, es sei ihm etwas ganz Neues und Interessantes, mit Schweden zu sprechen. Die ihn täglich sehen, fanden ihn diesmal ungewöhnlich lebhaft und mitteilsam. Er plauderte viel, und seine Reden zeigten denselben blendenden Witz, dieselbe Gefühlstiefe, die seine Schriften auszeichnen. Jedes Wort hätte ich meinem Gedächtnis einprägen und mir aufzeichnen wollen! Obgleich nicht so merkwürdige Dinge zur Sprache kamen, ist doch alles von Gewicht, wenn man einen solchen Mann ein einziges Mal sprechen hört. Er wußte recht wenig, so gut wie nichts von Schweden und seiner Literatur und fragte, wer jetzt als unser größter Dichter gelte. Geijer nannte Tegnèr und sprach von ihm. Aber ich brachte vor, was ich Tegnèr selbst in Lund sagen gehört, nämlich daß »Der Wikinger« Von Geijer. das Bedeutendste in schwedischer Sprache sei. Dies steigerte Jean Pauls Aufmerksamkeit und Interesse für Geijer natürlich noch. Er erinnerte sich auch Atterboms und sprach mit lebhaftem Wohlwollen von ihm.

Frau Richter sprach viel mit Lindblad und verhinderte ihn dadurch, ungestört jedes Wort ihres Mannes zu verfolgen, was ihm doch sehr am Herzen lag. Sie hatte durch Platen viel Schönes über Kernell gehört, dessen Bekanntschaft sie zu machen wünschten und dessen Tod sie betrübt hatte. Es war vom Wein die Rede und daß der, welcher bei Baireuth wächst, just nicht der beste ist. »Aber ich«, sagte Richter, »meine doch, daß der mittelmäßige Wein, der meinen Durst löscht, besser schmeckt als der vortrefflichste, von dem ich nichts abkriege.«

Der gütige Greis war überaus artig gegen mich und bildete sich sicherlich ein, ich sei jung und schön. Unter anderem sagte er in bezug auf Schwedens schöne nordische Natur und unsere hellen Sommernächte, die ihm namentlich so seltsam wunderbar und lockend erschienen und von denen er wollte, daß ich sie ihm beschreibe: »Ja, ich komme wohl nie hin! Aber von nun an werde ich mir doch vorstellen, daß ich diese wunderbare Beleuchtung, diesen rosenfarbenen Schimmer über diesen schönen Landschaften gesehen habe, durch Ihre Fenster!«

Die väterliche Regierung des Königs von Bayern rühmte er sehr und sah ihn als einen besonderen Segen für das Land an. Wir hatten auch schon von anderen schöne Züge von der Güte und Popularität des Königs gehört, er wird sehr geliebt. Es war mir eine so herzinnige Freude, bei Jean Paul Richter zu sein, daß ich bei dem Gedanken, daß diese kurze Stunde die einzige war, in der ich ihn je sehen und hören sollte, daß er wahrscheinlich nicht lange auf dieser Erde weilen wird, deren Schönheit und Güte er so herrlich beschrieben hat und nicht mehr schauen kann, nur schwer meine Tränen unterdrücken konnte und ein tiefer Seufzer sich meiner Brust entrang. Er vernahm ihn und fragte nach der Ursache, und ich sagte aufrichtig, es sei die Freude, ihn zu sehen und das Bedauern, daß diese Freude allzu kurz sei. Der edle Greis war befriedigt von unserem Besuche, wie auch darüber, daß er in Schweden als Schriftsteller so wohl bekannt war. Wir mußten schließlich Abschied nehmen, Jean Paul küßte meine Hand herzlich – ich hätte die seine küssen wollen.

Nun mußten wir auch der guten, liebenswürdigen Louise von Imhoff Lebewohl sagen, die mit uns bei Richters gewesen war. Die Deutschen sind von einer so schlichten Herzlichkeit und Zuvorkommenheit. Schwede zu sein, ist auch schon im vorhinein eine Art Empfehlungsbrief bei ihnen, sie bringen uns überall Achtung und Vertrauen entgegen. Im allgemeinen finde ich, daß ihre Lebensweise etwas Einfacheres hat, sie sind anspruchsloser und frei von aller Furcht, was andere über sie sagen und denken mögen. Diese Menschenfurcht, diese Angst vor dem Urteil der Leute, die bei uns eine solche Macht ist, die oft zu Torheiten verleitet und von so manchem Guten abhält, allerdings zuweilen auch viel Schlechtes verhindert, scheint hier weniger Gewalt zu haben. Einfach, ja armselig leben die Deutschen und scheinen sich gar nicht darum zu kümmern, was andere tun. Es ist hier z. B. nichts Seltenes, einen Wagen mit einer Deichsel für zwei Pferde von einem einzigen gezogen zu sehen, und dabei ist der ganze Wagen voll großer und kleiner Leute, die sich freuen, um so billiges Geld beisammen zu sein. Hoffentlich ist die Fahrt nicht lang, denn das wäre schlimm für das arme Roß. Höchst lächerlich würde sich dies in Schweden ausnehmen; aber hier sieht man es oft, und die frohen, vergnügten Gesichter lassen einen das einseitige Gespann vergessen. Und so ist es in allem.

Um 3 Uhr nachmittags verließen wir das freundliche behagliche Baireuth, an das ich stets mit Dankbarkeit zurückdenken werde. Diese kleinen deutschen Städte gefallen mir unbeschreiblich. Gewöhnlich sind sie von schönen Gärten und Anlagen umgeben. Alle Fenster sind voll Blumen, und die meisten Menschen sehen fröhlich und ungezwungen drein, wenn man auch selten ein wirklich schönes Gesicht sieht.

Die erste Station nach Baireuth heißt Berneck und liegt in einem tiefen Tal zwischen hohen Felsen mit grauen Ruinen. Ein klares Flüßchen rieselt durch das Tal, da werden Perlmuscheln gefischt und echte Perlen gesammelt. Wir gingen zum Fluß hinunter und ließen uns etliche Muscheln öffnen, es waren aber nur ganz häßliche, grüne Perlen darin.

Bei hellem Mondschein fuhren wir weiter nach Gefrees. Geijer saß auf dem Bock, Adolf sang ab und zu und war sehr liebenswürdig. Ein schöner, guter Abend! Um 5 Uhr morgens reisten wir weiter, aßen in Eger zu Mittag und sahen das Haus, wo Wallenstein ermordet wurde. Gegen elf Uhr abends kamen wir nach Zwodau, wo wir übernachten sollten, aber es war nicht möglich, ein Zimmer, ja auch nur ein einziges Bett zu bekommen, sondern wir mußten ganz abenteuerlich in dem engen Wagen kampieren, während der Kutscher im Stall bei seinen Pferden ausruhte. Dies gab uns Anlaß zu recht großer Heiterkeit. Geijer saß in seiner Wagenecke neben mir, aber der lange Adolf hatte die Beine auf dem Kutschbock und den Kopf auf meinem Schoß. So versuchten wir, einige Stunden zu schlafen. Der Mondschein war herrlich, wir hatten uns vorher am Abend Spukgeschichten erzählt und waren dadurch etwas aufgeregt. Mehrere Male glaubten wir Schreie und Rufe in der Nähe zu hören, und schließlich sah Maja-Lisa, wie ein Kerl sich unseren Koffern rückwärts am Wagen näherte und daran rüttelte. Als Lindblad sich erhob, um nachzusehen, sah er drei, vier Kerle heranschleichen. Geijers mitgenommener Säbel, der bis dahin ganz friedlich auf dem Wagendach geruht hatte, wurde nun herabgenommen und aus der Scheide gezogen, aber erwies sich glücklicherweise als überflüssig, denn es ereignete sich nichts. Ich lachte über all dies mehr, als ich schlief. Endlich sagte Adolf: »Nein, jetzt muß ich aber wirklich zu meinen Beinen hinausgehen, sie tun mir schon so leid!« Endlich um 3 Uhr kam der Kutscher, und wir verließen dies unbehagliche Nachtquartier.

Zwischen Thiersheim und Eger waren wir nach Böhmen gekommen, das Schweden ähnelt. Nadelwälder und Äcker und mehr Steine, als ich bis dahin in Deutschland gesehen. Das schönste Vieh, das ich je gesehen, weidete in dieser Gegend. Große, fette Ochsen und Kühe von schöner, gleichmäßiger, dunkelbrauner Färbung, mit dunkleren Köpfen und kurzen Hörnern, die meisten hatten einen weißen Stern auf der Stirn. Sie sahen so prall und wohlgenährt aus, daß ich Böhmen um diesen Reichtum beneidete. Das Vieh ist hier weit schöner als das Volk.

Die allerherrlichste Morgenröte belohnte unsere schlaflose Nacht, sie breitete sich über die hohen Berge im Osten aus, ein großes altes Schloß mit vielen grauen Türmen lag unten im Tal, es heißt Elbogen und sieht alt und ehrwürdig aus. Es ist ganz wohlerhalten und soll jetzt als Zuchthaus benützt werden.

Die Gegend wird nun immer bergiger. Um halb acht Uhr morgens langten wir endlich in Karlsbad, unserem vorläufigen Reiseziel, an. Die kleine liebliche Stadt liegt zusammengedrängt zwischen zwei hohen Bergzügen. Im Tale, durch die Stadt, geht das kleine Flüßchen Tepl, und zu beiden Seiten davon quirlen die kochenden Wasserquellen, die so vielen Hoffnung und Gesundheit wiedergegeben haben. Wir bestellten uns sogleich Bäder und gingen ins Badehaus. Dann tranken wir guten Kaffee, legten uns nieder, um uns auszuschlafen, und Geijer schickte einen Brief an Schelling ab und fragte an, wann wir sie besuchen könnten. Es kam die Antwort, daß wir ihnen um drei willkommen wären. Wir aßen ein gutes Mittagsessen, das uns vortrefflich schmeckte, und als wir gerade im Begriff waren zu gehen, kam Schelling selbst, um uns den Weg zu seiner Wohnung zu zeigen. Ich fand ihn nicht so zuvorkommend und gesprächig wie die anderen Deutschen und wußte nicht recht, ob ich darin Stolz oder eine ernstere Veranlagung sehen sollte. Seine Frau war sehr freundlich, sie sieht gut und verständig aus. Nachdem wir eine Weile bei ihnen gesessen hatten, schlug er vor, einen Spaziergang zu machen, um uns den Ort zu zeigen, aber er war nur von kurzer Dauer, denn es begann zu regnen, und so kehrten wir wieder zu ihnen zurück. Später gingen wir nochmals aus und sahen uns alle Quellen an. Der Sprudel, die größte und bedeutendste, hat siedend heißes Wasser, das beständig kocht, Winter und Sommer, jetzt wie vor 500 Jahren, als diese Quelle entdeckt wurde. Wir kosteten alle Quellen, und ich geriet davon in förmliche Transpiration.

Wir kehrten dann zu Schillings zurück, wo das Gespräch zuerst nicht recht in Fluß gekommen war, aber jetzt wurde es zwischen Schelling und Geijer lebhaft und ungemein interessant geführt, über Poesie und Poeten, über August Platen, über Shakespeare, Schiller, Calderon, Tieck und Uhland. Schelling spricht sehr gut und tief, oft über mein Fassungsvermögen, dessen war ich mir wohl bewußt, aber ich versuchte doch zu folgen und hatte davon einen außerordentlichen Genuß. Man sah es Geijer an, daß er das Gefühl hatte, von diesem Manne etwas lernen zu können. Frau Schilling hörte mit Interesse zu und unterbrach das Gespräch der Herren nicht durch kleine Frauenzimmerartigkeiten, was mich an anderen so oft verdrossen und meine Geduld auf die Probe gestellt hat.

Aber als es gerade am schönsten war, schlug die Uhr acht, und da ich vorher Schelling seine strenge Diät und Regime erwähnen gehört, erinnerte ich nun daran, und wir nahmen Abschied. Sehr freundlich bat er uns, doch ja gewiß noch über den morgigen Tag zu bleiben und wieder zu ihnen zu kommen. Als dieser so merkwürdige Mann beim Abschied meine Hand ergriff, um sie zu küssen, schämte ich mich so, daß ich die Hand zurückzog, er aber hielt sie fest und sah mich verwundert an – ich fühlte, daß ich heiß errötete. Was mochte er wohl denken? Ahnte er die tiefe Ehrfurcht, die mich beseelte? Ach, wie köstlich, wie schön, anzubeten, zu bewundern! Geijer ist von Herzen erfreut über die Bekanntschaft mit Schelling und will gerne über den morgigen Tag bleiben. Adolf stumm und gedankenvoll.

 

Karlsbad, den 29. August. Morgens in aller Frühe gingen Geijer und ich zum Sprudel und trafen da Schelling und seine Frau, in kleinen Schlückchen das siedend heiße Wasser trinkend. Ich trank einen halben sogenannten Becher, mir wurde ganz heiß und schwach davon. Wir gingen oder schritten richtiger gesagt, da bis acht Uhr auf und ab. Baggesen war unter den Brunnentrinkenden, ich machte auch seine Bekanntschaft. Er sieht recht alt und verfallen aus und ist krank und unglücklich. Die Erinnerung an seine schönen Lieder und sein anmutiges »Labyrinthe und Alpenreise« machte die Bekanntschaft für mich trotzalledem interessant.

Zum Frühstück kehrten wir in das Hotel zurück, und ich gedachte mit Adolf einen Spaziergang in das schöne Gebirge zu machen, indes Geijer bei Schelling war; allein der Regen hinderte uns daran. Um 3 Uhr gingen Geijer und ich wieder zu Schillings. Adolf war verstimmt, gedankenvoll, traurig und wollte nicht mitgehen, aber kam doch nach, als wir mit Schellings zum »Neubrunnen« gingen, um da in dem offenen Brunnensaal auf und ab zu spazieren, während es zu meiner großen Betrübnis unaufhörlich regnete.

Schelling bot mir auf dem Heimweg den Arm. Diese in Deutschland gebräuchliche Höflichkeit geniert mich. Man ist so gezwungen, finde ich, sich nach dem Schritt seines Begleiters zu richten. Ich versuchte nun auch mit Schelling Takt zu halten, aber es war unmöglich. So resignierte ich und trippelte mit, so gut ich eben konnte, um die Geduld des Philosophen nicht allzusehr zu prüfen.

Er hatte das Gerücht gehört, daß unser Kronprinz Oskar seine junge schöne Gemahlin nicht lieben solle, für die Schelling, der sie von ihrer Kindheit an in München oft gesehen hat, sich sehr interessiert. Wir versicherten ihm, daß dies die pure Unwahrheit sei wie verschiedene andere falsche Gerüchte, die ich zu meinem Ärger über unser Königshaus gehört hatte. Schelling erzählte, daß er an einem Wintertage, als er mit seinem vierjährigen Söhnchen in einem Park bei München spazieren ging, der Prinzessin Josephine mit einer ihrer jüngeren Schwestern begegnete. Schelling zog seinen Hut, der Knabe ebenfalls, aber ließ dabei seinen Handschuh fallen, was der Vater nicht bemerkte. Als sie ein paar Schritte gegangen waren, eilte ihnen Prinzeß Josephine nach und überreichte den Handschuh, den sie dem Kleinen aufgehoben hatte. Dies fand Schelling so herzensgut und schön von der jungen reizenden Prinzessin, daß er immer mit Vergnügen daran zurückdachte.

Wir kehrten zu Schellings zurück, und tranken da guten Tee mit Butterbrot und Zwieback. Das Gespräch drehte sich zumeist um politische Gegenstände und war nicht sonderlich belebt. Frau Schelling hatte vorher mit mir viel über Atterbom, Kernell, Geijer und Lindblad gesprochen, über die sie gerne Näheres erfahren wollte. Mit Schelling hatte ich auf dem Spaziergang über den Katholizismus und das lutherische Bekenntnis gesprochen. Ich sagte, man könnte sich wünschen, daß die Protestanten von den katholischen Bräuchen die Ohrenbeichte als Trost für ein wundes Gewissen und die Klöster als Zufluchtsort für reuige Sünder beibehalten hätten. Er hatte die Güte auf meine Gedanken einzugehen und mißbilligte sie nicht – das tat mir wohl!

Am Abend las Schelling uns ein ganz neues Gedicht von Goethe vor, aus Anlaß der demagogischen Umtriebe geschrieben, die hier in Deutschland so viel Unruhe und Aufsehen erregt haben. Falls ich es richtig verstanden habe, ist die Idee dieses kleinen Stückes, das witzig und amüsant ist, die, daß ein König, der findet, daß der Frühling in seinen Staaten zu lange auf sich warten läßt, seinen Rat zusammenruft, um Maßnahmen und Schritte zu beschließen, ihn zu beschleunigen. Sie raten nun an, die Frösche ihren Frühlingsgesang beginnen zu lassen, diese gehorchen dem königlichen Befehl, aber ihr einförmiges Gequake wird so laut und unangenehm, daß der König ihnen befiehlt, zu verstummen, sie wollen nicht gehorchen, und da droht man ihnen, sie als Demagogen zu behandeln.

Es fiel uns schwer, von dem großen Manne Schelling und seiner gütigen Gemahlin zu scheiden – aber es mußte sein! Um acht Uhr verließen wir sie und reisen morgen in aller Frühe, um endlich am 1. September in das ersehnte Dresden zu kommen, wo Amalie und Briefe aus der Heimat uns erwarten. Adolf ist froher gestimmt, gut und freundlich. Geijer, dem seine Niedergeschlagenheit aufgefallen war, sagte heute morgens zu ihm: »Gerade dieses Gefühl der Unruhe über die Überlegenheit anderer gefällt mir an dir. Ich sehe es als Beweis künftiger Eigenschaften an und als Gewähr, daß du zu etwas taugst!«

Schelling sieht auch wie ein rechter Prachtmensch aus, er hat herrliche klare hellblaue Augen, eine breite verständige hohe Stirn, sein Blick ist sicher, scharf und lebhaft. Er spricht schön und gut, liest vortrefflich. Er ist von Mittelgröße, hat eine kurze, gerade Nase, die en face wie eine Stupsnase aussieht, weil sie so kurz ist und der Übergang von der Stirn so tief. Die Oberlippe, ungewöhnlich lang, macht den Mund häßlich, die Unterlippe ist voll und gut geformt. Seine Frau ist von der zärtlichsten Fürsorge für ihn, sie sieht sehr angenehm aus und ist es auch.

Jetzt ist es dunkel, die Uhr ist zehn. Der Berg gegenüber sieht aus wie ein Feenschloß. Der oberste Teil ist ein starrer Felsen, der sogenannte Hirschensprung. Da stürzte sich, als Kaiser Karl IV. einmal in der Gegend jagte, ein Hirsch herunter; und als die Jäger von einer anderen Seite hineilten, um den Hirsch zu suchen, fanden sie ihn halbgekocht in der heißen Quelle, die so entdeckt wurde. Unterhalb dieses hohen Felsens ist der Berg mit dunklem Walde, zumeist Nadelholz, bedeckt, der unterste Abhang ist mit Häusern bebaut, die reihenweise übereinander stehen. Jetzt sind fast alle diese Fenster erleuchtet, es sieht wunderbar aus. Der Mond erhellt den dunklen Wald und den Felsen – eine ganze Stunde lang habe ich diesen wundersam schönen Berg in dieser zauberhaften Beleuchtung betrachtet.

 

Karlsbad, den 30. früh morgens. Wir sind nun gerüstet, von hier abzureisen. Frau Schelling war so gütig, noch zu kommen, um uns Lebewohl zu sagen, und Geijer ist zu ihm gegangen. Das Wetter war trübe, grau und neblig. Um 6 Uhr morgens verließen wir »Graf Balzas Hotel« in Karlsbad. Der Weg geht in Serpentinen einen hohen Berg hinauf und führt zum größten Teil zwischen Mauern. Die Täler zu beiden Seiten sind schön, wir fuhren bei leichtem Sprühregen durch Nebel, aber als wir die lange Steigung hinter uns hatten, wurde das Wetter klar und schön. Wir aßen in Liebolitz zu Mittag und fuhren dann weiter nach Saaz, einer sauberen, behaglichen Stadt, wo ich ein schönes Zimmer bekam, in das der Mond hereinschien.

 

Am 31. wurde die Reise fortgesetzt, mit Freude im Herzen näherten wir uns Dresden. Am Nachmittag blieben wir ein Weilchen in Teplitz und sahen uns den Schloßgarten an, wo Geijer sich damit vergnügte, Schwäne mit Brot zu füttern. Große Karpfen zeigten sich im Teiche und machten den Schwänen das Brot streitig. Unsere Fahrt ging dann an dem Hügel vorbei, wo der französische General Vandamme mit seinem Korps im Jahre 1813 gefangen genommen wurde. In dem benachbarten Arbesau steht ein Denkmal zu Ehren der gefallenen preußischen Krieger. In diesem Städtchen verbrachten wir die Nacht.

Ich beging da am Abend eine Torheit, für die ich schwer büßen mußte. Ich knüpfte mit meinen Reisegenossen ein Gespräch an, dessen Fortführung ich nicht gewachsen war – diese meine Vermessenheit wurde auch bestraft, und ich habe nun gelernt, daß der Einfältige am besten daran tut, stumm in seinem Glauben zu leben und sich nicht an Fragen zu wagen, die ihn nur in Verwirrung stürzen. Ich verstehe nicht und werde auch nicht verstanden. Höchst erschüttert, hatte ich eine schlimme Nacht. Am Morgen des 1. September stand ich um 4 Uhr auf und ging voraus ins Gebirge. Zuerst war es neblig, dann ging die Sonne schön und klar auf – dieser Anblick beruhigte mein Herz etwas, brachte Hoffnung und Zuversicht wieder. Doch ach, diese Unabhängigkeit kann ich mir nur in vollständiger Einsamkeit bewahren – sowie ich meine Mitmenschen sehe, überkommt mich das unüberwindliche Bedürfnis nach Schutz, Teilnahme, Zärtlichkeit! Unselige, unbefriedigte Sehnsucht – wirst du nie verstummen?

* * *

(Später geschrieben.) Malla konnte sich den schlimmen, unerwarteten und verwirrenden Eindruck, den sie durch dieses gewagte Gespräch heraufbeschworen hatte, weder recht erklären, noch deutlich darüber schreiben. Es verhält sich damit so:

 

Am letzten August auf dem Wege von Teplitz nach Arbesau saß Geijer auf dem Bock, Adolf im Wagen mit Malla und Maja-Lisa. Adolf sagte etwas, was Malla verletzte. Um diesen Eindruck zu verbergen, lehnte sie sich zum Wagenfenster hinaus, sah, wie die untergehende Sonne die Wolken vergoldete und bat Gott stumm um Nachsicht und Selbstbeherrschung, so daß sie sich nicht so leicht durch ihre Freunde verletzt fühle und nicht so sehr von deren Stimmung gegen sie abhängig sei. So saß sie lange in süß melancholische Gedanken versunken und vertraute sich ihrem Vater im Himmel an. Als sie sich wieder ihren Reisegefährten zuwandte, waren ihre Tränen vielleicht noch sichtbar. Adolf fragte, woran sie jetzt gedacht habe. Sie erwiderte einfach, sie habe Gott um Geduld und Selbstverleugnung gebeten. Adolf lächelte darüber und meinte, es sei nicht so leicht, seine Gedanken und Gebete so mir nichts dir nichts Gott zuzuwenden. Malla hingegen glaubte steif und fest, man müsse jeden Augenblick bereit sein, sich wie ein Kind dem Vater, seinem Gotte in Gebet, Dank und Zuversicht zu nahen. Sie gerieten darüber in heftigen Wortwechsel, und als sie dann in Arbesau beim Abendbrot beisammen saßen, appellierte Malla an Geijers Urteil. Zu ihrem äußersten Staunen und Schrecken war Geijer derselben Meinung wie Adolf und führte sie nur noch strenger und weitläufiger aus. Die Furcht vor Gott sah er als das Gefühl an, das den elenden, sündigen Menschen beherrschen und das kindliche Vertrauen ersetzen müsse, das Malla sich gewöhnt hatte, als das Beste, das Einzige anzusehen! Sie sagte, sie habe nie Furcht empfunden, nur Zuversicht, Glaube und Hoffnung. Geijer fand dies albern und sagte, vermutlich bringe ihr Mangel an ästhetischem Gefühl diesen Mangel an »Furcht und Beben« vor dem allmächtigen Wesen mit sich. Dies schien Malla immer unfaßbarer. Sie hatte es immer so leicht und trostreich gefunden, sich in ihrer Betrübnis an Gott zu wenden und bei ihm Friede und Zuversicht zu suchen. Geijer sagte, das wäre so, als wollte man behaupten, es sei leicht, selig zu werden, während es doch die höchste und schwerste Aufgabe des Lebens ist. Malla fragte ihn, wie er denn bei dieser Furcht, diesem Schrecken und Beben vor dem strengen Richter, so sorglos und wohlgemut essen, trinken, schlafen und drauflos leben könne? Sie hatte dies bei ihm immer als frommes, kindliches Vertrauen zum Vater angesehen. Hierauf gab Geijer – deuchte es ihr – keine klare Antwort, und sie konnte seine jetzt geäußerten Gedanken mit seinem ganzen Wesen und seinen sonstigen freimütigen Reden nicht in Einklang bringen. Sie verstummte, sagte ihren Reisegenossen gute Nacht und legte sich mit hochklopfendem verzweifelten Herzen nieder. Doch sie konnte kein Auge schließen, in spasmodischem Schüttelfrost schlugen ihre Zähne aufeinander, und die heftigste Unruhe und Angst, die sie je empfunden, raste in ihr.

Und alle Zuflucht verschlossen! Diese beiden, Adolf und Geijer, die sie auf Erden am meisten liebte und schätzte, hatten sie nun vom Himmel abgewiesen. Sowie es tagte, erhob sie sich und ging den Weg, den sie fahren sollten, über die steilen Hügel nach Peterswald voraus. Die ganze Welt war für sie verwandelt, kein Vaterauge folgte dem armen, irrenden, unglücklichen Kinde, kein Ohr hörte seine klagende Bitte oder seine jubelnde Dankbarkeit. Einsam, wie sie sich nie zuvor gefühlt, war sie jetzt, verstoßen von Gott und den Menschen – sie war wie ein Blatt im Winde, irrend, ohne Leitung, ohne Ziel! Endlich, als sie ganz hoch hinauf gekommen war, zerteilte sich der Nebel, und die Sonne ging klar über dem Berge auf. Dieses Bild rief das Gefühl freudiger Dankbarkeit wieder wach, das der Sonnenaufgang stets in ihr erregt, es war wie ein heilender Balsam für das Herz. Sie war allein – aber die Sonne leuchtete auch für sie! Losgelöst von den Menschen, fühlte sie sich nicht mehr so verlassen.

In diesem Augenblick kam Adolf ihr mit großen Schritten nach und hatte sie bald eingeholt – er erschrak, als er sie so wachsgelb dahinschwanken sah, wollte trösten, begütigen, aber machte es nur noch schlimmer. Bald holte der Wagen sie ein – sie fuhren alle zusammen, aber Malla war tief verwundet, sie stellte sich schlafend, um nicht sprechen zu müssen und schlummerte auch wirklich ein Weilchen, was sie körperlich ausruhte. So fuhr sie durch Pirna, sah weder Sonnenberg noch Königstein und näherte sich dem ersehnten Dresden ohne Aufmerksamkeit für das, was sie umgab.

Adolfs unablässige freundliche Bemühungen, sie zu zerstreuen und zu beleben, rührten sie doch. Geijer war stumm oder übertrieben ausgelassen – so schien es wenigstens Malla. Sie verstand ihn nicht, das wollte sie gerne und demütig zugestehen. Ihr Verstand reichte nicht hin, seine vermutlich grandiosen Gedanken zu begreifen – aber es fiel ihr doch schwer, es nicht hart und unbarmherzig zu finden, daß er ihre Ruhe so gedankenlos preisgab. Nie mehr konnte sie so recht auf teilnahmsvolle Freundschaft bauen. Was man so Freundschaft nennt, das ist ein laues Gefühl, das sich zufrieden gibt, wenn es nur nicht von sauern Mienen belästigt und dadurch im Lebensgenuß gestört wird. Was in dem sogenannten Freunde vorgeht, ob es in den Himmel oder in den Abgrund führt, darnach fragt man nicht, will nicht einmal daran denken, um nicht dadurch in der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit behindert zu werden! Diese Gedanken brachten Malla an den Rand der Verzweiflung. Aber als sie ihre fröhlichen Reisegefährten so sorglos wie nur je sah, wollte sie auch vergnügt und übermütig sein wie sie – sie suchte ihren Schmerz zu betäuben und dachte: es ist am besten, gedankenlos zu genießen, so gut man es eben kann.

* * *

Dresden, den 1. September. Schwer, nach Dresden zu Amalie zu kommen, ohne die Möglichkeit, sich zu freuen! In der nächsten Station hatten wir gefrühstückt und unseren letzten Groschen dafür bezahlt. Unseren Mietskutscher konnten wir erst entlohnen, als wir mit unserem Kreditiv Geld behoben hatten.

Amalie hatte versprochen, daß wir an der Maut Nachricht finden würden, wo sie wohne, aber dort verlautete nichts davon. Wir hielten an der Post und erfuhren, daß wir alle drei Briefe hatten, die auf uns warteten, aber konnten sie nicht sogleich bekommen. Wir fuhren zum Gasthof »Stadt Berlin«, den Amalie uns genannt hatte – da war sie jedoch nicht, sondern, wie es hieß, im Hotel de Pologne. Ich ging sofort mit einem Lohnbedienten hin, mein Herz klopfte vor Sehnsucht, aber auch da wohnte sie nicht, und als ich in einem dritten Hause nach ihr fragte – da war sie aufs Land gefahren! Sehr niedergeschlagen kehrte ich zu meinen Reisekameraden zurück, die inzwischen unsere Briefe ausgefolgt bekommen hatten. Ich hatte einen nicht sehr erfreulichen Brief von meiner Schwester. Ihre Kümmernisse und Nahrungssorgen gingen mir noch mehr zu Herzen als sonst. Dieser Kummer über die bedrückten Umstände meiner Anverwandten ist die Strafe dafür, daß ich sie verlassen habe und auf dieser Reise zu meinem Vergnügen Mittel verwende, die die Sorgen meiner armen Schwester lindern könnten! Was ist Recht – was Unrecht? Ohne Halt, ohne Stütze irren meine Gedanken hin und her und entbehren die einstige Zuflucht. Habe ich denn bis jetzt von Illusionen gelebt? Wo soll ich Wahrheit und Sicherheit finden? An wen soll ich mich wenden? Geijer verschmäht es, in das Dunkel, in das seine Worte mich gestürzt haben, Licht zu bringen.

Ein schwerer Tag, dieser erste in Dresden. – Und keine Amalie! Wir warteten Stunde um Stunde. Meine einzige Freude war die, daß ich meinen lieben Freunden ein Fortepiano verschaffen konnte. Diese schönen Töne geben doch zeitweise meinem beklommenen Herzen Gleichgewicht und Harmonie wieder. Endlich gegen acht Uhr abends klopfte es an unsere Türe, und ein Rittmeister Smital annoncierte sich als Abgesandter der Frau Generalin von Helvig, die eben von einer Landpartie nach Tharandt zurückgekehrt war und uns bitten ließ, sogleich zu ihr zu kommen. Lindblad wollte nicht mit, aber in meinem freudigen Eifer, ihn mit meiner bewunderten Freundin bekannt zu machen, überredete ich ihn, uns zu begleiten. Dies habe ich später als eine Torheit bereut, denn es störte und genierte Amalie offenbar, mit uns alten Freunden einen jungen, ihr ganz unbekannten Menschen zu treffen. Adolf hatte mehr Takt als ich. Ich fürchte, daß er ihr nicht gefallen hat – peinlich! Auch er fand sie nicht so liebenswürdig, als er sie sich vorgestellt hatte.

Wir waren also zu Amalie geeilt. Sie ist ganz dieselbe, ihr siebenjähriges Töchterchen Dora süß und zutraulich. Aber sie will morgen von hier abreisen, um zu Helvigs Geburtstag daheim zu sein. Die Verschiebungen unserer Reise durch Geijers Unpäßlichkeit in Stuttgart und der Abstecher nach Karlsbad verursachen diese mir schreckliche Enttäuschung. Ich hatte so sehr gehofft, hier einige Zeit still zu verbringen und mir unter Amaliens Ägide Dresdens Gemäldegalerie und Umgebung anzusehen. Der schwedische Gesandte für Dresden und Berlin, Genserik Brandel, kam, während wir da waren, zu Frau Helvig, und sie beriet mit ihm, wie wir unsere Tage in Dresden verbringen sollten. Aber nichts kann mich für ihre Abwesenheit entschädigen!

 

Dresden, den 2. September. Um acht Uhr morgens gingen wir mit Frau Helvig zu der schönen Brühlschen Terrasse, wo wir unser Frühstück nahmen, das durch Amaliens lebhafte, inhaltsreiche Gespräche sehr interessant war. Sie sprach von Steffens' Aufenthalt in Berlin und den anziehenden öffentlichen Vorträgen, die er da gehalten hatte. Um neun Uhr gingen wir von dort in die Galerie, wo wir den ganzen Vormittag verblieben und eine Menge schöner Bilder sahen. Amalie gab mir den Rat, in der kurzen Zeit, die ich daran wenden kann, nicht zu versuchen, sie alle meinem Gedächtnis einzuprägen, sondern unter dieser Mannigfaltigkeit einige wenige von denen auszuwählen, die mir am besten gefallen, diese genau zu betrachten, um so wirklich vertraut mit ihnen zu werden und eine Erinnerung für Lebenszeit zu haben. Raffaels himmlisch schöne Madonna steht da ganz obenan. Eine schöne Cäcilia von Carlo Dolci prägte sich mir demnächst ein, auch eine Madonna von Holbein mit der Krone auf dem Haupte, im Arm ein krankes Kind haltend, das man ihr gebracht, damit sie es heile; ein schönes Bild von Tizian, den Heiland vorstellend, wie er jenen, die ihn verräterisch fragen, ob man dem Kaiser Abgaben zahlen müsse, die Prägung der Münze zeigt. Ferner herrliche Landschaften von Claude Lorrain, ein Bacchus als Kind, Originale von Guido Reni u. a.

Monate, Jahre wären nötig, um alles in dieser reichen Sammlung wirklich kennen zu lernen. Wir gingen mit Amalie und nahmen Abschied von ihr, sie mußte sogleich reisen!

Um sechs Uhr fuhren wir durch die schöne Stadt und ihre Anlagen, von Brandel begleitet, zu einem Sommertheater, wo »Reue und Versöhnung« gegeben wurde, ein ziemlich plattes, mittelmäßiges Stück, hierauf »Die Braut«, eine kleine Komödie in Versen von Theodor Körner, in der nur zwei Personen, »die Grafen Hohn«, Vater und Sohn, auftreten. Es ist recht artig und witzig.

 

Dresden, den 3. September. Schön, sich auszuschlafen, im Schlummer alle Gedanken, allen Schmerz zu vergessen! Brandel holte uns ab, und wir gingen durch die Neustadt über die lange Brücke und durch den schönen Garten in das japanische Palais. Häßliche Gipsfiguren füllen den Vorraum. Wir sahen da prächtige Gemächer mit alten Marmorstatuen, meist in Italien gefunden, aber restauriert, was den einheitlichen Eindruck beeinträchtigt. Eine große imposante Frauengestalt, in Herkulanum gefunden, in eine doppelte Draperie gehüllt, fand ich jedoch recht schön – es ist eine Vestalin oder eine Matrone. Ein Baron Mark wurde von Brandel gebeten, unser Cicerone zu sein – ein angenehmer Mann und offenbar enthusiastischer Kunstkenner. Vom japanischen Palais gingen wir zu einem Herrn von Quant, einem reichen Partikülier, der eine schöne Sammlung moderner Bilder hat. Von dieser geschmackvollen Behausung begaben wir uns an die Elbe, zu einem Boot, das uns ein Stück vor die Stadt zu der sogenannten Fremlethersvilla führte, einem schön gelegenen und gut gehaltenen Gasthaus, wo Brandel uns zum Mittagsessen invitierte. Die Terrasse hat eine schöne Aussicht über die ganze Umgegend und schließt gegen den Fluß zu mit einem Weingarten ab. All dies ist unbeschreiblich schön, aber es war doch nicht angenehm, die Zeit wurde mir lang. Denn die Herren paßten nicht zusammen, Brandel ist ein Weltmann, der nicht lachen kann und in seinem ganzen Wesen kein Quentchen Herzlichkeit hat. Ich bemühte mich vergeblich, das Gespräch aufrechtzuerhalten und versuchte irgendein musikalisches Thema aufs Tapet zu bringen. Schließlich gelang es mir, doch bald ermatteten die Schwingen, und ich war froh, als wir in die Stadt zurückkehrten, um uns die Ausstellung in der Malakademie anzusehen. Am besten gefiel mir Thorwaldsens Porträt von Vogel, den ich in der Galerie mit Amalie sprechen gesehen hatte. Geijer machte mich auf ein Bild aufmerksam, das ein schönes kleines Mädchen, im Grase unter Blumen sitzend, vorstellt. Sie hat ein hübsches Hündchen im Arm und bietet ihm eine schwellende Weintraube an, der Hund weicht verlegen vor dieser Artigkeit zurück, von der er nicht profitieren kann. Der Ausdruck ist naiv-schön und das ganze Bildchen voll inniger Anmut, ebenfalls von Vogel gemalt.

Um 6 Uhr gingen wir von dort mit Brandel in die Italienische Oper. Es wurde »Teobaldo ed Isolina«, Musik von Morlachi, dem hiesigen Kapellmeister, gegeben. Es ist ein brillantes Stück, prächtige Kostüme und Dekorationen und effektvolle Musik. Signora Pallagessi sang gut, meine Herren unterhielten sich und waren zufrieden, was mein Vergnügen verdoppelte oder eigentlich verdreifachte.

 

Dresden, den 4. September. Ich war mit den Herren ein Weilchen in der katholischen Messe, deren Musik ihnen nicht sonderlich gefiel. Ich fühlte mich matt und schläfrig.

Tieck (bei dem die Herren Besuch gemacht hatten) hatte uns gebeten, um sechs Uhr zu ihm zu kommen. Er wohnt mit seiner Gattin und seinen zwei Töchtern bei einer alten Freundin, einer unvermählten Gräfin Finkenstein, die wohlhabend ist und andernfalls einsam wäre. Ich finde dieses Arrangement ausnehmend praktisch und vernünftig. Die Gräfin ist Hausfrau, aber alles in ihrem Hause hat doch Bezug auf Tieck und ist nach ihm eingerichtet, das merkt man sofort. In einem großen schönen Zimmer, voll von Porträts von Freunden und auserlesenen Kupfern, Bücherschränken, Tischchen, kleinen Sofas usw. saß die Familie beisammen. Zwei Herren waren auch anwesend, wovon der eine Raumer, der unlängst die Geschichte der Hohenstaufen herausgegeben hat. Natürlich mußte ich, so gut ich es vermochte, mit den Frauenzimmern sprechen und konnte nur hie und da ein paar Worte von Tieck erhaschen. Er hat ein sehr angenehmes Gesicht, braune Augen, schöne Stirn, eine gerade Nase und einen schönen Mund. Die Gestalt ist klein und von Gicht verkrümmt. Seine Frau ist eine stattliche alte Dame, freundlich und gewinnend. Die Gräfin muß schön gewesen sein, sie hat ein feines, vornehmes Antlitz. Tiecks Töchter, 17 und 20 Jahre alt, sind lebendig und liebenswürdig, vorzüglich Dorothea, die ältere, gefiel mir gut. Wir hatten uns gewünscht, Tieck lesen zu hören, was er so ausgezeichnet tun soll, aber es war nicht die Rede davon. Man servierte Tee, später Wein, Kirschwasser, Backwerk und Obst. Als wir gingen, bat uns Tieck, am nächsten Tage wiederzukommen, falls wir nicht lieber Rossinis Oper »Der Barbier von Sevilla« sehen wollten, die morgen gegeben wird. Wir hoffen, ihn lesen zu hören und ziehen dies bei weitem vor.

 

Den 5. September. Wir gingen in die Galerie, um die schönen Bilder noch einmal wiederzusehen, dann in die Porzellanmanufaktur und schließlich nochmals in die Ausstellung. Die Herren besuchten dann den Komponisten Weber, und ich las in Schuberts ergötzlichem Werkchen: »Wanderbüchlein eines reisenden Gelehrten nach Salzburg, Tirol und der Lombardey von Dr. G. F. Schubert, Bergrat und Professor in Erlangen«. Dieses kleine lustige, herzenswarme Buch flößt das größte Vertrauen zu dem Verfasser ein, man möchte so gerne in seiner Nähe weilen. Auf mich hat es wie heilender Balsam gewirkt.

Brandel kam und proponierte mir eine Spazierfahrt. Er ließ mich zwischen Tharandt und dem Monument Moreaus auf dem Schlachtfelde, wo er erschossen wurde, wählen. Ich entschied mich für das letztere, weil es das kürzere war, ein längeres Tete-a-tete mit Brandel lockte mich wenig. Auch hatte ich keine rechte Lust, ohne meine lieben Reisekameraden meinem Vergnügen nachzugehen. Ich fuhr also mit ihm und besah dieses Denkmal, unter dem Moreaus beide abgesägte Beine begraben liegen. Auf dem Steine steht: »Der Held Moreau fiel hier an der Seite Alexanders, den XXVII. August MDCCCXIII.«

Von da brachte Brandel mich zu Tiecks, wo meine Herren schon waren, und noch viele andere dazu. Nach dem Tee wurden die Rouleaux herabgelassen und Kerzen hereingetragen, und Tieck installierte sich in einem gutgepolsterten Lehnstuhl, vor sich ein kleines Tischchen mit zwei Wachskerzen, einem Quinquet und einem Lesepult. Er las Shakespeares Heinrich III. in der Übersetzung von A. W. Schlegel schlechthin vortrefflich. Die Redeweise und die Stimmen Falstaffs, des Königs, des Prinzen, Percys und der Gastwirtin waren so deutlich und gut unterschieden, daß, so ungewohnt es mir war, deutsch lesen zu hören, ich doch sehr gut folgen konnte. Es war ein großer Genuß, und ich staune, daß es möglich ist, nahezu drei Stunden so ununterbrochen, so lebhaft und so deutlich zu lesen. Dann wurde von den Fräuleins Tieck Butterbrote mit Hering und Braten belegt, Bouillon, Kuchen, Wein und Früchte herumgereicht. Um halb elf Uhr gingen wir nach Hause.

Morgen sollen wir abreisen! Geijer zieht es gar nicht in Erwägung, sich länger hier aufzuhalten, um die Sächsische Schweiz zu sehen, seine Zeit ist genau berechnet, und unsere Reise hat gekostet, was dafür veranschlagt war. Ich will und darf nicht mehr für mein Vergnügen ausgeben – viele brauchen das, was ich ersparen kann; und in meiner jetzigen niedergeschlagenen, mutlosen Gemütsverfassung könnten auch diese Naturszenen keine Freude in mir erregen.

 

Den 6. September. Wir gedachten gleich nach dem Mittagsessen zu reisen, Geijer den Umweg über Leipzig, Adolf und ich mit Maja-Lisa direkt nach Berlin, aber wir bekommen vor morgen fünf Uhr früh keinen Mietkutscher.

 

Jüterbog, den 8. September, spät abends. Wir fuhren durch Großenhain einen recht schönen Weg durch Laubwälder. Dresdens Umgebung ist hübsch. Die Nacht verbrachten wir in Korsdorf. Wir sind langsam gefahren, meistens über Heiden, aber auch durch schönen Eichenwald. Das Wetter war windig und regnerisch, meine Stimmung nicht weniger düster. Um 7 Uhr kamen wir hieher. Hier war mein seliger David einquartiert, von hier habe ich Briefe aus dem Jahre 1813 von ihm – damals war das Leben für mich noch nicht so vorbei, so manche Hoffnungen belebten noch die irdische Zukunft – dahin, dahin!

 

Den 9. setzten wir die Reise bei etwas leidlicherem Wetter fort, aber der Weg blieb sandig, schlecht und einförmig. Nach dem Mittagsessen wurde die Gegend reizvoller, wir näherten uns Potsdam, das wirklich recht schön ist und prächtige Gebäude hat. Da trafen wir zu unserer großen Verwunderung Geijer, der auf seiner Fahrt von Leipzig und Lützen schon so weit gekommen war. Geijer blieb in Potsdam, um den Ort und seine Umgebung zu besichtigen. Um neun Uhr waren wir in der neuen, schmucken Stadt Berlin mit ihren breiten schönen Straßen und stiegen im »Hotel Brandenburg« ab, wo wir ausnehmend behagliche Zimmer bekamen.

Was wird Berlin wohl bringen? Freude? Kummer? Wer mag es wissen?


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