Theodor Mommsen
Römische Geschichte
Theodor Mommsen

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2. Kapitel

Die Sullanische Restaurationsherrschaft

Als nach Unterdrückung der den Senat in seiner Existenz bedrohenden Cinnanischen Revolution es der restaurierten Senatsregierung möglich ward, der inneren und äußeren Sicherheit des Reiches wiederum die erforderliche Aufmerksamkeit zu widmen, zeigten sich der Angelegenheiten genug, deren Lösung nicht verschoben werden konnte, ohne die wichtigsten Interessen zu verletzen und gegenwärtige Unbequemlichkeiten zu künftigen Gefahren anwachsen zu lassen. Abgesehen von der sehr ernsten Verwicklung in Spanien war es schlechterdings notwendig teils die Barbaren in Thrakien und den Donauländern, die Sulla bei seinem Marsch durch Makedonien nur oberflächlich hatte züchtigen können, nachhaltig zu Paaren zu treiben und die verwirrten Verhältnisse an der Nordgrenze der griechischen Halbinsel militärisch zu regulieren, teils den überall, namentlich aber in den östlichen Gewässern herrschenden Flibustierbanden gründlich das Handwerk zu legen, teils endlich in die unklaren kleinasiatischen Verhältnisse eine bessere Ordnung zu bringen. Der Friede, den Sulla im Jahre 670 (84) mit König Mithradates von Pontos abgeschlossen hatte und von dem der Vertrag mit Murena 673 (81) wesentlich eine Wiederholung war, trug durchaus den Stempel eines notdürftig für den Augenblick hergestellten Provisoriums; und das Verhältnis der Römer zu König Tigranes von Armenien, mit dem sie doch faktisch Krieg geführt hatten, war in diesem Frieden ganz unberührt geblieben. Mit Recht hatte Tigranes darin die stillschweigende Erlaubnis gefunden, die römischen Besitzungen in Asien in seine Gewalt zu bringen. Wenn dieselben nicht preisgegeben bleiben sollten, war es notwendig in Güte oder Gewalt mit dem neuen Großkönig Asiens sich abzufinden.

Betrachten wir, nachdem in dem vorhergehenden Kapitel die mit dem demokratischen Treiben zusammenhängende Bewegung in Italien und Spanien und deren Überwältigung durch die senatorische Regierung dargestellt wurde, in diesem das äußere Regiment, wie die von Sulla eingesetzte Behörde es geführt oder auch nicht geführt hat.

Man erkennt noch Sullas kräftige Hand in den energischen Maßregeln, die in der letzten Zeit seiner Regentschaft der Senat ungefähr gleichzeitig gegen die Sertorianer, gegen die Dalmater und Thraker und gegen die kilikischen Piraten verfügte.

Die Expedition nach der griechisch-illyrischen Halbinsel hatte den Zweck, teils die barbarischen Stämme botmäßig oder doch zahm zu machen, die das ganze Binnenland vom Schwarzen bis zum Adriatischen Meere durchstreiften und unter denen vornehmlich die Besser (im großen Balkan), wie man damals sagte, selbst unter den Räubern als Räuber verrufen waren, teils die namentlich im dalmatischen Litoral sich bergenden Korsaren zu vernichten. Wie gewöhnlich ging der Angriff gleichzeitig von Dalmatien und von Makedonien aus, in welcher letzteren Provinz ein Heer von fünf Legionen hierzu gesammelt ward. Der gewesene Prätor Gaius Cosconius, welcher in Dalmatien den Befehl führte, durchstreifte das Land nach allen Richtungen und erstürmte nach zweijähriger Belagerung die Festung Salona. In Makedonien versuchte der Prokonsul Appius Claudius (676 bis 678 78-76) zunächst sich an der makedonisch-thrakischen Grenze der Berglandschaften am linken Ufer des Karasu zu bemeistern. Von beiden Seiten ward der Krieg mit arger Wildheit geführt; die Thraker zerstörten die eroberten Ortschaften und metzelten die Gefangenen nieder und die Römer vergalten Gleiches mit Gleichem. Ernstliche Erfolge aber wurden nicht erreicht; die beschwerlichen Märsche und die beständigen Gefechte mit den zahlreichen und tapferen Gebirgsbewohnern dezimierten nutzlos die Armee; der Feldherr selbst erkrankte und starb. Sein Nachfolger Gaius Scribonius Curio (679-681 75-73) wurde durch mancherlei Hindernisse, namentlich auch durch einen nicht unbedeutenden Militäraufstand bewogen, die schwierige Expedition gegen die Thraker fallen zu lassen und dafür sich nach der makedonischen Nordgrenze zu wenden, wo er die schwächeren Dardaner (in Serbien) unterwarf und bis an die Donau gelangte. Erst der tapfere und fähige Marcus Lucullus (682, 683 72, 71) rückte wieder gegen Osten vor, schlug die Besser in ihren Bergen, nahm ihre Hauptstadt Uscudama (Adrianopel) und zwang sie, der römischen Oberhoheit sich zu fügen. Der König der Odrysen, Sadalas, und die griechischen Städte an der Ostküste nördlich und südlich vom Balkangebirge: Istropolis, Tomoi, Kallatis, Odessos (bei Varna), Mesembria und andere, wurden abhängig von den Römern; Thrakien, von dem die Römer bisher kaum mehr inne gehabt hatten als die attalischen Besitzungen auf dem Chersones, ward jetzt ein freilich wenig botmäßiger Teil der Provinz Makedonien.

Aber weit nachteiliger als die immer doch auf einen geringen Teil des Reiches sich beschränkenden Raubzüge der Thraker und Dardaner war für den Staat wie für die einzelnen die Piraterie, die immer weiter um sich griff und immer fester sich organisierte. Der Seeverkehr war auf dem ganzen Mittelmeer in ihrer Gewalt. Italien konnte weder seine Produkte aus-, noch das Getreide aus den Provinzen einführen; dort hungerten die Leute, hier stockte wegen Mangels an Absatz die Bestellung der Getreidefelder. Keine Geldsendung, kein Reisender war mehr sicher; die Staatskasse erlitt die empfindlichsten Verluste; eine große Anzahl angesehener Römer wurde von den Korsaren aufgebracht und mußte mit schweren Summen sich ranzionieren, wenn es nicht gar den Piraten beliebte, an einzelnen derselben das Blutgericht zu vollstrecken, das dann auch wohl mit wildem Humor gewürzt ward. Die Kaufleute, ja die nach dem Osten bestimmten römischen Truppenabteilungen fingen an, ihre Fahrten vorwiegend in die ungünstige Jahreszeit zu verlegen und die Winterstürme weniger zu scheuen als die Piratenschiffe, die freilich selbst in dieser Jahreszeit doch nicht ganz vom Meere verschwanden. Aber wie empfindlich die Sperrung der See war, sie war eher zu ertragen als die Heimsuchung der griechischen und kleinasiatischen Inseln und Küsten. Ganz wie später in der Normannenzeit liefen die Korsarengeschwader bei den Seestädten an und zwangen sie, entweder mit großen Summen sich loszukaufen, oder belagerten und stürmten sie mit gewaffneter Hand. Wenn unter Sullas Augen nach geschlossenem Frieden mit Mithradates Samothrake, Klazomenä, Samos, Iassos von den Piraten ausgeraubt wurden (670 84), so kann man sich denken, wie es da zuging, wo weder eine römische Flotte noch ein römisches Heer in der Nähe stand. All die alten reichen Tempel an den griechischen und kleinasiatischen Küsten wurden nach der Reihe geplündert; allein aus Samothrake soll ein Schatz von 1000 Talenten (1500000 Talern) weggeführt worden sein. Apollon, heißt es bei einem römischen Dichter dieser Zeit, ist durch die Piraten so arm geworden, daß er, wenn die Schwalbe bei ihm auf Besuch ist, aus all seinen Schätzen auch nicht ein Quentchen Gold mehr ihr vorzeigen kann. Man rechnete über vierhundert von den Piraten eingenommene oder gebrandschatzte Ortschaften, darunter Städte wie Knidos, Samos, Kolophon; aus nicht wenigen früher blühenden Insel- und Küstenplätzen wanderte die gesamte Bevölkerung aus, um nicht von den Piraten fortgeschleppt zu werden. Nicht einmal im Binnenland mehr war man vor denselben sicher; es kam vor, daß sie ein bis zwei Tagemärsche von der Küste belegene Ortschaften überfielen. Die entsetzliche Verschuldung, der späterhin alle Gemeinden im griechischen Osten erliegen, stammt großenteils aus diesen verhängnisvollen Zeiten. Das Korsarenwesen hatte seinen Charakter gänzlich verändert. Es waren nicht mehr dreiste Schnapphähne, die in den kretischen Gewässern zwischen Kyrene und dem Peloponnes – in der Flibustiersprache dem "goldenen Meer" – von dem großen Zug des italisch-orientalischen Sklaven- und Luxushandels ihren Tribut nahmen; auch nicht mehr bewaffnete Sklavenfänger, die "Krieg, Handel und Piraterie" ebenmäßig nebeneinander betrieben, es war ein Korsarenstaat mit einem eigentümlichen Gemeingeist; mit einer festen, sehr respektablen Organisation, mit einer eigenen Heimat und den Anfängen einer Symmachie, ohne Zweifel auch mit bestimmten politischen Zwecken. Die Flibustier nannten sich Kiliker; in der Tat fanden auf ihren Schiffen die Verzweifelten und Abenteurer aller Nationen sich zusammen: die entlassenen Söldner von den kretischen Werbeplätzen, die Bürger der vernichteten Ortschaften Italiens, Spaniens und Asiens, die Soldaten und Offiziere aus Fimbrias und Sertorius' Heeren, überhaupt die verdorbenen Leute aller Nationen, die gehetzten Flüchtlinge aller überwundenen Parteien, alles was elend und verwegen war – und wo war nicht Jammer und Frevel in dieser unseligen Zeit? Es war keine zusammengelaufene Diebesbande mehr, sondern ein geschlossener Soldatenstaat, in dem die Freimaurerei der Ächtung und der Missetat an die Stelle der Nationalität trat und innerhalb dessen das Verbrechen, wie so oft, vor sich selbst sich rettete in den hochherzigsten Gemeinsinn. In einer zuchtlosen Zeit, wo Feigheit und Unbotmäßigkeit alle Bande der gesellschaftlichen Ordnung erschlafft hatten, mochten die legitimen Gemeinwesen sich ein Muster nehmen an diesem Bastardstaat der Not und Gewalt, in den allein von allen das unverbrüchliche Zusammenstehen, der kameradschaftliche Sinn, die Achtung vor dem gegebenen Treuwort und den selbstgewählten Häuptern, die Tapferkeit und die Gewandtheit sich geflüchtet zu haben schienen. Wenn auf der Fahne dieses Staats die Rache an der bürgerlichen Gesellschaft geschrieben war, die, mit Recht oder mit Unrecht, seine Mitglieder von sich ausgestoßen hatte, so ließ sich darüber streiten, ob diese Devise viel schlechter war als die der italischen Oligarchie und des orientalischen Sultanismus, die im Zuge schienen, die Welt unter sich zu teilen. Die Korsaren wenigstens fühlten jedem legitimen Staate sich ebenbürtig; von ihrem Räuberstolz, ihrer Räuberpracht und ihrem Räuberhumor zeugt noch manche echte Flibustiergeschichte toller Lustigkeit und ritterlicher Banditenweise; sie meinten, und rühmten sich dessen, in einem gerechten Krieg mit der ganzen Welt zu leben; was sie darin gewannen, das hieß ihnen nicht Raubgut, sondern Kriegsbeute; und wenn dem ergriffenen Flibustier in jedem römischen Hafen das Kreuz gewiß war, so nahmen auch sie als ihr Recht in Anspruch, jeden ihrer Gefangenen hinrichten zu dürfen. Ihre militärisch-politische Organisation war namentlich seit dem Mithradatischen Krieg festgeschlossen. Ihre Schiffe, größtenteils "Mauskähne", das heißt kleine, offene, schnellsegelnde Barken, nur zum kleineren Teil Zwei- und Dreidecker, fuhren jetzt regelmäßig in Geschwader vereinigt und unter Admiralen, deren Barken in Gold und Purpur zu glänzen pflegten. Dem bedrohten Kameraden, mochte er auch völlig unbekannt sein, weigerte kein Piratenkapitän den erbetenen Beistand; der mit einem aus ihrer Mitte abgeschlossene Vertrag ward von der ganzen Gesellschaft unweigerlich anerkannt, aber auch jede einem zugefügte Unbill von allen geahndet. Ihre rechte Heimat war das Meer von den Säulen des Herkules bis in die syrischen und ägyptischen Gewässer; die Zufluchtsstätten, deren sie für sich und ihre schwimmenden Häuser auf dem Festlande bedurften, gewährten ihnen bereitwillig die mauretanischen und dalmatischen Gestade, die Insel Kreta, vor allem die an Vorsprüngen und Schlupfwinkeln reiche, die Hauptstraße des Seehandels jener Zeit beherrschende und so gut wie herrenlose Südküste Kleinasiens. Der lykische Städtebund daselbst und die pamphylischen Gemeinden hatten wenig zu bedeuten; die seit 652 (102) in Kilikien bestehende römische Station reichte zur Beherrschung der weitläufigen Küste bei weitem nicht aus; die syrische Herrschaft über Kilikien war immer nur nominell gewesen und seit kurzem gar ersetzt worden durch die armenische, deren Inhaber als echter Großkönig um das Meer gar nicht sich kümmerte und dasselbe bereitwillig den Kilikern zur Plünderung preisgab. So war es kein Wunder, wenn die Korsaren hier gediehen wie nirgends sonst. Nicht bloß besaßen sie hier überall am Ufer Signalplätze und Stationen, sondern auch weiter landeinwärts, in den abgelegensten Verstecken des unwegsamen und gebirgigen lykischen, pamphylischen, kilikischen Binnenlandes, hatten sie sich ihre Felsschlösser erbaut, in denen, während sie selbst zur See fuhren, sie ihre Weiber, Kinder und Schätze bargen, auch wohl in gefährlichen Zeiten selbst dort eine Zufluchtsstätte fanden. Namentlich gab es solche Korsarenschlösser in großer Zahl in dem rauhen Kilikien, dessen Waldungen zugleich den Piraten das vortrefflichste Holz zum Schiffbau lieferten und wo deshalb ihre hauptsächlichsten Schiffbaustätten und Arsenale sich befanden. Es war nicht zu verwundern, daß dieser geordnete Militärstaat unter den mehr oder minder sich selber überlassenen und sich selber verwaltenden griechischen Seestädten sich eine feste Klientel bildete, die mit den Piraten wie mit einer befreundeten Macht auf Grund bestimmter Verträge in Handelsverkehr trat und der Aufforderung der römischen Statthalter, Schiffe gegen sie zu stellen, nicht nachkam; wie denn zum Beispiel die nicht unbeträchtliche Stadt Side in Pamphylien den Piraten gestattete auf ihren Werften Schiffe zu bauen und die gefangenen Freien auf ihrem Marktplatz feilzubieten.

Eine solche Seeräuberschaft war eine politische Macht; und als politische Macht gab sie sich und ward sie genommen, seit zuerst der syrische König Tryphon sie als solche benutzt und seine Herrschaft auf sie gestützt hatte. Wir finden die Piraten als Verbündete des Königs Mithradates von Pontos sowie der römischen demokratischen Emigration; wir finden sie Schlachten liefern gegen die Flotten Sullas in den östlichen wie in den westlichen Gewässern. Wir finden einzelne Piratenfürsten, die über eine Kette von ansehnlichen Küstenplätzen gebieten. Es läßt sich nicht sagen, wieweit die innere politische Entwicklung dieses schwimmenden Staates bereits gediehen war; aber unleugbar liegt in diesen Bildungen der Keim eines Seekönigtums, das bereits sich ansässig zu machen beginnt und aus dem unter günstigen Verhältnissen wohl ein dauernder Staat sich hätte entwickeln mögen.

Es ist hiermit ausgesprochen und ward zum Teil schon früher bezeichnet, wie die Römer auf "ihrem Meere" die Ordnung hielten oder vielmehr nicht hielten. Roms Schutzherrschaft über die Ämter bestand wesentlich in der militärischen Vormundschaft; für die in der Hand der Römer vereinigte Verteidigung zur See und zu Lande zahlten oder zinsten den Römern die Provinzialen. Aber wohl niemals hat ein Vormund seinen Mündel unverschämter betrogen als die römische Oligarchie die untertänigen Gemeinden. Statt daß Rom eine allgemeine Reichsflotte aufgestellt und die Seepolizei zentralisiert hätte, ließ der Senat die einheitliche Oberleitung des Seepolizeiwesens, ohne die ebenhier gar nichts auszurichten war, gänzlich fallen und überließ es jedem einzelnen Statthalter und jedem einzelnen Klientelstaat, sich der Piraten zu erwehren, wie jeder wollte und konnte. Statt daß Rom, wie es sich anheischig gemacht, das Flottenwesen mit seinem und der formell souverän gebliebenen Klientelstaaten Gut und Blut ausschließlich bestritten hätte, ließ man die italische Kriegsmarine eingehen und lernte sich behelfen mit den von den einzelnen Kaufstädten requirierten Schiffen oder noch häufiger mit den überall organisierten Strandwachen, wo dann in beiden Fällen alle Kosten und Beschwerden die Untertanen trafen. Die Provinzialen mochten sich glücklich schätzen, wenn der römische Statthalter die für die Küstenverteidigung ausgeschriebenen Requisitionen nur wirklich zu diesem Zwecke verwandte und nicht für sich unterschlug, oder wenn sie nicht, wie sehr häufig geschah, angewiesen wurden, für einen von den Seeräubern gefangenen vornehmen Römer die Ranzion zu bezahlen. Was etwa Verständiges begonnen ward, wie die Besetzung Kilikiens 652 (102), verkümmerte sicher in der Ausführung. Wer von den Römern dieser Zeit nicht gänzlich in der gangbaren duseligen Vorstellung von nationaler Größe befangen war, der hätte wünschen müssen, von der Rednerbühne auf dem Markte die Schiffsschnäbel herabreißen zu dürfen, um wenigstens nicht stets durch sie an die in besserer Zeit erfochtenen Seesiege sich gemahnt zu finden.

Indes tat doch Sulla, der in dem Kriege gegen Mithradates wahrlich hinreichend sich hatte überzeugen können, welche Gefahren die Vernachlässigung des Flottenwesens mit sich bringe, verschiedene Schritte, um dem Übel ernstlich zu steuern. Der Auftrag zwar, welchen er den von ihm in Asien eingesetzten Statthaltern zurückgelassen, in den Seestädten eine Flotte gegen die Seeräuber auszurüsten, hatte wenig gefruchtet, da Murena es vorzog, Krieg mit Mithradates anzufangen, und der Statthalter von Kilikien, Gnaeus Dolabella, sich ganz unfähig erwies. Deshalb beschloß im Jahre 675 (79) der Senat, einen der Konsuln nach Kilikien zu senden; das Los traf den tüchtigen Publius Servilius. Er schlug in einem blutigen Treffen die Flotte der Piraten und wandte sich darauf zur Zerstörung derjenigen Städte an der kleinasiatischen Südküste, die ihnen als Ankerplätze und Handelsstationen dienten. Die Festungen des mächtigen Seefürsten Zeniketes: Olympos, Korykos, Phaselis im östlichen Lykien, Attaleia in Pamphylien wurden gebrochen, und in den Flammen der Burg Olympos fand der Fürst selbst den Tod. Weiter ging es gegen die Isaurer, welche im nordwestlichen Winkel des rauben Kilikiens am nördlichen Abhang des Tauros ein mit prachtvollen Eichenwäldern bedecktes Labyrinth von steilen Bergrücken, zerklüfteten Felsen und tiefgeschnittenen Tälern bewohnten – eine Gegend, die noch heute von den Erinnerungen an die alte Räuberzeit erfüllt ist. Um diese isaurischen Felsennester, die letzten und sichersten Zufluchtsstätten der Flibustier, zu bezwingen, führte Servilius die erste römische Armee über den Tauros und brach die feindlichen Festungen Oroanda und vor allem Isaura selbst, das Ideal einer Räuberstadt, auf der Höhe eines schwer zugänglichen Bergzuges gelegen und die weite Ebene von Ikonion vollständig überschauend und beherrschend. Der erst im Jahre 679 (75) beendigte Krieg, aus dem Publius Servilius für sich und seine Nachkommen den Beinamen des Isaurikers heimbrachte, war nicht ohne Frucht; eine große Anzahl von Korsaren und Korsarenschiffen geriet durch denselben in die Gewalt der Römer; Lykien, Pamphylien, Westkilikien wurden arg verheert, die Gebiete der zerstörten Städte eingezogen und die Provinz Kilikien mit ihnen erweitert. Allein es lag in der Natur der Sache, daß die Piraterie doch damit keineswegs unterdrückt war, sondern nur sich zunächst nach andern Gegenden, namentlich nach der ältesten Herberge der Korsaren des Mittelmeers, nach Kreta, zog. Nur umfassend und einheitlich durchgeführte Repressivmaßregeln oder vielmehr nur die Einrichtung einer ständigen Seepolizei konnten hier durchgreifende Abhilfe gewähren.

In vielfacher Beziehung mit diesem Seekrieg standen die Verhältnisse des kleinasiatischen Festlandes. Die Spannung, die hier zwischen Rom und den Königen von Pontos und Armenien bestand, ließ nicht nach, sondern steigerte sich mehr und mehr. Auf der einen Seite griff König Tigranes von Armenien in der rücksichtslosesten Weise erobernd um sich. Die Parther, deren in dieser Zeit auch durch innere Unruhen zerrissener Staat tief daniederlag, wurden in andauernden Fehden weiter und weiter in das innere Asien zurückgedrängt. Von den Landschaften zwischen Armenien, Mesopotamien und Iran wurden Corduene (nördliches Kurdistan) und das Atropatenische Medien (Aserbeidschan) aus parthischen in armenische Lehnkönigreiche verwandelt und das Reich von Ninive (Mosul) oder Adiabene, wenigstens vorübergehend, gleichfalls gezwungen, in die armenische Klientel einzutreten. Auch in Mesopotamien, namentlich in und um Nisibis, ward die armenische Herrschaft begründet; nur die südliche, großenteils wüste Hälfte, scheint nicht in festen Besitz des neuen Großkönigs gekommen und namentlich Seleukeia am Tigris ihm nicht untertänig geworden zu sein. Das Reich von Edessa oder Osrhoene übergab er einem Stamme der schweifenden Araber, den er aus dem südlichen Mesopotamien hierher verpflanzte und hier ansässig machte, um durch ihn den Euphratübergang und die große Handelsstraße zu beherrschenDas Reich von Edessa, dessen Gründung die einheimischen Chroniken 620 (134) setzen, kam erst einige Zeit nach seiner Entstehung unter die arabische Dynastie der Abgaros und Mannos, die wir später daselbst finden. Offenbar hängt dies zusammen mit der Ansiedlung vieler Araber durch Tigranes den Großen in der Gegend von Edessa, Kallirhoe, Karrhä (Plin. nat. 5, 20, 85; 21, 86; 6, 28, 142); wovon auch Plutarch (Luc. 21) berichtet, daß Tigranes, die Sitten der Zeltaraber umwandelnd, sie seinem Reiche näher ansiedelte, um durch sie des Handels sich zu bemächtigen. Vermutlich ist dies so zu verstehen, daß die Beduinen, die gewohnt waren, durch ihr Gebiet Handelsstraßen zu eröffnen und auf diesen feste Durchgangszölle zu erheben (Strab. 14, 748), dem Großkönig als eine Art von Zollkontrolleuren dienen und an der Euphratpassage für ihn und für sich Zölle erheben sollten. Diese "osrhoenischen Araber" (Orei Arabes), wie sie Plinius nennt, müssen auch die Araber am Berg Amanos sein, die Afranius überwand (Plut. Pomp. 39).. Aber Tigranes beschränkte seine Eroberungen keineswegs auf das östliche Ufer des Euphrat. Vor allem Kappadokien war das Ziel seiner Angriffe und erlitt, wehrlos wie es war, von dem übermächtigen Nachbar vernichtende Schläge. Die östliche Landschaft Melitene riß Tigranes von Kappadokien ab und vereinigte sie mit der gegenüberliegenden armenischen Provinz Sophene, wodurch er den Euphratübergang mit der großen kleinasiatisch-armenischen Handelsstraße in seine Gewalt bekam. Nach Sullas Tode rückten die Armenier sogar in das eigentliche Kappadokien ein und führten die Bewohner der Hauptstadt Mazaka (später Caesarea) und elf anderer griechisch geordneter Städte weg nach Armenien. Nicht mehr Widerstand vermochte das in voller Auflösung begriffene Seleukidenreich dem neuen Großkönig entgegenzustellen. Hier herrschte im Süden von der ägyptischen Grenze bis nach Stratons Turm (Caesarea) der Judenfürst Alexandros Jannaeos, der im Kampfe mit den syrischen, ägyptischen und arabischen Nachbarn und mit den Reichsstädten seine Herrschaft Schritt vor Schritt erweiterte und befestigte. Die größeren Städte Syriens, Gaza, Stratons Turm, Ptolemais, Beröa versuchten, sich bald als freie Gemeinden, bald unter sogenannten Tyrannen auf eigene Hand zu behaupten; vor allem die Hauptstadt Antiocheia war so gut wie selbständig. Damaskos und die Libanostäler hatten sich dem nabatäischen Fürsten Aretas von Petra unterworfen. In Kilikien endlich herrschten die Seeräuber oder die Römer. Und um diese in tausend Splitter zerschellende Krone fuhren die Seleukidenprinzen, als gälte es das Königtum allen zum Spott und zum Ärgernis zu machen, beharrlich fort, untereinander zu hadern, ja, während von diesem gleich dem Hause des Laios zum ewigen Zwiste verfluchten Geschlechte die eigenen Untertanen alle abtrünnig wurden, sogar Ansprüche auf den durch den erblosen Abgang des Königs Alexander Il. erledigten Thron von Ägypten zu erheben. So griff König Tigranes hier ohne Umstände zu. Das östliche Kilikien ward mit Leichtigkeit von ihm unterworfen und die Bürgerschaften von Soloi und anderen Städten ebenwie die kappadokischen nach Armenien abgeführt. Ebenso wurde die obere syrische Landschaft, mit Ausnahme der tapfer verteidigten Stadt Seleukeia an der Mündung des Orontes, und der größte Teil von Phönike mit den Waffen bezwungen: um 680 (74) ward Ptolemais von den Armeniern eingenommen und schon der Judenstaat ernstlich von ihnen bedroht. Die alte Hauptstadt der Seleukiden Antiocheia ward eine der Residenzen des Großkönigs. Bereits von dem Jahre 671 (83) an, dem nächsten nach dem Frieden zwischen Sulla und Mithradates, wird Tigranes in den syrischen Jahrbüchern als der Landesherr bezeichnet und erscheint Kilikien und Syrien als eine armenische Satrapie unter dem Statthalter des Großkönigs Magadates. Die Zeit der Könige von Ninive, der Salmanassar und Sanherib, schien sich zu erneuern: wieder lastete der orientalische Despotismus schwer auf der handeltreibenden Bevölkerung der syrischen Küste, wie einst auf Tyros und Sidon; wieder warfen binnenländische Großstaaten sich auf die Landschaften am Mittelmeer; wieder standen asiatische Heere von angeblich einer halben Million Streiter an den kilikischen und syrischen Küsten. Wie einst Salmanassar und Nebukadnezar die Juden nach Babylon geführt hatten, so mußten jetzt aus allen Grenzlandschaften des neuen Reiches, aus Corduene, Adiabene, Assyrien, Kilikien, Kappadokien, die Einwohner, namentlich die griechischen oder halbgriechischen Stadtbürger, mit ihrer gesamten Habe bei Strafe der Konfiskation alles dessen, was sie zurücklassen würden, sich zusammensiedeln in der neuen Residenz, einer von jenen mehr die Nichtigkeit der Völker als die Größe der Herrscher verkündigenden Riesenstädten, wie sie in den Euphratlandschaften bei jedem Wechsel des Oberkönigtums auf das Machtwort des neuen Großsultans aus der Erde springen. Die neue "Tigranesstadt", Tigranokerta, gegründet an der Grenze Armeniens und Mesopotamiens und bestimmt zur Hauptstadt der neu für Armenien gewonnenen Gebiete, ward eine Stadt wie Ninive und Babylon, mit Mauern von fünfzig Ellen Höhe und den zum Sultanismus nun einmal mitgehörigen Palast-, Garten- und Parkanlagen. Auch sonst verleugnete der neue Großkönig sich nicht: wie in der ewigen Kindheit des Ostens überhaupt die kindlichen Vorstellungen von den Königen mit wirklichen Kronen auf dem Haupte niemals verschwunden sind, so erschien auch Tigranes, wo er öffentlich sich zeigte, in Pracht und Tracht eines Nachfolgers des Dareios und Xerxes, mit dem purpurnen Kaftan, dem halb weißen, halb purpurnen Untergewand, den langen faltigen Beinkleidern, dem hohen Turban und der königlichen Stirnbinde, wo er ging und stand von vier "Königen" in Sklavenart begleitet und bedient.

Bescheidener trat König Mithradates auf. Er enthielt sich in Kleinasien der Übergriffe und begnügte sich, was kein Traktat ihm verbot, seine Herrschaft am Schwarzen Meere fester zu begründen und die Landschaften, die das Bosporanische jetzt unter seiner Oberhoheit von seinem Sohn Machares beherrschte Königreich von dem Pontischen trennten, allmählich in bestimmtere Abhängigkeit zu bringen. Aber auch er wandte alle Anstrengungen darauf, seine Flotte und sein Heer instand zu setzen und namentlich das letztere nach römischem Muster zu bewaffnen und zu organisieren, wobei die römischen Emigranten, die in großer Zahl an seinem Hofe verweilten, ihm wesentliche Dienste leisteten.

Den Römern war nichts daran gelegen, in die orientalischen Angelegenheiten noch weiter verwickelt zu werden, als sie es bereits waren. Es zeigt sich dies namentlich mit schlagender Deutlichkeit darin, daß die Gelegenheit, die in dieser Zeit sich darbot, das Ägyptische Reich auf friedlichem Wege unter unmittelbare römische Herrschaft zu bringen, vom Senat verschmäht ward. Die legitime Deszendenz des Ptolemaeos Lagos Sohns war zu Ende gegangen, als der nach dem Tode des Ptolemaeos Soter II. Königs Lathyros von Sulla eingesetzte König Alexandros II., ein Sohn Königs Alexandros I., wenige Tage nach seiner Thronbesteigung bei einem Auflauf in der Hauptstadt getötet ward (673 81). Dieser Alexandros hatte in seinem TestamentDie streitige Frage, ob dies angebliche oder wirkliche Testament von Alexander I. († 666 88) oder Alexander II. († 673 81) herrühre, wird gewöhnlich für die erste Alternative entschieden. Allein die Gründe sind unzulänglich; denn Cicero (leg. agr. 1, 4, 12; 15, 38; 16, 41) sagt nicht, daß Ägypten im Jahre 666 (88), sondern daß es in oder nach diesem Jahr an Rom gefallen sei; und wenn man daraus, daß Alexander I. im Ausland, Alexander II. in Alexandreia umkam, gefolgert hat, daß die in dem fraglichen Testament erwähnten in Tyros lagernden Schätze dem ersteren gehört haben werden, so ist übersehen, daß Alexander II. neunzehn Tage nach seiner Ankunft in Ägypten getötet ward (J. A. Letronne, Recueil des inscriptions grecques et latines de l'Egypte. Bd. 2, Paris 1848, S. 20), wo seine Kasse noch sehr wohl in Tyros sein konnte. Entscheidend ist dagegen der Umstand, daß der zweite Alexander der letzte echte Lagide war, da bei den ähnlichen Erwerbungen von Pergamon Kyrene und Bithynien Rom stets von dem letzten Sproß der berechtigten Herrscherfamilie eingesetzt worden ist. Das alte Staatsrecht, wie es wenigstens für die römischen Klientelstaaten maßgebend gewesen ist, scheint dem Regenten das letztwillige Verfügungsrecht über sein Reich nicht unbedingt, sondern nur in Ermangelung erbberechtigter Agnaten zugestanden zu haben. Vgl. Gutschmids Anmerkung zu der deutschen Übersetzung von S. Sharper, Geschichte Ägyptens. Bd. 2, S. 17. Ob das Testament echt oder falsch war, ist nicht auszumachen und auch ziemlich gleichgültig; besondere Gründe, eine Fälschung anzunehmen, liegen nicht vor. zum Erben die römische Gemeinde eingesetzt. Die Echtheit dieses Dokuments ward zwar bestritten; allein diese erkannte der Senat an, indem er auf Grund desselben die in Tyros für Rechnung des verstorbenen Königs niedergelegten Summen erhob. Nichtsdestoweniger gestattete er zwei notorisch illegitimen Söhnen des Königs Lathyros, dem einen, Ptolemaeos XI., der neue Dionysos oder der Flötenbläser (Auletes) genannt, Ägypten, dem andern, Ptolemäos dem Kyprier, Kypros tatsächlich in Besitz zu nehmen; sie wurden zwar vom Senat nicht ausdrücklich anerkannt, aber doch auch keine bestimmte Forderung auf Herausgabe der Reiche an sie gerichtet. Die Ursache, weshalb der Senat diesen unklaren Zustand fortdauern ließ und nicht dazu kam, in bindender Weise auf Ägypten und Kypros zu verzichten, war ohne Zweifel die ansehnliche Rente, welche jene gleichsam auf Bittbesitz herrschenden Könige für die Fortdauer desselben den römischen Koteriehäuptern fortwährend zahlten. Allein der Grund, jenem lockenden Erwerb überhaupt zu entsagen, liegt anderswo. Ägypten gab durch seine eigentümliche Lage und seine finanzielle Organisation jedem dort befehligenden Statthalter eine Geld- und Seemacht und überhaupt eine unabhängige Gewalt in die Hände, wie sie mit dem argwöhnischen und schwächlichen Regiment der Oligarchie sich schlechterdings nicht vertrug; von diesem Standpunkt aus war es verständig, dem unmittelbaren Besitz der Nillandschaft zu entsagen.

Weniger läßt es sich rechtfertigen, daß der Senat es unterließ, in die kleinasiatischen und syrischen Angelegenheiten unmittelbar einzugreifen. Die römische Regierung erkannte zwar den armenischen Eroberer nicht als König von Kappadokien und Syrien an; aber sie tat doch auch nichts, um ihn zurückzudrängen, wie nahe immer der Krieg, den sie 676 (78) notgedrungen in Kilikien gegen die Piraten begann, ihr namentlich das Einschreiten in Syrien legte. In der Tat gab sie, indem sie den Verlust Kappadokiens und Syriens ohne Kriegserklärung hinnahm, damit nicht bloß ihre Schutzbefohlenen, sondern die wichtigsten Grundlagen ihrer eigenen Machtstellung preis. Es war schon bedenklich, wenn sie in den griechischen Ansiedlungen und Reichen am Euphrat und Tigris die Vorwerke ihrer Herrschaft opferte; aber wenn sie die Asiaten am Mittelmeer sich festsetzen ließ, welches die politische Basis ihres Reiches war, so war dies nicht ein Beweis von Friedensliebe, sondern das Bekenntnis, daß die Oligarchie durch die Sullanische Restauration wohl oligarchischer, aber weder klüger noch energischer geworden war, und für die römische Weltmacht der Anfang des Endes.

Auch auf der andern Seite wollte man den Krieg nicht. Tigranes hatte keine Ursache, ihn zu wünschen, wenn Rom ihm auch ohne Krieg all seine Bundesgenossen preisgab. Mithradates, der denn doch nicht bloß Sultan war und Gelegenheit genug gehabt hatte, im Glück und Unglück Erfahrungen über Freunde und Feinde zu machen, wußte sehr wohl, daß er in einem zweiten römischen Krieg sehr wahrscheinlich ebenso allein stehen würde wie in dem ersten und daß er nichts Klügeres tun konnte, als sich ruhig zu verhalten und sein Reich im Innern zu stärken. Daß es ihm mit seinen friedlichen Erklärungen Ernst war, hatte er in dem Zusammentreffen mit Murena hinreichend bewiesen; er fuhr fort, alles zu vermeiden, was dazu führen mußte, die römische Regierung aus ihrer Passivität herauszudrängen.

Allein wie schon der Erste Mithradatische Krieg sich entsponnen hatte, ohne daß eine der Parteien ihn eigentlich wünschte, so entwickelte auch jetzt aus den entgegengesetzten Interessen sich gegenseitiger Argwohn, aus diesem gegenseitige Verteidigungsanstalten, und es führten diese endlich durch ihr eigenes Schwergewicht zum offenen Bruch. Das seit langem die römische Politik beherrschende Mißtrauen in die eigene Schlagfertigkeit und Kampfbereitschaft, welches bei dem Mangel stehender Armeen und dem wenig musterhaften kollegialischen Regiment wohl erklärlich ist, machte es gleichsam zu einem Axiom der römischen Politik, jeden Krieg nicht bloß bis zur Überwältigung, sondern bis zur Vernichtung des Gegners zu führen; man war insofern mit dem Frieden Sullas von Haus aus in Rom so wenig zufrieden wie einst mit den Bedingungen, die Scipio Africanus den Karthagern gewährt hatte. Die vielfach geäußerte Besorgnis, daß ein zweiter Angriff des pontischen Königs bevorstehe, ward einigermaßen gerechtfertigt durch die ungemeine Ähnlichkeit der gegenwärtigen Verhältnisse mit denen vor zwölf Jahren. Wieder traf ein gefährlicher Bürgerkrieg zusammen mit ernstlichen Rüstungen Mithradats; wieder überschwemmten die Thraker Makedonien und bedeckten die Korsarenflotten das ganze Mittelmeer; wieder kamen und gingen die Emissäre, wie einst zwischen Mithradates und den Italikern, so jetzt zwischen den römischen Emigranten in Spanien und denen am Hofe von Sinope. Schon im Anfang des Jahres 677 (77) ward es im Senat ausgesprochen, daß der König nur auf die Gelegenheit warte, während des italischen Bürgerkriegs über das römische Asien herzufallen; die römischen Armeen in Asia und Kilikien wurden verstärkt, um möglichen Ereignissen zu begegnen.

Andererseits verfolgte auch Mithradates mit steigender Besorgnis die Entwicklung der römischen Politik. Er mußte es fühlen, daß ein Krieg der Römer gegen Tigranes, wie sehr auch der schwächliche Senat davor sich scheute, doch auf die Länge kaum vermeidlich sei und er nicht umhin können werde, sich an demselben zu beteiligen. Der Versuch, das immer noch mangelnde schriftliche Friedensinstrument von dem römischen Senat zu erlangen, war in die Wirren der Lepidianischen Revolution gefallen und ohne Erfolg geblieben; Mithradates fand darin ein Anzeichen der bevorstehenden Erneuerung des Kampfes. Die Einleitung dazu schien die Expedition gegen die Seeräuber, die mittelbar doch auch die Könige des Ostens traf, deren Verbündete sie waren. Noch bedenklicher waren die schwebenden Ansprüche Roms auf Ägypten und Kypros; es ist bezeichnend, daß der pontische König den beiden Ptolemäern, denen der Senat fortfuhr, die Anerkennung zu weigern, seine beiden Töchter Mithradatis und Nyssa verlobte. Die Emigranten drängten zum Losschlagen; Sertorius' Stellung in Spanien, die zu erkunden Mithradates unter passenden Vorwänden Boten in das Pompeianische Hauptquartier abordnete, und die in der Tat eben um diese Zeit imposant war, eröffnete dem König die Aussicht, nicht wie in dem ersten Krieg gegen die beiden römischen Parteien, sondern mit der einen gegen die andere zu fechten. Ein günstigerer Moment konnte kaum gehofft werden, und am Ende war es immer besser, den Krieg zu erklären, als ihn sich erklären zu lassen. Da starb im Jahre 679 (75) König Nikomedes III. Philopator von Bithynien und hinterließ als der letzte seines Stammes – denn ein von der Nysa geborener Sohn war oder hieß unecht – sein Reich im Testament den Römern, welche diese mit der römischen Provinz grenzende und längst von römischen Beamten und Kaufleuten erfüllte Landschaft in Besitz zu nehmen nicht säumten. Gleichzeitig wurde auch Kyrene, das bereits seit dem Jahr 658 (96) den Römern angefallen war, endlich als Provinz eingerichtet und ein römischer Statthalter dorthin geschickt (679 75). Diese Maßregeln in Verbindung mit den um dieselbe Zeit an der Südküste von Kleinasien gegen die Piraten ausgeführten Angriffen müssen in dem Könige Besorgnisse erregt haben; die Einziehung Bithyniens namentlich machte die Römer zu unmittelbaren Nachbarn des Pontischen Reiches; und dies vermutlich gab den Ausschlag. Der König tat den entscheidenden Schritt und erklärte im Winter 679/80 (75/74) den Römern den Krieg.

Gern hätte Mithradates die schwere Arbeit nicht allein übernommen. Sein nächster und natürlicher Bundesgenosse war der Großkönig Tigranes; allein der kurzsichtige Mann lehnte den Antrag seines Schwiegervaters ab. So blieben nur die Insurgenten und die Piraten. Mithradates ließ es sich angelegen sein, mit beiden durch starke, nach Spanien und nach Kreta entsandte Geschwader sich in Verbindung zu setzen. Mit Sertorius ward ein förmlicher Vertrag abgeschlossen, durch den Rom an den König Bithynien, Paphlagonien, Galanen und Kappadokien abtrat – freilich lauter Erwerbungen, die erst auf dem Schlachtfeld ratifiziert werden mußten. Wichtiger war die Unterstützung, die der spanische Feldherr dem König durch Sendung römischer Offiziere zur Führung seiner Heere und Flotten gewährte. Die tätigsten unter den Emigranten im Osten, Lucius Magius und Lucius Fannius, wurden von Sertorius zu seinen Vertretern am Hofe von Sinope bestellt. Auch von den Piraten kam Hilfe; sie stellten in großer Anzahl im Pontischen Reich sich ein, und namentlich durch sie scheint es dem Könige gelungen zu sein, eine durch die Zahl wie durch die Tüchtigkeit der Schiffe imponierende Seemacht zu bilden. Die Hauptstütze blieben die eigenen Streitkräfte, mit denen der König, bevor die Römer in Asien eintreffen würden, sich ihrer Besitzungen daselbst bemächtigen zu können hoffte, zumal da in der Provinz Asia die durch die Sullanische Kriegssteuer hervorgerufene finanzielle Not, in Bithymen der Widerwille gegen das neue römische Regiment, in Kilikien und Pamphylien der von dem kürzlich beendigten verheerenden Krieg zurückgebliebene Brandstoff einer pontischen Invasion günstige Aussichten eröffnete. An Vorräten fehlte es nicht; in den königlichen Speichern lagen zwei Millionen Medimnen Getreide. Flotte und Mannschaft waren zahlreich und wohlgeübt, namentlich die bastarnischen Soldknechte eine auserlesene, selbst italischen Legionären gewachsene Schar. Auch diesmal war es der König, der die Offensive begann. Ein Korps unter Diophantos ruckte in Kappadokien ein, um die Festungen daselbst zu besetzen und den Römern den Weg in das Pontische Reich zu verlegen; der von Sertorius gesandte Führer, der Proprätor Marcus Marius, ging in Gemeinschaft mit dem pontischen Offizier Eumachos nach Phrygien, um die römische Provinz und das Taurusgebirge zu insurgieren; die Hauptarmee, über 100000 Mann nebst 16000 Reitern und 100 Sichelwagen, geführt von Taxiles und Hermokrates unter der persönlichen Oberleitung des Königs, und die von Aristonikos befehligte Kriegsflotte von 400 Segeln bewegten sich die kleinasiatische Nordküste entlang, um Paphlagonien und Bithymen zu besetzen. Römischerseits ward zur Führung des Krieges in erster Reihe der Konsul des Jahres 680 (74), Lucius Lucullus, ausersehen, der als Statthalter von Asien und Kilikien an die Spitze der in Kleinasien stehenden vier Legionen und einer fünften von ihm aus Italien mitgebrachten gestellt und angewiesen ward, mit dieser auf 30000 Mann zu Fuß und 1600 Reiter sich belaufenden Armee durch Phrygien in das Pontische Reich einzudringen. Sein Kollege Marcus Cotta ging mit der Flotte und einem anderen römischen Korps nach der Propontis, um Asia und Bithynien zu decken. Endlich wurde eine allgemeine Armierung der Küsten, namentlich der von der pontischen Flotte zunächst bedrohten thrakischen, angeordnet und die Säuberung der sämtlichen Meere und Küsten von den Piraten und ihren pontischen Genossen außerordentlicherweise einem einzigen Beamten übertragen, wofür die Wahl auf den Prätor Marcus Antonius fiel, den Sohn des Mannes, der dreißig Jahre zuvor zuerst die kilikischen Korsaren gezüchtigt hatte. Außerdem stellte der Senat dem Lucullus eine Summe von 72 Mill. Sesterzen (5½ Mill. Talern) zur Verfügung, um davon eine Flotte zu erbauen; was Lucullus indes ablehnte. Aus allem sieht man, daß die römische Regierung in der Vernachlässigung des Seewesens den Kern des Übels erkannte und hierin wenigstens so weit Ernst machte, als ihre Dekrete reichten.

So begann im Jahre 680 (74) der Krieg auf allen Punkten. Es war ein Unglück für Mithradates, daß eben im Moment seiner Kriegserklärung der Wendepunkt im Sertorianischen Kriege eintrat, wodurch von vornherein eine seiner hauptsächlichsten Hoffnungen ihm zugrunde ging und es der römischen Regierung möglich ward, ihre ganze Macht auf den See- und den kleinasiatischen Krieg zu verwenden. In Kleinasien dagegen erntete Mithradat die Vorteile der Offensive und der weiten Entfernung der Römer von dem unmittelbaren Kriegsschauplatz. Dem Sertorianischen Proprätor, der in der römischen Provinz Asia vorangestellt ward, öffneten eine beträchtliche Anzahl kleinasiatischer Städte die Tore und metzelten wie im Jahre 666 (88) die bei ihnen ansässigen römischen Familien nieder; die Pisider, Isaurer, Kiliker ergriffen gegen Rom die Waffen. Die Römer hatten an den bedrohten Punkten augenblicklich keine Truppen. Einzelne tüchtige Männer versuchten wohl auf ihre eigene Hand dieser Aufwiegelung der Provinzialen zu steuern – so verließ auf die Kunde von diesen Ereignissen der junge Gaius Caesar Rhodos, wo er seiner Studien wegen sich aufhielt, und warf sich mit einer rasch zusammengerafften Schar den Insurgenten entgegen; allein viel konnten solche Freikorps nicht ausrichten. Wenn nicht der tapfere Vierfürst des um Pessinus ansässigen Keltenstammes der Tolistoboger, Deiotarus, die Partei der Römer ergriffen und glücklich gegen die pontischen Feldherrn gefochten hätte, so hätte Lucullus damit beginnen müssen, das Binnenland der römischen Provinz dem Feind wiederabzunehmen. Auch so aber verlor er mit der Beruhigung der Landschaft und mit der Zurückdrängung des Feindes eine kostbare Zeit, die durch die geringen Erfolge, welche seine Reiterei dabei erfocht, nichts weniger als vergütet ward. Ungünstiger noch als in Phrygien gestalteten sich die Dinge für die Römer an der Nordküste Kleinasiens. Hier hatte die große Armee und die Flotte der Pontiker sich Bithyniens vollständig bemeistert und den römischen Konsul Cotta genötigt, mit seiner wenig zahlreichen Mannschaft und seinen Schiffen in den Mauern und dem Hafen von Kalchedon Schutz zu suchen, wo Mithradates sie blockiert hielt. Indes war diese Einschließung insofern ein günstiges Ereignis für die Römer, als, wenn Cotta die pontische Armee vor Kalchedon festhielt und Lucullus ebendahin sich wandte, die sämtlichen römischen Streitkräfte bei Kalchedon sich vereinigen und schon hier statt in dem ferneren und unwegsamen pontischen Land, die Waffenentscheidung erzwingen konnten. Lucullus schlug auch die Straße nach Kalchedon ein; allein Cotta, um noch vor dem Eintreffen des Kollegen auf eigene Hand eine Großtat auszuführen, ließ seinen Flottenführer Publius Rutilius Nudus einen Ausfall machen, der nicht bloß mit einer blutigen Niederlage der Römer endigte, sondern auch den Pontikern es möglich machte, den Hafen anzugreifen, die Kette, die denselben sperrte, zu sprengen und sämtliche daselbst befindliche römische Kriegsschiffe, gegen siebzig an der Zahl, zu verbrennen. Auf die Nachricht von diesen Unfällen, die Lucullus am Fluß Sangarios erhielt, beschleunigte derselbe seinen Marsch, zur großen Unzufriedenheit seiner Soldaten, welche nach ihrer Meinung Cotta nichts anging und die weit lieber ein unverteidigtes Land geplündert als ihre Kameraden siegen gelehrt hätten. Sein Eintreffen machte die erlittenen Unfälle zum Teil wieder gut: der König hob die Belagerung von Kalchedon auf, ging aber nicht nach Pontos zurück, sondern südwärts in die altrömische Provinz, wo er an der Propontis und am Hellespont sich ausbreitete, Lampsakos besetzte und die große und reiche Stadt Kyzikos zu belagern begann. Immer fester verrannte er sich also in die Sackgasse, die er eingeschlagen hatte, statt, was allein für ihn Erfolg versprach, die weiten Entfernungen gegen die Römer ins Spiel zu bringen. In Kyzikos hatte die alte hellenische Gewandtheit und Tüchtigkeit sich so rein erhalten wie an wenigen anderen Orten; ihre Bürgerschaft, obwohl sie in der unglücklichen Doppelschlacht von Kalchedon an Schiffen und Mannschaft starke Einbuße erlitten hatte, leistete dennoch den entschlossensten Widerstand. Kyzikos lag auf einer Insel unmittelbar dem Festland gegenüber und durch eine Brücke mit demselben verbunden. Die Belagerer bemächtigten sich sowohl des Höhenzuges auf dem Festland, der an der Brücke endigt, und der hier gelegenen Vorstadt, als auch auf der Insel selbst der berühmten Dindymenischen Höhen, und auf der Festland- wie auf der Inselseite boten die griechischen Ingenieure alle ihre Kunst auf, den Sturm möglich zu machen. Allein die Bresche, die endlich zu machen gelang, wurde während der Nacht wieder von den Belagerten geschlossen und die Anstrengungen der königlichen Armee blieben ebenso fruchtlos wie die barbarische Drohung des Königs, die gefangenen Kyzikener vor den Mauern töten zu lassen, wenn die Bürgerschaft noch länger die Übergabe verweigere. Die Kyzikener setzten die Verteidigung mit Mut und Glück fort; es fehlte nicht viel, so hätten sie im Laufe der Belagerung den König selbst gefangengenommen. Inzwischen hatte Lucullus sich einer sehr festen Position im Rücken der pontischen Armee bemächtigt, die ihm zwar nicht gestattete, der bedrängten Stadt unmittelbar zu Hilfe zu kommen, aber wohl dem Feinde alle Zufuhr zu Lande abzuschneiden. So stand die ungeheure, mit dem Troß auf 300000 Köpfe geschätzte Mithradatische Armee, weder imstande zu schlagen, noch zu marschieren, fest eingekeilt zwischen der unbezwinglichen Stadt und dem unbeweglich stehenden römischen Heer und für allen ihren Bedarf einzig angewiesen auf die See, die zum Glück für die Pontiker ihre Flotte ausschließlich beherrschte. Aber die schlechte Jahreszeit brach herein; ein Unwetter zerstörte einen großen Teil der Belagerungsbauten; der Mangel an Lebensmitteln und vor allem an Pferdefutter fing an unerträglich zu werden. Die Lasttiere und der Troß wurden unter Bedeckung des größten Teils der pontischen Reiterei weggesandt mit dem Auftrag, um jeden Preis sich durchzuschleichen oder durchzuschlagen; aber am Fluß Rhyndakos östlich von Kyzikos holte Lucullus sie ein und hieb den ganzen Haufen zusammen. Eine andere Reiterabteilung unter Metrophanes und Lucius Fannius mußte nach langer Irrfahrt im westlichen Kleinasien wieder in das Lager vor Kyzikos zurückkehren. Hunger und Seuchen räumten unter den pontischen Scharen fürchterlich auf. Als der Frühling herankam (681 73), verdoppelten die Belagerten ihre Anstrengungen und nahmen die auf dem Dindymon angelegten Schanzen; es blieb dem König nichts übrig, als die Belagerung aufzuheben und mit Hilfe der Flotte zu retten, was zu retten war. Er selber ging mit der Flotte nach dem Hellespont, erlitt aber teils bei der Abfahrt, teils unterwegs durch Stürme beträchtliche Einbuße. Eben dahin brach auch das Landheer unter Hermaeos und Marius auf, um in Lampsakos und von dessen Mauern geschützt sich einzuschiffen. Ihr Gepäck ließen sie im Stich, sowie die Kranken und Verwundeten, die von den erbitterten Kyzikenern sämtlich niedergemacht wurden. Unterwegs fügte ihnen Lucullus beim Übergang über die Flüsse Äsepos und Granikos sehr ansehnlichen Verlust zu; doch erreichten sie ihr Ziel: die pontischen Schiffe entführten die Überreste der großen Armee und die lampsakenische Bürgerschaft selbst aus dem Bereiche der Römer.

Lucullus' folgerechte und bedächtige Kriegführung hatte nicht bloß die Fehler seines Kollegen wieder gutgemacht, sondern auch, ohne eine Hauptschlacht zu liefern, den Kern der feindlichen Armee – angeblich 200 000 Soldaten – aufgerieben. Hätte er noch die Flotte gehabt, die im Hafen von Kalchedon verbrannt war, so würde er die ganze feindliche Armee vernichtet haben; so blieb das Zerstörungswerk unvollendet, und er mußte sogar es leiden, daß trotz der Katastrophe von Kyzikos die pontische Flotte in der Propontis sich aufstellte, Perinthos und Byzantion auf der europäischen Küste von ihr blockiert, Priapos auf der asiatischen ausgeraubt, das königliche Hauptquartier nach dem bithynischen Hafen Nikomedeia gelegt ward. Ja ein erlesenes Geschwader von fünfzig Segeln, das 10000 erlesene Leute, darunter Marcus Marius und den Kern der römischen Emigranten trug, fuhr sogar hinaus in das Ägäische Meer; es ging die Rede, daß es bestimmt sei, in Italien zu landen, um dort aufs neue den Bürgerkrieg zu entfachen. Indes fingen die Schiffe, die Lucullus nach dem Unfall von Kalchedon von den asiatischen Gemeinden eingefordert hatte, an, sich einzustellen und ein Geschwader lief aus, um das in das Ägäische Meer abgegangene feindliche aufzusuchen. Lucullus selbst, als Flottenführer erprobt, übernahm das Kommando. Vor dem Achäerhafen, in den Gewässern zwischen der troischen Küste und der Insel Tenedos, wurden dreizehn feindliche, auf der Fahrt nach Lemnos begriffene Fünfruderer unter Isidoros überfallen und versenkt. Bei der kleinen Insel Neä zwischen Lemnos und Skyros sodann, an welchem wenig besuchten Punkte die pontische Flottille von 32 Segeln auf den Strand gezogen lag, fand sie Lucullus, griff zugleich die Schiffe und die auf der Insel zerstreute Bemannung an und bemächtigte sich des ganzen Geschwaders. Hier fanden Marcus Marius und die tüchtigsten der römischen Emigrierten entweder im Kampfe oder nachher durch das Henkerbeil den Tod. Die ganze ägäische Flotte der Feinde war von Lucullus vernichtet. Den Krieg in Bithynien hatten inzwischen mit dem durch Nachsendungen aus Italien verstärkten Landheer und einem in Asien zusammengezogenen Geschwader Cotta und die Legaten Luculls Voconius, Gaius Valerius Triarius und Barba fortgesetzt. Barba nahm im Binnenland Prusias am Olymp und Nikäa, Triarius an der Küste Apameia (sonst Myrleia) und Prusias am Meer (sonst Kios). Man vereinigte sich dann zu einem gemeinschaftlichen Unternehmen gegen Mithradates selbst in Nikomedeia; indes der König, ohne nur den Kampf zu versuchen, entwich auf seine Schiffe und fuhr heimwärts, und auch dies gelang ihm nur, weil der mit der Blockierung des Hafens von Nikomedeia beauftragte römische Flottenführer Voconius zu spät eintraf. Unterwegs ward zwar das wichtige Herakleia an den König verraten und von ihm besetzt; aber ein Sturm in diesen Gewässern versenkte über sechzig seiner Schiffe und zerstreute die übrigen; fast allein gelangte der König nach Sinope. Die Offensive Mithradats endigte mit einer vollständigen und durchaus nicht, am wenigsten für den obersten Leiter, rühmlichen Niederlage der pontischen Land- und Seemacht.

Lucullus ging jetzt seinerseits zum Angriff vor. Triarius übernahm den Befehl über die Flotte mit dem Auftrag, vor allem den Hellespont zu sperren und den aus Kreta und Spanien rückkehrenden pontischen Schiffen aufzupassen, Cotta die Belagerung von Herakleia; das schwierige Verpflegungsgeschäft ward den treuen und tätigen Galaterfürsten und dem König Ariobarzanes von Kappadokien übertragen; Lucullus selbst rückte im Herbst 681 (73) ein in die gesegnete und seit langem von keinem Feinde betretene pontische Landschaft. Mithradates, jetzt entschlossen zur strengsten Defensive, wich, ohne eine Schlacht zu liefern, zurück von Sinope nach Amisos, von Amisos nach Kabeira (später Neo-Caesarea, jetzt Niksar) am Lykos, einem Nebenfluß des Iris; er begnügte sich, den Feind immer tiefer landeinwärts sich nachzuziehen und ihm die Zufuhren und Verbindungen zu erschweren. Rasch folgte Lucullus; Sinope blieb seitwärts liegen; die alte Grenze des römischen Machtgebiets, der Halys, ward überschritten, die ansehnlichen Städte Amisos, Eupatoria (am Iris), Themiskyra (am Thermodon) umstellt, bis endlich der Winter den Märschen, aber nicht den Einschließungen der Städte ein Ende machte. Die Soldaten Luculls murrten über das unaufhaltsame Vordringen, das ihnen nicht gestattete, die Früchte ihrer Anstrengungen zu ernten, und über die weitläufigen und in der rauben Jahreszeit beschwerlichen Blockaden. Allein es war nicht Lucullus' Art, auf dergleichen Klagen zu hören; im Frühjahr 682 (72) ging es sofort weiter gegen Kabeira unter Zurücklassung zweier Legionen vor Amisos unter Lucius Murena. Der König hatte während des Winters neue Versuche gemacht, den Großkönig von Armenien zum Eintritt in den Kampf zu bestimmen; sie blieben wie die früheren vergeblich oder führten doch nur zu leeren Verheißungen. Noch weniger bezeigten die Parther Lust, bei der verlorenen Sache sich zu beteiligen. Indes hatte sich, besonders durch Werbungen im Skythenland, wieder eine ansehnliche Armee unter Diophantos und Taxiles bei Kabeira zusammengefunden. Das römische Heer, das nur noch drei Legionen zählte und das an Reiterei den Pontikern entschieden nachstand, sah sich genötigt, das Blachfeld möglichst zu vermeiden, und gelangte nach Kabeira auf schwierigen Nebenpfaden, nicht ohne Beschwerden und Verluste. Bei dieser Stadt lagerten die beiden Armeen längere Zeit einander gegenüber. Gestritten ward hauptsächlich um die Zufuhr, die auf beiden Seiten knapp war; Mithradates bildete deswegen aus dem Kern seiner Reiterei und einer Abteilung erlesener Fußsoldaten unter Diophantos und Taxiles ein fliegendes Korps, das bestimmt war, zwischen dem Lykos und dem Halys zu streifen und die aus Kappadokien kommenden römischen Lebensmitteltransporte aufzufangen. Allein der Unterbefehlshaber Lucullus, Marcus Fabius Hadrianus, der einen solchen Zug eskortierte, schlug nicht bloß die ihm auflauernde Schar in dem Engpaß, wo sie ihn zu überfallen gedachte, vollständig aufs Haupt, sondern auch, nachdem er Verstärkung aus dem Lager erhalten hatte, die Armee des Diophantos und Taxiles selbst, so daß dieselbe völlig sich auflöste. Es war für den König ein unersetzlicher Verlust, daß seine Reiterei, auf die er allein vertraute, ihm hier zugrunde gegangen war; sowie er durch die ersten vom Schlachtfeld nach Kabeira gelangenden Flüchtlinge – bezeichnend genug die geschlagenen Generale selbst – die Hiobspost, früher noch als Lucullus die Nachricht von dem Sieg, erhalten hatte, beschloß er sofortigen weiteren Rückzug. Aber der gefaßte Entschluß des Königs verbreitete sich mit Blitzesschnelle unter seiner nächsten Umgebung; und wie die Soldaten die Vertrauten des Königs eiligst einpacken sahen, wurden auch sie von panischem Schreck ergriffen. Niemand wollte bei dem Aufbruch der letzte sein; Vornehme und Geringe liefen durcheinander wie gescheuchtes Wild; keine Autorität, nicht einmal die des Königs, ward noch beachtet und der König selbst fortgerissen in dem wilden Getümmel. Die Verwirrung gewahrend, griff Lucullus an, und fast ohne Widerstand zu leisten ließen die pontischen Scharen sich niedermetzeln. Hätten die Legionen Mannszucht zu halten und ihre Beutegier zu mäßigen vermocht, so wäre kaum ein Mann ihnen entronnen und der König ohne Zweifel selbst gefangen worden. Mit Not entkam Mithradates mit wenigen Begleitern durch die Berge nach Komana (unweit Tokat und der Irisquelle), von wo ihn aber auch bald eine römische Schar unter Marcus Pompeius wiederaufscheuchte und ihn verfolgte, bis er, von nicht mehr als 2000 Reitern begleitet, in Talaura in Klein-Armenien die Grenze seines Reiches überschritt. In dem Reiche des Großkönigs fand er eine Zufluchtsstätte, aber auch nicht mehr (Ende 682 72). Tigranes ließ seinem flüchtigen Schwiegervater zwar königliche Ehre erzeigen, aber er lud ihn nicht einmal an seinen Hof, sondern hielt ihn in der abgelegenen Grenzlandschaft, wo er sich befand, in einer Art von anständiger Haft. Ganz Pontos und Klein-Armenien überschwemmten die römischen Truppen und bis nach Trapezus hinauf unterwarf sich das platte Land ohne Widerstand dem Sieger. Auch die Befehlshaber der königlichen Schatzhäuser ergaben sich nach kürzerem oder längerem Zaudern und lieferten ihre Kassenvorräte aus. Die Frauen des königlichen Harems, die königlichen Schwestern, seine zahlreichen Gemahlinnen und Kebse ließ der König, da sie zu flüchten nicht möglich war, durch einen seiner Verschnittenen in Pharnakeia (Kerasunt) sämtlich töten. Hartnäckigen Widerstand leisteten nur die Städte. Zwar die wenigen im Binnenland, Kabeira, Amaseia, Eupatoria, waren bald in der Gewalt der Römer; aber die größeren Seestädte, Amisos und Sinope in Pontos, Amastris in Paphlagonien, Tios und das pontische Herakleia in Bithynien, wehrten sich wie Verzweifelte, teils begeistert durch die Anhänglichkeit an den König und die von ihm geschirmte freie hellenische Stadtverfassung, teils terrorisiert durch die Scharen der vom König herbeigerufenen Korsaren. Sinope und Herakleia ließen sogar die Schiffe gegen die Römer auslaufen, und das sinopische Geschwader bemächtigte sich einer römischen Flottille, die von der Taurischen Halbinsel für Lucullus' Heer Getreide brachte. Herakleia unterlag erst nach zweijähriger Belagerung, nachdem die römische Flotte der Stadt den Verkehr mit den griechischen Städten auf der Taurischen Halbinsel abgeschnitten hatte und in den Reihen der Besatzung Verräterei ausgebrochen war. Als Amisos aufs äußerste gebracht war, zündete die Besatzung die Stadt an und bestieg unter dem Schutze der Flammen ihre Schiffe. In Sinope, wo der kecke Piratenkapitän Seleukos und der königliche Verschnittene Bakchides die Verteidigung leiteten, plünderte die Besatzung die Häuser, bevor sie abzog, und steckte die Schiffe, die sie nicht mitnehmen konnte, in Brand; es sollen hier, obwohl der größte Teil der Verteidiger sich hatte einschiffen können, doch noch 8000 Korsaren von Lucullus getötet worden sein. Zwei volle Jahre nach der Schlacht von Kabeira und darüber (682-684 72-70) währten diese Städtebelagerungen, die Lucullus großenteils durch seine Unterbefehlshaber betrieb, während er selbst die Verhältnisse der Provinz Asia ordnete, die eine gründliche Reform erheischten und erhielten. Wie geschichtlich merkwürdig auch jener hartnäckige Widerstand der pontischen Kaufstädte gegen die siegreichen Römer ist, so kam doch zunächst wenig dabei heraus; die Sache des Königs Mithradates war darum nicht minder verloren. Der Großkönig hatte offenbar für jetzt wenigstens durchaus nicht die Absicht, ihn in sein Reich zurückzuführen. Die römische Emigration in Asien hatte durch die Vernichtung der ägäischen Flotte ihre Besten eingebüßt; von den Übriggebliebenen hatten nicht wenige, wie zum Beispiel die tätigen Führer Lucius Magius und Lucius Fannius, ihren Frieden mit Lucullus gemacht, und mit dem Tode des Sertorius, der in dem Jahre der Schlacht von Kabeira umkam, schwand die letzte Hoffnung der Emigration. Die eigene Macht Mithradats war vollständig zerschmettert und eine nach der andern brachen ihre noch übrigen Stützen zusammen: auch seine von Kreta und Spanien heimkehrenden Geschwader, siebzig Segel stark, wurden von Triarius bei der Insel Tenedos angegriffen und vernichtet; auch der Statthalter des Bosporanischen Reiches, des Königs eigener Sohn Machares, fiel von ihm ab und schloß als selbständiger Fürst des Taurischen Chersones auf eigene Hand mit den Römern Frieden und Freundschaft (684 70). Der König selbst saß nach nicht allzurühmlicher Gegenwehr in einem entlegenen armenischen Bergschloß, ein Flüchtling aus seinem Reiche und fast ein Gefangener seines Schwiegersohns. Mochten die Korsarenscharen noch auf Kreta sich behaupten und was aus Amisos und Sinope entkommen war, an die schwer zugängliche Ostküste des Schwarzen Meeres zu den Sanigen und Lazen sich retten: Lucullus' geschickte Kriegführung und seine verständige Mäßigung, die es nicht verschmähte, den gerechten Beschwerden der Provinzialen abzuhelfen und die reumütigen Emigranten als Offiziere in seinem Heere anzustellen, hatte mit mäßigen Opfern Kleinasien vom Feinde befreit und das Pontische Reich vernichtet, so daß dasselbe aus einem römischen Klientelstaat in eine römische Provinz verwandelt werden konnte. Eine Kommission des Senats ward erwartet, um in Gemeinschaft mit dem Oberfeldherrn die neue Provinzialorganisation festzustellen.

Aber noch waren die Verhältnisse mit Armenien nicht geschlichtet. Daß eine Kriegserklärung der Römer gegen Tigranes an sich gerechtfertigt, ja geboten war, wurde früher gezeigt. Lucullus, der die Verhältnisse aus größerer Nähe und mit höherem Sinn betrachtete als das Senatorenkollegium in Rom, erkannte deutlich die Notwendigkeit, Armenien über den Tigris zurückzuweisen und die verlorene Herrschaft Roms über das Mittelmeer wiederherzustellen. Er zeigte in der Leitung der asiatischen Angelegenheiten sich als keinen unwürdigen Nachfolger seines Lehrmeisters und Freundes Sulla; Philhellene wie wenige Römer seiner Zeit, war er nicht unempfänglich für die Verpflichtung, die Rom mit der Erbschaft Alexanders übernommen hatte: Schild und Schwert der Griechen im Osten zu sein. Persönliche Beweggründe, der Wunsch, auch jenseits des Euphrat Lorbeeren zu ernten, die Empfindlichkeit darüber, daß der Großkönig in einem Schreiben an ihn den Imperatorentitel weggelassen, können freilich Lucullus mitbestimmt haben; allein es ist ungerecht, kleinliche und egoistische Motive für Handlungen anzunehmen, zu deren Erklärung die pflichtmäßigen vollkommen ausreichen. Indes von dem ängstlichen, lässigen, schlecht unterrichteten und vor allen Dingen von ewiger Finanznot bedrängten römischen Regierungskollegium ließ sich nimmermehr erwarten, daß es, ohne unmittelbar dazu genötigt zu sein, die Initiative zu einer so weitschichtigen und kostspieligen Expedition ergreifen werde. Um das Jahr 682 (72) waren die legitimen Repräsentanten der Seleukidendynastie, Antiochos, der Asiate genannt, und dessen Bruder, veranlaßt durch die günstige Wendung des Pontischen Krieges, nach Rom gegangen, um eine römische Intervention in Syrien und nebenbei die Anerkennung ihrer Erbansprüche auf Ägypten zu erwirken. Wenn die letztere Anforderung nicht gewährt werden konnte, so ließen doch der Augenblick wie die Veranlassung sich nicht günstiger finden, um den längst notwendigen Krieg gegen Tigranes zu beginnen. Allein der Senat hatte die Prinzen wohl als die rechtmäßigen Könige Syriens anerkannt, aber sich nicht entschließen können, die bewaffnete Intervention zu verfügen. Sollte die gute Gelegenheit benutzt und gegen Armenien Ernst gemacht werden, so mußte Lucullus den Krieg ohne eigentlichen Auftrag des Senats auf eigene Hand und eigene Gefahr beginnen; auch er sah sich ebenwie Sulla in die Notwendigkeit versetzt, was er im offenbarsten Interesse der bestehenden Regierung tat, nicht mit ihr, sondern ihr zum Trotz ins Werk zu setzen. Erleichtert ward ihm der Entschluß durch die seit langem unklar zwischen Krieg und Frieden schwankenden Verhältnisse Roms zu Armenien, welche die Eigenmächtigkeit seines Verfahrens einigermaßen bedeckten und es an formellen Kriegsgründen nicht fehlen ließen. Die kappadokischen und syrischen Zustände boten Anlässe genug, und es hatten auch schon bei der Verfolgung des pontischen Königs römische Truppen das Gebiet des Großkönigs verletzt. Da indes Lucullus' Auftrag auf Führung des Krieges gegen Mithradates ging und er hieran anzuknüpfen wünschte, so zog er es vor, einen seiner Offiziere, Appius Claudius, an den Großkönig nach Antiochien zu senden, um Mithradates' Auslieferung zu fordern, was denn freilich zum Kriege führen mußte. Der Entschluß war ernst, zumal bei der Beschaffenheit der römischen Armee. Es war unvermeidlich, während des Feldzugs in Armenien das ausgedehnte pontische Gebiet stark besetzt zu halten, da sonst dem in Armenien stehenden Heer die Verbindung mit der Heimat verloren ging und überdies ein Einfall Mithradats in sein ehemaliges Reich leicht vorherzusehen war. Offenbar reichte die Armee, an deren Spitze Lucullus den Mithradatischen Krieg beendigt hatte, von beiläufig 30000 Mann für diese verdoppelte Aufgabe nicht aus. Unter gewöhnlichen Verhältnissen würde der Feldherr von seiner Regierung die Nachsendung einer zweiten Armee erbeten und erhalten haben; allein da Lucullus den Krieg der Regierung über den Kopf nehmen wollte und gewissermaßen mußte, sah er sich genötigt, hierauf zu verzichten und, ob er gleich selbst die gefangenen thrakischen Söldner des pontischen Königs seinen Truppen einreihte, dennoch mit nicht mehr als zwei Legionen oder höchstens 15000 Mann den Krieg über den Euphrat zu tragen. Schon dies war bedenklich; indes die Geringfügigkeit der Zahl mochte durch die erprobte Tapferkeit der durchaus aus Veteranen bestehenden Armee einigermaßen ersetzt werden. Weit schlimmer war die Stimmung der Soldaten, auf die Lucullus in seiner hochadligen Art viel zu wenig Rücksicht nahm. Lucullus war ein tüchtiger General und – nach aristokratischem Maßstab – ein rechtschaffener und wohlwollender Mann, aber nichts weniger als beliebt bei seinen Soldaten. Er war unpopulär als entschiedener Anhänger der Oligarchie, unpopulär, weil er in Kleinasien der greulichen Wucherei der römischen Kapitalisten nachdrücklich gesteuert hatte, unpopulär wegen der Arbeiten und Strapazen, die er dem Soldaten zumutete, unpopulär, weil er von seinen Soldaten strenge Mannszucht forderte und die Plünderung der griechischen Städte durch seine Leute möglichst verhinderte, daneben aber doch für sich selber manchen Wagen und manches Kamel mit den Schätzen des Ostens beladen ließ, unpopulär wegen seiner feinen, vornehmen, hellenisierenden, durchaus nicht kameradschaftlichen und, wo immer möglich, zu bequemem Wohlleben sich hinneigenden Weise. Nicht eine Spur des Zaubers war in ihm, der zwischen dem Feldherrn und dem Soldaten ein persönliches Band schlingt. Hierzu kam endlich, daß ein großer Teil seiner tüchtigsten Soldaten alle Ursache hatte, sich über die maßlose Verlängerung ihrer Dienstzeit zu beschweren. Seine beiden besten Legionen waren ebendiejenigen, die Flaccus und Fimbria 668 (86) nach dem Osten geführt hatten; ungeachtet ihnen vor kurzem nach der Schlacht von Kabeira der durch dreizehn Feldzüge wohlverdiente Abschied zugesichert worden war, führte sie Lucullus jetzt dennoch über den Euphrat, einem neuen unabsehbaren Krieg entgegen – es schien, als wolle man die Sieger von Kabeira schlimmer behandeln als die Geschlagenen von Cannae. Daß mit so schwachen und so gestimmten Truppen ein Feldherr auf eigene Faust und streng genommen verfassungswidrig eine Expedition begann in ein fernes und unbekanntes Land voll reißender Ströme und schneebedeckter Berge, das schon durch seine gewaltige Ausdehnung jeden leichtsinnig unternommenen Angriff gefährlich machte, war in der Tat mehr als gewagt. Vielfach und nicht ohne Grund wurde deshalb Lucullus' Verfahren in Rom getadelt; nur hätte man dabei nicht verschweigen sollen, daß zunächst die Verkehrtheit der Regierung dieses verwegene Vorgehen des Feldherrn veranlaßte und dasselbe wo nicht rechtfertigte, doch entschuldbar machte.

Schon die Sendung des Appius Claudius hatte neben der Aufgabe, den Krieg diplomatisch zu motivieren, den Zweck gehabt, die Fürsten und Städte zunächst Syriens gegen den Großkönig unter die Waffen zu bringen; im Frühling 685 (69) erfolgte der förmliche Angriff. Während des Winters hatte der König von Kappadokien im stillen für Transportschiffe gesorgt; auf diesen ward der Euphrat bei Melitene überschritten und der Marsch dann weiter über die Tauruspässe auf den Tigris gerichtet. Auch diesen überschritt Lucullus in der Gegend von Amida (Diarbekr) und rückte weiter vor auf die Straße zu, welche die an der südlichen Grenze Armeniens neu gegründete zweite Hauptstadt TigranokertaDaß Tigranokerta in der Gegend von Mardin etwa zwei Tagemärsche westlich von Nisibis gelegen hat, hat die von K. E. Sachau (Über die Lage von Tigranokerta, Abh. der Berliner Akademie, 1880) an Ort und Stelle angestellte Untersuchung erwiesen, wenn auch die von Sachau vorgeschlagene genauere Fixierung der Örtlichkeit nicht außer Zweifel ist. Dagegen steht seiner Auseinandersetzung über den Feldzug Luculls das Bedenken entgegen, daß auf der dabei angenommenen Route von einer Überschreitung des Tigris in der Tat nicht die Rede sein kann. mit der alten Metropole Artaxata verband. Bei jener stand der Großkönig, kurz zuvor aus Syrien zurückgekommen, nachdem er die Verfolgung seiner Eroberungspläne am Mittelmeer wegen der Verwicklung mit den Römern vorläufig vertagt hatte. Eben entwarf er einen Einfall in das römische Kleinasien von Kilikien und Lykaonien aus und überlegte bei sich, ob die Römer Asien sofort räumen oder vorher noch, etwa bei Ephesos, sich ihm zur Schlacht stellen würden, als ihm die Nachricht von dem Anmarsche Luculls gebracht ward, welcher ihn von der Verbindung mit Artaxata abzuschneiden drohte. Er ließ den Boten aufknüpfen, aber die lästige Wirklichkeit blieb wie sie war; so verließ er denn die neue Hauptstadt und begab sich in das innere Armenien, um dort, was bis jetzt nicht geschehen war, gegen die Römer zu rüsten. Inzwischen sollte Mithrobarzanes mit den eben zur Verfügung stehenden Truppen in Verbindung mit den schleunigst aufgebotenen benachbarten Beduinenstämmen die Römer beschäftigen. Allein das Korps des Mithrobarzanes ward schon von dem römischen Vortrab, die Araber von einem Detachement unter Sextilius zersprengt; Lucullus gewann die von Tigranokerta nach Artaxata führende Straße, und während auf dem rechten Tigrisufer ein römisches Detachement den nordwärts abziehenden Großkönig verfolgte, ging er selbst auf das linke über und rückte vor Tigranokerta. Der nie versiegende Pfeilregen, mit dem die Besatzung das römische Heer überschüttete, und die Anzündung der Belagerungsmaschinen durch Naphtha weihten hier die Römer ein in die neuen Gefahren der iranischen Kriege, und der tapfere Kommandant Mankäos behauptete die Stadt, bis endlich die große königliche Entsatzarmee aus allen Teilen des weiten Reiches und den angrenzenden, den armenischen Werbern offenstehenden Landschaften versammelt und durch die nordöstlichen Pässe zum Entsatz der Hauptstadt herangerückt war. Der in den Kriegen Mithradats erprobte Führer Taxiles riet, die Schlacht zu vermeiden und die kleine römische Schar durch die Reiterei zu umstellen und auszuhungern. Allein als der König den römischen Feldherrn, der sich entschieden hatte, die Schlacht zu liefern, ohne darum die Belagerung aufzuheben, mit nicht viel mehr als 10000 Mann gegen die zwanzigfache Übermacht ausrücken und keck das Gewässer überschreiten sah, das beide Heere trennte; als er auf der einen Seite diese kleine Schar überblickte, "zur Gesandtschaft zu viel, zum Heere zu wenig", auf der andern seine ungeheuren Heerhaufen, in denen die Völker vom Schwarzen und vom Kaspischen mit denen vom Mittelmeer und vom Persischen Golf sich begegneten, deren gefürchtete eisenbedeckte Lanzenreiter allein zahlreicher waren als Lucullus' ganzes Heer und in denen es auch an römisch gerüstetem Fußvolk nicht mangelte: da entschloß er sich, die vom Feinde begehrte Schlacht ungesäumt anzunehmen. Während aber die Armenier noch sich dazu ordneten, erkannte Lucullus' scharfes Auge, daß sie es versäumt hatten, eine Höhe zu besetzen, die ihre ganze Reiterstellung beherrschte: er eilte sie mit zwei Kohorten einzunehmen, indem zugleich seine schwache Reiterei durch einen Flankenangriff die Aufmerksamkeit der Feinde von dieser Bewegung ablenkte, und sowie er oben angekommen war, führte er seinen kleinen Haufen der feindlichen Reiterei in den Rücken. Sie ward gänzlich zersprengt und warf sich auf die noch nicht völlig geordnete Infanterie, die davonlief, ohne auch nur zum Schlagen zu kommen. Das Bulletin des Siegers, daß 100000 Armenier und 5 Römer gefallen seien und der König Turban und Stirnbinde von sich werfend unerkannt mit wenigen Reitern davongesprengt sei, ist im Stile seines Meisters Sulla abgefaßt; allein nichtdestoweniger bleibt der am 6. Oktober 685 (69) vor Tigranokerta erfochtene Sieg einer der glänzendsten Sterne in der ruhmreichen Kriegsgeschichte Roms; und er war nicht minder erfolgreich als glänzend. Alle südlich vom Tigris den Parthern oder den Syrern entrissenen Landschaften waren damit strategisch den Armeniern verloren und gingen größtenteils ohne weiteres über in den Besitz des Siegers. Die neu erbaute zweite Hauptstadt selber machte den Anfang. Die in ihr sehr zahlreichen griechischen Zwangsansiedler empörten sich gegen die Besatzung und öffneten dem römischen Heere die Pforten der Stadt, die den Soldaten zur Plünderung preisgegeben ward. Sie war geschaffen für das neue Großreich und ward wie dieses von dem Sieger vertilgt. Aus Kilikien und Syrien hatte der armenische Satrap Magadates bereits alle Truppen herausgezogen, um die Entsatzarmee vor Tigranokerta zu verstärken. Lucullus rückte in die nördlichste Landschaft Syriens Kommagene ein und erstürmte die Hauptstadt Samosata; bis in das eigentliche Syrien kam er nicht, doch langten von den Dynasten und Gemeinden bis zum Roten Meere hinab, von Hellenen, Syrern, Juden, Arabern, Gesandte an, um den Römern als den neuen Oberherren zu huldigen. Selbst der Fürst von Corduene, der östlich von Tigranokerta gelegenen Landschaft, unterwarf sich; wogegen freilich in Nisibis und damit in Mesopotamien der Bruder des Großkönigs Guras sich behauptete. Durchaus trat Lucullus auf als Schirmherr der hellenischen Fürsten und Bürgerschaften; in Kommagene setzte er einen Prinzen des seleukidischen Hauses, Antiochos, auf den Thron; Antiochos den Asiaten, der nach dem Abzug der Armenier nach Antiocheia zurückgekehrt war, erkannte er an als König von Syrien; die gezwungenen Ansiedler von Tigranokerta entließ er wieder in ihre Heimatorte. Die unermeßlichen Vorräte und Schätze des Großkönigs – an Getreide wurden 30 Millionen Medimnen, an Geld allein in Tigranokerta 8000 Talente (12½ Mill. Taler) erbeutet – machten es Lucullus möglich, die Kosten des Krieges zu bestreiten, ohne die Staatskasse in Anspruch zu nehmen, und jedem seiner Soldaten außer reichlichster Verpflegung noch eine Verehrung von 800 Denaren (240 Taler) zu machen.

Der Großkönig war tief gedemütigt. Er war ein schwächlicher Charakter, übermütig im Glück, im Unglück verzagt; wahrscheinlich würde zwischen ihm und Lucullus ein Abkommen zustande gekommen sein, das der Großkönig mit ansehnlichen Opfern zu erkaufen, der römische Feldherr unter leidlichen Bedingungen zu gewähren beide alle Ursache hatten, wenn der alte Mithradates nicht gewesen wäre. Dieser hatte nicht teilgenommen an den Kämpfen um Tigranokerta. Durch die zwischen dem Großkönig und den Römern eingetretene Spannung nach zwanzigmonatlicher Haft um die Mitte des Jahres 684 (70) befreit, war er mit 10000 armenischen Reitern in sein ehemaliges Reich abgesandt worden, um die Kommunikationen des Feindes zu bedrohen. Zurückgerufen, noch ehe er hier etwas ausrichten konnte, als der Großkönig seine gesamte Macht aufbot, um die von ihm erbaute Hauptstadt zu entsetzen, kamen bei seinem Eintreffen vor Tigranokerta ihm schon die vom Schlachtfeld flüchtenden Haufen entgegen. Vom Großkönig bis zum gemeinen Soldaten schien allen alles verloren. Wenn aber Tigranes jetzt Frieden machte, so schwand für Mithradates nicht bloß die letzte Möglichkeit der Wiedereinsetzung in sein Reich, sondern seine Auslieferung war ohne Zweifel die erste Bedingung des Friedens; und sicher würde Tigranes gegen ihn nicht anders gehandelt haben als Bocchus einst gegen Jugurtha. Seine ganze Persönlichkeit setzte darum der König ein, um diese Wendung zu verhindern und den armenischen Hof zur Fortführung des Krieges zu bestimmen, bei der er nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatte; und flüchtig und entthront wie Mithradates war, war sein Einfluß an diesem Hofe nicht gering. Noch war er ein stattlicher und gewaltiger Mann, der, obwohl schon über sechzig Jahre alt, sich in voller Rüstung auf das Pferd schwang und im Handgemenge gleich dem Besten seinen Mann stand. Seinen Geist schienen die Jahre und die Schicksale gestählt zu haben: während er in früheren Zeiten seine Heerführer aussandte und selbst an dem Kriege nicht unmittelbar teilnahm, finden wir fortan als Greis ihn in der Schlacht selber befehligen und selber fechten. Ihm, der während seines fünfzigjährigen Regiments so viele unerhörte Glückswechsel erlebt hatte, schien die Sache des Großkönigs durch die Niederlage von Tigranokerta noch keineswegs verloren, vielmehr Lucullus' Stellung sehr schwierig und, wenn es jetzt nicht zum Frieden kam und der Krieg in zweckmäßiger Weise fortgeführt ward, sogar in hohem Maße bedenklich. Der vielerfahrene Greis, der fast wie ein Vater dem Großkönig gegenüberstand und jetzt persönlich auf denselben zu wirken vermochte, bezwang den schwachen Mann durch seine Energie und bestimmte ihn, nicht nur sich für die Fortsetzung des Krieges zu entscheiden, sondern auch ihn selber mit dessen politischer und militärischer Leitung zu betrauen. Aus einem Kabinettskrieg sollte der König jetzt ein national asiatischer werden, die Könige und die Völker Asiens sich vereinigen gegen die übermächtigen und übermütigen Okzidentalen. Es wurden die größten Anstrengungen gemacht, die Armenier und die Parther miteinander zu versöhnen und sie zum gemeinschaftlichen Kampfe gegen Rom zu bestimmen. Auf Mithradates' Betrieb erbot sich Tigranes, dem Arsakiden Phraates, dem Gott (regierte seit 684 70), die von den Armeniern eroberten Landschaften Mesopotamien, Adiabene, die "großen Täler", zurückzugeben und mit ihm Freundschaft und Bündnis zu machen. Allein nach allem, was vorhergegangen war, konnte dieses Anerbieten kaum auf eine günstige Aufnahme rechnen; Phraates zog es vor, die Euphratgrenze durch einen Vertrag nicht mit den Armeniern, sondern mit den Römern sich zu sichern und zuzusehen, wie sich der verhaßte Nachbar und der unbequeme Fremdling untereinander aufrieben. Mit größerem Erfolg als an die Könige wandte Mithradates sich an die Völker des Ostens. Es hielt nicht schwer, den Krieg darzustellen als einen nationalen des Orients gegen den Okzident, denn er war es; gar wohl konnte er auch zum Religionskrieg gemacht und die Rede verbreitet werden, daß das Ziel des Lucullischen Heeres der Tempel der persischen Nanäa oder Anaitis in Elymais oder dem heutigen Luristan sei, das gefeiertste und das reichste Heiligtum der ganzen EuphratlandschaftCicero (imp. Cn. Pomp. 9, 23) meint schwerlich einen anderen als einen der reichen Tempel der Landschaft Elymais, wohin die Raubzüge der syrischen wie der parthischen Könige regelmäßig sich richteten (Strab. 16, 744; Polyb. 31, 11; 1. Makk. 6 u. a. m.), und wahrscheinlich diesen als den bekanntesten; auf keinen Fall darf an den Tempel von Komana oder überhaupt irgendein Heiligtum im Pontischen Reiche gedacht werden.. Scharenweise drängten sich von nah und fern die Asiaten unter die Banner der Könige, welche sie aufriefen, den Osten und seine Götter vor den gottlosen Fremdlingen zu schirmen. Allein die Tatsachen hatten gezeigt, daß das bloße Zusammentreiben ungeheurer Heerhaufen nicht allein fruchtlos war, sondern durch die Einfügung in dieselben selbst die wirklich marschier- und schlagfähigen Scharen unbrauchbar gemacht und in das allgemeine Verderben mitverwickelt wurden. Mithradates suchte vor allem die Waffe auszubilden, die zugleich die schwächste der Okzidentalen und die stärkste der Asiaten war, die Reiterei: in der von ihm neugebildeten Armee war die Hälfte der Mannschaft beritten. Für den Dienst zu Fuß las er aus der Masse der aufgebotenen oder freiwillig sich meldenden Rekruten die dienstfähigen Leute sorgfältig aus und ließ diese durch seine pontischen Offiziere dressieren. Das ansehnliche Heer, das bald wieder unter den Fahnen des Großkönigs zusammenstand, war aber nicht bestimmt, auf der ersten Walstatt mit den römischen Veteranen sich zu messen, sondern sich auf die Verteidigung und auf den kleinen Krieg zu beschränken. Schon den letzten Krieg in seinem Reiche hatte Mithradates stetig zurückweichend und die Schlacht vermeidend geführt; auch diesmal wurde eine ähnliche Taktik angenommen und zum Kriegsschauplatz das eigentliche Armenien bestimmt, das vom Feinde noch vollkommen unberührte Erbland des Tigranes, durch seine physische Beschaffenheit ebenso wie durch den Patriotismus seiner Bewohner vortrefflich für diese Kriegsweise geeignet.

Das Jahr 686 (68) fand Lucullus in einer schwierigen und täglich bedenklicher sich gestaltenden Lage. Trotz seiner glänzenden Siege war man in Rom durchaus nicht mit ihm zufrieden. Der Senat empfand die Eigenmächtigkeit seines Verfahrens; die von ihm empfindlich verletzte Kapitalistenpartei setzte alle Mittel der Intrige und Bestechung in Bewegung, um seine Abberufung durchzusetzen. Täglich erscholl der Markt der Hauptstadt von gerechten und ungerechten Beschwerden über den tollkühnen, den habsüchtigen, den unrömischen, den hochverräterischen Feldherrn. Den Klagen über die Vereinigung einer so grenzenlosen Macht, zweier ordentlicher Statthalterschaften und eines wichtigen außerordentlichen Kommandos, in der Hand eines solchen Mannes gab auch der Senat insoweit nach, daß er die Provinz Asia einem der Prätoren, die Provinz Kilikien nebst drei neu ausgehobenen Legionen dem Konsul Quintus Marcius Rex bestimmte, und den Feldherrn auf das Kommando gegen Mithradates und Tigranes beschränkte.

Diese in Rom gegen den Feldherrn sich erhebenden Anklagen fanden einen gefährlichen Widerhall in den Quartieren am Iris und am Tigris: um so mehr, als einzelne Offiziere, darunter der eigene Schwager des Feldherrn, Publius Clodius, in diesem Sinne die Soldaten bearbeiteten. Das ohne Zweifel von diesen in Umlauf gesetzte Gerücht, daß Lucullus jetzt mit dem Pontisch-Armenischen Krieg noch eine Expedition gegen die Parther zu verbinden gedenke, nährte die Erbitterung der Truppen. Während aber also die schwierige Stimmung der Regierung wie der Soldaten den siegreichen Feldherrn mit Abberufung und Meuterei bedrohte, fuhr er selber fort, dem verzweifelten Spieler gleich, seinen Einsatz und sein Wagen zu steigern. Zwar gegen die Parther zog er nicht; aber als Tigranes sich weder bereit zeigte, Frieden zu machen, noch, wie Lucullus es wünschte, eine zweite Hauptschlacht zu bestehen, entschloß sich Lucullus von Tigranokerta durch die schwierige Berglandschaft am östlichen Ufer des Wansees in das Tal des östlichen Euphrat (oder des Arsanias, jetzt Murad Tschai) und aus diesem in das des Araxes vorzudringen, wo, am nördlichen Abhang des Ararat, die Hauptstadt des eigentlichen Armeniens Artaxata mit dem Erbschloß und dem Harem des Königs lag. Er hoffte den König durch die Bedrohung seiner angestammten Residenz entweder unterwegs oder mindestens doch vor Artaxata zum Schlagen zu zwingen. Unumgänglich notwendig war es freilich, bei Tigranokerta eine Abteilung zurückzulassen; und da das Marschheer unmöglich noch weiter vermindert werden konnte, so blieb nichts übrig als die Stellung im Pontos zu schwächen und von dort Truppen nach Tigranokerta zu berufen. Die Hauptschwierigkeit aber war die für militärische Unternehmungen so unbequeme Kürze des armenischen Sommers. Auf der armenischen Hochebene, die 5000 Fuß und mehr über der Meeresfläche liegt, sproßt bei Erzerum das Korn erst Anfang Juni, und mit der Ernte im September stellt auch schon der Winter sich ein; in höchstens vier Monaten mußte Artaxata erreicht und die Kampagne beendigt sein.

Im Mittsommer 686 (68) brach Lucullus von Tigranokerta auf und gelangte, ohne Zweifel durch den Bitlispaß und weiter westlich am Wansee hinauf marschierend, auf das Plateau von Musch und an den Euphrat. Der Marsch ging, unter beständigen sehr lästigen Scharmützeln mit der feindlichen Reiterei, namentlich den berittenen Bogenschützen, langsam, aber ohne wesentliches Hindernis vonstatten, und auch der Euphratübergang, den die armenische Reiterei ernstlich verteidigte, ward durch ein glückliches Treffen erzwungen; die armenische Infanterie zeigte sich, aber es glückte nicht, sie in das Gefecht zu verwickeln. So gelangte die Armee auf die eigentliche Hochebene Armeniens und marschierte weiter hinein in das unbekannte Land. Man hatte keinen eigentlichen Unfall erlitten; aber die bloße unabwendbare Verzögerung des Marsches durch die Terrainschwierigkeiten und die feindlichen Reiter war an sich schon ein sehr empfindlicher Nachteil. Lange bevor man Artaxata erreicht hatte, brach der Winter herein; und wie die italischen Soldaten Schnee und Eis um sich sahen, riß der allzu straff gespannte Bogen der militärischen Zucht. Eine förmliche Meuterei nötigte den Feldherrn, den Rückzug anzuordnen, den er mit seiner gewöhnlichen Geschicklichkeit bewerkstelligte. Glücklich angekommen in Mesopotamien, wo die Jahreszeit noch weitere Unternehmungen gestattete, überschritt Lucullus den Tigris und warf sich mit der Masse seines Heeres auf die letzte hier den Armeniern gebliebene Stadt Nisibis. Der Großkönig, gewitzigt durch die vor Tigranokerta gemachte Erfahrung, überließ die Stadt sich selbst; trotz ihrer tapferen Verteidigung ward sie in einer finsteren Regennacht von den Belagerern erstürmt und Lucullus' Heer fand daselbst nicht minder reiche Beute und nicht minder bequeme Winterquartiere wie das Jahr vorher in Tigranokerta. Allein inzwischen fiel die ganze Gewalt der feindlichen Offensive auf die schwachen, im Pontos und in Armenien zurückgebliebenen römischen Korps. Hier zwang Tigranes den römischen Befehlshaber Lucius Fannius – denselben, der früher zwischen Sertorius und Mithradates den Vermittler gemacht hatte –, sich in eine Festung zu werfen und hielt ihn darin belagert. Dort rückte Mithradates ein mit 4000 armenischen und 4000 eigenen Reitern und rief als Befreier und Rächer die Nation auf gegen den Landesfeind. Alles fiel ihm zu; die zerstreuten römischen Soldaten wurden überall aufgehoben und getötet; als der römische Kommandant im Pontos, Hadrianus, seine Truppen gegen ihn führte, machten die ehemaligen Söldner des Königs und die zahlreichen, als Sklaven dem Heere folgenden Pontiker gemeinschaftliche Sache mit dem Feind. Zwei Tage nacheinander währte der ungleiche Kampf; nur daß der König nach zwei empfangenen Wunden vom Schlachtfeld weggetragen werden mußte, gab dem römischen Befehlshaber die Möglichkeit, die so gut wie verlorene Schlacht abzubrechen und mit dem kleinen Rest seiner Leute sich nach Kabeira zu werfen. Ein anderer von Lucullus' Unterbefehlshabern, der zufällig in diese Gegend kam, der entschlossene Triarius, sammelte zwar wieder einen Heerhaufen um sich und lieferte dem König ein glückliches Gefecht; allein er war viel zu schwach, um ihn wieder vom pontischen Boden zu vertreiben und mußte es geschehen lassen, daß der König Winterquartiere in Komana nahm.

So kam das Frühjahr 687 (67) heran. Die Vereinigung der Armee in Nisibis, die Muße der Winterquartiere, die häufige Abwesenheit des Feldherrn hatten die Unbotmäßigkeit der Truppen inzwischen noch gesteigert; sie verlangten nicht bloß ungestüm, zurückgeführt zu werden, sondern es war bereits ziemlich offenbar, daß sie, wenn der Feldherr sich weigerte, sie heimzuführen, von selbst aufbrechen würden. Die Vorräte waren knapp; Fannius und Triarius sandten in ihrer bedrängten Lage die inständigsten Bitten um Hilfeleistung an den Oberfeldherrn. Schweren Herzens entschloß sich Lucullus, der Notwendigkeit zu weichen, Nisibis und Tigranokerta aufzugeben und, auf all die glänzenden Hoffnungen seiner armenischen Expedition verzichtend, zurückzukehren auf das rechte Ufer des Euphrat. Fannius wurde befreit; im Pontos aber war es schon zu spät. Triarius, nicht stark genug, um mit Mithradates zu schlagen, hatte bei Gaziura (Turksal am Iris, westlich von Tokat) eine feste Stellung genommen, während das Gepäck bei Dadasa zurückblieb. Als indes Mithradates den letzteren Ort belagerte, zwangen die römischen Soldaten, um ihre Habseligkeiten besorgt, den Führer, seine gesicherte Stellung zu verlassen und zwischen Gaziura und Ziela (Zilleh) auf den Skotischen Anhöhen dem König eine Schlacht zu liefern. Was Triarius vorhergesehen hatte trat ein: trotz der tapfersten Gegenwehr durchbrach der Flügel, den der König persönlich führte, die römische Linie und drängte das Fußvolk in eine lehmige Schlucht zusammen, in der es weder vor noch seitwärts rücken konnte und erbarmungslos niedergehauen ward. Zwar ward durch einen römischen Centurio, der dafür sein Leben opferte, der König auf den Tod verwundet; aber die Niederlage war darum nicht minder vollständig. Das römische Lager ward genommen; der Kern des Fußvolks, fast alle Ober- und Unteroffiziere bedeckten den Boden; die Leichen blieben unbegraben auf dem Schlachtfeld liegen, und als Lucullus auf dem rechten Euphratufer ankam, erfuhr er nicht von den Seinigen, sondern durch die Berichte der Eingeborenen die Niederlage.

Hand in Hand mit dieser Niederlage ging der Ausbruch der Militärverschwörung. Ebenjetzt traf aus Rom die Nachricht ein, daß das Volk beschlossen habe, den Soldaten, deren gesetzmäßige Dienstzeit abgelaufen sei, das heißt den Fimbrianern, den Abschied zu bewilligen und einem der Konsuln des laufenden Jahres den Oberbefehl in Bithynien und Pontus zu übertragen; schon war der Nachfolger Luculls, der Konsul Manius Acilius Glabrio, in Kleinasien gelandet. Die Verabschiedung der tapfersten und unruhigsten Legionen und die Abberufung des Oberfeldherrn in Verbindung mit dem Eindruck der Niederlage von Ziela lösten in dem Heer alle Bande der Autorität auf, eben da der Feldherr ihrer am notwendigsten bedurfte. Bei Talaura in Klein-Armenien stand er den pontischen Truppen gegenüber, an deren Spitze Tigranes' Schwiegersohn, Mithradates von Medien, den Römern bereits ein glückliches Reitergefecht geliefert hatte; ebendahin war von Armenien her die Hauptmacht des Großkönigs in Anmarsch. Lucullus sandte an den neuen Statthalter von Kilikien, Quintus Marcius, der auf dem Marsch nach seiner Provinz soeben mit drei Legionen in Lykaonien angelangt war, um von ihm Hilfe zu erhalten; derselbe erklärte, daß seine Soldaten sich weigerten, nach Armenien zu marschieren. Er sandte an Glabrio mit dem Ersuchen, den ihm vom Volke übertragenen Oberbefehl zu übernehmen; derselbe bezeigte noch weniger Lust, dieser jetzt so schwierig und gefährlich gewordenen Aufgabe sich zu unterziehen. Lucullus, genötigt den Oberbefehl zu behalten, befahl, um nicht bei Talaura zugleich gegen die Armenier und die Pontiker schlagen zu müssen, den Aufbruch gegen das anrückende armenische Heer. Die Soldaten kamen dem Marschbefehl nach; allein da angelangt, wo die Straßen nach Armenien und nach Kappadokien sich schieden, schlug die Masse des Heeres die letztere ein und begab sich in die Provinz Asia. Hier begehrten die Fimbrianer ihren augenblicklichen Abschied; und obwohl sie auf die inständige Bitte des Oberfeldherrn und der übrigen Korps hiervon wieder abließen, beharrten sie doch dabei, wenn der Winter herankäme, ohne daß ihnen ein Feind gegenüberstände, sich auflösen zu wollen; was denn auch geschah. Mithradates besetzte nicht bloß abermals fast sein ganzes Königreich, sondern seine Reiter streiften durch ganz Kappadokien und bis nach Bithymen; gleich vergeblich bat König Ariobarzanes bei Quintus Marcius, bei Lucullus und bei Glabrio um Hilfe. Es war ein seltsamer, fast unglaublicher Ausgang des in so glorreicher Weise geführten Krieges. Wenn man bloß auf die militärischen Leistungen sieht, so hat kaum ein anderer römischer General mit so geringen Mitteln so viel ausgerichtet wie Lucullus; das Talent und das Glück Sullas schienen auf diesen seinen Schüler sich vererbt zu haben. Daß unter den obwaltenden Verhältnissen das römische Heer aus Armenien unversehrt nach Kleinasien zurückkam, ist ein militärisches Wunderwerk, das, soweit wir urteilen können, den Xenophontischen Rückzug weit übertrifft und wohl zunächst aus der Solidität des römischen und der Untüchtigkeit des orientalischen Kriegswesens sich erklärt, aber doch unter allen Umständen dem Leiter dieses Zuges einen ehrenvollen Platz unter den militärischen Kapazitäten ersten Ranges sichert. Wenn Lucullus' Name gewöhnlich nicht unter diesen genannt wird, so liegt die Ursache allem Anschein nach nur darin, daß teils kein militärisch auch nur leidlicher Bericht über seine Feldzüge auf uns gekommen ist, teils überall, und vor allem im Kriege, zunächst nichts gilt als das schließliche Resultat, und dies freilich kam einer vollständigen Niederlage gleich. Durch die letzte unglückliche Wendung der Dinge, hauptsächlich durch die Meuterei der Soldaten, waren alle Erfolge eines achtjährigen Krieges wieder verloren worden; man stand im Winter 687/88 (67/66) genau wieder an demselben Fleck wie im Winter 679/80 (75/74).

Nicht bessere Resultate als der Kontinentalkrieg lieferte der Seekrieg gegen die Piraten, der mit demselben zugleich begann und beständig mit ihm in der engsten Verbindung stand. Es ward bereits erzählt, daß der Senat im Jahre 680 (74) den verständigen Beschluß faßte, die Säuberung der Meere von den Korsaren einem einzigen höchstkommandierenden Admiral, dem Prätor Marcus Antonius, zu übertragen. Allein gleich von vornherein hatte man sich in der Wahl des Führers durchaus vergriffen, oder vielmehr diejenigen, welche diese an sich zweckmäßige Maßregel durchgesetzt hätten, hatten nicht berechnet, daß im Senat alle Personenfragen durch Cethegus' Einfluß und ähnliche Koterierücksichten entschieden wurden. Man hatte ferner versäumt, den gewählten Admiral in einer seiner umfassenden Aufgabe angemessenen Weise mit Geld und Schiffen auszustatten, so daß er durch seine ungeheuren Requisitionen den befreundeten Provinzialen fast ebenso lästig fiel wie die Korsaren. Die Erfolge waren entsprechend. In den kampanischen Gewässern brachte die Flotte des Antonius eine Anzahl Piratenschiffe auf. Mit den Kretensern aber, die mit den Piraten Freundschaft und Bündnis gemacht hatten und seine Forderung, von dieser Gemeinschaft abzulassen, schroff zurückwiesen, kam es zum Gefecht; und die Ketten, die Antonius vorsorglich auf seinen Schiffen in Vorrat gelegt hatte, um die gefangenen Flibustier damit zu fesseln, dienten dazu, den Quästor und die übrigen römischen Gefangenen an die Masten der eroberten römischen Schiffe zu schließen, als die kretischen Feldherren Lasthenes und Panares aus dem bei ihrer Insel den Römern gelieferten Seetreffen triumphierend nach Kydonia zurücksteuerten. Antonius, nachdem er mit seiner leichtsinnigen Kriegführung ungeheure Summen vergeudet und nicht das geringste ausgerichtet hatte, starb im Jahre 683 (71) auf Kreta. Teils der schlechte Erfolg seiner Expedition, teils die Kostbarkeit des Flottenbaus, teils der Widerwille der Oligarchie gegen jede umfassendere Beamtenkompetenz bewirkten, daß man nach der faktischen Beendigung dieser Unternehmung durch Antonius' Tod keinen Oberadmiral wieder ernannte und auf die alte Weise zurückkam, jeden Statthalter in seiner Provinz für die Unterdrückung der Piraterie sorgen zu lassen; wie denn zum Beispiel die von Lucullus hergestellte Flotte hierfür im Ägäischen Meer tätig war. Nur was die Kreter anbetrifft, schien eine Schmach wie die vor Kydonia erlittene doch selbst diesem gesunkenen Geschlecht allein durch die Kriegserklärung beantwortet werden zu können. Dennoch hätten die kretischen Gesandten, die im Jahre 684 (70) in Rom mit der Bitte erschienen, die Gefangenen zurücknehmen und das alte Bündnis wieder herstellen zu wollen, fast einen günstigen Senatsbeschluß erlangt; was die ganze Korporation eine Schande nannte, das verkaufte bereitwillig für klingenden Preis der einzelne Senator. Erst nachdem ein förmlicher Senatsbeschluß die Anlehen der kretischen Gesandten bei den römischen Bankiers klaglos gestellt, das heißt nachdem der Senat sich selber in die Unmöglichkeit versetzt hatte, sich bestechen zu lassen, kam das Dekret zustande, daß die kretischen Gemeinden außer den römischen Überläufern, die Urheber des vor Kydonia verübten Frevels, die Führer Lasthenes und Panares, den Römern zu geeigneter Bestrafung zu übergeben, ferner sämtliche Schiffe und Boote von vier oder mehr Rudern auszuliefern, 400 Geiseln zu stellen und eine Buße von 4000 Talenten (6250000 Taler) zu zahlen hätten, wofern sie den Krieg zu vermeiden wünschten. Als die Gesandten sich zur Eingebung solcher Bedingungen nicht bevollmächtigt erklärten, wurde einer der Konsuln des nächsten Jahres bestimmt, nach Ablauf seines Amtsjahres nach Kreta abzugehen, um dort entweder das Geforderte in Empfang zu nehmen oder den Krieg zu beginnen. Demgemäß erschien im Jahre 685 (69) der Prokonsul Quintus Metellus in den kretischen Gewässern. Die Gemeinden der Insel, voran die größeren Städte Gortyna, Knossos, Kydonia, waren entschlossen, lieber mit den Waffen sich zu verteidigen, als jenen übermäßigen Forderungen sich zu fügen. Die Kretenser waren ein ruchloses und entartetes Volk, mit deren öffentlicher und privater Existenz der Seeraub so innig verwachsen war wie der Landraub mit dem Gemeinwesen der Ätoler; allein sie glichen den Ätolern wie überhaupt in vielen Stücken so auch in der Tapferkeit, und es sind denn auch diese beiden griechischen Gemeinden die einzigen, die den Kampf um die Unabhängigkeit mutig und ehrenhaft geführt haben. Bei Kydonia, wo Metellus seine drei Legionen ans Land setzte, stand eine kretische Armee von 24000 Mann unter Lasthenes und Panares bereit, ihn zu empfangen; es kam zu einer Schlacht im offenen Felde, in der der Sieg nach hartem Kampf den Römern blieb. Allein die Städte trotzten dem römischen Feldherrn nichtsdestoweniger hinter ihren Mauern; Metellus mußte sich entschließen, eine nach der andern zu belagern. Zuerst ward Kydonia, wohin die Trümmer der geschlagenen Armee sich geworfen hatten, nach langer Belagerung von Panares gegen das Versprechen freien Abzuges für sich selber übergeben. Lasthenes, der aus der Stadt entwichen war, mußte zum zweiten Male in Knossos belagert werden, und da auch diese Festung im Begriff war zu fallen, vernichtete er seine Schätze und entschlüpfte abermals nach Orten, welche, wie Lyktos, Eleutherna und andere, die Verteidigung noch fortsetzten. Zwei Jahre (686, 687 68, 67) vergingen, bevor Metellus der ganzen Insel Herr und damit der letzte Fleck freier griechischer Erde in die Gewalt der übermächtigen Römer gekommen war; die kretischen Gemeinden, wie sie zuerst von allen griechischen die freie Stadtverfassung und die Seeherrschaft bei sich entwickelt hatten, sollten auch die letzten von allen jenen, einst das Mittelmeer erfüllenden griechischen Seestaaten sein, die der römischen Kontinentalmacht erlagen.

Alle Rechtsbedingungen waren erfüllt, um wiederum einen der üblichen pomphaften Triumphe zu feiern; das Geschlecht der Meteller konnte seinen makedonischen, numidischen, dalmatischen, baliarischen Titeln mit gleichem Recht den neuen kretischen beifügen, und Rom besaß einen stolzen Namen mehr. Nichtsdestoweniger stand die Macht der Römer auf dem Mittelmeer nie tiefer, die der Korsaren nie höher als in diesen Jahren. Wohl mochten die Kiliker und Kreter der Meere, die in dieser Zeit bis 1000 Schiffe gezählt haben sollen, des Isaurikers wie des Kretikers und ihrer nichtigen Siege spotten. Wie nachdrücklich die Seeräuber in den Mithradatischen Krieg eingriffen und wie die hartnäckige Gegenwehr der pontischen Seestädte ihre besten Kräfte aus dem Korsarenstaat zog, ward bereits erzählt. Aber derselbe machte auch auf eigene Hand kaum minder großartige Geschäfte. Fast unter den Augen der Flotte Luculls überfiel im Jahre 685 (69) der Pirat Athenodoros die Insel Delos, zerstörte deren vielgefeierte Heiligtümer und Tempel und führte die ganze Bevölkerung fort in die Sklaverei. Die Insel Lipara bei Sizilien zahlte den Piraten jährlich einen festen Tribut, um von ähnlichen Überfällen verschont zu bleiben. Ein anderer Piratenchef, Herakleon, zerstörte im Jahre 682 (72) das in Sizilien gegen ihn ausgerüstete Geschwader und wagte es, mit nicht mehr als vier offenen Booten in den Hafen von Syrakus einzufahren. Zwei Jahre später stieg sein Kollege Pyrganion in demselben Hafen sogar an das Land, setzte daselbst sich fest und schickte von dort aus Streifpartien in die Insel, bis ihn der römische Statthalter endlich zwang, sich wiedereinzuschiffen. Das war man am Ende nachgerade gewohnt, daß alle Provinzen Geschwader ausrüsteten und Strandwachen aufstellten oder doch für beides steuerten, und dennoch die Korsaren so regelmäßig erschienen, um die Provinzen auszuplündern wie die römischen Statthalter. Aber selbst den geweihten Boden Italiens respektierten jetzt die unverschämten Frevler nicht mehr: von Kroton führten sie den Tempelschatz der Lakinischen Hera mit sich fort; sie landeten in Brundisium, Misenum, Caieta, in den etruskischen Häfen, ja in Ostia selbst; sie brachten die vornehmsten römischen Offiziere als Gefangene auf, unter andern den Flottenführer der kilikischen Armee und zwei Prätoren mit ihrem ganzen Gefolge, mit den gefürchteten Beilen und Ruten selbst und allen Abzeichen ihrer Würde; sie entführten aus einer Villa bei Misenum die eigene Schwester des zur Vernichtung der Piraten ausgesandten römischen Oberadmirals Antonius; sie vernichteten im Hafen von Ostia die gegen sie ausgerüstete und von einem Konsul befehligte römische Kriegsflotte. Der latinische Bauersmann, der Reisende auf der Appischen Straße, der vornehme Badegast in dem irdischen Paradiese von Baiae waren ihrer Habe und ihres Lebens fürder keinen Augenblick sicher; aller Handel und aller Verkehr stockte; die entsetzlichste Teuerung herrschte in Italien und namentlich in der von überseeischem Korn lebenden Hauptstadt. Die Mitwelt wie die Geschichte sind freigebig mit Klagen über unerträglichen Notstand; hier dürfte die Bezeichnung passen.

Es ist bisher geschildert worden, wie der von Sulla restaurierte Senat die Grenzbewachung in Makedonien, die Disziplin über die Klientelkönige Kleinasiens, wie er endlich die Seepolizei geübt hat; die Resultate waren nirgends erfreulich. Nicht bessere Erfolge erzielte die Regierung in einer anderen, vielleicht noch dringenderen Angelegenheit, der Überwachung des provinzialen und vor allem des italischen Proletariats. Der Krebsschaden des Sklavenproletariats zehrte an dem Marke aller Staaten des Altertums und um so mehr, je mächtiger sie emporgeblüht waren; denn Macht und Reichtum des Staats führten unter den bestehenden Verhältnissen regelmäßig zu einer unverhältnismäßigen Vermehrung der Sklavenmenge. Natürlich litt demnach Rom darunter schwerer als irgendein anderer Staat des Altertums. Schon die Regierung des sechsten Jahrhunderts hatte gegen die Banden entlaufener Hirten- und Feldsklaven Truppen schicken müssen. Die unter den italischen Spekulanten mehr und mehr um sich greifende Plantagenwirtschaft hatte das gefährliche Übel ins unendliche gesteigert; in der Zeit der Gracchischen und der Marianischen Krise und mit denselben in engem Zusammenhang hatten Sklavenaufstände an zahlreichen Punkten des Römischen Reiches stattgehabt, in Sizilien sogar zu zwei blutigen Kriegen (619-622 und 652-654 135-132 und 102-100) sich entwickelt. Aber das Dezennium der Restaurationsherrschaft nach Sullas Tode ward die goldene Zeit wie für die Flibustier zur See so für die gleichartigen Banden auf dem Festland, vor allem in der bisher noch verhältnismäßig leidlich geordneten italischen Halbinsel. Von einem Landfrieden konnte daselbst kaum mehr die Rede sein. In der Hauptstadt und den minder bevölkerten Landschaften Italiens waren Räubereien alltäglich, Mordtaten häufig. Gegen Menschenraub an fremden Sklaven wie an freien Leuten erging – vielleicht in dieser Epoche – ein besonderer Volksschluß; gegen gewaltsame Besitzentziehung von Grundstücken ward um diese Zeit eine eigene summarische Klage neu eingeführt. Diese Verbrechen mußten besonders deswegen gefährlich erscheinen, weil sie zwar gewöhnlich begangen wurden von dem Proletariat, aber als moralische Urheber und Teilnehmer an dem Gewinn auch die vornehme Klasse in großem Umfang dabei mittätig war. Namentlich der Menschen- und der Ackerraub wurde sehr häufig durch die Aufseher der großen Güter veranlaßt und durch die daselbst vereinigten häufig bewaffneten Sklavenscharen ins Werk gesetzt; und gar mancher hochangesehene Mann verschmähte nicht, was einer seiner diensteifrigen Sklavenaufseher so für ihn erwarb wie Mephisto für Faust die Linden Philemons. Wie die Dinge standen, zeigt die verschärfte Bestrafung der durch bewaffnete Banden verübten Eigentumsfrevel, welche einer der besseren Optimaten, Marcus Lucullus, als Vorstand der hauptstädtischen Rechtspflege um das Jahr 676 (78) einführteAus diesen Bestimmungen hat sich der Begriff des Raubes als eines besonderen Verbrechens entwickelt, während das ältere Recht den Raub unter dem Diebstahl mitbegriff., mit der ausgesprochenen Absicht, die Eigentümer der großen Sklavenherden durch die Gefahr sich dieselben aberkannt zu sehen, zu nachdrücklicherer Beaufsichtigung derselben anzuhalten. Wo also im Auftrag der vornehmen Welt geplündert und gemordet ward, lag es diesen Sklaven- und Proletariermassen nahe, das gleiche Geschäft für eigene Rechnung zu treiben; es genügte ein Funke, um den furchtbaren Brennstoff in Flammen zu setzen und das Proletariat in eine Insurrektionsarmee zu verwandeln. Die Veranlassung fand sich bald.

Die Fechterspiele, die unter den Volkslustbarkeiten in Italien jetzt den ersten Rang behaupteten, hatten die Errichtung zahlreicher Anstalten namentlich in und um Capua herbeigeführt, worin diejenigen Sklaven teils aufbewahrt, teils eingeschult wurden, die bestimmt waren, zur Belustigung der souveränen Menge zu töten oder zu sterben – natürlich großenteils tapfere kriegsgefangene Leute, die es nicht vergessen hatten, einst gegen die Römer im Felde gestanden zu haben. Eine Anzahl solcher verzweifelter Menschen brach aus einer der capuanischen Fechterschulen aus (681 73) und warf sich auf den Vesuv. An ihrer Spitze standen zwei keltische Männer, die mit ihren Sklavennamen Krixos und Önomaos genannt werden, und der Thraker Spartacus. Dieser, vielleicht ein Sprößling des edlen, in der thrakischen Heimat wie in Pantikapäon sogar zu königlichen Ehren gelangten Geschlechts der Spartokiden, hatte unter den thrakischen Hilfstruppen im römischen Heer gedient, war desertiert und als Räuber in die Berge gegangen und hier wiedereingefangen und für die Kampfspiele bestimmt worden. Die Streifereien dieser kleinen, anfänglich nur vierundsiebzig Köpfe zählenden, aber rasch durch Zulauf aus der Umgegend anschwellenden Schar wurden den Bewohnern der reichen kampanischen Landschaft bald so lästig, daß dieselben, nachdem sie vergeblich versucht hatten, sich selber ihrer zu erwehren, gegen sie Hilfe von Rom erbaten. Es erschien eine schleunig zusammengeraffte Abteilung von 3000 Mann unter Führung des Clodius Glaber und besetzte die Aufgänge zum Vesuv, um die Sklavenschar auszuhungern. Aber die Räuber wagten es trotz ihrer geringen Anzahl und ihrer mangelhaften Bewaffnung, über jähe Abhänge hinabkletternd die römischen Posten zu überfallen; und als die elende Miliz den kleinen Haufen verzweifelter Männer unvermutet auf sich eindringen sah, gab sie Fersengeld und verlief sich nach allen Seiten. Dieser erste Erfolg verschaffte den Räubern Waffen und steigenden Zulauf. Wenngleich auch jetzt noch ein großer Teil von ihnen nichts führte als zugespitzte Knüttel, so fand die neue und stärkere Abteilung der Landwehr, zwei Legionen unter dem Prätor Publius Varinius, die von Rom her in Kampanien einrückte, sie schon fast wie ein Kriegsheer in der Ebene lagernd. Varinius hatte einen schwierigen Stand. Seine Milizen, genötigt, dem Feind gegenüber zu biwakieren, wurden durch die feuchte Herbstwitterung und die dadurch erzeugten Krankheiten arg mitgenommen; und schlimmer noch als die Epidemien lichteten Feigheit und Unbotmäßigkeit die Reihen. Gleich zu Anfang lief eine seiner Abteilungen vollständig auseinander, so daß die Flüchtigen nicht etwa auf das Hauptkorps zurück, sondern geradewegs nach Hause gingen. Als sodann der Befehl gegeben ward, gegen die feindlichen Verschanzungen vorzugehen und anzugreifen, weigerte sich der größte Teil der Leute, ihm Folge zu leisten. Nichtsdestoweniger brach Varinius mit denen, die standhielten, gegen die Räuberschar auf; allein er fand sie nicht mehr, wo er sie suchte. In tiefster Stille war sie aufgebrochen und hatte sich südwärts gegen Picentia (Vicenza bei Amalfi) gewendet, wo Varinius sie zwar einholte, aber es doch nicht wehren konnte, daß sie über den Silarus zurückwich bis in das innere Lucanien, das gelobte Land der Hirten und der Räuber. Auch dorthin folgte Varinius und hier endlich stellte der verachtete Feind sich zum Treffen. Alle Verhältnisse, unter denen der Kampf stattfand, waren zum Nachteil der Römer; die Soldaten, so ungestüm sie kurz zuvor die Schlacht gefordert hatten, schlugen dennoch sich schlecht; Varinius ward vollständig besiegt, sein Pferd und die Insignien seiner Amtswürde gerieten mit dem römischen Lager selbst in Feindeshand. Massenweise strömten die süditalischen Sklaven, namentlich die tapferen halbwilden Hirten, unter die Fahne der so unverhofft erschienenen Erlöser; nach den mäßigen Angaben stieg die Zahl der bewaffneten Insurgenten auf 40000 Mann. Kampanien, soeben geräumt, ward rasch wieder eingenommen, das daselbst unter dem Quästor des Varinius, Gaius Thoranius, zurückgebliebene römische Korps zersprengt und aufgerieben. Im ganzen Süden und Südwesten Italiens war das offene Land in den Händen der siegreichen Räuberhauptleute; selbst ansehnliche Städte, wie Consentia im bruttischen Land, Thurii und Metapont in Lucanien, Nola und Nuceria in Kampanien, wurden von ihnen erstürmt und erlitten alle Greuel, die siegreiche Barbaren über wehrlose Zivilisierte, entfesselte Sklaven über ihre gewesenen Herren zu bringen vermögen. Daß ein Kampf wie dieser überhaupt rechtlos und mehr eine Metzelei als ein Krieg war, versteht sich leider von selbst: die Herren schlugen jeden gefangenen Sklaven von Rechts wegen ans Kreuz; diese machten natürlich gleichfalls ihre Gefangenen nieder oder zwangen gar in noch höhnischerer Vergeltung die kriegsgefangenen Römer, im Fechtspiel einander selber zu morden; wie dies später mit dreihundert derselben bei der Leichenfeier eines im Kampfe gefallenen Räuberhauptmanns geschah. In Rom war man mit Recht in Besorgnis über den immer weiter um sich greifenden verheerenden Brand. Es ward beschlossen, das nächste Jahr (682 72) beide Konsuln gegen die furchtbaren Bandenchefs auszusenden. In der Tat gelang es dem Prätor Quintus Arrius, einem Unterfeldherrn des Konsuls Lucius Genius, den keltischen Haufen, der unter Krixos von der Masse des Räuberheers sich gesondert hatte und auf eigene Hand brandschatzte, in Apulien am Garganus zu fassen und zu vernichten. Aber um so glänzendere Siege erfocht Spartacus im Apennin und im nördlichen Italien, wo der Konsul Gnaeus Lentulus, während er die Räuber zu umzingeln und aufzuheben vermeinte, sodann sein Kollege Gellius und der soeben noch siegreiche Prätor Arrius, endlich bei Mutina der Statthalter des Diesseitigen Gallien, Gaius Cassius (Konsul 681 73), und der Prätor Gnaeus Manlius einer nach dem andern seinen Streichen erlagen. Die kaum bewaffneten Sklavenrotten waren der Schreck der Legionen; die Kette der Niederlagen erinnerte an die ersten Jahre des Hannibalischen Krieges. Was hätte kommen mögen, wenn nicht entlaufene Fechtersklaven, sondern die Volkskönige aus den Bergen der Auvergne oder des Balkan an der Spitze der siegreichen Scharen gestanden hätten, ist nicht zu sagen; wie die Bewegung einmal war, blieb sie trotz ihrer glänzenden Siege ein Räuberaufstand und unterlag weniger der Übermacht ihrer Gegner als der eignen Zwietracht und Planlosigkeit. Die Einigkeit gegen den gemeinschaftlichen Feind, die in den früheren sizilischen Sklavenkriegen in so bemerkenswerter Weise hervorgetreten war, wird in diesem italischen vermißt, wovon wohl die Ursache darin zu suchen ist, daß die sizilischen Sklaven in dem gemeinsamen Syrohellenismus einen gleichsam nationalen Einigungspunkt fanden, die italischen dagegen in die beiden Massen der Hellenobarbaren und der Keltogermanen sich schieden. Die Spaltung zwischen dem Kelten Krixos und dem Thraker Spartacus – Önomaos war gleich in einem der ersten Gefechte gefallen – und ähnlicher Hader lähmte die Benutzung der errungenen Erfolge und verschaffte den Römern manchen wichtigen Sieg. Aber noch weit nachteiliger als die keltisch-germanische Unbotmäßigkeit wirkte auf das Unternehmen der Mangel eines festen Planes und Zieles. Wohl stand Spartacus, nach dem Wenigen zu schließen, was wir von dem seltenen Mann erfahren, hierin über seiner Partei. Er verriet neben seinem strategischen ein nicht gemeines Organisationstalent, wie denn gleich von Haus aus die Gerechtigkeit, mit der er seiner Schar vorstand und die Beute verteilte, wenigstens ebensosehr wie seine Tapferkeit die Augen der Masse auf ihn gelenkt hatte. Um dem empfindlichen Mangel an Reiterei und an Waffen abzuhelfen, versuchte er mit Hilfe der in Unteritalien aufgegriffenen Pferdeherden, sich eine Kavallerie zu schulen und zu disziplinieren und, sowie er den Hafen von Thurii in die Hände bekam, von dort aus Eisen und Kupfer, ohne Zweifel durch Vermittlung der Piraten, sich zu verschaffen. Aber in den Hauptsachen vermochte auch er nicht die wilden Horden, die er anführte, auf feste Endziele hinzulenken. Gern hätte er den tollen Bacchanalien der Grausamkeit gewehrt, die die Räuber in den eingenommenen Städten sich gestatteten und die die hauptsächliche Ursache waren, weshalb keine italische Stadt freiwillig mit den Insurgenten gemeinschaftliche Sache machte; aber der Gehorsam, den der Räuberhauptmann im Kampfe fand, hörte mit dem Siege auf und seine Vorstellungen und Bitten waren vergeblich. Nach den im Apennin 682 (72) erfochtenen Siegen stand dem Sklavenheer nach jeder Richtung hin der Weg frei. Spartacus selbst soll beabsichtigt haben, die Alpen zu überschreiten, um sich und den Seinigen die Rückkehr in ihre keltische oder thrakische Heimat zu öffnen; wenn der Bericht gegründet ist, so zeigt er, wie wenig der Sieger seine Erfolge und seine Macht überschätzte. Da die Mannschaft sich weigerte, dem reichen Italien so rasch den Rücken zu wenden, schlug Spartacus den Weg nach Rom ein und soll daran gedacht haben, die Hauptstadt zu blockieren. Indes auch diesem zwar verzweifelten, aber doch planmäßigen Beginnen zeigten die Scharen sich abgeneigt; sie zwangen ihren Führer, da er Feldherr sein wollte, Räuberhauptmann zu bleiben und ziellos weiter in Italien auf Plünderung umherzuziehen. Rom mochte sich glücklich preisen, daß es also kam; auch so aber war guter Rat teuer. Es fehlte an geübten Soldaten wie an erprobten Feldherren; Quintus Metellus und Gnaeus Pompeius waren in Spanien, Marcus Lucullus in Thrakien, Lucius Lucullus in Kleinasien beschäftigt, und zur Verfügung standen nur rohe Milizen und höchstens mittelmäßige Offiziere. Man bekleidete mit dem außerordentlichen Oberbefehl in Italien den Prätor Marcus Crassus, der zwar kein namhafter Feldherr war, aber doch unter Sulla mit Ehren gefochten und wenigstens Charakter hatte, und stellte ihm eine wenn nicht durch ihre Qualität, doch durch ihre Zahl imponierende Armee von acht Legionen zur Verfügung. Der neue Oberfeldherr begann damit, die erste Abteilung, die wieder mit Wegwerfung ihrer Waffen vor den Räubern davonlief, nach der ganzen Strenge der Kriegsgesetze zu behandeln und den zehnten Mann davon hinrichten zu lassen; worauf in der Tat die Legionen sich wieder etwas mehr zusammennahmen. Spartacus, in dem nächsten Gefecht besiegt, zog sich zurück und suchte durch Lucanien nach Rhegion zu gelangen. Ebendamals beherrschten die Piraten nicht bloß die sizilischen Gewässer, sondern selbst den Hafen von Syrakus; mit Hilfe ihrer Boote gedachte Spartacus ein Korps nach Sizilien zu werfen, wo die Sklaven nur auf einen Anstoß warteten, um zum dritten Male loszuschlagen. Der Marsch nach Rhegion gelang, allein die Korsaren, vielleicht geschreckt durch die von dem Prätor Gaius Verres auf Sizilien eingerichteten Strandwachen, vielleicht auch von den Römern bestochen, nahmen von Spartacus den bedungenen Lohn, ohne ihm die Gegenleistung dafür zu gewähren. Crassus inzwischen war dem Räuberheer bis etwa an die Krathismündung gefolgt und ließ, ähnlich wie Scipio vor Numantia, seine Soldaten, da sie nicht schlugen, wie sie sollten, einen festungsähnlich verschanzten Wall in der Länge von sieben deutschen Meilen aufführen, der die Bruttische Halbinsel von dem übrigen Italien absperrteDa die Linie sieben deutsche Meilen (Sall. hist. 4, 19 Dietsch; Plut. Crass. 10) lang war, so ging sie wohl nicht von Squillace nach Pizzo, sondern nördlicher, etwa bei Castrovillari und Cassano über die hier in gerader Linie etwa sechs deutsche Meilen breite Halbinsel. und dem von Rhegion zurückkehrenden Insurgentenheer den Weg verlegte und die Zufuhr abschnitt. Indes in einer dunklen Winternacht durchbrach Spartacus die feindlichen Linien und stand im Frühjahr 683 (71)Daß Crassus noch 682 (72) den Oberbefehl übernahm, ergibt sich aus der Beseitigung der Konsuln (Plot. Crass. 10); daß der Winter 682/83 (72/71) den beiden Heeren am Bruttischen Wall verstrich, aus der "Schneenacht (Plot. a. a. O.). wieder in Lucanien. Das mühsame Werk war also vergebens gewesen. Crassus fing an, an der Lösung seiner Aufgabe zu verzweifeln, und forderte vom Senat, daß er die in Makedonien unter Marcus Lucullus, im diesseitigen Spanien unter Gnaeus Pompeius stehenden Heere zu seiner Unterstützung nach Italien berufe. Es bedurfte indes dieses äußersten Notschrittes nicht; die Uneinigkeit und der Übermut der Räuberhaufen genügten, um ihre Erfolge wieder zu vereiteln. Abermals lösten sich die Kelten und Germanen von dem Bunde, dessen Haupt und Seele der Thraker war, um unter Führern ihrer eigenen Nation, Gannicus und Castus, sich vereinzelt den Römern ans Messer zu liefern. Einmal, am Lucanischen See, rettete sie Spartacus' rechtzeitiges Erscheinen; sie schlugen nun zwar wohl ihr Lager nahe bei dem seinigen auf, aber dennoch gelang es Crassus, den Spartacus durch die Reiterei zu beschäftigen und indessen die keltischen Haufen zu umstellen und zum Sonderkampf zu zwingen, in welchem sie sämtlich, man sagt 12300 Streiter, tapfer kämpfend fielen, alle auf dem Platze und mit den Wunden nach vorn. Spartacus versuchte darauf, sich mit seiner Abteilung in die Berge um Petelia (bei Strongoli in Kalabrien) zu werfen und schlug nachdrücklich die römische Vorhut, die dem Weichenden folgte. Allein dieser Sieg gereichte mehr dem Sieger als dem Besiegten zum Nachteil. Berauscht von dem Erfolg weigerten sich die Räuber, weiter zurückzuweichen, und nötigten ihren Feldherrn, sie durch Lucanien nach Apulien dem letzten entscheidenden Kampf entgegenzuführen. Vor der Schlacht stieß Spartacus sein Roß nieder; wie er im Glück und im Unglück treu bei den Seinen ausgeharrt hatte, so zeigte er ihnen jetzt durch die Tat, daß es ihm wie allen hier gehe um Sieg oder Tod. Auch in der Schlacht stritt er mit dem Mut eines Löwen: zwei Centurionen fielen von seiner Hand; verwundet und in die Knie gesunken noch führte er den Speer gegen die andringenden Feinde. Also starben der große Räuberhauptmann und mit ihm die besten seiner Gesellen den Tod freier Männer und ehrlicher Soldaten (683 71). Nach dem teuer erkauften Siege ward von den Truppen, die ihn erfochten, und von denen des Pompeius, die inzwischen nach Überwindung der Sertorianer aus Spanien eingetroffen waren, durch ganz Apulien und Lucanien eine Menschenhetze angestellt, wie sie noch nicht dagewesen war, um die letzten Funken des gewaltigen Brandes zu zertreten. Obwohl in den südlichen Landschaften, wo zum Beispiel das Städtchen Tempsa 683 (71) von einer Räuberschar eingenommen ward, und in dem durch Sullas Expropriationen schwer betroffenen Etrurien ein rechter Landfriede noch keineswegs sich einfand, galt doch derselbe offiziell als in Italien wiederhergestellt. Wenigstens die schmachvoll verlorenen Adler waren wiedergewonnen – allein nach dem Sieg über die Kelten brachte man deren fünf ein; und längs der Straße von Capua nach Rom zeugten die sechstausend Kreuze, die gefangene Sklaven trugen, von der neu begründeten Ordnung und dem abermaligen Siege des anerkannten Rechts über das rebellierende lebendige Eigen.

Blicken wir zurück auf die Ereignisse, die das Dezennium der sullanischen Restauration erfüllen. Eine gewaltige, den Lebensnerv der Nation notwendig berührende Gefahr war an sich in keiner der während dieser Zeit vorgekommenen äußeren oder inneren Bewegungen enthalten, weder in der Insurrektion des Lepidus, noch in den Unternehmungen der spanischen Emigranten, noch in den thrakisch-makedonischen und kleinasiatischen Kriegen, noch in den Piraten- und Sklavenaufständen; und dennoch hatte der Staat fast in all diesen Kämpfen um seine Existenz gefochten. Die Ursache war, daß die Aufgaben, solange sie noch mit Leichtigkeit lösbar waren, überall ungelöst blieben; die Vernachlässigung der einfachsten Vorsichtsmaßregeln erzeugte die entsetzlichsten Mißstände und Unglücksfälle und schuf abhängige Klassen und machtlose Könige in ebenbürtige Gegner um. Die Demokratie zwar, und die Sklaveninsurrektion hatte man besiegt; aber wie die Siege waren, ward durch sie der Sieger weder innerlich gehoben noch äußerlich gekräftigt. Es war keine Ehre, daß die beiden gefeiertsten Generale der Regierungspartei in einem achtjährigen, mit mehr Niederlagen als Siegen bezeichneten Kampf des Insurgentenchefs Sertorius und seiner spanischen Guerillas nicht Herr geworden waren, daß erst der Mordstahl seiner Freunde den Sertorianischen Krieg zu Gunsten der legitimen Regierung entschieden hatte. Die Sklaven nun gar war es viel weniger eine Ehre besiegt, als eine Schande, ihnen jahrelang in gleichem Kampfe gegenübergestanden zu haben. Wenig mehr als ein Jahrhundert war seit dem Hannibalischen Kriege verflossen; es mußte dem ehrbaren Römer das Blut in die Wangen treiben, wenn er den furchtbar raschen Rücktritt der Nation seit jener großen Zeit erwog. Damals standen die italischen Sklaven wie die Mauern gegen Hannibals Veteranen; jetzt stäubte die italische Landwehr vor den Knütteln ihrer entlaufenen Knechte wie Spreu auseinander. Damals machte jeder einfache Oberst im Fall der Not den Feldherrn und focht oft ohne Glück, doch immer mit Ehren; jetzt hielt es hart, unter all den vornehmen Offizieren nur einen Führer von gewöhnlicher Brauchbarkeit zu finden. Damals nahm die Regierung lieber den letzten Bauer vom Pflug, als daß sie darauf verzichtet hätte, Griechenland und Spanien zu erobern; jetzt war man drauf und dran, beide längst erworbene Gebiete wieder preiszugeben, nur um daheim der aufständischen Knechte sich erwehren zu können. Auch Spartacus hatte, so gut wie Hannibal, vom Po bis an die sizilische Meerenge Italien mit Heeresmacht durchzogen, beide Konsuln geschlagen und Rom mit der Blockade bedroht; wozu es gegen das ehemalige Rom des größten Feldherrn des Altertums bedurft hatte, das vermochte gegen das jetzige ein kecker Räuberhauptmann. War es ein Wunder, daß solchen Siegen über Insurgenten und Räuberführer kein frisches Leben entkeimte?

Ein noch minder erfreuliches Ergebnis aber hatten die äußeren Kriege herausgestellt. Zwar der thrakisch-makedonische hatte, wenn kein dem ansehnlichen Aufwand von Menschen und Feld entsprechendes, doch auch kein geradezu ungünstiges Resultat gegeben. Dagegen in dem kleinasiatischen und in dem Piratenkrieg hatte die Regierung vollständigen Bankrott gemacht. Jener schloß ab mit dem Verlust der gesamten, in acht blutigen Feldzügen gemachten Eroberungen, dieser mit der vollständigen Verdrängung der Römer von "ihrem Meer". Einst hatte Rom im Vollgefühl der Unwiderstehlichkeit seiner Landmacht das Übergewicht auch auf das zweite Element übertragen; jetzt war der gewaltige Staat zur See ohnmächtig und, wie es schien, im Begriff, auch wenigstens über den asiatischen Kontinent die Herrschaft einzubüßen. Die materiellen Wohltaten des staatlichen Daseins: Sicherheit der Grenzen, ungestörter friedlicher Verkehr, Rechtsschutz, geordnete Verwaltung, fingen an, alle miteinander den sämtlichen im römischen Staat vereinigten Nationen zu verschwinden; die segnenden Götter alle schienen zum Olymp emporgestiegen zu sein und die jammervolle Erde den amtlich berufenen oder freiwilligen Plünderern oder Peinigern überlassen zu haben. Dieser Verfall des Staats ward auch nicht etwa bloß von dem, der politische Rechte und Bürgersinn hatte, als ein öffentliches Unglück gefühlt, sondern die Proletariatsinsurrektion und die an die Zeiten der neapolitanischen Ferdinande erinnernde Räuber- und Piratenwirtschaft trugen das Gefühl dieses Verfalls in das entlegenste Tal, in die niedrigste Hütte Italiens, ließen ihn jeden, der Handel und Verkehr trieb, der nur einen Scheffel Weizen kaufte, als persönlichen Notstand empfinden.

Wenn nach den Urhebern dieses heillosen und beispiellosen Jammers gefragt ward, so war es nicht schwer, mit gutem Recht gar viele deshalb anzuklagen. Die Sklavenwirte, deren Herz im Geldbeutel saß, die unbotmäßigen Soldaten, die bald feigen, bald unfähigen, bald tollkühnen Generale, die meist am falschen Ende hetzenden Demagogen des Marktes trugen ihren Teil der Schuld, oder vielmehr, wer trug an derselben nicht mit? Instinktmäßig ward es empfunden, daß dieser Jammer, diese Schande, diese Zerrüttung zu kolossal waren, um das Werk eines einzelnen zu sein. Wie die Größe des römischen Gemeinwesens nicht das Werk hervorragender Individuen, sondern das einer tüchtig organisierten Bürgerschaft gewesen ist, so ist auch der Verfall dieses gewaltigen Gebäudes nicht aus der verderblichen Genialität einzelner, sondern aus der allgemeinen Desorganisation hervorgegangen. Die große Majorität der Bürgerschaft taugte nichts und jeder morsche Baustein half mit zu dem Ruin des ganzen Gebäudes; es büßte die ganze Nation, was die ganze Nation verschuldete. Es war ungerecht, wenn man die Regierung als den letzten greifbaren Ausdruck des Staats für alle heilbaren und unheilbaren Krankheiten desselben verantwortlich machte; aber das allerdings war wahr, daß die Regierung in furchtbar schwerer Weise mittrug an dem allgemeinen Verschulden. In dem Kleinasiatischen Kriege zum Beispiel, wo kein einzelner der regierenden Herren sich in hervorragender Weise verfehlt, Lucullus sogar, militärisch wenigstens, tüchtig, ja glorreich sich geführt hatte, ward es nur um so deutlicher, daß die Schuld des Mißlingens in dem System und in der Regierung als solcher, hier zunächst in dem früheren schlaffen Preisgeben Kappadokiens und Syriens und in der schiefen Stellung des tüchtigen Feldherrn gegenüber dem keines energischen Beschlusses fähigen Regierungskollegium lag. Ebenso hatte in der Seepolizei der Senat den einmal gefaßten richtigen Gedanken einer allgemeinen Piratenjagd erst in der Ausführung verdorben und dann ihn gänzlich fallen lassen, um wieder nach dem alten törichten System gegen die Rosse des Meeres Legionen zu senden. Nach diesem System wurden die Expeditionen des Servilius und des Marcius nach Kilikien, des Metellus nach Kreta unternommen; nach diesem ließ Triarius die Insel Delos zum Schutz vor den Piraten mit einer Mauer umziehen. Solche Versuche, der Seeherrschaft sich zu versichern, erinnern an jenen persischen Großkönig, der das Meer mit Ruten peitschen ließ, um es sich untertänig zu machen. Wohl hatte also die Nation guten Grund, ihren Bankrott zunächst der Restaurationsregierung zur Last zu legen. Immer schon war mit der Wiederherstellung der Oligarchie ein ähnliches Mißregiment gekommen, nach dem Sturz der Gracchen wie nach dem des Marius und Saturninus; aber so gewaltsam und zugleich doch auch so schlaff, so verdorben und verderblich war dasselbe nie zuvor aufgetreten. Wenn aber eine Regierung nicht regieren kann, hört sie auf legitim zu sein und es hat, wer die Macht, auch das Recht, sie zu stürzen. Zwar ist es leider wahr, daß eine unfähige und verbrecherische Regierung lange Zeit das Wohl und die Ehre des Landes mit Füßen zu treten vermag, bevor die Männer sich finden, welche die von dieser Regierung selbst geschmiedeten entsetzlichen Waffen gegen sie schwingen und aus der sittlichen Empörung der Tüchtigen und dem Notstande der vielen die in solchem Fall legitime Revolution heraufbeschwören können und wollen. Aber wenn das Spiel mit dem Glücke der Völker ein lustiges sein mag und wohl lange Zeit hindurch ungestört gespielt werden kann, so ist es doch auch ein tückisches, das zu seiner Zeit die Spieler verschlingt; und niemand schilt dann die Axt, wenn sie dem Baum, der solche Früchte trägt, sich an die Wurzel legt. Für die römische Oligarchie war diese Zeit jetzt gekommen. Der Pontisch-Armenische Krieg und die Piratenangelegenheit wurden die nächsten Ursachen zum Umsturz der Sullanischen Verfassung und zur Einsetzung einer revolutionären Militärdiktatur.


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