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V

 

82

Wie rauscht der große Wind so wundervoll!
Ich hörte ihn früh. Ich lag in der Wiege
der breiten Wipfel einer Eiche.
Die stieg als Macht-Säule
aus dem hochgetürmten Meer weltauf,
und alle Äste unter, über mir
besät mit Sternen.
Und durch das Glanzgewoge
sah ich hinunter auf ein strahlend Meer.
Und hörte immer den Wind. Er kam vom Weltanfang,
er kam leise heran,
er wühlte wie ein Seliger im Astwerk
des alten Baumes,
und die Glanzgestirne raubten ihm den Atem.
Ich hörte den Wind. Er kam näher,
immer näher meiner Wiege,
er bog die jungen Zweige auseinander,
ich reckte meine Arme nach ihm aus,
er kam, der Selige. Er kam.

 

83

Der kühle Wind fuhr über alle Länder,
und er erreichte endlich auch mein Haar.
Ich saß; ich sah manchmal hinunter in die Tiefe;
dort war ein aufgetürmtes blaues Meer.
Ich saß so hoch. In offenem Säulenkiosk
auf den Gebirgen. Und mein Haupt gelehnt
an einer lieben Wolke weiße Wand;
die tönte. Und dann war noch in der Halle
ein Teich, an dem die Wandervögel tranken.
Und Vögel schwebten an, und Vögel schwanden
wie schnelle Nebel über spiegelndem Wasser,
es war ein ewigleises Schwingen um mein Haupt,
ein Rauschen;
ich schloß die Augen.
Ich war so mild in diesem ziehenden Äther.

 

84

Auf meinen Höhen sitzend hör' ich's rieseln.
Wann es den Wald durchbricht, so sind es Bäche;
und unten in der Tiefe sind es Meere,
die brausen groß hinaus.
Aber hier auf den Höhen sind es Tränen.
Hier bricht's hervor.

Ich möchte mein Haupt hinhalten wie die Berge.
Ich möchte weinen wie die Berge weinen.

 

85

Als säße ich eingeschneit auf einer Firne
der Felsgebirge. Und es schließt ein Weib
das große Stahlthor, das einst hinabführte
zu den blauen Thälern.
Immer fällt jetzt Schnee. Er schließt mich ein
mit meinen glühenden Sonnen,
die im Hirn mir lagern,
und mit so vielen wundervollen Bildern.
Einen Felsen hör' ich ernst und fernher reden;
eine Tanne weinen.
Ich lebte ein paar Stunden. Was ich sah, war selig,
und was ich fühlte, war auch selig.
Zuletzt entschwebt' ich mir. Ich ging hinüber
in jene immergrüne Tanne,
die am Felsen weint.
Sie weint die Tränen
kristallener Klarheit.

 

86

Es war sehr fern. Im Herbstgebiet,
durchklungen von dem Schall der vielen Quellen.
Mein Auge weltfrei offen im Äther.
Über gelben Blättern,
niederwehend bei kalten Brunnen ...
die ferne Flöte.
Dort stand ich lange mit kristallnem Auge,
es zogen weiße Wolken durch die Zeit,
am Rand der Ströme blinkte dünnes Eis.
Ich blickte Einmal auf: und es stand Einer nahe:
und dann erblickte ich immer ihn.
Denn Dieser stand mit Haupt und Schultern
als tragender Riese unterm Sterngewölbe,
hochstützend alle Herrlichkeit der Welt.
Auf seinem Antlitz,
auf seinem wundervoll erhellten Antlitz
erschien das dämmernde Bild der Welt,
Licht und Schatten, spielend um die Lippen,
herquellend maßlos aus den Glanz-Bezirken.
Bei Solchem stand ich mit kristallnem Auge,
es zogen weiße Wolken mir ums Haupt,
zu meinen Füßen blinkte das Eis.

Und danach kam's: Auf seinen Lippen
entstand ein Wort. Nicht hörbar,
aber mir sichtbar. Sinkendes Licht,
aus seiner Welt hinsinkend in die meine.
Ich nahm sein Wort, ich nahm sein Licht, und nahm dann
seine ganze Welt auf meine Schultern.
Das dämmernde All, die strahlenden Lichter,
alle Glut-Gesetze.
Als wär' das immer so gewesen,
so stand Ich jetzt als Himmel-Träger,
indessen Jener langsam drunter wegging
wie der Welt-Schatten,
hinüberging ins Herbstgebiet
– traumaltes Auge –
dort hinzusitzen mit gestütztem Haupt,
wo kalte Brunnen verschüttet schluchzen
unterm ernsten Laub.
Und Glanz und Finsternis bezog mein Antlitz.
Hohe Vergessenheit. Erschienenes Sinnbild.

Still ist es. Still.
Manchmal kommt noch ein Weib,
wie Erinnerung
steht es in sanfter Ferne,
beschauend mein beglänztes Auge,
den Weltbau, die Lichter,
die Adern meiner tragenden Hände;
und mein beschattetes Geschlecht.

 

87

Und ich lag schlafträumend
auf der luftigen Spitze einer Pyramide.

Einmal, da rührte sich's unter mir,
rührten sich die Gebeine eines alten Gottes.

Luftig leicht
schwebt' ich über eines Gottes Grab.

Denkend stumm
lag ich über den Gedanken Jenes Stummen.

 

88

Auf dem Himmeldache meines Hauses stehend,
seh' ich nicht mehr die alten Sterne.
Alle sind überdeckt
von großen Schatten-Schmetterlingen.
Es schimmert herab durch die gespannten Flügel;
wie ein neues Licht.
Was jenseits vorgeht in den großen Fernen,
wir wissen's nicht.
Die dunkle Welt ruht drunten in erhabener Schönheit.
Und hier mein altes weißes Haar, es glänzt,
es singt im Nachtwind, li–li–li–li–,
und meine Tränen, sie fließen,
ein Glanzstrom, weithin in ein Thal, fernhin ins Meer.
So biet' ich dem Meer noch einmal stumm die Hand,
es war mir Vater, Sohn, und Weib zugleich,
es spricht unsagbar selig, herzzertrümmernd.
Ob wir uns wiedersehn, o Meer, wer weiß es!
Wir lebten selige Zeiten beieinander.

Ich zünd' ein Feuer auf dem Dach.
Aufflammt's in dunkle Welten,
und lischt.

Schlaf,
hinab ins Haus,
weitoffene Fensterflügel,
ich liege schon; halbschlafend; weitausträumend.
Ich liege über einer hochgewölbten Brücke.
Ich fühle einen fernen heiligen Schimmer
auf meinem Herzen.
Es schießt eine Möwe hoch!
Ich höre, ich höre das Meer, die Geliebte. Die Geliebte.

 

89

Ganz in Traum-Musik schwimmt Asien!

Denn ins indische Meer stieg Einer unter,
der betet aus der Tiefe den Gestirn-Glanz an.
Er klimmt wieder herauf: da folgt ihm das Meer
mit Walen, mit Schiffen und Stürmen
dröhnend nach: auf die Küste: ins Land.
Von den ungeheuren Seligkeiten
verfolgt: eilt er dahin
auf Flügel-Tänzer-Schritten.
Verhülltes Haupt: horcht er dem Brausen.

Ganz in Traum-Musik schwimmt Asien!

Denn im Prunk-Palaste Timurs:
im eingestürzten Schwelger-Saal
lagert am Mittag eine Herde Schafe
unter schattigem Granatbaum: träumt der Hirt
an einer Säule in dem einsamen Thal.

Ganz in Traum-Musik schwimmt Asien!

Denn bei den fernen Lerchen an Ufern des Rheins
im Efeu nistet der Orion-Sänger,
dem rauschen in den Adern, beglückt von sechs Jahrtausenden,
Ur-Asiens Melodien-Ströme.

Ganz in Traum-Musik schwimmt Asien!

Denn am blauen Felsen-See Kukunor
sitzen vier Göttinnen, weinend über die Länder.
An ihrem Schluchzen altern rundum die Völker
und erblinden unter düsteren Zypressen.

Ganz in Traum-Musik schwimmt Asien!

Denn ins Kaukasus-Thor tritt jetzt ein Held:
Der bringt junge, strahlende Augen
für neue, lichte Völker.

Ganz in Traum-Musik schwimmt Asien!

Denn wieder erschien die ewige Semiramis
und schwebt als Adler um die Felsen des Altai.

Ganz in Traum-Musik schwimmt Asien!

Denn auf dem Himalaja-Gipfel blüht jetzt eine Akazie.
Rötlichen Glückes Düfte
strömt sie aus, bis über die blauende Süd-See –

Ganz in Traum-Musik schwimmt Asien!

 

90

Hier ist ein Gipfel, um drauf einzuschlafen.
Hier schweben leichte Wolken dichtdrüberher,
die feuchten dir die Stirn und heiße Hände.
Und Wasserstürze singen selig in der Tiefe,
vom Mond durchwühlt.
Besessen hab' ich die Welt. Ich sog alle Feuer
in mich hinein, und jedes Glück war mein.

Hier ist ein Gipfel, um drauf einzuschlafen.
Hier ruht der Schlafend-Träumende
zwischen hochgetürmten funkelnden Schätzen;
mitten im Menschlich-Herrlichen.

 

91

Hier ist ein Gipfel, um drauf einzuschlafen.
Hier schwimmt das selige Glanzbild des Orion
welttief im Süden.
Und tief im Norden ruht der große Schatten
des alten Schmerzes,
der trinkt hinunter seine eigenen Tränen,
Augen glühen aus metallenem Gesicht,
und große Schmetterlinge streifen
mit Flatterflügeln den gesunkenen Koloß.

Hier ist ein Gipfel.
Hier tönt ein Horn
in der weiten Einsamkeit.

 

92

Hier ist ein Gipfel, um drauf einzuschlafen.
Hier streichen große Vögel dichtdrüberher,
die tragen in den langen Schnäbeln goldene Planeten.
Sie schwimmen langgestreckt im Luftstrom,
in ihren wilden Augen loht die Glut
der Sendung und des Ziels.
Wenn sie über Meer fliegen,
spiegelt in dem tiefen Wogen-Dunkel
ein machtvoll vorwärtsstrahlend Licht,
zwei Flammen jagen hinterher,
und ringsum schatten schwarze Fittiche.
Wenn im Nachtsturm ein Schiff dazwischensegelt,
ein hellerleuchtetes
zwischen diese Höhen und diese Tiefen:
Dann lehnt der Kapitan am Mast,
der Herrliche. Deß Blick ist weltenstark
hinausgerichtet, und er ankert im Chaos.
Des Geist ist Ewiges. Und große Vögel
mit Glanz-Planeten in den Schnäbeln
über ihm und unter ihm,
sie sind ihm flüchtig hergewehte Bilder.
Aus dem Schiffraum schwebt herauf
Alles überfunkelnd
der zechenden Matrosen
Welt-Triumph-Gesang.

Hier ist ein Gipfel, um Nachts drauf einzuschlafen.
Hierum wogt ewiger Triumphgesang.
Hier ruht der Schlafend-Träumende
auf der Spitze einer goldenen Pyramide.
Um die tiefen Flanken kreisen strahlend die Planeten.
Ein leiser Höhenhauch weht Einem über die Hände.

Hier ist ein Gipfel, um drauf einzuschlafen.
Hier hörst du Paukenschläge aus der Tiefe.
Hier zuckt der Geist um deine Lippen.
Es hebt deine Hand im Traum sich in den Äther
weltauf.

 

93

Ein Boot fuhr auf dem blauen Himmelstrom,
in sanfter Strömung, zwischen Sternen.
Welle brach in sprühendes Silber
vor dem Bug, am hintern Kiel
schleifte ein Fächer silberglänzend.
Mein Auge hing an einem zarten Wölkchen,
duftig schwebend, silberflockig hold,
ich stand und fuhr ihm immer nach,
heiter schiffend über den strömenden Himmel.
Quer über Boot zu meinen Füßen
lag die Hülle eines alten Menschen,
verschrumpft mit Runzelfurchen, erloschen,
gramtrübes Weißhaar flatterte hinaus;
das Auge sah verglast in sich hinein.
Und Sterne. Selige Sterne. In der Klarheit.
Herschwimmend. Flimmernd an den Toten rührend ...
Mein Auge hing an seinem Silberwölkchen.

 

94

Es lag mein Haupt auf einer weißen Wolke.
Dort, wo ringsum aus den Höhen
Wasserstürze niedertosen
in die lichtdurchsungene Tiefe.
Auf der feuchten Wolke sprossen Blumen,
rote, blaue Kelche um mein Schwarz-Haar.
Manchmal hüpfte ein silberweißer Vogel
aus der Tiefe herauf auf meine Hände.
Manchmal schwirrten goldene Bienen:
Verlockte aus den tiefen Gärten der Menschen,
trunkene Taumler um die himmlischen Tränke.
Und es kam ein großer bunter Falter,
auf den Schwingen tragend das Farben-Licht
aller buntschillernden Gestirne.
Schaukelnd, spreitend,
ging er nieder auf meine nackte Brust.

 

95

Ist der Morgen da? Das ewige Licht geht unter.
Es seufzt ein bißchen, es singt ein bißchen,
es sinkt in des Gebirges schwarzen Trichter.
Es weint auch ein bißchen; seine Tränen fließen
in weichen Bächen über Gestein
durch schlafende Blumen
in die Thäler der Welt hinunter.

Ist der Morgen da? Ich lieg' an einem See,
der einst nicht war.
Über der Flut schwebt ein großer Vogel,
der blickt mir in das Haupt und in die Seele.
Seltsamer Vogel, wem doch vergleich' ich dich?
Einer war einst wie du.
Er war mir Vater und Sohn.
Er flog, bevor der Morgen kam,
bevor das ewige Licht unterging. –
Seltsamer Vogel, wie heiß' ich dich? –
Doch du verschwimmst meinem Blick,
du schwindest.

Ich hör' ein sanftes Rauschen;
so sanft, so nah – als rauschte ich selber.
Als hätte ich Flügel, und wär' ein Vogel,
und schwebte über einem weiten See.
Seltsamer Vogel – wie heiß' ich mich?
Wie heißen meine Flügel?
Wie der See,
über dem ich schwebe?

Einen Flügelschlag will ich thun.
Einen einzigen.

 

96

Meine großen Flügel werd' ich ausspannen
über Feuer und Meer,
über die grünen Tannen,
über alle Schiffe und Sonnen,
über alle Wöchnerinnen
auf bebluteten bleichen Linnen,
über alle Richter und Verbrecher:
drüberher, drüberher
schöpf ich am rauschenden Himmelbronnen
zu einem tiefen Trunk den Silberbecher.

 

97

Drück' ab den Pfeil!
von dir erharr' ich Heil.
Roll' heran durch den Äther,
mein großer Sturmverwehter!

Schöner als ich, eine große Gewalt.
Doch ich bin dein Vater uralt.

Und wirst untergehn.
Nah mir, dicht neben.
Und ich werde wieder über Wassern schweben
und mein spiegelreines Bild besehn.

 

98

Ich ward ein Abenteurer tief im silbernen Himmel.
Ich blicke träumend in das Auge meines Pferdes.

Wann ich blicke in das Auge meines Pferdes,
blicke ich weit, weit
in die Unermeßlichkeit.

Und wann ich tanze mit den Sternen:
blickend in das Auge meines Pferdes
erfaßt mich die Seligkeit.

Und wann ich schlafe im Ätherlicht,
weckt mich ein strahlendes Licht:
das Auge meines Pferdes.

Und wann ich leide im bewölkten Nachthimmel:
blickend in das Auge meines Pferdes
schlafe ich gut.

Die Sterne strahlen. Tief im silbernen Himmel.
Aber Gram, aber Taumel zückt aus meiner Seele:
und ich muß morden das Auge meines Pferdes.

 

99

Eine Stimme schallt zu mir aus Tiefen:
»Seht, der Abenteurer dort im Himmel!«

Ich beuge mich hinab über mein Pferd;
mein Mantel flattert.
Einen Engel erblick' ich in den Tiefen:
goldne Gewandung, Macht-Gestalt:
fern, daß nur blendender Glanz
ihn sichtbar macht.

Meine Stimme fährt hinab:
»Bleibe zurück, nahe nicht.
Ich fand Etwas in meinem Geist,
seitdem durchflieg' ich alle silbernen Himmel
auf dem Blitzroß, leer sind die weiten Himmel,
mir im Geiste tost die Freuden-Fülle« –

In der fernen Tiefe ruft die Stimme:
»Seht, der Abenteurer mit der Chaos-Blüte!«

 

100

Als ich dann höher sank und tiefer stieg,
sauste die Schaukel, und fegte im Tiefen
durch einen Gerichtsaal, erfaßt ein Handvoll Richter
samt mehrern grinsenden Verbrechern,
und schwang sie in die Nebel des Orion.
Dann: Weltall-Beil: durchschlug die Schaukel
die Lichtschleppe einer Kometen-Sonne
und stäubte sprühende Trümmer in mein Haar –:
Mit lachendem Ruck riß ab! die Schlinge
am Wega-Turm der Leier –:
Hinausgeschleudert aus Wurfmaschinen
entfloh die Schaukel, floh durch tropfende Feuer-Welten.
Ich saß auf schmalem Sitz, über meine Kniee
hing das gerissene Seil, das sauste
wo durch Tiefen, wo durch Meere.
Ich saß auf dem Triumph-Sitz, mein Schatten fuhr
als wandelnde Verfinsterung über Glanzländer,
ich sann und träumte – schwebte
über dem träumenden Haupte eines All-Dichters;
über nacktem Prachtleib eines Weibes;
über der silbernen Wiege eines Kindes,
über dem Schlaf des geborenen All-Kindes.

Ich sann und träumte – während irgendwo in Welten
schleifte das Seil über den Pol, und stieß um
ein Eismeer-Haus. Und ein Ertrinkender
ergriff verzweifelt das Seil – und kletterte
dran hoch. Und so den Äther trinkend
hört' er die seligen Sfären-Harmonien.
Ich sann und träumte – während aus der Tiefe
ein Seliger mir immer näher kam
mit hochgewandtem Haupt und funkelndem Geist.
Straff zog das Seil, ich sah hinab – rief ein Wort
hinab in die Welt – in welche? – schon fuhr ich
hinaus, und wo hinein, das Seil hing wieder schlapp
über meine Kniee. Sanfte Schwermut fächelte
mein goldenes Haar.

 

101

Vergangenheit auf meinen Flügeln, dunkeln,
jetzt schweben wir über dem brausenden Meer.
Und meine wilden Augen funkeln:
Wenn ich dich stürzen ließe in das Meer!? –
– Da hebst du an zu singen, und ich lausche,
und trage dich selig weiter übers Meer.

 

102

Ich fühl's im Schweben:
Meine Schwingen sind so groß geworden,
daß ich keinen Flügelschlag mehr thun kann.
Die Gestirne hängen unter meinen Schwingen,
mein Herz zog Alles an sich
mit Seligkeit.
Ich schwebe, und mein Herz glänzt so unendlich,
daß mir der Glanz aus den Augen tropft
hinein in Licht-Äther.
Ich trage, trage die Welt unter den Flügeln;
ein großes Brausen hör' ich in der Tiefe,
immer näher, immer größer.
Sink' ich? – steigt das Meer zu mir herauf?
Ob ich auch kein Wort mehr singen kann,
keinen Flügelschlag mehr thun kann –:
Ich trage die Welt, die Welt unter den Schwingen,
ich höre das Meer, die Geliebte, die Geliebte.

 

103

Urasima, du Schöner,
Urasima, du Ferner,
dein Herz schwebt dort als Wolke in der Bläue.

»Dort schwebt mein Herz, und in kristallner Sfäre.
Über grünen Hügeln, über blauen Strömen.
Mein goldner Strahl trifft alle Sterbenden
und alle Dichter.«

Urasima, du Schöner,
Urasima, du Ferner,
was lebt von dir hierunten bei uns Menschen?
was lebt von dir hierunten bei mir armem Weibe?

»Alles. Alles. Hast du nicht den Mond?
Hast du nicht die wilde große Sonne?
Hast du nicht den Thau vor deiner Waldhütte?
Nicht das Murmeln draußen eines Brunnens
in den Nächten deiner schlafverlassenen Liebe?
Hast du nicht
deine schluchzende schlafverlassene Liebe?«

Urasima, du Ewiger,
in der Tiefe unter deinem Herzen
beseligt mich – schlafverlassene Liebe.

 

104

Eine Stimme singt:

Ich bin tiefunten. Ich trage dein Haar,
das durch die Sterne-Welten hängt.
Das im Gewitter klar
leuchtend sich in Wolken senkt.
Das glühend mich umfängt
und mich versengt mit Wonnen – unsagbar:

 

Eine zweite Stimme singt:

Ich bin hochoben. Ich sammle das Licht
deines Auges in Kristallen.
Schwebend vor deinem Angesicht
hör' ich einen Ton erschallen,
Sterne in den Abgrund fallen,
daß mir im Glanz die Seele zerbricht.

 

Eine dritte Stimme singt:

Du hast, die vergangen sind,
Himmel-Lichter eingesogen.
Sitzend auf dem Sternebogen
lächelst du seliges Kind,
wenn von wilden Weltall-Wogen
eine zu dir aufschäumt und zerrinnt.

 

Eine letzte Stimme verkündet:

In dem wunderbaren Himmel-Leben
ist das Herrlichste: das stille Schweben
über Welten. Meinen hohen Ort
kann kein Flügelschlag erringen.
Unter meinen stillen Schwingen
ziehen selig ganze Welten fort.

 

105

Entfaltet schimmern meine Schwingen:
drin Gestirntes sprüht und dämmert.
Drin Kometen schweifen und zerspringen.
Drin ein Herz noch hämmert.

 

106

Zwischen tausend Morgensternen,
die die Laute schlagen.
Ich sei ein Mensch gewesen,
in verklärten Licht-Musiken sagen.

 

107

Mich umkränzt ein Hof von fernen Sonnen.
Mich umringt ein Hof von Glück.
In einem Strahlen-Kranze zieht mein Flug
rollende Welten mit sich und ihr Glück.

Eine Feder meiner Schwinge will ich wehen lassen.
Sie verflammt wohl wo an einer Sonne.
Aber vielleicht auch findet sie offene Gassen
nach der Menschen schwimmendem Märchen-Land:

Sinkt hinein in die irdische Maien-Nacht:
auf schlafenden Marktplatz
in Deutschland:
Und erzählt von mir und meinem Glück.

 

108

Aus dem Meer-Abgrund
reichen luftige Gestalten
zu mir auf einen ehernen Becher.
Er wandert durch die Purpurnacht der Tiefe,
zwischen Korallen und Medusen
beglänzt von bunten Märchenaugen;
aus strudelndem Schachte schießt er hoch,
entschlüpfend dem Macht-Schlag der grünen Woge –:
Aufwärts schäumend in den Licht-Äther
– Hinabblick über Welt und Meer –
dringt er in die morgenroten Wolken,
verschwindend unten, jetzt schon oben sichtbar:
auf, herauf,
über Welten, über Sternen spielend –:
Herauf an meine Lippe.

Meinen frühsten Becher halte ich wieder.
In seinem Tranke spiegelt
wundersam mein Bild.
Ein Auge erblick' ich. Drin versank
Gott und die Urwelt und manch herrliches Weib.
Drin schwankt jetzt traumhaft
des Chaos selige Blüte:
Die Tänzerin der Nacht.

 

109

Ein Mensch spricht:

Auf der Erde siehst du: und mitten im Himmel:
Und trinkst den Trank der Herrlichkeit.
Du trinkst mit dem Regenbogen und der Morgenröte,
du trinkst mit den Meeren, kristallenen Wolken,
mit rauschenden Abend-Purpurlandschaften,
mit Leuchtkäfern in Nächten der Moose,
mit jagenden Rossen und schwebenden Adlern,
mit den mondlichten Kratern der Vulkane,
den Schnee-Verwehungen der Pol-Öden,
und den Nachtfest-brausenden Städten der Menschen,
mit den tanzenden Feuerbällen deiner Gedanken
und den Umarmungen deiner Göttinnen –:
Uranus, Saturn, Neptun
umkreisen gierig den Rand deines Bechers –:

Nun sage, Menschen-Bruder, Erde-Bruder:
Wie das ward.
Wie das wird.

 

Der himmlische Zecher antwortet:

Du mußt dir ein Schwert schmieden.
Aus deinem Leid und aus deiner Krankheit –
aus dem Hohngelächter der Zeit,
aus deiner grauenhaften Menschen-Einsamkeit –
aus deiner Gier – aus deinem Wahnsinn –
aus der Unentrinnbarkeit aller Gesichte –
aus der Unaussinnbarkeit aller Gesetze –
aus der Unvollendbarkeit aller Zeugungen –:
Aus dem Zusammenbrausen aller deiner Zerberstungen
mußt du dein Schwert schmieden.
Und du mußt gut zuschlagen –
wie es auch sprüht –
was es auch trifft –
wie es auch thut.

Du mußt das Schwert schmieden
deines Geistes.
Und ist das Schwert geschmiedet, und geglüht –
und gut gehärtet! –
dann muß dein Leib – deine dunkle Brust – dein Herz
verzehrt werden
von zerstörerischer! Sehnsucht
nach dem Schwert.

Dann wird einmal deine Stunde kommen –
die tausendjahrelang ersehnte –
die erreichte Stunde.
Dann wirst du stehn auf dunklem Erde-Hügel
in der Sterne-Glanznacht.
Und deines Geistes Schwert wird glänzen –
das zerspaltende: –
Und du wirst es fassen: und wirst es stoßen:
jubelnd:
mit der Macht Gottes –:
mitten in dein Herz.

Wenn du das überlebst –:
Wenn dein Herz das Schwert verschlingt –
und unzerstörbar ist –:
und mit einem uralt schönen Lächeln
es spurlos in sich löst –:
Dann verkündet ein Horn den Sieg.
Dann kommt die Gnade über dich.
Dir öffnen sich die Sfären,
und kreisen um dich,
es paukt und orgelt und posaunt,
es spielen vor dir die Lichter,
es dienen vor dir die Meere,
es kommen auf dich zu die Göttinnen,
und tanzen vor dir –
Tiona – Tilotama –
die Chaos-Blüte –
das Gesetz geht über dir weg –
du schaust ewige Klarheiten –
an deine Lippe drängt sich der Becher –
der Becher! –
Und du
trinkst
– – –

 

Der Mensch spricht:

Oh mein Menschen-Bruder – oh mein Erde-Bruder –:
Der Becher quoll über! –
Nun lieg' ich trunken zwischen Blumen:
Mitten im Himmel:
in dem Garten der Welt.

 

ENDE


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