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Owen, Donnerstag, den 13. Januar 1831

Meine Geliebte!

Ich verstand mich fürwahr diesmal nicht recht auf mich selber, wenn ich Dir beim Abschied sagte, Du würdest erst am Montag Nachricht von mir bekommen; ich hätte voraus wissen sollen, es werde nach meiner Ankunft keine Stunde vergehen, ohne daß ich bereits dem Himmel dafür danke, daß er Federn und Tinte hatte wachsen lassen, um im Falle der Not ein verlangendes Herz (ich meine hier zunächst mein eigenes) zu trösten. Und so kam es denn auch; ich schreibe diese Zeilen noch vor Mittag und – wäre es ganz auf mich angekommen – ich hätte sie noch lieber unterwegs im Schneegestöber geschrieben. In vollem Ernste, bestes Kind, ich wüßte nicht, wann mir je ein Abschied von Dir empfindlicher gefallen wäre, und doch kann ich nicht sagen, warum? es blieb in keiner Hinsicht ein Stachel, auch der kleinste nicht, in mir zurück, nichts, das noch einer beruhigenden Auflösung bedurft hätte, ich war so ganz harmlos glückselig bei Dir und Euch – (eine einzige Stunde ausgenommen – den Mißton, der doch eigentlich unsern innersten Kreis nicht berühren konnte). Alles, meiner lieben Mutter heiterere Stimmung, mein Besuch bei Deinen Lieben in Grötzingen, trug dazu bei, mich den reinen Frieden ganz empfinden zu lassen, der von Dir auf mich zukommt. Aber, wenn ich mir selbst recht auf den Grund der Seele schaue, so kann ich am Ende deutlich einsehn, daß mir das Glück, das die Kenner der Liebe so gern in den Reiz der Unterbrechung setzen, von Tag zu Tag feiler werden will gegen ein anderes, wovon mir eine halbe Woche des stetigen Umgangs mit der Geliebten bereits ein merkliches Vorgefühl gibt – – doch hiemit käm ich auf ein Thema, dessen Ausführung ich Deinen eigenen Gedanken überlassen will, wofern anders die letzteren, wie ich wohl hoffen möchte, seit heute früh, aber darum doch wohl nicht zum erstenmal, eine ähnliche Richtung wie die meinigen nahmen. – Vorderhand mach ich den Weg von Grötzingen und Nürtingen nach Owen und das ging heute gut, wie zu erwarten war, von statten. Der Empfang im Hause war ungewöhnlich freundlich (ich will nicht sagen unverdient). Der gute Pfarrer machte mir in den ersten Minuten die Mitteilung eines Gedankens, der ihn, wie er sagte, dieser Tage beschäftigt habe. Er möchte mich gern bei der neuen Lehranstalt in Stetten untergebracht wissen – ein kurioser Einfall, der ihm, der Himmel weiß woher, gekommen ist; mich rührte nur die gute Intention dabei und ich mußte schon deshalb eine Weile ins Blaue hinein mit ihm darüber schwatzen. – Die Frau Pfarrer war indessen reeller für meine flüchtige Person besorgt gewesen; ich traf meine vier Pfähle wohl erwärmt an und sage nur zu Eurer Beruhigung, daß diese Maßregel (Dank seis der richtigen Divination der weisen Frauen) nicht gestern Abend schon getroffen wurde.

Ein Brief von – – kam auch wieder und ich leg ihn zur Kurzweil bei. Es scheint sich manches in ihm zu streiten und was seine Pläne betrifft, so fackelt es doch ein wenig gar zu arg; übrigens dauert er mich und doch bin ich gewiß, er ist zu klug, um allzulange in der Irre zu gehen. –

Abends 6 Uhr

Mir wird wieder wohl in meinen verschwiegenen Wänden, und ich bin mit mir zufrieden, wenn ich doch immer wieder die Anwendung des Spruches auf mich machen kann: »es sei ein gut Ding, daß der Mann fröhlich sein könne in seiner Arbeit.« Wie wird es erst sein, wenn einmal alle mein Tun und Treiben Hand in Hand mit Dir geht, wenn jeder Gesichtspunkt, aus dem ich tätig bin, sich unmittelbarer unter meine Augen drängt, wenn ich, mit Einem Worte, gewissen Grund und Boden werde gefaßt haben in jeder Beziehung! – Schon oft hab ich gedacht: von dem Augenblicke, wo wir über die eigene Hausschwelle treten, fängt die Beschränkung meines Daseins an, die mir erst die wahre Freiheit geben soll, und indem mein Horizont sich zu verengen scheint, wird er sich vielmehr erweitern, die Spannkraft der Seele, wie sie bisher zerstreut bald da, bald dorthin gezogen und vergeudet worden war, ist nun auf Einen Punkt gewiesen, sie wirkt nun jederzeit auf das hin, was zunächst liegt, und mit der Strenge mannigfaltigerer Pflichten wächst die Aussicht ins Leben, – in einem Sinne zwar, der manchen schon beängstigte, statt ihn zu erfreuen, mir aber soll dies weite Feld willkommen sein, so gewiß ich hoffe mich seiner glücklich zu bemeistern, sobald nur meine Tätigkeit in ungestörtem Einklang jenes gemütlichen Bedürfnisses stehen wird, das zunächst in Dir seine reinste und höchste Befriedigung findet.

Dieses alles und noch mehr ging auch neulich wieder, mehr oder weniger bewußt, bei mir um, wenn sich mein innerer und äußerer Sinn im lieben Anschaun Deines Wesens auf und nieder wiegte, und ganz gewiß glaub ich, Du denkst das nämliche, auch wenn Dus nicht aussprichst; ja mir ist, als hättest Du mir erst den Schlüssel zum Verständnis meiner Selbst, wie zum Verständnis meiner Vergangenheit und Zukunft gereicht. O laß mir diesen Glauben, teuerstes Kind, auch wenn er Dir noch wie ein Rätsel dünkte – bei mir steht er unerschütterlich fest und ich weiß, worauf er sich gründet.


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