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Owen, den 18. Februar 1830
Abends

Für Dich allein

Die Liebe ist gleich unersättlich im Austeilen und Hinnehmen immer neuer Schwüre, und so wird es uns stets ein glückliches Bedürfnis bleiben, das alte »Wie lieb ich Dich!«, welches Dein letzter Brief, doppelt unterstrichen, wiederholt, wechselseitig zu hören und hören zu lassen. Es ist derselbe einfache Akkord, der, so oft Du ihn anschlagen magst, jedesmal wieder neu und mit nie erhörtem Zauber in mir nachklingt. Diese süße Wiederholung, worin man sich selber nie ein Genüge tut, gleicht fast einem lieblichen Spiele, das etwa darin bestünde, daß Du ein goldenes Gefäß mit köstlichem Wein in ein anderes gössest, damit ich den immer frischen Perlschaum schnell vom Rande sauge, um sodann Dir wieder einzufüllen, daß Du das gleiche tuest, und so fort – ohne unsern Durst löschen und den Wundertrank zur Neige bringen zu können. Ist das ein Spiel, so ists ein solches, wie die Engel es treiben, und wir schämen uns seiner nicht. Glaubst Du, es könnte eine Zeit kommen, wo wir dessen satt werden? Ich kanns nicht denken; mich schauert, wenn ichs denke!

Wie lieb ich Dich! So ruf ich Dir heute zu und werde es noch, wenn jene Tage kommen, welche so manches Andere an mir abstreifen mögen, was jetzt noch Hand in Hand mit meiner Liebe geht.

Wenn ich manchmal in Gedanken dem Ursprung unserer Liebe nachgehe, wie man dem Gange und allen sanften Krümmungen eines Flusses folgt, so verschwimmt das Ganze vor meinem Blick wie in ein einzig unermeßliches Meer, auf dem ich staunend all mein Sinnen zerfließen lasse. Mir ist, als hätten wir uns gehört seit Ewigkeiten, und doch – der sonderbare Gegensatz! – mir ist, als muß ichs heute erst erfahren und begreifen lernen. Dies Gefühl des höchsten Glückes wird dann so überwältigend und groß, daß es keinen Ausweg findet als im brünstigen Dank gegen den, der Alles so wunderbar gefügt. – Ich bewundere mit Tränen die Liebe des Höchsten und seine Majestät, wenn mir einfällt, – ich, der Einzelne, an dem sich das Füllhorn überschwänglicher Wonne erschöpft zu haben scheint, bin doch der kleinste Teil nur in einer ganzen unendlichen Schöpfung, auf welche sich Ströme der Liebe stürzen. Es flutet eine Welt voll Seligkeit in mir auf und nieder – sie ist ein Tropfen, der im All verschwindet, – und doch so mächtig fühl ich mich in ihr, daß ich mir Nichts gleich mehr glaube von Allem, was außer mir und außer uns Beiden lebt; ja, wenn der Lobgesang aus tausend glücklichen Kehlen sich in Einem breiten Strome himmelan schwänge – ich könnte zweifeln, ob er der Empfindung meines einzelnen Glücks gleich käme, und doch fühlte von den Tausenden ein jeder vielleicht dasselbe, was ich und was Du. Sich aber gerade dies recht klar und innig bewußt zu bleiben und deswegen in Andern sich doppelt zu freuen, das mag ein charakteristisches Merkmal jener Seligkeit sein, wie sie im Himmel zu Hause ist, wo alle Selbstsucht wegfällt. Aber auch hier auf Erden läßt sich eine Ahnung davon haben – in Augenblicken, die gewiß zu unsern reinsten und herrlichsten gehören. Nur leider, daß man sie nicht festhalten kann!

Liebes, teures Kind –! ich habe hier mit vielen Worten und ohne recht zu wissen, wie sie aufs Papier kamen, ungefähr das gesagt, was Du mir viel besser und einfacher mit wenig Zeilen sagst, aber nimm es hin als den wahrhaften Ausdruck meines Innersten, den vielleicht jedermann, nur Du nicht, der Übertreibung beschuldigen würde. Du bist das Einzige Wesen, das mich hierin ganz zu würdigen versteht; ich bin der Einzige, der das schöne Geheimnis Deiner Seele, Deines ganzen Denkens, Seins und Ausdrucks entschleierte, der den leisesten Laut Deines Gemüts auffängt, daß er zum vollschwellenden Gesange in mir aufgeht. Liebes Herz! Könnt ich jetzt, an Deinem Halse liegend, alle das zusammenfassen mit Einem Blick in Dein getreues Auge – –!

Und nun zum übrigen Inhalte Deines Briefchens. Allerdings mußte schon seine Erscheinung mich höchlich überraschen. Die Überschrift von der Hand der lieben Mutter ließ mich durchaus nichts von meiner Luise vermuten. Ich dachte mir Dich längst über Berg und Tal, sofern sich nicht der Neckar auf die Partei meiner Liebe geschlagen hätte, die Dich so gerne in Nürtingen festbannen möchte. Aber man hat mir von einem Steg gesagt, der indessen die Fußgänger über das Wasser trage und unter diesen Fußgängern dachte ich mir eben auch mein Kind. Nun schlag ich den Brief auf – und wo die rechte Hand schreibt, da muß auch der übrige Körper noch sitzen. Das ist mir ganz, ganz lieb, aber die Ursache könnte mich sehr beunruhigen, wenn ich Deiner Versicherung nicht mehr glaubte, als meiner Furcht. Höre Kind! hast Du mir aber auch die reine Wahrheit gesagt? Darf ich nicht die mindeste Sorge haben? Ich will Dir nur gestehn, anfangs dacht ich von Deiner kleinen Unpäßlichkeit wenigstens den möglichen Gewinn zu ziehen, daß ich Dich auf einen halben Tag noch einmal in Nürtingen sehen könnte und meinte, Du solltest ganz behaglich und gefahrlos als leichte Patientin Deinen Leibarzt aus Owen erwarten oder im Notfall auch zitieren. Nun will mir aber doch einige böse Ahnung kommen. Ich gab mir alle Mühe aus den Schriftzügen Deines Briefchens auszumitteln, ob es etwa im Bette geschrieben sei; ich glaubte dies nicht zu finden, schloß hingegen aus dem schnellen Abbrechen beim Schluß auf einen heftigen Kopfschmerz. Hab ich Recht? Auf jeden Fall muß ich mir Gewißheit verschaffen und sende deshalb den Buben wieder. Gib ihm nur ein paar Linien mit. Auch möchte der liebe Louis mir die Versicherung zukommen lassen, daß er am Sonntag (aber zum Essen bei uns) hier sein werde. Er ist von Herrn Stadtpfarrers so freundlich eingeladen. Wenn er kommt, so könnte es vielleicht sein, daß – er nicht allein zurück müßte – es ist aber ein schwaches vielleicht. Er müßte etwa einen Grund mitbringen, der sich hören ließe.

Lieber Gott, ich weiß ja nicht einmal, ob Dich dieser Brief nur noch in Nürtingen trifft! Läge doch nur Grötzingen für mich in einerlei Entfernung mit Nürtingen oder hätte der Himmel es gefügt, daß Schwager Denk schon als Pfarrer in Ober-Ensingen säße, so sollten die lieben Grötzinger sehen, ob noch die ungleiche Rechnung zwischen meinen Besuchen bei Mutter a und Mutter b wäre und ob da ein Mensch noch unterschiede, was a und was b ist. Aber so kommt mein Herz immer in eine Kollision, und ich muß nur froh sein, wenn ich Dich in einiger Nähe erwische.

Beiliegenden Brief an die liebe Mutter in Grötzingen besorge mir doch mit Gelegenheit bald. Ich habe namentlich den 17. Februar als den Tag meines Wiedereintritts in das geistliche Leben darin geehrt. Auf meinem Kalender von 1829 ist er sehr deutlich angemerkt und am 23. desselben Monats besuchte mich Louis in Pflummern; erinnere ihn daran und laß Dir von ihm und der lieben Mutter überhaupt einiges aus dieser Periode erzählen, namentlich von den vierzehn Tagen, die letztere bei mir zubrachte. Gedachten Wandkalender bewahr ich noch immer sorgfältig in meiner Nähe, weil er auch den 14. August enthält und die ersten Tage unserer Liebe zählte; weißt, er hing in Plattenhardt immer links von meinem Schreibpult und wurde einmal bei einer seltsamen Berechnung zugrunde gelegt, die wir gemeinschaftlich machten. Nun ist der diesjährige auf denselben Pappdeckel über den alten hergeklebt, doch so, daß ich den neuen wie einen Vorhang der Vergangenheit abheben kann, um allerlei erbauliche Vergleichungen zwischen den Zeiten anzustellen. Ein Ausdruck, den Louis bei seinem Besuch im Dezember hier gebrauchte, als er den alten Kalender erblickte, hat mich sehr angenehm frappiert. Die vergelbte angerauchte Farbe des Papiers stach sehr ab gegen die frischgeweißte Wand. Nun sagte Louis mit ernstlichem Grausen: »Ein toter Kalender! wie eine Leiche!« Meinethalben! dacht ich – aber die frischen Rosen, womit die Monate Juni, Juli, August in meinen Augen noch auf ihm ausgesteckt sind, sieht der Freund nicht ...

Die musikalische Beilage, mein Kind, laß Dir ja recht empfohlen sein. Es ist ein Lied, das ich zu meiner größten Freude bei einem hiesigen Provisor vorfand. Mein unvergeßlicher August hatte mich zuerst damit bekannt gemacht, es wurde ein Lieblingslied von mir, lang eh ich denken konnte, daß es mir einst die lebendigste Erinnerung an das jugendliche Dasein meines teuren August werden sollte. Bei diesen Tönen – wie liegt jene reiche blühende Zeit wieder im warmen Sonnenschein vor meinem Blick verbreitet –! und wie beruhigt, ja wie selig kann ich von ihr in die Gegenwart übergehen, deren neues Glück, wie ichs in Deiner Liebe gefunden, sich so unnachahmlich in dieser Melodie abspiegelt. Ich glaube kaum, daß der zauberhafte Duft einer jungen lebendigen Liebe so frisch und innig, so wohlbekannt und süß irgendwo zu finden ist, wie in dem gegenwärtigen Lied – die Musik schmiegt sich so glatt und enge an den Text an, daß er sich nicht davon trennen läßt, was auch nicht nötig, obgleich die Convenienz einem Mädchen das herzhafte Absingen desselben schwerlich verzeihen möchte, so unschuldig ihn jeder finden wird. Nicht wahr, mir singst Du's doch? Wenn Du darauf bestehst, wollt ich einen andern, doch verwandten Text unterlegen, inzwischen aber gebrauche nur diesen zum Einlernen des Stücks. Herr Stark soll es Dir ein paarmal vorspielen. –

Nun scheid ich endlich von Dir. Eine gute Nacht der Kranken oder der Gesunden. Möge unser guter Genius heute unsere Träume zusammenflechten! Ich glaube, wenn es sich mit Geld erkaufen ließe, daß ich ganze Nächte im Traum mit Dir zubrächte, ich würde Hab und Gut verlieren. Nun, so schlaf wohl, mein liebstes Leben! Grüße Alles! Grüße mir auch das Eckchen am Kommod und (eine förmliche Zeitungsanfrage) frag, ob nichts vakant wäre für zwei junge ledige Personen, die im Küssen recht wohl unterrichtet, auch imstande wären, stundenlang das Wörtchen »amo« durch alle casus hindurch zu konjugieren und sich einander bloß in die Augen zu gucken, ohne einmal zu lachen, höchstens einmal, wenn der Nachtwächter sich vernennt, und statt neun Uhr elfe ruft.

Man wird mich aber nächstens zum Essen rufen und somit zum dritten und letzten Mal, Herz, gute Nacht!


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