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[Plattenhardt], den 4. Dezember [1829]
Freitag abends

Der Pfarrer von Neuenhaus hat Wort gehalten diesen Nachmittag. Ich begleitete ihn abends und kam auf dem Rückweg in der Dämmerung recht tief ins Nachdenken über vergangne Szenen, wovon diese Büsche, diese Tannen Zeugen gewesen waren. Noch Einmal führte ich die fröhlichen Schattenbilder jenes abenteuerlichen Heimzugs beim Fackelschein vorüber und gedachte des kleinsten Umstands wieder mit glücklicher Wehmut. Weißt, ich sagte damals zu Dir: Was die Bäume rechts und links so gespenstische, verwunderte Gesichter gegen den lachenden Schwarm schneiden, der ihren kaum angefangenen Waldtraum unterbricht und verjagt! Heute sah ich sie wieder darum an, und sie schienen mich zu kennen und untereinander zu flüstern: Warum geht doch dieser heute so allein? – Ach, dacht' ich, bald seht ihr auch mich nicht mehr! Ich bin der Letzte, der hier wandelt, von denen, deren Stimmen einst an glücklicheren Tagen durch diese grünen Gänge widerhallten. Ich hätte dies laut weinen können, ohne daß auch nur ein leiser Seufzer in einem der kalten Wipfel nachgeklungen oder ein Blättchen es dem andern erzählt hätte – so wenig erwidert die äußre Natur das sonderbare Vertrauen, womit wir sie in Freude und in Schmerz so gerne anzurufen gewohnt sind! Und doch, was konnte sie mir besser als Antwort entgegenhalten, als ein erstorbenes Laub, das einst wieder frisch grünen wird?

Neulich, mein teuerstes Herz, als ich nach dem Abschied von Dir alleine meinen Weg so fort ging und die Nacht wie in immer dichteren Schichten leise niedersank, ich rund um mich keinen Laut mehr hörte, als meinen eigenen Fußtritt, und der Mond auf seinem rein blauen Feld nun sich so ruhig die alte Erde, so ruhig wie vor tausend Jahren auch, beschaute, da dacht ich: Wie viel Elend und Not siehst Du nun in diesem Augenblick hier unten, so weit Menschen nur atmen – und doch, wie viele Seligkeit auch! Ich verdoppelte unwillkürlich meine Schritte, voll von dem Gefühl, daß auch ich einer von den ganz Glücklichen sei! Ich schauderte einen Augenblick vor der Größe und vor der Wirklichkeit meines Glücks; – denn, gibt es nicht solche seltene Momente, wo gleichsam ein rascher Blitz des innersten Bewußtseins und das, was wir besitzen und sind, in seiner ganzen Gestalt sehn läßt – in der überwältigenden Fülle seiner Wirklichkeit, während es dann scheint, als wäre man bisher nur wie in einem gewöhnlichen Traum befangen gewesen? Da ist es mir denn, als rührte plötzlich ein Gott meine Schulter mit der Hand und ich schlüge hell die Augen auf – aber nur, um dann gleichsam wieder von einem wachen Traum in den andern zu stürzen, vergeblich ringend, das Wunder zu begreifen, das mich so glücklich macht. O liebe, liebe Luise, es ist wahrhaftig kein leeres Wort, wenn ich Dir sage, daß ich in solchen Augenblicken mich zu jener himmlischen Genügsamkeit erhoben und fähig fühle, welche in dem bekannten Ausdrucke liegt: »– – Rufe Dein Kind zurück! Ich habe genossen das irdische Glück! ich habe – usw.« –

So viel, meine Teuerste, wollte ich diesen Abend noch schreiben, um auch nur Eines Tropfens von dem seligen Meer los zu werden, das mir oft die Brust sprengen will. Gute Nacht! schlaf wohl – diese Worte riefst Du mir noch zuletzt auf der Höhe des Bergs nach, und seitdem verlassen sie mit ihrem Klang mein Ohr nicht mehr. Gute Nacht! schlaf wohl! –

Samstag, den 5. Dezember

Es zeigt sich soeben Gelegenheit, Dir meinen Gruß durch einen Buben aus Grötzingen zuzuschicken und das freut mich, denn mir ist, als verlange Dichs gerade heut nach einer Zeile von mir. – Gestern wird wohl die liebe Schwester Rike wieder zurückgekommen sein. Hab ich nicht recht, wenn ich sagte, sie sei nicht recht munter in Nürtingen gewesen? sag ihr doch in meinem Namen, sie soll den Kranz von Johanne J. als ein fröhliches Zeichen anerkennen! Könnte nur ich etwas zu ihrer Erheiterung tun! Sie ist so lieb und gut gegen Dich und mich!

Dein Gestricktes liegt immer vor mir; gestern sah ichs mit dem Gedanken an: da hat mein Kind doch wenigstens auch bei jeder fünften Masche an mich gedacht! In jeder fünften Masche hängt also doch Ein Gedanke eingebaut – die muß ich alle einzeln und durch Küsse erlösen, sonst läßt mir das Zaubernetz keine Ruhe.

Aber daran, liebes Herz, muß ich nun doch gelegentlich eine Warnung und eine Bitte knüpfen – sie betrifft Deine Augen! – Im Ernst, es fiel mir recht schwer auf die Seele, daß Du vielleicht viel bei Nacht gearbeitet hast. Nicht wahr – Das läßt Du künftig! Rike hat sich mir als Hüterin versprochen! Am Montag kommt die Madel, um Abschied von Euch zu nehmen – Ich wäre wohl recht begierig zu wissen, wie sich Deine liebe Mutter befindet. Gib der Madel auf alle Fälle ein paar Linien mit. – Fritz in Tübingen hat die Kiste gestern ganz richtig erhalten, aber keine Zeit gehabt, mir zu antworten. –

Für eine anmutige Lektüre auf die Zwischenzeit in Nürtingen hab ich gesorgt. – Nun leb wohl! Grüße Alles von

Deinem treuen
Eduard

Sei doch so gut, bring auch das Bändchen von Wahrheit und Dichtung mit, in welchem Du eben stehen geblieben bist, Du mußt mir dann einiges draus vorlesen.

Nachträglich, liebes Kind! darf ich Dir nun wohl auch gestehen, daß es bei meiner Weigerung, über den Mittwoch zu bleiben, mit der Betstunde nicht so ganz Ernst war. Ich fürchtete nur, Du würdest und Ihr alle würdet mich nicht recht begreifen und mich mit Zureden in Ungelegenheit bringen, wenn ich den wahren Grund sagte. Die Besuche von Bernhausen warens eigentlich; aber wahrhaftig nicht etwa, weil mich irgendeine Erinnerung bange machte – davon kann gar keine Rede mehr sein – sondern weil so ein Zusammentreffen überhaupt etwas Störendes und Ungeschicktes für mich hat. Ich bin gewiß, Du, mein Herz, verstehst mich hier sicherlich unter Allen am Besten und weißt auch, daß die Sache an sich von gar keiner Bedeutung mehr ist. –

Noch etwas: wenn Du Dein Tagbüchlein wohl mitbringen könntest, so wollt ichs auf ein paar Wochen nach Owen nehmen und gelegentlich Einiges für Dich drein schreiben, das Du nachher mit Freuden läsest und das Dir Lust machte, so fortzufahren.


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