Balduin Möllhausen
Westliche Fährten. Erster Band
Balduin Möllhausen

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Ein Sonntag in den Goldminen

Verlockend klingen die Schilderungen der Goldfelder Kaliforniens, welche über den ganzen Erdball verbreitet werden! Und dennoch, um das edle Metall aus seinen dunkeln Lagern, wo es seit unberechenbaren Zeiten ruhte, an's Tageslicht zu fördern, bedarf es der Mühen und Anstrengungen, von welchen sich nur derjenige ein richtiges Bild zu entwerfen vermag, der solche aus eigener Anschauung kennen lernte. Selbst das einfache Waschen des Sandes auf Stellen, auf welchen das Wasser aus beträchtlichen Entfernungen herbeigeschafft, oder der Sand zu diesem hingetragen werden muß, sind Arbeiten, die, wenn sie lohnen sollen, den kräftigsten Körper ermüden und erschöpfen. Wo aber, um in den trocken gelegten Betten nach dem kostbaren Metall zu suchen, Flüsse abgeleitet, in Verfolgung der goldbergenden Adern tunnelähnliche Gänge in die Felsen hineingesprengt, brunnenförmige Schächte in den Erdboden gesenkt und lange Wasserleitungen gebaut werden müssen, da sind Kräfte erforderlich, wie sie nur durch das Zusammenwirken zahlreicher, arbeitsfähiger Männer aufgebracht werden können.

Solche vereinigte Goldgräber-Gesellschaften oder Compagnien bilden gewissermaßen kleine Republiken, in welchen alle Hände gezwungen sind, gleichmäßig zu schaffen, während alle Augen gleich scharf und argwöhnisch die Vertheilung der gewonnenen Schätze überwachen.

Doch ob vereinzelt oder in größeren Abtheilungen ihrem mühevollen Gewerbe nachgehend, die Goldgräber sind nicht um ihr Loos zu beneiden, und wohl ist ihnen zu gönnen jeder Gewinn, der das gewöhnliche Maß übersteigt, sie bis zu einem gewissen Grade entschädigt für ein an Genüssen jeglicher Art so unbeschreiblich armes Leben. Und welche Genüsse könnten sich den Menschen bieten, die bei ihrem Eintritt in die Minen Alles hinter sich zurücklassen, was sonst ihr Herz erfreute; die kein anderes Ziel, keine andere Hoffnung kennen, als durch ein launenhaftes Glück möglichst schnell in den Stand gesetzt zu werden, mit ausreichenden Mitteln versehen zu ihrer ursprünglichen Lebensweise zurückzukehren? Was kümmert den Goldgräber geselliger Verkehr, so lange derselbe nicht Arme aufzuweisen hat, welche die Hacke zu schwingen und die Schaufel zu handhaben verstehen? Was kümmern ihn malerische Scenerieen, hochaufstrebende gigantische Felsmassen, liebliche Thäler, schäumende Wasserfälle und sprudelnde Quellen, so lange sie nicht die Heimat leicht zu erschließender Goldlager? Befinden sich auch Manche unter ihnen, deren Dichten und Trachten einst geistige Genüsse gewesen, oder die sich ihr ganzes Leben hindurch eine warme Verehrung für die Natur und ihre Werke bewahrten; in den Goldminen zeichnet sich Keiner vor den Genossen aus. Ueberall dieselben sonnverbrannten, mehr oder minder bärtigen Physiognomien; auf dem wenig gepflegten langen Haar derselbe graue abgetragene Filzhut; überall dieselben farbigen Flanellhemden, dieselben langen Stiefeln und derselbe, mit Pistole und Messer beschwerte breite Ledergurt. So arbeiten nebeneinander, der frühere Kaufmann und der Kärrner, der lustige Student und der fechtende Handwerksbursche, der hausirende Jude und der übermüthige Offizier, der fromme Geistliche, der Viehtreiber und der Stutzer. Wo blieb das, was einst ihren Stand verrieth? Der Tod und das Gold machen Alles gleich.

»Sechs Tage sollst Du arbeiten und am siebenten rasten«, dies ist das Gebot, nach welchem die Goldgräber vorzugsweise ihr Leben regeln. Die sechs Wochentage hindurch essen sie ihr Brod im Schweiße ihres Angesichts, den Feiertag aber heiligen sie, indem sie dem schwerarbeitenden Körper die ihm so nothwendige Ruhe gönnen, sogar mit den ihnen zu Gebote stehenden spärlichen und sehr kostspieligen Mitteln ihrer äußeren Erscheinung einen gewissen festlichen Ausdruck verleihen. Die Ruhe des Tages, die Entfernung der auf ihr mühseliges Gewerbe hindeutenden Spuren vom Antlitz, von den Händen und Kleidungsstücken bleiben nicht ohne Wirkung auf die in religiöser Beziehung ziemlich gleichgültigen Gemüther. Sie werden nachdenklicher und leicht gelingt es den theils von heiligem Eifer, theils von starrem Fanatismus beseelten, von Ort zu Ort wandernden Missionären und Wüstenpredigern, gleichviel ob Methodist, Baptist oder Presbyterianer, an solchen Tagen einen zahlreichen Zuhörerkreis um sich zu versammeln und ihren Worten und Lehren zugänglich zu machen.

Wohl treibt nur der planlose Wunsch: Ein Stündchen in nicht oft gebotener Unterhaltung zu verbringen, die meisten aus ihrer trägen Sonntagsruhe auf die zur Kirche gewählte Stätte, wo sie ebenso gut zu rasten und Probegestein mittelst des Vergrößerungsglases zu untersuchen vermögen, wie in dem heimatlichen Bretterschuppen oder unter dem verwitterten Zeltdach; wohl gleiten die Blicke theilnahmlos über die wilden Gestalten der in den verschiedensten Stellungen gruppirten Arbeitsgenossen, über die bizarre Naturumgebung und endlich über denjenigen hin, von welchem sie die Unterhaltung erwarten; doch nur kurze Zeit, und es zeigt sich die Wirkung des Wortes, entnommen dem heiligen Buche und gesprochen mit frommer, überzeugender Kraft.

Das summende Geräusch in der bunt zusammengewürfelten Gemeinde verstummt; mit gleicher Andacht lauschen der mit hoher geistiger Ausbildung in die Welt hinausgetriebene Abenteurer und der zu schwerer Arbeit geborene Sohn des Tagelöhners. Es lauscht der dem Götzendienst ergebene Chinese und die toll in's Leben hinein stürmende, leichtfertige kalifornische Sennorita. Anfänglich gefesselt durch das Ungewohnte der ganzen Scene, erhält die Aufmerksamkeit der Zuhörer doch sehr bald einen andern Charakter und mit diesem eine höhere Spannung. Erinnerungen werden wachgerufen, Erinnerungen, die bis in das früheste Jugendalter zurückreichen; vor dem in der Vergangenheit suchenden geistigen Auge tauchen traute Gestalten auf, von welchen Länder und Meere, vielleicht auch schon das Grab den fernen Angehörigen scheiden.

Es sinkt die Hand mit der Lupe, es sinkt die Hand mit dem goldgeaderten weißen Quarz. In's Auge dringt die Thräne. Gefühle, wie sie einst den unter dem Schutze der Eltern sorglos in den Tag hineinlebenden Knaben bewegten, wiederholen sich bei dem gereiften, vom Schicksal in die Fremde verschlagenen Manne. Banges Sehnen erweitert die Brust, und nach oben richten sich die Blicke, im Herzen ein stummes Gebet um gedeihlichen Fortgang der mühevollen Arbeit, um eine glückliche Heimkehr.

Das ist der Gottesdienst in der vor wenigen Jahren erst erschlossenen Wildniß!

Ende.

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