Balduin Möllhausen
Westliche Fährten. Erster Band
Balduin Möllhausen

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Die Gabel-Antilope.

Wie die Gemse den fast unzugänglichen Regionen der eisgekrönten Alpen viel von dem Charakter einer schrecklichen, aber erhabenen Starrheit raubt, so belebt die Gabel-Antilope strichweise gar anmuthig die beängstigende Einsamkeit der nordamerikanischen Steppen und Wüsten.

Nicht in gewaltigen Heersäulen, wie der wandernde Bison oder die umherschwärmenden Mustangs, durchziehen diese schöngezeichneten Thiere die unabsehbaren Ebenen, sondern bald einzeln, bald in Rudeln, deren Mitglieder selten die Zahl von hundert übersteigen, deshalb aber nicht minder das Auge des Reisenden erfreuen, der seit Tagen, vielleicht seit Wochen vergeblich in der lautlosen Einöde nach größern Geschöpfen spähte.

Sehr zutreffend wird diese einzige Antilope, welche dem nordamerikanischen Continente eigenthümlich, auch die Prairie-Gemse genannt, indem sie in manchen Beziehungen lebhaft an die gewandten Bewohnerinnen des ewigen Gletscherreichs erinnert. Ihr Körper ist nur wenig größer und schwerer, als der eines gewöhnlichen Schafes, dagegen verleihen die längern Beine und der längere Hals ihr ein schlankeres und gefälligeres Aussehen. Die Stirn ist breit und gehöhlt, der Kopf im Ganzen spitz und zierlich auslaufend. Vorzugsweise charakterisiren sie indessen die seltsamen Hörner und die merkwürdige Lage der Augen. Erstere, in ihren Bestandtheilen den Ziegenhörnern ähnlich, sind an der Wurzel, wie gepießt, und füllen den Raum zwischen den Augen und dem Hinterkopfe aus. In ihren äußern Formen weichen sie vielfach von einander ab; zu verkennen ist dagegen nirgends die Normalbildung, gemäß derer, dem Schädel näher oder entfernter, die kurze Zinke der »Gabel« sich nach vorn abzweigt, während die andere gleich nach der Abzweigung der ersteren sich rundet, je nach der Stärke und dem Alter des Thieres sich schräge nach innen in weitem Bogen wölbt und endlich, wie bei der Gemse, in eine schwach gebogene Spitze ausläuft.

Dicht unter den oftmals mit kleinen Auswüchsen übersäeten Kronen der Hörner und gleichsam in diese hineinreichend, liegen die großen glänzenden Augen. Jene bilden mit der Linie des Nasenbeins einen fast rechten Winkel, wodurch das harmlose Thier einen überaus wilden und herausfordernden Ausdruck erhält, der noch erhöht wird durch die starr abstehenden Mähnhaare, welche, auf dem Hinterkopf beginnend, erst in der Nähe der Schultern wieder vollständig mit der übrigen Behaarung zusammenfallen. Bei den weiblichen Antilopen sind gewöhnlich keine Hörner sichtbar; nur in seltenen Fällen erreichen dieselben als scharfe Spitzen eine Länge von zwei bis drei Zoll. Die Hufe sind kurz und scharf und deren Abdrücke denen des Schafes ähnlich; auch fehlen, wie bei diesem, die Afterklauen. Ihr Haar ist dicht und spröde; die Farbe desselben auf dem Rücken gelbbraun. Auf den Seiten geht das Braun allmählich in Gelb über, bis es endlich von dem Weiß der ganzen unteren Hälfte in unregelmäßigen Linien scharf begrenzt wird, wogegen feine schwarze Zeichnungen den Kopf zieren. Vorzugsweise liebt die Gabel-Antilope die Ebenen, doch findet man sie auch in den Schluchten der Gebirge und in den furchtbaren Felsenwüsten, welche sich zwischen Neu-Mexico und Californien zu beiden Seiten des Rio-Colorado ausdehnen. Ihr eigentliches Gebiet sind die Wildnisse zwischen dem Stillen Ocean und dem Mississippi, und zwischen Oregon und Mexico; selbst auf den Weiden von Neu-Mexico und Californien umschwärmen sie vielfach die Schaf- und Rindviehheerden, sich denselben sogar zeitweise zugesellend. Im Allgemeinen sind sie sehr scheu; ihre Neugierde überwiegt indessen ihre Furchtsamkeit, namentlich da, wo die Erscheinung von Menschen ungewöhnlich, in so hohem Grade, daß sie häufig ein Opfer derselben werden. Ein von einem in den Boden gesteckten Stabe flatternder Zeugstreifen zieht sie förmlich an; bald fliehend, bald wie zum Angriff vorschreitend und mit den Vorderhufen herausfordernd den Boden stampfend, umspielen sie den ihnen fremdartigen Gegenstand, bis sie endlich in den Bereich des lauernden Schützen gelangen. Der Knall der Büchse verscheucht sie; nicht selten aber eilen sie in langen Sprüngen zurück, um sich von der Ursache des drohenden Geräusches und des Falles eines der Ihrigen zu überzeugen und ein zweites Opfer auf der verhängnißvollen Stelle zurückzulassen.

Dem einsamen Steppenreisenden bieten die Antilopen oft eine liebliche Unterhaltung. Stundenlang begleiten sie ihn, das bedächtig einherschreitende Reitpferd in Schlangenlinien umkreisend, ihm bald vorausfliehend, bald weit hinten bleibend und wiederum mit Windeseile in gleiche Höhe mit ihm sprengend. In allen Bewegungen entwickeln sie dabei eine wunderbare Grazie, das Auge doppelt freundlich berührend, wenn es seit Wochen nichts Anderes sah, als die ununterbrochene grüne Ebene und den sich über dieselbe wölbenden sonnigen Himmel. Wo man aber in der unabsehbaren Wüste fast einzig und allein auf die Gesellschaft dieser Thiere angewiesen ist, da beobachtet man sie schärfer und aufmerksamer; ihr Wesen gewinnt einen erhöhten Ausdruck; man möchte ihnen nicht nur die Gabe der Sprache und der freien, tändelnden Unterhaltung zuschreiben, sondern auch einen gewissen Ehrgeiz, infolge dessen sie sich gegenseitig in der Zierlichkeit ihrer Bewegungen wie in plötzlichen launigen Einfällen zu übertreffen suchen. Nur wenn sie in den Bereich der durch Berührung ungleich erwärmter Luftschichten erzeugten Spiegelungen treten, verändern sie scheinbar ihre Gestalt in grotesker Weise. Abwechselnd zu plattgedrückten Schildkröten zusammenschrumpfend und sich wieder zu unförmlich dünnen und hohen Dromedaren ausstreckend oder gar zerreißend und in doppelter Gestalt, die Füße in entgegengesetzter Richtung mit den Köpfen zusammengewachsen, gleichen sie einem Heere neckischer Kobolde, welche sich einen zitternden, wellenschlagenden Wasserspiegel zu ihrem Tummelplatze auserkoren haben. Es ist, als wollten sie die Aufmerksamkeit des lechzenden Wanderers von dem vor ihm fliehenden trügerischen Gewässer ablenken, ihm beweisen, daß unterhalb der spielenden Wellen ihr scharfer Huf dürres Gras zerknicke und heißen Staub aufwirbele.

So sind die Gaben der Natur wunderbar vertheilt. Was durch seinen Anblick den überlegenden Menschen martert, ihn tückisch erinnert an den ersehnten Labetrunk und dadurch seine Leiden erhöht, das bleibt unbeachtet von den übrigen Geschöpfen. Wo es gilt, in ungastlichen Wüsten den Körper vor dem Untergange zu bewahren, da tritt selbst die kühnste Berechnung des Geistes hinter den nie irrenden Instinct der Thiere zurück.


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