Balduin Möllhausen
Das Mormonenmädchen. Band I
Balduin Möllhausen

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5.

Fort Utah

Der kulturfähige Boden, der vorzugsweise die heimatlosen, westlich wandernden Mormonen zur Gründung ihres neuen Zion veranlaßte, liegt auf der Ostseite des großen Salzsees, unter den westlichen Abhängen des Wahsatch- gebirges. Dasselbe erstreckt sich in einer Breite, die zwischen zehn und fünfzig englischen Meilen schwankt, von der nördlichen Spitze des Salzsees gegen hundertfünfzig Meilen weit südlich, wo er in dem umfangreichen Becken des Utahsees endigt.

Der Jordan, ein von zahlreichen Gebirgsquellen genährter Strom, verbindet den Utahsee mit dem großen Salzsee, und führt das süße frische Wasser des ersteren in fast nördlicher Richtung dem letzteren zu. Er durchschneidet und bewässert daher einen Landstrich, der mit als der beste Teil des mächtigen Salzseetales bezeichnet werden darf, und der sogar dem Auge Szenerien bietet, auf welchem es gern und lange haften bleibt.

Am anmutigsten erscheint dem Wanderer indessen der Utahsee selbst, mit seinem breiten stillen Wasserspiegel, mit der malerischen Einfassung zerklüfteter Gebirgszüge, die ihn von drei Seiten vollständig abschließen, mit den sanft ansteigenden Grasflächen, die von den Ufern nach den Basen der Berge hinaufreichen, und endlich mit der Fernsicht gegen Norden, der einzigen Richtung, in welcher die starren Bodenerhebungen ein weites Tor offen lassen, durch welches sich der Jordan seinen Weg gegen Norden gebrochen hat.

Große Forellen beleben den See reichlich; fruchtbarer Boden, teils von der Natur schon zur Genüge bewässert, teils zur künstlichen Bewässerung sehr günstig gelegen, harrt der Urbarmachung und Bestellung entgegen; Holz, zur Feuerung und zu Bauzwecken verwendbar, schmückt die Schluchten und Ausläufer der nahen Gebirgsketten, und so darf mit Recht behauptet werden, daß die Talgründe des Utahsees und des Jordans alles bieten, was einem dem Ackerbau und der Viehzucht obliegenden Volke zur Gründung von Kolonien nur immer erforderlich erscheinen mag.

Der beste und untrüglichste Beweis hierfür ist, daß die Mormonen, nachdem sie weiter nördlich am großen Salzsee ihre heilige Stadt angelegt hatten, sich auch über die eben genannten Territorien zerstreuten, und nicht nur Farm auf Farm errichteten, sondern auch zur Anlegung von größeren Städten schritten, und auf diese Weise den Boden für die nachfolgenden und fast täglich eintreffenden Brüder ihrer jungen Gemeinde gleichsam ebneten.

Obgleich die Heiligen der letzten Tage, im Vergleich mit anderen zivilisierten Nationen, einen friedlichen Verkehr mit den wilden Eingeborenen aufrecht erhielten, deren Grund und Boden sie sich angeeignet hatten, so war von ihnen doch nichts verabsäumt worden, was zur Sicherheit ihrer, oftmals sehr weit von einander getrennt lebenden Ansiedler beitragen konnte. Hin und wieder entstanden Blockhäuser und von Pallisaden eingeschlossene Höfe, die von den anwohnenden Familien bei feindlichen Eingriffen der Indianer als Zufluchtsstätten betrachtet wurden.

Das am Timpanogasfluß gelegene Fort Utah war einer der ersten befestigten Plätze, die man in der Nähe des prächtigen Utahsees errichtete. Dasselbe bildete eine Art Station, von welcher aus man immer wieder zur Anlage von neuen Niederlassungen schritt, und denselben dann auch noch fernerhin den nötigen Schutz angedeihen ließ.

Was man im gewöhnlichen Leben unter der Bezeichnung »Fort« versteht, war die befestigte Ansiedlung eigentlich nicht, doch entsprach sie vollkommen den Zwecken, welche man bei ihrer Gründung im Auge hatte. Dabei entbehrte es nichts von den Annehmlichkeiten, welche den gerade nicht verwöhnten und mit bescheidenen Wünschen dorthin gekommenen Siedlern das Leben behaglich machen konnte.

Eine Anzahl kleiner, fester Blockhäuser, durch Pallisaden miteinander verbunden, umgaben einen großen Hofraum, in dessen Mitte, auf starken Pfählen ruhend, eine Art von Plattform erbaut worden war. Diese Plattform, auf der man eine Berghaubitze aufgestellt hatte, welche die nähere Umgebung des Forts beherrschte, diente ebensowohl zur Verteidigung bei feindlichen Angriffen, als auch zu öffentlichen Versammlungen, in welchem letztern Falle man den Raum unterhalb des Schutzdaches zum Aufenthalt wählte. Die Beratungen, welche dort abgehalten wurden, verloren indessen durch ihre Einfachheit des luftigen Sitzungssaales nichts von ihrer Wichtigkeit; ebensowenig wie die etwaige Verteidigung des Postens vielleicht minder nachdrücklich gewesen wäre, weil derselbe, aus der Ferne betrachtet, den Eindruck einer friedlichen Niederlassung hervorrief. Denn gefährlicher noch, als die Berghaubitze, wären bei solchen Gelegenheiten die langen Büchsen gewesen, welche, obgleich nur gering an Zahl, aber geführt von eisernen Fäusten und furchtlosen Herzen, zwischen den Balken der kleinen Blockhütten hindurch den Angreifern entgegengestarrt hätten.

Der Winter neigte sich seinem Ende zu, aber noch immer hielt er die Natur mit eisigen Fesseln umfangen. Unter einer tiefen Schneedecke schlummerten die Gärten und Felder, welche Fort Utah in weitem Umkreise umgaben, und wie in tiefem Schlummer versunken erschienen die in reines Weiß gekleideten Gebirgszüge. Selbst die Hütten mit der Schneelast auf den Dächern, die beschneite Plattform und die im Freien stehenden Wagen und Ackergerätschaften, auf deren oberen Flächen die in Masse gefallenen Flocken kleine Berge und lange blendende Streifen gebildet hatten, sahen aus, als wenn sie fröstelnd lauter wärmende Decken über ihre Häupter gezogen hätten, und unfähig, der Übermüdung länger zu widerstehen, Eins nach dem Anderen eingenickt wären.

Nur der Timpanogas war noch munter und sprudelte und gurgelte lustig in seinem Bett dahin. Er war zu stark, zu jugendkräftig, als daß der Frost auch an ihm seine Gewalt hätte ausüben können. Bildete sich aber auf dem stillen Wasser in den Biegungen wirklich eine schwache Eiskruste, so hemmte das doch nicht seinen rüstigen, eiligen Lauf, und in wenigen Minuten spülte und riß er oftmals alles wieder fort, woran die Kälte eine ganze Nacht hindurch mit vieler Mühe gearbeitet und gebaut hatte. Ein Dutzend Krähen brachte ebenfalls noch etwas Leben in die stille Abendlandschaft. Die armen Tiere sahen indessen sehr verhungert aus, und wateten so schwerfällig durch den Schnee, wo sie in den Spuren von Menschen und Vieh einige Brosamen zu finden hofften, oder thronten so verdrießlich mit gesträubten Federn auf einem horizontalen Baumast, daß man hätte Mitleid mit ihnen empfinden und ihnen ein warmes Plätzchen in einer der Blockhütten wünschen mögen, die so einladend ihre schwarzen, von kienigem Holz herrührenden Rauchsäulen in die stille Atmosphäre hinaufsendeten.

Der Himmel war grau und einfarbig, als habe er jeden Augenblick von neuem beginnen wollen, seine schwere Flockenlast von sich abzuschütteln. Doch gerade die Farbe des gleichmäßig verteilten Gewölks und die dem Einbruch der Nacht weit vorauf eilende Dämmerung waren es, was der ganzen winterlichen Landschaft, so weit das Auge reichte, den Charakter einer erhabenen, feierlichen Ruhe verlieh.

Da schlug plötzlich ein Hund auf dem Westende des Forts an. Zuerst dumpf und verdrossen, als habe er sich gescheut, sein warmes Lager unter einem mit Stroh angefüllten Schuppen zu verlassen und einen Spaziergang durch den Schnee anzutreten. Als aber andere Hunde antworteten und sich ihm sogar bellend näherten, da schwanden seine letzten Bedenken. Grimmig heulend stürmte er aus seinem Versteck hervor, seine Kameraden schlossen sich ihm, nicht minder geräuschvoll, an, und dahin ging es in wilder Jagd, durch den stäubenden Schnee, einer nahen Bodenerhebung zu, von wo aus sie das Tal des Timpanogas bis fast zu seiner Vereinigung mit dem Utahsee zu überblicken vermochten.

Auf das Gebell der Hunde öffneten sich mehrere Türen, die nach dem Innern des Hofes zu lagen, und in denselben wurden Männer sichtbar, welche sich gegenseitig anriefen und über die Ursache der unvermuteten Störung befragten.

Die Männer verschwanden wieder in den Türen, gleich darauf erschienen indessen auf der Außenseite der Einfriedung zwei derselben, die sich mit ihren Büchsen bewaffnet hatten und geraden Weges auf die Hunde zuschritten, während ein dritter sich nach der Plattform hinaufbegab, um von dort aus in die Ferne zu spähen.

Die Hunde hatten sich unterdessen auf dem Hügel niedergelassen, und aus dem kurzen, abgebrochenen Gebell, welches sie jetzt nur noch abwechselnd erschallen ließen, ging deutlich hervor, daß sie dasjenige, was sie aus ihrer Ruhe aufgestört hatte, mochte es nun sein, was es wolle, eben für keine drohende Gefahr erkannten.

Die Männer, welche sich zu ihnen gesellten, mochten ein Ähnliches denken, denn kaum waren sie bei den wachsamen Tieren angekommen, die nunmehr ihren Lärm ganz einstellten und sich schmeichelnd und ihre buschigen Schweife wedelnd an sie herandrängten, so stützten sie ihre Büchsen vor sich auf den Boden, und sich dann auf dieselben lehnend, bekundeten sie die Absicht, die Ankunft der Personen abzuwarten, die sich auf der nach der Salzseestadt führenden Straße schnell näherten.

Es waren dies drei Männer, welche, auf kräftigen Maultieren reitend, sich so in ihre weiten wollenen Decken gehüllt hatten, daß ihre Gestalten sich kaum noch als menschliche Figuren auszeichneten, sie wären in der Tat schwer von großen Warenballen zu unterscheiden gewesen, wenn nicht die breitkrämpigen, tief in die Stirn gedrückten Filzhüte und die quer auf den Sätteln ruhenden Büchsen auf ihren Charakter hingedeutet hätten.

Sie ritten so, daß ein Tier immer in die Spuren des andern trat, und indem sie sich schweigend dahinbewegten, und die tiefe Schneelage den Schall der Hufe dämpfte, erhielt die kleine Karavane etwas Unheimliches, was aber im vollen Einklang mit der winterlichen Umgebung und der Öde stand, die trotz der mannigfachen Merkmale von der Nähe von Menschen auf Berg und Tal ruhte.

Als die beiden Späher ihrer zuerst ansichtig wurden, mochten sie wohl noch gegen fünfhundert Schritte weit von dem Fort entfernt sein. Es verstrichen daher mehrere Minuten, bis sie nahe genug an die Bodenerhebung herangelangten, um angeredet werden zu können. Wenn die Späher sich aber in Mutmaßungen über den späten Besuch und dessen Zwecke ergingen, so taten sie es jeder für sich, denn seitdem sie die Blockhütten verlassen hatten, war noch kein einziges Wort zwischen ihnen gewechselt worden.

Der Weg führte gerade an dem kleinen Hügel vorbei. Als die Reiter sich also am Fuße desselben befanden, waren sie kaum noch zehn Schritte weit von den schweigsamen Schildwachen entfernt, die noch immer keine Miene machten, ihnen entgegenzutreten.

»Guten Abend, meine Brüder«, redete endlich der vorderste Reiter die Späher an, indem er sein Pferd anhielt und, die Decke zurückwerfend, ihnen ein hageres, wettergebräuntes Gesicht enthüllte, aus welchem ein Paar dunkle Augen mit eigentümlich ernstem, aber etwas verschmitztem Ausdruck hervorleuchteten.

Sobald die Wachen den Fremden erkannt hatten, legten sie ihre Büchsen über die Schultern, und den Gruß erwidernd, traten sie zu den Reitern heran, um jedem einzelnen derselben die Hand zu reichen. Aus ihrem Benehmen ging übrigens hervor, daß sie mit allen auf mehr oder minder vertraulichem Fuße standen, und daß sogar der Reiter, der den Zug schloß, und der, als er seine Decke niedergleiten ließ, die sehnige, in Leder gekleidete Gestalt eines indianischen Kriegers zeigte, schon früher in näherem Verkehr mit ihnen gestanden haben mußte.

»Wie geht es den Brüdern im Norden?« fragte der ältere der beiden Späher, indem er nach der ersten Begrüßung an die Seite des vordersten Reiters trat, und sodann mit diesem den Weg nach der Toröffnung der Palisaden einschlug.

»Sie sind voller Vertrauen auf Gott und ihre gerechte Sache. Bereit, das heilige Zion zu beschützen, wird ihre Kraft nie erlahmen. Die Heiligen der letzten Tage sind stark in ihrem Glauben, und die Hand des Herrn wird ihnen helfen die Amalekiter schlagen,« antwortete der finstere Mormone, seine fanatischen Blicke auf die beschneiten Kuppen des Wahsatchgebirges richtend, als habe er von dort her ein göttliches Zeichen erwartet.

»Amen«, sagte der Späher, indem er seinen Hut etwas lüftete. »Sind Nachrichten aus dem Osten eingelaufen?« fragte er gleich darauf weiter.

»Die Horden der Gentiles halten die äußeren Eingänge der Pässe besetzt«, antwortete der Reiter, der sich zu der Würde eines Apostels emporgeschwungen hatte, »aber die Hand des Herrn liegt schwer auf ihnen. Es mangelt ihnen an Lebensmitteln, und es fehlen ihnen die Zelte, um sich gegen Sturm und Kälte zu schützen. Der Herr bekleidet die Tiere des Waldes, er füttert die hungrigen Raben, doch ihnen versagt er alles. Unsere Feinde sich geschwächt, und leicht gelingt es unseren Läufern, ihre Posten zu täuschen und den Verkehr mit den über die Vereinigten Staaten zerstreuten Brüdern aufrecht zu erhalten.«

»Es sind also Nachrichten eingetroffen?«

»Nachrichten der wichtigsten Art«, erwiderte der Apostel, »zu wichtig, um sie hier den Winden preiszugeben. Zwischen starken Wänden und umgeben von Gläubigen will ich sie verkünden.«

Der Späher, wohl einsehend, daß es vergebliche Mühe sei, noch weiter in den Apostel zu dringen, schwieg und ließ das Haupt sinnend auf die Brust sinken, gleichsam anerkennend die Macht, welche derselbe als sein Vorgesetzter über ihn wie über alle anderen Mormonen, welche noch nicht denselben Rang erreicht hatten, besaß.

Gleich darauf bogen sie in den Hofraum des Forts ein. Ohne die Blicke nach rechts oder links zu wenden, begaben sie sich nach der gegenüberliegenden Seite des Hüttenvierecks hinüber, wo sie vor einem größeren Blockhause von mehreren in einfachster Tracht gekleideten Männern und unter diesen vom Kommandanten des Postens erwartet wurden. Zugleich eilten aber aus allen Richtungen Männer herbei, die einen, um die Angekommenen zu begrüßen, die anderen, um die dampfenden Tiere in Empfang zu nehmen und in warme Ställe unterzubringen.

Frauen bemerkte man nirgends. Es drückte sich wohl hin und wieder eine weiße Stirn an die trüben Scheiben der unregelmäßig angelegten Fensterchen, und neugierige Blicke schweiften nach der Wohnung des Kommandanten hinüber, weiter reichte aber das Vorrecht des schwächeren Geschlechts nicht, und wer nicht zufällig dergleichen Erscheinungen im Innern der Hütten entdeckte, der hätte das Fort für nur von Männern bewohnt halten mögen.

Die Begrüßungen, die gewechselt wurden, waren nur sehr kurz, doch schien die eigentliche Begrüßung mehr in dem festen Druck der Hand, als in gesprochenen Worten zu bestehen. Die Spannung, mit welcher man den Nachrichten des so urplötzlich und unverhofft unter ihnen erschienenen Apostels entgegensah, mochte indessen mit zu dem tiefernsten Wesen aller beitragen; denn wenn die eigentlichen blutigen Feindseligkeiten zur Zeit noch nicht ausgebrochen waren, so sagte sich doch jeder, daß, bei der erbitterten Stimmung auf beiden Seiten der geringfügigste Umstand die Fackel eines erbarmungslosen Krieges entzünden und die letzte Hoffnung auf eine, aus noch schwebenden Verhandlungen hervorgehende Ausgleichung vollständig und unwiderruflich abschneiden könne.

Auf ein einladendes Zeichen des Kommandanten, eines noch jugendlichen, hoch und kräftig gebauten, aber hageren Amerikaners, trat der Apostel in das Haus ein. Ihm nach folgten die Leute, die ihn auf seiner Reise begleitet hatten, welchen sich dann die herbeigeeilten Männer des Forts und ganz zuletzt der Kommandant selbst anschlossen. Kaum war die Tür hinter dem letzten zugefallen, da erhellten sich auch die drei kleinen Fenster, welche nach rechts von dem Eingang lagen, ein Zeichen, daß man zum Empfang der Gäste dürres Holz in den Kamin geworfen hatte, um zugleich Licht und Wärme zu verbreiten.

Auf dem Hofe des Forts war es unterdessen wieder ganz ruhig geworden, und dunkler und schwerer wölbte sich der Himmel über der winterlichen Landschaft.

Die Hunde lagen wieder in ihren warmen Winkeln; durch die kleinen Fenster der Hütten schimmerte der matte, flackernde Schein der Kaminfeuer, und gleichmäßig und geräuschlos sanken aus der stillen Atmosphäre große und dichte Flocken auf die Erde nieder.

Schwärzer wurde die Dunkelheit, so schwarz, daß man nur noch in den durch die trüben Scheiben in's Freie fallenden Lichtstreifen die sich niederwärts wiegenden Flocken zu erkennen vermochte. Umso behaglicher fühlten sich dafür die Leute unter ihrem sichern Obdach; doppelt behaglich, wenn sie der grauenhaften Wildnis gedachten, welche sie in weitem Umkreise umgab, und an welche sie zeitweise durch das Geheul der Wölfe erinnert wurden, die, gepeinigt von Heißhunger, das Fort umstreiften.

Ja, der tiefe Klageton der wilden Bestien drang bis in die Hütten; deutlich vernehmbar, weil keine lebhafte Unterhaltung, kein Lachen oder Singen das unheimliche Konzert übertönte, und selbst die an dergleichen gewöhnten Hunde nur selten auf die Herausforderung ihrer Todfeinde antworteten. Man sah ja allgemein mit Besorgnis schweren Kriegszeiten entgegen, und niemand konnte ahnen, wie lange er sich noch der kaum gegründeten neuen Heimat würde erfreuen können.

Die Männer waren ernst und in sich gekehrt. All' ihr Sinnen und Trachten bezog sich auf den Widerstand, den sie ihren Feinden entgegenzustellen gedachten, und beseelt von dem grimmigsten Haß sprachen sie nur wenig und dann noch meist im flüsternden Tone zueinander. Sie wollten die Angst und Sorge, in welcher ihre Familien schwebten, nicht noch vergrößern. Aber wenn sie beobachteten, wie der Frohsinn immer mehr aus deren Kreise wich, und wie die Mütter, Verzweiflung im Herzen, auf ihre Kinder schauten, dann legte sich wohl hin und wieder eine Faust mit krampfhaftem Griff um das Heft des breiten Bowiemessers, und Rachedurst und Erbarmungslosigkeit sprühten aus den in fanatischer Wildheit glühenden Augen.

Wenn nun in den Blockhütten eine gedrückte Stimmung herrschte, so machte sich die ängstliche Spannung nicht weniger im Hause des Kommandanten fühlbar, wo sich die Ältesten von Fort Utah zu einer ernsten Beratung um den Apostel geschart hatten.

Dort saßen sie beieinander auf roh gezimmerten Bänken und Stühlen, allein wortkarg und scheinbar jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend, oder mit verstellter Teilnahmslosigkeit in die lodernden Flammen des Kamins stierend.

Die Beratung hatte noch nicht begonnen; die beiden Frauen des Kommandanten gingen noch ab und zu, und versahen die eingetroffenen Fremden mit Speisen und Erfrischungen, wie sie ihre einfache Küche eben aufzuweisen hatte.

Sie verrichteten ihr Amt als Wirtinnen freundlich und mit Aufmerksamkeit, und war auch in ihrer ganzen Haltung eine gewisse religiöse Überspanntheit nicht zu verkennen, so schienen sie doch mit ihrem Lose vollkommen zufrieden zu sein und sogar die schwesterlichsten Gefühle füreinander zu hegen.

Schwestern waren sie indessen nicht; man brauchte nur auf ihre Physiognomien zu blicken, um darüber nicht in Zweifel zu bleiben, und in der einen eine Engländerin, in der anderen dagegen eine Französin zu erraten. Worin sie sich aber glichen, das war ihr Wesen, welches, trotz der einfachen, ja groben Stoffe, in welche sie gekleidet waren, zwei den gebildeten Ständen entsprossene Damen nicht verkennen ließ.

Ihre Züge trugen die Spuren früherer Anmut, und daß dieselben, namentlich bei der Engländerin, schon so früh verwischt waren, stand in seltsamem Widerspruch zu ihrem Alter, welches gerade den Abschnitt erreicht hatte, in welchem die weibliche Schönheit gewöhnlich erst zur vollen Geltung gelangt.

Es lag überhaupt etwas Teilnahme erregendes in ihrem Äußeren, denn wenn man sie betrachtete, dann konnte man nicht umhin, sich alle die geistigen Aufregungen und körperlichen Beschwerden und Entbehrungen zu vergegenwärtigen, welche eine so schnelle Zerstörung der Jugendreize bewirkt hatten.

Ihrem Gatten begegneten beide mit wohlwollender Ergebenheit und zutraulicher Freundlichkeit, doch vermißte man in ihren Augen den zärtlichen Ausdruck, der, in einem liebewarmen Herzen entspringend, sich wohl beobachten, aber schwer mit Worten beschreiben läßt. Es waltete kein Zweifel, sie erblickten in allen ihren Obliegenheiten göttliche Anordnungen, und fanden in der gehorsamen treuen Pflichterfüllung ihre innere Zufriedenheit.

Elliot, ihr gemeinsamer Gatte, war ein Mann, der in seinem Jünglingsalter sich nicht nur eines stattlichen, sondern auch eines einnehmbaren Äußeren erfreut haben mußte. Derselbe hatte sich aber im Laufe der Zeit und unter dem Einfluß der ihm durch die neue Lehre zugefallenen Pflichten und den daraus entspringenden Gemütsbewegungen so sehr verändert, daß man nur schwer wirkliches Zutrauen zu ihm zu fassen vermochte.

Obgleich erst dreißig Jahre alt, lag sein Gesicht, dessen untere Hälfte ein dichter schwarzer Bart verbarg, doch beständig in strengen Falten. Der ganze Ausdruck desselben hatte für jeden, der ihn zum ersten Male sah, etwas Abstoßendes und verriet eine unbeugsame Willenskraft, die, wenn es den eigenen wie religiösen Zwecken galt, in die rücksichtsloseste Starrheit ausartete, denjenigen aber, die er haßte, sehr leicht gefährlich wurde. Seine dunklen Augen waren unstet und lugten drohend unter den zusammengezogenen Brauen hervor, und nie blickte er demjenigen, an welchen er seine Augen richtete, gerade in die Augen. Selbst seinen Frauen gegenüber beobachtete er stets das finstere, verschlossene Wesen. Wenn er ihnen im Allgemeinen auch nicht mit unfreundlicher Härte begegnete, so ließ er sich doch ebensowenig dazu verleiten, auch nur einen Blick zärtlicher Anhänglichkeit an sie zu verschwenden.

Sobald der Apostel und seine Begleitung den ihnen dargereichten Speisen zur Genüge zugesprochen, traten die Frauen noch einmal zu Elliot heran. In flüsterndem Tone richteten sie eine Frage an ihn, die er, ohne aufzuschauen, mit leisem Kopfnicken beantwortete, worauf sie das Gemach schweigend verließen, um sich zu ihren Kindern auf der anderen Seite des Hausflurs zu begeben.

Die Männer waren nunmehr allein; von keiner Seite her hatten sie eine Störung oder Unterbrechung ihrer Beratung zu befürchten.

Ein tiefes Schweigen herrschte während mehrerer Minuten in dem Gemach. Da ergriff der Apostel endlich das Wort, und indem er sprach, rückten die übrigen Mormonen dichter um ihn zusammen.

»Ich bringe Euch die Grüße des Propheten und aller Brüder und Schwestern in der heiligen Salzseestadt«, begann er, indem er die grauen schlichten Haare von seiner Stirn zurückstrich und seine stechenden Augen im Kreise herumwandern ließ. »Sie senden Euch Grüße und ermahnen Euch zur Eintracht und zum Vertrauen. Der Krieg ist unvermeidlich geworden, und wenn bis jetzt noch kein Blutvergießen erfolgte, so ist der Grund dafür darin zu suchen, daß unseren Feinden die Mittel und Kräfte mangelten, uns anzugreifen.«

»Die Unterhandlungen schwebten noch«, unterbrach Elliot den Apostel mit Nachdruck, und aus seinen strengen Zügen sprach ein ungewöhnlicher Grad von Teilnahme; »sind sie denn so plötzlich abgebrochen, daß wir schon jetzt daran denken müssen, unseren Feinden mit einem Angriff zuvorzukommen?«

»Die Verhandlungen schweben noch«, antwortete der Apostel, »und sie werden so lange schweben, bis unsere Widersacher es für angemessen halten, die Maske, unter welcher sie uns den Frieden anbieten, fallen zu lassen. Sie wollen nur Zeit gewinnen, um größere Truppenmassen außerhalb unseres Tales zusammenzuziehen und uns demnächst zertreten zu können. – Im Kampfe gegen die Elemente, gegen Hunger und Elend wendete sich unsere geächtete und vertriebene Gemeinde dem Westen zu; unermüdlich und in festem Vertrauen auf den Erlöser verfolgte sie ihren langen beschwerlichen Weg durch die endlosen Wildnisse, bis der Herr ihr die Stelle bezeichnete, wo er sein heiliges Zion, seinen Tempel gegründet haben wollte.

»Der Segen des Herrn hat sichtbar auf uns und unseren Unternehmungen geruht. Unter unseren Händen entstanden Städte, Dörfer und Ansiedelungen, und in einem Mantel des üppigsten Getreides kleidete sich vor unserm Fleiß die Wildnis. Von nah und fern eilten die Gläubigen herbei; mit den Arbeitskräften wuchs unser Wohlstand, und da, wo vor wenigen Jahren noch die wilde Utah Wurzel zur Nahrung aus dem Erdboden gegraben wurde, da lebt jetzt das starke und reich gesegnete Volk der Mormonen.

»Wenn wir nun einen Staat gründeten, bei der Gründung nur nach unseren eigentümlichen Gesetzen verfuhren und niemals unsere Pflichten gegen den großen Staatenbund verletzten, haben wir dann nicht ebensogut das Recht, uns einen Gouverneur aus unserer Mitte zu wählen, wie jeder einzelne Staat der großen Republik?! Sollen wir es dulden, daß die Regierung in Washington uns mit Waffengewalt eine Obrigkeit aufdrängt, die, mit unseren Gesetzen, mit unserer Religion nicht vertraut, nach Willkür in unserem Volke schaltet und unsere heiligsten Einrichtungen leichtsinnig verletzt und schändet?!«

»Nein! Nein! Wir sind die Herren des gelobten Landes, in welches uns die Hand des Erlösers führte! Lieber Kampf und Tod, als die reine Lehre verleugnen und sich unter das ungerechte Joch der verfluchten Gentiles beugen!« lautete die Antwort der durch die Ansprache des Apostels in Wut versetzten Versammlung.

»Nun gut, meine Brüder«, fuhr der Redner nach einer Pause fort; »was bedarf es weiterer Erörterungen? Was Ihr eben spracht, sind meine, sind jedes rechtgläubigen Mormonen Gedanken. Doch vernehmt, schon wieder ist die Aufforderung an uns ergangen, die Truppen der Vereinigten Staaten in unser Tal aufzunehmen und den von ihnen vorgeschlagenen Gouverneur anzuerkennen, und wiederum ist ihre Aufforderung mit Abscheu zurückgewiesen worden. Es geschah mit Einstimmigkeit, in der Voraussetzung, daß jedes Mitglied unserer Gemeinde dieses Verfahren billigen würde.«

»Einverstanden, einverstanden mit allem, was der Prophet und die Ältesten der Gemeinde beschließen! Einverstanden mit allem, was unsere Rechte sicher stellt und uns nicht in der Ausübung unserer Gottesverehrung hindert!« riefen die Mormonen wild durcheinander.

»Die nächste Antwort auf unsere Zurückweisung wird ein Angriff auf die von uns befestigten und verteidigten Pässe sein«, entgegnete der Apostel, einen lauernden Blick im Kreise herumwerfend.

»Lieber heute, als morgen!« antworteten die fanatischen Männer.

»Nicht heute, nicht morgen«, versetzte der Apostel ruhig und bestimmt; »doch vielleicht nach drei Monaten. Der Weg nach Washington ist weit, und ehe der Befehl von dort eingetroffen, darf nicht zum Angriff geschritten werden. Beschlossen ist der Angriff längst; doch was wollen sie mit ihren paar Regimentern verhungerter und halb erfrorener Soldaten? Aber nach drei oder vier Monaten, wenn sie Verstärkungen und Kriegsmaterial an sich gezogen haben, dann werden sie nicht lange fragen, ob wir uns gutwillig ihren Anordnungen fügen wollen.«

»Warum warten wir so lange, bis die Verstärkungen eingetroffen sind?« fragte Elliot emporspringend und mit dem Fuße heftig auf den Boden stampfend; »zehntausend kampffähige Männer sind in unserem Tale versammelt, und neue Streiter strömen uns vom Stillen Ozean her zu. Das Schwert des Herrn und Gideon sei unser Schlachtgeschrei, und nieder laßt uns fahren von den Bergen auf die Amalekiter. Was wir heute noch mit Leichtigkeit vermögen, ist nach vier Monaten vielleicht zur Unmöglichkeit geworden. Darum, meine Brüder, zerstreut sie, wie Spreu vor dem Winde! Der Krieg ist lange genug erklärt gewesen, gleichviel jetzt, wer den ersten Schlag führt! Das Schwert des Herrn und Gideon!«

»Das Schwert des Herrn und Gideon, und nieder mit den Amalekitern!« antwortete die Versammlung im Chor, und die Fäuste ballten sich drohend, indem sie sich wie zum Schwur erhoben.

»Sollen wir den ersten Schlag führen, damit das Vorgehen der Gentiles in den Augen der Welt gerechtfertigt werde und der Krieg der Regierung der Vereinigten Staaten sich in einen Krieg des Volkes verwandle?« fragte der Apostel vorwurfsvoll, sobald wieder Ruhe eingetreten war. »Nein, die erste Kugel darf nicht aus den Reihen der Mormonen entsendet werden. Es wäre unklug, es wäre töricht gehandelt. Aber was wir tun können, das soll geschehen, und während wir selbst uns immer mehr rüsten und zum Kampfe vorbereiten, müssen den Feinden die Gelegenheiten geschmälert werden, sich in demselben Maße zu einem Feldzuge zu verstärken. Ihr wißt, meine Brüder, auf jener Seite des Wahsatchgebirges lagert das Heer, welches ausgeschickt wurde, mit Gewalt der Waffen einen Heiden als Gouverneur bei uns einzusetzen. Kaum der zehnte Teil unserer Streitmacht war bis jetzt hinreichend, den Feinden die Pässe zu verlegen und ihnen den Eintritt in das gesegnete Tal der Auserwählten zu wehren, ohne daß deshalb Blutvergießen nötig geworden wäre. Die Truppen wurden gegen uns ausgeschickt, allein man vergaß ihnen die Mittel mitzugeben, dem unbarmherzigen Winter Trotz zu bieten. Man rechnete in Washington zu sehr auf unsere weltbekannte Gastfreundschaft.

»Zu spät sah man den Irrtum ein, und um ihn wieder gut zu machen, rüstete man schleunigst zahlreiche Wagentrains aus, die den Darbenden Hufe bringen sollen.

»Dieselben befinden sich jetzt unterwegs; einzelne auf der Santa Fé-Straße, andere auf der Emigrantenstraße, die sich am Flachen Fluß hinzieht, und endlich noch andere, die vorzugsweise in Vieh- und Maultierherden bestehen, bahnen sich ihren Weg von Neu-Mexico durch die Wildnis am Fuße der Rocky-Mountains hinauf.

»Erreichen diese Trains ihre Bestimmung nicht, so wird Hunger und Not die Reihen der gegen uns aufgestellten Feinde lichten und sie zum Teil als Proselyten in unser Tal treiben. Auf diese Trains bleibe daher unsere Aufmerksamkeit gerichtet. Gelingt es uns nicht, sie für uns zu erbeuten, so müssen sie, wo es auch immer sei, vernichtet werden. Hört mich zu Ende, und unterbrecht mich nicht«, sagte er in Eifer geratend, als er bemerkte, daß der Kommandant ihm in die Rede fallen wollte, »hört mich zu Ende, denn es sind die Eingebungen des Herrn, die ich Euch verkünde. Ich weiß es, in Eurer heiligen Begeisterung sehnt Ihr Euch danach, Eure rächende Hand nach dem Eigentum der Gentiles auszustrecken und ihnen dadurch den Untergang zu bereiten; in Eurer heiligen Begeisterung vergeßt Ihr aber auch, daß es nicht die Mormonen sein dürfen, für jetzt wenigstens noch nicht, welche den Waffenstillstand brechen. Was die wilden Eingeborenen des Landes tun, kann nicht den Heiligen der letzten Tage zur Last gelegt werden, und darum sollen gerade sie hinziehen, als Werkzeuge der Auserwählten, und das Rächeramt verrichten. Die in unseren Territorien lebenden Indianer harren auf unsere Befehle; sie sind eingedenk der Segnungen, welche das Mormonentum ihnen brachte, und sie streben danach, sich dankbar zu beweisen. Ihnen also schenken wir die Trains mit allem, was sie enthalten, und überlassen ihnen zugleich, sich derselben auf jede ihnen beliebige Art zu bemächtigen.«

»Aber werden die Indianer keinen Mißbrauch mit unserm Vertrauen treiben? Ihr wißt, sie sind oft treulos«, bemerkte Elliot, indem er mit dem Fuß die brennenden Holzscheite in dem Kamin übereinanderstieß, daß die Funken knisternd umhersprühten.

»An alles haben wir gedacht«, versetzte der Apostel schnell. »Sie müssen geleitet werden von den mutigsten Herzen unserer Gemeinde, und ich denke, es werden sich genug Freiwillige finden, die den schweren Blanketüberrock mit dem leichten ledernen Jagdhemde auf einige Monate vertauschen, und die sich nicht scheuen, ihren Gesichtern die indianische Malerei aufzutragen. Es wäre nicht das erste Mal, daß weiße Männer als Indianer in den Reihen der Indianer kämpften.«

»Freiwillige genug, die sogar bereit sind, ihren Feinden die Kopfhaut vom Schädel zu streifen«, ließ es sich mit drohendem Ausdruck aus der Versammlung vernehmen.

»Der Prophet und oberste Kriegsherr weiß, daß er auf die Kinder seiner Herde bauen darf«, fuhr der Apostel fort; »er hat Euch durch mich seinen Willen kund getan; an Euch aber ist es jetzt, diejenigen aus Eurer Mitte auszuwählen, die zum Schutz der Weiber und Kinder zurückbleiben, wie diejenigen, welche sich den Expeditionen anzuschließen haben, die innerhalb weniger Tage von der Salzsee-Stadt aus nach verschiedenen Richtungen hin aufbrechen.«

Als der Prophet geendigt, erfolgte ein langes, tiefes Schweigen. Jeder ging offenbar mit sich zu Rate, bei welcher der bezeichneten Expeditionen er seine Kenntnis des Landes am meisten zu verwerten im Stande sei. Denn bei früheren Forschungsreisen war der Eine hierhin, der Andere dorthin verschlagen worden, so daß es in den das Salzseetal umgebenden Wüsten kaum noch einen zugänglichen Winkel gab, der von den Mormonen nicht besucht worden wäre.

Längere Zeit harrte der Apostel, daß einer der Anwesenden das Wort ergreifen würde; da aber alle beharrlich schwiegen, so begann er von Neuem:

»Geht nach Euren Wohnungen jetzt, meine Brüder, zu Weib und Kind; überlegt und beratet im Kreise der Eurigen, denn auch die Frauen werden vom heiligen Geiste erleuchtet, und dürfen deren Stimmen in solchen Fällen nicht ungehört verhallen. Beratet mit Euren Familien und demnächst unter Euch, damit der kommende Tag eine Entscheidung herbeiführe und ich eine genaue Liste der Namen und der Dienste, zu welchen sich jeder erboten, dem Propheten vorzulegen vermag.«

Die Mormonen erhoben sich, sie sahen das Angemessene des ihnen erteilten Rates ein, und nachdem sie der Reihe nach dem Apostel die Hand gereicht, entfernten sie sich stumm und geräuschlos.

Sobald die Tür sich hinter dem letzten geschlossen hatte, warf der Apostel einen prüfenden Blick durch das Gemach. Außer seinen beiden Begleitern war nur noch Elliot, der Kommandant, anwesend.

Erstere kauerten vor dem Kamin und beobachteten die knisternden Flammen, als wenn sie für weiter nichts in der Welt Sinn gehabt hätten.

Bei dem eingeborenen Krieger, einem stattlichen Schlangenindianer, mochte dies für den Augenblick auch wohl der Fall sein; denn wie er so dasaß, das rotgefärbte Gesicht mit der Adlernase und den halbgeschlossenen Augen voll dem Feuer zugekehrt, die unzertrennliche Büchse in seinem linken Arm ruhend, die rechte Hand nachlässig zu dem blanken Kriegsbeil in den messingbeschlagenen Gurt geschoben, da hätte man ihn für erstarrt halten können, so regungslos blieb nicht nur seine Gestalt, welche die Draperie einer weiten scharlachfarbigen Decke teilweise verhüllte, sondern auch jeder einzelne Muskel seiner scharf ausgeprägten Züge. Nur die Federn, welche mittels dünner Riemen auf dem Wirbel seines schwarz und lang behaarten Hauptes sinnig befestigt waren, schienen noch Leben zu besitzen, denn sie schwankten und zitterten leise hin und her vor der Wärme, die oben in den Schlot hineinschlagenden Flammen entströmte.

Dicht neben dem Indianer saß der andere Begleiter des Apostels. Derselbe hatte sich vornüber geneigt und stützte sein Haupt auf die linke Hand, die wieder mit dem Ellenbogen auf seinen Knien ruhte, während er mit einem in seiner anderen Hand befindlichen Holzsplitter Figuren in die weiße Asche zeichnete, welche im Halbkreise vor dem Kamin dünn gestreut umherlag.

Wenn man nun diese beiden Männer, die so gänzlich verschieden in ihrer äußeren Erscheinung, näher betrachtete, so flößte der Indianer in seinem phantastischen Kostüm im ersten Augenblick allerdings größeres Interesse ein. Wendete man sich dann aber seinem weißen Gefährten zu, so war man überrascht, und unwillkürlich suchte man alle die Leidenschaften zu enträtseln, welche hinter der düstern, dabei aber keineswegs unbeweglichen Physiognomie schlummerten und zuweilen, je nachdem seine Gedanken wanderten, mehr oder minder sichtbar, und drohender oder milder zum Druchbruch kamen.

Sein Gesicht hatte unbedingt einen edlen Schnitt, doch ging viel davon verloren, weil er die Gewohnheit angenommen hatte, den Unterkiefer etwas über den Oberkiefer hinauszuschieben und dabei Zähne und Lippen fest zusammenzupressen. Ein rötlicher, voller Bart umgab zwar Mund und Kinn, der brutale und grausame Ausdruck, welcher durch die seltsame Stellung des Unterkiefers entstand, wurde indessen durch den Bart nicht verdeckt, im Gegenteil, er trat noch deutlicher hervor, weil die Haare des Kinns sich in Folge dessen noch weiter nach vorn sträubten.

Die Falten auf der hohen Stirn, die nicht horizontal liefen, wie es vielfach die Folge von tiefem Grübeln und Denken, sondern durch das beständige trotzige Zusammenziehen der Augenbrauen unauslöschlich geworden waren, trugen mit dazu bei, den wilden, entschlossenen Ausdruck zu erhöhen, und selbst in den großen hellblauen Augen, die aber fast unter den buschigen Brauen und langen Wimpern verschwanden, schlummerte ein unheimliches Feuer, welches zu wecken Demjenigen, der es vielleicht unternahm, gefährlich zu werden drohte.

Seine Figur war groß, stark und wohlgebaut, seine Haltung, wenn auch nachlässig, doch noch immer elegant. Er hatte den Rock abgelegt und zeigte die einfache Tracht eines echten Hinterwäldlers, nämlich das weite, scharlachfarbige Flanellhemd und die von einem breiten Gurt gehaltenen ledernen Beinkleider; doch erkannte man auf den ersten Blick, daß er ursprünglich nicht für das an Mühseligkeiten und Entbehrungen so reiche Leben eines westlichen Ansiedlers erzogen worden war, und sich den größten Teil seines Lebens hindurch im glänzenderen Kreisen bewegt hatte.

Daß die Gesellschaft auseinander gegangen war, schien er gar nicht bemerkt zu haben; denn als der Apostel seinen Stuhl dicht neben ihn an den Kamin zog, schaute er auf, wie jemand, der eben aus einem Traum erwacht, und eine gewisse Befremdung spielte auf seinen Zügen, außer seinen Reisegefährten und dem Kommandanten niemand mehr in dem Gemach zu erblicken.

Ehe indessen die Unterhaltung zwischen diesen vier Männern begann, schritt Elliot nach der Tür, und dieselbe halb öffnend rief er den Namen »Jane« hinaus.

Auf seinen Ruf erschien die ihm als Gattin angetraute Engländerin, und sich ihm nähernd fragte sie bescheiden nach seinen Wünschen.

»Bringe Tabak und Pfeifen, wenn Du so gut sein willst«, antwortete Elliot.

Die junge Frau, nachdem sie einen eigentümlich traurigen Blick auf den weißen Begleiter des Apostels geworfen, verschwand, und Elliot stellte sich so neben den Kamin hin, daß er sich eben erwähnten Manne gegenüber befand.

Nach einigen Minuten trat die junge Frau wieder ein, in beiden Händen das Verlangte tragend, was sie sodann in der Nähe des Kamins auf einen Stuhl stellte. Ehe sie sich indessen wieder entfernte, heftete sie ihre Augen mit flehendem Ausdruck auf ihren Gatten, und eine wehmütige Freude erhellte ihre bleichen Züge, als dieser, wie zustimmend, leise nickte und ihr auf diese Weise das längere Verweilen in dem Gemach gestattete.

»Erich Holmsten!« sagte er dann mit lauter, ausdrucksvoller Stimme, sich an des Apostels Begleiter wendend und seine Blicke gleichsam in dessen Brust senkend; »Erich Holmsten, sage mir treu und redlich, wie geht es dem Knaben?«

Bei dieser Frage neigte die im Hintergrunde stehende junge Frau ihr Haupt den Männern zu, und erwartungsvoll preßte sie die Hand auf ihre Brust, als ob sie das Pochen ihres Herzens habe gewaltsam unterdrücken wollen.

»Mein Kind, meinst Du?« fragte Holmsten befremdet zurück, das Wort »mein« stark betonend.

»Erich Holmsten«, wiederholte Elliot dringender, und seine Stimme zitterte, während Tränen in die Augen seiner Gattin schossen; »Erich Holmsten, Du kennst unser Übereinkommen, Deine und meine Verpflichtungen; halte Dich nicht an eitle Worte. Ich frage Dich nochmals, wie geht es dem Kinde? Du weißt, welches Kind ich meine, und weißt auch, wie sehr wir uns an dasselbe gewöhnt hatten.«

»Der Knabe ist gesund und gedeiht zur Freude seines Vaters«, versetzte der Apostel, der, wenn auch den eigentlichen Sinn der Frage nicht verstehend, dieselbe aber ganz als an ihrem Ort betrachtete. Holmsten dagegen schien noch immer nicht antworten zu wollen, doch weniger aus bösem Willen, als weil plötzlich trübe Erinnerungen Besitz von ihm ergriffen hatten, denn um seinen Mund zuckte es schmerzlich, während seine hellblonden Brauen sich in einer dicken Falte auf seiner Stirn vereinigten.

»Ja, der Knabe gedeiht zur Freude seines Vaters«, preßte er endlich hervor; »er wächst an Geist und an Körper, und die neue Mutter, welche ich ihm gegeben, betrachtet ihn als ihren Liebling.«

»Ist das wahr, Erich?« fragte Elliot, und ein Blick von ihm streifte seine gespannt lauschende Gattin.

»Es ist wahr, so wahr mir Gott helfe«, antwortete Holmsten, seine Hand dem Kommandanten entgegenreichend. »Er ist mein Knabe, und wehe dem, der meinem Knaben auch nur mit einer Miene zu nahe tritt.«

Die junge Frau seufzte, als sei eine schwere Last von ihrem Herzen genommen, und entfernte sich geräuschlos. Elliot biß die Zähne zusammen, wie um einen herben Schmerz zu bekämpfen. Holmsten aber ließ das Haupt auf die Brust sinken, und krampfhaft preßten seine Finger sich um den Holzsplitter, den er noch immer in der Hand hielt. Der Mann mit dem herkulischen Körper und der auf seinem Antlitz ausgeprägten unerschütterlichen Willenskraft schien durch die kurze Unterhaltung mit Elliot förmlich gebrochen zu sein und sich längere Zeit hindurch nicht von dem Schlage erholen zu können, der für ihn in der scheinbar harmlosen Frage gelegen haben mußte.

Eine drückende Stille war eingetreten. »Fügt Euch in's Unvermeidliche«, hob der Apostel endlich an, nachdem er die beiden Männer eine Weile aufmerksam beobachtet, als ob er in ihrem Innern habe lesen wollen, denn ihr Benehmen hatte ihn befremdet, und schien ihm auf mehr als ein bloßes freundschaftliches Übereinkommen hinzudeuten. »Wir streben alle nach einem Ziel, und dürfen nicht auf die Dornen achten, mit welchen unser Lebensweg bestreut ist. Schmal und uneben ist der Pfad, der ins Himmelreich führt, aber herrlich der Lohn, welcher der Gläubigen dort oben harret. Kein Haar befindet sich auf Euern Häuptern, das nicht gezählt wäre, und keine Trübsale treffen Euch, welche der Erlöser in seiner unbegreiflichen Weisheit nicht zur Läuterung Eurer Seelen für Euch bestimmt hätte. Freudig sollen wir mit Leib und Seele dazu beitragen, den Glanz und die Herrlichkeit des auserwählten Volkes zu vergrößern und seine Macht immer mehr zu befestigen. O, meine Brüder! Wir sind die Glieder einer endlosen Kette, und die Zeit ist nicht mehr fern, in welcher das Mormonentum den Erdball frei und sicher in seinen Händen hält, und die Heiligen der letzten Tage die Stelle unter den Nationen einnehmen, die ihnen gebührt und ihnen von dem Erlöser zuerkannt wurde!«

In dem Grade, in welchem der Apostel seine Stimme hob und immer mehr das Wesen eines Lehrers der Wüste annahm, klärten sich die Züge seiner Zuhörer auf. Was auch ihre Brust bewegen mochte, als er geendigt, da leuchteten ihre Physiognomien in einer Art von religiöser Verzückung, die mit einer wilden Entschlossenheit um den Vorrang kämpfte.

»Ich danke Dir für die Liebe, welche mein mutterloser Knabe in Deinem Hause gefunden hat, und würdige die Anhänglichkeit, welche Du und Deine Gattin dem Kinde noch immer bewahrtet«, sagte Holmsten, Elliot die Hand mit einem leisen Wink des Einverständnisses reichend.

»Ja, mit vieler Liebe hängen wir an dem Kinde«, antwortete dieser, den Händedruck erwidernd, »möge es gedeihen zur Freude seines Vaters, gedeihen zu einer starken Säule unserer Gemeinde.«

»Amen«, fügte der Apostel ernst hinzu, und alle erhoben sich, um sich mit Pfeifen zu versehen. Der Indianer aber folgte dem gegebenen Beispiel mit einer Schnelligkeit, die außer allem Zweifel ließ, daß er die Zeit vor dem Kamin nicht so teilnahmslos verbracht hatte, wie man hätte glauben mögen.

Bald darauf saßen die vier Männer nebeneinander vor dem Feuer. Neues Holz war auf die verkohlenden Scheite geworfen worden, und indem die Flammen hoch in den Schornstein hinaufschlugen, führten sie zugleich den Tabaksrauch mit sich, der, in blauen Wölkchen den Pfeifen entströmend, sich langsam, wie vor einem leichten Luftzuge, der Kaminöffnung zuwand.

»Sind von der Familie Jansen weitere Nachrichten eingelaufen?« fragte Elliot zögernd, nachdem er eine Weile vergeblich gehofft, daß der Apostel die Unterhaltung auf diesen Gegenstand lenken würde.

»Ganz neuerdings erhielt ich Briefe von unserm New Yorker Agenten, in welchen derselbe sich ziemlich eingehend über jene Familie ausspricht.«

»Sie haben also in der Tat New York unangefochten verlassen?« fragte Elliot gespannt.

»Wenn die Verbindungen nicht nach allen Richtungen hin unterbrochen wären, so hätten wir wahrscheinlich erfahren, daß sie schon längst in Kalifornien eingetroffen seien und die Landreise von dort aus antraten.«

»Welche Route werden sie wählen?« fragte Elliot weiter, während Holmsten kaum noch im Stande war, seine ängstliche Spannung hinter einer finsteren Miene zu verbergen.

»Unbedingt den Weg über San Diego. Sie werden der sogenannten spanischen Fährte folgen, und auf dem verlorenen Posten am Virgin-Flusse, nahe an dessen Mündung in den Colorado, Rast halten. Sie treffen dort vermutlich auf eine Abteilung der Unsrigen, die damit beschäftigt sind, die starken Stämme der Mohave- und Chimehuewe-Indianer, welche das Tal des Colorado reich bevölkern, zu bekehren und für unsere Zwecke zu gewinnen. Auf Anordnung des Propheten sind schon Boten dorthin entsendet worden, um die Familie Jansen, welcher sich eine beträchtliche Zahl neu angeworbener Streiter zugesellte, zu veranlassen, auf jenem Posten bis auf weitere Befehle zu verweilen. Wir sind nämlich noch nicht einig, wo wir sie am besten und sichersten unterbringen, ob hier unten, oder oben in der Stadt.

Abraham warnt uns nämlich, nicht unüberlegt zu handeln und dem jungen Mädchen gegenüber vorsichtig zu verfahren.«

»Weiß sie um den Tod ihrer Schwester«, fragte Holmsten mit erkünstelter Ruhe.

»Keine Silbe«, entgegnete der Apostel, »es ist eine böse Aufgabe, sie von dem Verlust in Kenntnis zu setzen, eine Aufgabe, die natürlich demjenigen zu lösen anheimfällt, dem die reiche Erbin als Gattin zuerkannt wird«, und so sprechend wechselte er einen Blick des Einverständnisses mit Elliot.

»Möge sie sich gefügiger und verständiger zeigen, als ihre dahingeschiedene Schwester getan hat«, bemerkte Holmsten finster, indem er den Kopf wieder auf seine Hände und Knie stützte und die Finger in seine dichten, hellblonden Haare vergrub.

»Ihr bezieht Euch auf Eure erste Gattin, die an Euch mit der Liebe einer Romanprinzessin hing und deshalb keine Teilnehmerin an ihrem Glück dulden wollte«, erklärte der Apostel, ohne darauf zu achten, daß Holmsten's Finger sich immer fester in seine Haare einkrallten, wie um sie mit der Wurzel herauszuwinden. »Sie war noch zu schwach für solche Erfahrungen; die angestammten Gebräuche standen ihr höher, als die Gesetze und das Glaubensbekenntnis des heiligen Mormonentums. Anders wäre es gewesen, hättet Ihr, als Ihr sie heimführtet, schon eine Gattin besessen. Das weibliche Geschlecht ist im Allgemeinen nicht mit dem klaren Blick des Mannes begabt; die Frauen wollen geleitet sein, und zwar ohne zu merken, daß man sie leitet. So werdet Ihr erleben, daß unsere junge Bekehrte, wenn sie erst unter uns weilt, sich leichter fügen lernt. Freilich hat Elliot den Vorteil, ihr schon zwei Lebensgefährtinnen vorstellen zu können, womit er sich aber, nach meiner auf vielfache Erfahrungen begründeten Ansicht, nicht übereilen darf. Es ist eine Erfahrung, die wir leider noch täglich in unserer Gemeinde wiederholt sehen, daß es für ein junges Mädchen leichter ist, die dritte, vierte, oder sprechen wir von meiner eigenen Familie, die achtzehnte in der Reihe der Gattinnen zu werden, als eine junge Frau sich darüber beruhigt, von Zeit zu Zeit eine neue Gefährtin sich zur Seite gestellt zu sehen. Und dennoch, wodurch erwirbt das schwächere Geschlecht sich vor allen Dingen die erhebende Hoffnung und Zuversicht auf das Himmelreich?«

»Es soll sich ja wohl noch eine andere Dame in der Gesellschaft der jungen Jansen befinden?« fragte Elliot, der den Abhandlungen des Apostels nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte.

»Die Gouvernante, eine Französin und mit Leib und Seele der heiligen Lehre ergeben«, antwortete dieser im Geschäftstone; »es sind indessen noch keine Bestimmungen über dieselbe getroffen worden. Da aber die Bekehrung des jungen Mädchens zum großen Teil ihrem Einfluß zugeschrieben werden darf, so wäre es wohl recht und billig, dafür auch ihre eigenen Wünsche zu berücksichtigen. Überläßt sie die Wahl eines Gatten dem Propheten, so ist vorauszusehen, daß sie demjenigen angesiegelt wird, in dessen Besitz das junge Mädchen und dessen Reichtum übergehen. Ihr wißt, einem weniger begüterten Manne dürfen keine zu große Lasten aufgebürdet werden. Und dann«, fuhr der Apostel fort, und seine Augen leuchteten vorübergehend in unheimlichem Feuer, »und dann bedenkt, Hertha Jansen soll schön sein, schön wie der junge Tag.«

Elliot zuckte verächtlich mit den Achseln. »Ich füge mich in den Willen unseres kirchlichen und politischen Oberhauptes, in meinen Augen die höchste Macht dieser Welt«, sagte er endlich mit dem Ausdruck eines Märtyrers, »und wenn ich selbst dabei einen Wunsch hege, so ist es der, daß Hertha Jansen, nachdem sie durch den Segen der Kirche die Meinige geworden ist, den Sohn ihrer verstorbenen Schwester an Kindes Statt annehme.«

Holmsten fuhr aus seiner nachdenklichen Stellung empor und starrte den Kommandanten eine Weile verwundert an.

»Sie soll es, sie soll es«, sagte er dann mit dumpfer Stimme, Elliot die Hand hinhaltend, »aber ich stelle die Bedingung: es bleibt bei der alten Verabredung.«

Elliot schlug in die dargebotene Rechte ein, und was sie auch immer miteinander verabredet haben mochten, durch tausend Eidschwüre hätten sie sich nicht für gebundener halten können, als durch den in Gegenwart des Apostels gewechselten Handschlag.

»Gehen wir also zu dem ernsteren Teil meiner Sendung über«, sagte der Apostel, sobald er gewahrte, daß Elliot und Holmsten sich über die zwischen ihnen schwebende Frage geeinigt hatten. »Es betrifft das Wohl und die Wehe unseres Staates, und nicht weniger Eure Privatangelegenheiten.

»Niemand kann ahnen, ob die Vorsehung noch weitere Heimsuchungen über unser verfolgtes Volk verhängt hat, um es später zu um so höherem Glanze zu erheben und ihm dennoch eine andere Stelle zur Gründung des goldenen Zion und des heiligen Tempels anzuweisen. Wir müssen auf alles vorbereitet sein. Unsere Feinde mögen anrücken, wie Herden schädlicher Heuschrecken, sie mögen die Gebirgspässe mit ihren Leibern ausfüllen und in unser gesegnetes, Gott geweihtes Tal eindringen, aber sie dürfen nichts finden, als rauchende Trümmerhaufen und verwüstete Felder. Auf den unzugänglichen Abhängen der Berge aber werden die Mutigsten unseres Volkes auf sie lauern und, bei Nacht wie bei Tage, wo es am wenigsten erwartet wird, auf sie niederstürzen und Tod und Verderben in ihren Reihen verbreiten.

»Doch Weiber, Greise und Kinder sind nicht geschaffen für den Guerillakrieg; für sie muß ein weites Tor geöffnet werden, durch welches sie, wie einst die Israeliten unter Moses Führung, durch die Wüsten einem friedlichen, gelobten Lande zuziehen.

Der große Colorado berührt den südlichen Teil unseres Gebietes, und fließt hinunter in den Golf von Kalifornien, wo er sich angesichts der Küsten von Sonora mit dem Meer vereinigt.

»Sonora ist unser Ziel, der Colorado unsere Straße, auf welcher wir, im schlimmsten Falle, unsere Weiber und Kinder in Sicherheit bringen. Der Colorado ist ein reißender, gefährlicher Strom, jedoch schiffbar für Flöße und flachgehende Fahrzeuge. Unsere Feinde stehen im Begriff, den großen Wüstenstrom mittelst eines kleinen Dampfbootes zu erforschen; nach den neusten Nachrichten waren sie schon bis zu den Dörfern der Mohave-Indianer vorgedrungen. Unsere dorthin entsendeten Männer haben den Auftrag erhalten, sich mit Hilfe der Eingeborenen des Dampfbootes zu bemächtigen und dessen Bemannung gefangen zu nehmen, sie im Fall des Widerstandes zu töten, oder durch die Eingeborenen töten zu lassen. Besitzen wir das Dampfboot, so gehört der Colorado uns; denn das nahe seiner Mündung gelegene Fort wird einigen Hundert unserer entschlossensten Gebirgsjäger nicht lange Stand halten. Ehe aber Verstärkungen in hinreichender Anzahl eingetroffen sind, um uns den Besitz des Colorado streitig zu machen, befindet sich das heilige Volk der Mormonen im Staate Sonora, wohin der Arm der Gentiles nicht reicht, und wo unserer eine gastliche Aufnahme harret. Doch merkt auf, meine Brüder, es ist dies ein Ausweg, der nur im äußersten Notfall eingeschlagen werden darf und bis dahin selbst unserem Volke ein Geheimnis bleiben muß. Es gibt sogar unter den Auserwählten des Herrn Schwachherzige, die, um einem blutigen Kampfe auszuweichen, auf sofortige Auswanderung dringen und Mißstimmung und Zwietracht in unseren Reihen verbreiten würden. Ihr gehört zu den wenigen Auserwählten, die mit allen Plänen des Propheten vertraut gemacht werden sollen, um ihm desto leichter und nachhaltiger mit Rat und Tat zur Seite stehen zu können.

»Ihr, Bruder Elliot, seid dazu auserkoren, die Dinge am Colorado in Eure Hand zu nehmen und dort über unser Wohl zu wachen. Ihr werdet daher den Befehl über Fort Utah einem andern übertragen, und Euch schon innerhalb zweier Tage auf den Weg nach der Mündung des Rio Virgin begeben. Hier sind die Papiere, welche Euch als Kommandant jenes Postens beglaubigen«, fuhr der Apostel fort, indem er Elliot einen dicken versiegelten Brief überreichte. »Ihr seid Befehlshaber aller dort anwesenden Mormonen, so wie auch derjenigen, die voraussichtlich innerhalb der nächsten Monate von der kalifornischen Küste aus daselbst eintreffen werden. Der Prophet setzt in Euch das unbedingte Vertrauen, nehmt daher die Vorteile unseres Volkes wahr. Befestigt den Posten, wenn Ihr es für nötig haltet, gebt ihn auf, wenn er Euch überflüssig erscheint. Behaltet die Leute bei Euch, wenn Ihr glaubt, sie verwenden zu können, schickt hierher, was Ihr nicht gebraucht und was Euch hinderlich ist, oder kommt selbst mit allen, wenn Ihr es für ratsam erachtet.«

Elliot schaute sinnend vor sich auf den Boden und nickte zustimmend mit dem Haupte. »Ist es wahrscheinlich, daß ich über kurz oder lang nach der Salzseestadt berufen werde?« fragte er dann, gespannt zu dem Apostel emporblickend.

»Die Augen unseres Präsidenten sind beständig auf Euch gerichtet«, antwortete dieser, »und ich bezweifle nicht, daß Ihr bald in die Gesellschaft der Oberen eintreten werdet. Vorläufig aber gehorcht blindlings den Euch zugehenden Befehlen, die nur zum Wohle des Staates und zu dem Eurigen erteilt werden. Den Beweis dafür habt Ihr soeben erhalten, denn nicht der politischen Wichtigkeit wegen seid Ihr zu dieser Sendung auserkoren worden, sondern auch weil Ihr auf diesem Wege mit der Euch bestimmten Gattin zusammentrefft. Es wird Euch die Gelegenheit geboten, während der Herreise und im steten Verkehr mit dem jungen Mädchen einen entscheidenden Einfluß auf das noch ungeschulte Gemüt zu gewinnen und auszuüben. Abraham schreibt übrigens von New York aus Wunderdinge über den Charakter des schönen Kindes. Voraussichtlich haben aber Jansen und Rynolds, wenn auch nicht vertraut mit den von uns betreffs ihrer Schutzbefohlenen entworfenen Plänen und Absichten, dieselbe doch schon im Allgemeinen vorbereitet. Ihr werdet daher kaum noch auf ernste Schwierigkeiten stoßen, und da ferner das große Vermögen nur zwischen Euch und Holmsten zur Teilung kommt, so liegt es wohl klar genug am Tage, daß zwei Leute, die über so beträchtliche Stellen berechtigt sind, nicht lange in untergeordneten Verhältnissen bleiben können.«

Während des letzten Teils seiner Rede beobachtete der Apostel die beiden Männer aufs Schärfste, und es gereichte ihm zur größten Befriedigung, zu gewahren, daß sie sich aus ihrer jetzigen nachdenkenden Stellung aufrichten und mit enthusiastisch glühenden Augen zu ihm hinüberschauten.

»Wen soll ich zu meinem Begleiter wählen, oder soll ich allein an den Rio Virgin hinabziehen?« fragte Elliot mit entschlossenem Wesen.

»Allein die wochenlange Reise durch die winterlichen Wüsten anzutreten, dürfte wohl zu gefährlich sein«, antwortete der Apostel, kaum fähig, sein Erstaunen über Elliot's Mut zu unterdrücken. »Ihr wählt zwei oder drei von Euern Leuten, die Ihr am geeignetsten für das Unternehmen haltet, außerdem soll Euch der Schlangen-Indianer hier begleiten. Derselbe versteht notdürftig die Sprachen der Eingeborenen am Colorado, und kann Euch daher zugleich als Dolmetscher und Späher dienen.«

Der Indianer saß noch immer in seiner teilnahmslosen Stellung da; nur gelegentlich machte er eine kurze Bewegung, um die weiße Asche in seiner Pfeife niederzudrücken, oder zwischen den flackernden Holzscheiten zu schüren. Die Unterhaltung, deren Zeuge er gewesen, schien er nicht verstanden oder nicht beachtet zu haben, denn sogar als der Apostel seiner erwähnte, blieb er so starr und unbeweglich, als sei er gegen alle äußeren Eindrücke vollständig abgestorben gewesen.

Elliot betrachtete ihn eine Weile sinnend. Er kannte ihn schon lange als einen verschlagenen Menschen, der sich zwar bei mehr als einer Gelegenheit als treu und zuverlässig ausgewiesen hatte, und namentlich viel dazu beitrug, daß der Einfluß der Mormonen unter den eingeborenen Stämmen immer mehr an Gewicht und Umfang gewann, dem er aber, seiner Habgier wegen, doch nicht glaubte trauen zu dürfen.

Er wußte daher nicht, sollte er sich freuen oder Mißvergnügen darüber empfinden, daß man ihm einen Häuptling mitgab, den er seiner außerordentlichen Verschlagenheit wegen vielleicht mehr fürchtete, als bewunderte. Daß derselbe in hohem Grade das Vertrauen des obersten Propheten besaß, bewies schon allein sein, nach indianischen Begriffen, verhältnismäßig sehr reicher und glänzender Anzug. Doch wenn auch andere ihm so unbedingt trauten und von seiner treuen Hingebung überzeugt waren, so war damit doch nicht festgestellt, daß auch er sich auf ihn so vollkommen verlassen dürfe. Indessen gab er sich mit schlauer Berechnung den Anschein, als wenn er sich über die Gesellschaft des Indianers freue, und ihm die Hand reichend fragte er ihn, ob er ihn auch gern an den Rio Virgin begleite.

»La Bataille ein Mormone« antwortete der wilde Krieger, indem er seine Hand langsam in die Elliot's legte, »alle Indianer Mormonen; sie leben in der Wüste, als Kinder der verloren gegangenen Stämme. Viele wissen es, viele wissen es nicht. Die es aber wissen, hören gern die Befehle des weisen Vaters am Salzsee. Der weise Vater am Salzsee hat La Bataille geboten, an den Rio Virgin zu ziehen, und daher tut La Bataille es gern.«

»Lieber hätte ich gehört, daß Du auch meinetwegen gern mitzögest«, versetzte Elliot mit einem Anflug von Mißvergnügen über die Antwort des mit allen Wendungen der zivilisierten Sprache so vertrauten Häuptlings, »doch wenn Du genau nach den Befehlen des weisen Vaters am Salzsee handelst, dann werden wir gute Gefährten sein.«

Der Indianer nickte kaum merklich, und gleich darauf nahm er wieder seine scheinbar teilnahmslose Stellung ein.

Elliot gab sich mit dieser Erörterung zufrieden, und da die Nacht schon ziemlich weit vorgeschritten war, so begann er aus Decken und Büffelhäuten für seine Gäste ein Lager vor dem Kamin herzustellen, worauf er sich nach der andern Seite des Hauses hinüber begab, um die Seinigen von der bevorstehenden schleunigen Abreise in Kenntnis zu setzen.

Der Apostel, Holmsten und La Bataille wechselten nur noch wenige Worte miteinander. Der scharfe Ritt des Tages und die Kälte hatten sie ermüdet; sie wickelten sich daher in die für sie bestimmten Decken, und bald darauf verrieten die tiefen und regelmäßigen Atemzüge, daß sie eingeschlafen waren.–

Draußen aber sank der Schnee fort und fort in dichten Massen nieder, und undurchdringlich schwarze Dunkelheit verhüllte das Fort und seine ganze Umgebung. Matte Lichtschimmer fielen durch einzelne kleine Fenster, hinter welchen die Nacht hindurch, zur Vermehrung der Behaglichkeit, helle Kaminfeuer in Brand gehalten wurden, während am Ausgang des inneren Hofes der helle Schein einer Lampe und eines flackernden Scheiterhaufens durch eine schlecht verhangene Tür ins Freie drang.

Zwei, auch wohl drei bewaffnete Männer gingen daselbst von Zeit zu Zeit aus und ein. Es waren die Wachen, die abwechselnd in der Begleitung von abgerichteten Hunden die Pallisaden umkreisten, dann wieder in dem stallähnlichen Gemach die Flocken von ihren langhaarigen Röcken schüttelten und die an den kalten Büchsenläufen erstarrenden Hände aufwärmten. Obgleich sie sich von den Eingeborenen gefürchtet, die Vereinigten Staaten-Truppen aber weit auf jener Seite des Wahsatch-Gebirges wußten, so ließen sie doch keinen Augenblick in ihrer Wachsamkeit nach. Die Nacht war ja so schwarz, so recht zu feindlichen Überfällen, aber auch zu behaglicher Ruhe unter schirmendem Obdach geschaffen; und die Nacht in den westlichen wilden Regionen ist keines Menschen Freund. –


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