Balduin Möllhausen
Das Mormonenmädchen. Band I
Balduin Möllhausen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4.

In der Krankenstube

Zweimal donnerten am folgenden Mittage die beiden eisernen Karronaden von dem Vorderdeck des California- Dampfers, als derselbe seinen Landungsplatz verließ und stolz an der Stadt vorüber und der Hafenöffnung zubrauste.

Weatherton war noch immer besinnungslos; er ruhte auf dem harten Bette des alten Stelzfußes in der Matrosenschänke, und an seinem Lager saßen, gespannt auf seine leisen Atemzüge lauschend, Jim Raft, der ehrliche Stelzfuß und ein in der Eile herbeigerufener Chirurg. Seit zwei Uhr Morgens waren sie nicht von der Seite des jungen Offiziers gewichen und nur dann hatten sie ihre Stellung verändert, wenn der Chirurg es für gut befand, die Wiederbelebungsversuche zu erneuern, Blut abzulassen, oder dem Kranken stärkende Tropfen einzuflößen.

So waren sie denn so weit gekommen, daß sie sein endliches Erwachen nicht mehr bezweifelten und seine vollständige Genesung nur für eine Frage der Zeit halten durften.

Die breite Wunde, welche Weatherton auf der Stirn trug, hatte dem Arzt anfänglich Besorgnis erregt; da sich dieselbe aber nach genauer Prüfung als ungefährlich erwies, so nahm er an, daß die tiefe, langanhaltende Ohnmacht mit eine Folge des in die Lungen eingedrungenen Wassers sei, welche sich, ohne nachteilige Spuren zurückzulassen, verhältnismäßig schnell und leicht würde beseitigen lassen.

Über die Art, wie Weatherton zu der Wunde gekommen, und über diejenigen, die ihn zu seinem Verderben nach dem Werft hinuntergelockt hatten, wußte Jim Raft durchaus gar keine Auskunft zu geben; doch glaubte er ein Werk persönlicher Rache zu entdecken, weil bei einem beabsichtigten Raubmorde, vor dem Hinunterstürzen in's Wasser, wohl jedenfalls Uhr und Börse entwendet worden wären.

Nach des Bootsmannes Bericht hatte die Mitternachtsstunde eben geschlagen, als er von dem Schläfchen, welches er auf der Bank in der Halle des St. Nicolas-Hotel gehalten, erwachte, und aus alter Gewohnheit, weil dieses eben die Ablösungszeit war, vor dem Portal einen kurzen Spaziergang zu machen und demnächst den entsprechenden Grog zu sich zu nehmen beabsichtigte.

Er trat gerade in demselben Augenblick auf die Straße hinaus, in welchem Weatherton und der Graf in die Querstraße einbogen, so daß er die Gestalt des Ersteren ungefähr noch eine Sekunde lang sah und ihn auch wirklich zu erkennen glaubte.

Seiner Sache nicht ganz gewiß schritt er noch einmal auf und ab, eh' er sich dazu entschloß, bis an die Ecke zu gehen, um sich zu überzeugen, inwieweit er richtig gesehen habe.

Als er dort anlangte, bemerkte er die beiden Gestalten wohl noch, aber schon so weit entfernt, daß ein genaues Unterscheiden nicht mehr möglich war, was den alten Sonderling erst recht in dem Glauben bestärkte, daß es kein anderer, als Lieutenant Dickie sein könne.

Ein nächtlicher, nicht ganz planloser Spaziergang kam Jim Raft gerade gelegen, und ohne sich zu besinnen bog er ebenfalls in die Straße ein, um den beiden Gestalten nachzufolgen.

Wenn ihn nun auch der schuldige Respekt vor dem Lieutenant abhielt, sich ihm zu sehr aufzudrängen, so hatte er indes auch nicht Lust, die Entfernung, die ihn von demselben trennte, noch mehr anwachsen zu lassen. Mit einem gewissen Eigensinn beflügelte er daher seine Schritte in demselben Maße, in welchem er die vor ihm hineilenden keine Zeit verlieren sah.

Die Folge davon war, daß er, ohne es eigentlich zu wünschen, ihnen immer näher rückte und sich, als sie endlich die Werkstraße erreichten, kaum noch zweihundert Schritte weit hinter ihnen befand.

Am Ende der Straße angekommen, stand er still und überrascht schaute er nach der einen und dann nach der anderen Seite hinüber. Die beiden Gestalten waren verschwunden; sie mußten also in ein Haus getreten sein, denn daß sie nach einer der zahlreichen Landungsbrücken hinaufgegangen sein könnten, kam ihm nicht in den Sinn.

Er überlegte noch, wohin er sich zu wenden habe, da vernahm er Weatherton's Stimme, die mit einem unverkennbaren Ausdruck des Schreckens das Wort »Verräter!« ausrief.

Sein Haar sträubte sich, denn so hatte er ihn noch nie rufen hören. Im nächsten Augenblick war er aber auch schon in Bewegung, und vollen Laufes stürmte er in der ihm von Weatherton's Stimme angedeuteten Richtung dahin. Sobald er die niedergeschlagene Falltür und Weatherton's leicht kenntliche Mütze erblickte, wußte er auch, was geschehen sei, und ohne zu zaudern kletterte er auf der unsicheren Leiter niederwärts. Auf welche Weise hier noch gerettet werden könne, war ihm nicht klar; er hegte den einzigen instinktartigen Wunsch, in Weatherton's Nähe zu gelangen und ihn zu sehen, und was dann noch zu tun übrig bleiben würde, das hielt er nur für Kinderspiel. –

Die Ebbe hatte gerade ihren tiefsten Stand erreicht; er mußte also gegen achtzehn Sprossen niedersteigen, eh' seine Füße die Fluten berührten, welche dann noch eine Tiefe von mindestens zwanzig Fuß deckten,

Raft war des Schwimmens nicht kundig; er berechnete daher, daß, wolle er Weatherton Hilfe bringen, vor allen Dingen er selbst flott bleiben müsse; außerdem herrschte dort unten auch eine solche undurchdringliche Finsternis, daß er keine zwei Schritte weit um sich zu schauen vermochte, er sich mithin mehr auf sein Gehör, als auf seine Augen verlassen mußte.

Die Berührung des Wassers schien dem alten erregten Seemann indessen plötzlich seine ganze Kaltblütigkeit zurückgegeben zu haben, denn mochte sein Herz sich auch vor Angst um seinen Liebling krampfhaft zusammenschnüren, über seine Lippen kam kein Laut der Klage oder der Besorgnis mehr, und dabei erfüllte ihn ein so furchtbarer Grimm gegen die unsichtbaren Feinde, daß, wäre irgendein menschliches Wesen in den Bereich seiner mächtigen Fäuste gelangt, er dasselbe, ohne nach dem Grade seiner Schuld zu fragen, an dem nächsten Tragepfeiler zerschmettert haben würde.

Von dem Augenblick an, daß er die geöffnete Falltür entdeckte, bis zur Zeit, zu welcher er am Fuße der Leiter anlangte, waren kaum zwei Minuten verstrichen, so schnell hatte er alle Bewegungen ausgeführt. Da glaubte er plötzlich das Plätschern eines sich heimlich entfernenden Bootes zu vernehmen, und zugleich erwachte in ihm der Argwohn, daß Weatherton sich in demselben befinde, um mit Gewalt wer weiß wohin gebracht zu werden.

»Dickie!« rief er dringend hinüber, indem er, unbekümmert um sich selbst, tiefer in das Wasser hinabstieg, um weiter und genauer um sich sehen zu können. »Dickie!« wiederholte er schärfer, zugleich aber fuhr er erschreckt empor, denn indem er abermals seinen Fuß auf eine andere Sprosse stellte, fühlte er einen breiten Gegenstand zwischen seiner dicken Stiefelsohle und dem festen Holz.

Blitzschnell fuhr er nach dieser Entdeckung mit der rechten Hand hinunter, während er sich mit der linken oben an der Leiter festklammerte. Er arbeitete lange, er arbeitete schwer, und als er sich endlich wieder aufrichtete, da hielt seine Faust die Knöchel einer noch warmen Hand umspannt, die sich im Starrkrampf mit eisernem Griff um die Leitersprosse geschlossen hatte.

Während er sodann, atemlos vor innerer Aufregung, mit der Gewandtheit eines alten Seemannes sich wieder an der Leiter hinaufzog, folgte der Hand ein schwerer schlaffer Körper nach, doch nicht eher nahm er sich Zeit, zu untersuchen, was er hinter sich habe, als bis er festen Boden erreichte und in der regungslosen lang ausgestreckten Gestalt den Lieutenant Weatherton erkannte.

Nur einem wunderbaren Zufall hatte dieser es zu verdanken, daß er nicht in die Tiefe gesunken, oder von den in der Nähe der Leiter auf ihn lauernden Mietlingen Abraham's vorher mittels Riemen und Handpeitschen erschlagen worden war. Man hatte nämlich darauf gerechnet, daß er nach seinem Sturz sich durch Schwimmen zu retten suchen würde, in welchem Falle es ein Leichtes gewesen wäre, ihn auf ewig von der Welt verschwinden zu lassen.

Der betäubende Stoß aber, den er beim Hinunterstürzen an seinen Kopf erhielt, hatte ihn unfähig zum Schwimmen gemacht, wogegen die Hände sich, als sie unterhalb der Oberfläche des Wassers über die Leitersprossen hinglitten, ehe sie erstarrten, an einer derselben festklammerten. Raft's geräuschvolles Herbeieilen und seine drohende Stimme verscheuchten wohl die Verbrecher, doch würde der unglückliche Offizier schwerlich dem Verderben entronnen sein, wenn der Bootsmann nicht gerade auf seine Hand getreten und ihn dadurch entdeckt hätte. –

Als nun Raft seinen Liebling, über den er seit langen Jahren mit der Sorgfalt einer Mutter gewacht, anscheinend tot vor sich liegen sah, hatte ihn eine wilde Verzweiflung ergriffen. Er war ratlos geworden, so ratlos, wie noch nie in seinem Leben. Laut stöhnte er vor grimmem Schmerz, und wütend krallte er sich mit beiden Fäusten in die dünnen Haare, bis es endlich vor seiner Seele aufleuchtete, daß das Leben vielleicht noch nicht ganz entschwunden sei.

Kaum hatte er den Gedanken gefaßt, da hing Weatherton's Körper auch schon auf seiner Schulter, und dahin eilte er mit seiner Last, als wenn er nur ein Kind zu tragen gehabt hätte.

»Zu späte Hilfe ist gar keine Hilfe, das ist originell, denn wenn der Leck unter Wasser ist, mag der Teufel ihn zustopfen«, hatte er vor sich hingemurmelt, als er, anstatt den weiten Weg nach dem St. Nicolas-Hotel einzuschlagen, in die nächste Querstraße einbog und spornstreichs der Schänke seines Freundes Stelzfuß zurannte.

Glücklicherweise traf er denselben noch auf. Es befanden sich sogar noch einige verspätete Matrosen dort, die sogleich nach einem Chirurg geschickt werden konnten. Als dieser dann eintraf, da lag Weatherton schon entkleidet zwischen warmen Decken, und an jeder Seite von ihm stand einer der beiden alten Schiffsgefährten, die seinen Körper mit Schrecken erregender Heftigkeit kneteten und blutig rieben, und sich wie kleine Kinder darüber freuten, als er unter ihren Händen endlich wieder ganz leise zu atmen begann.

Doch weitere Zeichen von Leben gab er nicht von sich, und die Sonne stand schon hoch am Himmel, als der Chirurg erklärte, daß Weatherton nunmehr als gerettet betrachtet werden dürfe.

So war die Mittagsstunde herangekommen; der California-Dampfer steuerte lustig dem Karibischen Meere zu, und an der Stelle, wo er gelegen hatte, drängte sich ein anderes schweres Fahrzeug an die Landungsbrücke heran. –

Weatherton fuhr mit der Hand nach seiner verwundeten Stirn, schlug die Augen auf, und blickte verwirrt und überrascht bald auf Jim Raft, bald auf den Stelzfuß und auf den Chirurgen.

»Alles in Ordnung, Herr!« rief Jim Raft aus, als wenn er sich auf Deckwache befunden hätte, und sein Entzücken prägte sich in seinen Augen, aber noch deutlicher in seiner Narbe aus, die plötzlich kirschbraun erglänzte. »Alles in Ordnung, Herr!« wiederholte er, in ein lautes Lachen ausbrechend, »nur ein kleiner Leck am Stern, hoch genug über dem Wasserspiegel, und hier ist der Mann, der ihn wieder zuzuflicken versteht«, schloß er, indem er auf den Chirurg deutete.

»St«, beschwichtigte ihn der Arzt, Ruhe gebietend.

»Verdammt, Herr! allen Respekt vor Eurer Gelehrsamkeit, aber mir zu lehren, was Dickie, wollte sagen, Lieutenant Weatherton vertragen kann, seid Ihr noch lange nicht gelehrt genug! Das ist originell!«

Weatherton lächelte dem Arzt, wie um Entschuldigung bittend, zu; dieser antwortete mit einem ähnlichen Lächeln, der Stelzfuß war aber so erfreut über die gute Wendung in des Kranken Befinden und über die kräftige Antwort seines alten Busenfreundes, daß er sich leise davonschlich, um für alle Hände einen steifen Grog zu mischen.

»Ich habe Durst«, sagte Weatherton nach einer kleinen Weile.

»Geht, laßt Euch ein Glas Zuckerwasser mit etwas Zitronensaft geben und bringt es hierher«, wendete sich der Arzt an Raft.

Dieser erhob sich, blieb aber plötzlich wieder stehen, als ob er etwas vergessen habe.

»Ich denke, er hat Wasser genug geschluckt«, entgegnete er bedächtig, das linke Auge zukneifend, »wenigstens genug für die nächsten drei Monate; schlage vor, Rum mit etwas Zucker, Zitronensaft und einem Tröpfchen Eiswasser zu nehmen, etwa halb und halb; fünfzig Tropfen davon würden keinem kranken Kinde von sechs Wochen schaden«.

»Noch nicht, noch nicht«, versetzte der Arzt gutmütig, »wenn es ihm nicht schaden soll, dann trinkt Ihr den Rum lieber selbst und bringt Eurem Herrn die anderen Bestandteile des Grogs.«

»Ay, ay, Herr!« antwortete Raft im Davonschreiten, und gleich darauf herrschte wieder Totenstille in dem Gemach.

Als Jim in Begleitung des mit vollen Gläsern beladenen Stelzfußes zurückkehrte, hatte Weatherton die Augen geschlossen; er schlug dieselben aber wieder auf, sobald der Arzt ihm den Trunk reichte, und lächelnd dankte er, als die beiden alten Burschen verstohlen auf seine Gesundheit tranken.

»Das war ein schwerer Fall«, sagte er, das halbleere Glas zurückgebend.

»Ein schwerer Fall, Herr!« bekräftigte Raft, »habt aber zu gute Vordersteven, um wie ein gewöhnlicher Mensch auf gewöhnliche Art und obendrein auf dem Festlande zugrunde zu gehen«,

»Wäre wohl keine ganz gewöhnliche Art gewesen«, entgegnete Weatherton, und aus seinem Mienenspiel ergab sich, daß er sich auf etwas besinne.

»Laßt jetzt das Grübeln«, ermahnte der Doktor ernst; »Ihr habt morgen und übermorgen noch Zeit genug, um über den Vorfall nachzudenken. Ruhe ist alles, was Ihr bedürft«.

Der Bootsmann verschluckte die derbe Bemerkung, die ihm auf der Zunge schwebte, und mehrer Minuten herrschte wieder das tiefste Schweigen.

»Wie viel Uhr ist es?« unterbrach Weatherton nach einer längeren Pause die Stille.

»Zwei Glocken in der ersten Wache«, antwortete Raft, der es für selbstverständlich hielt, daß die Frage an keinen andern, als an ihn gerichtet sein könne.

»Ist das California-Boot schon fort?« fragte er weiter.

»Schon vor einer Stunde brummten seine Abschiedsschüsse. Kein reiner Schall drin; muß eiserne Geschütze von der allerschlechtesten Sorte an Bord haben; reiner Ausschuß; gebt ihnen doppelte Ladung, und sie zerspringen wie 'ne Eierschale auf dem Kochherd, das ist originell«, lautete Raft's Antwort.

Über Weatherton's Züge glitt eine Wolke. Es lag am Tage, daß er durch diese Nachricht tief berührt wurde.

»Wo bin ich, und wie bin ich überhaupt hierher gekommen?« fragte er nach kurzem Sinnen.

Raft öffnete schon den Mund, um den gewünschten Aufschluß zu geben, denn so ernst und schweigsam er auch immer an Bord seines Schiffes sein mochte, so gesprächig und mitteilsam wurde er, sobald er sich nicht mehr auf seinem Element befand; aber ehe er noch beginnen konnte, nahm der Arzt das Wort:

»Später, später«, sagte derselbe dringend, »solange ich aber noch hier meinen Einfluß geltend machen darf, muß ich darauf bestehen, daß jede aufregende Unterhaltung vermieden werde«.

»Gut«, versetzte Weatherton mit einem Anflug von Mißvergnügen, »daß ich nicht in St. Nicolas-Hotel liege, sehe und begreife ich deutlich, wenn die Pflege dort auch füglich nicht freundlicher und sorgfältiger sein könnte, wie hier. Allein ich muß meinen Freund, den Mr. Falk, sehen und sprechen, und zwar noch heute, so bald wie möglich, soll ich nicht vor Erwartung und Ungeduld vergehen«.

Der Arzt bezweifelte nicht, daß jeder Widerspruch von seiner Seite vergeblich sei und sogar nachteilig auf den durch den Blutverlust sehr geschwächten Kranken einwirken würde. Er fragte daher teilnahmsvoll, wer der erwähnte Mr. Falk sei.

»Raft kennt ihn –«

»Gewiß kenn ich ihn«, unterbrach Raft den Lieutenant sehr unzeremoniell, »ein Gentleman ist er, aufgetakelt wie ein Kommodore; malt Schiffe, als wäre er bei einem Schiffszimmermann in der Lehre gewesen, und Wasser? Bei Gott! um 'nen Kadetten seekrank zu machen!«

»Jim, wenn Du ihn so genau kennst«, versetzte Weatherton so freundlich, daß der alte Bootsmann für ihn hätte durch's Feuer gehen mögen, »dann wirst du ihn auch am besten auffinden können. Geh, alter Freund, hole ihn herbei, er wird in unserm Hotel zur Zeit wohl auf uns warten, und wenn er dort nicht ist, dann suche ihn in seiner Wohnung, und ist er dort auch nicht –«

»Dann ist er woanders, und ich kreuze so lange in der Stadt herum, bis ich ihn sehen kann«, fügte der Bootsmann, halb dienstlich, halb vertraulich hinzu, und da Weatherton ihm beipflichtend zunickte, so schritt er geraden Weges auf die Tür zu.

Unter der Tür drehte er sich indessen noch einmal um. »Verzeiht, Herr«, hob er an, seinen in's Genick hängenden Hut lüftend, »wie wär's wenn ich einen andern schickte und dafür selbst die Wache bei Euch bezöge? Ich meine, wenn Ihr 'was braucht, oder so?«

»Wer, außer Dir, kennt denn den Maler?« fragte Weatherton, innerlich gerührt von der treuen Anhänglichkeit seines alten Lehrmeisters, »wem aber, außer Dir, würde er Glauben beimessen, wenn es wirklich jemand gelänge, ihn aufzufinden?

Und daß ich jetzt keinen Brief schreiben kann, wirst Du doch wohl einsehen«.

»Ay, Ay, Herr!« antwortete Raft, dessen Einwände durch die letzten Gründe vollständig besiegt waren, und im nächsten Augenblick schritt er leise und behutsam die ächzende Stiege hinunter.

Die Überzeugung, daß Raft nicht ohne Falk zurückkehren würde, schien einen beruhigenden Einfluß auf Weatherton's aufgeregtes Gemüt auszuüben; denn nachdem der Arzt ihm noch einen stärkenden Trank verabreicht, verfiel er in einen tiefen Schlaf, aus welchem er bedeutend gekräftigt erwachen sollte. –

Die Zeit verrann, schnell für die Menschen, die nach gewohnter Weise ihren täglichen Geschäften oblagen, langsam für den Arzt und den alten gewissenhaften Stelzfuß, die nicht aus Weatherton's Nähe wichen. –

O, die langen, endlosen Stunden, die man am Lager eines befreundeten teuren Menschen verbringt, wenn der Tod seine kalte Hand gierig nach demselben ausstreckt, ungewiß, ob er es wagen darf, die von wilden Fieberphantasien umfangene Seele zu entführen, oder ob er gezwungen ist, den schon sicher geglaubten Raub wieder fahren zu lassen! O, die traurigen, langen Stunden, die unter bangen Hoffnungen und den schwärzesten Befürchtungen verrinnen! Mag die trübe Nachtlampe das stille Gemach unheimlich erhellen, das bläuliche Mondlicht verstohlen zwischen den Vorhängen hindurchschimmern, oder der junge Tag freundlich und erquickend durch die geöffneten Fenster dringen, wo das Gemüt gefesselt liegt in Trübsal und Besorgnis, wo das Ohr gespannt lauscht auf die leisen, kaum hörbaren Atemzüge, wo die vom Wachen und von Tränen geröteten Augen angstvoll haften an bleichen Zügen und geschlossenen Augenlidern, und aus jedem Zucken der Wimpern, aus jedem Heben und Senken der Brust das letzte Endurteil zu erraten suchen, da folgen die Minuten so langsam, so träge aufeinander, wie Sandkorn auf Sandkorn dem altertümlichen Stundenzeiger entrinnt.

Wer weiß, was die nächste Minute bringt?! Eine fromme Frage; und doch, wie selten wird sie getan, wenn nicht ein drohendes Geschick sie der bewegten Brust auspreßt. –

Auch in dem Gemach, in welchem Weatherton untergebracht worden war, und welches sich durch seemännische Einfachheit und Sauberkeit auszeichnete, herrschte tiefe Stille. Furcht und Besorgnis dagegen waren aus demselben gewichen, und an deren Stelle jene freudige Zuversicht getreten, welche den Arzt erfüllt, wenn er seine Bemühungen vom besten Erfolg gekrönt sieht, den alten Stelzfuß aber heiter stimmte, weil er in seines alten Maats Zögling eine Art von Halbgott erblickte.

Der Doktor las in einer Zeitung; geheimnisvoll rauschte der zerknitterte mächtige Papierbogen in seinen Händen, und ebenso geheimnisvoll knisterte der auf den Fußboden gestreute Sand, wenn der alte Stelzfuß behutsam hierhin und dorthin schlich, und seinen Körper, sobald er dessen Gewicht auf das hölzerne Bein zu bringen im Begriff stand, jedesmal durch hohes Emporziehen seiner Schultern so leicht wie eine Feder zu machen glaubte. –

Über dem Kopfende des Bettes war ein großer Bilderbogen an die Wand geklebt worden; auf demselben befand sich ein feuerrot angestrichener Neptun, der mit seinem Dreizack ein dunkelblau, grün und weiß schattiertes Meer in lauter Berge aufwühlte, und ein ganzes Heer von Delphinen und ungestaltenen Meerungeheuern kommandierte.

Der alte schielende, langbärtige Bursche schaute recht behaglich von seinem gelben, flutumrauschten Muschelwagen auf Weatherton nieder, und der Stelzfuß schaute wieder ebenso behaglich zu dem Meergott auf, das heißt, wenn es ihm die Zeit gerade erlaubte, und dann stellte er höchst philosophische Betrachtungen über den Wechsel der Zeit an.

Er sah sich selbst als lustigen Leichtmatrosen, wie er unter dem Äquator von einem als Neptun verkleideten Maat und von dessen als Götter und Najaden herausgeputzten Gehilfen die Taufe erhielt. Dann gedachte er des Tages, an welchem er als Vollmatrose und Vortopmann selbst zum ersten Mal die Rolle des Neptun übernommen hatte und den Schiffsdoktor vorzugsweise mit dem salzigen Taufstrahl aus der Feuerspritze bedenken ließ.

Er bückte sinnend auf den lesenden Arzt und lächelte; er vergegenwärtigte sich nämlich, wie derselbe sich wohl bei einer Äquatorialtaufe sträuben würde. Von dem Arzt wanderten seine Blicke zu dem ruhig schlummernden Weatherton hinüber,

»Dickie war damals noch nicht vom Stapel gelaufen«, sagte er in Gedanken, »aber sein Vater war ein schmucker Lieutenant, und ich? Ich war ein Kerl, wie Dickie heute ist; der lustigste Bursche auf dem Tanzplatz, und die flinke Hand beim Segelauslassen und Reffen«. Er schaute auf seinen Stelzfuß, und ein wehmütiger Zug glitt über seine harte, bärtige Physiognomie, indem er traurig den Kopf schüttelte.

Es mußten recht trübe Gedanken sein, die plötzlich Besitz von ihm ergriffen hatten, denn er warf mit einer gewandten Bewegung das hölzerne Bein über sein gesundes Knie, und dann zog er sein langes Zuschlagemesser hervor, um dessen Spitze mit einem Ausdruck von Grimm immer und immer wieder in das unschuldige harte Beinholz zu bohren.

Es ergötzte ihn offenbar, sein eigenes Glied verwunden zu können, ohne Schmerz zu fühlen oder Blut zu verlieren. Hatte es doch den Anschein, als ob der feuerrote Neptun von seinem Bilderbogen aus, trotzdem seine etwas verzeichneten Augen über's Kreuz schauten, ein besonderes Wohlgefallen an dem Benehmen der alten Teerjacke empfinde und nicht übel Lust habe, die Spitzen seines Dreizacks ebenfalls an dem hölzernen Bein zu versuchen. –

Stunden waren schon seit Raft's Entfernung verstrichen, und Weatherton hatte sich noch nicht geregt. Seine Atemzüge folgten langsam und regelmäßig aufeinander, und so fest schlief er, daß er gar nicht merkte, wie der Arzt die Binde von seinem Kopfe nahm und die Umschläge auf der Wunde erneuerte.

Je länger der Schlaf aber dauerte, umso häufiger sah der Arzt nach der Uhr, und mit einer gewissen ungeduldigen Spannung blickte er jedesmal nach der Tür, wenn das Geräusch unten im Hause die Ankunft eines Gastes bekundete. Offenbar wünschte er, daß Raft noch vor Weatherton's Erwachen zurückkehren möge, und zwar in Falk's Begleitung, um die so dringend ersehnte Beruhigung erteilen zu können. Er hielt diese Beruhigung sogar von großem, wenn auch nicht entscheidendem Einfluß auf den Zustand des Kranken.

Doch immer häufiger öffnete sich die Tür von den ankommenden Abendgästen, ohne daß einer den Weg nach der Treppe eingeschlagen hätte.

Endlich, als es bereits dunkelte und der Doktor schon längst seine Zeitung zur Seite gelegt hatte, knarrte die Stiege unter der Last von hinaufsteigenden, die indessen den Schall ihrer Tritte behutsam dämpften.

Weatherton fuhr empor. »Ist Raft noch nicht eingetroffen?« fragte er besorgt.

In demselben Augenblick öffnete sich die Tür und der Bootsmann, der die Frage vernommen hatte, antwortete in einem Tone, der an sich schon den guten Erfolg seiner Sendung verriet: »Ay, Ay, Herr! eingetroffen, ganz selbst!«

»Und Falk?« fragte Weatherton, sich trotz des Arztes Warnung emporrichtend.

»Hab' ihn im Schlepptau, Dickie! War 'ne heiße Jagd, bei Gott! Das ist originell!«

Weatherton sprach nicht weiter, reichte aber dem Freunde die Hand entgegen, welche dieser mit Herzlichkeit drückte.

»Ich fühle mich vollkommen gesund«, sagte er dann zu dem Arzt gewendet, »und werde noch heute Abend in mein Hotel übersiedeln«.

Der Arzt erteilte eine ausweichende Antwort, überzeugte sich indessen, daß jede Gefahr für den Kranken abgewendet sei, und da er zu erraten glaubte, daß Weatherton sich mit Falk ohne Zeugen zu unterhalten wünsche, so gab er vor, noch einige notwendige Gänge abmachen zu müssen, bat aber dringend darum, daß vor seiner Rückkehr ein Versuch der Übersiedelung nicht unternommen werde.

Als er sich entfernt hatte, forderte Weatherton den Stelzfuß und Jim Raft auf, nach der Schänke hinabzugehen und sich dort gütlich zu tun.

Die beiden alten Teerjacken zögerten wohl etwas und zählten verschiedene Gründe auf, die es wünschenswert erscheinen ließen, so lange beizulegen, bis er wieder vollständig flott geworden; Weatherton aber, der vor Ungeduld brannte, mit Falk ungestört über die letzten Begebenheiten zu beraten, war unerbittlich, und sogar als Raft sich erbot, Licht herbeizuschaffen, lehnte er es unter dem Verwande ab, daß gerade die Dunkelheit ihm angenehm sei.

Kaum hatte sich die Tür hinter den Davonschreitenden geschlossen, da setzte Weatherton sich aufrecht hin.

»Mr. Falk«, hob er an, »was bringt Ihr für Nachrichten von dem California-Dampfboot? Mir ist, als hätte sie an Bord sein müssen, und als ob der Unfall auf mein Leben mit der Abreise der Mormonen in Verbindung zu bringen sei«.

»Ich glaube behaupten zu dürfen, daß keiner der uns bekannten Mormonen mit dieser Gelegenheit nach Kalifornien abgereist ist«, antwortete Falk, indem er sich zu Weatherton auf das Lager setzte. »Schon seit Tagesanbruch befand ich mich mit Werner an Bord des Schiffes, und nicht ein Mensch ist die Laufplanke heraufgekommen, den wir nicht aufmerksam betrachtet hätten. Nein, wir können sie nicht übersehen haben, es ist nicht möglich, wir waren zu wachsam. Daß aber der Plan gegen Euer Leben von den Mormonen angelegt wurde, will ich nicht in Abrede stellen. Man kann sogar als erwiesen betrachten, daß der Brief des Mormonenmädchens nur geschrieben wurde, um Euch in die Falle zu locken –«.

»Was wißt Ihr von dem Briefe?« fragte Weatherton überrascht.

»Euer Bootsmann hat mir auf dem Herwege die ganze Begebenheit so weit geschildert, wie sie ihm selbst bekannt ist«, entgegnete Falk, »außerdem gab er mir aber auch noch einen vom Wasser ziemlich zerstörten Brief, welchen er aus Eurer im Starrkrampf geschlossenen Faust förmlich herausgebrochen hat. Dem festen Griff ist es übrigens zu danken, daß er noch leserlich blieb. Ich bewundere die Überlegung des alten Burschen, denn wie er mir versicherte, hat er den Brief nur aufgehoben, weil er vermutete, es sei in demselben etwas enthalten, was zur Entdeckung der Mörder fuhren könne«.

»Wo ist der Brief?« fragte Weatherton erregt.

»Hier«, antwortete Falk, ihm das wieder geglättete und getrocknete Papier darreichend.

Weatherton nahm es und betrachtete es sinnend.

»Ihr kennt den Inhalt?« fuhr er fort zu fragen.

»Gewiß kenne ich den Inhalt?« erwiderte der Maler, »und mag ihn das junge Mädchen oder jemand anders geschrieben haben, jedenfalls besitzen wir in diesem unscheinbaren Dokument ein Mittel, von Gerichtswegen gegen die Mormonengesellschaft vorgehen zu können, die unbedingt noch in New York verborgen sein muß«.

»Wenn Hertha Jansen den Brief wirklich schrieb, was ich nicht zu entscheiden vermag, indem ich ihre Hand nicht kenne, dann hat sie ihn nicht mit der Absicht, mir zu schaden, geschrieben; nein, ich verpfände meine Ehre dafür«, versetzte Weatherton heftig.

»Auch ich bezweifle das nicht«, beruhigte Falk, »das junge Mädchen kann ebensogut ein unschuldiges Opfer verbrecherischer Pläne sein, wie Ihr. In dem Brief aber besitzen wir das, was wir so lange zu besitzen gewünscht haben, nämlich einen Faden, um mit Hilfe der Polizei den Mormonen auf die Spur zu kommen, möglichenfalls ihnen sogar das Mädchen zu entreißen und unter gesetzlichen Schutz zu stellen«.

Weatherton sann eine Weile nach. Er schien mit sich selbst im Kampfe zu liegen.

»Weiß außer Euch noch Jemand um diesen Brief?« fragte er endlich.

»Niemand«.

»Gut, so will ich auch nicht, daß sonst noch jemand um denselben wisse; denn durch mich soll Hertha Jansen nicht in Berührung mit den Gerichten gebracht werden. Nein, niemals, und sollte mein ferneres Forschen nach ihr vergeblich bleiben. Ich will zu den Leiden, welche sie zu tragen bestimmt ist, nicht auch noch die Scham einer öffentlichen Kränkung fügen. Denn wie die Sache sich auch immer verhalte, unvermeidlich wäre es, sie zum Zeugen gegen ihren eigenen Verwandten aufzufordern. Ich vermag den Gedanken nicht zu ertragen! Und welche Entschuldigung hätte ich, wenn diejenigen, gegen welche wir Verdacht hegen, dennoch unschuldig wären! Nein, solange ich es zu hindern imstande bin, sollen sie nicht auf diesen Beweis hin verfolgt werden«.

»Was aber werdet Ihr antworten, wenn man Euch darüber zur Rechenschaft zieht, daß Ihr es unterließet, den Euch erteilten Befehlen nachzukommen und von dem Durchsuchungsrecht Gebrauch zu machen?« fragte Falk zweifelnd.

»Alles, nur kein Wort von dem Verdacht gegen die Mormonen«, antwortete Weatherton bestimmt, indem er sich auf sein Lager zurückwarf. »Meine Absicht, dem jungen Mädchen Schutz angedeihen zu lassen, und deshalb meine Forschungen unermüdlich fortzusetzen, ist indessen nicht erschüttert. Im Gegenteil, je mehr ich zu der Überzeugung gelange, daß Hertha Jansen sich in unredlichen, ja verbrecherischen Händen befindet, um so fester steht mein Entschluß, nicht gleich da zurückzuschrecken, wo sich mir das erste Hindernis entgegenstellt. Wollt Ihr mir helfend und ratend zur Seite stehen, so bin ich euch zum größten Danke verpflichtet–«

»Ihr habt ja schon mein Wort«, unterbrach ihn Falk mit Wärme, denn Weatherton's Edelmut gefiel ihm ebensosehr, wie er innige Teilnahme für dessen aufkeimende Leidenschaft und das Mormonenmädchen selbst empfand.

»Die näheren Umstände meiner jüngsten Erlebnisse bleiben also ein Geheimnis zwischen uns«, versetzte Weatherton in fast bittendem Tone.

»Bleiben ein Geheimnis zwischen uns«, pflichtete Falk bei, »und unseren vereinigten Kräften und Bemühungen wird gewiß Manches gelingen, was wir in diesem Augenblick für unmöglich und unerreichbar halten«. –

Nach diesem feierlichen Übereinkommen schien Weatherton sich mehr zu beruhigen, und bereitwillig gab er seinem Freunde eine umständliche Erzählung dessen, was Raft nur stückweise und höchst unzusammenhängend mitgeteilt hatte.

In dem Deutschen, welcher Weatherton den verhängnisvollen Brief übergeben und ihn demnächst nach dem Werft hinuntergeführt hatte, glaubte Falk wohl die aufgeblasene Gestalt des eitlen und charakterlosen Grafen zu erkennen; allein von der andern Seite schien es ihm auch wieder unglaublich, daß derselbe mit den Mormonen in Verbindung getreten und sogar zu einem gemeinen Verbrecher herabgesunken sein könne. Jedenfalls aber beabsichtige er, bei nächster Gelegenheit Veranlassung zu nehmen, über der beiden Edelleute heimliches Treiben genauere Erkundigungen einzuziehen, ob wirklich nur ihr meisterhaftes Kartenspiel ihnen in letzter Zeit die Mittel gewährt habe, sich mit einem ungewöhnlichen Luxus zu umgeben.

Sich noch einmal an Abraham, den schlauen Mormonenagenten zu wenden, hielten die beiden Freunde für überflüssig. Sie wußten, derselbe war, hatte er wirklich eine Hand im Spiele, zu verschlagen, zu vorsichtig und zu gut von seinen Spionen bedient, um ihnen gegenüber auch nur eine Unsicherheit in seinem Benehmen zu zeigen; abgesehen davon, daß er sie, bei seinen weit reichenden Hilfsmitteln, erst recht von der Spur Jansen's und Rynolds' abgeleitet und diese von jeder Verfolgung rechtzeitig in Kenntnis gesetzt haben würde.

Weatherton vertauschte in der Tat an demselben Abend noch des ehrlichen Stelzfußes Behausung mit dem St.-Nicolas-Hotel. Der Verdacht, den er sowohl wie Falk schon von Anfang an auf die in New York anwesenden Mormonen geworfen hatte, wurde zur Gewißheit, als sie entdeckten, daß die Durchsuchungsorder auf geheimnisvolle Art aus dem wohlverschlossenen Koffer Weatherton's verschwunden sei. Sie nahmen an, daß man, wahrscheinlich um einer Durchsuchung des mit Kriegsmaterial mancher Art befrachteten Dampfbootes vorzubeugen und jede weitere Verfolgung von dieser Seite abzuschneiden, Weatherton's Leben, als das eines gefährlichen Feindes, zu opfern beschlossen hatte.

Wegen Nichtbefolgung des an ihn ergangenen Befehls gelang es Weatherton, sich zu rechtfertigen, ohne mehr von der Wahrheit zu verraten, als er für seine Zwecke dienlich hielt. Er gab nämlich vor, daß eben nur ein einfacher Raubmord gegen ihn unternommen worden sei. Seine Kopfwunde und Raft's Aussagen waren der beste Beweis dafür; dagegen erholte er sich nicht so schnell von den Folgen seines Sturzes, um an Bord des Leoparden gehen zu können, als dieser schon nach zwei Tagen die Anker zu einer Kreuzfahrt nach den ostasiatischen Gewässern lichtete.

Versehen mit einem zwölfmonatigen Urlaub blieb er in New York zurück. Auch für Jim Raft gelang es ihm, Urlaub auszuwirken. Der alte Seemann schwankte lange in seiner Wahl zwischen dem Leoparden und dem Festlande. Die Zuneigung zu Lieutenant Dickie, dem Sohne des von ihm so hochverehrten, dahingeschiedenen alten Dickie, war indessen schließlich doch überwiegend, umso mehr, da dieser ihm bereitwillig versprach, sich durch den Urlaub nicht für gebunden zu erachten, sondern noch vor Ablauf der Frist den Leoparden auf dem anderen Ende der Welt aufzusuchen.


 << zurück weiter >>