Frederi Mistral
Nerto
Frederi Mistral

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V.
Die Nonne.

               

Aus der Abtei von Sankt Cesàri
Steigt auf der Nonnen fromm Gebet
Und unaufhörlich, kling, klang, klinge!
Geläute durch die Lüfte weht.
Die schwarzen Nonnen wandeln betend
Hinauf, hinab den Klostergang
Und weithin grüßend, kling, klang, klinge!
Tönt drüber hin der Glocken Sang.
Wie Boten aus dem Todtenreiche,
Dem Grab entstiegen, stumm und bleich,
Mit ihren langen schwarzen Schleiern,
So huschen sie, gespenstergleich,
Im Schatten der Gewölbebogen;
Sie beten ihren Rosenkranz.
Und immerzu geht, kling, klang, klinge!
Der Klosterglocken Freudetanz.
Und zitternd, wie ein zartes Blatt,
Liegt Nerto, gestern eingetreten,
Still betend auf dem Kirchenflur:
Sie müht sich eifrig, fromm zu beten.
Denn heute soll mit Kreuz und Schleier
Die Aermste eingekleidet sein . . .
Hier ist Dein Käfig, junges Vöglein,
Hier ist Dein Käfig, nur herein!

Von frommem Hin- und Wieder-Schreiten
Ist ungewohnt das Haus belebt,
Derweil das Herz der Frau Abtissin
In fiebernder Erwartung bebt;
Denn Benedict, der heil'ge Vater,
Und König Ludwig in Person,
Die Königin und ihr Gefolge,
Das Kreuz voran, in Prozession,
Sind unterwegs nach Sankt Cesàri,
Um einzusegnen am Altar
Die hochgeborne, edle Tochter
Jung Nerto von Kastell-Reinard.

Und sieh! Da sind sie. Plötzlich gähnen
Des alten Klosters Pforten weit.
Sprechzimmer öffnen sich und Gitter,
Des Sonnenlichtes Heiterkeit
Gießt siegreich durch das dumpfe Haus
Die sonst verwehrten Strahlen aus.
Ergriffnen Herzens, reihenweis'
Geschaart, in betender Geberde,
Sind alle Schwestern hingekniet
Und blicken demuthsvoll zur Erde.
Von Geigen tönen süße Weisen,
Andeutend die Zufriedenheit,
Die Freude und den Abschied derer,
Die ganz sich ihrem Schöpfer weiht.
Derer, die dort im Dämmerlichte
Harrt mit verweintem Angesichte.
Das neuvermählte Königspaar
Vertritt an Nerto Pathenstelle.
Jetzt, nach und nach, verbreitet sich
Im düstern Schiffe Kerzenhelle;
Die Nonnen schreiten stumm in Reihen,
Umwallt vom schwarzen Manteltuch.
Nerto erharrt, den Tod im Herzen,
Der ew'gen Buße Urtheilsspruch.

Der heil'ge Vater aber, vor dem
Altare sitzend, nimmt das Wort:
»Wir, Papst, den Mantel Christi tragend,
Der Kirche Knecht, des Glaubens Hort,
Thun allen Hörern hier und Zeugen
Zu wissen: Da des Satans List,
Mit der er frommen Seelen nachstellt,
Zu wehren, unsres Amtes ist
Und in Erwägung der Gefährde,
Die einer armen Waise droht,
Erwägend, daß des Unheils Nähe
Rechtfertigt unser Machtgebot,
Erwägend auch, daß diese Erde
Nichts ist als ein Verbannungsort,
Verleihn, trotz ihrer großen Jugend,
Der Bittenden, durch Gnadenwort,
Mit unserm väterlichen Segen,
Das Recht, Gelübde abzulegen.«

Dono Barralo, die Priorin,
Verbeugt sich tief und demuthvoll;
Dann, leise zu der Jungfrau tretend,
Gibt sie ein Zeichen: Sanft und voll
Ertönet der Gesang der Psalmen,
Der Weihrauch spendet seinen Duft,
Und vor dem Kreuz und Weihewedel
Sinkt Nerto's Jugend in die Gruft.
Jetzt wird der Hut ihr abgenommen,
Der seidne Mantel auch alsbald,
Das lange Haar ihr aufgeflochten,
Das nun die Schultern blond umwallt.
Und plötzlich, zitternd und erblassend
Im Uebermaß des Schreckens, fühlt
Sie, wie das Eisen einer Scheere
In ihren dichten Locken wühlt.
Da jammert laut das edle Kind:
»O meine schönen blonden Haare!
In der Kapelle hängt sie auf,
O tragt sie dorthin zum Altare
Der Jungfrau, meiner Schutzpatronin!
O herber, schmerzlicher Verlust,
Lebt wohl, Stolz meiner sechszehn Jahre,
Lebt wohl, ihr meiner Kindheit Lust!
Wenn früh sich in mein Schlafgemach
Des Morgens erste Lichter stahlen,
Kämmt' ich euch sorgsam, liebevoll,
Wie eine Garbe goldner Strahlen!
Laßt mich mit Küssen euch bedecken –
O heil'ge Jungfrau, zürne nicht! –
Du goldnes Vließ, zu früh geschnitten,
Nie wehst du mehr im Sonnenlicht,
Nie schmückst du dich mit Blumen mehr,
Die sich in dir so wohl gefielen,
Weh! Nie mehr wird der sanfte Wind
In deinen goldnen Ringen spielen!
Vielleicht ist's kindisch drob zu weinen,
Doch fühl' ich, wie das Herz mir schwillt . . .
Ich kann, ich kann mich nicht bezwingen,
Nicht hindern, daß die Thräne quillt!
Aus ist's . . . Der Lerche der Provence
Bedeckt ein schwarzes Tuch die Schwingen,
Im Hügelland, im Haidemoor,
Geht, Vöglein, ohne mich jetzt singen!
Die Erdbeern und die Veilchen pflücken
Geht, Mädchen, ohne mich und singt
Allein, wenn ihr am Flusse wandelt,
Der lachend über Kiesel springt . . .
Und ach! mein Windspiel, das mir lustig
Bis Arles gefolgt, mein treues Thier,
Aus langer Weile wird es sterben!
Nicht so schleicht ihm die Zeit wie mir:
Des Kreuzes traurige Verlobte
Begrab' ich in den finstern Schooß
Des Klosters meine Lebenstage:
O weinet, weinet um mein Loos!«

Doch jetzt entfesselt durch die Räume
Die Orgel ihren Donnerklang
Wie Stimmen, die am Weltenende
Kund thun den großen Niedergang,
Und überdröhnt der Nonne Klagen.
Das schwarze, rauhe Hausgewand
Legt man ihr an, den Busenschleier
Und um die Stirne Tuch und Band.
Dann, auf die Bibel und die Satzung
Des Ordens, die den Leib kasteit,
Hat Armut, Keuschheit und Gehorsam
Sie angelobt auf Lebenszeit.
Wie eine Heilige versprach sie's.
Dono Yolanthes Majestät
Reicht ihr liebkosend ein Gebetbuch,
Mit Lilien außen übersät
Und innen hatte, Blau mit Gold,
Die reichgeschmückten Initialen
In der Abtei von Mount-Majour
Sich Jahr und Tag bemüht zu malen
Der fromme Bruder Berengar,
Der seiner Kunst ein Meister war.

Ach! Nichts kann jetzt ihr Herz erfreuen,
Grau scheint ihr Alles, öd' und leer.
Wie eine Schwalbe, der die Flügel
Vom Ungewitter regenschwer
Und die der Sturmwind in die Wolken,
Sie weiß nicht wie, von dannen trägt,
Wie ein verlornes Lamm, das blökend
Am Abgrund sich einherbewegt,
So sieht die junge Nonne nichts
Als dunkle Schatten in den Räumen;
Nur hin und wieder winkt ihr matt
Ein Kerzenschein . . . Sie glaubt zu träumen;
Ringsum ist Nebel . . .

                                    Aber schon
Ergreift den langen schwarzen Schleier
Der heil'ge Vater; denn er selbst
Beendigt jetzt die hohe Feier.
Und über ihre weiße Stirne
Ihn breitend, spricht er ernst und laut:
»Empfange auf Dein Haupt, o Nerto,
Den Schleier einer Gottesbraut,
Ein heilig Sinnbild der Zerknirschung:
Und wenn dereinst Dein Ende naht,
Mögst Du ihn rein zurückerstatten
Und ernten frommen Wandels Saat!
Und mögst Du, Satans Bande brechend,
Weiß wie der Schnee und gotterfreut
Am Hochzeitsmahl der Seel'gen sitzen,
Das sich im Himmel stets erneut!
Dich lasse Gott, dem Weihrauch gleich,
Dorthin, wo in des Höchsten Namen
Der Herzen heil'ge Eintracht wohnt,
Aufsteigen! Also sei es! Amen!«

Die Opferhandlung ist zu Ende,
Die Prüfung und das Amt noch nicht.
Im Chor der Kirche, etwas abseits,
Liegt Nerto auf dem Angesicht,
Ein Grabtuch über sich gebreitet,
Die Beute nie geahnter Qual.
Vier Kerzen brennen ihr zu Häupten,
Die Nonnen singen im Choral.
Des De profundis Trauerklage
Hallt ihr entsetzensvoll in's Ohr;
Von Zeit zu Zeit dringt, dumpf und schmerzlich,
Ein Schluchzen unterm Tuch hervor,
Darauf ein großes weißes Kreuz
Sich abhebt. Nerto fühlt die Schrecken
Des Kirchhofs und sie wähnt verwirrt,
Daß Erd' und Grabstein sie bedecken;
Die Würmer sieht sie schon beim Mahle,
Sie ringt in namenloser Pein,
Sie sieht Gespenster und ein Schauer
Durchfährt ihr zitterndes Gebein;
Und ihre Stimme, röchelnd, leis,
Daß aus der Angst er sie errette,
Ruft: Rodrich! . . . Doch der Nonnen Schaar
Umsteht sie rings in dichter Kette . . .
Erdfahl im Antlitz steht sie auf,
Und als jetzt zu des Münsters Thüren
Hinaus, beständig im Gebet,
Die Nonnen die Novize führen
Ertönt, dumpf wiederholt von Allen,
Der Willkomm durch des Klosters Hallen:
»Tritt ein, tritt ein ins Schwesternhaus,»Tritt ein, tritt ein« &c,, provençalisch:

»Intras, intras, o sorre nostro,
»Noun sortirés vivo ni morto.
«


»Nicht Tod, nicht Leben führt hinaus.«

Und alle gehn davon, ergriffen,
Und Jedes sagt: »Gott hat's gewollt!
Und doch, wie traurig ist's, wie schade,
Daß ein Geschöpf, so jung und hold
Im Lebensmai sich muß bequemen,
Das Kleid von Mons CasinMons Casinus (prov. Mount-Cassin) heißt das vom heiligen Benedict 528 gegründete erste abendländische Mönchskloster auf Monte Cassino bei Neapel, nach welchem die Benediktiner beider Geschlechter ihre Ordensregeln benennen. zu nehmen!«

Derweil im Kloster jedes Herze
Von heil'gem Ernst ergriffen war,
Vergnügte sich im Hafenviertel
Der Söldner und Matrosen Schaar
Im Gasthaus, zubenannt »Zum Schwerte«.
Man spielt und trinkt, man lärmt und lacht;
Bei catalonischen Piraten
Mit rothen Mützen, bunter Tracht,
Und langen Messern an der Seite
Sitzt Rodrich: »Jeder Mann erhält,«
So spricht er, »fünfzig ParpaiolenParpaiolo, wörtlich Nachtfalter, eine ehemals in der Provence gangbare kleine Silbermünze.,
Der sich mir ganz zu Diensten stellt.
Ich werde, wenn die Zeit gekommen,
Euch sagen, was ich ausgedacht,
Jetzt, Brüder, laßt uns essen, trinken,
Bis wir den Schlag der Mitternacht
Vernehmen.« – »Hei, die Schmauserei!
Hoch Hippokras und flottes Leben!«
Schrie das Gesindel. »Laßt uns gleich
Dem Wirth den Küchenzettel geben:
Ein Fischgericht vom Vacarès,Vacarès. Großer Teich in der Camargo, so benannt nach den Heerden wilder Kühe (Vaco), welche an seinen Ufern weiden. Die Anwohner wissen mit Zuthat von Wein, Zwiebeln und Kräutern eine beliebte Fischsuppe zu bereiten, ähnlich der Marseiller Bouillabaisse, von welcher Albert Méry berichtet:

»Pour le Vendredi maigre, un jour, certaine abbesse
»D'un Couvent Marseillais créa la bouillabaisse.«


Dann ein Aiòli,Aiòli (aus ai, Knoblauch und oli, Oel), eine Art von Mayonnaise aus den genannten Hauptbestandtheilen mit Eigelb und Gewürz. Das Aiòli ist, als Zugericht, eine besondere Lieblingsspeise der Provençalen. wohlgerathen,
Nebst Pfefferschoten mit viel Oel
Und einem fetten Rinderbraten!«
»Vergeßt das Lamms-GardianoGardiano, ein Frikassé von Lammfleisch, dessen Zubereitungsart wahrscheinlich die Hirten (prov. Gardian) erfunden haben. nicht.«
»Potz Tausend, fünfzig Parpaiolen!
Den Jungfern spielen wir eins auf,
Laßt Geiger und laßt Pfeifer holen! . . .«
»Auf Euer Wohl, mein schöner Hauptmann!
Ihr trinkt nicht? Steckt Euch was im Sinn!«
»Nein, nein,« erwidert Meister Rodrich,
»Ich warte, bis ich durstig bin.« –
Ganz duftend jetzt und goldgelb glänzend
Kommt das Aiòli auf den Tisch.
»Hallo! Laßt uns den Mühlstein netzen!
Schenkt ein, trinkt aus und schenkt Euch frisch!«
Da springt die ganze Bande auf,
Die rothgeduns'nen Weingesichter
Nach oben, stürzen sie das Naß
In Strömen in des Schlundes Trichter.
Sie pusten, schnalzen mit den Zungen,
Dann wird geprahlt, dann wird gesungen,
Dann rühren sie die Castagnette . . .
Hei! wer nur auch sein Schätzchen hätte!

Jetzt hallt vom Belfried, Lust und Qual
Des Tages endend, das Signal.
Die Bande schleicht sich aus der Schenke,
Die Kappenmäntel im Gesicht,
Mit hänfnen Sohlen an den Füßen,
Durch finstre Gäßchen. – Rodrich spricht
Nun Jedem leis in's Ohr und nennt
Den Zweck, zu dem er sie versammelt.
Die Bürgerhäuser allesammt
Sind fest verriegelt und verrammelt.
Pechdunkel Alles rings umher,
Kein Licht in Arles, nichts rührt sich mehr.

Die Catalonischen Gesellen
Verfolgen erst der Rhone Lauf
Und dann die Lisso.La Lisso (vom lat. licium, die Schnur) hieß eine lange, gerade Straße welche außerhalb Arles von der Rhone nach den Aliscamp führte, das heutige Boulevart de la Lice. – Jetzt, im Finstern,
Taucht unbestimmt der Umriß auf
Der Dächer und der Glockenthürme
Des Klosters, das man, fern der Welt,
Nächst AliscampAliscamp (lat. Elysii Campi, die elisäischen Felder) Name des ältesten und berühmtesten Kirchhofs von Arles, nach der Sage von Christus selbst geweiht. Dante (im »Inferno« Canto IX, 38, 39) und Ariost (Orlando furioso XXXIX, 72) erwähnen diese Todtenstadt. errichtet hatte,
Dem altberühmten Todtenfeld.
Begünstigt von der Dunkelheit
Erklettern jetzt die Galgenstricke
An Seilen, in die Wand gehakt,
Den Katzen gleich, im Augenblicke
Die Mauern jenes edlen Klosters,
Das seit Jahrhunderten im Land
Durch Heiligkeit und strenge Tugend
In wohlverdientem Ansehn stand,
Und dessen Oberste im Amte
Meist einem Fürstenhaus entstammte.

Es war just in dem Augenblick,
In dem zum nächt'gen Mettesingen
Bei einer schwachen Ampel Schein
Die Nonnen in die Kirche gingen.
Die Augen noch von Schlaf befangen,
Besetzen sie das finstre Chor
Und beten nach der Ordensregel . . .
Da, plötzlich, kracht ein Schlag an's Thor!
Auf fliegt es berstend. Don Rodrigo,
Wie in die Hürd' ein reißend Thier,
Stürzt in die Kirche, furchtbar rufend:
»Ihr wollt den Teufel? Er ist hier!«
Und schnell, die rothen Mützen schwingend,
Die Mäntel auf den Arm gehängt,
Hat sich der Trupp der frechen Schelme
Ihm nach in's Heiligthum gedrängt.
Bei Sankt Maxim! Noch niemals wurde
Ein solch Entsetzen je gesehn.
Ja, hätte sich die Gruft geöffnet,
Damit die Todten auferstehn,
Die friedlich unterm Stein verwesen,
Es wär' der Angst nicht mehr gewesen.
Die Nonnen bleiben, starr vor Schrecken,
Gebannt und unbeweglich stehn,
Wie Tauben, wenn sie in den Lüften
Den räuberischen Weih gesehn.
Und schon hat Rodrich die Gesuchte
Mit raschem Blick entdeckt im Schwarm,
Doch wie er am Altar vorbeieilt,
Faßt ihn die Oberin am Arm,
Zum Himmel rufend: »Hilf uns Herr!«
Er aber stößt sie barsch zur Seite,
Nimmt Nerto, die bewußtlos liegt,
In seinen Arm und sucht das Weite.
Er preßt sie sanft an seine Brust
Und beugt sich auf die bleiche Wange:
»Ich bins, Dein Rodrich,« flüstert er,
»Komm mit mir, Liebchen, sei nicht bange!«

Indeß im Sturm der rasche Jüngling
Des Klosters edle Perle raubt,
Begehn die Spießgesellen Unheil.
Denn wahrlich, nicht vergebens glaubt
Das Volk bei uns, der Teufel sei
Mit »Catalonier« einerlei.
Aus dieser Frauenschaar, entsproßt
Des Landes edelstem Geblüte,
Ergreifen sie mit roher Faust
Die stolze, feine Hochwaldsblüthe
Um, fühllos gegen ihre Klagen,
Die Lieblichsten davonzutragen.
Doch schon erschallt die Klosterglocke,
Weithin verbreitend den Allarm:
Die Nönnlein so da alt und häßlich,
Sie läuten Sturm, daß Gott erbarm!
Der tapfre Hauptmann des TampanTampan hieß im Mittelalter in Arles die Stadtwache. Das Wort kommt vom lat. tympanum, Trommel.
Und seine Häscher alle, kamen
Beim Schall der Glocke schnell herbei,
Zu Hülfe für die armen Damen;
Und schon von ferne hört er sie
Laut schreien und sich heftig wehren.
Der Hauptmann zieht sein braves Schwert.
»Hei! Das Gesindel will ich lehren!«
Und eh' die Räuber es erwarten
Erreicht die Wacht den Todtengarten.

Der Aliscamp Begräbnißstätte,
Umwoben von Legendenschein,
Voll Grabkapellen und voll Kreuze
Und hüglig ganz, von Todtenbein,
Lag, in der Zeit von der ich spreche,
Bei Arles auf einer weiten Fläche.
Als, nach der Sage, Sankt Trophim
Den Friedhof christlich weihen wollte
Und einer der Geladenen
Weihwasser ringsum sprengen sollte,
Da war im ganzen Kirchenrathe
Kein Pater, der sich würdig fand:
Voll heil'ger Demuth lehnte Jeder
Die hohe Ehre von der Hand.
Und allsogleich, vom Himmel her,
Kam Unser Herr in einer Wolke
Von Engeln; und er weiht' das Feld.
Man sagt sogar im frommen Volke,
Daß an dem Platz, wo er gekniet,
Man noch im Stein den Eindruck sieht,
Und Nachts sei dort von Engelchören
Oft himmlischer Gesang zu hören.
Darum, an so geweihter Stätte
Wollt' Jedermann begraben sein;
Die Könige, die Kirchenfürsten,
Barone, Grafen, groß und klein,
Erbauten dort sich Mausoleen,
Der einfach, der mit großer Pracht
Auf ihrer Handvoll heil'ger Erde.
Der Hölle Zorn war ohne Macht,
Wenn hier in ihrer Grüfte Tiefen
Der Abgeschiednen Leiber schliefen.
Und so, den Rhonefluß entlang,
Das Geld für's Grab auf ihren Bahren,
Ließ man in Schiffen, ganz allein,
Stromab die armen Todten fahren,
Um dort zu ruhn. Und kamen dann
Die Särge langsam angeschwommen,
So wendete der Schiffersmann
Sein Boot und gab mit einem frommen
Gebet den Leichen das Geleit;
Und wen sie sonst am Wege trafen,
Bekreuzte sich und sagte leis:
»Gott lasse sie in Frieden schlafen.«

Doch heut' ist auf dem großen Felde
Der Todten Friede schlimm gestört.
Um wiederum zurückzukehren
Zum Raube, der so unerhört
Das Heiligste zu schänden wagte:
Rodrigo lief in wilder Hast
Im Finstern über Leichensteine,
Auf seinem Arm die holde Last;
Und Nerto, rücklings fortgetragen,
Hört, wie im Traum, die Worte sagen:
»Wie duftet der Jasmin so herrlich,
Wie glänzt der Glühwurm durch die Nacht,
Wie singt die Nachtigall so schmelzend,
O sieh' des Himmels Sternenpracht!
Mir ist, als wenn ich Flügel hätte!
Mit Dir in stiller Nacht allein,
Du, süßes Lieb, in meinen Armen,
Du, Holde, mein, für immer mein,
Was ist so köstlich noch auf Erden!«
Doch sie, in Ohnmacht und verwirrt,
Des Unheils willenloses Opfer,
Weiß nicht, wohin ihr Denken irrt:
Ist es der Teufel, dem zur Beute
Sie dennoch fiel? Sie weiß es nicht!
Ist es ein Engel, der sie fortträgt
Und himmlisch süße Worte spricht?

Jetzt, hinter ihnen, durch das Dunkel
Erdröhnt das stille Leichenfeld
Von Lärm und lautem Waffenklirren.
Rodrigo, der erprobte Held,
Hört, als er Rolands GrabRolands Grab. Es gibt in der Provence und in den Pyrenäen zahlreiche Stätten, welche der Volksmund in mannigfaltigster Weise mit dem Namen Rolands, des heldischen Neffen und Paladins Karls des Großen in Verbindung bringt, darunter auch der Friedhof der Aliscamp. erreicht,
Die Bande ihn zu Hülfe rufen . . .
Da, rasch entschlossen, legt er sanft
Die halb Entseelte auf die Stufen
Und eilt zu seinen Cataloniern.
Hei! welch ein Kampf in finstrer Nacht
Bei Kreuz und Stein! Auf keiner Seite
Wird ein Gefangener gemacht.
Wenn in dem fürchterlichen Würgen
Ein Mann getroffen niedersinkt,
So gähnt auch dort sein Grab. Und während
Von Schwertgeklirr die Luft erklingt,
Die Nonnen fliehn, die Männerschaar
Zusammenschmilzt, erwacht mit Beben,
Vom Morgenwinde sanft geküßt,
Die Jungfrau wiederum zum Leben.

Der Halbmond stieg herauf. Rundum
Die Kreuze glänzten wie am Tage.
Nerto, allein im Todtenfeld,
Rings Gräber nur und Sarkophage,
Fühlt wie ihr Haar sich sträubt. Es rieselt
Ihr eisig durch das Mark und jetzt,
Sich in der Hölle Vorhof wähnend,
Springt sie empor und flieht entsetzt.
Sie irrt umher, doch Grab auf Grab
Hemmt ihren Schritt auf allen Seiten;
Endlose Katakomben sind's,
Die sie auf ihrer Flucht begleiten;
Von Zeit zu Zeit steht schreckbefangen
Sie stille und ihr Herz erbebt,
Wenn eine aufgescheuchte Eule
Sich schwirrend in die Luft erhebt;
Dann nimmt sie ihren tollen Lauf,
Halbtodt vor Angst, von Neuem auf
Und bitterliche Thränen weinend,
Von Gott verlassen und der Welt,
Verirrt sie, unter lauten Klagen,
Sich endlich in das freie Feld.

Erhitzt, mit Blut und Staub bedeckt,
Doch hochgemuth das Haupt erhoben,
Kehrt Rodrich siegesstolz zurück.
In stiller Nacht, vom Duft umwoben
Der blüh'nden Myrthen und Jasminen,
Sucht er sein Lieb. Doch keine Spur
Vermag er, Nerto's, zu entdecken;
Er sucht . . . und findet Gräber nur.
Voll Ungeduld, mit leisem Fluchen,
Eilt Aliscamp er abzusuchen,
Sankt HonoratSankt Honorat (prov. Sant-Ounourat) Bischof von Arles, gründete 391 das nach ihm benannte Kloster auf der gleichnamigen Insel im Golf von Cannes, starb um 430. – Pourcelet (wörtlich Schweinchen), Name einer altberühmten Arlatischen Adelsfamilie. (S. im Armana Prouvençan von 1878 die an den Namen dieser Familie geknüpfte Legende.) und Sankt Accursius,
Sankt Bardulph dann und Sankt Tiburtius
Und dann das Grab der Pourcelet . . .
Er bleibt allein bei Tod und Leichen.
Vor Liebe rasend und vor Zorn,
Fühlt er sein Herzblut jäh entweichen
Und ein Zerreißen in der Brust.
Nach ihr, der Einzigen von Allen,
Läßt er in's weite Feld hinaus
Den Ruf: »O Nerto, Nerto!« hallen.
Doch weckt er nirgend einen Ton
Als Eulenkrächzen im Trebon.Trebon (lat. Ager Tribuntius oder Triphontius) hieß ein Theil des Stadtbannes von Arles, in der Richtung nach Taraskon.


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